Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter sozialer Netzwerke im Internet

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

b. Haftungsprivilegierungen beinhalten eine Weichenstellung

Dies spiegelt sich auch in der gesetzlichen Konzeption der §§ 7 bis 10 TMG wider, die mit ihren Regelungen eine Weichenstellung im Hinblick auf eine mögliche Verantwortlichkeit nach den allgemeinen Vorschriften beinhalten:451 Aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 TMG, der bestimmt, dass Diensteanbieter „für eigene Informationen [...] verantwortlich“ sind, ergibt sich eine Zweistufigkeit der Haftungsprüfung. In diesem Zusammenhang folgt aus der Formulierung der §§ 8 bis 10 TMG eine Einordnung als Vorprüfung. Nach diesen ist eine Haftung für fremde Informationen nur in den dort bestimmten Konstellationen gegeben bzw. der Diensteanbieter ist „nicht verantwortlich, sofern“ nicht bestimmte Voraussetzungen vorliegen, welche die jeweilige Privilegierung entfallen lassen.452 Die Haftung nach den allgemeinen Haftungsnormen kann daher schon nach den Formulierungen der §§ 8 bis 10 TMG erst dann erfolgen, wenn diese überwunden bzw. nicht einschlägig sind.453 Gerade die Unterscheidung zwischen „eigenen“ und „fremden“ Informationen in den §§ 7ff. TMG und die Prüfung von privilegierungsausschließenden Merkmalen in den §§ 8ff. TMG stellt die Weichen dahingehend, ob eine Verantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den allgemeinen Gesetzen in Betracht kommt oder nicht.

c. Prüfungseffizienz

Gegen eine Einordnung der Haftungsprivilegierungen als Nachfilter spricht zudem die Prüfungseffizienz. Denn bei Annahme eines Nachfilters wäre zunächst die Haftungsnorm in Gänze zu prüfen und eine Haftung des Diensteanbieters festzustellen, um diese sodann bei Bejahung der Voraussetzungen einer Haftungsprivilegierung im Nachhinein wieder entfallen zu lassen.

d. Horizontale, querschnittartige und rechtsgebietsübergreifende Regelungen

Die hier vertretene Qualifizierung als Vorfilter trägt auch dem Ansinnen des Gesetzgebers Rechnung, der die §§ 8ff. TMG als horizontale, querschnittartige und damit rechtsgebietsübergreifende Regelungen geschaffen hat. Diesem Ansinnen wird allein eine Einordnung als Filter gerecht, dessen Voraussetzungen selbstständig und unabhängig von den konkreten Voraussetzungen der Haftungsnorm zu prüfen sind.454 Denn die jeweiligen Besonderheiten der verschiedenen Rechtsgebiete und deren Haftungsmaßstäbe bleiben durch diese Einordnung unberührt.455 Nach Überwindung des Vorfilters richtet sich die Verantwortlichkeit nämlich allein nach den allgemeinen Haftungsregelungen des einschlägigen Rechtsgebiets. Deshalb ist auch eine Modifizierung einzelner Tatbestandsmerkmale durch die §§ 8 bis 10 TMG abzulehnen.

e. Mögliche Doppelprüfung

Sofern es durch die Einordnung als außertatbestandlicher Vorfilter zu einer doppelten Prüfung von einzelnen Tatbestandsmerkmalen kommt,456 ist dies kein gewichtiges Argument für eine andere dogmatische Einordnung der Haftungsprivilegierungen. Zum einen kann im Falle einer tatsächlichen doppelten Prüfung auf die bereits erfolgte Prüfung verwiesen werden, sodass keine Ineffizienzen drohen. Zum anderen wäre die doppelte Prüfung der vereinfachten, rechtsgebietsübergreifenden Anwendung geschuldet und ist daher hinzunehmen. Nur die getrennte Prüfung von Haftungsprivilegierung und Haftungsnorm, wie sie bei der Einordnung als unabhängiger Vorfilter erfolgt, kann dem gesetzgeberischen Willen einer „umfassenden Haftungsprivilegierung gerecht“ werden.457 Sie dient damit vor allem auch der „Rechtseinheit, -klarheit und -sicherheit“,458 da mit der zweigeteilten Prüfung außerhalb des Tatbestandes und vorgezogen vor die allgemeine Haftungsprüfung eine rechtsgebietsübergreifende gleichartige Prüfung gesichert ist. Damit ist sie vor allem auch prüfungsökonomisch effektiv.459

f. Positive Tätigkeiten der Diensteanbieter

Nach der Konzeption der §§ 8 bis 10 TMG sind „die privilegierten Tätigkeiten von vornherein positiv zu bewerten“ und „gerade nicht – wie es ja bei der Bejahung des Tatbestands einer Haftungsnorm der Fall wäre – grds. verboten“, aber durch die Privilegierung ausnahmsweise erlaubt.460 Diese Erwägung steht jedenfalls einer Qualifizierung als Nachfilter, Rechtfertigungs-, Entschuldigungs- und Strafausschließungsgrund entgegen. Denn diesen ist gemein, dass zunächst die haftungs- bzw. strafrechtliche Tatbestandsmäßigkeit der Tätigkeit festgestellt wird, bevor die Haftung aufgrund der Privilegierung des TMG entfällt. Sofern dem entgegengehalten wird, dass die Qualifikation als außertatbestandlicher Vorfilter dazu führt, dass der Tatbestand „nicht mehr nur typisches Unrecht beschreibt, sondern auch rechtmäßiges Verhalten erfasst“,461 überzeugt dies nicht. Die Haftungsprivilegierungen stellen gerade keine Rechtfertigungsgründe dar (dazu sogleich j.). Das Verhalten als solches bleibt unrechtmäßig. Der Diensteanbieter kann jedoch für dieses unrechtmäßige Verhalten unter bestimmten Voraussetzungen – aufgrund einer Wertungsentscheidung des Gesetzgebers – nicht zur Verantwortung gezogen werden.

