Loe raamatut: «Flagschiff Nescafé - Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt»
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Einführung und Fragestellung
Vorgehen und theoretische Einbettung
Markengeschichte als Unternehmensgeschichte aus der Produktperspektive
Multinationale Unternehmen als Antriebskräfte der Globalisierung
Wettbewerbsvorteile als Grundlage multinationaler Grosskonzerne
Marken als Kennzeichen von Qualitätsprodukten
Markenprodukte als kulturelle Konstrukte
Marken als Kapital der Konzerne
Forschungsstand zu Nestlé und seinen Pulvergetränken
Quellenlage und Quellenkritik
Aufbau der Arbeit
Kolonialwaren und Kondensmilch – weshalb Nescafé von einem Schweizer Milchunternehmen entwickelt wurde (1866–1937)
Vom Süden in den Norden – Kolonialwaren werden zu Industrieprodukten
Die Verbreitung und kulturelle Aneignung von Kaffee, Tee und Kakao
Die Eingliederung der drei Heissgetränke in die Alltagskultur des 19. Jahrhunderts
Die ersten Formen von löslichem Kaffee, Tee und Kakao
Vom Norden in den Süden – Die Nestlé & Anglo-Swiss entwickelt sich zum globalen Milchunternehmen
Kondensmilch, Kaffeekonserven und die Anfänge der Nestlé & Anglo-Swiss
Der Konkurrenzkampf auf dem Kindernahrungsmittel-Markt
Verpasste Chancen und die Fusion zur Nestlé & Anglo-Swiss
Mit Schweizer Milch und Milchschokolade zum Weltkonzern
Der Erste Weltkrieg und die Krise in der Nachkriegszeit – Nestlé schlittert knapp am Konkurs vorbei
Kondensmilch, Kaffee und Kakao an der Kriegsfront
Nestlés gewagte Expansionsstrategie zur Sicherung seiner Marktstellung
Vom Krieg in die Krise
Dapples’ Strategie – Nestlé findet mit neuen Konzepten aus der Krise
Die Neuorientierung des Unternehmens unter Louis Dapples
Die Rückkehr zu starken Marken
Nestlés geografische Reorganisation und Produktdiversifikation
Die Entwicklung neuer Produkte im Kindernahrungsmittel-Segment
Vom Milch- zum Kaffeepulver – Nestlé bringt Nescao, Milo und Nescafé hervor
Nestlés erste Schritte mit Milchpulver und pulverisierter Kindernahrung
Nescao und der Einstieg in den Bereich der Kakao- und Malzgetränke
Milo und Ovomaltine teilen sich den weltweiten Malzgetränkemarkt
Max Morgenthaler und die Erfindung des Nescafés
Aufbau, Lancierung und Etablierung – wie Nescafé zum Hauptprodukt des Unternehmens heranwuchs (1938–1953)
Kaffee statt Kondensmilch – Nescafé wird zum neuen Flaggschiff des Unternehmens aufgebaut
Die Überzeugung des Managements
Die Positionierung der Marken Nescafé und Nescoré
Qualität dank Neutralität
Zwischen Wirtschaftskrise und Weltkrieg – eine Lancierung in stürmischen Zeiten
Die Markteinführung in der Schweiz
In drei Jahren um die Welt: die rasche internationale Verbreitung
Die zwiespältige Bilanz im Zweiten Weltkrieg
«Pure Coffee» versus «Carbohydrates» – die verlorene Werbeschlacht in Amerika
Der Kampf der Kaffeeverfahren
Die leise Wende zum reinen Instantkaffee
Die technische Weiterentwicklung mit Nescafé Nr. 37 goût Espresso
Flaggschiff und Flotte – Nestlés Expansion auf dem Gebiet der
Die Erfindung und Einführung von Nestea
«Iced Tea» und «Iced Coffee»
Von «Nescasol» über Nes-Quik zu Nestlé’s Quik
Maggi und Milchpulver
Handelsschranken und unterschiedliche Kaffeekulturen – die Rückkehr des Nescafés nach Europa
Nescafé etabliert sich als ökonomisches Hauptprodukt des Unternehmens
Akzeptanzprobleme in Italien und Frankreich
Die kleinen Helfer Ricory, Ricoré und Racori
