Loe raamatut: «Gustaf Gründgens», lehekülg 7

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Gründgens, der die Gesellschaft der weltläufigen, extravaganten Dichterkinder genießt und mit ihnen nachts durch die Kaschemmen von St. Pauli streift, lobt im Freihafen, den Blättern der Hamburger Kammerspiele, den literarischen Newcomer emphatisch, wenn auch vielleicht nicht ganz aus Überzeugung, sondern der Publicity wegen: »Die jüngere Generation hat in Klaus Mann ihren Dichter gefunden. […] Mit unerbittlicher Liebe zeigt er seine Generation in all ihrer wissenden Unwissenheit, ihrer gehemmten Hemmungslosigkeit, ihrer reinen Verworfenheit. […] Man muß sie lieben, diese Menschen, die soviel Liebe in sich haben, und mit wissender Schmerzlichkeit ihre Irrwege gehen. […] Lieben muß man vor allem den Dichter dieser Menschen, der seine Gestalten so beseelt und leidvoll durch dies erregende Stück sendet und […] mit hilfreicher Hand zur Klarheit führt. Und das ist das Wesentliche an Klaus Mann: Er ist nicht nur ein Schilderer der neuen Jugend, er ist vielleicht berufen, ihr Wegweiser zu werden.«57

Klaus Manns ziemlich mißratenes »romantisches Stück in sieben Bildern«, das der Kritiker Herbert Ihering anläßlich einer Berliner Inszenierung »den szenischen Marlittroman der Homosexualität«58 nennen wird, spielt in einem »›Erholungsheim für gefallene Kinder‹, worunter man sich eine Mischung aus Ballettschule und Sanatorium mit einem Einschlag von Gefängnis, Bordell und Kloster vorzustellen hat«59. Jakob, »ein gehemmter Melancholiker«60 betet die schwermütige Anja an, die jedoch ein intimes Verhältnis mit der bisexuellen Esther hat, welche sich wiederum in einen unvermittelt auftauchenden proletarischen Draufgänger namens Erik verliebt und das Heim verläßt, während Anjas Halbbruder Kaspar »alle und keinen liebt«61. Klaus Manns dramatischer Erstling, dessen gestelzte Sprache und dünne Handlung in peinlichem Kontrast zum philosophischen Anspruch stehen, stößt zwar beim Publikum auf großes Interesse, erntet aber neben einigen wohlwollenden Reaktionen vor allem Verrisse – immerhin »ein ziemlich lauter succès de scandale«62, wie Klaus Mann meint. »Klaus Mann und Gründgens schwammen in einer fast unerträglich dekadenten Atmosphäre«63, heißt es, und daß das »Herumwühlen in sexuellen Entartungsmöglichkeiten«64 abstoßend sei. Diese Jugend, die »nichts bewegt als die Wirrnis pervertierter Liebesgefühle«, solle »ihre düsteren Angelegenheiten im Stillen mit sich selbst abmachen, aber nicht vor der Öffentlichkeit«65. Gründgens habe als »verzerrter Erzengel« die interessanteste Figur darzustellen, findet das Hamburger Echo: »Leider gerät auch ihm schon einzelnes als übertriebene Wirkung. Der Eindruck war trotzdem stark.«66 Klaus Mann klagt bei seinem Vater über das »boshafte, gehässige und voreingenommene Mißverständnis, das fast die gesamte Presse mir entgegengebracht hat«67, nicht ahnend, daß auch Thomas Mann ANJA UND ESTHER als »unbeschreiblich gebrechliches und korruptes Stückchen«68 wertet. In Hessen wird es nach einer Inszenierung am Landestheater Darmstadt gar zu einer Landtagsdebatte kommen, in der man sich über den »Schmutzfladen« empört, der »auf krankhaft perverse Weise« die Frau »auf die Stufe tierhafter Schamentblößung« herabsetze und »Schrecken und Grauen zugleich«69 erwecke. Doch der Effekt ist enorm, halb Deutschland spricht von den »Dichterkindern« Klaus, Erika und Pamela, deren Bild am 31. Oktober 1925 sogar auf der Titelseite der Berliner Illustrirten Zeitung prangt. Gründgens, auf dem Originalphoto als vierter zu sehen, hatte man jedoch einfach abgeschnitten. »Welch ein Moment tödlicher Peinlichkeit, da er den Affront entdeckte!«, heißt es in einer später gestrichenen Passage in Klaus Manns autobiographischem »Lebensbericht«, DER WENDEPUNKT. »Er saß regungslos, sehr steif aufgerichtet, die Lippen aufeinandergepreßt, das Gesicht zur fahlen Maske erstarrt. Kein Wort, keine Geste – nur der stumme Vorwurf seiner Juwelenaugen! Es war fast unerträglich.«70


