Patricia Peacock und der verschwundene General

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Ohne Vorwarnung schlug Gräfin Walburga ihr auf die Schulter, sodass Patricia einen Satz nach vorn machte. „Außerdem sind Lady Blanfords Feinde meine Freunde. Nennen Sie mich Walli!“

„Dann müssen Sie mich Patricia nennen“, bat Patricia, während sie bemüht war, ihr Gleichgewicht wiederzufinden.

Der Abend verlief überraschend angenehm und ohne weitere Peinlichkeiten. Walli war eine geradlinige Frau mit einem offenen Wesen, obwohl sie dazu neigte, Personen, die sie nicht mochte, mit unfreundlichen Namen zu versehen. Sie sagte, was sie dachte und hatte nichts Verschlagenes an sich. Dass sie ein wenig burschikos war, störte dabei nicht. Immerhin lebte Patricia seit fast drei Monaten mit John unter einem Dach und war nicht mehr so leicht aus der Fassung zu bringen wie bei ihrer Ankunft in Kairo. Wer hätte das gedacht … sie und John. In England wäre das nicht möglich gewesen, die Leute hätten geredet, aber hier in Ägypten interessierte es niemanden, außer Fatima, die John lieber heute als morgen aus dem Haus gejagt hätte.

Im Grunde war auch Patricia klar, dass Johns Behauptung, nicht die richtige Wohnung in Kairo zu finden, eine Ausrede war. Ein neues Büro für seine Detektei hatte er sehr schnell gefunden. John fühlte sich offenbar wohl in ihrem Haus, und obwohl Patricia es sich nicht gern eingestand, verspürte auch sie keine große Eile, ihn aus dem Haus zu befördern. Zudem gab es ihre schwachen Stunden in der Gartenlaube. Insgeheim ärgerte Patricia ihre Schwäche für John, und sie schwor sich jedes Mal, dass es das Letzte mal wäre; und doch ließ sie sich immer wieder von diesem John-Maddock-Lächeln verführen. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, wenn John sie mit diesem Patricia Darling Blick ansah und wenige Stunden später fand sie sich mit ihm in der Gartenlaube wieder. Sie konnte einfach nicht genug von seinen Küssen bekommen – das war die beschämende Wahrheit.

Wenn sie morgens in ihrem Schlafzimmer aufwachte, hatte Patricia das traurige Gesicht ihrer Mutter vor Augen. Dann schwor sie sich, John so schnell wie möglich aus dem Haus zu schaffen – ehe noch Schlimmeres zwischen ihnen geschah. Bisher waren jedoch alle ihre guten Vorsätze vergebens geblieben.

„Oh, da kommen Mr. Maddock und Huddi. Gleich geht der Kostümwettbewerb los. Sie stimmen doch für uns?“ Walli wirkte entschlossen, zu gewinnen.

Patricia versprach es ihr und meinte es auch so. Lady Blanford gegen Walli und den General verlieren zu sehen – allein das war es wert, heute Abend hierhergekommen zu sein.

„Ich dachte schon, du willst dich drücken“, wandte sich Walli mit vorwurfsvoll hochgezogener Braue an ihren Gatten.

„Wäre das denn eine Option gewesen?“, fragte er hoffnungsvoll.

„Natürlich nicht. Und jetzt komm, wir müssen diesen Kostümwettbewerb gewinnen.“

„Der arme Huddi“, sagte John, als sie den beiden nachsahen, wie sie in Richtung Bühne gingen. „Die Gräfin scheint ihn recht gut unter ihrem Pantoffel zu haben.“ Er warf Patricia einen flammenden Blick zu, der ihr ein Kribbeln im Bauch verursachte. „Soll ich uns nicht doch zum Kostümwettbewerb anmelden? Die verführerische Salome und der verwegene Lawrence von Arabien?“

Es gelang ihr, trotz seiner glühenden Blicke Haltung zu bewahren. „Auf keinen Fall! Außerdem trage ich ein Nachthemd unter dem Kostüm.“

Während John sich vom Tablett eines vorbeigehenden Pagen im Affenkostüm eine Champagnerschale nahm, grinste er. „Es ist noch immer Zeit, es auszuziehen.“

„Das hätten Sie wohl gerne.“

„Sie wissen, was ich gerne hätte, Darling.“

Wie so oft, ignorierte Patricia seine Anzüglichkeiten – mittlerweile schockierten sie diese auch nicht mehr so sehr wie am Anfang ihrer Bekanntschaft. „Es ist viel wichtiger, dass wir für die Gräfin und den General unsere Stimmen abgeben“, lenkte sie das Thema in eine unverfängliche Richtung. „Sie treten gegen Lady Blanford und Princess an. Ich möchte, dass Walli gewinnt. Ich mag sie.“

„Ich finde Huddi auch ganz in Ordnung.“ Sie tauschten einen verschwörerischen Blick. „Lassen Sie uns dem grässlichen alten Nebelhorn eine Lektion erteilen.“

„John, also wirklich ...“ Allerdings musste Patricia zugeben, dass der Vergleich nicht ganz abwegig war.

