Don Bosco - eBook

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Politische Umwälzungen

Während Giovanni Bosco seine Kindheit im Hügelland von Castelnuovo verbrachte, gingen die politischen Umwälzungen in Italien weiter. Als Antwort auf die unerbittliche und reaktionäre Restauration durch die Fürsten waren Geheimbünde entstanden, die den Aufruhr und die Revolution vorbereiteten.

1820 flammte das revolutionäre Feuer in Spanien auf. Ein durch Militärrevolten gegen die Monarchie ausgelöster Volksaufstand zwang den dortigen König Ferdinand VII. dazu, dem Land im März diesen Jahres eine Verfassung zu geben, welche Grundrechte und allen männlichen Spaniern über 25 Jahren das Wahlrecht garantierte. Sechs Monate später sprang der Funke auch auf Italien über. Eine kleine Abteilung der Infanterie erhob im Königreich beider Sizilien den Ruf: „Es lebe die Freiheit, es lebe die Verfassung!“ Innerhalb von acht Tagen billigte König Ferdinand I. von Sizilien und Neapel daraufhin eine Verfassung nach dem spanischen Vorbild und schwor auf das Evangelium, sie auch einzuhalten. Am 10. März 1821 – Giovanni Bosco war damals sechs Jahre alt – begann der Aufstand des Militärs im Königreich Sardinien-Piemont, angeführt von dem piemontesischen Offizier Santorre di Santarosa. In der Stadt Alessandria wurde die blaue Fahne des regierenden Hauses Savoyen eingeholt und auf der Zitadelle die Trikolore gehisst, die blau-weiß-rote Fahne der Französischen Revolution, die für Freiheit und Menschenrechte stand. Auch andere Garnisonen erhoben sich. Von der Toskana aus marschierte ein Oberst an der Spitze seines Regiments nach Turin.

König Vittorio Emanuele I. eilte erschrocken nach Turin und versammelte dort den Kronrat. Es wurde ihm empfohlen, eine Verfassung zu billigen, um nicht alles zu verlieren. Da erreichte ihn die Nachricht, dass Österreich beschlossen hatte, in Italien einzugreifen, „um die alte Ordnung wiederherzustellen“. Von den Ereignissen überwältigt, verzichtete Vittorio Emanuele zugunsten seines Bruders Carlo Felice auf den Thron. Da dieser sich aber gerade in Modena aufhielt, ernannte Vittorio Emanuele „stellvertretend“ seinen Neffen, den jungen, erst 23-jährigen Prinzen Carlo Alberto, zum Regenten, der eine liberale Verfassung unterzeichnete. Zwei Tage danach schwor er, diese Verfassung anzuerkennen und bildete eine neue Regierung.

Als Carlo Felice I. in Modena einen Brief von Carlo Alberto erhielt, in dem dieser ihm alles berichtete, war er sehr verärgert und rief dem Edelmann Costa, der ihm den Brief überbracht hatte, zu: „Meldet dem Prinzen: Wenn er noch einen Tropfen unseres königlichen Blutes in seinen Adern hat, soll er sofort nach Novara kommen und dort meine Anordnung abwarten!“

Im ersten Augenblick schien Carlo Alberto entschlossen, Widerstand zu leisten. Aber aus dem Königreich beider Sizilien erreichte ihn die Nachricht, dass dort ein österreichisches Heer die Truppen der Liberalen besiegt hatte. Das dortige Parlament war aufgelöst, die Verfassung wieder abgeschafft. Der junge Prinz verzichtete daher auf seine Regentschaft und forderte alle auf, sich König Carlo Felice I. zu unterwerfen.

Carlo Felice I. zog bei seiner Rückkehr nach Sardinien-Piemont ein österreichisches Heer voraus, das die von Santarosa angeführten Aufständischen niederwarf und „die alte Ordnung wiederherstellte“. 70 Anführer der Revolution wurden zum Tode verurteilt, von denen allerdings 68 bereits in die Schweiz oder nach Frankreich geflohen waren. 300 Offiziere und Beamte wurden ihrer Posten enthoben.

