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Schach von Wuthenow

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Drittes Kapitel.
Bei Sala Tarone

Die Thurmuhren auf dem Gensdarmenmarkt schlugen elf, als die Gäste der Frau von Carayon auf die Behrenstraße hinaustraten und nach links einbiegend auf die Linden zuschritten. Der Mond hatte sich verschleiert, und die Regenfeuchte, die bereits in der Luft lag und auf Wetterumschlag deutete, that allen wohl. An der Ecke der Linden empfahl sich Schach, allerhand Dienstliches vorschützend, während Alvensleben, Bülow und Sander übereinkamen, noch eine Stunde zu plaudern.

»Aber wo?« fragte Bülow, der im Ganzen nicht wählerisch war, aber doch einen Abscheu gegen Lokale hatte, darin ihm »Aufpasser und Kellner die Kehle zuschnürten.«

»Aber wo?« wiederholte Sander. »Sieh, das Gute liegt so nah,« und wies dabei auf einen Eckladen, über dem in mäßig großen Buchstaben zu lesen stand: Italiener-, Wein- und Delikatessen-Handlung von Sala Tarone. Da schon geschlossen war, klopfte man an die Hausthür, an deren einer Seite sich ein Einschnitt mit einer Klappe befand. Und wirklich, gleich darauf öffnete sich's von innen, ein Kopf erschien am Kuckloch, und als Alvenslebens Uniform über den Charakter der etwas späten Gäste beruhigt hatte, drehte sich innen der Schlüssel im Schloß, und alle drei traten ein. Aber der Luftzug, der ging, löschte den Blaker aus, den der Küfer in Händen hielt, und nur eine ganz im Hintergrunde, dicht über der Hofthür schweelende Laterne, gab gerade noch Licht genug, um das Gefährliche der Passage kenntlich zu machen.

»Ich bitte Sie, Bülow, was sagen Sie zu diesem Defilé,« brummte Sander, sich immer dünner machend, und wirklich hieß es auf der Hut sein, denn in Front der zu beiden Seiten liegenden Oel- und Weinfässer, standen Zitronen- und Apfelsinenkisten, deren Deckel nach vorn hin aufgeklappt waren. »Achtung,« sagte der Küfer. »Is hier allens voll Pinnen und Nägel. Habe mir gestern erst einen eingetreten.«

»Also auch spanische Reiter … O, Bülow! In solche Lage bringt einen ein militärischer Verlag.«

Dieser Sandersche Schmerzensschrei stellte die Heiterkeit wieder her, und unter Tappen und Tasten war man endlich bis in die Nähe der Hofthür gekommen, wo, nach rechts hin, einige der Fässer weniger dicht nebeneinander lagen. Hier zwängte man sich denn auch durch, und gelangte mit Hülfe von vier oder fünf steilen Stufen in eine mäßig große Hinterstube, die gelb gestrichen und halb verblakt und nach Art aller »Frühstücksstuben« um Mitternacht am vollsten war. Ueberall, an niedrigen Panelen hin, standen lange, längst eingesessene Ledersophas, mit kleinen und großen Tischen davor, und nur eine Stelle war da, wo dieses Mobiliar fehlte. Hier stand vielmehr ein mit Kästen und Realen überbautes Pult, vor welchem einer der Repräsentanten der Firma tagaus tagein auf einem Drehschemel ritt, und seine Befehle (gewöhnlich nur ein Wort) in einen unmittelbar neben dem Pult befindlichen Keller hinunterrief, dessen Fallthür immer offen stand.

Unsere drei Freunde hatten in einer dem Kellerloch schräg gegenüber gelegenen Ecke Platz genommen, und Sander, der grad lange genug Verleger war, um sich auf lukullische Feinheiten zu verstehen, überflog eben die Wein- und Speisekarte. Diese war in russisch Leder gebunden, roch aber nach Hummer. Es schien nicht, daß unser Lukull gefunden hatte, was ihm gefiel; er schob also die Karte wieder fort und sagte: »Das Geringste, was ich von einem solchen hundstäglichen April erwarten kann, sind Maikräuter, Asperula odorata Linnéi. Denn ich hab auch Botanisches verlegt. Von dem Vorhandensein frischer Apfelsinen haben wir uns draußen mit Gefahr unseres Lebens überzeugt, und für den Mosel bürgt uns die Firma.«

Der Herr am Pult rührte sich nicht, aber man sah deutlich, daß er mit seinem Rücken zustimmte, Bülow und Alvensleben thaten desgleichen, und Sander resolvirte kurz: »Also Maibowle.«

Das Wort war absichtlich laut und mit der Betonung einer Ordre gesprochen worden, und im selben Augenblicke scholl es auch schon vom Drehstuhl her in das Kellerloch hinunter »Fritz!« Ein zunächst nur mit halber Figur aus der Versenkung auftauchender, dicker und kurzhalsiger Junge, wurde, wie wenn auf eine Feder gedrückt worden wäre, sofort sichtbar, übersprang diensteifrig, indem er die Hand aufsetzte, die letzten zwei, drei Stufen und stand im Nu vor Sander, den er, allem Anscheine nach, am besten kannte.

