Loe raamatut: «Die Schweiz im Kalten Krieg 1945-1990», lehekülg 10

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Psychologische Kriegsführung: Gefahr für Jugend und Familie

Zur gleichen Zeit, als Huber seine schrillen Warnungen vor der roten Gefahr unters Volk und die Soldaten brachte, gab es auch differenziertere Stimmen wie den Historiker Herbert Lüthy, ein Liberaler im Geiste der Aufklärung. Er zeigte zwar Verständnis für die Empörung über die Unterdrückung des Ungarn-Aufstands 1956 oder nach dem Bau der Berliner Mauer 1961, meinte dann aber, dass sich auch die kommunistische Welt verändere, sodass «es Zeit ist, auf die Simplifikationen einer Weltschau zu verzichten, die nur Gute und Böse ohne Zwischenstufen kennen wollte». Er lehnte es ab, gegen die kommunistische Ideologie einen «Pestkordon» errichten zu wollen, und widersetzte sich dem Wunsch der öffentlichen Meinung, die diesen «Seuchenherd isolieren», die kommunistischen Länder unterschiedslos ächten und boykottieren, ihre Vertreter und Sympathisanten verfemen wollte. «Ich gestehe, dass ich mit meiner ganzen Überzeugung diese rein negative Haltung selbst dann ablehnen würde, wenn sie durchführbar wäre; sie scheint mir unvereinbar mit einer freien Gesellschaft, und vor allem sehe ich in ihr eine geistige Abdankung, einen eigentlichen Defätismus, der sich allzu schnell damit abfindet, all die Völker ihrem Schicksal und ihren Herren zu überlassen, die der Kommunismus zwar physisch unterwerfen, nicht aber geistig erobern kann.»49 Das sahen die Kalten Krieger anders. Ende der 1950er-Jahre wurde in der Presse die «psychologische Kriegsführung» zu einem Modebegriff. Neben der militärischen brauche es auch die «seelische Rüstung», forderten viele: «Unser Staat darf sich im Zeitalter der psychologischen Kriegsführung nicht mehr die Bequemlichkeit leisten, für die geistige Landesverteidigung weniger auszugeben, als ein einziger Panzer kostet!»50

Selbstverständlich befassten sich auch hohe Militärs mit der psychologischen Kriegsführung. Für Divisionär Ernst Uhlmann stand die «geistige Beeinflussung der Völker» ebenso im Zentrum der militärischen Bemühungen wie das Bekämpfen des gegnerischen Widerstandes mit Waffengewalt. «Seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist diese Beeinflussung mit raffiniertesten Mitteln zu einer Intensität gesteigert worden, die für manches Volk lebensgefährdende Auswirkungen zeitigt.» Man sei im Begriff, «einen Krieg zu verlieren, der ebenso ernst und lebensbedrohend ist wie der Krieg mit den Waffen. […] Aber man sollte doch einsehen und erkennen, dass Recht, Freiheit, Unabhängigkeit und Christentum ständig bedroht sind und dass immer neue Positionen der christlichen und freiheitlichen Welt verloren gehen, ohne dass Krieg mit Waffen geführt wird».51

Zum Zweck der geistig-seelischen Aufrüstung wurde ab 1958 den Wehrmännern zusammen mit den Militäreffekten Das Soldatenbuch als Notration abgegeben. Vorarbeiten dazu leistete der SAD, unter anderem mit einer schon 1952 publizierten Schrift zum «totalen Widerstand». Am Soldatenbuch beteiligt war auch der schillernde Oberst Albert Bachmann, dem wir noch als Verfasser des ZVB begegnen werden. Das Soldatenbuch wies auf die Gefahren der feindlichen Propaganda und einer Fünften Kolonne im Land hin, skizzierte die Bedrohungslage eines revolutionären Kriegs. Es zeigte aber auch auf, wie der Wehrmann als «vaterlandsliebender, verantwortungsvoller Bürger einerseits, als hart ausgebildeter, zur Wehrbereitschaft und Widerstandswillen entschlossener Soldat anderseits, dieser Gefahr begegnen konnte».52