Der Durchbruch des Nescafés zwischen lokaler Kaffeetradition und amerikanischer Konsumkultur – wie Nestlé unter der Führung der Instantgetränke zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt aufstieg (1954–1971)
Steigende Marktanteile und wachsende Konkurrenz – die Verbreitung des Instantkaffees mit der amerikanischen Konsumkultur
Wirtschaftswachstum, steigender Wohlstand und vorgefertigte Lebensmittel
Der Instantkaffee-Boom in Nordamerika
Der Kampf um die Vorherrschaft auf dem britischen Kaffeemarkt
Instant- oder Bohnenkaffee? In Deutschland eine Frage des Preises
Die Öffnung der europäischen Märkte nach amerikanischem Vorbild
Globale Marke, lokale Vermarktung – der grosse Vorteil gegenüber der US-Konkurrenz
Skalenerträge versus Marktadaption
Nescafé in Frankreich und der Schweiz
Nescafé in Asien und Australien
Nescafé in Südafrika und Argentinien
Nescafé in den Kaffee produzierenden Ländern Lateinamerikas
Weltmarke und Weltkonzern – Nestlé und die Verbreitung seiner Instantgetränke
Eine starke Weltmarke kommt selten allein
Nestea, das Gegenbeispiel zu Nescafé
Die Verbreitung von Nesquik, Milo und Nescao
Schwankendes Flaggschiff, gefährdetes Unternehmen? – Nestlé reagiert mit Diversifikation und Innovation
Die zwiespältige Unternehmenssituation zu Beginn der 1960er-Jahre
Die Diversifikation ins Konserven- und Tiefkühlgeschäft
Röstkaffee, Rationalisierungen und eine verpasste Gelegenheit
Das Aromatisierungsverfahren und die Modernisierung der Marke Nescafé
Gefriertrocknung und «Short Cell»-Extraktion
Der Durchbruch mit Nescafé Gold – Nestlés Entwicklung zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt
Die Lancierung von Nescafé Gold
Die Verbreitung von Nescafé Gold in Europa
Der ausserordentliche Erfolg von Nescafé Gold
Die Entwicklung in Amerika: der agglomerierte Nescafé und Taster’s Choice
Nestlé wird zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt
Die Individualisierung und Emotionalisierung der Marke Nescafé – Krisen Marken und Unternehmen (1972–1990er-Jahre)
Vom standardisierten zum individuellen Markenprodukt – Wirtschaftskrise und Gesellschaftswandel führen zu neuen Konsumbedürfnissen
Eine neue Generation bricht mit traditionellen Werten
Brasilianische Billigmarken und neue Kundenwünsche erweitern die Auswahl
Wachsender Umsatz dank grösserem Angebot auf dem schrumpfenden US-Markt
Softdrinks beeinflussen Nestlés Instantgetränke und schaffen neue Segmente
Abflauende Konjunktur, ausfallende Kaffee-Ernten und scharfe Kritik – die Krisen in den 1970er-Jahren und ihre Folgen für Nestlé und Nescafé
«Ölpreisschock», «Schwarzer Frost» und steigende Kaffeepreise
Die Rückkehr der Surrogate und der Durchbruch von Nescafé in Lateinamerika
Nestlé und Nescafé geraten in die öffentliche Kritik
Nescafé wird neu lanciert – die Reorganisation von Marke und Unternehmen
Emotionale statt technische Vermarktung
Von der Stagnation der Instantgetränke zur Reorganisation des Unternehmens
Renovation und Reorganisation der Marke Nescafé
Die Probleme auf dem US-Markt
Die Herkunft und Mischung der Kaffeebohnen als neue Qualitätsmerkmale – die Integration von Nescafé in die «Welt des Kaffees»
Die Renaissance des Röstkaffees
Den individuellen Charakter des Kaffees entdecken: Nescafé Alta Rica und Nescafé
Wachstum dank speziellen Marktbedingungen in Japan und Grossbritannien
Die spontane Kaffeewahl mit Nescafé – die Erweiterung von Marke und Unternehmen
Nescafé öffnet sich neuen Kaffeetrends