»Sagen Sie, Fritz, wie verhält sich die Firma Sala Tarone zur Maibowle?«

»Gut. Sehr gut.«

»Aber wir haben erst April, und so sehr ich im allgemeinen der Mann der Surrogate bin, so hass' ich doch eins: die Toncabohne. Die Toncabohne gehört in die Schnupftabacksdose, nicht in die Maibowle. Verstanden?«

»Zu dienen, Herr Sander.«

»Gut denn. Also Maikräuter. Und nicht lange ziehen lassen. Waldmeister ist nicht Kamillenthee. Der Mosel, sagen wir ein Zeltlinger oder ein Brauneberger, wird langsam über die Büschel gegossen; das genügt. Apfelsinenschnitten als bloßes Ornament. Eine Scheibe zuviel macht Kopfweh. Und nicht zu süß, und eine Cliquot extra. Extra, sag ich. Besser ist besser.«

Damit war die Bestellung beendet und ehe zehn Minuten um waren, erschien die Bowle, darauf nicht mehr als drei oder vier Waldmeisterblättchen schwammen, nur gerade genug, den Beweis der Aechtheit zu führen.

»Sehen Sie, Fritz, das gefällt mir. Auf mancher Maibowle schwimmt es wie Entengrütze. Und das ist schrecklich. Ich denke wir werden Freunde bleiben. Und nun grüne Gläser.«

Alvensleben lachte. »Grüne?«

»Ja. Was sich dagegen sagen läßt, lieber Alvensleben, weiß ich und laß es gelten. Es ist in der That eine Frage, die mich seit länger beschäftigt, und die, neben anderen, in die Reihe jener Zwiespalte gehört, die sich, wir mögen es anfangen wie wir wollen, durch unser Leben hinziehen. Die Farbe des Weins geht verloren, aber die Farbe des Frühlings wird gewonnen, und mit ihr das festliche Gesammtkolorit. Und dies erscheint mir als der wichtigere Punkt. Unser Essen und Trinken, so weit es nicht der gemeinen Lebensnothdurft dient, muß mehr und mehr zur symbolischen Handlung werden, und ich begreife Zeiten des späteren Mittelalters, in denen der Tafelaufsatz und die Fruchtschalen mehr bedeuteten, als das Mahl selbst.«

»Wie gut Ihnen das kleidet, Sander,« lachte Bülow. »Und doch dank ich Gott, Ihre Kapaunenrechnung nicht bezahlen zu müssen.«

»Die Sie schließlich doch bezahlen.«

»Ah, das erste Mal, daß ich einen dankbaren Verleger in Ihnen entdecke. Stoßen wir an … Aber alle Welt, da steigt ja der lange Nostitz aus der Versenkung. Sehen Sie, Sander, er nimmt gar kein Ende …«

Wirklich, es war Nostitz, der, unter Benutzung eines geheimen Eingangs, eben die Kellertreppe hinaufstolperte, Nostitz von den Gensdarmes, der längste Lieutenant der Armee, der, trotzdem er aus dem Sächsischen stammte, seiner sechs Fuß drei Zoll halber so ziemlich ohne Widerrede beim Elite-Regiment Gensdarmes eingestellt und mit einem verbliebenen kleinen Reste von Antagonismus mittlerweile längst fertig geworden war. Ein tollkühner Reiter und ein noch tollkühnerer Kour- und Schuldenmacher, war er seit lang ein Allerbeliebtester im Regiment, so beliebt, daß ihn sich der »Prinz«, der kein anderer war als Prinz Louis, bei Gelegenheit der vorjährigen Mobilisirung, zum Adjutanten erbeten hatte.

