Nach Hause kommen zu sich selbst

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Nach Hause kommen zu sich selbst
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Tara Brach

Nach Hause kommen zu sich selbst

Im eigenen erwachten Herzen Zuflucht und Geborgenheit finden


Wichtiger Hinweis

Die im Buch veröffentlichten Empfehlungen wurden von Verfasserin und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung der Verfasserin bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Aus dem Englischen von

Nayoma de Haën

Titel der Originalausgabe:

True Refuge.

Finding Peace and Freedom

in Your Own Awakened Heart.

Copyright © 2012 by Tara Brach

First published in 2013 in the US by Bantam Press

Deutsche Ausgabe:

© KOHA-Verlag GmbH Burgrain

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2014

Lektorat: Traudel Reiss

Fotos: Fotolia – S. 2/3, 10, 204/205, 354/355, 403;

Shutterstock – S. 18/19, 96/97

Cover: © Kim Hoang, Guter Punkt, unter Verwendung

von Motiven von shutterstock und thinkstock

Layout: Birgit-Inga Weber

Gesamtherstellung: Karin Schnellbach

ISBN 978-3-86728-734-0

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Für Jonathan,

dessen Herz eine liebevolle, sichere Zuflucht ist,

und seinen guten Humor,

eine der großen Freuden dieses Lebens.

Inhaltsverzeichnis

PrologDas Leben lieben, wie es ist

Teil IUnsere Suche nach Zuflucht

1.Winde der Heimkehr

2.Das Heim verlassen – Die Trance des kleinen Selbst

3.Meditation – Der Weg zur Präsenz

4.Drei Tore zur Zuflucht

Teil IIDas Tor der Wahrheit

5.RAIN – Achtsame Präsenz in schwierigen Zeiten kultivieren

6.Zum Leben im Körper erwachen

7.In den Fängen des Verstands – Das Gefängnis des zwanghaften Denkens

8.Zentrale Überzeugungen erforschen

Teil IIIDas Tor der Liebe

9.Herzensmedizin für traumatische Ängste

10.Selbstmitgefühl – Den zweiten Pfeil entfernen

11.Der Mut, zu vergeben

12.Hand in Hand – Gelebtes Mitgefühl

13.Verlieren, was wir lieben – Der Schmerz der Trennung

Teil IVDas Tor des Gewahrseins

14.Zuflucht zum Gewahrsein

15.Ein zu allem bereites Herz

Danksagung

Genehmigungen

Auswahl an Kommentaren zu diesem Buch

Über die Autorin

Geführte Besinnungen und Meditationen

1 • Innehalten für Präsenz

2 • Herzensgüte – Freundliche Zuwendung zu sich selbst

3 • Zurückkommen

• Hier sein

4 • Das Wichtigste erinnern

5 • Sich mit RAIN Schwierigkeiten zuwenden

• Eine »Leicht«-Version von RAIN für die unmittelbare Anwendung im Alltag

6 • Sich mit RAIN Schmerzen zuwenden

• Das Lächeln des Buddha

7 • Meine Top-Ten-Hits

• Sich mit RAIN zwanghaftem Denken zuwenden

8 • Bestandsaufnahme von Überzeugungen

• Überzeugungen auf frischer Tat ertappen

9 • Herzensgüte – Liebe annehmen

• Tonglen – Heilsame Präsenz und Angst

10 • Selbstvergebungs-Scan

• Den Krieg mit sich selbst beenden

11 • Anderen von Herzen vergeben

12 • Tonglen – Das mitfühlende Herz erwecken

• Herzensgüte – Hinter die Fassade schauen

13 • Gebet für schwierige Zeiten

14 • Den Innenraum erkunden

• Wer bin ich?

• Einen Schritt zurücktreten

15 • Wunschgebet

• Wahre Zuflucht finden

Wenn du einsam bist oder in Dunkelheit,

wünschte ich,

dir das erstaunliche Licht

deines eigenen Seins zeigen zu können!