Erika Mann, Klaus Mann, Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens 1925 in Hamburg

© Theatermuseum Düsseldorf

Klaus Mann ist von dem sieben Jahre älteren charismatischen Schauspieler durchaus fasziniert: »Er glitzerte und sprühte vor Talent, der charmante, einfallsreiche, hinreißend gefallsüchtige Gustaf! Ganz Hamburg stand unter seinem Zauber. Welche Verwandlungsfähigkeit! Welche Virtuosität der Dialogführung, der Mimik, der Gebärde! […] So begabt war Gustaf, daß er auf der Bühne gertenhaft schlank aussehen konnte, obwohl er in Wirklichkeit schon als junger Mensch eher zum schwammig-weichen Fettansatz neigte. […] Gustaf war brillant, witzig, blasiert, mondän. […] Gustaf war düster und dämonisch, Gustaf war müde und dekadent. Gustaf war von überströmender Lebendigkeit; er war abwechselnd jugendlicher Liebhaber, ›père noble‹, Intrigant und Bonvivant; er war alles und nichts. Er war der Komödiant par excellence. […] Die erste Begegnung mit Gustaf bleibt mir unvergeßlich. Mit dem Elan eines neurotischen Hermes drang er in unser Hotelzimmer ein. So leichtfüßig war sein Gang, daß man nicht umhin konnte, seine etwas abgetragenen, aber doch irgendwie sehr schicken Sandalen mit mißtrauischem Blick zu streifen. Gab es dort keine Flügel? Nein; auch war es kein antikes Göttergewand, was ihm da mit edler Nachlässigkeit um die Schultern hing, sondern nur ein ziemlich schäbiger Ledermantel. Er war schön, die gerade, etwas zu fleischige Nase, die stolzen Lippen, das markante Kinn: alles war von kräftiger und reiner Bildung. Die leichte Verzerrtheit seiner Miene war wohl auf das Monokel zurückzuführen, welches er wegen starker Kurzsichtigkeit trug. Zu einer Brille mochte seine Eitelkeit sich nicht bequemen. Er litt an seiner Eitelkeit wie an einer Wunde. Es war diese fieberhafte, passionierte Gefallsucht, die seinem Wesen den Schwung, den Auftrieb gab, an der er sich aber auch buchstäblich zu verzehren schien. Wie tief muß der Inferioritätskomplex sein, der sich in einem solchen Feuerwerk von Charme kompensieren will! […] Wer sich auch nur von einem Menschen wirklich geliebt wüßte, hätte es kaum nötig, ständig zu verführen.«71

Ob sich Gründgens ausgerechnet von Erika Mann »wirklich geliebt« weiß? Hat er sich tatsächlich in die burschikose, ihm zwar intellektuell ebenbürtige, schauspielerisch aber nur mäßig begabte Erika Mann verliebt? Noch vor kurzem hatte Gründgens seiner Mutter geschrieben: »Ich bin ja wohl auch beruflich zu ausgefüllt, um unsere modernen Frauen noch an der Kandare halten zu können. Warten wir also gottergeben auf das Käthchen von Heilbronn.«72 Erika Mann ist nun freilich alles andere als ein hingebungsvolles, einzig aus seiner Emotion heraus handelndes Käthchen, das seinem »hohen Herrn« »wie ein Hund, der von seines Herrn Schweiß gekostet«73, folgt, und man kann sich leicht ein »Wesen von zarterer, frommerer und lieberer Art«74 denken als sie. Sie ist auch kein Sprößling des Kaisers wie das Käthchen, ihr Vater Thomas Mann – den man wenige Jahre später als »Kaiser aller deutschen Emigranten«75 bezeichnet – wird aber schon jetzt für den Nobelpreis gehandelt, den er 1929 tatsächlich erhält. Gründgens ist zwar kaum, wie einige seiner Biographen meinen, der Kleinbürger, den es reizt, als Schwiegersohn des großen Literaten in andere gesellschaftliche Kreise aufzusteigen, aber er erwartet sich mit der Heirat die Anerkennung seiner äußerst wohlhabenden Familie, als deren »schwarzes Schaf« der wirtschaftlich erfolglose, komplexbeladene Vater Arnold Gründgens gilt. Und die mäßig erfolgreiche Schauspielerin Erika Mann erhofft sich von einer Ehe mit dem zum Hamburger Theaterstar avancierten Gründgens einen Karriereschub. Geht es also für beide um eine »Cocktailehe«? Oder geben sie nur leichtfertig einer Laune nach? Gründgens schwärmt von der knapp sechs Jahre Jüngeren: »Unter anderem hat sie wohl die schönsten Augen, die man sich denken kann.«76 Und Erika soll ihrer Großmutter Hedwig Pringsheim gegenüber sogar von der »großen Liebe« gesprochen haben. Gründgens sei in den 20er Jahren »in fast auffälliger Weise an sanktionierten Dauerbindungen interessiert« und darauf bedacht gewesen, »möglichst schnell eine Familie zu gründen«77, wird sein Psychiater berichten, dem Gründgens anvertraut, er habe sich 1926 zwischen Pamela Wedekind und Erika Mann zu entscheiden gehabt …

