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Schach von Wuthenow

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Sechstes Kapitel.
Bei Prinz Louis

An demselben Abend, an dem Victoire von Carayon ihren Brief an Lisette von Perbandt schrieb, empfing Schach in seiner in der Wilhelmstraße gelegenen Wohnung ein Einladungsbillet von der Hand des Prinzen Louis.

Es lautete:

»Lieber Schach. Ich bin erst seit drei Tagen hier im Moabiter Land und dürste bereits nach Besuch und Gespräch. Eine Viertelmeile von der Hauptstadt, hat man schon die Hauptstadt nicht mehr und verlangt nach ihr. Darf ich für morgen auf Sie rechnen? Bülow und sein verlegerischer Anhang haben zugesagt, auch Massenbach und Phull. Also lauter Opposition, die mich erquickt, auch wenn ich sie bekämpfe. Von Ihrem Regiment werden Sie noch Nostitz und Alvensleben treffen. Im Interimsrock und um fünf Uhr. Ihr Louis, Prinz von Pr.«

Um die festgesetzte Stunde fuhr Schach, nachdem er Alvensleben und Nostitz abgeholt hatte, vor der prinzlichen Villa vor. Diese lag am rechten Flußufer, umgeben von Wiesen und Werftweiden, und hatte die Front, über die Spree fort, auf die Westlisière des Thiergartens. Anfahrt und Aufgang waren von der Rückseite her. Eine breite, mit Teppich belegte Treppe führte bis auf ein Podium und von diesem auf einen Vorflur, auf dem die Gäste vom Prinzen empfangen wurden. Bülow und Sander waren bereits da, Massenbach und Phull dagegen hatten sich entschuldigen lassen. Schach war es zufrieden, fand schon Bülow mehr als genug, und trug kein Verlangen die Zahl der Genialitätsleute verstärkt zu sehen. Es war heller Tag noch, aber in dem Speisesaal, in den sie von dem Vestibul aus eintraten, brannten bereits die Lichter und waren (übrigens bei offenstehenden Fenstern) die Jalousien geschlossen. Zu diesem künstlich hergestellten Licht, in das sich von außen her ein Tagesschimmer mischte, stimmte das Feuer, in dem in der Mitte des Saales befindlichen Kamine. Vor eben diesem, ihm den Rücken zukehrend, saß der Prinz, und sah, zwischen den offenstehenden Jalousiebrettchen hindurch, auf die Bäume des Thiergartens.

»Ich bitte fürlieb zu nehmen,« begann er, als die Tafelrunde sich arrangirt hatte. »Wir sind hier auf dem Lande, das muß als Entschuldigung dienen, für alles was fehlt. ›A la guerre, comme à la guerre.‹ Massenbach, unser Gourmé, muß übrigens etwas derart geahnt, respektive gefürchtet haben. Was mich auch nicht überraschen würde. Heißt es doch, lieber Sander, Ihr guter Tisch habe mehr noch als Ihr guter Verlag die Freundschaft zwischen Ihnen besiegelt.«

»Ein Satz, dem ich kaum zu widersprechen wage, Königliche Hoheit.«

»Und doch müßten Sie's eigentlich. Ihr ganzer Verlag hat keine Spur von jenem ›laisser passer,‹ das das Vorrecht, ja, die Pflicht aller gesättigten Leute ist. Ihre Genies (Pardon, Bülow) schreiben alle wie Hungrige. Meinetwegen. Unsre Paradeleute geb ich Ihnen Preis, aber daß Sie mir auch die Oesterreicher so schlecht behandeln, das mißfällt mir.«

»Bin ich es, Königliche Hoheit? Ich, für meine Person, habe nicht die Prätension höherer Strategie. Nebenher freilich, möcht ich, so zu sagen aus meinem Verlage heraus, die Frage stellen dürfen: »war Ulm etwas Kluges?«

»Ach, mein lieber Sander, was ist klug? Wir Preußen bilden uns beständig ein, es zu sein; und wissen Sie, was Napoleon über unsre vorjährige thüringische Aufstellung gesagt hat? Nostitz, wiederholen Sie's!.. Er will nicht. Nun, so muß ich es selber thun. ›Ah, ces Prussiens‹ hieß es, ›ils sont encore plus stupides, que les Autrichiens‹. Da haben Sie Kritik über unsere vielgepriesene Klugheit, noch dazu Kritik von einer allerberufensten Seite her. Und hätt er's damit getroffen, so müßten wir uns schließlich zu dem Frieden noch beglückwünschen, den uns Haugwitz erschachert hat. Ja, erschachert. Erschachert, indem er für ein Mitbringsel unsre Ehre preisgab. Was sollen wir mit Hannover? Es ist der Brocken, an dem der preußische Adler ersticken wird.«