Kein Bereich der Gesellschaft bleibt im revolutionären Krieg verschont. Besonders gefährdet sei die «Urzelle der Demokratie», so Hans A. Huber. «Die Kommunisten wissen sehr wohl, weshalb sie mit allen Mitteln die Familie zerstören: mit Frauenarbeit, obligatorischen Jugendverbänden, Schulungskursen ausserhalb der Arbeitszeit usw., weil dadurch die Menschen aus ihrer angestammten Gemeinschaft herausgerissen werden, womit sie ein Gefühl der Vereinsamung überfällt, das sie veranlasst, Anlehnung beim Staate und seinen Organisationen zu suchen. Deshalb wollen wir unsere Familie verteidigen.» Fast inständig bat er die Mütter, «nicht ihre Kraft in einer öffentlichen Betriebsamkeit zu verzehren und darob ihre wichtigste Aufgabe als Mutter, als Erzieherin zu vernachlässigen. Überlassen wir die öffentlichen Aufgaben den kinderlosen Frauen oder Müttern mit erwachsenen Kindern, die ihre Erziehungsaufgabe erfüllt haben und nun einen neuen Lebensinhalt suchen».53 Das traditionelle, konservative Bild der Frau und Mutter als Hüterin des Heims und emotionale Ladestation wurde in der Geistigen Landesverteidigung zementiert.

Ein psychologisch raffinierter Gegner hatte es auf die Köpfe der Jugend und anderer leicht beeinflussbarer Menschen abgesehen. Deshalb gehörte auch der Kampf gegen die «Schundliteratur» zum Arsenal der Geistigen Landesverteidiger. Pädagogisch ausgerichtete Komitees organisierten Vernichtungsaktionen für Publikationen, die sie als minderwertig und schädlich einstuften. Dafür spannten sie mitunter auch Jugendliche ein, etwa 1954, als der Verleger Friedrich Witz zusammen mit dem Landessender Beromünster einen «Kampf gegen Schundliteratur» ausfocht.54 Gefördert wurde pädagogisch wertvolle Literatur für Kinder und Jugendliche vom 1932 gegründeten Schweizerischen Jugendschriftenwerk (SJW), das 2300 Titel in einer Gesamtauflage von 50 Millionen Exemplaren verkaufte; einzelne Hefte brachten es auf eine Auflage in Millionenhöhe.