Hafiz

(Nachübersetzung der engl. Übersetzung

von Daniel Ladinsky)

Prolog

Das Leben lieben, wie es ist

In meinen frühesten glücklichen Erinnerungen spiele ich im Meer. Nachdem meine Familie dazu übergegangen war, die Sommer in Cape Cod zu verbringen, wurden mir die niedrigen Kiefernwälder, die hohen Dünen und die Weite der weißen Sandflächen zu einer echten Heimat. Stundenlang waren wir am Strand, tauchten in den Wellen, ließen uns von ihnen an den Strand tragen und übten unter Wasser Purzelbäume. Sommer um Sommer füllte sich unser Haus mit Freunden und Verwandten – und später mit Partnern und neuen Kindern. Es war ein gemeinschaftliches Himmelreich. In der salzigen Luft, unter dem weiten Himmel und an der stets lockenden See war Platz für alles, was es in meinem Leben gab, auch für eventuelle Schwierigkeiten, die ich im Herzen trug.

Dann kam der Morgen, es ist noch gar nicht so lange her, an dem zwei Autos voller Freunde und Verwandten ohne mich in Richtung Strand aufbrachen. Aus dem Mädchen, welches zum Abendessen nur mit Mühe aus dem Wasser zu holen war, war eine Frau geworden, die nicht mehr über den Sand gehen oder im Meer schwimmen konnte. Nach zwei Jahrzehnten, in denen sich meine Gesundheit mysteriöserweise immer mehr verschlechterte, erhielt ich schließlich eine Diagnose: Ich hatte eine unheilbare, genetisch bedingte Krankheit, die im Wesentlichen nur durch Schmerzmittel behandelt werden konnte. Auf der Terrasse unseres Sommerhauses sitzend sah ich zu, wie sich die Autos entfernten, und es zerriss mich schier vor Kummer und Einsamkeit. Während die Tränen flossen, war ich mir nur einer einzigen Sehnsucht bewusst: »Bitte, bitte, lass mich Frieden finden, lass mich einen Weg finden, das Leben so zu lieben, wie es ist.«

Aus dieser Suche nach einem inneren Ort des Friedens, der Verbundenheit und Freiheit, der auch unter schwersten Herausforderungen trägt, entstand dieses Buch. Ich nenne diesen inneren Ort »wahre Zuflucht«, weil er von allen äußeren Dingen unabhängig ist – von Situationen, Personen, Heilungen, sogar Stimmungen und Emotionen. Das Verlangen nach einem solchen Zufluchtsort ist universell. All unsere Wünsche und Ängste entspringen dieser Sehnsucht. Wir sehnen uns nach der Gewissheit, mit dem umgehen zu können, was auf uns zukommt. Wir möchten uns selbst vertrauen, dem Leben vertrauen. Wir möchten aus der Fülle dessen leben, was wir sind.

 

Meine Suche nach Zuflucht führte mich noch tiefer in die spirituellen Lehren und die buddhistischen Meditationen, die in meinem Leben ohnehin schon eine zentrale Rolle spielten. Ich bin eine klinische Psychologin und lehre seit über dreißig Jahren Meditation. Ich bin auch Mitbegründerin und Lehrerin am Insight Meditation Center in Washington D.C. Aus meiner eigenen inneren Arbeit und meiner Arbeit mit anderen entstand mein erstes Buch Mit dem Herzen eines Buddha: Heilende Wege zu Selbstakzeptanz und Lebensfreude. Ich hatte auch angefangen, Psychologen und Laien zu vermitteln, wie sich Meditation und emotionale Heilung verbinden lassen. Die tiefe Unsicherheit dieser Existenz, die meine innere Welt zu der Zeit meiner Diagnose erschütterte, ließ mir die Lehren, die mich schon so lange leiteten, noch unmittelbarer und lebendiger werden.

In der buddhistischen Tradition, in der ich lehre, verwenden wir das Pali-Wort Dukkha, um den emotionalen Schmerz in unserem Leben zu beschreiben. Dieses Wort wird häufig mit »Leiden« übersetzt, doch Dukkha umfasst all unsere Erfahrungen von Stress, Unzufriedenheit, Angst, Kummer, Sorgen, Frustration und allgemeiner Lebensunlust. Ursprünglich bezeichnet Dukkha einen Karren mit einem gebrochenen Rad. Wenn wir leiden, sind wir im Ungleichgewicht und holpern beschwerlich über den Weg unseres Lebens. Wir fühlen uns zerschlagen oder »daneben«, fern von jeglichem Gefühl der Zugehörigkeit. Manchmal zeigt sich dies einfach in einer subtilen Rastlosigkeit oder Unzufriedenheit; zu anderen Zeiten springt es uns als herzzerreißender Kummer oder lähmende Angst an. Doch wenn wir genau hinhören, entdecken wir unter der Oberfläche all unserer Beschwerden und Kümmernisse ein Grundempfinden der Einsamkeit und Unsicherheit, als sei etwas in unserem Leben verkehrt.