»Liebe, liebe Leute, damit Ihr nun nicht ganz ohne Sensationen seid, was die Familie angeht, will ich Euch denn ein freudiges Ereignis keinen Tag vorenthalten«, schreibt er seinen Eltern im April 1926 aus Wien, wo er als Gast am Theater in der Josefstadt probiert. »Es wird ja nun bitterer Ernst. Erika Mann und ich haben uns verlobt und werden in Bälde heiraten. Erika fährt heute nach München und bespricht das nähere mit den Eltern. Hochzeiten tun wir in München, wo Ihr ja nun hinkommen müßt. Es wird wohl sehr offiziell werden, aber sicher auch hübsch.«78 Fraglos imponiert Erika die Kraft an darstellerischer Energie des Vollblutschauspielers, und zweifellos sehnt sich Gründgens, nicht zuletzt angesichts der komplizierten Beziehung zu Jan Kurzke, mit dem er weiterhin befreundet bleibt, nach einem Leben in bürgerlichen Normen. Er verbrennt vor der Heirat zahlreiche Briefe, will »ein anderer Mensch sein«79, wünscht sich eine anerkannte, geordnete Existenz. Doch kann die Verbindung zweier Künstler, die beide eher dem eigenen Geschlecht zuneigen, das leisten? »Kannst Du mir mal sagen, warum ich Idiot heirate?«80, soll Gründgens drei Tage vor der Hochzeit gegenüber seiner Schwester ausgerufen haben. Und Erika Mann hatte ihrer Freundin Pamela schon Wochen zuvor erklärt, sie fange angesichts des hochempfindlichen Gründgens und seiner Hysterie an, sich »vor dem heiligen Ehestand ein bißchen zu fürchten«81. Doch die Trauung findet statt, am Samstagvormittag, dem 24. Juli 1926, im Standesamt München I. Als Zeugen fungieren Thomas Mann, bekanntlich selbst homophil veranlagt, und der Musiker Klaus Pringsheim, der Zwillingsbruder von Thomas Manns Frau Katia, auch er homosexuell.

8. Und ik bin Neese

Bei strahlendem Sonnenschein fährt das Mannsche Automobil mit dem Brautpaar, dem Brautvater und der Bräutigamsmutter vor dem pittoresken Gebäude des Standesamts am Petersplatz vor, gefolgt von einem Taxi mit den weiteren Familienangehörigen, darunter Erikas Geschwister Klaus, Monika und Golo. Von der Seite des am Vorabend aus Hamburg eingetroffenen Bräutigams ist lediglich Emmi Gründgens erschienen; Marita und der Vater sind durch einen Autounfall kurzfristig verhindert. Schnell ist die amtliche Zeremonie absolviert und die Ehe unter der Nummer 969/26 beurkundet. Nur Erika erschrickt, als »der Herr auf dem Standesamt« der eben »noch ganz freundlich ›Fräulein Mann‹ zu mir sagte, als er uns ermahnte, doch lieber richtig herum den Tatort zu betreten – G.G. links und ich rechts (wir hatten es natürlich falsch gemacht!), und dann plötzlich herrschte er mich an ›jetzt unterschreiben Sie, Frau Gründgens!‹ Ein großer Schreck war es schon!«1 Per Auto geht es weiter nach Feldafing. Im traditionsreichen Hotel Kaiserin Elisabeth ißt man »gute, aber teure Forellen«2 zu Mittag, mit Blick auf den Starnberger See und das Panorama der Alpen, wo an diesem Tag, was die Hochzeitsgesellschaft freilich nicht ahnt, auf dem Obersalzberg Joseph Goebbels ergriffen lauscht, wie »der Chef« Adolf Hitler »über Rassenfragen« doziert, und abends im Garten des Marineheims beobachtet: »Droben am Himmel formt sich eine weiße Wolke zum Hakenkreuz. Ein flimmerndes Licht steht am Himmel, das kein Stern sein kann. Ein Zeichen des Schicksals?«3 Von ganz anderen flimmernden Lichtern hören zur gleichen Zeit die Gäste, die sich zum Abendessen in Thomas Manns Münchner Villa in der Poschingerstraße versammelt haben: Thomas Mann vergleicht in einer »fein-rührenden«4 Festrede seinen frischgebackenen Schwiegersohn bewundernd, zugleich aber auch ironisch-distanziert mit einem Glühwürmchen, das, am Tage unscheinbar, erst am Abend leuchte. Gründgens, stolz, daß ihm der berühmte Mann nach dem Mittagessen das keineswegs selbstverständliche »du« angeboten hat, begreift das sein Leben lang nicht im geringsten als Herabsetzung. Zur alles andere als feierlich-steifen Hochzeitsgesellschaft – bis in den späten Abend hinein tanzt man animiert zu Tango-Musik, und der Trauzeuge Klaus Pringsheim flirtet ungeniert mit dem Bräutigam – gehören die Schauspielerin Tilly Wedekind, die Mutter Pamelas, die nicht dabei sein kann (oder will), der Schriftsteller Bruno Frank, der Literaturkritiker Wilhelm Emanuel Süskind (dessen Sohn Patrick 1985 den Bestseller DAS PARFÜM veröffentlicht) und Ricki Hallgarten, ein enger Freund von Erika und Klaus.5 Die Brauteltern schenken zur Hochzeit unter anderem »einen Apparat, wo man Toilettenpapier abzieht und der spielt: ÜB IMMER TREU UND REDLICHKEIT«6.