Neugierig, woher er komme, stürmte man mit Fragen auf ihn ein, aber erst als er sich in dem Ledersopha zurecht gerückt hatte, gab er Antwort auf all das, was man ihn fragte. »Woher ich komme? Warum ich bei den Carayons geschwänzt habe? Nun, weil ich in Französisch-Buchholz nachsehen wollte, ob die Störche schon wieder da sind, ob der Kuckuck schon wieder schreit, und ob die Schulmeisterstochter noch so lange flachsblonde Flechten hat, wie voriges Jahr. Ein reizendes Kind. Ich lasse mir immer die Kirche von ihr zeigen, und wir steigen dann in den Thurm hinauf, weil ich eine Passion für alte Glockeninschriften habe. Sie glauben gar nicht, was sich in solchem Thurme Alles entziffern läßt. Ich zähle das zu meinen glücklichsten und lehrreichsten Stunden.«

»Und eine Blondine, sagten Sie. Dann freilich erklärt sich alles. Denn neben einer Prinzessin Flachshaar kann unser Fräulein Victoire nicht bestehn. Und nicht einmal die schöne Mama, die schön ist, aber doch am Ende brünett. Und blond geht immer vor schwarz.«

»Ich möchte das nicht geradezu zum Axiom erheben,« fuhr Nostitz fort. »Es hängt doch alles noch von Nebenumständen ab, die hier freilich ebenfalls zu Gunsten meiner Freundin sprechen. Die schöne Mama, wie Sie sie nennen, wird siebenunddreißig, bei welcher Addition ich wahrscheinlich galant genug bin, ihr ihre vier Ehejahre halb statt doppelt zu rechnen. Aber das ist Schachs Sache, der über kurz oder lang in der Lage sein wird, ihren Taufschein um seine Geheimnisse zu befragen.«

»Wie das?« fragte Bülow.

»Wie das?« wiederholte Nostitz. »Was doch die Gelehrten, und wenn es gelehrte Militärs wären, für schlechte Beobachter sind. Ist Ihnen denn das Verhältniß zwischen Beiden entgangen? Ein ziemlich vorgeschrittenes, glaub' ich. C'est le premier pas, qui coûte …«

»Sie drücken sich etwas dunkel aus, Nostitz.«

»Sonst nicht gerade mein Fehler.«

»Ich meinerseits glaube Sie zu verstehen,« unterbrach Alvensleben. »Aber Sie täuschen sich, Nostitz, wenn Sie daraus auf eine Partie schließen. Schach ist eine sehr eigenartige Natur, die, was man auch an ihr aussetzen mag, wenigstens manche psychologische Probleme stellt. Ich habe beispielsweise keinen Menschen kennen gelernt, bei dem alles so ganz und gar auf das Aesthetische zurückzuführen wäre, womit es vielleicht in einem gewissen Zusammenhange steht, daß er überspannte Vorstellungen von Intaktheit und Ehe hat. Wenigstens von einer Ehe, wie er sie zu schließen wünscht. Und so bin ich denn wie von meinem Leben überzeugt, er wird niemals eine Wittwe heirathen, auch die schönste nicht. Könnt' aber hierüber noch irgend ein Zweifel sein, so würd' ihn ein Umstand beseitigen, und dieser eine Umstand heißt: »Victoire

 

»Wie das?«

»Wie schon so mancher Heirathsplan an einer unrepräsentablen Mutter gescheitert ist, so würd' er hier an einer unrepräsentablen Tochter scheitern. Er fühlt sich durch ihre mangelnde Schönheit geradezu genirt, und erschrickt vor dem Gedanken, seine Normalität, wenn ich mich so ausdrücken darf, mit ihrer Unnormalität in irgend welche Verbindung gebracht zu sehen. Er ist krankhaft abhängig, abhängig bis zur Schwäche, von dem Urtheile der Menschen, speziell seiner Standesgenossen, und würde sich jederzeit außer Stande fühlen, irgend einer Prinzessin oder auch nur einer hochgestellten Dame, Victoiren als seine Tochter vorzustellen.«

»Möglich. Aber dergleichen läßt sich vermeiden.«

»Doch schwer. Sie zurückzusetzen, oder ganz einfach als Aschenbrödel zu behandeln, das widerstreitet seinem feinen Sinn, dazu hat er das Herz zu sehr auf dem rechten Fleck. Auch würde Frau von Carayon das einfach nicht dulden. Denn so gewiß sie Schach liebt, so gewiß liebt sie Victoire, ja, sie liebt diese noch um ein gut Theil mehr. Es ist ein absolut ideales Verhältniß zwischen Mutter und Tochter, und gerade dies Verhältniß ist es, was mir das Haus so werth gemacht hat und noch macht.«