Das kalte Kaffeevergnügen mit Nescafé Frappé und Dosenkaffee
Nescafé Cappuccino: mit italienischem Flair zu neuem Wachstum
Flexibilität und Individualität als zeitgemässe Vorteile des Instantkaffees
Die Ausweitung der Marken Nestea, Nesquik und des Nestlé-Konzerns
Neue Werte und Wachstumsmärkte in einer globalisierten Welt – warum sich Nescafé zu einer holistischen Marke entwickelt (1990er-Jahre bis heute)
«Popularly Positioned Products» – Nescafé in den neuen Wachstumsmärkten des Ostens
Traditioneller Tee, moderner Kaffee
Thailand und die Philippinen
China, Südkorea und Indien
Russland und die ehemaligen Ostblockstaaten
«Whenever, wherever, however» – der individuelle Kaffee aus der Maschine
Die Verlagerung des Kaffeekonsums in den öffentlichen Raum
Kaffeeautomaten, Kooperationen und kalte Kaffeegetränke
Das Kapselsystem als neue Schlüsseltechnologie
«Open up» – die Globalisierung der Weltmarke Nescafé
Nestlés Aufbruch zu einer globalen Marken- und Unternehmensstrategie
Nestlé stärkt Nescafé durch Renovation und Innovation
Globale Verschiebungen der Fabrikationsstandorte
Die ersten weltweiten Werbekampagnen für Nescafé
«Creating Shared Value» – Nestlés gemeinsame Wertschöpfung mit Kaffeebauern
Nachhaltigkeit und ethische Verantwortung als neue Werte im Kaffeegeschäft
Das Ende des Kalten Kriegs und der Beginn der Kaffeekrise
Nestlés Zusammenarbeit mit Kaffeebauern
Nachhaltige Entwicklung und Nescafé Partners’ Blend
«Nutrition, Health and Wellness» – Nestlés Expansion im Gesundheitsbereich
Nestlés verstärkte Ausrichtung auf Ernährungs-, Gesundheits- und Wellness-Aspekte
Gesunder Kaffeegenuss mit Nescafé Green Blend
Mit dem Aufbau neuer Geschäftsbereiche zu einem Gleichgewicht der Aktivitäten
Schlusswort
Marktdurchdringung – wie sich Nescafé und seine Vermarktung veränderten
Internationalisierung – wie sich Nestlé und Nescafé weltweit verbreiteten
Diversifikation – wie Nestlé neue Produkte ins Unternehmen integrierte
Anhang
Tabellen
Nestlés Umsatz mit Instantkaffee in ausgewählten Absatzmärkten
Einführung von Nescafé in den bedeutendsten Märkten (1938–1953)
Beginn der Nescafé-Produktion in Nestlés bedeutendsten Instantkaffee-Fabriken
Abkürzungsverzeichnis
Quellennachweise
Quellennachweise von Bildern
Quellennachweise der eigenen Darstellungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Gedruckte Quellen
Zeitungen und Zeitschriften
Literatur
Vorwort
Nescafé zählt zusammen mit Coca-Cola und McDonalds zu den bedeutendsten Marken im Lebensmittelbereich. Über ihre Geschichte war bisher jedoch nur wenig bekannt. Dies brachte den Nestlé-Archivar Albert Pfiffner, Christophe Stern aus der Marketing-Abteilung und mich im Herbst 2009 auf die Idee, die Geschichte im Hinblick auf das 75-Jahre-Nescafé-Jubiläum hin aufzuarbeiten. Das Ziel war ein historischer Basistext als Auftragsarbeit für Nestlé, den das Unternehmen einerseits für das 75-Jahre-Jubiläum von Nescafé verwenden durfte und der der Publikation «Over a Cup of Coffee. The passion, the stories, the brand» als Grundlage diente, andererseits von mir für meine Dissertation genutzt werden konnte. Daraus ergab sich die einmalige Gelegenheit, die Geschichte der Marke Nescafé bis in die Gegenwart nachzuzeichnen. Gleichzeitig werden aufgrund der Schutzbestimmungen von Personendaten mit Ausnahme von Max Morgenthaler keine Namen von Mitarbeitern genannt, und zur Wahrung von Unternehmensgeheimnissen wird die Periode ab 1983 nicht mehr in der gleichen Tiefe behandelt.
