Loe raamatut: «Die onlinebasierte Anbahnung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes», lehekülg 6

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IV. Der digitale Raum

Eine Grundbedingung des Phänomens Cybergrooming ist, dass die Vorgehensweise in irgendeiner Form (auch) über das Internet stattfindet. Dabei ist nicht jeder Bereich von Relevanz. Der Bereich muss einerseits tatsächlich von Kindern bzw. Minderjährigen genutzt werden, andererseits muss die Möglichkeit bestehen, mit ihnen in irgendeiner Form in Kontakt zu treten, zu kommunizieren und zu interagieren. Daher erscheint es notwendig, zunächst die für das Phänomen relevanten Grundmechanismen des digitalen Raumes zu erörtern, um dann näher auf die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen einzugehen.

IV.1 Entwicklung des digitalen Raumes

Der digitale Raum befindet sich seit etwa 30 Jahren in einem stetigen Wandlungs- und Entwicklungsprozess. Die ersten Versuche mit dem digitalen Austausch von Informationen gab es bereits 1962 mit der Entwicklung eines Systems der „Advanced Research Project Agency“ (ARPA) – dem „Arpanet“194. Dieses Vorgängersystem des heutigen World Wide Web sollte zunächst nur dem akademischen Bereich in Verzahnung mit militärischen Institutionen als Kommunikationsmöglichkeit dienen. Eine Nutzung durch Privatanwender war damals noch nicht absehbar195. Ab 1993 wurde dann die Vernetzung der Informationen für Privatanwender durch die Freigabe des World Wide Web und die ersten grafischen Web-Browser mit Einbindung von Medieninhalten durch CERN möglich196. Das frühe WWW war überwiegend geprägt von Informationsaufnahme: Der Nutzer konnte Daten oder Medien suchen und finden. Dennoch kam es bereits in den Anfangsjahren zu digitalen Kommunikationen – Chat-Gesprächen – zwischen den Nutzern. Nachdem bereits 1988 ein Protokoll zur Live-Kommunikation mehrerer Menschen über den digitalen Raum (sog. „Relay Chats“) entwickelte wurde, entstanden die ersten regulären Chat-Räume. Diese Chats zeichnete bereits ein bis heute immer wieder thematisiertes Merkmal der Internetnutzung aus – das Gefühl einer sehr weitgehenden Anonymität197. Später wurden daraus die „Internet Relay Chats“ (IRCs), die insbesondere im Zusammenhang mit der anonymen Kommunikation über Proxy Server im Darknet genutzt werden198.

Etwa ab 2000 begannen sich die Nutzungsangebote und damit einhergehend auch das Nutzungsverhalten strukturell zu verändern. Dieser Entwicklungsprozess wird oft mit dem Schlagwort „Web 2.0“ verbunden199. Das „2.0“ lehnt sich an die typischen Versionsnummern von Computerprogrammen an, wobei eine neue Ziffer vor dem Punkt stets eine markante neue Version spricht200. Damit sollte ein Neuaufbruch im digitalen Raum begrifflich werden, der zunächst nur für den Wirtschaftssektor stehen sollte, sich aber letztlich verallgemeinernd über die Netznutzung gelegt hat201. Hierbei kann Web 2.0 nicht technisch so beschrieben werden, „[…] dass Internetauftritte so gestalten werden, dass ihre Erscheinungsweise in einem wesentlichen Sinne durch die Partizipation ihrer Nutzer (mit-)bestimmt wird“202. Die Attraktivität entsprechender Internetauftritten hängt demgemäß maßgeblich davon ab, dass ihre Nutzer die Gestaltung durch Textbeiträge, aber auch das Bereitstellen eigener Medien aktiv mitgestalten. Diese Mitgestaltung wird oft unter dem Begriff des „user generated content“ erfasst203. Das Aufkommen der ersten großen Online-Netzwerke – also Plattformen, die auf eine besondere Vernetzung der Nutzer untereinander setzten, darunter Myspace (2002), LinkedIn (2003) und 2004 bereits Facebook – verstärkte diesen Trend. Auch sonst setzten immer mehr Webseiten auf die Attraktivität der User-Interaktion. Dabei begann sich für diese Webseiten – auch bedingt durch ihre Vielfältigkeit in den Erscheinungsformen – ein neuer Oberbegriff herauszubilden: „Social Media“ bzw. „Soziale Medien“204. Hierunter können alle Onlineangebote verstanden werden, die eine Interaktion oder Kommunikation unter Nutzern ermöglichen205. Schmidt und Taddicken weisen darauf hin, dass die Verwendung von „social“ oder „sozial“ vor „Medien“ an sich redundant sei, da alle Medien sozial seien206. Der Begriff „Soziale Medien“ konnte sich gegenüber „Soziale Netzwerke“ durchsetzen, da nicht alle Webseiten, die auf eine soziale Interaktion zwischen Nutzern setzen, auch per se eine langfristige Vernetzung erfordern. Der Begriff des Netzwerkes erscheint also als unnötige Einschränkung, denn das Kennzeichen Sozialer Medien – die Möglichkeit einer onlinebasierten sozialen Interaktion oder Kommunikation mit anderen Personen – ist in den unterschiedlichsten Webseiten bzw. Programmen zu finden207. Neben den klassischen Sozialen Netzwerken, Chat-Räumen und Foren haben sich in den letzten Jahren auch Blogs und Messengers etablieren können, wobei im letzten Bereich aktuell WhatsApp mit einer Nutzerzahl von monatlich annähernd 1,5 Milliarden208 Menschen heraussticht.