In Mit dem Herzen eines Buddha: Heilende Wege zu Selbstakzeptanz und Lebensfreude schrieb ich über den tiefen, alles durchdringenden Schmerz der Scham, das Leiden unter der Überzeugung, dass »etwas mit mir nicht stimmt«. Diesmal wende ich mich Dukkha in einem umfassenderen Sinn zu. Seit mein erstes Buch veröffentlicht wurde, habe ich schwere Verluste durchlebt – den Tod meines Vaters, den körperlichen und psychischen Verfall mir nahestehender Menschen und die Konfrontation mit meiner eigenen chronischen Krankheit. Auch viele meiner Schüler machten große Umwälzungen durch. Manche verloren ihre Arbeit. Sie sorgen sich um ihren Lebensunterhalt und hungern nach einer sinnvollen Tätigkeit. Andere entfremdeten sich von Freunden oder ihrer Familie und sehnen sich nach Verbindung. Und sehr viele mühen sich mit dem Altern, mit Krankheit und der Unausweichlichkeit des Sterbens ab. »Etwas stimmt nicht mit mir« verstrickt sich für sie mit dem Schmerz des Ringens mit dem Leben an sich. Dem Buddha zufolge ist diese Erfahrung der Unsicherheit, Getrenntheit und grundlegender »Verkehrtheit« unvermeidlich. Als Menschen sind wir geprägt, uns getrennt und mit unserem wechselhaften und unkontrollierbaren Leben im Widerstreit zu fühlen. Dieses Grundgefühl ist der Ursprung der ganzen Bandbreite unserer verstörenden Emotionen wie Angst, Ärger, Scham, Kummer, Eifersucht und Neid sowie all der uns einschränkenden Geschichten und all der reaktiven Verhaltensweisen, die unseren Schmerz noch verstärken.

Doch der Buddha bot uns auch eine radikale Verheißung an, die sich in vielen anderen Weisheitstraditionen wiederfindet: Wir können in unserem eigenen Herzen und in unserem eigenen Geist Geborgenheit und Zuflucht finden – genau hier, genau jetzt, mitten in unserem aktuellen Leben. Wir finden wahre Zuflucht, wann immer wir jenseits all unserer Geschäftigkeit und all unseres Strebens den stillen Raum des Gewahrseins erkennen. Wir finden Zuflucht, wann immer wir zartfühlend und mit Liebe unser Herz öffnen. Wir finden Zuflucht, wann immer wir uns mit der Klarheit und Intelligenz verbinden, die unserer wahren Natur zu eigen sind.

In Nach Hause kommen zu sich selbst versuche ich, mit dem Begriff »Präsenz« die Unmittelbarkeit und Lebendigkeit dieses grundlegenden Gewahrseins zum Ausdruck zu bringen. Präsenz ist schwer zu beschreiben, weil sie eine unmittelbare Erfahrung ist und kein Konzept. Wenn ich diese stille innere Wachheit des Jetzt spüre, kehre ich zu einem Empfinden der Ganzheit, des Heilseins zurück. Ich bin zu Hause, in meinem Körper, in meinem Herzen, auf der Erde und in der Gemeinschaft mit allen Wesen. Präsenz erschafft ein grenzenloses Heiligtum, in dem alles Platz hat, was zu meinem Leben gehört – selbst die Krankheit, die mich daran hindert, die Wellen zu reiten.

In diesem Buch finden Sie viele Geschichten von Menschen, die inmitten von Krisen und Verwirrung Präsenz erlebten. Ich erzähle auch von einigen der großen Herausforderungen, mit denen ich selbst in den letzten Jahrzehnten konfrontiert wurde. Ich hoffe, manche dieser Geschichten stellen eine Verbindung zu Elementen Ihrer eigenen Situation her. Anhand dieser Erfahrungen werden wir die Kräfte erforschen, die uns davon abhalten, präsent zu sein, und uns so häufig dazu verleiten, falschen Zufluchten nachzugehen. Ich rege auch zu vielen verschiedenen Übungen an, die mir und anderen zuverlässig halfen, Präsenz zu erfahren. Manche davon sind alt, manche neu, und manche entsprechen direkt den Erkenntnissen der modernen Neurowissenschaften. Zu diesen Übungen gehört auch eine der praktikabelsten, alltagstauglichsten Achtsamkeits-Meditationen, die ich kenne. Das Akronym RAIN steht für die vier Schritte dieses Prozesses, mit dem wir uns vielen schwierigen Emotionen an Ort und Stelle zuwenden können und der sich an praktisch jede persönliche Situation anpassen lässt.