Motor der Umwälzungen von 1821 war aber lediglich das Bürgertum. Die Masse der Bauern und Arbeiter blieb den Neuerungen gegenüber gleichgültig, manchmal stand sie ihnen auch direkt feindselig gegenüber. König Carlo Felice I. jedoch verstand sich bei seiner Rückkehr nach Turin im Oktober 1821 als „König von Gottes und keines anderen Gnaden“. Sein Volk wollte er so regieren, wie ein strenger Vater eine Familie liederlicher Kinder führt. Die Vollstreckung der Todesstrafe und die Folterung von Oppositionellen sollte eine „heilsame Warnung“ für alle Hitzköpfe sein. Dies brachte dem König den Beinamen „der Grausame“ ein.

Der kleine Seiltänzer

Sein zehntes Lebensjahr war für Giovanni gekennzeichnet von dem Traum, über den wir bereits berichtet haben, also dem Traum von der großen Schar Jungen und dem Herrn, der zu ihm gesprochen hatte: „Nicht mit Schlägen, sondern mit Güte und Liebe wirst du sie als Freunde gewinnen“; dem Traum von der schönen Frau, die ihm gesagt hatte: „Zur rechten Zeit wirst du alles verstehen.“ Trotz der „klugen“ Worte der Großmutter hatte die Nacht, in der er diesen Traum gehabt hatte, Licht in das Dunkel von Giovannis Zukunft gebracht.

Dieser Traum war richtungsweisend für das ganze zukünftige Leben Giovannis. Er war aber auch ausschlaggebend für das Verhalten der Mutter während der folgenden Monate und Jahre. Denn auch für sie bedeutete dieser Traum die Offenbarung eines höheren Willens, ein klares Zeichen der Berufung ihres Sohnes zum Priestertum. Nur so kann man sich die Unbeirrbarkeit erklären, mit der sie Giovanni auf den Weg dorthin geführt hat.

In seinem Traum hatte Giovanni eine große Anzahl von Jungen gesehen und war dazu bestimmt worden, ihnen Gutes zu tun. Warum also sollte er nicht gleich damit anfangen? Er kannte ja bereits eine Reihe von Jungen: seine Spielkameraden, die kleinen Stallknechte auf den verschiedenen Höfen in der Gegend. Viele von ihnen waren recht gut, aber andere doch sehr grob und fluchten ständig.

Während des Winters verbrachten viele Familien die Abende in einem großen Wohnstall, in dem die Ochsen und Kühe die Wärme lieferten. Während die Frauen spannen und die Männer ihre Pfeifen rauchten, las ihnen Giovanni aus Büchern vor, die er sich von Don Lacqua ausgeliehen hatte: „Guerin Maschino“, „Die Geschichte des Bertoldo“ oder auch „Die französischen Könige“. Er hatte damit ungeheuren Erfolg. „Alle wollten mich bei sich im Stall haben“, erzählte er später. „Um meine Kameraden versammelten sich Leute jeden Alters und sozialen Standes. Alle freuten sich, wenn sie einen Abend beim Zuhören verbringen konnten, während der kleine Vorleser auf einer Bank stand, damit ihn alle sehen konnten.“

Das begehrteste Buch bei diesen Abenden war „Die französischen Könige“. Es erzählte von den wundersamen und etwas verwickelten Abenteuern Karls des Großen und seiner Gefolgsmänner sowie vom Zauberschwert Durlandana. „Vor und nach meinen Erzählungen“, so schrieb Don Bosco später, „machten wir alle das Kreuzzeichen und beteten ein ‚Gegrüßet seist du, Maria‘.“

Die Trompeten der Gaukler

All das änderte sich im Frühling. Die langen, dunklen Winterabende waren vorüber, und daher war auch das Vorlesen von langen Geschichten nicht mehr gefragt. Giovanni verstand, dass er sich, wenn er seine Freunde weiterhin um sich versammeln wollte, etwas ganz Besonderes ausdenken musste. Aber was?

