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Ein solcher Gedankengang liefe darauf hinaus, jede Handlung auf ihren ›moralisch essentiellen Kern‹ einzuschränken, eben auf einen inneren Akt des reinen Willens, der rein nach Antrieb und Absicht zu beurteilen ist. Adam Smith hat eine solche Position in seiner Theorie der ethischen Gefühle verteidigt, merkt allerdings auch an, daß sie mit unserem tatsächlichen Werten erst gar nicht in Einklang steht:

So fest wir aber auch anscheinend von der Wahrheit dieses gerechten Grundsatzes überzeugt sein mögen, solange wir ihn auf die angegebene Weise in abstracto ins Auge fassen, so werden doch, wenn wir zur Betrachtung einzelner konkreter Fälle schreiten, die tatsächlichen Folgen, die zufällig aus einer Handlung entspringen, einen sehr großen Einfluß auf unser Gefühl von ihrer Verdienstlichkeit oder Tadelnswürdigkeit üben, und sie werden nahezu immer diese unsere Empfindung entweder steigern oder herabsetzen. Bei genauer Prüfung werden wir vielleicht kaum in einem einzigen Falle finden, daß sich unsere Gefühle ganz und gar durch jene Regel bestimmen lassen, die, wie wir alle anerkennen, doch ausschließlich unsere Gefühle bestimmen sollte.5

Darüber hinaus führt uns Feinberg vor Augen6, daß keine Beschränkung des Bereichs moralischer Verantwortlichkeit auf eine reine Innenwelt Verantwortlichkeit jemals gegen moralische Kontingenz immunisieren könnte. Faktoren, die jenseits der Kontrolle eines Handelnden liegen – wie z. B. ein Hustenanfall – können seine Entscheidung ebenso sicher beeinträchtigen wie die Flugbahn der Kugel aus seinem Gewehr. Alledem zum Trotz ist die Tendenz weitverbreitet, den Bereich dessen, was moralischer Wertung unterzogen werden kann, einzugrenzen, und sie beschränkt sich keineswegs darauf, den Einfluß von Folgen abzuschwächen. Man ist geneigt, den Willen sozusagen auch nach der anderen Richtung hin abzuschirmen, indem man die Kontingenz der eigenen Konstitution ebensogut ausgrenzt. Gehen wir dem als nächstes nach.

Es war vor allem Kant, der besonderen Nachdruck darauf legte, Charakter- und Persönlichkeitseigenschaften, solange sie nicht der Kontrolle des Willens unterlägen, seien ethisch irrelevant. Qualitäten wie Warmherzigkeit oder Gefühlskälte mögen zwar Randbedingungen schaffen, unter denen es mehr oder minder schwer fällt, moralischen Aufforderungen Folge zu leisten, könnten aber nicht selbst Gegenstand moralischer Wertung sein, und sie könnten eine sichere Beurteilung des eigentlichen Gegenstands moralischer Wertung, nämlich die Bestimmung des Willens durch das Motiv der Pflicht, sogar beeinträchtigen. Damit wird aber von vornherein eine moralische Bewertung zahlreicher Tugenden und Schwächen ausgeschlossen, die eben Charakterzüge sind und durchaus jemandes Motivation beeinflussen, die sich aber mit Sicherheit nicht in Dispositionen zu bestimmten überlegten Handlungen erschöpfen. Eine Person mag habgierig, mißgünstig, feige, gefühllos, geizig, unfreundlich, eingebildet oder eitel sein, und sich dennoch in einer gewaltigen Willensanstrengung korrekt benehmen. Solche Laster zu haben bedeutet, daß man sich unter gewissen Umständen bestimmter Gefühle nicht erwehren kann und spontane Impulse verspürt, schlecht zu handeln. Diese Laster hat man auch dann noch, wenn man die von ihnen ausgehenden Impulse kontrollieren kann. Ein neidischer Mensch haßt nach wie vor den größeren Erfolg anderer und wäre als neidischer Mensch selbst dann noch moralisch zu verurteilen, wenn er anderen freundlich gratulierend gegenübertritt und nichts unternimmt, ihren Erfolg zu schmälern oder zunichte zu machen. Eitelkeit muß ja nicht äußerlich sichtbar sein. Wer einfach nicht anders kann als sich ständig mit heimlicher Genugtuung die Überlegenheit seiner Leistungen und Talente, seiner Schönheit, seiner Intelligenz und Tugend zu vergegenwärtigen, ist und bleibt gewiß auch dann eitel, wenn er diese Genugtuung nicht offen zur Schau trägt. Bis zu einem gewissen Grade kann eine solche Eigenschaft das Ergebnis früherer Entscheidungen sein; und zu einem Teil kann sie auch Änderungen zugänglich sein, die durch neues Handeln bewirkt werden. Doch zum überwiegenden Teil gehen diese Eigenschaften auf unglückliche Kontingenzen der eigenen inneren Konstitution zurück. Dennoch wird man ihretwegen moralisch verurteilt, und andere Eigenschaften, die ebensowenig der willkürlichen Kontrolle unterliegen, werden einem zugute gehalten: Menschen wertet man danach, wie sie sind.