Die Struktur von Nach Hause kommen zu sich selbst orientiert sich an den drei grundlegenden Toren der Zuflucht, die sich in jeder buddhistischen Strömung und in vielen anderen Traditionen finden: Wahrheit (des gegenwärtigen Augenblicks), Liebe und Gewahrsein. Jedes dieser Tore öffnet uns unmittelbar für Heilung und spirituelle Freiheit. Diese Tore enthalten die Schlüssel zur Überwindung weit verbreiteter Schwierigkeiten wie zwanghaftes Denken, begrenzende Überzeugungen und traumatische Ängste. Mit ihrer Hilfe können wir uns tiefer mit Selbstmitgefühl verbinden und mehr Intimität in Beziehungen erleben. Sie sind auch der Schlüssel zu Frieden und Glück und dazu, uns in unserem Leben zu Hause zu fühlen.

An jenem Tag in Cape Cod wusste ich nicht, ob ich angesichts einer Zukunft voller Schmerzen und körperlicher Einschränkungen je wieder meines Lebens froh werden könnte. Während ich weinte, setzte sich Cheylah, einer unserer Pudel, neben mich und stupste mich besorgt an. Cheylahs Gegenwart tröstete mich und verband mich wieder mit dem Hier und Jetzt. Nachdem ich sie eine Weile gestreichelt hatte, erhob ich mich, um mit ihr ein Stück spazieren zu gehen. Ich überließ ihr die Führung, und wir schlenderten einen bequemen Fußweg entlang, von dem aus man die Bucht überschauen konnte. Das Weinen hatte mich ruhig und offen gemacht. Mein Herz umfasste alles – die Beschwerden in meinen Knien, die Weite des glitzernden Wassers, Cheylah, meine unbekannte Zukunft, das Schreien der Möwen. Nichts fehlte, nichts war falsch. In diesen Momenten wahrer Zuflucht erahnte ich eines der größten Geschenke des buddhistischen Wegs: die Fähigkeit, »grundlos glücklich« zu sein; das Leben zu lieben, wie es ist.

Wenn Sie sich zu diesem Buch hingezogen fühlen, haben Sie sich einem Weg wahrer Zuflucht bereits geöffnet. Vielleicht haben Sie gegen sich angekämpft und sehnen sich danach, freundlicher mit sich selbst umzugehen. Vielleicht ringen Sie mit einer Abhängigkeit und sehnen sich danach, ein Leben ohne Zwang und Scham zu führen. Vielleicht sind Sie mit einem Verlust konfrontiert worden – einer Arbeitsstelle, eines lieben Menschen, Ihrer Gesundheit – und fragen sich, ob sich Ihr Herz je wieder davon erholen wird. Vielleicht belastet Sie die ungeheure Menge an Leiden in unserer Welt, und Sie suchen nach einem Weg, zu dessen Heilung beizutragen. Wie schwierig die Situation auch immer ist – der Weg der Zuflucht in eine heilsame und befreiende Präsenz steht immer offen.

Das Verfassen dieses Buches war eine Entdeckungsreise. Jeden Tag lernte ich aus meinen eigenen Erfahrungen und aus den Erfahrungen der Menschen in meiner Umgebung. Mögen Ihnen diese Lehren und Übungen während unseres gemeinsamen spirituellen Weges als Gefährten dienen und Ihnen Zuversicht schenken.

Teil I

Unsere Suche nach Zuflucht

1
Winde der Heimkehr

Ach, nicht getrennt sein,

nicht durch so wenig Wandung

ausgeschlossen vom Sternen-Maß.

Innres, was ist’s?

Wenn nicht gesteigerter Himmel,

durchworfen mit Vögeln und tief

von Winden der Heimkehr.