In dieser Zeit konnte man von dem nahe gelegenen Hügel die Trompeten der Gaukler hören, welche die Leute zum Jahrmarkt riefen. Dort wurde gekauft, verkauft, gehandelt und manchmal auch jemand übers Ohr gehauen. Und vor allem unterhielt man sich dort. Auch Giovanni ging mit seiner Mutter zum Jahrmarkt. Die Leute standen scharenweise um die Gaukler und Akrobaten. Taschenspieler und Zauberer brachten die Bauern mit ihren Tricks zum Staunen. So etwas könnte er doch auch machen, dachte Giovanni. Man bräuchte ja nur die Vorführungen der Akrobaten und die Tricks der Zauberkünstler genau zu beobachten.

Die besten Vorführungen gab es jedoch beim Patroziniumsfest der örtlichen Pfarrkirche. Dann tanzten die Akrobaten auf dem Seil, und die Gaukler führten die ungewöhnlichsten Kunststücke vor: Sie zogen Tauben und Kaninchen aus einem Hut hervor, ließen Personen verschwinden, schnitten ein Seil auseinander und machten es durch eine Handbewegung wieder ganz. Besonders bewundert wurde das „Zahnziehen ohne Schmerz“.

Aber um all diese Vorführungen sehen zu können, brauchte man eine Eintrittskarte, und die kostete zwei Soldi. Woher nehmen? Giovanni fragte seine Mutter. „Versuch, was du kannst,“ sagte sie, „aber frag mich nicht um Geld. Ich habe keins.“ Giovanni versuchte also, selbst Geld zu verdienen. Er fing Vögel und verkaufte sie, flocht Körbe und Käfige und verhandelte mit den Kaufleuten, sammelte Heilkräuter und brachte sie zu einem Fachmann nach Castelnuovo.

So gelang es ihm, auf dem Jahrmarkt einen Platz in der ersten Reihe zu bekommen. Aufmerksam beobachtete er die Darbietungen der Artisten und verstand, dass der lange Stock, Balancierstange genannt, das Halten des Gleichgewichts auf dem Seil ermöglichte. Er bemerkte die raschen Fingerbewegungen, die die Tricks der Taschenspieler verbargen. Sogar den Kunststücken der Zauberer kam er auf die Schliche.

Einen faulen Zahn zu ziehen, das bedeutete zu dieser Zeit für alle eine Quälerei. Das erste Betäubungsmittel wurde erst im Jahr 1846 in Amerika erprobt. Einmal, während eines Jahrmarkts im Jahr 1825, schaute Giovanni beim „Zahnziehen ohne Schmerz“ zu. Die angebliche Schmerzlosigkeit der Prozedur wurde einem „Zauberpulver“ zugeschrieben. Der Bauer, der sich dazu hergab, hatte einen wirklich schlechten Backenzahn. Der Gaukler tauchte zunächst seinen Finger in das Pulver und zog dann unter dem Lärm der Trompeten und Trommeln den Zahn mithilfe einer Zange, die er heimlich aus dem Ärmel hatte gleiten lassen, mit aller Kraft heraus. Der Bauer schlug mit den Beinen um sich und brüllte vor Schmerz. Aber die Trompeten übertönten ihn. Und der Gaukler schloss den Bauern so fest in die Arme, dass dieser keine Luft mehr bekam, und schrie: „Danke, danke, das Experiment ist gelungen!“ Giovanni war einer der Wenigen, die gesehen hatten, wie die Zange aus dem Ärmel des Gauklers geglitten war. Lächelnd ging er fort.

 

Zu Hause versuchte er dann, die ersten Zaubertricks nachzumachen. „Ich übte Tag um Tag, bis ich es gelernt hatte.“ Bis es ihm gelang, Kaninchen aus einem Hut herauszuziehen und auf dem Seil zu gehen, brauchte es monatelange Übung und Ausdauer, und es gab so manchen Sturz. „Vielleicht glaubt ihr es mir nicht,“ schrieb Don Bosco später, „aber mit elf Jahren konnte ich die Spiele der Gaukler, den Salto mortale, auf den Händen gehen und auf dem Seil tanzen.“

Vorführungen auf der Wiese

An einem Sonntagabend, mitten im Sommer, kündigte Giovanni seinen Freunden schließlich seine erste Vorführung an. Auf einem Teppich aus Säcken, die er auf das Gras gelegt hatte, jonglierte er auf seiner Nasenspitze Dosen und Töpfe. Einen seiner kleinen Zuschauer ließ er den Mund aufmachen und zog dann Dutzende von bunten Bällchen daraus hervor. Er hantierte mit dem Zauberstab. Am Schluss sprang er auf das Seil und lief unter dem Beifall seiner Freunde darüber.