Trotzdem möchte ich hier einige Personen erwähnen, die mir bei meiner Arbeit sehr behilflich waren und denen an dieser Stelle mein Dank gebührt: vorab Albert Pfiffner, der mir bei diesem Projekt stets zur Seite stand, sowie Tanja Aenis, Lisane Lavanchy und Sabine Effinger, die mir bei meinen Recherchen im Nestlé-Archiv behilflich waren. Spezieller Dank gehört auch Christophe Stern, Anne-Lise Borboën und Mélanie Colanero für die Unterstützung von Seiten der Marketing-Abteilung. Für die Begleitung im Wander-Archiv bedanke ich mich bei Heinz Dürr, und in den «Archives de la Ville de Neuchâtel» stand mir Olivier Girardbille hilfreich zur Seite. Sehr gewinnbringend waren auch die Gespräche mit Erol Toker von der Agentur Doriane und zahlreichen Mitstudentinnen und Mitstudenten.
Bedanken möchte ich mich auch bei Prof. Dr. Jakob Tanner und Prof. Dr. Tobias Straumann für die Betreuung sowie bei meiner Familie und meinen Freunden für die Unterstützung in diesem langen Projekt.
Für die grosszügigen finanziellen Beiträge an die Herstellungskosten dieser Publikation bedanke ich mich sowohl bei der Nestlé S. A. als auch beim Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Ebenso danke ich Madlaina Bundi, Regula Bühler und Simone Farner vom Verlag Hier und Jetzt für die Betreuung, das sorgfältige Lektorat und die Gestaltung.
Bern, im Juli 2015
Thomas Fenner
Einleitung
Einführung und Fragestellung
Seit der Kaffee im 17. Jahrhundert in die Hände europäischer Handelsgesellschaften geraten ist,1 verbreitet sich das ursprünglich aus dem Orient stammende Genussmittel in einem Zusammenspiel von kapitalistischer Produktion und soziokultureller Aneignung auf der ganzen Welt.2 Heute beginnen jeden Morgen Millionen von Menschen rund um den Globus ihren Tag mit einer Tasse Kaffee, deren Bedeutung weit über ihre physische Funktion als weckenden Durstlöscher hinausgeht: Der aus der Tasse aufsteigende Dampf gehört ebenso zum sinnlichen Erlebnis wie der Duft der frisch gerösteten Kaffeebohnen. Darüber hinaus ist das Kaffeetrinken zu einer symbolischen Handlung des behaglichen Beisammenseins, der Kommunikation und der menschlichen Nähe geworden.3 «Sich auf einen Kaffee verabreden» oder «zusammen einen Kaffee trinken» haben sich in diesem Zusammenhang längst als gängige Formulierungen etabliert.4
Neben der gesellschaftlichen Einbettung in unsere Alltagskultur trug nach dem Zweiten Weltkrieg auch die vereinfachte Zubereitung mit Kaffeepulver und Kaffeemaschinen wesentlich zur Popularisierung des Kaffees bei.5 Laut dem Wirtschaftshistoriker Geoffrey Jones konnten multinationale Grosskonzerne durch die Betonung der einfachen Zubereitung ihren Einfluss im Kaffeegeschäft erheblich erweitern, indem sie von Skalenerträgen6 profitierten und weltweit bekannte Marken aufbauten.7 Heute lässt sich die Anzahl der Unternehmen, welche über zwei Drittel des Kaffees verarbeiten, an einer Hand abzählen: Nestlé, Kraft General Foods, Jacobs Douwe Egberts, Procter & Gamble und Tchibo.8
Die Geschichte des Kaffees verbindet somit die moderne, technisch vereinfachte Zubereitungsart mit dem steigenden Stellenwert von Marken und multinationalen Unternehmen, deren wachsender Einfluss sich in den letzten Jahren unter anderem darin manifestierte, dass rund um den Globus zunehmend dieselben Markenprodukte getrunken wurden, die grössten global agierenden Konzerne gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung zahlreiche Nationalstaaten übertrafen9 und Marken sich zu Identifikationsmerkmalen entwickelten, welche die heutige Kultur und Gesellschaft prägen.10 Oft wird in diesem Zusammenhang von einer weltweiten Vereinheitlichung der Alltagskultur in einer «globalisierten Welt»11 gesprochen, die von Weltmarken und den dahinter stehenden multinationalen Konzernen gesteuert wird.12
Exemplarisch für diese globalen Transformationsprozesse steht das Schweizer Lebensmittelunternehmen Nestlé, welches unter der Marke Nescafé die schnelle und bequeme Kaffeezubereitung mit löslichem Pulverkaffee oder Instantkaffee popularisierte. Mit rund 339 000 Mitarbeitern und 442 Produktionsstätten in 86 Ländern gehört Nestlé zu den grössten13 und globalsten14 Unternehmen der Welt.15 Der Konzern mit Sitz in Vevey erzielt heute einen Umsatz von etwa 100 Milliarden Schweizer Franken pro Jahr16 und ist von diesem Gesichtspunkt her seit 1971 Branchenleader.17 Dies ist insofern erstaunlich, als 1973 fast 90 Prozent der grössten Lebensmittelkonzerne der Welt ihren Sitz in den Vereinigten Staaten oder Grossbritannien hatten,18 wo sie aufgrund der grossen Binnenmärkte günstige Wachstumsbedingungen vorfanden,19 Nestlé dagegen in einem Kleinstaat wie der Schweiz ansässig ist.