Sie warteten in seltener Eintracht auf den Auftritt von Walli und dem General, während die anderen Paare auf der Bühne ihre Kostüme vorführten. Es gab ein paar wirklich hübsche darunter, Löwen und exotische Vögel, aber keines besaß so ein spektakuläres Extra wie das Pfauenrad des Generals. Alle Paare ernteten wohlwollenden Applaus und wurden mit einem freundlichen Tusch des Ensembles von der Bühne verabschiedet. Schließlich trat Lady Blanford mit Princess auf und erntete tosenden Applaus für ihr Kostüm.

„Princess wirkt recht träge, finden Sie nicht?“, fragte John zwischen dem Biss in ein Kanapee und einem Zug an seinem Zigarillo.

„Der Panzer ist sicherlich schwer.“ Patricia empfand ein gewisses Maß Mitleid mit der Pudeldame. Zwar konnte sie Princess ebenso wenig leiden wie Lady Blanford, aber im Grunde genommen war der Pudel nur ein Opfer in den Fängen seiner Besitzerin. Und Princess hatte im Gegensatz zu ihr nicht die Hoffnung auf ein Erbe, das sie von Lady Blanford befreite.

Nach einem honorierenden Tusch für Lady Blanford und Princess waren Walli und der General an der Reihe. Mit siegessicherem Lächeln betrat Walli als indische Göttin die Bühne und erntete begeisterten Beifall der Gäste für ihr Kostüm. Doch erst das Pfauenrad des Generals weckte wahre Begeisterungsstürme, und tatsächlich versöhnte der Beifall der Gäste auch den General ein wenig. Das Ensemble honorierte sein Kostüm mit gleich drei Tuschs.

Nachdem alle Kostüme gesichtet wurden, ging ein Champagnerkübel herum, in den die Gäste Zettel mit den Namen des gewünschten Gewinnerkostüms werfen konnten. John und Patricia stimmten für Walli und den General. Salima schlenderte an ihnen vorbei, eine Zigarette mit langer Spitze elegant zwischen den Fingern haltend, und teilte augenzwinkernd mit, dass Lady Blanford sie umgebracht hätte, wenn sie wüsste, dass Salima für den General und die Gräfin gestimmt hatte. Dann verschwand sie wieder an die Seite von Lady Blanford, um ihr zu versichern, wie herausragend ihr Kostüm im Vergleich zu allen anderen gewesen wäre.

In Johns Worten lag eine gewisse Bewunderung. „Dieses Mädchen lässt sogar mich weit hinter sich in Sachen Verschlagenheit.“

Patricia musste ihm recht geben. „Wahrscheinlich ist das ein Charakterzug, den man braucht, um an der Seite von Lady Blanford zu überleben.“ Manchmal wünschte sie sich, zumindest ein wenig mehr wie Salima zu sein … kokett und modern.

Als kurze Zeit später die Gewinner verkündet wurden, und Walli mitsamt ihrem Pfauengatten wieder auf die Bühne gerufen wurden, um den Pokal für das beste Kostüm entgegenzunehmen, wich Lady Blanford alle Farbe aus dem Gesicht. Offenbar war sie fest davon überzeugt gewesen, zu gewinnen.

Sie bedachte Patricia mit einem vernichtenden Blick – ganz so, als wäre es ihre alleinige Schuld, dass sie verloren hatte, und verließ den Silvesterball mit Princess noch vor Mitternacht, ohne Walli und Huddi zu ihrem Sieg zu gratulieren.

Walli und der General kehrten mit stolzgeschwellter Brust von der Bühne zurück.

„Haben Sie gesehen, wie das alte Kamel aus dem Saal gestampft ist?“ Walli klatschte in die Hände. „Jetzt kann das neue Jahr mit guten Vorzeichen beginnen!“

Salima stieß zu ihnen mit einem Glas Champagner. Sie dachte gar nicht daran, Lady Blanford ins selbst gewählte Exil zu folgen. „Das ist ein gelungener Abend, nicht wahr?“ Alle stimmten ihr zu.

