Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter sozialer Netzwerke im Internet

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2. Eigenständiger Nachfilter

Nach anderer Auffassung handelt es sich bei den Haftungsprivilegierungen um Nachfilter.400 Hierfür wird vor allem auf die Gesetzesbegründung des EGG abgestellt:401 „Sind daher im Einzelfall die Voraussetzungen der allgemeinen Vorschriften für eine Haftung erfüllt, so ist der Diensteanbieter für die Rechtsgutsverletzung gleichwohl nicht verantwortlich, wenn er sich auf das Eingreifen der §§ 9, 10 oder 11 [jetzt §§ 8, 9 oder 10 TMG] berufen kann.“402 Diese Formulierung deutet darauf hin, dass zunächst die allgemeine Haftungsnorm zu prüfen ist und eine Prüfung der §§ 8 bis 10 TMG erst dann in Betracht kommt, wenn diese erfüllt ist. Eine Privilegierung des Diensteanbieters komme demnach erst in Betracht, wenn der Diensteanbieter überhaupt nach den allgemeinen Gesetzen haften kann.403 Die einzelnen Voraussetzungen der Haftung nach den allgemeinen Gesetzen und damit der Strafbarkeit nach einem Straftatbestand unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze, insb. des dreistufigen Verbrechensaufbaus, bleiben demnach von dem Filter unberührt.

Deshalb müssen aus den gleichen Gründen wie bei der Einordnung als eigenständiger Vorfilter auch bei einer Einordnung als eigenständiger und außerhalb der Haftungsnorm zu prüfender Nachfilter die Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen nicht vom Vorsatz (§ 15 StGB, § 10 OWiG) des Diensteanbieters umfasst sein und die Irrtumsregelungen nach §§ 16, 17 StGB und § 11 OWiG fänden keine direkte Anwendung. Ebenso würde eine Teilnahme an einer Tat des Diensteanbieters möglich sein und das Vorliegen einer Haftungsprivilegierung nicht zur Annahme eines „Defekts“ für eine mittelbare Täterschaft führen. Insoweit unterscheidet sich die Qualifizierung als außertatbestandlicher Nachfilter in ihren Folgen nicht von derjenigen als außertatbestandlicher Vorfilter. Beide Ansätze unterscheiden sich allein durch die von ihnen vorgegebene Prüfungsreihenfolge. Während eine Prüfung der Verantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den allgemeinen Gesetzen im Falle der Bejahung eines eigenständigen Vorfilters von vornherein ausscheidet bzw. entbehrlich ist, entfällt die zuvor nach den allgemeinen Gesetzen festgestellte Verantwortlichkeit bei Bejahung eines eigenständigen Nachfilters.

3. Tatbestandsintegrierter Filter

Zum Teil wird die Einordnung der Haftungsprivilegierungen als Vorfilter dem Tatbestand zugeordnet.404 Es handele sich danach um einen sog. verhaltensnormintegrierten bzw. tatbestandsintegrierten Vorfilter.405 Dieser wird innerhalb des Tatbestands – aus Effizienzgründen – vor den Tatbestandsmerkmalen der Haftungsnorm geprüft.406 Mit dieser Lösung bleibt es bei einer zweistufigen Prüfung, die jedoch innerhalb des Tatbestands stattfindet.407 Die §§ 8ff. TMG sind danach Spezialnormen, die auf Tatbestandsebene „die Verantwortlichkeitsregelungen in den einzelnen Rechtsgebieten“ beschränken.408 In diesem Fall ließen sich die Haftungsprivilegierungen als negative Tatbestandsmerkmale auffassen. Der jeweilige Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit würde um die Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen erweitert und erst dann erfüllt sein, wenn die Voraussetzungen, die zu einem Entfallen der Wirkung der §§ 8ff. TMG führen, ebenfalls vorliegen.409