Gleichwohl nehmen Nestlés Marken in vielen Ländern und Lebensmittelbereichen eine bedeutende Stellung ein. Nescafé stellt heute mit einem jährlichen Umsatz von rund zehn Milliarden Schweizer Franken die bedeutendste Kaffeemarke der Welt und die wertvollste Marke der Schweiz20 dar. Jede sechste Tasse Kaffee, die weltweit konsumiert wird, ist eine Tasse Nescafé. Die Marke ist insofern einzigartig in der Kaffeewelt, weil sie sich auf das Geschäft mit Pulverkaffee konzentriert und diesen Markt mit einem weltweiten Anteil von etwas über 50 Prozent auch beherrscht.21 In Grossbritannien zum Beispiel ist Nescafé für viele Menschen der Pulverkaffee schlechthin.22 Ähnliche Verhältnisse herrschen ebenfalls auf den Tee- und Kakaopulvermärkten, wo Nestlé im Bereich der Kakao- und Malzgetränke mit Marken wie Nesquik, Milo und Nescao weltweit führend ist,23 während Nestea 2006 neben Nespresso zu den am stärksten wachsenden Milliardenmarken des Grosskonzerns zählte.24
Wie gelang es Nestlé, weltweit bedeutende Marken wie Nescafé aufzubauen und damit Produktsegmente zu dominieren? Wie stieg das Schweizer Unternehmen zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt auf, und welche Zusammenhänge gibt es zwischen dieser ausserordentlichen Unternehmensentwicklung und der Herausbildung von Weltmarken wie Nescafé?
Obwohl über das Unternehmen am Genfersee und seine Marken viel geschrieben und berichtet wird, ist über die Gründe für Nestlés aussergewöhnliches Wachstum und die historische Entwicklung bedeutender Marken wie Nescafé, Nestea oder Nesquik bisher wenig bekannt. Diese Forschungslücke soll in der vorliegenden Arbeit geschlossen oder zumindest beträchtlich verringert werden, indem anhand von firmeneigenen Quellen erstmals aufgezeigt wird, wie Nestlé und Nescafé so gross und bedeutend werden konnten.
Im Zentrum steht dabei die Markengeschichte von Nescafé, die als Schnittpunkt zwischen Unternehmens-, Konsum- und Produktgeschichte das Wachstum des Schweizer Grosskonzerns mit den weltweiten Veränderungen der Konsumkultur verbindet. Vergleichend und ergänzend dazu werden die mit dem Pulverkaffee verwandten Produkte des Unternehmens wie Nestea oder Nesquik sowie Schweizer Unternehmen in ähnlichen Geschäftsfeldern (insbesondere die Firma Wander mit Ovomaltine) beigezogen, um die besondere Entwicklung von Nestlé und Nescafé hervorzuheben oder erst verständlich zu machen.