Als das Orchester um Mitternacht das neue Jahr mit einem lauten Tusch begrüßte, Champagnerkorken knallten und glitzernder Flitterkram durch den Tanzsaal flog, musste

Patricia zugeben, dass dieser Abend mit John, Salima, der lebenslustigen Walli und dem freundlichen General einer der schönsten war, den sie in der letzten Zeit erlebt hatte – wenn sie vom Weihnachtsfest und den ungebührlichen Treffen mit John in der Gartenlaube absah. Ihr Blick wanderte zu John, und sie ertappte sich bei der Frage, ob es nicht vielleicht immer so sein könnte.

„Meine Liebe“, holte sie Walli, die mittlerweile einen Champagnerschwips hatte, aus ihren Gedanken und hakte sich bei ihr unter. „Ich freue mich wirklich, dass Salima uns einander vorgestellt hat.“

Der General fügte an John gewandt hinzu: „Wir sollten unser Gespräch unbedingt fortsetzen, John.“ An seine Frau gewandt erklärte er: „Es hat sich herausgestellt, dass Mr. Maddock ebenfalls ein glühender Verehrer von Lawrence von Arabien ist!“

Walli verdrehte die Augen. „Ach, du mit deiner Heldenverehrung für diesen Spion, Huddi.“ Sie zwinkerte Patricia zu. „Sie müssen wissen, dass unsere Ehe den Krieg überstanden hat, obwohl Huddi und ich als Deutsche und Engländer an verschiedenen Fronten standen. Ist doch so, oder Huddi?“ Die beiden sahen sich an wie ein jung verliebtes Paar. Der General nahm die Hand seiner Frau und drückte sie.

„Da hat meine Walli recht. Uns bringt nichts auseinander. Deshalb feiern wir in zwei Wochen auch Goldene Hochzeit im Mena Hotel. Sie beide werden doch auch kommen, oder? Wir möchten Sie hiermit offiziell einladen.“

„Oh, natürlich, wie konnte ich vergessen zu fragen?“, stimmte Walli dem General zu.

„Sehr gerne.“ Patricia hätte nicht gedacht, dass sie so bald wieder eine Einladung ins Mena Hotel erhalten würde, und John sah sich sogleich bemüßigt, näher an Patricia heranzurücken. Offenbar hatte er beschlossen, im Sturm auf ihr Schlafzimmer seine Bemühungen zu intensivieren.

„Sie sollten ihn sich schnappen“, raunte Walli in einem Augenblick, als John abgelenkt war.

 

Wenn das nur so einfach wäre …, dachte Patricia, der die Warnung ihrer Mutter vor Männern wie John Maddock immer dann deutlich vor Augen stand, wenn sie ihren Gefühlen nachgeben wollte.

John warf Patricia verstohlene Blicke zu, während sie aus der Motordroschke stiegen und nebeneinander zum Haus gingen. Es war schon fast Morgen, aber ihm war nicht nach Schlafen zumute. Im Gegenteil – Patricias Anblick im schillernden Salome Kostüm wirkte auf ihn wie ein Muntermacher und ein Aphrodisiakum zugleich. Zudem war der Silvesterball rauschend gewesen. Sogar Patricias schlechte Laune war nach und nach verflogen. Sicherlich hatten auch Gräfin Walburga und der General ihren Teil dazu beigetragen. John hatte sich auf Anhieb gut mit Huddi verstanden. Sie teilten eine Leidenschaft für Abenteuer und Abenteurer. Wie schade, dass es nur eine flüchtige Bekanntschaft bleiben würde, entsprungen aus einer Champagnerlaune.

„Das war ein schöner Abend, nicht wahr?“

„Das war er wirklich“, gab Patricia lächelnd zu.

Sie war so unglaublich hübsch, wenn sie lächelte. John nahm all seinen Mut zusammen. Wann, wenn nicht jetzt war der richtige Zeitpunkt, einen Versuch zu wagen?

Das Haus war dunkel – alle schliefen noch. Sogar Sir Tiny war nirgendwo zu sehen.