Rainer Maria Rilke

Am Ende eines eintägigen Meditationsseminars nahm mich Pam, eine Frau Ende sechzig, beiseite. Pam und ihr Mann Jerry befanden sich am Ende eines schweren Weges, der drei Jahre zuvor begonnen hatte. Nun stand Jerry kurz davor, an seinem Lymphom zu sterben. Er hatte Pam gebeten, ihn durch diese letzte Phase seines Lebens zu begleiten.

»Tara«, flehte sie, »ich brauche dringend Hilfe.« Pam versuchte verzweifelt, alles Menschenmögliche für ihren Mann zu tun. »Ich möchte ihn so gerne retten«, erklärte sie mir. »Ich habe mich mit Ayurveda, chinesischer Medizin, Kräuterheilkunde und jeder alternativen Therapiemethode beschäftigt, die ich finden konnte. Ich habe alle Studien durchforstet …, ich war mir sicher, wir kriegen das hin.« Sie lehnte sich erschöpft zurück und ließ ihre Schultern hängen. »Und jetzt bleibt mir kaum mehr, als alle auf dem Laufenden zu halten und die Pflegekräfte zu koordinieren. Wenn er nicht schläft, versuche ich, es ihm angenehm zu machen, ihm vorzulesen …«

»Das klingt, als hättest du alles in deiner Kraft Stehende getan, um gut für Jerry zu sorgen«, antwortete ich mit mitfühlender Stimme. »Und warst damit sehr beschäftigt.«

Bei diesen Worten lächelte sie mir bestätigend zu. »Ja, sehr beschäftigt. Klingt verrückt, oder?« Sie hielt einen Moment inne. »So lange, wie ich mich erinnern kann, bin ich immer sehr beschäftigt gewesen, sogar jetzt, aber ich kann mich nicht einfach zurücklehnen und ihn kampflos gehen lassen.« Pam schwieg ein Weilchen, dann sah sie mich ängstlich an. »Er könnte jetzt jeden Tag sterben, Tara. Gibt es nicht irgendeine buddhistische Praxis, die ich lernen sollte? Oder etwas, was ich lesen sollte? Vielleicht das Tibetische Totenbuch? Wie kann ich ihm bei diesem … Sterben … helfen?«

Bevor ich versuchte, ihr zu antworten, bat ich sie, nach innen zu lauschen und mir zu sagen, was sie fühlt.

»Ich liebe ihn so sehr und habe solche Angst, ihn im Stich zu lassen.« Sie begann zu weinen. Nach einer Weile sprach sie weiter: »Mein ganzes Leben lang habe ich gefürchtet, nicht zu genügen. Ich glaube, ich habe immer so geschuftet, um es besser zu machen. Und jetzt fürchte ich, da zu versagen, wo es am meisten darauf ankommt. Er wird sterben, und ich werde mich total einsam fühlen, weil ich ihn im Stich gelassen habe.«

»Pam«, erwiderte ich sanft, »du hast schon so viel getan, doch die Zeit für all die Aktivität ist jetzt vorbei. Du brauchst zu diesem Zeitpunkt nichts mehr in Gang zu setzen, du brauchst jetzt gar nichts mehr zu tun.« Ich wartete einen Moment und fügte dann hinzu: »Es geht darum, einfach bei ihm zu sein. Vermittle ihm deine Liebe durch deine volle Präsenz.«

In dieser schweren Situation bezog ich mich auf eine einfache Lehre, die in meiner Arbeit mit meinen Meditationsschülern und Therapieklienten eine zentrale Rolle spielt: Wenn wir liebevolle Präsenz als unsere eigentliche Essenz erkennen, wenn wir diese Essenz sind, entdecken wir wahre Freiheit. Angesichts eines unausweichlichen Verlustes kann diese zeitlose Gegenwärtigkeit unserem eigenen Herzen und dem Herzen anderer Heilung und Frieden bringen.

Pam nickte. Jerry und sie seien Katholiken, erklärte sie mir, und die Achtsamkeitsübungen aus meinen wöchentlichen Kursen hätten ihnen zu einer tieferen Erfahrung ihres Glaubens verholfen. Doch die dramatische Verschlechterung von Jerrys Zustand überwältigte Pam. »Ich weiß, dass die Hospiz- und Pflegekräfte alles tun, um zu helfen, aber ich finde einfach, all dies sollte nicht so sein – so viel Erschöpfung, so viel Schmerz. Niemand sollte so etwas durchmachen müssen. Es ist einfach verkehrt.« Wie so viele Menschen empfand auch Pam Krankheit als ungerecht, als einen Feind, dem es zu widerstehen gilt. Sie war mit Dukkha konfrontiert, dem Leiden, das mit dem Leben einhergeht.