»Ich habe zu der Schluck- und Verdauungskraft unsres preußischen Adlers ein besseres Vertrauen,« erwiderte Bülow. »Gerade das kann er und versteht er von alten Zeiten her. Indessen darüber mag sich streiten lassen; worüber sich aber nicht streiten läßt, das ist der Friede, den uns Haugwitz gebracht hat. Wir brauchen ihn wie das tägliche Brot und mußten ihn haben, so lieb uns unser Leben ist. Königliche Hoheit haben freilich einen Haß gegen den armen Haugwitz, der mich insoweit überrascht, als dieser Lombard, der doch die Seele des Ganzen ist, von jeher Gnade vor Eurer Königlichen Hoheit Augen gefunden hat.«

»Ah, Lombard! Den Lombard nehm ich nicht ernsthaft, und stell ihm außerdem noch in Rechnung, daß er ein halber Franzose ist. Dazu hat er eine Form des Witzes, die mich entwaffnet. Sie wissen doch, sein Vater war Friseur und seiner Frau Vater ein Barbier. Und nun kommt eben diese Frau, die nicht nur eitel ist bis zum Närrischwerden, sondern auch noch schlechte französische Verse macht, und fragt ihn, was schöner sei: ›L'hirondelle frise la surface des eaux‹ oder ›l'hirondelle rase la surface des eaux?‹ Und was antwortet er? ›Ich sehe keinen Unterschied, meine Theure; l'hirondelle frise huldigt meinem Vater und l'hirondelle rase dem Deinigen.‹ In diesem Bonmot haben Sie den ganzen Lombard. Was mich aber persönlich angeht, so bekenn ich Ihnen offen, daß ich einer so witzigen Selbstpersiflage nicht widerstehen kann. Er ist ein Polisson, kein Charakter.«

»Vielleicht, daß sich ein Gleiches auch von Haugwitz sagen ließe, zum Guten wie zum Schlimmen. Und wirklich, ich geb Eurer Königlichen Hoheit den Mann preis. Aber nicht seine Politik. Seine Politik ist gut, denn sie rechnet mit gegebenen Größen. Und Eure Königliche Hoheit wissen das besser als ich. Wie steht es denn in Wahrheit mit unsren Kräften? Wir leben von der Hand in den Mund und warum? weil der Staat Friedrichs des Großen nicht ein Land mit einer Armee, sondern eine Armee mit einem Lande ist. Unser Land ist nur Standquartier und Verpflegungsmagazin. In sich selber entbehrt es aller großen Ressourcen. Siegen wir, so geht es; aber Kriege führen dürfen nur solche Länder, die Niederlagen ertragen können. Das können wir nicht. Ist die Armee hin, so ist alles hin. Und wie schnell eine Armee hin sein kann, das hat uns Austerlitz gezeigt. Ein Hauch kann uns tödten, gerad auch uns. ›Er blies, und die Armada zerstob in alle vier Winde.‹ Afflavit Deus et dissipati sunt.«

»Herr von Bülow,« unterbrach hier Schach, »möge mir eine Bemerkung verzeihn. Er wird doch, denk ich, in dem Höllenbrodem, der jetzt über die Welt weht, nicht den Odem Gottes erkennen wollen, nicht den, der die Armada zerblies.«

»Doch, Herr von Schach. Oder glauben Sie wirklich, daß der Odem Gottes im Spezialdienste des Protestantismus, oder gar Preußens und seiner Armee steht?«

»Ich hoffe, ja.«

»Und ich fürchte, nein. Wir haben die ›propreste Armee‹, das ist alles. Aber mit der ›Propretät‹ gewinnt man keine Schlachten. Erinnern sich Königliche Hoheit der Worte des großen Königs, als General Lehwald ihm seine dreimal geschlagenen Regimenter in Parade vorführte? ›Propre Leute‹ hieß es. ›Da seh' er meine. Sehen aus wie die Grasdeibel, aber beißen‹. Ich fürchte, wir haben jetzt zu viel Lehwaldsche Regimenter und zu wenig altenfritzige. Der Geist ist heraus, alles ist Dressur und Spielerei geworden. Giebt es doch Offiziere, die, der großen Prallheit und Drallheit halber, ihren Uniformrock direkt auf dem Leibe tragen. Alles Unnatur. Selbst das Marschiren-können, diese ganz gewöhnliche Fähigkeit des Menschen, die Beine zu setzen, ist uns in dem ewigen Paradeschritt verloren gegangen. Und Marschiren-können ist jetzt die erste Bedingung des Erfolges. Alle modernen Schlachten sind mit den Beinen gewonnen worden.«