Bereits 1997 startete mit Ultima Online eines der ersten sog. „Massively Multiplayer Online Roleplaying Games“ (MMORPGs): Spiele, die nicht mehr gegen den Computer, sondern gegen und mit anderen Spieler, oft auf der gesamten Welt, gespielt werden, was auch mehr Menschen zu diesem Spielen bewegt hat209. Nach 2000 etablierten sich zudem onlinefähige Smartphones und Tablets. Mit diesen Geräten wurden Formen von interaktiven Programmen wie Messengers – etwa WhatsApp oder auch Kik –, aber auch weitere soziale Netzwerke beispielsweise Instagram, Snapchat oder auch Tumblr beliebt210. Eine generelle Besonderheit ist, dass eine Vielzahl der Programme bzw. Webseiten bis heute kostenfrei angeboten werden, mit Ausnahmen v. a. im Gaming-Bereich211.

Im digitalen Raum zeichnet sich eine Art Generationenbruch bei der Akzeptanz und Nutzung Sozialer Medien ab. Nach der JIM Studie 2017 kommunizieren 94 Prozent der 12- bis 19-Jährigen über WhatsApp, 57 Prozent nutzen Instagram, 49 Prozent Snapchat und lediglich 25 Prozent nutzen mehrmals die Woche Facebook und nur 9 Prozent Twitter212. Ähnliche Ergebnisse liefert auch der Social Media Atlas, nachdem 98 Prozent der 14- bis 19-Jährigen WhatsApp nutzen, 84 Prozent Instagram und 82 Prozent Snapchat213. Hingegen nutzen nur 61 Prozent dieser Altersgruppe Facebook, verglichen mit 89 Prozent der 20- bis 29-Jährigen und 84 Prozent der 30- bis 39-Jährigen. Diese Altersgruppen nutzen dagegen seltener Instagram (lediglich 58 Prozent der 20- bis 29-Jährigen und 39 Prozent der 30- bis 39-Jährigen) und Snapchat (39 Prozent der 20- bis 29-Jährigen und 22 Prozent der 30- bis 39-Jährigen)214. Es zeigt sich also der Trend, das v. a. jüngere Menschen Instagram und Snapchat nutzen, ältere dagegen Facebook als primäre Plattform nutzen. Es gibt aber auch Überschneidungen dieser Altersgruppen. So weist neben WhatsApp YouTube eine gleichmäßige Altersverteilung auf. Der Nutzungswert bei den drei zitierten Altersgruppen lag bei YouTube zwischen 100 und 86 Prozent Nutzung und bei WhatsApp zwischen 81 und 98 Prozent215.

Obwohl all diese Programme mehr oder wenig starke Unterschiede in der Gestaltung und dem Design aufweisen, bieten sie alle weitestgehend die Möglichkeit einer – teilweise auch anonymen – Kommunikation zwischen den Nutzern, sei es in Form von verbaler, schriftlicher oder multimodaler Interaktion216, auch mit Webcams. Dementsprechend sind sie alle mögliche Viktimisierungsorte bei Cybergrooming-Delikten. Da alle Formen Sozialer Medien für die Betrachtung relevant sind, sollen sie nun näher betrachtet werden.