»Also begraben wir die Partie,« sagte Bülow. »Mir persönlich zu besondrer Genugthuung und Freude, denn ich schwärme für diese Frau. Sie hat den ganzen Zauber des Wahren und Natürlichen, und selbst ihre Schwächen sind reizend und liebenswürdig. Und daneben dieser Schach! Er mag seine Meriten haben, meinetwegen, aber mir ist er nichts als ein Pedant und Wichtigthuer, und zugleich die Verkörperung jener preußischen Beschränktheit, die nur drei Glaubensartikel hat: erstes Hauptstück »die Welt ruht nicht sichrer auf den Schultern des Atlas, als der preußische Staat auf den Schultern der preußischen Armee«, zweites Hauptstück »der preußische Infanterieangriff ist unwiderstehlich«, und drittens und letztens »eine Schlacht ist nie verloren, so lange das Regiment Garde du Corps nicht angegriffen hat«. Oder natürlich auch das Regiment Gensdarmes. Denn sie sind Geschwister, Zwillingsbrüder. Ich verabscheue solche Redensarten, und der Tag ist nahe, wo die Welt die Hohlheit solcher Rodomontaden erkennen wird.«

»Und doch unterschätzen Sie Schach. Er ist immerhin einer unserer Besten.«

»Um so schlimmer.«

»Einer unsrer Besten, sag ich, und wirklich ein Guter. Er spielt nicht blos den Ritterlichen, er ist es auch. Natürlich auf seine Weise. Jedenfalls trägt er ein ehrliches Gesicht und keine Maske.«

»Alvensleben hat Recht,« bestätigte Nostitz. »Ich habe nicht viel für ihn übrig, aber das ist wahr, alles an ihm ist echt, auch seine steife Vornehmheit, so langweilig und so beleidigend ich sie finde. Und darin unterscheidet er sich von uns. Er ist immer er selbst, gleichviel ob er in den Salon tritt, oder vorm Spiegel steht, oder beim Zubettegehn sich seine saffranfarbenen Nachthandschuh anzieht. Sander, der ihn nicht liebt, soll entscheiden und das letzte Wort über ihn haben.«

»Es ist keine drei Tage,« hob dieser an, »daß ich in der Haude und Spenerschen gelesen, der Kaiser von Brasilien habe den Heiligen Antonius zum Obristlieutenant befördert und seinen Kriegsminister angewiesen, besagtem Heiligen die Löhnung bis auf Weiteres gut zu schreiben. Welche Gutschreibung mir einen noch größeren Eindruck gemacht hat, als die Beförderung. Aber gleichviel. In Tagen derartiger Ernennungen und Beförderungen wird es nicht auffallen, wenn ich die Gefühle dieser Stunde, zugleich aber den von mir geforderten Entscheid und Richterspruch, in die Worte zusammenfasse: Seine Majestät der Rittmeister von Schach, er lebe hoch.«

»O, vorzüglich Sander,« sagte Bülow, »damit haben Sie's getroffen. Die ganze Lächerlichkeit auf einen Schlag. Der kleine Mann in den großen Stiefeln! Aber meinetwegen, er lebe!«

»Da haben wir denn zum Ueberfluß auch noch die Sprache von »Sr. Majestät getreuster Opposition,« antwortete Sander und erhob sich. »Und nun Fritz, die Rechnung. Erlauben die Herren, daß ich das Geschäftliche arrangire.«

»In besten Händen,« sagte Nostitz.

Und fünf Minuten später traten alle wieder ins Freie. Der Staub wirbelte vom Thor her die Linden herauf, augenscheinlich war ein starkes Gewitter im Anzug, und die ersten großen Tropfen fielen bereits.

»Hâtez-vous.«

Und Jeder folgte der Weisung und mühte sich, so rasch wie möglich und auf nächstem Wege seine Wohnung zu erreichen.

Viertes Kapitel.
In Tempelhof

Der nächste Morgen sah Frau von Carayon und Tochter in demselben Eckzimmer, in dem sie den Abend vorher ihre Freunde bei sich empfangen hatten. Beide liebten das Zimmer, und gaben ihm auf Kosten aller andern den Vorzug. Es hatte drei hohe Fenster, von denen die beiden unter einander im rechten Winkel stehenden auf die Behren- und Charlottenstraße sahen, während das dritte, thürartige, das ganze, breit abgestumpfte Eck einnahm, und auf einen mit einem vergoldeten Rokoko-Gitter eingefaßten Balkon hinausführte. Sobald es die Jahreszeit erlaubte, stand diese Balkonthür offen, und gestattete, von beinah jeder Stelle des Zimmers aus, einen Blick auf das benachbarte Straßentreiben, das, der aristokratischen Gegend unerachtet, zu mancher Zeit ein besonders belebtes war, am meisten um die Zeit der Frühjahrsparaden, wo nicht blos die berühmten alten Infanterieregimenter der Berliner Garnison, sondern, was für die Carayons wichtiger war, auch die Regimenter der Garde du Corps und Gensdarmes unter dem Klang ihrer silbernen Trompeten an dem Hause vorüberzogen. Bei solcher Gelegenheit (wo sich dann selbstverständlich die Augen der Herrn Offiziers zu dem Balkon hinaufrichteten) hatte das Eckzimmer erst seinen eigentlichen Werth, und hätte gegen kein anderes vertauscht werden können.