Es lohnt sich, eine dieser Publikationen, die Bruno Knobel, der auch Mitarbeiter des Nebelspalters war, unter Mithilfe der Dienststelle Heer und Haus verfasste, genauer anzusehen. Es war das einzige SJW-Heft, das sich mit der Geistigen Landesverteidigung beschäftigte. Knobel bediente sich bei seiner Schilderung der Gefahren einer geistigen Unterwanderung des ganzen Werkzeugkastens an historischen Mythen. Er schildert den Kommunismus als unsichtbaren Feind, der sich geschickt tarnt. Das Perfide gegenüber früheren Feinden sei, dass man ihn kaum mehr erkenne. «Früher kam der Feind beritten und im Harnisch und in offener Schlachtordnung. Und man wusste: Das ist der Feind; also griff man zum Morgenstern. Heute liegt der Feind oft als Illustrierte recht anmächelig aufgemacht herum und drängt sich aus den Lautsprechern und brüstet sich auf Plakaten.» In solch attraktiv aufgemachten Medienprodukten lauert die Gefahr, gegen die man sich rechtzeitig wappnen muss. «Nun weiss zwar die westliche Welt sehr gut, was ihr unter kommunistischer Herrschaft blühte: Diktatur, Terror, Verlust der politischen Rechte und der persönlichen Freiheiten.» Doch die Kommunisten strebten gar nicht an, den Westen kriegerisch zu erobern. Nein: Sie versuchen, «den Westen zu vergiften, seine Kraft zu unterhöhlen, die Stadtmauern des Westens im Bauch trojanischer Pferde zu überschreiten; kurz, den Westen mit Ideen zu verseuchen, die uns auf den ersten Blick so übel nicht scheinen, die uns aber gefährlich sind». Deshalb gilt: «Der Kampf gegen fremdes, in ein harmloses Mäntelchen gepacktes, gefährliches Ideengut ist heute tagtäglich zu führen.» Die in allen freien Staaten tätigen Filialen des Weltkommunismus würden überall wühlen, Unzufriedenheit und Verwirrung stiften, Angst verbreiten, um schliesslich die Regierungsmacht zu übernehmen. Dieser Kalte Krieg finde überall statt, auch bei uns. «Auch diese Kommunisten-Schweizer arbeiten darauf hin, dass wir alle unfrei, menschenunwürdig in einem grossen Gefängnis leben. Es ist schwer zu verstehen, weshalb sie es tun. Aber sie tun es!» Knobel steigert die Dramatik bis zum Unausweichlichen: «Unaufhaltsam nähert sich diese kommunistische Walze den freien Nationen, und unaufhaltsam nagen die Kommunisten an diesen noch freien Nationen.» Angesichts dieser Gefahr sei es unbegreiflich, so schliesst sich der Bogen, dass es Schweizer Bürger gebe, die die «Illustrierten-Probleme», also Klatsch und Tratsch, was Knobel mit Schlagzeilen und Bildunterschriften dokumentiert, wichtiger nähmen als die «Aufgaben des Staatsbürgers».55 Wer also «Schundliteratur» konsumiert, so Knobels Schlussfolgerung, schwäche Geist und Charakter und werde anfällig für die Versuchungen des Kommunismus.

Knobels Pamphlet zeigt im Stil einer Meistererzählung, wie es möglich ist, im Kalten Krieg mit Intelligenz gegen einen unsichtbaren Feind zu kämpfen und ihn zu besiegen. Die Schweizerische Lehrer-Zeitung (SLZ) appellierte dringend an die Lehrerschaft, das Heft zu thematisieren. Es sei frei von «Hurrapatriotismus oder säbelrasselndem Militarismus» und getragen von der «ehrlichen Sorge» um die Eigenständigkeit der Schweiz. Da der «fremde Einfluss» stark sei, solle alles getan werden, um der Jugend die «wesentlichen Werte» vor Augen zu führen. Die SLZ stellte den Inhalt als wertfrei dar, was eine völlige Augenwischerei war. Es gibt wenige Beispiele dafür, wie die Schweizer Jugend so explizit auf die Werte der Geistigen Landesverteidigung eingeschworen wurde. Unumstritten war das Werk nicht. Die Gewerkschaft Kultur, Erziehung und Wissenschaft (GKEW) bezeichnete es als «staatliche Indoktrination».56

Die Förderung pädagogisch aufbauender Literatur hatte auch die 1960 gegründete Stiftung Jugendkiosk zum Ziel. Der Stiftung gehörten Vertreter der drei Landeskirchen, des Schweizerischen Lehrervereins und des Bundes für Jugendliteratur an. Ein Stab von «Fachleuten» leistete jährlich 5000 Stunden Lesearbeit, um pädagogisch wertvolle Literatur zu selektionieren. Diese Geistesarbeit resultierte in 200 fahrbaren Ausstellungswänden mit über 30 000 Büchern und bis zu 700 Ausstellungen pro Jahr.57