Vorgehen und theoretische Einbettung
Markengeschichte als Unternehmensgeschichte aus der Produktperspektive
Nestlés Aufstieg zum grössten Lebensmittelkonzern der Welt wurde bisher vor allem auf erfolgreiche Fusionen und Übernahmen zurückgeführt:25 «Das enorme Wachstum von Nestlé ist zu einem grossen Teil mit durchwegs erfolgreichen Fusionen und Akquisitionen bewerkstelligt worden – was angesichts der Tatsache, dass solche Zusammenschlüsse oft scheitern, bemerkenswert ist […]»,26 beschrieben beispielsweise Gerhard Schwarz und James Breiding 2011 die erstaunliche Entwicklung des Unternehmens. Wenig beachtet wurde dagegen, dass Nestlé mit seinen Markenprodukten auch ein starkes internes Wachstum aufwies, obwohl das Unternehmen aus Vevey immer wieder betonte, dass dem internen Wachstum der strategische Vorrang gegeben werde.27
Darstellung 1: Trotz den drei «Fusionspeaks» von 1971 (Ursina Franck), 1985 (Carnation) und 1988 (Buitoni/Rowntree) verlief Nestlés Unternehmenswachstum zwischen 1950 und den 1990er-Jahren erstaunlich konstant, was auf ein starkes internes Wachstum hinweist.
Kennzeichnend für diese innere Unternehmensdynamik steht die Marke Nescafé in der Geschäftseinheit der löslichen Pulvergetränke oder Instantgetränke, die sich mit der Herstellung von Kaffee-, Tee- und Kakaopulver beschäftigt. Als Nestlé in den 1970er-Jahren zum weltweit grössten Lebensmittelkonzern aufstieg, erwirtschaftete sie etwa einen Drittel des Umsatzes und über die Hälfte des Unternehmensgewinns.28 Pulvergetränke waren damit sowohl die umsatzstärkste als auch die gewinnbringendste Produktgruppe innerhalb des Konzerns, wobei Nescafé etwa drei Viertel zu dieser aussergewöhnlichen Bilanz der Abteilung beisteuerte.29 Aus dieser Erkenntnis leitet sich die Hypothese der vorliegenden Arbeit ab, dass die aussergewöhnliche Unternehmensentwicklung von Nestlé in bedeutendem Masse mit Nescafé als sehr gewinnbringendes Hauptprodukt oder «Flaggschiff» des Unternehmens zusammenhängt.
Diesen Überlegungen folgend, wird Nestlés Geschichte aus der Produktperspektive von Nescafé dargestellt und das Wachstum des Schweizer Unternehmens anhand seiner Markenprodukte erklärt. Die Sichtweise verbindet die Unternehmensgeschichte über das Markenprodukt mit der Konsumgeschichte und positioniert die Marke am Schnittpunkt zwischen Wirtschaftsund Kulturgeschichte. Zentral sind dabei die Fragen, wie sich Nescafé und dessen Vermarktung im Lauf der Zeit veränderten, warum sich die Marke weltweit verbreiten konnte und welche Verbindungen zwischen Nestlés Produkten bestehen.
Eine solche Unternehmensgeschichte aus der Produktperspektive kann nur dann wissenschaftlich fruchtbar sein, wenn sie interdisziplinär und theoriegeleitet vorgeht.30 Während die Geschichte und Theorie der multinationalen Unternehmen seit den 1980er-Jahren vor allem im angelsächsischen Raum vorangetrieben wurde,31 stellt die Marke in den Geschichtswissenschaften ein noch wenig erforschtes Gebiet dar. Immerhin sind in den letzten Jahren im Bereich der Marketing-Geschichte verschiedene Publikationen32 erschienen, die grundsätzlich zwei Zugänge zur Markengeschichte erkennen lassen: auf der einen Seite ein eher unternehmensgeschichtlicher Zugang, wie ihn beispielsweise Robert Fitzgerald in seiner Publikation über Rowntree33 einnimmt oder die Darstellung zur Geschichte der Toblerone zu ihrem 100-jährigen Jubiläum,34 welche anhand von Marketing-Strategien des Unternehmens die Markengeschichte des süssen Dreizacks nachzeichnet. Andererseits näherten sich verschiedene Autoren dem Gegenstand auch von der kulturgeschichtlichen Seite an. Erwähnenswert sind hierzu Roman Rossfelds Arbeit zur kulturellen Konstruktion der «Schweizer Schokolade»35 oder die zur Jahrtausendwende erschienenen Publikationen zu Werbebildern als Abbilder des Konsum- und Gesellschaftswandels.36
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen werden Marken und multinationale Unternehmen in der vorliegenden Arbeit sowohl mit wirtschaftswissenschaftlichen Konzepten (Transaktionskosten, Grössenvorteilen, Produktlebenszyklus) als auch mit kulturwissenschaftlichen Ansätzen untersucht, die im Folgenden kurz vorgestellt werden.