Gustaf Gründgens und Erika Mann

© Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München

Die 14tägige Hochzeitsreise führt das Ehepaar Gründgens am nächsten Morgen nach Friedrichshafen ins mondäne Kurgartenhotel, 1910 als Renommierprojekt der Luftschiffbau Zeppelin GmbH errichtet. »Nun sitzen wir beiden Glücklichen hier am Bodensee in einem traumhaft schönen Hotel mit Zimmer direkt aufs Wasser. Und werden sehr verwöhnt und haben uns sehr lieb«, berichtet Gründgens seinen Eltern – und bittet sie wie schon so oft um Geld, diesmal um 150 Mark: »Es wäre auch bestimmt das allerletzte, was ich noch von Euch brauchte.«7 Erika Gründgens hingegen teilt Pamela Wedekind mit, daß »groß und klein« im Hotel die jungen Eheleute »frivol« behandeln zu müssen meine, »da niemand und der Klügste nicht, den Ehestand uns glauben kann«. Ohnehin vermisse sie ihre Freundin, die sie »eben doch über die Maßen liebe«8 – und mit der sie noch einen Monat zuvor im selben Hotel abgestiegen war, in der Kurliste aufgeführt als die Schauspielerin Erika Mann und Herr Wedekind aus München. So bleiben die Flitterwöchner nur die erste Woche alleine, dann treffen die von Erika sehnlichst erwartete Pamela und Klaus Mann, der sein Kommen schon länger angekündigt hatte, in Friedrichshafen ein. Ergänzt wird dieses seltsame Quartett (das zwischenzeitlich auch noch von Klaus’ und Erikas jüngerem Bruder Golo besucht wird) durch Hermann Kleinhuber9, den die vier zufällig kennenlernen, als der Amateur-Leichtathlet einige Runden auf dem Sportplatz des VfB Friedrichshafen zieht, und ins Kurgartenhotel einladen – und dem sie bei der Abreise Hans Carossas RUMÄNISCHES TAGEBUCH schenken, »zur Erinnerung an Gustaf Gründgens, Erika Mann, Klaus Mann«10, so die Widmung vom 10. August 1926. Gründgens findet an dem gutaussehenden, mit seinem dunklen Haar fast südländisch wirkenden, bisexuellen jungen Mann Gefallen und freundet sich mit Kleinhuber an: Die beiden treffen sich 1928 in München, fahren nach Innsbruck und von dort im Paddelboot über Kufstein nach Rosenheim, verbringen 1930 gemeinsam Ferien am Lago Maggiore und sehen sich in den 30er Jahren regelmäßig in Berlin, als Kleinhuber dort an der Handelshochschule studiert.

Gleich nach dieser etwas merkwürdigen Hochzeitsreise eilt Gründgens, welcher längst als »einer der interessantesten Schauspieler Hamburgs« gilt, »der zweifellos noch eine große Zukunft hat«11, zurück an die Kammerspiele, wo am 1. September seine Inszenierung von Frank Wedekinds FRÜHLINGS ERWACHEN Premiere hat; er selbst gibt darin den Moritz Stiefel, Victor de Kowa den Melchior Gabor, Ruth Hellberg die Wendla. Dreieinhalb Wochen später steht Gründgens als Weißgardist Sawin in Alfons Paquets STURMFLUT auf der Bühne, inszeniert von Erwin Piscator. Diese Zusammenarbeit zwischen dem Avantgardisten des politisch-dokumentarischen Theaters und Gründgens wird indes ebenso einmalig wie folgenlos bleiben. Piscator hatte das Stück über die Revolution in St. Petersburg im Februar an der technisch wesentlich besser ausgestatteten Berliner Volksbühne uraufgeführt, mit Filmprojektionen als integralem Bestandteil der Inszenierung. Nun werden die Kammerspiele durch die Kosten, die der von Piscator verlangte Einbau eines Projektionsapparates verursacht, wieder einmal an den Rand des finanziellen Zusammenbruchs getrieben.