Aber es war auch an stillen Tagen ein reizendes Zimmer, vornehm und gemüthlich zugleich. Hier lag der türkische Teppich, der noch die glänzenden, fast ein halbes Menschenalter zurückliegenden Petersburger Tage des Hauses Carayon gesehen hatte, hier stand die malachitne Stutzuhr, ein Geschenk der Kaiserin Katharina, und hier paradirte vor allem auch der große, reich vergoldete Trumeau, der der schönen Frau täglich aufs Neue versichern mußte, daß sie noch eine schöne Frau sei. Victoire ließ zwar keine Gelegenheit vorübergehn, die Mutter über diesen wichtigen Punkt zu beruhigen, aber Frau von Carayon war doch klug genug, es sich jeden Morgen durch ihr von ihr selbst zu kontrolirendes Spiegelbild neu bestätigen zu lassen. Ob ihr Blick in solchem Momente zu dem Bilde des mit einem rothen Ordensband in ganzer Figur über dem Sopha hängenden Herrn von Carayon hinüberglitt, oder ob sich ihr ein stattlicheres Bild vor die Seele stellte, war für Niemanden zweifelhaft, der die häuslichen Verhältnisse nur einigermaßen kannte. Denn Herr von Carayon war ein kleiner, schwarzer Koloniefranzose gewesen, der außer einigen in der Nähe von Bordeaux lebenden vornehmen Carayons und einer ihn mit Stolz erfüllenden Zugehörigkeit zur Legation, nichts Erhebliches in die Ehe mitgebracht hatte. Am wenigsten aber männliche Schönheit.

Es schlug elf, erst draußen, dann in dem Eckzimmer, in welchem beide Damen an einem Tapisserierahmen beschäftigt waren. Die Balkonthür war weit auf, denn trotz des Regens, der bis an den Morgen gedauert hatte, stand die Sonne schon wieder hell am Himmel und erzeugte so ziemlich dieselbe Schwüle, die schon den Tag vorher geherrscht hatte. Victoire blickte von ihrer Arbeit auf und erkannte den Schach'schen kleinen Groom, der mit Stulpenstiefeln und zwei Farben am Hut, von denen sie zu sagen liebte, daß es die Schach'schen »Landesfarben« seien, die Charlottenstraße heraufkam.

»O sieh nur,« sagte Victoire, »da kommt Schachs kleiner Ned. Und wie wichtig er wieder thut! Aber er wird auch zu sehr verwöhnt, und immer mehr eine Puppe. Was er nur bringen mag?«

Ihre Neugier sollte nicht lange unbefriedigt bleiben. Schon einen Augenblick später hörten beide die Klingel gehn, und ein alter Diener in Gamaschen, der noch die vornehmen Petersburger Tage miterlebt hatte, trat ein, um auf einem silbernen Tellerchen ein Billet zu überreichen. Victoire nahm es. Es war an Frau von Carayon adressirt.

»An Dich Mama.«

»Lies nur,« sagte diese.

»Nein, Du selbst; ich hab eine Scheu vor Geheimnissen.«

»Närrin,« lachte die Mutter und erbrach das Billet und las: »Meine gnädigste Frau. Der Regen der vorigen Nacht hat nicht nur die Wege gebessert, sondern auch die Luft. Alles in allem ein so schöner Tag, wie sie der April uns Hyperboreern nur selten gewährt. Ich werde vier Uhr mit meinem Wagen vor Ihrer Wohnung halten, um Sie und Fräulein Victoire zu einer Spazierfahrt abzuholen. Ueber das Ziel erwarte ich Ihre Befehle. Wissen Sie doch wie glücklich ich bin, Ihnen gehorchen zu können. Bitte Bescheid durch den Ueberbringer. Er ist gerade firm genug im Deutschen, um ein »ja« oder »nein« nicht zu verwechseln. Unter Gruß und Empfehlungen an meine liebe Freundin Victoire (die zu größerer Sicherheit vielleicht eine Zeile schreibt) Ihr Schach.«

»Nun, Victoire, was lassen wir sagen …?«

»Aber Du kannst doch nicht ernsthaft fragen, Mama?«

»Nun denn also ›ja‹.«

Victoire hatte sich mittlerweile bereits an den Schreibtisch gesetzt, und ihre Feder kritzelte: »Herzlichst acceptirt, trotzdem die Ziele vorläufig im Dunkeln bleiben. Aber ist der Entscheidungsmoment erst da, so wird er uns auch das Richtige wählen lassen.«

Frau von Carayon las über Victoires Schulter fort. »Es klingt so vieldeutig,« sagte sie.