»Und mit Gold,« unterbrach hier der Prinz. »Ihr großer Empereur, lieber Bülow, hat eine Vorliebe für kleine Mittel. Ja, für allerkleinste. Daß er lügt, ist sicher. Aber er ist auch ein Meister in der Kunst der Bestechung. Und wer hat uns die Augen darüber geöffnet? Er selber. Lesen Sie, was er unmittelbar vor der Austerlitzer Bataille sagte. ›Soldaten‹ hieß es, ›der Feind wird marschiren und unsre Flanke zu gewinnen suchen; bei dieser Marschbewegung aber wird er die seinige preisgeben. Wir werden uns auf diese seine Flanke werfen, und ihn schlagen und vernichten.‹ Und genau so verlief die Schlacht. Es ist unmöglich, daß er aus der bloßen Aufstellung der Oesterreicher auch schon ihren Schlachtplan errathen haben könnte.«

Man schwieg. Da dies Schweigen aber dem lebhaften Prinzen um vieles peinlicher war als Widerspruch, so wandt er sich direkt an Bülow und sagte: »Widerlegen Sie mich.«

»Königliche Hoheit befehlen und so gehorch ich denn. Der Kaiser wußte genau was geschehen werde, konnt es wissen, weil er sich die Frage ›was thut hier die Mittelmäßigkeit‹ in vorausberechnender Weise nicht blos gestellt, sondern auch beantwortet hatte. Die höchste Dummheit, wie zuzugestehen ist, entzieht sich ebenso der Berechnung wie die höchste Klugheit, – das ist eine von den großen Seiten der echten und unverfälschten Stupidität. Aber jene ›Mittelklugen‹, die gerade klug genug sind, um von der Lust ›es auch einmal mit etwas Geistreichem zu probiren‹, angewandelt zu werden, diese Mittelklugen sind allemal am leichtesten zu berechnen. Und warum? Weil sie jederzeit nur die Mode mitmachen und heute kopiren, was sie gestern sahn. Und das alles wußte der Kaiser. Hic haeret. Er hat sich nie glänzender bewährt, als in dieser Austerlitzer Aktion, auch im Nebensächlichen nicht, auch nicht in jenen Impromptus und witzigen Einfällen auf dem Gebiete des Grausigen, die so recht eigentlich das Kennzeichen des Genies sind.«

»Ein Beispiel.«

»Eines für hundert. Als das Centrum schon durchbrochen war, hatte sich ein Theil der russischen Garde, vier Bataillone, nach ebenso viel gefrorenen Teichen hin zurückgezogen, und eine französische Batterie fuhr auf, um mit Kartätschen in die Bataillone hineinzufeuern. In diesem Augenblick erschien der Empereur. Er überblickte sofort das Besondere der Lage. ›Wozu hier ein sich Abmühen en détail?‹ Und er befahl mit Vollkugeln auf das Eis zu schießen. Eine Minute später und das Eis barst und brach, und alle vier Bataillone gingen en carré in die morastige Tiefe. Solche vom Moment eingegebenen Blitze hat nur immer das Genie. Die Russen werden sich jetzt vornehmen, es bei nächster Gelegenheit ebenso zu machen, aber wenn Kutusow auf Eis wartet, wird er plötzlich in Wasser oder Feuer stecken. Oesterreich-russische Tapferkeit in Ehren, nur nicht ihr Ingenium. Irgendwo heißt es: ›In meinem Wolfstornister, Regt sich des Teufels Küster, Ein Kobold, heißt ›Genie‹ – nun, in dem russisch-österreichischen Tornister ist dieser ›Kobold und Teufelsküster‹ nie und nimmer zu Hause gewesen. Und um dies Manko zu kassiren, bedient man sich der alten, elenden Trostgründe: Bestechung und Verrätherei. Jedem Besiegten wird es schwer, den Grund seiner Niederlagen an der einzig richtigen Stelle, nämlich in sich selbst zu suchen, und auch Kaiser Alexander, mein ich, verzichtet auf ein solches Nachforschen am recht eigentlichsten Platz.«

 

»Und wer wollt ihm darüber zürnen?« antwortete Schach. »Er that das seine, ja mehr. Als die Höhe schon verloren und doch andrerseits die Möglichkeit einer Wiederherstellung der Schlacht noch nicht geschwunden war, ging er klingenden Spiels an der Spitze neuer Regimenter vor; sein Pferd ward ihm unter dem Leibe erschossen, er bestieg ein zweites, und eine halbe Stunde lang schwankte die Schlacht. Wahre Wunder der Tapferkeit wurden verrichtet, und die Franzosen selbst haben es in enthusiastischen Ausdrücken anerkannt.«