Da es sich dieser Auffassung zufolge bei den Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen um Tatbestandsmerkmale handelt, müsste sich der Vorsatz (§ 15 StGB, § 10 OWiG) des Diensteanbieters auf das Nichtvorliegen der Haftungsprivilegierung bzw. der entsprechenden objektiven Voraussetzungen beziehen. Aus diesem Grund wären zudem die Irrtümer nach §§ 16, 17 StGB und § 11 OWiG anwendbar. Auch wäre bei Bejahung einer Haftungsprivilegierung des Diensteanbieters auf den ersten Blick eine Teilnahme an der Tat des Diensteanbieters ausgeschlossen. Die Haftungsprivilegierung würde nämlich zur Verneinung des Tatbestands und damit zum Nichtvorliegen einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat führen. Allerdings regeln die Haftungsprivilegierungen in Anknüpfung an die Diensteanbietereigenschaft des Betroffenen, dass eine Verantwortlichkeit unter bestimmten Voraussetzungen nicht gegeben ist. Die Haftungsprivilegierungen knüpfen damit an die Beziehung bzw. das Verhältnis des Diensteanbieters zu dem von diesem angebotenen Telemedium an, das für die Tat benutzt wurde, sodass es sich bei dieser und den daran anknüpfenden persönlichen Umständen, wie z.B. die Kenntnis des Diensteanbieters von der rechtswidrigen Handlung oder der Information (§ 10 Satz 1 TMG), um besondere persönliche Merkmale handelt.410 Da dieses Merkmal dazu führt, dass die Verantwortlichkeit und damit die Strafbarkeit des Diensteanbieters und dessen bußgeldrechtliche Ahndung entfällt, gilt es gem. § 28 Abs. 2 Var. 3 StGB und § 14 Abs. 3 Satz 2 OWiG nur für den Teilnehmer, bei dem es vorliegt. Diese Durchbrechung der limitierten Akzessorietät der Teilnahme (§§ 26, 27 Abs. 1 StGB, § 14 Abs. 2 OWiG) führt dazu, dass eine Teilnahme auch dann noch möglich ist, wenn die Haftungsprivilegierungen zwar dem Tatbestand zugeordnet werden, der Teilnehmer aber deren Voraussetzungen nicht selbst erfüllt.

Zudem käme eine mittelbare Täterschaft in Betracht, wenn der mittelbare Täter die Haftungsprivilegierung des Diensteanbieters gezielt ausnutzt, da mit der Privilegierung ein „Defekt“ des Diensteanbieters als Vordermann gegeben wäre.

II. Die einstufigen Modelle

Im Gegensatz zu den zweistufigen Modellen findet mit den einstufigen Modellen eine Integration der Haftungsprivilegierungen in den herkömmlichen Prüfungsaufbau der jeweiligen Haftungsnorm statt.411

1. Tatbestandsmodifizierung

Nach Sieber/Höfinger mache es letztlich keinen Unterschied, ob die Haftungsprivilegierungen als tatbestandsintegrierter Filter412 oder als gesonderte Tatbestandsmerkmale geprüft werden oder aber in die Tatbestandsmerkmale der Haftungsnorm hineingelesen werden.413 Dem ist insoweit zuzustimmen, als dass in diesen Fällen die Haftungsprivilegierungen zum Tatbestand zählen und damit für den Vorsatz (§ 15 StGB, § 10 OWiG), die Irrtümer (§§ 16, 17 StGB, § 11 OWiG) und die Teilnahme sowie mittelbare Täterschaft dasselbe gilt, wie bereits in Bezug auf die Qualifizierung als tatbestandsintegrierter Filter ausgeführt (siehe I. 3.).

Bei der zum Teil vertretenen Integration der Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen in die Tatbestandsvoraussetzungen der allgemeinen Haftungsnorm modifizieren bzw. ergänzen die Haftungsprivilegierungen die Tatbestandsmerkmale der allgemeinen Haftungsnormen bzw. beeinflussen diese.414 Es findet eine Auslegung der Tatbestandsmerkmale der allgemeinen Haftungsnorm unter Berücksichtigung der anwendbaren Haftungsprivilegierung statt.415