»So will ich ein bloßes Ja schreiben, und Du kontrasignirst.«

»Nein; laß es nur.«

Und Victoire schloß das Blatt, und gab es dem draußen wartenden Groom.

Als sie vom Flur her in das Zimmer zurückkehrte, fand sie die Mama nachdenklich. »Ich liebe solche Pikanterien nicht, und am wenigsten solche Räthselsätze.«

»Du dürftest sie auch nicht schreiben. Aber ich? Ich darf alles. Und nun höre mich. Es muß etwas geschehen, Mama. Die Leute reden so viel, auch schon zu mir, und da Schach immer noch schweigt und Du nicht sprechen darfst, so muß ich es thun statt Eurer und Euch verheirathen. Alles in der Welt kehrt sich einmal um. Sonst verheirathen Mütter ihre Tochter, hier liegt es anders, und ich verheirathe Dich. Er liebt Dich und Du liebst ihn. In den Jahren seid ihr gleich, und ihr werdet das schönste Paar sein, das seit Menschengedenken im französischen Dom oder in der Dreifaltigkeitskirche getraut wurde. Du siehst, ich lasse Dir wenigstens hinsichtlich der Prediger und der Kirche die Wahl; mehr kann ich nicht thun in dieser Sache. Daß Du mich mit in die Ehe bringst, ist nicht gut, aber auch nicht schlimm. Wo viel Licht ist, ist viel Schatten.«

Frau von Carayons Auge wurde feucht. »Ach meine süße Victoire, Du siehst es anders, als es liegt. Ich will Dich nicht mit Bekenntnissen überraschen, und in bloßen Andeutungen zu sprechen, wie Du gelegentlich liebst, widerstreitet mir. Ich mag auch nicht philosophiren. Aber das laß Dir sagen, es liegt alles vorgezeichnet in uns, und was Ursach scheint, ist meist schon wieder Wirkung und Folge. Glaube mir, Deine kleine Hand wird das Band nicht knüpfen, das Du knüpfen möchtest. Es geht nicht, es kann nicht sein. Ich weiß es besser. Und warum auch? Zuletzt lieb' ich doch eigentlich nur Dich

Ihr Gespräch wurde durch das Erscheinen einer alten Dame, Schwester des verstorbenen Herrn von Carayon, unterbrochen, die jeden Dienstag ein für allemal zu Mittag geladen war, und unter »zu Mittag« pünktlicherweise zwölf Uhr verstand, trotzdem sie wußte, daß bei den Carayons erst um drei Uhr gegessen wurde. Tante Marguerite, das war ihr Name, war noch eine echte Koloniefranzösin, d. h. eine alte Dame, die das damalige, sich fast ausschließlich im Dativ bewegende Berlinisch mit geprüntem Munde sprach, das ü dem i vorzog, entweder »Kürschen« aß, oder in die »Kürche« ging, und ihre Rede selbstverständlich mit französischen Einschiebseln und Anredefloskeln garnirte. Sauber und altmodisch gekleidet, trug sie Sommer und Winter denselben kleinen Seidenmantel, und hatte jene halbe Verwachsenheit, die damals bei den alten Koloniedamen so allgemein war, daß Victoire einmal als Kind gefragt hatte: »Wie kommt es nur, liebe Mama, das fast alle Tanten so ›ich weiß nicht wie‹ sind?« Und dabei hatte sie eine hohe Schulter gemacht. Zu dem Seidenmantel Tante Margueritens gehörten auch noch ein Paar seidene Handschuhe, die sie ganz besonders in Ehren hielt, und immer erst auf dem obersten Treppenabsatz anzog. Ihre Mittheilungen, an denen sie's nie fehlen ließ, entbehrten all und jedes Interesses, am meisten aber dann, wenn sie, was sie sehr liebte, von hohen und höchsten Personen sprach. Ihre Spezialität waren die kleinen Prinzessinnen der königlichen Familie: la petite princesse Charlotte, et la petite princesse Alexandrine, die sie gelegentlich in den Zimmern einer ihr befreundeten französischen Erzieherin sah, und mit denen sie sich derartig liirt fühlte, daß, als eines Tages die Brandenburger Thorwache beim Vorüberfahren von la princesse Alexandrine versäumt hatte, rechtzeitig ins Gewehr zu treten und die Trommel zu rühren, sie nicht nur das allgemeine Gefühl der Empörung theilte, sondern das Ereigniß überhaupt ansah, als ob Berlin ein Erdbeben gehabt habe.