„Darling ...“, setzte John in angemessen schmachtendem Tonfall an, sobald sie vor ihrer Schlafzimmertür standen. „Sollen wir diesen Abend wirklich schon beenden?“

Sie wandte ihren Kopf und hob eine Braue. „John … ich hoffe nicht, Sie glauben allen Ernstes, ich hätte Ihren Boykott meines Gouvernanten-Kostüms bereits vergessen oder gar vergeben.“

„Aber Darling, alle waren doch begeistert von Ihrem Kostüm.“

„Darum geht es nicht, John.“ Sie bedachte ihn mit einem Blick, der ihm unmissverständlich klarmachte, dass sich seine Hoffnungen nicht erfüllen würden. „Sie können nicht einfach hinter meinem Rücken über mein Kostüm oder mein Leben bestimmen.“

John öffnete den Mund, um zu einer Verteidigungsrede anzusetzen, aber Patricia sprach bereits weiter. „Sie müssen endlich erwachsen werden.“

Ihre Worte schmerzten ihn. „Aber Darling … warum halten Sie so wenig von mir?“ Natürlich hätte er sich die Frage selbst beantworten können. Sie hatte ja recht – er hatte nicht gerade viel getan, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Und die Sache mit dem Kostüm, war vielleicht auch nicht sein bester Einfall gewesen. Andererseits – Lawrence von Arabien und Salome. John hatte es wirklich für eine gute Idee gehalten. Aber wie immer, wenn er glaubte, etwas richtig zu machen, kam etwas Falsches dabei heraus.

„Gute Nacht, John“, verabschiedete sich Patricia von ihm. Einen Augenblick hielt sie inne und schien zu überlegen, sodass er Hoffnung schöpfte. Dann öffnete sie die Tür zu ihrem Schlafzimmer und verschwand darin – ohne ihn.

Johns gute Laune war verflogen, während er zu seinem eigenen Schlafzimmer schlich. Es würde ihm wohl nie gelingen, Patricia zu beweisen, dass er es ernst meinte – so ernst, wie er es nie in seinem Leben mit irgendetwas gemeint hatte. Für sie war er einfach Bruder Leichtfuß und Casanova in einer Person. Dabei hatte John keine andere Frau angesehen, seit er Patricia getroffen hatte – zumindest nicht länger als zwei Sekunden. Warum sah sie das einfach nicht?

Zu allem Überfluss lag Miss Kitty auf der Kommode in der Diele. Ihre Blicke schienen ihn zu verhöhnen und ihm zu sagen, dass sie jedes Wort verstanden hatte, welches Patricia an ihn gerichtet hatte. Bestimmt machte die Katze sich über ihn lustig, weil er mal wieder einen Korb kassiert hatte. Natürlich wusste er, dass es absurd war, das zu glauben. Als ob Miss Kitty derart komplexe Gedankengänge hinter ihrer rot getigerten Stirn verfolgte. Trotzdem fühlte John sich von ihren Blicken provoziert.

„Kusch … geh zu deiner garstigen Herrin, die es genauso wenig wie du erwarten kann, mich loszuwerden.“

Miss Kitty antwortete mit einem Fauchen. Wie um ihn zu verhöhnen, sprang sie von der Kommode, stolzierte hoch erhobenen Schwanzes zu Patricias Schlafzimmertür und begann, daran zu kratzen. Es dauerte keine Minute, bis die Tür geöffnet wurde und die Katze ins Schlafzimmer schlich – nicht, ohne John vorher einen triumphierenden Blick zuzuwerfen.

John sandte der Fellschleuder noch ein paar unfreundliche Worte hinterher. Er hätte darauf geschworen, dass Miss Kitty absichtlich an Patricias Tür gekratzt hatte, um ihm zu zeigen, dass sie im Gegensatz zu ihm willkommen war.

2. Einfach nur ein großer Corgi

„Mr. Maddock, ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“ Der wohlbeleibten Dame im fliederfarbenen Sommerkleid kullerte eine Träne über die gerötete Wange. Die Baronetess Ermingtrude Blooming-Broomfield – sehr betucht und um die sechzig – wäre John wohl am liebsten um den Hals gefallen. Er betete zu allen altägyptischen Göttern, dass sie es nicht tat. Der Überschwang seiner Auftraggeberinnen, wenn er ihnen ihre Haustiere zurückbrachte, nahm manchmal beängstigende Züge an. Erst letzte Woche hatte eine Dame, deren Pekinesen er gerettet hatte, ihn so fest an ihren ausladenden Busen gedrückt, dass John befürchtet hatte, sie würde ihm die Rippen brechen.

Nun ja, solange die Baronetess Blooming-Broomfield sich als großzügig herausstellte, nahm er die ein oder andere gebrochene Rippe in Kauf.