Der Prinz, der, bei der vorjährigen Berliner Anwesenheit des unausgesetzt als deliciae generis humani gepriesenen Kaisers, keinen allzu günstigen Eindruck von ihm empfangen hatte, fand es einigermaßen unbequem, den »liebenswürdigsten der Menschen« auch noch zum »heldischsten« erhoben zu sehen. Er lächelte deshalb und sagte: »Seine kaiserliche Majestät in Ehren, so scheint es mir doch, lieber Schach, als ob Sie französischen Zeitungsberichten mehr Gewicht beilegten, als ihnen beizulegen ist. Die Franzosen sind kluge Leute. Je mehr Rühmens sie von ihrem Gegner machen, desto größer wird ihr eigner Ruhm, und dabei schweig ich noch von allen möglichen politischen Gründen, die jetzt sicherlich mitsprechen. ›Man soll seinem Feinde goldene Brücken bauen‹, sagt das Sprichwort, und sagt es mit Recht, denn, wer heute mein Feind war, kann morgen mein Verbündeter sein. Und in der That, es spukt schon dergleichen, ja, wenn ich recht unterrichtet bin, so verhandelt man bereits über eine neue Theilung der Welt, will sagen über die Wiederherstellung eines morgenländischen und abendländischen Kaiserthums. Aber lassen wir Dinge, die noch in der Luft schweben, und erklären wir uns das dem Heldenkaiser gespendete Lob lieber einfach aus dem Rechnungssatze: ›wenn der unterlegene russische Muth einen vollen Centner wog, so wog der siegreich französische natürlich zwei‹.«

Schach, der, seit Kaiser Alexanders Besuch in Berlin, das Andreaskreuz trug, biß sich auf die Lippen und wollte repliziren. Aber Bülow kam ihm zuvor und bemerkte: »Gegen ›unter dem Leibe erschossene Kaiserpferde‹ bin ich überhaupt immer mißtrauisch. Und nun gar hier. All diese Lobeserhebungen müssen Seine Majestät sehr in Verlegenheit gebracht haben, denn es giebt ihrer zu viele, die das Gegentheil bezeugen können. Er ist der ›gute Kaiser‹ und damit Basta.«

»Sie sprechen das so spöttisch, Herr von Bülow,« antwortete Schach. »Und doch frag ich Sie, giebt es einen schöneren Titel?«

»O gewiß giebt es den. Ein wirklich großer Mann wird nicht um seiner Güte willen gefeiert und noch weniger danach benannt. Er wird umgekehrt ein Gegenstand beständiger Verleumdungen sein. Denn das Gemeine, das überall vorherrscht, liebt nur das, was ihm gleicht. Brenkenhof, der, trotz seiner Paradoxien, mehr gelesen werden sollte, als er gelesen wird, behauptet geradezu, ›daß in unserm Zeitalter die besten Menschen die schlechteste Reputation haben müßten‹. Der gute Kaiser! Ich bitte Sie. Welche Augen wohl König Friedrich gemacht haben würde, wenn man ihn den ›guten Friedrich‹ genannt hätte.«

»Bravo, Bülow,« sagte der Prinz, und grüßte mit dem Glase hinüber. »Das ist mir aus der Seele gesprochen.«

Aber es hätte dieses Zuspruches nicht bedurft. »Alle Könige,« fuhr Bülow in wachsendem Eifer fort, »die den Beinamen des ›guten‹ führen, sind solche, die das ihnen anvertraute Reich zu Grabe getragen oder doch bis an den Rand der Revolution gebracht haben. Der letzte König von Polen war auch ein sogenannter ›guter‹. In der Regel haben solche Fürstlichkeiten einen großen Harem und einen kleinen Verstand. Und geht es in den Krieg, so muß irgend eine Kleopatra mit ihnen, gleichviel mit oder ohne Schlange.«

»Sie meinen doch nicht, Herr von Bülow,« entgegnete Schach, »durch Auslassungen wie diese, den Kaiser Alexander charakterisirt zu haben.«