Die Schule hatte einen wichtigen Beitrag zur Geistigen Landesverteidigung zu leisten. Das orientierende Narrativ bis in die 1970er-Jahre hinein war der gerechte Kampf gegen eine feindliche Aussenwelt, die Betonung einer Befreiungstradition, das Fortschreiben von mittelalterlichen Heldensagen bis zur Heroisierung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Die wehrhafte Schweiz war eine dominierende Konstante in den Schweizer Schulbüchern. Als Illustration dieses Narrativs dienten Heldengeschichten, die Taten von grossen Männern. Die Aufgabe der Schule formulierte 1949 Emil Spiess in der Zeitschrift Schweizer Schule so: «Das vornehmste der praktischen Ziele der Geschichte ist bei der Jugend die Erziehung zum Heldischen. Helden haben im Sturm unser Staatsgebäude errichtet. Nur Helden haben es aufrecht erhalten. Die allerletzten Jahre haben uns wieder gezeigt, dass wir als kleines Volk ganz auf uns selbst angewiesen sind. Es wird uns niemand helfen! Diese Erziehung dringt auf Abhärtung im Willen zu Opfer und Entbehrung. An dieser geistigen Landeswehr muss mit aller Entschlossenheit gearbeitet werden. […] Für künftige Gefahren steht nur ein Volk von Helden gerüstet da, eine Generation, die von den modernen Genussmitteln noch nicht zerrüttet ist.»58

Den Unterricht in den Schulen in den Dienst der Geistigen Landesverteidigung zu stellen, war eine zentrale Forderung der langen 1950er-Jahre. Die Jugend sollte dazu erzogen werden, den Kampf gegen den Kommunismus zu führen.59 Es galt, die «typisch» schweizerischen Werte zu stärken, also die Heimatliebe und die Treue zur Schweiz. Zu diesem Inventar gehörten auch die Pflege der Mundart, Schweizer Sagen, Redewendungen oder Lieder. In Jugendschriften wie jenen des SJW wurde das Bild einer heilen Schweiz mit ihren Traditionen und Kulturgütern perpetuiert. Die «heldhaften» Kämpfe der Eidgenossen gegen die Habsburger und Burgunder wurden als «typische» Kämpfe für Freiheit und Unabhängigkeit dargestellt, so wie sich diese Heldentaten auch in der Abwehr der faschistischen und nationalsozialistischen Bedrohung fortsetzten. An diesen Vorbildern sollte sich die Jugend auch in der Abwehr der kommunistischen Bedrohung messen. Als besonders wertvolles Vorbild bis zu seiner Dekonstruktion in den 1970er-Jahren galt Wilhelm Tell, dieses Symbol des Freiheitswillens, der eine Sonderstellung einnahm und während der Geistigen Landesverteidigung instrumentalisiert wurde wie keine andere Figur. Aufführungen von Wilhelm Tell waren Pflichtstoff, der Ausspruch «Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern» wurde Teil des kulturellen Gedächtnisses.60

Sexuelle Reize, durch Zeitschriften und Filme verbreitet, galten als eine der grössten Gefahren für die Jugend. Davor warnte die Broschüre Führung oder Verführung. «Eine körperlich frühreife Jugend, die man ständig zu sexuellem Ausleben aufreizt und gleichzeitig seelisch verhungern lässt, stürzt sich als Ersatz in übersteigerten Genuss von Nikotin und Alkohol und droht sogar, der Sklaverei des Rauschgiftes und dem Verbrechertum zu verfallen.» Was dann, so fragt sich der Autor, «wenn die Stunde der Bewährung an das Volk herantritt?». Sei ein Volk dann noch bereit, «Ideale zu verteidigen und sich für seine Jugend, seine Familien und sein Vaterland einzusetzen?». Es sei «geschichtlich unleugbar, dass eine bindungslose Wohlstandsgesellschaft zum Sittenzerfall eines Volkes führt».61