Die Nachricht von der Vorführung ging von Haus zu Haus, und so wurde das Publikum immer zahlreicher. Groß und Klein, Mädchen und Jungen, ja, sogar alte Leute kamen. Es waren dieselben Menschen, denen Giovanni im Winter in den Wohnställen „Die französischen Könige“ vorgelesen hatte. Jetzt sahen sie erstaunt zu, wie er aus der Nase eines Bauern eine ganze Reihe von Münzen herauszog, wie er Wasser in Wein verwandelte, Trauben vermehrte, einer Frau die Tasche öffnen und aus dieser eine lebendige Taube fortfliegen ließ. Alle lachten, alle klatschten und alle freuten sich.

Auch Giovannis Bruder Antonio ging hin, um sich die Darbietungen anzuschauen. Aber er setzte sich nie in die vorderen Reihen. Er mischte sich nicht unter die anderen, sondern versteckte sich hinter einem Baum, ging kurz hervor und verschwand dann wieder. Manchmal verspottete er den kleinen Seiltänzer: „Seht doch, den Hanswurst, den Faulenzer! Ich kann mir auf dem Feld die Knochen kaputt arbeiten, und er spielt den Scharlatan!“ Giovanni litt sehr darunter. Manchmal brach er dann die Vorführung ab, um sie 200 Meter weiter entfernt wieder zu beginnen, wo er vor Antonio Ruhe hatte.

Er war schon ein besonderer „Scharlatan“, dieser Junge. Denn vor der letzten Nummer zog er den Rosenkranz aus der Tasche, kniete nieder und lud alle zum Beten ein. Oder er wiederholte die Predigt, die er am Morgen in der Pfarrkirche gehört hatte. Das war der Eintrittspreis, den er von seinem Publikum verlangte, den er sich von Groß und Klein zahlen ließ. In seinem späteren Leben sollte Giovanni bereitwillig große Mühen auf sich nehmen, aber als echter Piemontese sollte er auch dann immer einen Preis dafür verlangen – jedoch kein Geld, sondern einen Einsatz für Gott und die arme Jugend.

Nach dem Gebet folgte stets das großartige Finale. Er spannte ein Seil zwischen zwei Bäume, kletterte hinauf und spazierte mit der Balancierstange in den Händen darüber, unter plötzlichem Schweigen und anschließendem stürmischen Beifall der Zuschauer „Nach einigen Stunden einer solcher Vorstellung,“ erinnerte er sich in späteren Jahren, „wenn ich recht müde war, hörte ich auf, sprach ein kurzes Gebet, und alle gingen nach Hause.“

Giovannis Erstkommunion

Im Jahr 1826 fiel Ostern auf den 26. März. An diesem Tag hatte Giovanni Erstkommunion in der Pfarrkirche von Castelnuovo. Hier seine Erinnerungen daran: „Meine Mutter half mir. Während der Fastenzeit hatte sie mich auf die Beichte vorbereitet. ,Mein Giovanni‘, sagte sie, ,Gott will dir ein großes Geschenk machen. Bereite du dich gut darauf vor. Beichte alles, bereue und versprich Gott, dass du in Zukunft braver sein willst.‘ Ich versprach alles. Ob ich es gehalten habe, weiß Gott. An diesem Morgen ging meine Mutter mit mir zur Kommunion. Sie bereitete mich vor und sprach mit mir die Danksagung. Sie wollte nicht, dass ich an diesem Tag irgendeine körperliche Arbeit verrichtete. Ich sollte lesen und beten.