»Daß wir links waren, das war ja klar, das waren wir alle«12, wird sich Ruth Hellberg erinnern, andere Zeitzeugen werden Gründgens indessen als apolitisch charakterisieren, Klaus Mann ihn hingegen in seinem Roman MEPHISTO als Salonkommunisten porträtieren. Paquets Paraphrase über die Russische Revolution ist nur eines aus einer ganzen Reihe von Werken, deren Ankündigung durch Gründgens im Juli für Aufsehen in Hamburg gesorgt hatte: »Gustaf Gründgens, der Spielleiter der Hamburger Kammerspiele, wird im Winter unter dem Titel REVOLUTIONÄRES THEATER eine Reihe von Vorstellungen an Sonntagvormittagen in den Hamburger Kammerspielen veranstalten, an denen neben ersten Darstellern sämtlicher Hamburger Theater auch Mitglieder der Arbeiter- und Jugendverbände mitwirken werden. Es werden nur solche Dichter aller Nationen zu Wort kommen, deren Schaffen – im strengen Gegensatz zu der tendenzlosen Gleichgültigkeit des bürgerlichen Theaters – den Forderungen unserer Zeit entspricht, die zu dem heutigen Unterhaltungstheater keine Beziehung mehr hat. Die erste Vorstellung wird am 19. September Tollers MASSE MENSCH sein. Die Reihe der Aufführungen wird u.a. mit Werken von Paquet, Rolland, einer modernen Bühnenbearbeitung des Büchnerschen DANTON und einer politischen Revue fortgesetzt.«13 Außer dem Stück Paquets kommt jedoch keine weitere Aufführung zustande, DANTONS TOD wird auf die kommende Spielzeit verschoben.

Gründgens führt statt dessen Regie bei Oscar Wildes Komödie BUNBURY mit sich selbst in der Rolle des Algernon Moncrieff, der als Ausrede für ausgedehnte Aufenthalte auf dem Land einen Freund namens Bunbury erfindet, und bei George Bernard Shaws Komödie ANDROCLUS UND DER LÖWE mit seiner Frau Erika als Lavinia. Als nicht sie, sondern Ruth Hellberg die erhoffte Titelrolle in Schillers Bearbeitung von Carlo Gozzis TURANDOT erhält, lehnt Erika Mann die ihr zugedachte Nebenrolle leichtfertig ab und entschwindet in den Skiurlaub. Gründgens, dessen hohem Berufsethos solche Kapricen zutiefst zuwider sind, bleibt selbstredend in Hamburg und spielt unter der Gastregie Renato Mordos den Prinzen Kalaf, »jeder Satz eine schwärmerische Arabeske«14. Die Ehe zwischen Gründgens und Erika Mann beginnt zu kriseln. Kurz darauf macht Gründgens die Jacques-Offenbach-Operette ORPHEUS IN DER UNTERWELT zu einem enormen Publikumserfolg, der das Theater zumindest kurzfristig saniert. Die musikalische Leitung obliegt Karl Salomon (der in der Emigration als Karel Salmon am Aufbau des Musiklebens Palästinas mitwirkt), sämtliche Rollen sind mit Schauspielern besetzt: Erika Mann reüssiert als Polyhymnia, die Muse der Musik, die in Gründgens’ Bearbeitung die »öffentliche Meinung« des Originals ersetzt, Paul Kemp gibt den Orpheus, seine Gattin Eurydike ist Grete Walter, die Tochter des berühmten Dirigenten Bruno Walter – 1939 wird sie von ihrem Ehemann, dem Filmproduzenten Robert Neppach, erschossen. Gründgens selbst stellt »mit Schwung und Grazie«15 Pluto, den Herrn der Unterwelt, dar, Victor de Kowa dessen stets betrunkenen Diener Hans Styx, Ruth Hellberg singt im Sopran den Liebesgott Cupido. Klaus Mann rühmt seinen Schwager im 8 Uhr Abendblatt: »Aber es war der Geist Gustaf Gründgens’, der das Ganze beherrschte und lebendig machte, sein drängender, unerbittlicher Wille zur Sache und seine mitreißende Freude am Spiel und an der Bewegung, am Ton, am Rhythmus, an der Farbe und am Theater.«16 Die Beschäftigung mit Offenbachs Operette ist für Gründgens (der zu dieser Zeit privat am liebsten DINAH und IN A LITTLE SPANISH TOWN des amerikanischen Vokal-Quartetts The Revelers hört17) weit mehr als nur ein amüsanter Genrewechsel, denn im Musiktheater »wurden seelische Ambitionen durch taktliches Zählen geregelt; hier wurde individualistischer Charme im Dreivierteltakt gebändigt; Schmerz genau eine halbe Note ausgehalten. Es war für mich eine unbedingte Folge, daß diese erforderliche musikalische Präzision auch in den Körper der Darsteller und den Stil der ganzen Aufführung zu gehen hatte. Und wer von meinen Kollegen gehofft hatte, sich gründlich austoben und ausextemporieren zu können, sah sich bitter getäuscht«, erläutert Gründgens seinen Inszenierungsansatz im Freihafen. »Es galt, einen Stil zu finden, der bei aller Buntheit und Üppigkeit doch die Darsteller in eine bestimmte sichtbar werdende Form zwang.«18 Er benennt damit die bis zuletzt gültigen Schlüsselbegriffe seiner künstlerischen Existenz: Präzision und Formbewußtsein.