 

»In diesen besonders schwierigen Momenten könntest du innehalten und dir bewusst machen, was du fühlst – die Angst, den Ärger oder den Kummer«, schlug ich ihr vor. »Und dann könntest du dir innerlich zuflüstern: ›Ich stimme zu.‹« Ich hatte diesen Satz kürzlich von Pater Thomas Keating gehört und dachte, als Katholikin könnte Pam damit vielleicht etwas anfangen. Wenn wir »Ich stimme zu« sagen – oder einfach »Ja«, wie ich meistens lehre –, entspannt sich unser Widerstand gegen den gegenwärtigen Augenblick, und wir können den Herausforderungen des Lebens mit einem offeneren Herzen begegnen.

Pam nickte, aber sie wirkte immer noch besorgt. »Ich möchte das gerne tun, Tara, aber wenn ich aufgeregt bin, wird mein Denken immer schneller. Ich fange an, mit mir selbst zu reden, mit ihm zu reden – wie kann ich mich daran erinnern, innezuhalten?«

Das ist eine gute Frage, und ich höre sie oft. »Du wirst es höchstwahrscheinlich immer mal wieder vergessen«, antwortete ich, »das ist ganz normal. Alles, was du tun kannst, ist, getreulich an der Absicht festzuhalten, innezuhalten, zu spüren, was gerade vor sich geht, und es so sein zu lassen.«

Pams Gesicht wurde weicher, als sie verstand. »Das kann ich. Ich kann von ganzem Herzen beabsichtigen, für Jerry da zu sein.«

Unser Ruf um Hilfe

»Alle Religionen und spirituellen Traditionen beginnen mit einem Hilferuf«, schrieb der amerikanische Psychologe und Philosoph William James im 19. Jahrhundert. In meiner Beratungspraxis und in den Gesprächen mit Übenden höre ich viele verschiedene Arten von Hilferufen. Wie kann ich mit dieser lähmenden Angst fertig werden, mit diesem Gefühl, versagt zu haben, mit der Qual dieses Verlustes?

Wir merken, ähnlich wie Pam, dass wir gegen die grundlegenden Realitäten wie Veränderung, Verlust und Sterblichkeit nichts ausrichten können, sosehr wir uns auch um eine Kontrolle über unser Leben bemühen. Unsicherheit wohnt dieser vergänglichen Welt inne. Und so beten wir um Zuflucht: »Hilfe! Ich sehne mich danach, mich sicher und beschützt zu fühlen, geliebt und in Frieden. Ich möchte zu etwas gehören, was größer ist als ich. Ich möchte mich in meinem Leben zu Hause fühlen.«

Doch wenn wir uns unser Leben genauer anschauen, wird deutlich, dass wir oft nicht weise im Sinne unseres Gebetes handeln. Statt nach echter Zuflucht zu streben, wenden wir uns dem zu, was ich »falsche Zufluchten« nenne. Sie sind falsch, weil sie zwar vorübergehend Trost oder Sicherheit zu geben scheinen, aber langfristig das Leiden vermehren. Vielleicht fürchten wir uns wie Pam vor dem Versagen und flüchten uns daher in Geschäftigkeit, einen hohen Leistungsanspruch oder die Sorge um andere. Oder wir fühlen uns nicht liebenswert und flüchten uns in das Streben nach Erfolg oder Wohlstand. Vielleicht fürchten wir uns vor Kritik und suchen Zuflucht darin, dass wir Risiken vermeiden und anderen immer gefallen wollen. Oder wir fühlen uns bedrückt oder leer und flüchten uns in Alkohol, übermäßiges Essen oder stundenlanges Surfen im Internet. Statt es zuzulassen und uns dem zu öffnen, was wir gerade fühlen, flüchten wir uns in diese Dinge, um den emotionalen Schmerz zu vermeiden. Doch das entfernt uns nur noch weiter von zu Hause.