IV.1.1 Soziale Netzwerke

Das primäre Kennzeichen Sozialer Netzwerke ist eine vertiefende Möglichkeit der langfristigen Vernetzung und der damit einhergehenden Interaktion der Nutzer untereinander217. Dies steht im Kontrast beispielsweise zu klassischen Chat-Räumen, die nicht per se auf eine Vernetzung der Nutzer setzen, sondern auf die Kurzfristigkeit der Kommunikation. Diese Vernetzung geschieht typischerweise durch eine direkte Online-Kontaktaufnahme zwischen den Nutzern. Facebook als aktuell prototypisches Soziales Netzwerk erfordert zwar originär die Kontaktaufnahme über eine sog. Freundschaftsanfrage, jedoch kann der Nutzer selbst durch Privatsphäre-Einstellungen bestimmen, welche seiner Beiträge für Fremde sichtbar sind. Als Alternative gibt es seit 2011218 die Möglichkeit, durch das Abonnieren den öffentlich geposteten Inhalten von Nutzern zu folgen, ohne eine Freundschaftsanfrage tätigen zu müssen und wenn diese Nutzer das anbieten219. Dies geschieht prinzipiell ähnlich wie bei Twitter220; dort ist keine primäre Vernetzung über eine Freundschaftsanfrage o. Ä. vorgesehen221. Auf Twitter ist die Grundfunktion, einzelnen Nutzern zu folgen, sodass eine Chance besteht, dass deren Statusnachrichten („Tweets“) in der eigenen angezeigten Timeline erscheinen.

Nur wenn ein Nutzer sein Profil auf privat gestellt hat, ist eine vergleichbare Freundschaftsanfrage notwendig, die durch den Angefragten bestätigt werden muss. Eine besondere Beachtung hat Twitter dadurch erfahren, dass Donald Trump im Rahmen seines Wahlkampfes und auch in der Präsidentschaft Twitter als primäres Medium nutzt222. Dies hat für Aufsehen gesorgt, da sich die reinen Nutzungszahlen der beiden Programme massiv unterscheiden. So sollen in Deutschland 20,5 Mio. Menschen Facebook monatlich nutzen, aber lediglich 1,6 Mio. Twitter223. Diese Differenz zeigte sich auch in einer weiteren Studie: 33 Prozent der Gesamtbevölkerung über 14 Jahre nutzten Facebook 2017 zumindest wöchentlich, aber lediglich 3 Prozent Twitter224. Weltweit soll Facebook knapp 2 Milliarden Nutzer haben225, Twitter lediglich 330 Mio.226.

Twitter und Facebook unterscheiden sich noch in einem weiteren wesentlichen Punkt. Bei Facebook können Postings im Prinzip beliebig lange sein. Bei Twitter gab es zunächst eine Zeichenbegrenzung auf 140 Zeichen, die dann 2017 auf 280 Zeichen verdoppelt wurde227. Twitter ist daher nicht auf eine allzu intensive Diskussionskultur – im Sinne von langen einzelnen Postings – zwischen „Tweeter“ und Lesenden ausgelegt, sondern eher auf schnelle und kurze Diskussionen. Dies steht ganz im Gegensatz zu Facebook, das durch seine Struktur das gegenseitige Kommentieren und damit die intensive Diskussion in den Fokus stelle228. Dennoch stellt Twitter eine wichtige Plattform für Debatten durch das „Retweeten“ von Tweets dar229. Neben Facebook und Twitter hat sich eine Vielzahl diverser Sozialer Netzwerke mit differenten Schwerpunkten etablieren können. Neben Business-Netzwerken wie Xing230 und LinkedIn231 gibt es auch reine Plattformen für die Vernetzung von Akademikern wie ResearchGate232 oder Academia233. Auch sog. Flirtplattformen wie Tinder234 oder Lavoo235 gehören zu den Sozialen Netzwerken, da sie ebenfalls Austausch und Vernetzung der Nutzer untereinander und das Teilen und Verbreiten von Medien ermöglichen.