Eine weitere Gefahr für die schweizerische Gesinnung drohte von der 1959 auf den Markt gekommenen Boulevardzeitung Blick. Der SAD brachte sich in Stellung gegen dieses «widerliche Gemeinschaftsprodukt von deutschen sowie von solchen Schweizer Verlegern und Redaktoren», welche «sich der Pflichten verantwortlicher Staatsbürger zu wenig bewusst sind». Er erwartete sofortige Massnahmen gegen diese «zersetzende Erscheinung».62 Gegen die Anwürfe des SAD konterte der Blick, indem er gross ein Bild von Hans A. Huber mit der Schlagzeile «Dieser Mann hasst Blick» brachte und süffisant meinte, der Blick und seine Redaktoren übten Nachsicht mit einem Mann, der «offensichtlich jedes Mass verloren» habe. Blick unterstellte Verleger Huber Konkurrenzneid.63 Sekundiert wurde Huber vom damaligen BGB-Nationalrat Rudolf Gnägi, dem späteren Chef des EMD, der den Bundesrat interpellierte. «Was hält der Bundesrat von der neuen Zeitung Blick besonders im Hinblick auf die geistige Landesverteidigung?» Worauf der Bundesrat ganz im Sinne des Fragestellers antwortete, dass nämlich der Blick «zweifellos gesunder schweizerischer Pressetradition widerspreche und auf die geistige Haltung und Widerstandskraft der Schweizer Leser keinen günstigen Einfluss ausüben werde».64 Der Blick drehte den Spiess um und fragte rhetorisch den Bundesrat, was «denn der Bundesrat bisher gegen die wirkliche Schundliteratur, gegen kommunistische oder faschistische Schriften oder gegen pornographische Publikationen» getan habe.65 Als Strafmassnahme strich der Bund dem Verlagshaus Ringier als Herausgeber des Blick einen Auftrag für den Druck von Telefonbüchern.66 Auch zwei Jahre nach Erscheinen boykottierte der Bundesrat den Blick noch immer, indem er gegenüber den Blick-Journalisten eine Informationssperre verhängte.67

Drei Jahre später warnte Hans A. Huber in seiner Broschüre über den revolutionären Krieg erneut vor dem Einfluss von Boulevardmedien und appellierte dabei ans Verantwortungsbewusstsein der Journalisten. Es sei eine Schande und Gefahr, dass «massenhaft ausländische Sensationsliteratur gekauft wird und dass wir in jüngster Zeit sogar ein eigenes Sensationsblatt besitzen. Mit derartigen zweifelhaften Presseerzeugnissen werden die niedrigsten Instinkte geweckt. Die tägliche Jagd nach Sensationen wirkt aufreizend, zersetzend im Sinne unseres Gegners. Wer täglich Sensationen und Schlagworte als geistige Nahrung aufnimmt, wird denkfaul und damit anfällig für die Propagandaschlagworte unseres Gegners im revolutionären Krieg».68

Dass katholische Kreise in «Schundliteratur» eine Gefahr sahen, ist selbstevident. Die katholische Winterthurer Zeitung Hochwacht referierte einen Vortrag des Advokaten Bernhard Schnyder über den psychologischen Krieg und plädierte für eine Zensur: «An zuständiger Stelle sollte dafür gesorgt werden, dass eine unsere Jugend moralisch verderbende Kioskliteratur baldmöglichst verschwindet, bzw. einer Zensur unterworfen wird, wie dies bei den Kinos bereits geschieht, und mit Büchern und Zeitschriften ersetzt wird, vor denen ein anständiger Mensch nicht zu erröten braucht.»69 Interessanterweise wurde «Schundliteratur» auch in der DDR bekämpft. Sie warf dem Westen vor, diese in den Dienst der Aufrüstung zu stellen.70