Gründgens spielt »mit bizarrem Humor, dem tiefe Tragik beigemischt«19 ist, den schwindsüchtigen Alex in Hans José Rehfischs RAZZIA und kreiert »mit ergreifender Innbrunst«20 die Titelrolle in der Uraufführung von Erich Ebermayers KASPAR HAUSER, die für den Schauspieler weit erfolgreicher ist als für den Autor: Gründgens’ »meisterhaftes Spiel« habe »umso mehr die Armseligkeit der Worte«21 aufgedeckt, meint etwa das Hamburger Echo. Bemüht, »die Realität des Traumes zu treffen, jene mystische Selbstverständlichkeit, mit der wir unsere Träume erleben«22, inszeniert er Strindbergs TRAUMSPIEL. Viel Zeit für das Eheleben bleibt also nicht. Selbst Katia Manns Mutter Hedwig Pringsheim bemerkt, es sei »eine so komische moderne Ehe, daß sich schon geradezu der Heilige Geist bemühen müßte, um mir Urgroßmutterfreuden zu verschaffen […].«23 Die Wohnung, die die Eheleute von der Witwe des Landesgerichtsdirektors Julius Peine in der gutbürgerlichen Oberstraße 125 (im Stadtteil Harvestehude, zwischen Rothenbaumchaussee und Mittelweg gelegen) gemietet haben, hatten sie, ohne Schulden zu machen, einrichten können: Erikas Eltern hatten alle notwendigen Anschaffungen und zudem das Haushaltsgeld für die erste Zeit spendiert. Doch obwohl Gründgens inzwischen nicht schlecht verdient – sein am 31. Dezember 1925 unterzeichneter Dienstvertrag für die Saison 1926/27 garantiert ihm 1000 Mark monatlich und das Recht auf einen bis zu zwei Monate dauernden unbezahlten Gastierurlaub24 – ist das Geld ständig knapp. »Wir wohnten parterre und hatten sehr viele Schulden, und wenn es klingelte, dann krochen wir unter den Tisch, weil nämlich die Leute von draußen durchgucken konnten«25, wird sich die Schauspielerin Ruth Hellberg, die zeitweise dort logiert, erinnern. Erika ist weder bereit, den gewohnten großbürgerlichen Umgang mit Geld einzuschränken, noch, sich in eine Hausfrau zu verwandeln – auch nicht, als das Dienstmädchen, das man sich anfangs leistet, schwanger wird und den Dienst quittiert.