Obwohl durch ihre Kommunikationsmöglichkeiten alle Sozialen Netzwerke das Risiko einer Kontaktaufnahme von Tätern mit Kindern beherbergen, sind fast ausschließlich Gerichtsverhandlungen zu Fällen mit Facebook recherchierbar236. Dies kann verschiedene Hintergründe haben. Einerseits kann es schlicht an einer zeitlichen Komponente liegen: Ein recherchierbares Gerichtsverfahren spiegelt so gut wie nie ein aktuelles Geschehen wider, vielmehr liegt nach der Tat ein oft nicht unerheblicher Zeitraum. Hier könnten Nutzungsentwicklungen schlicht noch nicht abgebildet sein. Andererseits mag dies auch daran liegen, dass die Zielgruppe der Täter unter den klassischen Sozialen Netzwerken aktuell am ehesten in signifikanter Menge auf Facebook anzutreffen ist: 2017 gaben 15 Prozent der Jugendlichen von 13–17 Jahren Facebook und nur 4 Prozent Twitter als eine relevante Plattform an237. Zum Vergleich YouTube wurde von 62 Prozent, WhatsApp von 40 Prozent und Instagram von insgesamt 27 Prozent als relevant eingestuft238. Von Kindern in der Altersgruppe von 6–11 Jahren wird Twitter überhaupt nicht angegeben und Facebook wird nur von ca. 9 Prozent der Kinder als relevant eingestuft239. Andererseits muss bei der Relevanz von Facebook für Cybergrooming bedacht werden, dass durch die Verwendung von Profilbildern sowie die Möglichkeit der Nutzung des Facebook Messengers Tätern eine relativ leichte Anbahnung ermöglicht wird. Denn damit vereint Facebook die Möglichkeiten der Anbahnungs- und Missbrauchsplattform in sich, was die Plattform auch zukünftig für Täter weiterhin interessant macht. Mittlerweile werden jedoch auch vermehrt Presseberichte über Cybergrooming-Sachverhalte, die über Instagram angebahnt wurden, veröffentlicht240. Beispielhaft wurde durch das Landgericht Stralsund ein 41 Jahre alter Täter verurteilt, der sich gezielt als 13 Jahre altes Mädchen ausgegeben hat, um so Kinder über Instagram und Whatsapp anzusprechen und in der Folge pornografische Medien auszutauschen241. Dies könnte darauf hindeuten, dass aufgrund der hohen Attraktivität von Instagram bei Jugendlichen und Kindern – die noch detaillierter erörtert wird – Facebook auch perspektivisch als primärer Ort der genannten Viktimisierung beispielsweise in Gerichtsverfahren abgelöst werden könnte.

IV.1.2 Messenger und Chat-Räume

Instant-Messenger sind Soziale Medien, die in überwiegender Form als Kommunikationsmedium auf Smartphones verwendet werden und dabei auf eine geschlossene bzw. halbgeschlossene Kommunikationsgruppe setzen242. Im Gegensatz zu klassischen Sozialen Netzwerken, die typischerweise auch eine Möglichkeit zum Austausch von direkten Nachrichten zwischen Nutzern bieten, stehen bei Messenger weniger die Vernetzung und das Verfolgen von Aktivitäten anderer Nutzer im Mittelpunkt der Nutzung. Vielmehr ist der Kernaspekt von Messenger der Austausch von Informationen, aber auch Mediendateien, wie Bildern und Videos, zwischen zwei Nutzern oder im Rahmen kleinerer Gruppen243. Bedingt durch die i. d. R. kostenfreie Versendung von Nachrichten hat die Etablierung von Messengern die Nutzung von SMS und MMS zurückgedrängt.244 Das hat auch Einfluss auf das Cybergrooming, da entsprechende Nachrichten zunehmend über Messenger verschickt werden245. Dabei werden Nachrichten und Medien wie im Internet üblich unabhängig davon übertragen, ob der jeweilige Empfänger zu dem Gesprächszeitpunkt auch online ist. Typischerweise müssen sich die Nutzer kennen, um miteinander zu kommunizieren, beispielsweise bei WhatsApp über die Handy-Nummer. Dies stellt einen zumindest theoretischen Unterschied zu klassischen Chaträumen dar, wo die Anmeldung oft lediglich einen Nutzernamen braucht246. Eine höhere Anmeldungsstufe stellt die Angabe einer E-Mail-Adresse dar247. Dies kann in den Chat-Räumen dazu führen, dass sich viele Nutzer immer wieder mit einem neuen Namen bzw. neuen Zugangsdaten anmelden. Insbesondere die Flüchtigkeit des Anmeldeprozesses steht im Kontrast zu Instant-Messengern wie WhatsApp248 (Handynummer) oder z. B.