Hinsichtlich der Frage, in welches Tatbestandsmerkmal die Haftungsprivilegierung integriert werden kann, werden verschiedene Ansätze vertreten: Ein Hineinlesen der Voraussetzungen könnte durch die Prüfung der §§ 8ff. TMG im Rahmen der „Zurechnung einer Gefahrenquelle“ erfolgen, womit eine Begrenzung der Erfolgszurechnung bzw. des Zurechnungszusammenhangs erreicht würde.416 Im strafrechtlichen Prüfungsaufbau könnte dies insbesondere mit einer Prüfung im Rahmen der objektiven Zurechnung geschehen.417 Orientiert am klassischen Deliktsaufbau würde es sich in diesem Fall um einen tatbestandsintegrierten Nachfilter handeln. Sobola/Kohl halten diesem Ansatz zugute, dass mit der „Einordnung als Regelung des Zurechnungszusammenhangs“ eine Einordnung in ein Tatbestandsmerkmal erfolgt, das „allen Haftungsgrundlagen des Zivil-, Straf- und öffentlichen Rechts gemeinsam ist“.418 Zudem habe diese Einordnung nach Auffassung von Haft/Eisele den Vorteil, dass die Merkmale der Privilegierung je nach Rechtsgebiet unterschiedlich, also rechtsgebietsspezifisch ausgelegt werden könnten und damit „den jeweiligen Besonderheiten der einzelnen Rechtsgebiete hinreichend Rechnung getragen werden“ könne.419 Für Unterlassungsdelikte vertritt Satzger die Auffassung, dass das Vorliegen der §§ 8ff. TMG zu einer Verneinung der für eine Strafbarkeit des Unterlassens erforderlichen Garantenstellung führe.420

Bei einer Tatbestandsmodifizierung oder Integrierung in einzelne Tatbestandsmerkmale würde es sich bei den Merkmalen der Haftungsprivilegierungen um Tatbestandsbeschränkungen handeln, da sie die betroffenen Tatbestandsmerkmale in ihrer Reichweite einschränken.

2. Vorsatzlösung

Ebenfalls eine Tatbestandsmodifizierung betrifft die sog. Vorsatzlösung. Nach dieser wird die Verantwortlichkeit i.S.d. TMG „als Einstehenmüssen für eigenes vorsätzliches Verhalten“ verstanden, was sich daraus ergebe, dass der Diensteanbieter nicht verantwortlich ist, wenn er keine Kenntnis von der Information hat.421 Jedenfalls im Hinblick auf § 10 Satz 1 TMG erscheint bei Annahme einer Tatbestandsmodifizierung die Modifizierung des subjektiven Tatbestands überzeugend.422 Das Tatbestandsmerkmal der „Kenntnis“ in § 10 Satz 1 TMG führt dazu, dass ein bedingter Vorsatz im Rahmen des subjektiven Tatbestands nicht ausreichend ist. Vielmehr muss der Hostprovider nach dieser Auffassung mindestens direkten Vorsatz (dolus directus 2. Grades) besitzen.423

Im Falle der Vorsatzlösung müsste sich der Vorsatz (§ 15 StGB, § 10 OWiG) des Diensteanbieters zwar nicht auf die Anforderungen der Haftungsprivilegierung beziehen, die an den Vorsatz zu stellenden Anforderungen würden aber direkt durch die Haftungsprivilegierung modifiziert. Die Irrtümer nach §§ 16, 17 StGB und § 11 OWiG wären jedenfalls nicht direkt anwendbar, da die Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen im Rahmen des Vorsatzes zu prüfen wären und darüber entscheiden, ob eine Vorsatzmodifizierung erfolgt oder nicht. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sich der Vorsatz auf die Voraussetzungen bezieht, sondern diese müssen rein objektiv vorliegen. Die Bejahung einer Privilegierung im Rahmen einer Vorsatzmodifikation würde zudem dazu führen, dass auf den ersten Blick eine Teilnahme an der Tat des Diensteanbieters nicht möglich wäre, da der Vorsatz verneint und damit keine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat vorliegen würde. Aber auch hier beruht die Modifikation des Vorsatzes auf der Diensteanbietereigenschaft und damit auf einem besonderen persönlichen Merkmal. Insoweit findet auch hier die Regelung des § 28 Abs. 2 Var. 3 StGB und § 14 Abs. 3 Satz 2 OWiG Anwendung, sodass eine Teilnahme unter deren Voraussetzungen trotz einer Privilegierung des Diensteanbieters weiterhin möglich ist. Die Annahme eines „Defekts“ für eine mittelbare Täterschaft wäre grundsätzlich möglich, wenn der Diensteanbieter aufgrund der Haftungsprivilegierung nicht den für eine Tatbestandsverwirklichung erforderlichen Vorsatz aufweist und der mittelbare Täter dies gezielt ausnutzt.424