„Oh, keine Ursache, Baronetess. Ich bin froh, dass ich Ihnen Filou unbeschadet zurückbringen konnte.“ Während John das mit seinem charmantesten Lächeln sagte, schob er der Baronetess die Rechnung mit den aufgelisteten Auslagen zu, die sie anstandslos entgegennahm.

„Nicht vorstellbar, was passiert wäre, wenn diese Einheimischen meinen armen kleinen Filou ... oh nein, ich mag gar nicht daran denken.“ Sie wischte sich eine weitere Träne aus dem Auge und betrachtete das vor Aufregung zitternde Hündchen auf ihrem Schoß.

John nickte scheinbar verständnisvoll. Die Baronetess war der festen Überzeugung, dass die Besitzer der Garküche, bei denen er Filou gefunden hatte, den Yorkshire Terrier hatten kochen und den Gästen servieren wollen. John hatte sie nicht davon überzeugen können, dass diese Menschen das herumstreunende und hilflose Schoßhündchen aus purer Freundlichkeit durchgefüttert und nicht hatten mästen wollen. Nichts konnte die Baronetess von ihrer Meinung abbringen. Also hatte John ihr kurzerhand zugestimmt. Es war besser, zahlungswillige Kundinnen nicht zu verärgern.

John warf Sir Tiny, der neben dem Schreibtisch lag und dem Gespräch folgte, einen kurzen Blick zu. Eigentlich war er der Held des Tages, wie bei den meisten seiner gelösten Fälle. Sir Tiny spürte die verschwundenen Hunde auf, aber was noch viel wichtiger war: Die Haustiere schienen ihm zu vertrauen. Ohne Sir Tiny wäre seine Erfolgsquote weitaus geringer gewesen. Stumm versprach John der Dogge ein großes Stück Roastbeef für ihre tatkräftige Hilfe.

„Nicht auszudenken, wenn Filou in einem Kochtopf gelandet wäre“, bekräftigte er die Worte der Baronetess und zählte im Kopf die Pfundnoten mit, die sie ihm auf den Schreibtisch legte. Der Auftrag war einfach und lukrativ gewesen. Außerdem hatte John ein paar Zusatzposten berechnet, um die Besitzer der Garküche für die Beherbergung und Beköstigung Filous sowie die entgegengebrachten Beschuldigungen zu entschädigen.

„Sie leisten wundervolle Arbeit. Ich habe einige Freundinnen, denen ihre Lieblinge abhandengekommen sind und werde Sie weiterempfehlen, Mr. Maddock.“

Sich als Privatdetektiv für verschwundene Haustiere etabliert zu haben, war für John Fluch und Segen zugleich. Einerseits war seine Tätigkeit krisensicher, denn es gab unzählige ältliche Damen, die ihre Haustiere als Kindersatz in einer längst zur Gewohnheit gewordenen Ehe nutzten und sie mit ihrer Liebe fast erdrückten. Da wunderte es kaum, dass die armen Tiere jede Gelegenheit nutzen, der gut gemeinten Umklammerung ihrer Besitzerinnen zu entkommen.

Die Baronetess erhob sich von ihrem Stuhl, der ächzend seine Erleichterung kundtat.

Mit Filou auf dem Arm, der noch immer zitterte, ging sie Richtung Tür und verabschiedete sich mit einem wohlwollenden Nicken von John, während dieser sich fragte, ob das Zittern des Hündchens rassebedingt war oder von der Aussicht herrührte, in sein altes Leben zurückzukehren. John war sich ziemlich sicher, dass es Filou in der Garküche gut gefallen hatte. Die Menschen waren freundlich zu ihm gewesen – und das Wichtigste: Sie hatten ihn wie einen Hund behandelt und nicht wie einen lebendigen Dekorationsartikel. „Ich frage mich, wie du diesen winzigen Hund in der Garküche gefunden hast“, wandte sich John an Sir Tiny, sobald die Baronetess fort war. „Manchmal denke ich wirklich, dass ihr euch untereinander unterhaltet. Sogar du und Miss Kitty. Auch wenn Patricia das als Unsinn abtut.“

Als hätte Sir Tiny seine Worte verstanden, bellte er in einem tiefen Bariton, erhob sich von seinem Platz, und kam schwanzwedelnd zu John, um sich seine Streicheleinheiten abzuholen. Zugegeben – Sir Tiny war vielleicht nicht das, was man von einem Hund seiner Rasse erwartete … weder Furcht einflößend noch schien er sich seiner Größe wirklich bewusst zu sein. Aber die entlaufenen Haustiere vertrauten ihm, und das war für Johns Detektei fast wie ein Jackpotgewinn.