KakaoTalk249 (verifizierte Handynummer). Es gibt auch Mischformen zwischen Messengern und Chat-Räumen. So ist es mittlerweile möglich Skype auch auf Smartphones mobil zu nutzen, wobei die Möglichkeit einer Live-Videoübertragung besteht250. Der bei Jugendlichen beliebte Kik Messenger251, den bereits Ende 2015 immerhin ca. 40 Prozent in den USA nutzten252, setzt beispielsweise auf eine Vermischung: Zur Anmeldung benötigt der Nutzer, im Gegensatz zu WhatsApp, nicht nochmals die Angabe einer Mobilfunknummer. Für die Kontaktaufnahme mit anderen Nutzern reicht zudem, wie bei klassischen Chat-Räumen, ein freigewählter Nutzername und eine E-Mail-Adresse. Die Funktionsweise unterscheidet sich dann nur in Nuancen von WhatsApp, wobei Kik Messenger einen eigenen Browser aufweist. Die Übergänge zwischen Chat-Räumen und Messenger, v. a. auf demselben Endgerät wie einem Smartphone, sind fließend und nicht immer klar bestimmbar. Die Gemeinsamkeit liegt zunächst darin, dass beide Formen die Möglichkeit des schnellen und unkomplizierten Austauschs von Nachrichten, Bildern und Videos bieten. Messenger können auch je nach Vorgehen bei der Anmeldung das Gefühl einer relativ anonymen Kommunikationsmöglichkeit zwischen unbekannten Nutzern eröffnen253. Die Nutzerzahlen, v. a. von WhatsApp, zeigen die Relevanz der Messenger auch in Deutschland. So stieg der Anteil der Gesamtbevölkerung ab 14 Jahren in Deutschland, die WhatsApp zumindest wöchentlich nutzen, von 58 Prozent im Jahr 2016 auf 64 Prozent 2017254. Trotz der grundlegenden Schwäche, dass typischerweise Täter über Messenger nur auf in irgendeiner Form bereits bekannte Kinder bzw. Handynummern einwirken können, verdeutlichen die Nutzerzahlen und auch die leichte Möglichkeit von Videolivestreams und Medienaustausch die Relevanz für Cybergrooming. Anders liegt die Lage wiederum bei Chatrooms, die in den letzten Jahren offenbar an Relevanz verloren haben und gleichzeitig nicht die Möglichkeit des direkten Austausches von Medien ermöglichen. Diese können von Tätern daher nur für das Einwirken auf ein Treffen genutzt werden. Geht es dem Cybergroomer dagegen um einen Missbrauch durch digitale Medien, muss er auf andere Soziale Medien überleiten.

IV.1.3 Video- und Bildplattformen

In den letzten Jahren hat sich eine Kommunikationsform über Medien wie Bilder und Videos im Netz etablieren können, die eine besondere Bedeutung für Cybergrooming hat. Mit Ausnahme von Onlinegames existiert kaum noch eine Form von Sozialen Medien, die nicht in irgendeiner Form die Möglichkeit des Teilens und Verbreitens von Medien oder sogar von Videolivestreams beinhaltet. Dabei ist die steigende Verbreitung dieser Plattformen eine folgerichtige Entwicklung der steigenden Verbreitung von Smartphones. War es vor deren Verbreitung ein eher aufwendiges Unterfangen, eigene Bilder im Internet hochzuladen, meist mit mehreren Zwischenschritten, vereinfachte die Kombination aus integrierter Kamera und Internetanbindung diesen Prozess ungemein. Hierbei haben sich einige relevante Plattformen herausgebildet. Im Videobereich ist YouTube die dominierende Plattform. So sollen sich 2013 bereits 1 Milliarde Menschen monatlich eingeloggt haben und annähernd 1,5 Milliarden im Jahr 2017255. Bei den Bilderplattformen sind Instagram und Snapchat aktuell die beliebtesten Plattformen. Sie stellen, ähnlich wie YouTube, nicht das geschriebene Wort in den Mittelpunkt, sondern Bilder oder Videos, die Nutzer hochladen, kommentieren und mit Likes u. a. bewerten können. Snapchat, das 2011 online ging, war zunächst eine der wenigen Plattformen, die Nutzern versprachen, Medien so versenden zu können, dass sie beim Empfänger nur für eine vorgegebene Zeit vorhanden sind256. Daher bekam es relativ schnell den Ruf einer Sexting App, also einer Plattform für vorwiegend eigenproduzierte Nackt- und Erotikbilder sowie erotischer Nachrichten (sog. Sexts257) zur sexuellen Stimulanz anderer Personen258. Das im Jahr 2010 gegründete Instagram hat mittlerweile ähnliche Funktionen wie Snapchat und beginnt es zu verdrängen259. Instagram hatte im September 2013 lediglich 150 Mio. Nutzer, schaffte es aber die Nutzerzahlen bis September 2017 auf 800 Mio. fast zu verfünffachen260. Snapchat kam im selben Zeitraum bis 2017 auf lediglich 173 Mio. Nutzer weltweit261. In Deutschland nutzen einer Studie zufolge 9 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren mindestens wöchentlich Instagram und sechs Prozent Snapchat262. Eine weitere relevante Plattform stellte bis August 2018 die App Musical.ly da. Diese soll zeitweise fast 250 Mio. Nutzer weltweit263 und 8,5 Mio. Nutzer in Deutschland gehabt haben264. Bei Musical.ly nahmen die Nutzer kleine 15-sekündige Karaokeclips auf, die von anderen Nutzern bewertet werden konnten. Aufgrund von Berichten von Jugendschützern über massive sexuelle Übergriffe auf Kinder265 in der Form, dass Kinder sexuell angesprochen wurden, wurde die App mit dem Programm TikTok fusioniert266. Die wesentlichen Mechanismen, die zu den Übergriffen geführt hatten, blieben allerdings gleich.