»Wenigstens annähernd.«

»Da wär ich doch neugierig.«

»Es ist zu diesem Behufe nur nöthig, sich den letzten Besuch des Kaisers in Berlin und Potsdam zurückzurufen. Um was handelte sich's? Nun, anerkanntermaßen um nichts Kleines und Alltägliches, um Abschluß eines Bündnisses auf Leben und Tod, und wirklich, bei Fackellicht trat man in die Gruft Friedrichs des Großen, um sich, über dem Sarge desselben, eine halbmystische Blutsfreundschaft zuzuschwören. Und was geschah unmittelbar danach? Ehe drei Tage vorüber waren, wußte man, daß der aus der Gruft Friedrichs des Großen glücklich wieder ans Tageslicht gestiegene Kaiser, die fünf anerkanntesten beautés des Hofes in eben so viele Schönheitskategorien gebracht habe: beauté coquette und beauté triviale, beauté céleste und beauté du diable, und endlich fünftens ›beauté, qui inspire seul du vrai sentiment‹. Wobei wohl jeden die Neugier angewandelt haben mag, das Allerhöchste ›vrai sentiment‹ kennen zu lernen.«

Siebentes Kapitel.
Ein neuer Gast

All diese Sprünge Bülows hatten die Heiterkeit des Prinzen erregt, der denn auch eben mit einem ihm bequem liegenden Capriccio über beauté céleste und beauté du diable beginnen wollte, als er, vom Korridor her, unter dem halbzurückgeschlagenen Portièrenteppich, einen ihm wohlbekannten kleinen Herrn von unverkennbaren Künstlerallüren erscheinen und gleich danach eintreten sah.

»Ah, Dussek, das ist brav,« begrüßte ihn der Prinz. »Mieux vaut tard que jamais. Rücken Sie ein. Hier. Und nun bitt ich alles was an Süßigkeiten noch da ist, in den Bereich unsres Künstlerfreundes bringen zu wollen. Sie finden noch tutti quanti, lieber Dussek. Keine Einwendungen. Aber was trinken Sie? Sie haben die Wahl. Asti, Montefiascone, Tokayer.«

»Irgend einen Ungar.«

»Herben?«

Dussek lächelte.

»Thörichte Frage,« korrigirte sich der Prinz und fuhr in gesteigerter guter Laune fort: »Aber nun, Dussek, erzählen Sie. Theaterleute haben, die Tugend selber ausgenommen, allerlei Tugenden, und unter diesen auch die der Mittheilsamkeit. Sie bleiben einem auf die Frage ›was Neues‹ selten eine Antwort schuldig.«

»Und auch heute nicht, Königliche Hoheit,« antwortete Dussek, der, nachdem er genippt hatte, eben sein Bärtchen putzte.

»Nun, so lassen Sie hören. Was schwimmt obenauf?«

»Die ganze Stadt ist in Aufregung. Versteht sich, wenn ich sage, ›die ganze Stadt‹, so mein ich das Theater.«

»Das Theater ist die Stadt. Sie sind also gerechtfertigt. Und nun weiter.«

»Königliche Hoheit befehlen. Nun denn, wir sind in unsrem Haupt und Führer empfindlich gekränkt worden und haben denn auch aus eben diesem Grunde nicht viel weniger als eine kleine Theateremeute gehabt. Das also, hieß es, seien die neuen Zeiten, das sei das bürgerliche Regiment, das sei der Respekt vor den preußischen ›belles lettres et beaux arts.‹ Eine ›Huldigung der Künste‹ lasse man sich gefallen, aber eine Huldigung gegen die Künste, die sei so fern wie je.«

»Lieber Dussek,« unterbrach der Prinz, »Ihre Reflexionen in Ehren. Aber da Sie gerade von Kunst sprechen, so muß ich Sie bitten, die Kunst der Retardirung nicht übertreiben zu wollen. Wenn es also möglich ist, Thatsachen. Um was handelt es sich?«

»Iffland ist gescheitert. Er wird den Orden, von dem die Rede war, nicht erhalten.«

Alles lachte, Sander am herzlichsten, und Nostitz skandirte: »Parturiunt montes nascetur ridiculus mus.«

Aber Dussek war in wirklicher Erregung, und diese wuchs noch unter der Heiterkeit seiner Zuhörer. Am meisten verdroß ihn Sander. »Sie lachen, Sander. Und doch trifft es in diesem Kreise nur Sie und mich. Denn gegen wen anders ist die Spitze gerichtet, als gegen das Bürgerthum überhaupt.«

Der Prinz reichte dem Sprecher über den Tisch hin die Hand. »Recht, lieber Dussek. Ich liebe solch Eintreten. Erzählen Sie. Wie kam es?«