Solange wir diesen falschen Zufluchten nachgehen, wird uns das Leiden verfolgen. Wie viele von uns schlafen unruhig und erwachen mitten in der Nacht voller Angst und Sorgen? Oder schlagen sich mühsam durch den Tag und können vor Anspannung oder Getriebenheit nicht genießen, was gerade vor sich geht? Statt uns zufriedenzustellen oder unsere Ängste zu lindern, nähren die falschen Zufluchten unsere grundlegenden Selbstzweifel. Pam hatte sich ganz und gar der Fürsorge für Jerry gewidmet, doch alles, was sie tat, erschien ihr ungenügend. Ihr ängstliches Bemühen, es »richtig« zu machen, bestärkte sie in ihrem Eindruck, nicht zu genügen. Sie fühlte sich nicht im Einklang mit sich selbst und dem, was sie Jerry anbieten konnte.

Häufig erkennen wir erst, wenn uns eine Krise erschüttert – ein Herzenskummer, der Tod eines nahestehenden Menschen oder unser eigener bevorstehender Tod –, dass unsere falschen Zufluchten nicht funktionieren. Sie können uns nicht vor dem retten, was wir am meisten fürchten: dem Schmerz des Verlustes und der Trennung. Eine Krise hat die Macht, unsere Illusionen zu zerschmettern und zu offenbaren, dass es in dieser unbeständigen Welt keinen festen Boden gibt, auf dem wir stehen könnten, und nichts, woran wir uns festhalten könnten. In solchen Zeiten, wenn unser Leben in die Brüche zu gehen scheint, kann uns bewusst werden, wie sehr wir um Hilfe rufen. Dieser Hilferuf entspringt der Sehnsucht des Herzens nach einer Zuflucht, die so umfassend ist, dass auch unsere tiefsten Leidenserfahrungen darin aufgehoben sind.

Heimkehren zur liebevollen Gegenwärtigkeit

Einen Monat nach meinem Gespräch mit Pam rief sie mich an, um mir mitzuteilen, dass Jerry gestorben sei. Und sie erzählte mir, was nach unserem Gespräch geschehen war. Als sie an jenem Abend nach Hause kam, hatte sie Jerry eingeladen, still mit ihr zu beten. »Als wir fertig waren«, sprach sie weiter, »haben wir einander erzählt, worum wir gebetet hatten. Ich sagte ihm, wie sehr ich mir wünschte, dass er meine Liebe spürt.« Pam schwieg einen Moment, und als sie weitersprach, klang ihre Stimme rau. »Er hatte um genau dasselbe gebetet …, nur umgekehrt. Wir umarmten uns und weinten zusammen.«

Pam gab zu, wie sehr sie selbst in jenen letzten Wochen mit dem Impuls zu kämpfen hatte, sich nützlich zu machen, geschäftig zu sein. Eines Nachmittags fing Jerry an, darüber zu sprechen, dass ihm nur noch wenig Zeit bliebe und dass er sich nicht vor dem Tod fürchte. Sie hatte sich über ihn gebeugt, ihm einen Kuss gegeben und rasch erwidert: »Ach, mein Lieber, heute war ein guter Tag, heute scheinst du mehr Kraft gehabt zu haben. Ich mache dir einen Kräutertee.« Er verfiel in Schweigen, und die Stille erschütterte sie. »Mir wurde in diesem Moment so deutlich, wie sehr es einzig und allein darum ging, einander zuzuhören, ganz präsent zu sein, und wie sehr uns alles andere nur trennte. Ich wollte nicht laut zugeben, was vor sich ging; das machte es so real. Also wich ich aus, indem ich Tee machte. Doch indem ich der Wahrheit auswich, entfernte ich mich von ihm, und das war herzzerreißend.«

Während sie den Tee zubereitete, betete Pam und bat darum, mit ganzem Herzen für Jerry da zu sein. An diesem Gebet orientierte sie sich in den Tagen, die danach kamen. »Im Laufe der letzten paar Wochen musste ich all meine Vorstellungen davon loslassen, wie sein Sterben sein sollte und was ich noch tun sollte, und erinnerte mich immer wieder daran, zu sagen: ›Ich lasse es zu.‹ Zuerst wiederholte ich die Worte nur mechanisch, aber nach ein paar Tagen spürte ich, wie mein Herz tatsächlich anfing, zuzulassen.« Sie beschrieb, wie sie innehielt, wenn starke Gefühle aufwallten, um innerlich wahrzunehmen, was gerade vor sich ging. Wenn sich ihr Bauch vor Angst und Hilflosigkeit zusammenzog, verweilte sie bei diesen Gefühlen und ließ ihre tiefe Verletzlichkeit zu. Wenn der rastlose Drang, »etwas zu tun«, auftauchte, nahm sie ihn wahr, blieb ruhig und ließ ihn wieder verebben. Wenn die Wellen der Trauer sie überrollten, sagte sie sich: »Ich lasse es zu«, und öffnete sich der schmerzhaften Schwere des Verlustes.