Kant müssen solche Wertungen inkohärent erscheinen, denn bei ihm haben wir haben ja alle die Pflicht zur Tugend, und daher muß es von vornherein auch jedermann möglich sein, ihren moralischen Aufforderungen Folge zu leisten. Manch einem mag dies leichter fallen als anderen, aber völlig unabhängig davon, wie man charakterlich veranlagt ist, muß es stets möglich sein, dieses Ziel zu erreichen, indem man die rechte Entscheidung trifft7 Man mag sich wünschen, großzügig zu sein oder es bedauern, kleinlich zu sein, aber es ist ungereimt, sich selbst oder jemand anderen einer Eigenschaft wegen zu verurteilen, die man nicht willkürlich kontrollieren kann: Schließlich drückt eine moralische Verurteilung ja aus, daß man nicht so sein soll, wie man ist, und besagt nicht, daß es bedauerlich ist, daß man eine bestimmte Eigenschaft hat.

Gleichwohl ist und bleibt Kants Schlußfolgerung intuitiv nicht akzeptabel. Man kann uns davon zu überzeugen suchen, daß unsere moralischen Wertungen irrational sind, aber sobald wir das Argument dafür nicht mehr unmittelbar vor Augen haben, drängen sie sich uns unwillkürlich wieder auf. Das ist das Grundmuster, das sich durch unser gesamtes Thema hindurchzieht.

Die dritte zu beachtende Kategorie betrifft Kontingenzen der äußeren Umstände, in denen man sich befindet, und ich werde sie nur kurz ansprechen. Die Dinge, die wir tun müssen, wie auch die moralischen Prüfungen, denen wir uns zu unterziehen haben, sind in erheblichem Maße jederzeit von Faktoren determiniert, die sich unserer Kontrolle entziehen. Es mag ja sein, daß sich jemand in einer gefährlichen Situation feige oder aber heroisch verhalten würde, doch falls sich niemals eine entsprechende Lebenslage ergibt, wird er auch niemals Gelegenheit haben, sich in dieser Weise hervorzutun respektive in unserer Achtung zu sinken. Sein moralischer Ruf wird vielmehr ein anderer sein.8

Ein in unserem Jahrhundert unübersehbares Beispiel für dieses Phänomen stammt aus dem politischen Leben. Der Durchschnittsbürger in Nazideutschland hatte Gelegenheit, Widerstand gegen sein Regime zu leisten und sich damit heroisch zu verhalten. Er hatte aber auch die Möglichkeit, sich schlecht zu verhalten – und den meisten Deutschen ist vorzuwerfen, bei dieser Prüfung gravierend versagt haben. Es handelte sich allerdings um eine Prüfung, der sich die Bürger anderer Staaten erst gar nicht unterziehen mußten, was wiederum heißt, daß sich letztere faktisch einfach nicht schlecht verhalten haben – selbst wenn sie (oder wenigstens manche von ihnen) sich unter ähnlichen Voraussetzungen ebenso schlecht verhalten hätten wie die Deutschen – und sich deshalb nicht in der gleichen Weise schuldig gemacht haben wie sie. Auch in diesem Falle ist man also in moralischer Hinsicht in einer Weise dem Zufall ausgeliefert, die bei näherem Nachdenken irrational scheinen kann – und doch wären unsere gewohnten moralischen Haltungen und Einstellungen ohne dieses Phänomen ja schwerlich wiederzuerkennen! Wir werten Menschen allemal nach ihren tatsächlichen Handlungen und Unterlassungen, und nicht bloß danach, was sie getan hätten, wären die Lebensumstände andere gewesen.9

Auch diese Form des moralischen Bestimmtseins durchs Faktische ist paradox; aber wir beginnen zu begreifen, wie tief die Paradoxie im Begriff der Verantwortlichkeit selbst verwurzelt sein muß. Ein Mensch kann nur für das, was er begeht, moralisch verantwortlich sein; aber was er begeht, resultiert aus sehr vielen Umständen, für die er nichts kann. Mithin kann er moralisch nichts für das, wofür er sowohl etwas kann als auch nichts kann. Das ist nicht irgendeine Kontradiktion, sondern es handelt sich tatsächlich um eine echte Paradoxie.