Sir Tiny sah ihn erwartungsvoll an, und John zog einen von Fatimas selbst gebackenen Hundekeksen aus der Hosentasche.

„Den Rest deines Honorars bekommst du heute Abend“, versprach John und stopfte sich die Pfundnoten in die Tasche seines Panama-Anzugs. Heute konnte er die Detektei etwas früher schließen und sich einen neuen Hut kaufen, nachdem das garstige Katzenvieh den letzten mit ihren Krallen zerfetzt hatte. Außerdem musste er etwas für sein niedergetrampeltes Selbstwertgefühl tun.

John warf einen Blick in den Spiegel. Der Anzug stand ihm ausgesprochen gut, wie er fand. Ohnehin hatte sich sein Leben in den letzten zwei Monaten mehr als verbessert. Seit er Patricia getroffen hatte, bemühte er sich, ehrlich und anständig zu sein – zumindest für seine Verhältnisse. Trotzdem nagte das erneute Scheitern vor Patricias Schlafzimmertür nach dem Silvesterball vorgestern Abend an ihm. Noch immer hatte sie ihm die Sache mit dem Kostüm nicht verziehen.

Aber John wollte sich den Tag nicht mit düsteren Gedanken verderben. Außerdem konnte er sich Besseres vorstellen, als in seinem zugegebenermaßen deutlich komfortableren Büro als dem Rattenloch, das er von Rashad gemietet hatte, auf eine neue Kundin zu warten. Zu viele Pflichten waren auf Dauer erdrückend, und dafür war er nicht geschaffen.

„Sollen wir ein wenig Kairo unsicher machen?“

Die Dogge sprang auf, als hätte sie seine Worte verstanden.

Gerade als John die Tür öffnete, stand überraschend eine neue Kundin davor. Er zuckte vor der Frau zurück, die ihr Gesicht hinter einem schwarzen Hutschleier verbarg, besann sich dann jedoch auf seinen Geschäftssinn und setzte sein gewinnendes John-Maddock-Lächeln auf. „Willkommen in der Detektei Maddock. Wir garantieren eine hundertprozentige Erfolgsquote“, leierte er seinen Werbespruch herunter. Das war es dann wohl mit dem freien Tag. Andererseits … zu ein paar Pfundnoten sagte er nicht Nein. Vielleicht wären dann zum Hut noch ein paar neue Schuhe im Budget.

„Womit kann ich Ihnen helfen?“ Die verschleierte Dame machte keine Anstalten, zu antworten. Vielleicht hatte sie vor Kurzem jemanden verloren? Warum sonst der dunkle Schleier vor dem Hut, der sie wie eine Gestalt aus einer dieser Gruselgeschichten aussehen ließ, die sich Damen abends in geselliger Runde erzählten?

Endlich kam Leben in die schwarze Gestalt. „Ha! Meine Tarnung scheint zu funktionieren. Ich hatte schon befürchtet, jemand würde mich auf dem Weg hierher erkennen.“

Die Stimme kam John vertraut vor, aber er erkannte Gräfin Walburga erst, als sie ihren Hutschleier lüftete. „Gräfin Walburga?“

Mit einer resoluten Bewegung, schob die Gräfin John beiseite und schloss dann die Tür hinter ihnen.

„Für Sie Walli! Haben Sie vergessen, dass wir auf dem Silvesterball Brüderschaft getrunken haben?“

John erinnerte sich vage daran, dass der Silvesterball zu späterer Stunde etwas überschwänglich geworden war. Der Champagner hatte ihm zugesetzt, genau wie der Gräfin und dem General. Sogar Patricia hatte ein paar Gläser zu viel gehabt. John entsann sich, dass sie sich irgendwann wie alte Freunde in den Armen gelegen hatten. Allerdings war er nicht davon ausgegangen, dass sich diese Freundschaft über einen Champagnerrausch hinaus erstrecken würde.

„Ich brauche Ihre Hilfe, John! Sie haben doch auf dem Silvesterball erzählt, dass Sie Privatdetektiv sind.“

 

„Ja ...“, antwortete John zögerlich, weil er sich beim besten Willen nicht mehr genau daran erinnern konnte, was er so alles von sich gegeben hatte. „Wunderbar, denn ich habe einen Auftrag für Sie!“

Ohne Aufforderung nahm Walli auf dem Stuhl Platz, der erneut gequält aufächzte, und tätschelte Sir Tiny nebenbei den Kopf. Er war zu ihr getrabt, in der Hoffnung, die Gräfin hätte etwas Essbares für ihn dabei.