 

Das war das Tantchen, das eben eintrat.

Frau von Carayon ging ihr entgegen und hieß sie herzlich willkommen, herzlicher als sonst wohl, und das einfach deshalb, weil durch ihr Erscheinen ein Gespräch unterbrochen worden war, das selbst fallen zu lassen, sie nicht mehr die Kraft gehabt hatte. Tante Marguerite fühlte sofort heraus, wie günstig heute die Dinge für sie lagen, und begann denn auch in demselben Augenblicke, wo sie sich gesetzt und die Seidenhandschuh in ihren Pompadour gesteckt hatte, sich dem hohen Adel königlicher Residenzien zuzuwenden, diesmal mit Umgehung der »Allerhöchsten Herrschaften«. Ihre Mittheilungen aus der Adelssphäre waren ihren Hofanekdoten in der Regel weit vorzuziehn, und hätten ein für allemal passiren können, wenn sie nicht die Schwäche gehabt hätte, die doch immerhin wichtige Personalfrage mit einer äußersten Geringschätzung zu behandeln. Mit andern Worten, sie verwechselte beständig die Namen, und wenn sie von einer Escapade der Baronin Stieglitz erzählte, so durfte man sicher sein, daß sie die Gräfin Taube gemeint hatte. Solche Neuigkeiten eröffneten denn auch das heutige Gespräch, Neuigkeiten, unter denen die, »daß der Rittmeister von Schenk vom Regiment Garde du Corps der Prinzessin von Croy eine Serenade gebracht habe« die weitaus wichtigste war, ganz besonders als sich nach einigem Hin- und Herfragen herausstellte, daß der Rittmeister von Schenk in den Rittmeister von Schach, das Regiment Garde du Corps in das Regiment Gensdarmes, und die Prinzessin von Croy in die Prinzessin von Carolath zu transponiren sei. Solche Richtigstellungen wurden von Seiten der Tante jedesmal ohne jede Spur von Verlegenheit entgegengenommen, und solche Verlegenheit kam ihr denn auch heute nicht, als ihr, zum Schluß ihrer Geschichte, mitgetheilt wurde, daß der Rittmeister von Schenk alias Schach noch im Laufe dieses Nachmittags erwartet werde, da man eine Fahrt über Land mit ihm verabredet habe. Vollkommener Kavalier wie er sei, werde er sich sicherlich freuen, eine liebe Verwandte des Hauses an dieser Ausfahrt mit theilnehmen zu sehen. Eine Bemerkung, die von Tante Marguerite sehr wohlwollend aufgenommen und von einem unwillkürlichen Zupfen an ihrem Taftkleide begleitet wurde.

Um Punkt drei war man zu Tische gegangen und um Punkt vier – l'exactitude est la politesse des rois, würde Bülow gesagt haben – erschien eine zurückgeschlagene Halbchaise vor der Thür in der Behrenstraße. Schach, der selbst fuhr, wollte die Zügel dem Groom geben, beide Carayons aber grüßten schon reisefertig vom Balkon her, und waren im nächsten Moment mit einer ganzen Ausstattung von Tüchern, Sonnen- und Regenschirmen unten am Wagenschlag. Mit ihnen auch Tante Marguerite, die nunmehr vorgestellt und von Schach mit einer ihm eigenthümlichen Mischung von Artigkeit und Grandezza begrüßt wurde.

»Und nun das dunkle Ziel, Fräulein Victoire.«

»Nehmen wir Tempelhof,« sagte diese.

»Gut gewählt. Nur Pardon, es ist das undunkelste Ziel von der Welt. Namentlich heute. Sonne und wieder Sonne.«

In raschem Trabe ging es, die Friedrichsstraße hinunter, erst auf das Rondel und das Hallesche Thor zu, bis der tiefe Sandweg, der zum Kreuzberg hinaufführte, zu langsamerem Fahren nöthigte. Schach glaubte sich entschuldigen zu müssen, aber Victoire, die rückwärts saß und in halber Wendung bequem mit ihm sprechen konnte, war, als echtes Stadtkind, aufrichtig entzückt über all und jedes, was sie zu beiden Seiten des Weges sah, und wurde nicht müde Fragen zu stellen und ihn durch das Interesse, das sie zeigte, zu beruhigen. Am meisten amüsirten sie die seltsam ausgestopften Alt-Weiber-Gestalten, die zwischen den Sträuchern und Gartenbeeten umher standen, und entweder eine Strohhutkiepe trugen oder mit ihren hundert Papilloten im Winde flatterten und klapperten.