Alle diese Programme haben für die Cybergrooming-Begehungsweise eine besondere Bedeutung. Einerseits sind sie v. a. bei jungen Menschen beliebt, was sie für die T atbegehung durch klassische Täter relevant erscheinen lässt. Andererseits erhöht dies auch die Wahrscheinlichkeit von sexuellen Handlungen, auch Missbrauchshandlungen zwischen Gleichaltrigen. Eine Entwicklung, die sich, wie noch zu zeigen sein wird, tatsächlich bereits nachvollziehen lässt. Bedingt durch den Trend, sich auch im digitalen Raum selbst zu präsentieren, ist es zudem relativ einfach Kontakt zu einem Kind aufzunehmen und so einen Cybergrooming-Prozess einzuleiten.

IV.1.4 Onlinespiele und andere virtuelle Welten

Onlinegames als Genre der Sozialen Medien267 sind bedingt durch ihre Attraktivität für Kinder und Jugendliche von besonderer Relevanz für das Untersuchungsfeld268. Onlinegames können zu den übergeordneten virtuellen Welten gezählt werden269. Nach Paschke basieren virtuelle Welten „[…] auf einem internetgestützten Netzwerk von Computern und ermöglichen synchrone soziale Interaktionen von Menschen, die durch Avatare repräsentiert werden, in einer persistenten dreidimensionalen Umgebung […]“.270 Virtuelle Welten sind demnach bereits begrifflich nicht reale Nachbildungen, sondern künstliche – fiktive – der physischen Welt271. Prinzipiell können solche Nachbildungen – entgegen der zitierten Definition von Paschke – auch in einem spielerischen Kontext durch das Gestalten beispielsweise mit Lego, Playmobil oder andere Spielzeugwelten erfolgen272. Für das Untersuchungsfeld sind nur virtuelle Welten von Relevanz, die computerbasiert sind273. Für computerbasierte virtuelle Welten können unterschiedliche Klassifizierungen vorgenommen werden, v. a. nach dem Ziel des Programmes, ob also ein Spielziel vorgegeben wird274. So gibt oder gab es virtuelle Welten wie „Second Life“275 oder „Red Light Center“276, die überwiegend nicht durch einen spielerischen Aspekt geprägt sind. Dies bedeutet nicht, dass dort nicht auch gespielt werden kann. Beispielsweise sind bei Second Life teils umfangreiche und Minispiele von Nutzern selbst erstellt worden, die auch mit anderen zusammengespielt werden277. Die Programmierer haben den Nutzern jedoch kein übergeordnetes spielerisches Ziel vorgegeben wie „Besiege den Gegner“, „finde einen Schatz“ und dergleichen. Vielmehr wird der kommunikative und selbstgestalterische Aspekt hervorgehoben, und es wird nur der Rahmen gesetzt, in dem sich der Nutzer bewegen kann278. Solche Formen virtueller Welten werden auch als Metaversen279 oder Lebenssimulationen (Life Sims) bezeichnet280. Virtuelle Welten werden typischerweise durch drei Eigenschaften charakterisiert: eine immersive Erfahrung sowie eine konsistente und persistente Welt281. Unter Immersion wird das Versinken in diese Form der virtuellen Welt verstanden. Das bedeutet, dass es dem Nutzer zumindest theoretisch möglich sein muss, die vorhandene Außenwelt auszuklammern und sich als Teil dieser neuen Welt zu verstehen. Dies wird typischerweise über Ankerpunkte realisiert, an denen sich der Nutzer orientieren kann. In den meisten Metaversen und allen Formen von Spielen stellen diese Ankerpunkte sogenannte Avatare dar282. Avatare stellen virtuelle Figuren der Nutzer dar, die sie in vielen Fällen zumindest oberflächlich selbst gestalten und anpassen können und mit denen sie sich in der virtuellen Welt bewegen. Neue Entwicklungen im Bereich der sog. „Virtual Reality“ versprechen zudem eine besonders immersive Spieleerfahrung283. Bruns definiert Virtual Reality als „[…] Computersysteme, die den Nutzern über das Ansprechen von ein oder mehreren Sinnen das Gefühl geben, sich an einem anderen Ort oder in einer anderen Welt zu befinden. Die reale Welt soll dabei zugunsten der virtuellen Welt aus dem Bewusstsein des Nutzers verdrängt werden“284. Dabei wird Virtual Reality zumeist unter Zuhilfenahme sog. Head-Mounted-Displays umgesetzt285. Solche ‚Brillen‘ besitzen zumeist pro Auge einen Bildschirm und versuchen Umgebungsgeräusche und Umgebungslicht auszublenden286. Immerhin 44 Prozent der deutschen Internetnutzer im Jahr 2017 haben bereits einmal eine solche VR-Brille ausprobiert287. Obwohl gegenwärtig im Bereich des Massenmarktes Virtual Reality vornehmlich für digitale Spiele angewandt wird, gibt es doch auch Bemühungen „Social Virtual Reality“ umzusetzen, also die Konzepte der Metaversen mit denen von VR zu verbinden288.