„Was für ein netter Hund.“ Auffordernd tippte Walli mit dem Finger auf die Schreibtischplatte, damit John sich ebenfalls setzte.

John folgte der Aufforderung. „Wie kann ich Ihnen helfen? Vermissen Sie Ihren Hund?“

Sie hob die Brauen. „Nein! Ich vermisse Huddi!“

„Den General? Aber er war doch vorgestern noch auf dem Silvesterball.“

„Oh, ja. Das war eine gelungene Silvesterfeier, oder?“ Auf ihrem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, nur um gleich wieder einer finsteren Miene zu weichen. „Und gestern wurde mein Huddi entführt!“

Wer konnte ein Interesse daran haben, den General zu entführen … und warum? „Wäre es da nicht besser, Sie gingen gleich zur örtlichen Gendarmerie?“

Entschlossen schüttelte die Gräfin den Kopf. „Das geht nicht. Der General wurde aus dem Lotusgarten entführt. Es hat mich bereits eine Menge Bakschisch gekostet, die Damen zum Schweigen zu verpflichten. Besonders diese Madame Mona war schwer zufriedenzustellen.“

„Ich verstehe.“ John dachte daran, wie viel Geld die gewiefte Geschäftsfrau ihm bereits aus der Tasche gezogen hatte. Dann erst wurde ihm die Tragweite von Wallis Worten bewusst. „Der General war im Lotusgarten? Und Sie … ich meine, Sie wussten davon?“

Ihr Blick zeigte nicht die geringste Scham. „Nun hören Sie mal, John! Huddi und ich sind fast fünfzig Jahre verheiratet, und die Kunst einer glücklichen Ehe basiert auf Arrangements. Wir schätzen uns gegenseitig und lassen uns unsere Freiheiten. Allerdings feiern wir, wie Sie wissen, in zwei Wochen unsere Goldene Hochzeit. Es werden viele Gäste kommen, auch Huddis Militärfreunde, dazu wichtige Persönlichkeiten aus Politik und Adel. Ich kann denen ja kaum erzählen, dass die Hochzeit nicht stattfindet, weil Huddi aus einem Etablissement der Sünde entführt wurde.“

Wallis Gründe leuchteten John ein, allerdings fragte er sich, was sie sich von einem Detektiv erhoffe, der verschwundene Haustiere aufspürte.

„Sie müssen Huddi für mich finden und ihn rechtzeitig zur Goldenen Hochzeit zurückbringen. Und das Ganze muss äußerst diskret verlaufen. Niemand darf etwas mitbekommen.“

John wusste nicht recht, was er sagen sollte. Einerseits reizte ihn dieser Auftrag – ein richtiger Auftrag. Keine entlaufenen Haustiere. Endlich! Mit einem Blick auf Sir Tiny, der es sich neben der Gräfin bequem gemacht hatte und leise schnarchte, holte ihn jedoch die bittere Realität wieder ein. Reiche Damen um ihr Vermögen zu erleichtern, war eine Sache, aber hier ging es um mehr. Der General und Walli hatten jemanden verdient, der wusste, was er tat.

„Ich fühle mich geehrt, dass Sie mich mit diesem Auftrag betrauen wollen, aber die Wahrheit ist – ich suche verschwundene Haustiere. Corgis, Yorkshire Terrier und Pudel sind meine Klientel.“

Unbeeindruckt zuckte Walli die Schultern. „Na und? Sie haben Huddi doch gesehen. Er ist vollkommen hilflos, wenn er nicht gerade eine Armee hat, die er befehligen und herumkommandieren kann. Stellen Sie ihn sich einfach als großen Corgi vor.“

Ehe John weitere Einwände vorbringen konnte, zog die Gräfin ein Bündel aus ihrem Handbeutel und legte ein kleines Vermögen an Pfundnoten vor John auf den Schreibtisch.

„Werden Sie mir helfen?“

Nein!, schrie sein Verstand. Doch sein Mund antwortete, ohne darüber nachzudenken, angesichts der Pfundnoten: „Aber natürlich, Walli. Ich stehe zu Ihrer Verfügung.“

„Sehr gut!“ Erneut zog Walli etwas aus ihrem Handbeutel. “Es gibt einen Erpresserbrief mit einer Geldforderung.“

John nahm den Brief und las ihn. Er war mit Schreibmaschine geschrieben und forderte eine Summe von einigen hundert Pfund für die Herausgabe des Generals – und zwar in genau acht Tagen. Das Geld sollte vor dem Ägyptischen Museum in Kairo in einer Motordroschke, die an besagtem Tag um zwölf Uhr mittags dort warten würde, hinterlegt werden. Die Motordroschke würde daran zu erkennen sein, dass an dem Griff der Beifahrertür ein rotes Band befestigt wäre.