Es sollte auf der Hand liegen, daß ein Zusammenhang gegeben ist zwischen dem Problem der Verantwortlichkeit und Kontrolle auf der einen Seite und dem uns noch besser vertrauten traditionellen Problem der Willensfreiheit auf der anderen. Und damit wäre der letzte Typus moralischer Kontingenz erreicht, den ich ansprechen möchte, allerdings kann ich im Rahmen dieses Essays nurmehr die Zusammenhänge zwischen diesem und den anderen Typen moralischer Kontingenz andeuten.

Kann einer nichts für all die Handlungsfolgen, die sich seiner Kontrolle entziehen, sowie ebensowenig etwas für jene Anfangsbedingungen des Handelns, die seine nicht willkürlich kontrollierbaren Charaktereigenschaften ihm vorgeben, und schließlich auch nichts für die Umstände, die ihn vor moralische Entscheidungen stellen, wie kann er dann auch nur für die nackten Willensakte etwas können, wenn diese ja ihrerseits das Produkt von Voraussetzungen sind, die außerhalb der Kontrolle des eigenen Willens liegen?

Der Bereich des Handelns im eigentlichen Sinne und damit auch der Bereich legitimen moralischen Wertens scheint bei genauerem Hinsehen geradezu auf einen ausdehnungslosen Punkt zusammenzuschnurren. Alles und jedes scheint sich aus dem Einfluß einander ergänzender und zusammenwirkender Faktoren zu ergeben, die dem Handeln entweder vorausliegen oder erst nachträglich wirksam werden, und die der Akteur nicht kontrollieren kann. Da er aber für diese Faktoren nichts kann, kann er folglich auch nichts für deren Auswirkungen – wenngleich es möglich bleiben mag, sich nunmehr ästhetische oder andere wertende Analoga zu den auf diese Weise verbannten moralischen Einstellungen zu eigen zu machen.

 

Man könnte die Angelegenheit natürlich auch aussitzen wollen und sich frech weigern, die Ergebnisse des vorgeführten Gedankenganges anzuerkennen – die ja in der Tat nur so lange akzeptabel erscheinen, wie wir uns die einschlägigen Argumente dafür vor Augen halten. Man mag dann zugestehen: Wenn bestimmte Begleitumstände andere gewesen wären, dann hätte eine böse Absicht keine verhängnisvollen Auswirkungen zur Folge gehabt, und es wäre keine gravierend schuldhafte Tat begangen worden; aber da die Umstände nun eben einmal nicht anders waren, und es der Handelnde tatsächlich fertigbrachte, einen besonders grausamen Mord zu verüben, ist es das, was er begangen hat, und ist es das, wofür er verantwortlich ist. Ebenso könnte man zugestehen, daß sich der Handelnde nie zu dem Menschen entwickelt hätte, der fähig ist, solche Dinge zu begehen, wenn er sich früher in einer ganz anderen Lebenslage befunden hätte; aber da er eben, wenn auch als unvermeidliches Resultat jener früheren Umstände, zu dem Schwein wurde, das er ist, zu dem Menschen, der einen solchen Mord begangen hat, ist es dies, was ihm vorzuwerfen ist. In beiden Fällen kann man etwas für das, was man faktisch tut – auch wenn, was man faktisch tut, entscheidend von Ereignissen abhängt, über die man keinerlei Kontrolle hat. In einer solchen sogenannten ›kompatibilistischen‹ Auffassung moralischen Wertens gäbe es Platz für die alltäglichen Bedingungen für Verantwortlichkeit (es darf kein Zwang ausgeübt werden; der Akteur darf nicht unwissend sein; die Tat darf nicht Ergebnis unwillkürlicher Bewegungen sein usw.) – die nun teilweise mitfixieren würden, was jemand begangen hat –, doch zugleich würde der Einfluß eines Großteils all dessen, was der Handelnde nicht geschaffen hat, von vornherein eingeräumt.10