Solche Lebenssimulationen werden, vermutlich auch bedingt durch ihre Gestaltung, eher weniger von Minderjährigen genutzt. Dennoch sind auch solche Programme aus kriminologischer Sicht nicht ganz uninteressant, wie die Nachstellung des Kindesmissbrauchs durch Avatare in Second Life verdeutlicht289.

Die zweite große Form virtueller Welten sind Onlinespiele290, also computerbasierte Welten mit Onlinefunktion, in denen der Betreiber den Nutzern ein Spielziel vorgibt. Dieses Spielziel kann ganz banal sein und muss auch nicht unbedingt vom Nutzer verfolgt werden. Computerspiele sind dabei nicht erst ein Phänomen der letzten Zeit. Bereits 1948 soll das erste Patent auf das funktionsfähige Computerspiel „Cathode Ray Tube Amusement Device“ vergeben worden sein291. „Tennis for two“, das wohl erste bekanntere Computerspiel überhaupt, zunächst noch auf einem Oszilloskop, wurde bereits 1958 durch William Higinbotham entwickelt und war als Zeitvertreib für Besucher angedacht292. Im Jahr 1961 entwickelte das Massachusetts Institute of Technology (MIT) mit „Spacewar!“ ein Computerspiel, das zum ersten Mal tatsächlich auf digitaler Technik basierte293. 1972 entstand nach der Idee von „Tennis for Two“ mit dem berühmten „Pong“ das erste als stationärer Automat kommerziell vermarktete Computerspiel294. In der Folge entwickelten sich digitale Spiele technisch als auch von der gesellschaftlichen Bedeutung her immer schneller weiter. Ab etwa 2000 machten digitale Spielen einen wichtigen weiteren Schritt. Sie gingen immer häufiger online. Das bedeutete, das Spieler immer häufiger mit- und gegeneinander über das Internet spielen konnten, womit sich auch das Risiko von Übergriffen im Rahmen der Kommunikation eröffnet295.

Dabei sind Onlinespiele und Metaversen durchlässig und zeigen oft Kennzeichen des anderen Typs auf296. Ein wichtiges Bindeglied zwischen Metaversen und Onlinespielen ist, dass es stets zu einer onlinebasierten Interaktion und/oder Kommunikation zwischen den Nutzern kommt. So können Interaktionen stattfinden, wenn Spieler zufällig gegeneinander kämpfen, sich in Gruppen zusammentun oder auch die Avatare sich in der virtuellen Welt nur begegnen297. Gleichzeitig beinhalten nahezu alle Onlinespiele in irgendeiner Form die Möglichkeit zur Kommunikation. Dies kann in Form von internen Chats oder privaten Nachrichten, die E-Mails gleichen, stattfinden, aber auch per Voice-to-Voice-Übertragung298. Voice-to-Voice kann sowohl das Programm selbst ermöglichen als auch externe Programme wie TeamSpeak299. Letztere laufen im Hintergrund und ermöglichen auch dort Kommunikationsformen, wo sie nicht vorgesehen sind. McGonical weist auf einen weiteren Aspekt für den Erfolg von Onlinespielen hin, v. a. von solchen, die in soziale Netzwerke eingebunden. Demnach machen es „[…] Soziale Netzwerke für uns sowohl einfacher als auch lustiger, stabile, aktive Bindungen zu Menschen aufrechtzuerhalten, die uns zwar wichtig sind, mit denen wir uns im Alltag aber leider nicht oft genug treffen und unterhalten können […]“300. Dies gilt v. a. dann, wenn auch Familienmitglieder und Freunde spielen. Vor allem für Jugendliche sollen die sozialen Kontakte während und durch das Spielen einen hohen Stellenwert einnehmen301. In einigen Spielen gibt es zudem die Möglichkeit, dass sich Spieler in virtuelle Gemeinschaften, Gilden, Clans, Allianzen etc., zusammenschließen, die teilweise komplexe arbeitsteilige Gruppenstrukturen herausbilden302. Nach Fritz „[…] fließen die Aktivitäten der Spieler […] in ein soziales Resonanzfeld ein, das die Spieler an das Spiel und die Mitspieler bindet“303.