»Vor allem ganz unerwartet. Wie ein Blitz aus heitrem Himmel. Königliche Hoheit wissen, daß seit lange von einer Dekorirung die Rede war, und wir freuten uns, alles Künstlerneides vergessend, als ob wir den Orden mitempfangen und mittragen sollten. In der That, alles ließ sich gut an, und die ›Weihe der Kraft‹, für deren Aufführung der Hof sich interessirt, sollte den Anstoß und zugleich die spezielle Gelegenheit geben. Iffland ist Maçon (auch das ließ uns hoffen), die Loge nahm es energisch in die Hand, und die Königin war gewonnen. Und nun doch gescheitert. Eine kleine Sache, werden Sie sagen; aber nein, meine Herren, es ist eine große Sache. Dergleichen ist immer der Strohhalm, an dem man sieht, woher der Wind weht. Und er weht bei uns nach wie vor von der alten Seite her. Chi va piano va sano, sagt das Sprüchwort. Aber im Lande Preußen heißt es ›pianissimo.‹«

»Gescheitert, sagten Sie, Dussek. Aber gescheitert woran?«

»An dem Einfluß der Hofgeneralität. Ich habe Rüchels Namen nennen hören. Er hat den Gelehrten gespielt und darauf hingewiesen, wie niedrig das Histrionenthum immer und ewig in der Welt gestanden habe, mit alleiniger Ausnahme der neronischen Zeiten. Und die könnten doch kein Vorbild sein. Das half. Denn welcher allerchristlichste König will Nero sein oder auch nur seinen Namen hören. Und so wissen wir denn, daß die Sache vorläufig ad acta verwiesen ist. Die Königin ist chagrinirt, und an diesem Allerhöchsten Chagrin müssen wir uns vorläufig genügen lassen. Neue Zeit und alte Vorurtheile.«

»Lieber Kapellmeister,« sagte Bülow, »ich sehe zu meinem Bedauern, daß Ihre Reflexionen Ihren Empfindungen weit voraus sind. Uebrigens ist das das Allgemeine. Sie sprechen von Vorurtheilen, in denen wir stecken, und stecken selber drin. Sie, sammt Ihrem ganzen Bürgerthum, das keinen neuen freien Gesellschaftszustand schaffen, sondern sich nur eitel und eifersüchtig in die bevorzugten alten Klassen einreihen will. Aber damit schaffen Sie's nicht. An die Stelle der Eifersüchtelei, die jetzt das Herz unsres dritten Standes verzehrt, muß eine Gleichgiltigkeit gegen alle diese Kindereien treten, die sich einfach überlebt haben. Wer Gespenster wirklich ignorirt, für den giebt es keine mehr, und wer Orden ignorirt, der arbeitet an ihrer Ausrottung. Und dadurch an Ausrottung einer wahren Epidemie …«

»Wie Herr von Bülow umgekehrt an Errichtung eines neuen Königreichs Utopien arbeitet,« unterbrach Sander. »Ich meinerseits nehme vorläufig an, daß die Krankheit, von der er spricht, in der Richtung von Osten nach Westen immer weiter wachsen, aber nicht umgekehrt in der Richtung von Westen nach Osten hin absterben wird. Im Geiste seh ich vielmehr immer neue Multiplikationen, und das Erblühen einer Ordens-Flora mit 24 Klassen wie das Linnésche System.«

Alle traten auf die Seite Sanders, am entschiedensten der Prinz. Es müsse durchaus etwas in der menschlichen Natur stecken, das, wie beispielsweise der Hang zu Schmuck und Putz, sich auch zu dieser Form der Quincaillerie hingezogen fühle. »Ja,« so fuhr er fort, »es giebt kaum einen Grad der Klugheit, der davor schützt. Sie werden doch alle Kalkreuth für einen klugen Mann halten, ja mehr, für einen Mann, der, wie wenige, von dem ›Alles ist eitel‹ unsres Thuns und Trachtens durchdrungen sein muß. Und doch, als er den rothen Adler erhielt, während er den schwarzen erwartet hatte, warf er ihn wüthend ins Schubfach und schrie: ›Da liege, bis du schwarz wirst.‹ Eine Farbenänderung, die sich denn auch mittlerweile vollzogen hat.«

 

»Es ist mit Kalkreuth ein eigen Ding,« erwiderte Bülow, »und offen gestanden, ein andrer unsrer Generäle, der gesagt haben soll: ›ich gäbe den schwarzen drum, wenn ich den rothen wieder los wäre,‹ gefällt mir noch besser. Uebrigens bin ich minder streng, als es den Anschein hat. Es giebt auch Auszeichnungen, die nicht als Auszeichnung ansehn zu wollen, einfach Beschränktheit oder niedrige Gesinnung wäre. Admiral Sidney Smith, berühmter Vertheidiger von St. Jean d'Acre und Verächter aller Orden, legte doch Werth auf ein Schaustück, das ihm der Bischof von Acre mit den Worten überreicht hatte: ›Wir empfingen dieses Schaustück aus den Händen König Richards Coeur de Lion, und geben es, nach sechshundert Jahren, einem seiner Landsleute zurück, der, heldenmüthig wie er, unsre Stadt vertheidigt hat.‹ Und ein Elender und Narr, setz ich hinzu, der sich einer solchen Auszeichnung nicht zu freuen versteht.«