Endlich war man den Anhang hinauf, und über den festen Lehmweg hin, der zwischen den Pappeln lief, trabte man jetzt wieder rascher auf Tempelhof zu. Neben der Straße stiegen Drachen auf, Schwalben schossen hin und her, und am Horizonte blitzten die Kirchthürme der nächstgelegenen Dörfer.

Tante Marguerite, die, bei dem Winde der ging, beständig bemüht war, ihren kleinen Mantelkragen in Ordnung zu halten, übernahm es nichtsdestoweniger den Führer zu machen, und setzte dabei beide Carayonsche Damen ebenso sehr durch ihre Namensverwechselungen, wie durch Entdeckung gar nicht vorhandener Aehnlichkeiten in Erstaunen.

»Sieh, liebe Victoire, dieser Wülmersdörfer Kürchthürm! Aehnelt er nicht unsrer Dorotheenstädtschen Kürche?«

Victoire schwieg.

»Ich meine nicht um seiner Spitze, liebe Victoire, nein, um seinem Corps de Logis.«

Beide Damen erschraken. Es geschah aber was gewöhnlich geschieht, das nämlich, das alles das was die Näherstehenden in Verlegenheit bringt, von den Fernerstehenden entweder überhört oder aber mit Gleichgültigkeit aufgenommen wird. Und nun gar Schach! Er hatte viel zu lang in der Welt alter Prinzessinnen und Hofdamen gelebt, um noch durch irgend ein Dummheits- oder Nicht-Bildungszeichen in ein besondres Erstaunen gesetzt werden zu können. Er lächelte nur und benutzte das Wort »Dorotheenstädtische Kirche«, das gefallen war, um Frau von Carayon zu fragen »ob sie schon von dem Denkmal Kenntniß genommen habe, das in ebengenannter Kirche, seitens des hochseligen Königs seinem Sohne, dem Grafen von der Mark errichtet worden sei?«

Mutter und Tochter verneinten. Tante Marguerite jedoch, die nicht gerne zugestand, etwas nicht zu wissen oder wohl gar nicht gesehen zu haben, bemerkte ganz ins allgemeine hin. »Ach, der liebe, kleine Prinz. Daß er so früh sterben mußte. Wie jämmerlich. Und ähnelte doch seiner hochseligen Frau Mutter um beiden Augen.«

Einen Augenblick war es, als ob der in seinem Legitimitätsgefühle stark verletzte Schach antworten und den »von seiner hochseligen Mutter« geborenen »lieben kleinen Prinzen« aufs schmählichste dethronisiren wollte, rasch aber übersah er die Lächerlichkeit solcher Idee, wies also lieber um doch wenigstens etwas zu thun, auf das eben sichtbar werdende grüne Kuppeldach des Charlottenburger Schlosses hin, und bog im nächsten Augenblick in die große, mit alten Linden bepflanzte Dorfgasse von Tempelhof ein.

Gleich das zweite Haus war ein Gasthaus. Er gab dem Groom die Zügel und sprang ab, um den Damen beim Aussteigen behülflich zu sein. Aber nur Frau von Carayon und Victoire nahmen die Hülfe dankbar an, während Tante Marguerite verbindlich ablehnte, »weil sie gefunden habe, daß man sich auf seinen eigenen Händen immer am besten verlassen könne.«

Der schöne Tag hatte viele Gäste hinausgelockt, und der von einem Staketenzaun eingefaßte Vorplatz war denn auch an allen seinen Tischen besetzt. Das gab eine kleine Verlegenheit. Als man aber eben schlüssig geworden war, in dem Hintergarten, unter einem halboffenen Kegelbahnhäuschen, den Kaffee zu nehmen, ward einer der Ecktische frei, so daß man in Front des Hauses, mit dem Blick auf die Dorfstraße verbleiben konnte. Das geschah denn auch, und es traf sich, daß es der hübscheste Tisch war. Aus seiner Mitte wuchs ein Ahorn auf und wenn es auch, ein paar Spitzen abgerechnet, ihm vorläufig noch an allem Laubschmucke fehlte, so saßen doch schon die Vögel in seinen Zweigen und zwitscherten. Und nicht das blos sah man; Equipagen hielten in der Mitte der Dorfstraße, die Stadtkutscher plauderten, und Bauern und Knechte, die mit Pflug und Egge vom Felde herein kamen, zogen an der Wagenreihe vorüber. Zuletzt kam eine Heerde, die der Schäferspitz von rechts und links her zusammenhielt, und dazwischen hörte man die Betglocke, die läutete. Denn es war eben die sechste Stunde.