 

3. Rechtfertigungsgrund

Nach anderer Auffassung sollen die Haftungsprivilegierungen Rechtfertigungsgründe darstellen.425 Danach würde der Diensteanbieter grundsätzlich den strafrechtlichen Tatbestand erfüllen, die Tat wäre jedoch gerechtfertigt.

Da es sich mit der Qualifizierung als Rechtfertigungsgrund bei den Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen nicht um Tatbestandsmerkmale handelt, müsste sich der Vorsatz (§ 15 StGB, § 10 OWiG) des Diensteanbieters nicht auf diese beziehen. Voraussetzung einer Rechtfertigung ist jedoch das Vorliegen subjektiver Rechtfertigungselemente dergestalt, dass die rechtfertigende Situation erkannt und im Rahmen dieser bzw. aus Anlass dieser gehandelt wurde (z.B. ist bei der Notwehr nach § 32 StGB ein Verteidigungswille erforderlich).426 Insoweit beinhalten die Haftungsprivilegierungen mit den Merkmalen der Kenntnis (§§ 9 Satz 1 Nr. 5, 10 Satz 1 TMG) und Absicht (§ 8 Abs. 1 Satz 3 TMG) auch subjektive Elemente. Ein Irrtum käme als Erlaubnistatbestandsirrtum analog § 16 StGB bzw. analog § 11 Abs. 1 OWiG und Erlaubnisirrtum nach § 17 StGB bzw. § 11 Abs. 2 OWiG in Betracht. Die Rechtfertigung durch die §§ 8ff. TMG würde dazu führen, dass eine Teilnahme an einer Tat des Diensteanbieters nicht möglich ist, da keine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat vorliegen würde. § 28 Abs. 2 Var. 3 StGB und § 14 Abs. 3 Satz 2 OWiG führen in diesem Zusammenhang nicht zu einer Durchbrechung der Akzessorietät, da ein Rechtfertigungsgrund des Täters gerade auch für die Teilnehmer gelten muss.427 Ein zu einer mittelbaren Täterschaft führender „Defekt“ auf Seiten des Diensteanbieters wäre hingegen möglich, wenn ein Dritter beim Diensteanbieter einen Irrtum über das Vorliegen der Haftungsprivilegierung und damit der Rechtfertigung hervorruft.428

4. Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe

Nach Auffassung des LG München I sei § 5 TDG 1997 im Rahmen der Schuld zu prüfen, da die in dem Tatbestand verwendeten „Begriffe wie ‚Kenntnis‘ und ‚Verantwortlichkeit‘“ eindeutig auf die Schuldfrage hinwiesen.429 Diese Begriffe finden sich auch in § 10 TMG. Zudem stelle die Formulierung in der Gesetzesbegründung, wonach die Verantwortlichkeit „das Einstehenmüssen für eigenes Verschulden“ ist,430 einen Hinweis in diese Richtung dar.431