«Koexistenz-Propaganda» in Locarno

Spätestens seit die Nazis den Film effektvoll und manipulativ eingesetzt hatten, wusste man um die Suggestivwirkung dieses Mediums. Auch die antikommunistische Propaganda machte davon Gebrauch. Ende 1959, Anfang 1960 lief in verschiedenen Schweizer Städten der Film Völker hört die Signale, der die Geschichte des Kommunismus und seine Methoden darstellte. Der Film, den Tausende sahen, wurde von der bürgerlichen Presse als beeindruckende Mahnung charakterisiert. Umgekehrt sollte das Publikum Filme aus Ostblockstaaten nicht zu sehen bekommen. Denn die Gefahren, die von manipulativen Filmen aus dem Osten drohten, wurden als erheblich eingeschätzt. Die Abteilung Heer und Haus führte 1959 eine Studie über die Methoden der psychologischen Kriegsführung durch und stellte dabei fest, dass der Film zu jenen Instrumenten gehöre, die die potenziellen Feinde «vornehmlich in Friedenszeiten mit Wirkung auf lange Sicht einsetzen», wie die Zürichsee-Zeitung berichtete.71 Handeln war angesagt. Auf Initiative der Liberalen Studentenschaft bildete sich ein schweizerisches Komitee für Filmbegutachtung, in dessen Patronatskomitee unter anderem auch die Sozialdemokraten Hans Oprecht und Fritz König sassen und natürlich auch der omnipräsente Hans A. Huber. Sie waren der Überzeugung, «dass der Film eine grosse Rolle spielt in den Auseinandersetzungen, die heute die Welt bewegen, so insbesondere im Kampf zwischen Kommunismus und freiheitlicher Demokratie».72 Als Gegengift gegen Filme aus dem Osten propagierte die Zürichsee-Zeitung die Förderung des einheimischen Filmschaffens. Es gelte, «die Filmkultur aus ihrer Krise herauszuführen und durch eine ebenso massvolle wie klug gezielte Unterstützung die Schaffung national und ethisch bedeutsamer Schweizer Filme zu ermöglichen, die wir zur Erhaltung und Kultivierung unserer Eigenart nicht entbehren können».73

Ein stetes Ärgernis war für bürgerliche Besucher das Filmfestival in Locarno. Der freisinnige Luzerner Nationalrat Kurt Bucher stiess sich am Programm – ohne dass er es offenbar gesehen hatte – und reichte 1957 eine Kleine Anfrage im Parlament ein. «Es wurde darauf hingewiesen, dass im Programm des Festivals in Locarno Filme aus den kommunistischen Oststaaten eine Hauptrolle gespielt haben, und dass Beiprogramm-Filme aus den Ostblockstaaten sogar zum Nachteil schweizerischer Dokumentarfilme privilegiert wurden.» Deshalb hätten «unabhängige, aber massgebende Kritiker» verschiedene der in Locarno gezeigten Streifen als «unannehmbare Zumutungen kommunistischer Koexistenz-Propaganda bezeichnet». Der Bundesrat, so Buchers Forderung, solle dafür sorgen, dass das Festival nicht mehr «als Podium für eine kommunistische Kultur- und Koexistenz-Propaganda missbraucht werden kann».74 Ins gleiche Horn stiess der Winterthurer Landbote, der es höchst befremdlich fand, «dass hier, auf Schweizer Boden, schon wieder so eifrig Koexistenzwerbung betrieben wird».75 Vier Jahre später löste das Festival wieder einen antikommunistischen Wellenschlag aus – auch bei der sozialdemokratischen Tagwacht. «Nach welchen Gesichtspunkten werden eigentlich die Jury-Mitglieder bezeichnet, und muss es so sein, dass weltbekannte linksextreme Persönlichkeiten unter anderen darin sitzen? […] Der Eindruck war demnach gesamthaft – wie schon früher etwa –, dass man in Locarno gegenüber dem Osten sehr grosszügig und verständnisvoll war.»76 Und die Zürichsee-Zeitung: «Aber auch dieses Jahr wird das Locarneser Festival […] seinem zweifelhaften Ruf, ein Podium extremster ‹Koexistenz› zu sein, treu bleiben. Von den Nationen, die sich mit Spielfilmen beteiligen, wird genau ein Drittel kommunistisch regiert.»77 Zu diesen hysterischen Kommentaren passt am besten von Salis Bemerkung: «Die Frage lautet, warum die Schweiz die Beurteilung von russischen Filmen nicht einfach dem Publikum und der Filmkritik überlassen kann. […] Man hat nie gehört, dass zur Zeit des Tausendjährigen Reichs Furtwängler und seinen Philharmonikern die Tonhalle verboten wurde.»78