Öfters sagte sie: ,Das war ein großer Tag für dich. Gott hat von deinem Herzen Besitz ergriffen. Jetzt versprich ihm, alles zu tun, was du kannst, um dein ganzes Leben lang gut zu sein. Geh öfters zur hl. Kommunion, sag in der Beichte immer alles und sei gehorsam. Geh gern zur Katechese und zur Predigt. Aber meide aus Liebe zu Gott alle, die schlechte Reden führen.‘ Ich bemühte mich, die Ermahnungen meiner Mutter zu befolgen. Und ich glaube, dass ich mich von diesem Tag an gebessert habe, besonders in Bezug auf den Gehorsam und die Unterordnung, was mir sehr schwerfiel.“

Der dunkelste Winter seines Lebens

Der folgende Winter war für Giovanni der dunkelste seines Lebens. Die Großmutter war gestorben, Antonio, nun 18 Jahre alt, hatte sich der Familie immer mehr entfremdet, seine Wutanfälle wurden häufiger. In den letzten Oktobertagen des Jahres 1826 erwähnte Mar­gherita, dass sie Giovanni vielleicht für ein weiteres Jahr zu Don Lacqua in die Schule schicken würde. Dort würde er sich die Grundkenntnisse in Latein erwerben können. Antonio aber fuhr hoch: „Was, Latein? Wozu brauchen wir im Haus Latein? Arbeiten soll er, arbeiten!“

Höchstwahrscheinlich hat Margherita daraufhin angedeutet, dass Giovanni Priester werden wolle. Für Antonio aber war das etwas Unmögliches. „Um Priester zu werden“, so musste Giovanni nun immer wieder von ihm hören, „braucht man 10.000 Lire.“ Das war eine ungeheure Summe für eine Bauernfamilie in jener Zeit. Unter dem Vorwand, für seine Tante Marianna und den Großvater, die in Capriglio wohnten, Besorgungen zu machen, gelang es Giovanni einige Male, zu Don Lacqua zu gehen, auch im Winter 1826/27. Antonio aber murrte erbittert. Eines Tages brach der Konflikt dann offen aus. Don Bosco erzählt: „Antonio sagte zuerst zu meiner Mutter und dann zu meinem Bruder: ,Jetzt reicht es mir! Schluss mit dieser Grammatik! Ich bin auch groß geworden und habe nie Bücher gehabt.‘ Niedergeschlagen und zugleich wütend antwortete ich, wie ich es nicht hätte tun sollen: ,Auch unser Esel ist nie in die Schule gegangen und ist stärker als du.‘ Bei diesen Worten sprang Antonio wütend auf, und nur mit Mühe konnte ich einer Tracht Prügel entgehen. Meine Mutter war traurig und weinte.“

So ging es noch einige Zeit weiter. Die Spannungen nahmen zu. Antonio war ein Dickschädel, und auch Giovanni wollte sich nicht geschlagen geben. Er reagierte heftig. Wegen eines Buches, das Giovanni neben seinen Teller gelegt hatte, kam es dann zu dem Krach, von dem zu Beginn dieses Buches berichtet wurde. Am folgenden Morgen aber sagte Mar­gherita die traurigen Worte: „Es ist besser, wenn du aus dem Haus gehst.“ Und so kam Giovanni an einem nebeligen Februartag des Jahres 1828 auf dem Hof der Familie Moglia an. Er wurde als Stallknecht eingestellt, weil er so verzweifelt weinte.

Zwei Jahre Bauernhof und ein Jahr Pfarrhaus

Einige Tage, nachdem Giovanni seinen Dienst bei der Familie Moglia angetreten hatte, sagte Luigi Moglia zu seiner Frau Dorotea: „Es war nicht schlecht, dass wir diesen Jungen genommen haben.“ Denn Giovanni hatte sich ernstlich in die Arbeit gestürzt. Er zeigte sich willig und folgsam. Seine Aufgabe bestand darin, den Stall zu versorgen. Die schwerste Arbeit dabei war es, jeden Tag die Streu für die Kühe zu erneuern. Den Mist räumte er mit der Gabel hinaus und brachte ihn mit dem Schubkarren weg. Dann hatte er das Vieh zu striegeln, es zur Tränke zu bringen, auf den Heuboden zu steigen und das Heu in den Futtertrog zu werfen. Zuletzt waren noch die Kühe zu melken.

Auch beim Abendgebet kannte er seine Aufgabe, und Dorotea ließ ihn manchmal den Rosenkranz vorbeten. Zum Schlafen erhielt er ein kleines helles Zimmer mit einem guten Bett. Das war sogar besser als zu Hause in Becchi, wo er das Zimmer mit seinem Bruder Giuseppe teilen musste, und manchmal sogar mit Antonio. Nach einigen Abenden traute er sich, einen Kerzenstummel anzuzünden und für ein Stündchen in dem Buch zu lesen, das ihm Don Lacqua geliehen hatte. Da niemand etwas dagegen hatte, tat er es weiterhin.