»Schätze mich glücklich, ein solches Wort aus Ihrem Munde zu hören,« erwiderte der Prinz. »Es bestärkt mich in meinen Gefühlen für Sie, lieber Bülow, und ist mir, Pardon, ein neuer Beweis, daß der Teufel nicht halb so schwarz ist, als er gemalt wird.«

Der Prinz wollte weiter sprechen. Als aber in eben diesem Augenblick einer der Diener an ihn heran trat und ihm zuflüsterte, daß der Rauchtisch arrangirt und der Kaffee servirt sei, hob er die Tafel auf, und führte seine Gäste, während er Bülows Arm nahm, auf den an den Eßsaal angebauten Balkon. Eine große, blau und weiß gestreifte Marquise, deren Ringe lustig im Winde klapperten, war schon vorher herabgelassen worden, und unter ihren weit niederhängenden Fransen hinweg, sah man, flußaufwärts, auf die halb im Nebel liegenden Thürme der Stadt, flußabwärts aber auf die Charlottenburger Parkbäume, hinter deren eben ergrünendem Gezweige die Sonne niederging. Jeder blickte schweigend in das anmuthige Landschaftsbild hinaus, und erst als die Dämmrung angebrochen und eine hohe Sinumbralampe gebracht worden war, nahm man Platz und setzte die holländischen Pfeifen in Brand, unter denen jeder nach Gefallen wählte. Dussek allein, weil er die Musikpassion des Prinzen kannte, war phantasirend an dem im Eßsaale stehenden Flügel zurückgeblieben, und sah nur, wenn er den Kopf zur Seite wandte, die jetzt draußen wieder lebhafter plaudernden Tischgenossen und ebenso die Lichtfunken, die von Zeit zu Zeit aus ihren Thonpfeifen aufflogen.

Das Gespräch hatte das Ordensthema nicht wieder aufgenommen, wohl aber sich der ersten Veranlassung desselben, also Iffland und dem in Sicht stehenden neuen Schauspiele zugewandt, bei welcher Gelegenheit Alvensleben bemerkte, »daß er einige der in den Text eingestreuten Gesangsstücke während dieser letzten Tage kennen gelernt habe. Gemeinschaftlich mit Schach. Und zwar im Salon der liebenswürdigen Frau von Carayon und ihrer Tochter Victoire. Diese habe gesungen und Schach begleitet.«

»Die Carayons,« nahm der Prinz das Wort. »Ich höre keinen Namen jetzt öfter als den. Meine theure Freundin Pauline, hat mir schon früher von beiden Damen erzählt, und neuerdings auch die Rahel. Alles vereinigt sich, mich neugierig zu machen und Anknüpfungen zu suchen, die sich, mein ich, unschwer werden finden lassen. Entsinn ich mich doch des schönen Fräuleins vom Massowschen Kinderballe her, der, nach Art aller Kinderbälle, des Vorzugs genoß, eine ganz besondre Schaustellung erwachsener und voll erblühter Schönheiten zu sein. Und wenn ich sage, ›voll erblühter‹, so sag ich noch wenig. In der That, an keinem Ort und zu keiner Zeit hab ich je so schöne Dreißigerinnen auftreten sehen, als auf Kinderbällen. Es ist, als ob die Nähe der bewußt oder unbewußt auf Umsturz sinnenden Jugend, alles, was heute noch herrscht, doppelt und dreifach anspornte, sein Uebergewicht geltend zu machen, ein Uebergewicht, das vielleicht morgen schon nicht mehr vorhanden ist. Aber gleichviel, meine Herren, es wird sich ein für allemal sagen lassen, daß Kinderbälle nur für Erwachsene da sind, und dieser interessanten Erscheinung in ihren Ursachen nachzugehen, wäre so recht eigentlich ein Thema für unsren Gentz. Ihr philosophischer Freund Buchholtz, lieber Sander, ist mir zu solchem Spiele nicht graziös genug. Uebrigens nichts für ungut; er ist Ihr Freund.«