Eine Qualifizierung der Haftungsprivilegierungen als Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe würde dazu führen, dass sich der Vorsatz (§ 15 StGB, § 10 OWiG) des Diensteanbieters nicht auf die Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen der §§ 8 bis 10 TMG beziehen muss, da sie nicht zum Tatbestand gehören würden. Ein Irrtum käme analog § 35 Abs. 2 StGB nur in Betracht, wenn sich der Diensteanbieter über tatsächliche Umstände bzw. „die tatsächlichen Voraussetzungen eines anerkannten Entschuldigungsgrundes“, bezogen auf die Haftungsprivilegierungen also über deren tatsächliche Voraussetzungen (z.B. die Umstände die zur Diensteanbietereigenschaft oder zum Vorliegen einer eigenen bzw. fremden Information führen), irren würde.432 Ein Irrtum nach §§ 16, 17 StGB und § 11 OWiG scheidet hingegen aus.433 Eine Teilnahme an der Tat des Diensteanbieters wäre auch bei Bejahung einer Haftungsprivilegierung des Diensteanbieters möglich, da mit dieser weder der objektive und subjektive Tatbestand noch die Rechtswidrigkeit entfallen würden und damit eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat weiterhin gegeben wäre. Dies stimmt auch mit der Wertung des § 29 StGB und § 14 Abs. 3 Satz 1 OWiG überein, wonach jeder Beteiligte ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld bestraft wird. Auch käme ein „Defekt“ für eine mittelbare Täterschaft in Betracht, da der Diensteanbieter bei Vorliegen einer Haftungsprivilegierung nicht volldeliktisch handelt, wenn diese zur Verneinung der Schuld führt.

5. Persönlicher Strafausschließungsgrund

Heghmanns verweist unter Bezugnahme auf die amtlichen Überschriften („Verantwortlichkeit“) der §§ 3 JGG und 12 OWiG sowie im Hinblick auf die Regelungen der §§ 36, 37 StGB zwar darauf, dass die Verantwortlichkeit strafrechtlich grundsätzlich im Zusammenhang mit der Schuld stehe.434 Jedoch stuft er die Haftungsprivilegierungen als persönliche Strafausschließungsgründe ein.435 Denn im Rahmen dieser gehe es anders als bei der Schuld nicht „allein um individuelle Zwangslagen oder subjektives Unvermögen“.436 Busse-Muskala begründet die Einordnung als Strafausschließungsgrund maßgeblich mit dem Wortlaut der Haftungsprivilegierungen und der „durchgängige[n] Verwendung der doppelten Negierung (‚nicht verantwortlich, sofern ... nicht/keine‘)“, wodurch die §§ 8ff. TMG deutlich machen würden, „dass es sich um Ausnahmen der (sonst üblichen) Verantwortung der Normadressaten handelt“.437 Unter Berücksichtigung der Grundregel des § 7 Abs. 1 TMG, wonach Diensteanbieter für eigene Informationen, die sie zur Nutzung bereithalten, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich sind, handele es sich bei den §§ 8ff. TMG um ausdrücklich geregelte Ausnahmen zu diesem Grundsatz, die „die bereits existierenden Strafgesetze“ als Strafausschließungsgründe „materiell-rechtlich ergänzen“.438

Bei einer Qualifizierung der Haftungsprivilegierungen als persönliche Strafausschließungsgründe müssten deren Voraussetzungen nicht vom Vorsatz (§ 15 StGB, § 10 OWiG) des Diensteanbieters umfasst sein.439 Ob über das Vorliegen von persönlichen Strafausschließungsgründen ein Irrtum möglich ist, ist umstritten. Zum Teil wird vertreten, dass es allein auf das objektive Vorliegen eines Strafausschließungsgrundes ankomme und Irrtümer unbeachtlich seien.440 Nach anderer und differenzierender Auffassung sind Irrtümer dann zu berücksichtigen, wenn „im Rahmen des betreffenden Strafausschließungsgrundes privilegierende Schuldgesichtspunkte eine Rolle spielen“, also eine „notstandsähnlich[e] Motivationslage“ Anlass für den persönlichen Strafausschließungsgrund ist.441

Aus denselben Gründen wie bei der Annahme von Entschuldigungsgründen wäre eine Teilnahme an einer Tat des Diensteanbieters weiterhin möglich.442 Dies entspricht auch der Wertung des § 28 Abs. 2 Var. 3 StGB und § 14 Abs. 3 Satz 2 OWiG, der auf persönliche Strafausschließungsgründe Anwendung findet, da es sich bei diesen um besondere persönliche Merkmale handelt, die die Strafe oder Ahndung nur für den Beteiligten (Täter oder Teilnehmer) ausschließen, bei dem sie vorliegen.443 Eine mittelbare Täterschaft scheidet bei einer Qualifizierung der Haftungsprivilegierungen als persönliche Strafausschließungsgründe hingegen grundsätzlich aus, da der Diensteanbieter volldeliktisch handelt und nur aus Gründen, die unabhängig von Unrecht und Schuld sind, nicht bestraft wird.444