An seinem ersten Samstagabend bei der Familie Moglia bat er den Hausherrn, am nächsten Morgen frühzeitig nach Moncucco gehen zu dürfen. Zum Frühstück war er wieder zurück, und um zehn Uhr fuhr er mit der ganzen Familie zum Hochamt. Weil er auch an den folgenden Samstagen um diese für die Moglias unverständliche Erlaubnis bat, wollte Dorotea wissen, wohin er so früh immer ginge; schließlich hatte sie ja seiner Mutter gegenüber die Verantwortung für Giovanni. Also ging sie noch vor Sonnenaufgang selbst nach Moncucco. Aus dem Fenster im Haus einer Freundin sah sie dann Giovanni ankommen und in die Kirche gehen. Sie ging ihm nach und beobachtete, wie er in den Beichtstuhl trat, die Messe mitfeierte und zur Kommunion ging. Dazu muss man wissen, dass man die Kommunion in dieser Zeit sehr selten empfing. Nicht einmal während des Hochamtes, an dem alle Einwohner eines Dorfes teilnahmen, wurde sie ausgeteilt. Wer kommunizieren wollte, musste in die Frühmesse gehen. Nachdem nun die Messe in Moncucco zu Ende war, begleitete Dorotea Giovanni nach Hause zurück und sagte zu ihm: „Von jetzt an kannst du immer in die Frühmesse gehen, wenn du willst. Du brauchst auch nicht mehr zu fragen.“

Einmal sprach Giovanni in der Beichte bei Don Cottini von seinem Wunsch, Priester zu werden und auch von den Schwierigkeiten, die sich diesbezüglich auftaten. Don Cottini machte ihm Mut, jeden Sonntag zur Beichte und Kommunion zu gehen und auch während des Tages zu beten. Zudem empfahl er ihm, auf Gott zu vertrauen. Wenn Gott ihn als Priester haben wolle, würden sich diese Schwierigkeiten schon auflösen. Er ermunterte ihn auch, das Lernen nicht einfach aufzugeben. Wenn es mit seiner Arbeit zu vereinbaren wäre, dann würde er ihm gern einige Stunden Lateinunterricht geben. Inzwischen könne Giovanni sich bei ihm Bücher leihen.

Verlorene Jahre?

Der alte Giuseppe, ein Onkel des Hofbesitzers, kehrte eines Tages völlig verschwitzt mit der Hacke über der Schulter vom Feld zurück. Es war Mittag, und vom Glockenturm der Kirche in Moncucco hörte man es läuten. Der Alte war müde und setzte sich ins Heu, um zu schlafen. Ganz in der Nähe sah er Giovanni, auch im Heu, aber kniend. Er betete den „Engel des Herrn“, wie Mama Margherita es ihm beigebracht hatte, jeden Morgen, Mittag und Abend. Halb scherzend und halb ernst brummte Giuseppe: „Tüchtig, sag ich! Wir Besitzer reiben uns auf vom Morgen bis zum Abend und können uns kaum noch bewegen. Der Knecht aber betet seelenruhig in heiligem Frieden.“

Giovanni antwortete, ebenfalls halb im Ernst und halb im Scherz: „Wenn die Arbeit getan werden muss, Giuseppe, das wisst Ihr, drücke ich mich nicht. Aber meine Mutter hat gesagt, wenn man betet, dann wachsen aus zwei Körnern vier Ähren hervor. Wenn man aber nicht betet, bringen vier Körner nur zwei Ähren. Es wäre besser, wenn auch Ihr ein wenig beten würdet.“ „Das ist ja gut“, schloss der Alte. „Jetzt haben wir auch noch einen Pfarrer auf dem Hof.“