Die Bedeutung von virtuellen Welten, aber v. a. von digitalen Spielen ist in wirtschaftlicher wie auch gesellschaftlicher Sicht kaum zu überschätzen. Insgesamt 34,1 Mio. Deutsche spielen zumindest gelegentlich digitale Spiele, wobei das Durchschnittalter bei 35,5 Jahren liegt304. Dabei generieren diese Spiele weltweit zwischen 61,7 Mrd. und 77,5 Mrd. Euro. Für Deutschland wird der Gesamtumsatz der Spieleindustrie auf 3,3 Mrd. Euro geschätzt305. Damumentiertit generiert die Spielindustrie mittlerweile mehr Handelsumsatz als die Musikindustrie (ca. 1,55 Mrd. Euro) und die Kinofilmbranche (ca. 1,17 Mrd. Euro) zusammen306. Eine Vielzahl von Spielen setzt dabei auf den Kauf von virtuellen Zusatzgütern: So kann sich ein Spieler z. B. ein leistungsstärkeres Schwert oder Spielfortschritte für echtes Geld kaufen307. Seit 2007 stieg der Anteil virtueller Güter und Zusatzleistungen am Gesamtumsatz der Spieleindustrie kontinuierlich auf 266 Mio. Euro 2016 an. Zusammen mit den Einnahmen aus Abonnements in Spielen (2016 ca. 173 Mio. Euro) generieren virtuelle Spielinhalte zusammen 439 Mio. Euro308. Dies liegt auch an der Bedeutung von Onlinespielen309: 2014 sollen 8,53 Mio. Deutsche ab 14 Jahren zumindest gelegentlich das Internet für Online-Spiele genutzt haben, davon 1,9 Mio. täglich310. Im Jahr 2017 lag diese Quote bei 9,74 Mio. bzw. 2,03 Mio. mit täglicher Nutzung. Der Spieleverband BIU311 kommt hingegen bereits für das Jahr 2014 für alle Deutschen ab 0 Jahren sogar zum Ergebnis, dass 26,4 Mio. sie zumindest gelegentlich nutzen312.

Eines der bekanntesten Onlinespiele ist das von Blizzard seit 2004 betriebene World of Warcraft, ein Massively Multiplayer Online Role-Playing Game313 und weiterhin das „[…] Vergleichsobjekt für alle weiteren MMO-Spiele […]“314. Nach Angaben des Betreibers sollen mittlerweile mehr als 100 Mio. Accounts und fast 500 Mio. Avatare in dem Spiel erschaffen worden sein315. World of Warcraft erreichte 2010 mit mehr als 12 Mio. zahlenden Nutzern seinen Höherpunkt316, aber auch 2015 sollten noch 5,5 Mio. Menschen aktiv spielen317. Eine Vielzahl von weiteren Spielen hat es geschafft, ähnlich große Nutzerzahlen zu erreichen. Alleine Zynga, der Betreiber von Spielen wie Farmville318, soll 2012 fast 311 Mio. Spieler seiner Onlinespiele verzeichnet haben319. League of Legends, eine sog. „Multiplayer Online Battle Arena“ (MOBA)320, in der sich eine bestimmte Zahl Spieler als Avatare in den namensgebenden Arenen bekämpfen, hat für das Jahr 2015 100 Mio. monatliche aktive Nutzer bekannt gegeben321. World of Tanks, ein Onlinespiel von Wargaming, bei dem Panzer gegeneinander antreten, verzeichnete 2018 über 120 Mio. Spieler322. Der Betreiber Supercell hat mit Clash of Clans und Clash Royale wohl die bekanntesten mobilen Onlinespiele der gegenwärtigen Generation veröffentlicht, die zusammen täglich von über 100 Mio. Menschen weltweit gespielt werden sollen323. Diese Liste ließe sich ausufernd weiteraufführen. Die Zahlen verdeutlichen aber bereits die immense Anziehungskraft, die Onlinespiele auf eine Vielzahl von Menschen haben.