III. Stellungnahme

Die Frage der dogmatischen Einordnung der Haftungsprivilegierungen stellt sich mit ihren möglichen Auswirkungen vor allem vor dem Hintergrund des dreistufigen Verbrechensaufbaus. Danach wird bei der Prüfung der Strafbarkeit zwischen Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld unterschieden. Wie gezeigt, wird grundsätzlich eine Einordnung der §§ 8ff. TMG auf jeder dieser Ebenen, aber auch außerhalb von ihnen vertreten, was unterschiedliche Auswirkungen auf das Vorsatzerfordernis und die Irrtümer sowie die Teilnahme und mittelbare Täterschaft hat.

1. Bevorzugung der zweistufigen Vorfilter-Lösung

Bei den Haftungsprivilegierungen der §§ 8ff. TMG handelt es sich nach überzeugender Auffassung um Vorfilter, die vor und unabhängig von der allgemeinen Haftungsnorm und damit außerhalb von Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld zu prüfen sind. Es findet also eine zweistufige Prüfung statt, der zufolge zunächst das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen einer Haftungsprivilegierung nach dem TMG und anschließend nach allgemeinen Grundsätzen die Strafbarkeit und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit des Diensteanbieters zu prüfen sind.

a. Ausführungen in Gesetzesbegründungen

Hierfür sprechen zunächst die Ausführungen in der Gesetzesbegründung des IuKDG zu § 5 TDG 1997. Diese gehen von einer Einordnung als Vorfilter und einer zweistufigen Prüfung aus.445 Noch genauer wird die Stellungnahme des Bundesrates zu dem Gesetzentwurf, der davon ausgeht, dass „die Regelungen zur Verantwortlichkeit [...] der straf- und zivilrechtlichen Prüfung vorgelagert“ sind.446 Danach ist zunächst die Haftungsprivilegierung zu prüfen und sodann, wenn diese nicht einschlägig ist, „in einem zweiten Schritt die straf- und zivilrechtliche Beurteilung vorzunehmen“, wobei „die allgemeinen Grundsätze, namentlich zu Täterschaft und Teilnahme, Gültigkeit haben“ sollen.447 In der Gesetzesbegründung zum EGG, mit dem die §§ 8ff. TDG a.F. geschaffen wurden, deren Systematik den heutigen §§ 7ff. TMG entspricht, führt der Gesetzgeber ebenfalls eine Filterfunktion der Haftungsprivilegierungen an.448

Sofern unter Bezugnahme auf diese Gesetzesbegründung ein Nachfilter angenommen wird, ist festzustellen, dass die dortige Formulierung zwar grundsätzlich dazu geeignet ist, den Eindruck zu erwecken, dass erst die Haftung nach den allgemeinen Vorschriften, z.B. die Verantwortlichkeit nach den einschlägigen Straftatbeständen, zu prüfen ist, bevor die Verantwortlichkeit ggf. durch die Haftungsprivilegierungen ausgeschlossen wird.449 Dem widersprechen jedoch die der konkreten Formulierung vorausgehenden Ausführungen in der Gesetzesbegründung. Nach diesen muss „bevor ein Diensteanbieter auf [...] Grundlage“ der allgemeinen Vorschriften „zur Verantwortung gezogen werden kann, [...] allerdings geprüft werden, ob die aus den allgemeinen Vorschriften folgende Verantwortlichkeit nicht durch die §§ 9 bis 11 [jetzt §§ 8 bis 10 TMG] ausgeschlossen ist“.450 Diese Formulierung spricht klar dafür, dass der Gesetzgeber eine Prüfung der Haftungsprivilegierungen in einem ersten Prüfungsschritt vorgelagert vor dem allgemeinen Haftungstatbestand bezweckt hat.