Mit Beginn der schönen Jahreszeit musste Giovanni die Kühe auf die Weide führen. Er hatte darauf zu achten, dass sie nicht auf fremde Wiesen liefen, zu viel nasses Gras fraßen oder sich die Hörner abbrechen würden. Während die Kühe nun ringsherum weideten, hatte Giovanni Zeit, im Schatten eines Baumes zu lesen. Luigi Moglia beklagte sich nicht darüber, aber den Kopf schüttelte er schon: „Warum liest du denn so viel?“ „Ich möchte Priester werden“, antwortete Giovanni. „Weißt du denn nicht, dass man zum Studieren neun- bis zehntausend Lire braucht? Woher willst du das denn nehmen?“ „Wenn Gott es will, wird sie mir jemand geben.“

Manchmal kam Anna, die älteste Tochter der Moglias, zum Spielen auf die Wiese. Sie war damals acht Jahre alt. Wenn sie merkte, dass Giovanni nur in sein Buch schaute und nicht auch auf ihr Spiel, dann ärgerte sie sich: „Hör jetzt auf zu lesen, Giovanni!“ „Aber ich werde Priester, und da muss ich predigen und Beichte hören können.“ „Ach so, Priester“, hänselte sie ihn. „Du wirst schon so ein netter Vikar werden.“

Eines Tages, als Anna ihn wieder einmal hänselte, sagte Giovanni: „Du, Anna, jetzt ziehst du mich auf, aber auch du wirst einmal zu mir zum Beichten kommen.“ Anna heiratete später und wohnte lange in Moriondo. Sie erzählte diese Episode auch ihren eigenen Kindern. Und in der Tat ging sie später vier- oder fünfmal im Jahr nach Turin-Valdocco, um bei Don Bosco zu beichten. Er empfing sie jedes Mal freudig, wie eine eigene Schwester.

Als es wieder Winter geworden war, erlaubte der Bauer Moglia Giovanni, gelegentlich zu Don Cottini in Moncucco in die Schule zu gehen. Aber das war nur selten möglich, sodass bei den wenigen Stunden nichts herauskam. Die Bekanntschaft mit dem Priester erleichterte es Giovanni jedoch, Freundschaft mit den Jungen von Moncucco zu schließen. Die Eingangshalle des Pfarrhauses diente an Wochentagen als Schule, am Sonntag aber verwandelte sie sich in ein kleines Oratorium, also in einen Ort für den Religionsunterricht. Hier führte Giovanni nun nach dem Unterricht seine Kunststücke auf, las die abenteuerlichsten Geschichten aus der Bibel vor und ließ seine kleinen Freunde auch beten. Bei schlechtem Wetter, wenn man nicht nach Moncucco gehen konnte, kamen einige aus den umliegenden Gehöften zu ihm auf den Hof der Moglias. Giovanni führte sie dann auf den Heuboden, unterhielt sie und erklärte ihnen den Katechismus.

 

Fast zwei Jahre verbrachte Giovanni so auf dem Hof Moglia, vom Februar 1828 bis November 1829. Es waren Jahre, die für sein Studium verloren waren. Aber waren sie auch für seine Sendung, zu der Gott ihn rief, vergebens? Pietro Stella erinnert sich an eine Episode, die auf den ersten Blick bedeutungslos erscheint: „Frau Dorotea und ihr Schwager sahen Giovanni Bosco eines Tages kniend, mit einem Buch in den Händen. Die Augen hatte er geschlossen, sein Gesicht war zum Himmel gewandt. Sie mussten ihn schütteln, so sehr war er versunken.“ Es waren also doch keine „vergeudeten“ Jahre, denn der Sinn für Gott und die Kontemplation schlugen damals in Giovanni tiefe Wurzeln. Während der Feldarbeit konnte er mit Gott Zwiesprache halten. Es waren Jahre, die man als eine Zeit stillen und flehenden Wartens vor Gott und den Menschen bezeichnen könnte.

Während Alessandro Manzoni 1827 die erste Auflage seines berühmten Werks „Die Brautleute“ („I Promessi Sposi“) veröffentlichte, Giacomo Leopardi 1828 seine großen Gedichte verfasste und Gioachino Rossini 1829 sein Hauptwerk, die Oper „Wilhelm Tell“ komponierte, versorgte Giovanni Bosco auf einem entlegenen Hof des Monferrato die Kühe. Aber Gott begann, zu ihm zu sprechen.