Die einzige Crux an dieser Lösung ist, daß sie nicht erklären kann, wie die skeptischen Probleme aufkommen. Sie ergeben sich nämlich nicht, weil willkürliche externe Anforderungen an uns herangetragen werden, sondern sind in der Natur unseres moralischen Wertens selbst angelegt. Irgendeine Komponente unserer gewöhnlichen Vorstellung dessen, was einer tut, muß erklären, weshalb es uns notwendig erscheinen kann, von all dem, was lediglich geschieht, abzusehen – obgleich nach einer derartigen Subtraktion in letzter Konsequenz gar nichts mehr übrig bleiben kann. Und irgendeine Komponente unserer gewöhnlichen Vorstellung von Wissen muß erklären, weshalb unsere Erkenntnisansprüche immer dann erschüttert werden, wenn wir die Tatsache in Betracht ziehen, daß die Meinungen eines Subjekts durch Faktoren beeinflußt werden, die sich seiner Kontrolle entziehen – so daß Wissen unmöglich zu sein scheint, wenn es nicht ein nachgerade unmögliches Fundament in einer autonomen Vernunft erhält. Aber lassen wir die Erkenntnistheorie beiseite und konzentrieren wir uns auf die Thematik des Handelns, Charakters und der moralischen Wertung.

Meines Erachtens entsteht das Problem deshalb, weil das handelnde Selbst – und damit der Adressat moralischen Wertens – sich aufzulösen droht, sobald seine Taten und Motive in der Klasse der Ereignisse aufgehen. Wertet man eine Person moralisch, so wertet man nicht etwas, das ihr einfach geschieht. Man wertet vielmehr sie. Eine moralische Wertung drückt nicht nur aus, daß ein Ereignis oder ein Zustand vorteilhaft, unvorteilhaft oder gar fürchterlich ist. Es handelt sich bei ihr nicht um die Bewertung eines Weltzustands – auch nicht eines Individuums, insofern es ein Stück der Welt ist – und man glaubt nicht nur, daß es besser wäre, wenn der Mensch anders wäre als er ist, oder daß es besser wäre, wenn er überhaupt nicht existierte oder einige der Handlungen nicht ausgeführt hätte, die er tatsächlich beging. Wir werten den Menschen selbst, nicht sein Dasein oder seine Qualitäten allein. Konzentriert man sich dann aber auf den Einfluß all jener Faktoren, die nicht persönlicher Kontrolle unterliegen, hat dies den Effekt, daß ebendieses verantwortliche Selbst gerade zu verschwinden scheint und in der Welt bloßer Ereignisse aufgeht.

Irgend etwas schwebt uns doch aber vor, das eine Person sein muß, damit sie der Adressat moralischer Einstellungen sein kann. Was ist es? Es ist äußerst schwierig, davon eine positive Beschreibung abzugeben, wenngleich der Begriff des Handelns so leicht zu untergraben ist. Das wissen wir aus der Literatur über den freien Willen nur zu gut.

Es will mir scheinen, daß dieses Problem in einem gewissen Sinne keiner Lösung zugeführt werden kann, denn irgendeine Komponente unserer Auffassung vom Handeln läßt sich einfach nicht damit in Einklang bringen, daß Taten Ereignisse und Menschen Dinge sind. Aber in dem Maße, in dem die externen Determinanten unseres Wirkens freigelegt werden und ihr Einfluß auf Folgen, auf den Charakter und auf die Entscheidung selbst hervortritt, wird deutlich, daß Handlungen sehr wohl Ereignisse und Menschen Dinge sind. Letzten Endes bleibt gar nichts übrig, was dem verantwortlichen Selbst zugeschrieben werden könnte, und wir haben es nur noch mit einem Ausschnitt jener globaleren Abfolge von Ereignissen zu tun, die zwar bedauert oder begrüßt, nicht aber getadelt oder gelobt werden kann.

Obwohl ich den durch meinen Gedankengang erschütterten Begriff des aktiven Selbst nicht zu definieren vermag, ist es immerhin möglich, etwas über seine Herkunft zu sagen. Zwischen unseren Gefühlen uns selbst gegenüber und unseren Gefühlen gegenüber anderen ist ein enger Zusammenhang gegeben. Schuld und Empörung, Scham und Verachtung, Stolz und Bewunderung sind jeweils die Innen- und die Außenseiten derselben moralischen Einstellungen. Wir sind schlicht außerstande, uns einfach nur als ein Stück der Welt zu betrachten. Es ist nämlich unsere eigene Innen-perspektive, aus der wir eine ungefähre Vorstellung davon haben, wo die Grenze verläuft zwischen dem, was zu uns gehört und dem, was nicht zu uns gehört; zwischen dem, was wir begehen, und dem, was uns bloß widerfährt; zwischen unserer Persönlichkeit und all dem, was nur ein kontingentes Handikap ist. Und ebendiese ihrer Natur nach interne Auffassung des eigenen Selbst wenden wir dann auch auf andere an. Was uns selbst anbelangt, haben wir Gefühle: wir fühlen uns stolz, beschämt, schuldig, reuevoll – und empfinden häufig jenes typische Bedauern des Täters angesichts eigener Handlungen. Wir fassen unsere Handlungen und unseren Charakter nicht bloß als glückliche oder unglückliche Episoden auf – obwohl sie dies auch sein können. In Ansehung unserer eigenen Person, in der Frage dessen, was wir unserem innersten Wesen nach sind, sowie hinsichtlich unserer Taten können wir nicht nur einen von außen wertenden Standpunkt einnehmen – selbst dann nicht, wenn uns bewußt geworden ist, daß wir nichts können für unsere Existenz, für unsere Natur, für die Entscheidungen, die wir zu treffen haben, sowie für die exogenen Umstände, auf welche die Auswirkungen unserer Handlungen zurückzuführen sind. Die Taten sind und bleiben unsere und wir bleiben wir selbst, mögen die Gründe, die uns aus jederlei Dasein heraus zu argumentieren scheinen, noch so überzeugend sein.