Dafür haust neben den drei Katzen Anja, Esther und Peeperkorn26 und der Hündin Bella ab Oktober 1926 auch Klaus Mann vorübergehend in der ehelichen Wohnung. Er stellt dort sein neues Theaterstück fertig, die REVUE ZU VIEREN, gezielt verfaßt als Tourneestück für das bewährte Quartett, aus dem inzwischen zwei Paare geworden sind: die Eheleute Gründgens sowie die noch immer verlobten Pamela Wedekind und Klaus Mann – der bayerische Justizminister weigert sich, Klaus Mann vorzeitig die für eine Heirat notwendige Mündigkeit zu attestieren. Nach den Skandalen um ANJA UND ESTHER ist das Interesse an dem Folgeprojekt groß, Klaus Mann erhofft sich den endgültigen Durchbruch. Doch der Stoff ist zu dünn, der Vertrieb des fertigen Stückes erweist sich als schwierig, schließlich arrangiert man in monatelanger Vorarbeit eine Tournee. Ein weiteres Dichterkind, Carl Sternheims dem Rauschgift verfallene Tochter Thea, »Mopsa« genannt, entwirft die Ausstattung, Klaus Pringsheim komponiert die Bühnenmusik. Das Stück erzählt die Geschichte von vier exzentrischen Jugendlichen, der Hutmacherin Renate, der Schauspielerin Ursula Pia, dem Regisseur Allan und dem Dichter Michael, die eine »kolossale Revue« aufführen wollen, eine »gewaltige Darbietung«. Sie soll »unsere neue, strahlende Körperhaftigkeit darstellen, wie unsere geistigen Kompliziertheiten« und »halb den Charakter einer russisch-proletarischen Festlichkeit, einer kollektivistischen Massenfreude« tragen, »halb als amerikanisches Music-Hall-Stück durch blendende Smartheit und Exaktheit«27 faszinieren. Während der Uraufführung dieser Revue sorgt die eifersüchtige Ursula Pia, Allans Verlobte, dafür, daß Michaels Freundin Renate in ihrer Glanzszene eine Treppe hinunterstürzt, was den Mißerfolg der Revue besiegelt. Renates pathetischer Aufruf an die Jugend der ganzen Welt geht im Tumult unter, die vier fliehen in ein Vorstadthotel – und tauschen dort die Partner. Gründgens, der Klaus Manns Stück schrecklich findet, läßt sich von Erika zur Mitwirkung überreden – sie soll mit Trennung gedroht haben, falls er »den Spielverderber«28 mache. Er übernimmt also die Rolle des Allan und die Regie, die er allerdings zeitweilig an Pamela Wedekind abgibt. Zu den weiteren Darstellern des kleinen Ensembles gehört als Tänzer Jupp der 23jährige Martin Kosleck, in den sich Klaus Mann »unendlich verliebt«29 hat und der seine Homosexualität so offensiv auslebt, daß man in Berlin (in Anlehnung an den berühmten Namensvetter Julius Kosleck30) vom »Kosleckschen Bläserchor« spricht.31 Und in dem kleinen Part eines Photographen steht der ebenso schwule Hans Deppe auf der Bühne, nach dem Zweiten Weltkrieg mit Streifen wie GRÜN IST DIE HEIDE und SCHWARZWALDMÄDEL der erfolgreichste deutsche Heimatfilmregisseur.

Die Premiere der REVUE ZU VIEREN findet am 21. April 1927 am Alten Theater in Leipzig statt, danach gastiert man an den Hamburger Kammerspielen. »Das Stück und sein Verfasser sind eine Angelegenheit für den Psychopathen, nicht fürs Theater«, heißt es in der Hamburger Zeitung, die Klaus Mann und seine Schwester als »darstellerisch unfertig, aber wenigstens voll gläubiger Hingabe« immerhin verhalten, seine Verlobte sogar als »rassig und mit intellektueller Schärfe« und seinen Schwager Gründgens als »gewandt und routiniert«32 lobt. Die Hamburger Nachrichten meinen: »Über das letzte kleine Malheurchen in der Kinderstube des Hauses Thomas Mann möchte man am liebsten so wenig Worte als möglich machen. […] Das Stück bezeichnet ungefähr den Übergang vom Wedekindlichen zum Wedekindischen. Poetische Primanerreife nicht einmal erreicht! […] Raus aus der Literatur!«33 Dem mit der ganzen Unternehmung zutiefst unzufriedenen Gründgens, der schon auf der Tournee durch die Provinz nicht mit von der Partie gewesen ist, reißt endgültig der Geduldsfaden. Nur noch das Gastspiel in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin wartet er ab, kalkulierend, daß ihm durch die Mann-Kinder der Sprung nach Berlin gelingen könnte.34 Zwar lobt Monty Jacobs »den einzigen Schauspieler des Abends, trotzdem oder weil er nicht der Sohn, sondern nur der Schwiegersohn des Berühmten ist«35, doch muß Gründgens auch das vernichtende Urteil Herbert Iherings ernten, er sei »ein grober, undifferenzierter Schauspieler«36. Überhaupt: Das Unternehmen ist ein Fiasko in jeder Hinsicht. Ähnlich der Handlung im Stück zerbrechen die Beziehungen auch im wahren Leben. Gründgens läßt sich für die restliche Tournee, die nach München und Wien, Prag, Budapest und Kopenhagen führt, endgültig – durch den Schauspieler Rudolf Amendt, von seinem Freund Klaus Mann »Buschi« genannt – umbesetzen, was Erika ihrem Ehemann übelnimmt. Und auch Pamela Wedekind löst die wohl ohnehin nur einer Laune entsprungene Verlobung mit Klaus, entzieht sich zugleich dem offensiven Werben Erikas und verlobt sich im Dezember 1927 mit dem 28 Jahre älteren Dramatiker Carl Sternheim. »Dorothea (Mopsa) Sternheim wird nun also zu ihrer Freundin Pamela ›Mama‹ sagen«37, kommentiert das Berliner 8 Uhr Abendblatt