„Das ist eine seltsame Forderung. Die Summe erscheint mir außerdem nicht besonders hoch.“

„Ganz davon abgesehen, dass ich nicht bezahlen werde“, stellte Walli unbeeindruckt klar. „Aber wäre es nicht das Einfachste, die Forderung zu begleichen? Ich meine, es handelt sich um weniger, als Sie mir für meine Arbeit zahlen. Ich nehme deshalb an, es wäre kein großer Betrag für Sie.“

In Wallis Augen funkelte Kampfeslust. „Darum geht es nicht. Ich lasse mich nicht erpressen. Wenn so etwas Schule macht, werden die Entführer es wieder versuchen. Dann ist niemand mit einem adeligen Namen oder einem gewissen Wohlstand in Kairo mehr sicher. Außerdem treffen die ersten Gäste schon in einer Woche ein. Was soll ich ihnen sagen, wo Huddi ist?“

„Wie erklären Sie denn jetzt Huddis Abwesenheit?“

„Ich habe gesagt, dass Huddi sich auf einer Nilkreuzfahrt befindet und ich meine Suite im Mena Hotel einem unbequemen Flussdampfer vorgezogen habe.“

„Ich verstehe“, antwortete John. „Es wäre sinnvoll, diese Ausrede so lange aufrechtzuerhalten, wie es geht. Weiß noch jemand von der Entführung?“

„Nur unser einheimischer Diener, Anen. Er war ebenfalls im Lotusgarten, als Huddi entführt wurde. Sie können ihn befragen.“

„Vertrauen Sie ihm, dass er schweigt?“ John kannte die Vorliebe für Tratsch unter dem Personal.

Walli legte die Hand auf das Herz. „Anen ist ein Goldstück. Wir hatten nie einen besseren Diener.“

„Also gut, ich werde ihn trotzdem zur Sicherheit noch einmal befragen.“

„Anen steht zu Ihrer Verfügung, John. Ich erwarte bis morgen früh den Plan, wie Sie vorgehen wollen.“

Die Gräfin schien mehr Vertrauen in seine Fähigkeiten zu besitzen, als er selbst. Aber es war zu spät, einen Rückzieher zu machen. „Selbstredend“, versprach John der Gräfin gegen besseres Wissen.

„Wunderbar. Sie sind meine und Huddis Rettung.“ Lächelnd fügte sie hinzu: „Ach, und grüßen Sie die reizende Patricia von mir.“

Walli stand auf und wogte gleich einer Naturgewalt Richtung Tür. Bevor sie sein Büro verließ, zog sie ihren Schleier wieder vor das Gesicht. John hatte keinen Zweifel daran, dass die Gräfin den Entführern des Generals eigenhändig den Hals umdrehen würde, wenn ihr die Unglücklichen in die Finger fielen. Andererseits … vielleicht war Huddi ernsthaft in Gefahr. Egal, wie er es drehte und wendete – er musste den General finden. Alles andere hätte er sich niemals verziehen.

„Auf keinen Fall! Das werde ich nicht tun!“ Patricia konnte nicht fassen, dass John es auch nur in Erwägung zog, das von ihr zu verlangen.

„Aber Darling ...“

„Hören Sie auf, mich Darling zu nennen! Das wird Ihnen auch nicht helfen. Dieser Plan ist absurd und wird niemals funktionieren.“

„Memsahib, meinen Sie ...“ Abdul betrat den Salon, spürte die knisternde Stimmung, die wie ein Gewitter in der Luft lag, wandte sich wortlos um, und ging wieder.

Patricia überlegte, ihm zu folgen und John mit seinem zwischen einem Zigarillo und zu viel Whiskey erdachten Plan sitzen zu lassen.

„Darling, Sie mögen Walli und Huddi doch auch.“

Mit spitzem auf ihn gerichteten Finger wies sie ihn zurecht. „Versuchen Sie ja nicht, mich moralisch in die Defensive zu drängen, John!“ Warum verging nicht ein einziger Tag, an dem er sie nicht in eine furchtbare Situation brachte? Patricia erinnerte sich an das Versprechen, das sie sich gegeben hatte – John aufzufordern, sich ein eigenes Domizil in Kairo zu suchen. Wann, wenn nicht heute, war der richtige Tag dafür?

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?