»Aber doch nicht so,« lachte Sander, »daß ich nicht jeden Augenblick bereit wäre, ihn Euer Königlichen Hoheit zu opfern. Und wie mir bei dieser Gelegenheit gestattet sein mag, hinzuzusetzen, nicht bloß aus einem allerspeziellsten, sondern auch noch aus einem ganz allgemeinen Grunde. Denn wenn die Kinderbälle, nach Ansicht und Erfahrung Euer Königlichen Hoheit, eigentlich am besten ohne Kinder bestehen, so die Freundschaften am besten ohne Freunde. Die Surrogate bedeuten überhaupt alles im Leben, und sind recht eigentlich die letzte Weisheitsessenz.«

»Es muß sehr gut mit Ihnen stehn, lieber Sander,« entgegnete der Prinz, »daß Sie sich zu solchen Ungeheuerlichkeiten offen bekennen können. Mais révenons à notre belle Victoire. Sie war unter den jungen Damen, die durch lebende Bilder das Fest damals einleiteten, und stellte, wenn mich mein Gedächtniß nicht trügt, eine Hebe dar, die dem Zeus eine Schale reichte. Ja, so war es, und indem ich davon spreche, tritt mir das Bild wieder deutlich vor die Seele. Sie war kaum fünfzehn, und von jener Taille, die jeden Augenblick zu zerbrechen scheint. Aber sie zerbrechen nie. ›Comme un ange‹, sagte der alte Graf Neale, der neben mir stand, und mich durch eine Begeisterung langweilte, die mir einfach als eine Karrikatur der meinigen erschien. Es wäre mir eine Freude, die Bekanntschaft der Damen erneuern zu können.«

»Eure Königliche Hoheit würden das Fräulein Victoire nicht wieder erkennen,« sagte Schach, dem der Ton, in dem der Prinz sprach, wenig angenehm war. »Gleich nach dem Massowschen Balle wurde sie von den Blattern befallen, und nur wie durch ein Wunder gerettet. Ein gewisser Reiz der Erscheinung ist ihr freilich geblieben, aber es sind immer nur Momente, wo die seltene Liebenswürdigkeit ihrer Natur einen Schönheitsschleier über sie wirft, und den Zauber ihrer früheren Tage wiederherzustellen scheint.«

»Also restitutio in integrum,« sagte Sander.

Alles lachte.

»Wenn Sie so wollen, ja,« antwortete Schach in einem spitzen Tone, während er sich ironisch gegen Sander verbeugte.

Der Prinz bemerkte die Verstimmung und wollte sie coupiren. »Es hilft Ihnen nichts, lieber Schach. Sie sprechen, als ob Sie mich abschrecken wollten. Aber weit gefehlt. Ich bitte Sie, was ist Schönheit? Einer der allervaguesten Begriffe. Muß ich Sie an die fünf Kategorien erinnern, die wir in erster Reihe Sr. Majestät dem Kaiser Alexander und in zweiter unsrem Freunde Bülow verdanken? Alles ist schön und nichts. Ich persönlich würde der beauté du diable jederzeit den Vorzug geben, will also sagen einer Erscheinungsform, die sich mit der des ci-devant schönen Fräuleins von Carayon einigermaßen decken würde.«

»Königliche Hoheit halten zu Gnaden,« entgegnete Nostitz, »aber es bleibt mir doch zweifelhaft, ob Königliche Hoheit die Kennzeichen der beauté du diable an Fräulein Victoire wahrnehmen würden. Das Fräulein hat einen witzig-elegischen Ton, was auf den ersten Blick als ein Widerspruch erscheint, und doch keiner ist, unter allen Umständen aber als ihr charakteristischer Zug gelten kann. Meinen Sie nicht auch, Alvensleben?«

Alvensleben bestätigte.

Der Prinz indessen, der ein sich Einbohren in Fragen über die Maßen liebte, fuhr, indem er sich dieser Neigung auch heute hingab, immer lebhafter werdend fort: »Elegisch« sagen Sie, »witzig-elegisch; ich wüßte nicht, was einer beauté du diable besser anstehn könnte. Sie fassen den Begriff offenbar zu eng, meine Herren. Alles was Ihnen dabei vorschwebt, ist nur eine Spielart der alleralltäglichsten Schönheitsform, der beauté coquette: das Näschen ein wenig mehr gestubst, der Teint ein wenig dunkler, das Temperament ein wenig rascher, die Manieren ein wenig kühner und rücksichtsloser. Aber damit erschöpfen Sie die höhere Form der beauté du diable keineswegs. Diese hat etwas Weltumfassendes, das über eine bloße Teint- und Rassenfrage weit hinausgeht. Ganz wie die Katholische Kirche. Diese wie jene sind auf ein Innerliches gestellt, und das Innerliche, das in unserer Frage den Ausschlag giebt, heißt Energie, Feuer, Leidenschaft.«