Es ist just diese interne Sichtweise, die wir im moralischen Urteil dann auch auf andere übertragen – nämlich, wenn wir sie bewerten, und nicht bloß ihre Erwünschtheit oder ihren Nutzen. Wir übertragen unsere Weigerung, uns selbst ausschließlich aus der Außenperspektive heraus zu werten, auf andere und gestehen damit anderen ein Selbst zu, das dem unseren ähnlich ist. Aber diese Sichtweise gerät in beiden Fällen mit der Tatsache in Kollision, daß Menschen und alles, was auf sie zutrifft, brutal in eine Welt einbezogen sind, aus der sie nicht herausgelöst werden können und von der sie nichts als Bestandteile sind. Die externe Sichtweise zwingt sich uns im selben Augenblick auf, in dem wir sie verdrängen. Dies zeigt sich eben auch daran, daß sich unser Tun nach und nach auflöst, wenn wir abziehen, was lediglich geschieht.11

Indem wir Auswirkungen in unser Bild dessen, was wir getan haben, miteinbeziehen, geben wir zu, daß wir ein Stück der Welt sind. Aber die Paradoxien der moralischen Kontingenz, die sich aus diesem Eingeständnis ergeben, zeigen, daß wir letztlich unfähig sind, mit einer solchen Sicht der Dinge zu leben, denn ihr zufolge müßten wir uns ja damit abfinden, daß es niemanden mehr gäbe, der wir selbst sein könnten. Dasselbe kommt auch in jenem Schein zum Ausdruck, der Determinismus mache unsere Verantwortlichkeit unmöglich. Sobald wir einen Aspekt des Tuns, das wir selbst oder andere vollziehen, als bloßes Geschehen auffassen, entgleitet uns die Überzeugung, daß überhaupt noch etwas begangen wurde, und wir den Täter zu werten haben und nicht bloß das Geschehnis. Dies erklärt übrigens, weshalb der Begriff unseres Handelns vom Indeterminismus nicht minder wirkungsvoll untergraben wird als vom Determinismus – eine wichtige Einsicht, die in der Philosophie schon des öfteren einmal bemerkt wurde. In beiden Fällen wird die Tat nämlich aus der Außenperspektive, als Bestandteil des Gangs der Ereignisse betrachtet.

Man versteht die Problematik der moralischen Kontingenz nicht wirklich, solange man nicht über eine Erklärung der Innenansicht des Handelns und des ihr eigentümlichen Zusammenhangs mit spezifisch moralischen Einstellungen (im Gegensatz zu anderen Arten der Wertung) verfügt. Eine solche Erklärung hatte ich hier nicht anzubieten. Die Frage, ob und in welchem Grade das Problem überhaupt einer Lösung zuführbar ist, ließe sich nur entscheiden, wenn abzusehen wäre, ob und in welchem Maße sich die Inkompatibilität der internen Sichtweise und der unterschiedlichen Hinsichten, in denen sich unsere Handlungen der Kontrolle entziehen, als eine bloß scheinbare Inkompatibilität erweist. Auch zu dieser Fragestellung hatte ich hier nichts anzubieten. Jedenfalls bleibt es ungenügend, lediglich festzustellen, daß unsere fundamentalen moralischen Einstellungen uns selbst und anderen gegenüber lediglich von alldem abhängen, was wirklich der Fall ist, denn moralisches Werten wird von den Quellen jener Faktizität ebensogut bedroht wie von der Außenansicht des Handelns, die sich uns aufdrängt, sobald wir einsehen, daß all unser Wirken zu einer Welt gehört, die wir nicht geschaffen haben.

Für diesen Band neu übersetzt von Knut Eming.