Die präsente Nähe zu ihrem inneren Erleben ermöglichte es Pam, ganz für Jerry da zu sein. »Als alles in mir die Angst und den Schmerz wirklich zuließ, wusste ich, wie ich für ihn sorgen kann. Ich spürte, wann es Zeit war, Worte der Ermutigung zu flüstern, und wann es einfach darum ging, zuzuhören, ihn mit Berührung zu beruhigen, für ihn zu singen, mit ihm still zu sein. Ich wusste, wie ich mit ihm sein kann.«

Am Ende des Gesprächs erzählte mir Pam, was für sie das Geschenk jener letzten Tage mit Jerry war und wie ihre Gebete erhört worden waren: »In der Stille schaute ich jenseits von ›er‹ und ›ich‹. Ich erkannte, dass wir uns in einem Feld des Liebens befanden – totale Offenheit, Wärme und Licht. Er ist jetzt von uns gegangen, aber dieses Feld des Liebens ist immer bei mir. Mein Herz weiß, dass ich heimgekehrt bin …, wirklich heimgekehrt zur Liebe.«

Lernen, sich den Wellen anzuvertrauen

Pams Bereitschaft, sich ganz auf ihre innere Erfahrung einzulassen, wie schmerzhaft sie auch sei, ermöglichte es ihr, sich mit der endlosen Weite der Liebe zu verbinden. Ihre zunehmende Fähigkeit zur Präsenz, ihre Bereitschaft, sich der Wahrheit ihrer Erfahrung in jedem Augenblick zu stellen, ließ sie mitten in einem großen Verlust nach Hause finden. Gegenwärtigkeit ist die Essenz wahrer Zuflucht.

Eine andere Art von Verlust hatte mich zu meinem ersten buddhistischen Retreat getrieben. Mein Sohn Narayan war zu jener Zeit vier Jahre alt, und ich stand kurz vor der Scheidung. Ich hatte bereits erlebt, wie gut mir die buddhistische Meditation tat, und hoffte, eine Zeit intensiver Praxis würde mir helfen, mit meinen Ängsten und meinem Stress umzugehen. Ich hatte Narayan zu meinen Eltern in New Jersey gebracht und fuhr durch dichtes Schneegestöber zu dem Retreatzentrum in Massachusetts. Auf dieser langsamen Fahrt durch die Kälte hatte ich jede Menge Zeit, um darüber nachzudenken, was mir wirklich wichtig war. Ich wollte nicht, dass die Liebe, die ich immer noch für meinen Mann empfand, durch die Trennung verschüttet würde. Ich wollte nicht, dass wir füreinander zu rücksichtslosen, gar feindseligen Fremden würden. Und mir lag daran, dass sich Narayan trotz unserer Trennung sicher und geliebt fühlte. So betete ich aus tiefstem Herzen, in all dem, was vor sich ging, einen Weg zu finden, mit meinem Herzen verbunden zu bleiben.

Im Laufe der stundenlangen stillen Meditationen der folgenden fünf Tage kreiste ich viele Male durch klare, aufmerksame Geisteszustände und Phasen, in denen mich die Müdigkeit übermannte, mich körperliches Unwohlsein plagte oder ich in Gedanken abschweifte. An einem Abend verlor ich mich in Gedanken über die kommenden Monate: Sollten wir für den Scheidungsprozess Anwälte oder einen Mediator einschalten? Wann sollten wir auseinanderziehen? Und vor allem: Wie konnte ich in dieser schmerzhaften Übergangsphase für meinen Sohn da sein? Jeder sorgenvolle Gedanke, der auftauchte, lockte mich, alles durchdenken und innerlich klären zu wollen. Doch etwas in mir wusste, dass ich bei den unangenehmen Gefühlen in meinem Körper zu bleiben hatte. Ein Vers von Ryôkan, einem Zen-Dichter aus dem 18. Jahrhundert, kam mir in den Sinn: »Um das Buddha-Dharma zu finden, treibe nach Osten und Westen, komme und gehe, vertraue dich den Wellen an.«