Nicht allein aufgrund des Mißerfolgs der REVUE ZU VIEREN entfremden sich die vier. Obwohl Gründgens seiner Mutter scheinbar beiläufig mitteilt: »Erika, die bestens grüßen läßt, fährt am 6. Oktober mit Klaus nach Amerika und ik bin Neese«38, ist er enttäuscht, daß sie seinen Hamlet verpassen wird, der ihm viel bedeutet. Vor allem aber reagiert er mit Unverständnis darauf, daß seine Ehefrau nicht vertragsgemäß an den Kammerspielen auf-, sondern lieber eine neunmonatige Weltreise antritt, so etwas widerspricht seinem hohen Arbeitsethos, das Erika wiederum zutiefst fremd bleibt. »Onkel G.G.«, wie ihn Klaus Mann in einem Brief an seine Schwester nun ironisch-distanziert nennt, bemüht sich, Erika von der Reise abzuhalten, die wiederum »gehässig«39 auf diesen vergeblichen Versuch reagiert. Ohnehin war es den Eheleuten auch nicht ansatzweise gelungen, ein bürgerliches Familienleben zu etablieren, wie es zumindest dem Ideal Gründgens’ entspricht, der sich nur äußerlich unkonventionell gibt, sich aber nach einem geordneten, an kleinbürgerlichen Idealen orientierten Dasein sehnt. Ein halbes Jahr nach Erikas Rückkehr wird die Ehe am 9. Januar 1929 geschieden, dennoch werden die beiden im Jahr darauf noch einmal zusammen arbeiten. 1935 wird die inzwischen ausgebürgerte und mit ihrer Kollegin Therese Giehse liierte Erika Mann ihren Ex-Mann Gustaf Gründgens bitten, ihr die Scheidungspapiere zuzuschicken, damit sie einen weiteren Ehebund eingehen kann: Um die britische Staatsbürgerschaft zu erlangen, heiratet sie den homosexuellen englischen Lyriker W. H. Auden. Ein Jahr darauf wird sich auch Gründgens ein zweites Mal vermählen, und auch bei ihm werden die Zeitläufte einen gewichtigen Grund für diesen Entschluß spielen. Die Verbindung von Gründgens zu Klaus Mann wird bis zu dessen Emigration 1933 zwar nicht abbrechen, aber distanzierter werden; 1936 wird Mann seinen Ex-Schwager zum Vorbild für den opportunistischen Karrieristen Hendrik Höfgen in seinem Exilroman MEPHISTO nehmen.

Gründgens, dem seine Ehefrau Schulden in beträchtlicher Höhe hinterlassen hat, löst nach Erikas Abreise die gemeinsame Wohnung auf und zieht gegen Ende 1927 in die Pension von Max Löffler in der Armgartstraße 22, direkt am Eilbekkanal im Norden des Stadtteils Hohenfelde, in der auch seine Kollegin Ellen Schwanneke logiert. Ist das Geld zu knapp, findet er vorübergehend Unterschlupf bei einem Freund: Erich Zacharias-Langhans40, ein halbes Jahr jünger als Gründgens, gelernter Buch- und Kunsthändler, hatte an den Kammerspielen statiert. Er lebt an der vornehmen Elbchaussee, aber recht bescheiden in einem Zimmer des Hauses Nr. 500, einem alten Kapitänshaus, das dem Ehepaar Krause gehört. Doch anders als Jan Kurzke stammt Zacharias-Langhans aus den »besseren Kreisen« des Hamburger Bürgertums: Sein Großvater, der vom Judentum zum Protestantismus konvertierte Kaufmann Adolph Nicolaus Zacharias, war Abgeordneter der Bürgerschaft, seine Großmutter, die Malerin und Schriftstellerin Maria Zacharias, geborene Langhans, Vorsitzende der Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde. Erichs 1911 verstorbener Vater Eduard Zacharias war Professor der Botanik, Direktor des Botanischen Gartens und der Botanischen Staatsinstitute in Hamburg, sein Onkel Adolf Nicolaus Zacharias jun., Senatspräsident am Hanseatischen Oberlandesgericht, gehörte einige Jahre für die Fraktion der Rechten der Hamburgischen Bürgerschaft an. Erich Zacharias-Langhans, der, bürgerlich geprägt, keineswegs bereit ist, in der besseren Hamburger Gesellschaft seine Homosexualität nach außen zu tragen, wird einer der engsten Freunde von Gründgens und von 1934 an noch eine wesentliche Rolle in seinem Leben spielen.

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