g. Kein dogmatischer Bruch

Soweit der Einordnung der Haftungsprivilegierungen als außerhalb der Haftungsnorm zu prüfende Vorfilter ein dogmatischer Bruch oder Rückschritt vorgeworfen wird, der zu einer Vielzahl von Problemen, insb. bezüglich der Irrtümer, führe,462 überzeugt dies ebenfalls nicht. Ein dogmatischer Rückschritt ist schon deshalb nicht gegeben, da auch im Rahmen der strafrechtlichen Versuchsprüfung eine sog. Vorprüfung stattfindet,463 in welcher zunächst die Strafbarkeit des Versuchs und die Nichtvollendung des Tatbestands festgestellt werden.464 Die Haftungsprivilegierungen sind zudem insoweit auch mit den Strafanwendungsregelungen der §§ 3ff. StGB vergleichbar, die ebenfalls nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehören und damit im Ergebnis vor diesem zu prüfen sind.465

h. Kein tatbestandsintegrierter Filter

Hingegen würde eine Qualifizierung als tatbestandsintegrierter Filter, der innerhalb des Tatbestands der Haftungsnorm, aber unabhängig von deren Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen ist, eine neue Prüfungskategorie schaffen. Die sog. verhaltensnormintegrierte bzw. tatbestandsintegrierte Vorfilterlösung ist deshalb abzulehnen.466

Gegen eine solche Einfügung in die Haftungsnorm spricht auch, dass die Tatbestände des materiellen Strafrechts und Ordnungswidrigkeitenrechts grundsätzlich keinen Verweis – ähnlich einer Blankettnorm – beinhalten, der eine Prüfung der Haftungsprivilegierungen des TMG nahelegt.467 Sofern in diesem Zusammenhang zum Teil eine Prüfung im Rahmen der objektiven Zurechnung angenommen wird,468 ist diese bereits deshalb ungeeignet zu einer einheitlichen Prüfung bzw. Anwendung der Haftungsprivilegierungen zu führen, da die abstrakten und abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikte nach strittiger, aber h.M. grundsätzlich keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg besitzen.469 Die Prüfung der objektiven Zurechnung eines tatbestandlichen Erfolgs scheidet deshalb, folgt man der h.M., bei diesen Delikten aus.470 Denn der Erfolg ist nach der Lehre von der objektiven Zurechnung nur dann zurechenbar, wenn ein menschliches Verhalten zu einer rechtlich missbilligten Gefahr geführt und sich diese Gefahr gerade im tatbestandlichen Erfolg realisiert hat.471 Demgegenüber bestrafen die abstrakten und abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikte gerade ein Verhalten, das die Entstehung einer durch sie rechtlich missbilligten Gefahr zur Folge haben kann, wobei die Gefahr selbst nicht eintreten muss.472

Zudem müssten bei einer Einordnung in den Tatbestand auch die Voraussetzungen der §§ 8ff. TMG vom Vorsatz des Diensteanbieters umfasst sein. Dies würde zu einer Steigerung der Anforderungen an ein Entfallen der Haftungsprivilegierung führen. Der Gesetzgeber hat nämlich in § 9 Satz 1 Nr. 5 und § 10 Satz 1 TMG nur auf die Kenntnis des Diensteanbieters abgestellt, die allein das kognitive Element des Vorsatzes betrifft. Das voluntative Element des Vorsatzes wurde vom Gesetzgeber gerade ausgespart.473 Wenn die Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen aber vom Vorsatz umfasst sein müssen, muss insoweit auch das voluntative Element vorliegen.

i. Keine Vorsatzmodifikation

Aber auch eine Modifikation des Vorsatzes ist abzulehnen. Für diese spricht zwar insbesondere im Hinblick auf § 10 Satz 1 TMG, dass dieser für ein Entfallen der Haftungsprivilegierung unter anderem Kenntnis voraussetzt. Bei dieser handelt es sich auch um ein subjektives Element und zwar das kognitive Element des Vorsatzes, jedoch würde diese Lösung im Hinblick auf Fahrlässigkeitsdelikte zu einem „gesonderte[n] Prüfungsaufbau“ führen,474 da diesen gemein ist, dass sie keinen Vorsatz voraussetzen und die subjektive Sorgfaltspflichtverletzung eine Frage der Schuld ist.475 Aber auch im öffentlichen Recht, insb. im Sicherheits- und Ordnungsrecht, wäre das Erfordernis eines Vorsatzes systemfremd, „da die öffentlich-rechtliche Inanspruchnahme eines Verantwortlichen gerade nicht dessen Verschulden voraussetzt.“476

j. Keine Rechtfertigungsgründe

Die Haftungsprivilegierungen stellen auch keine Rechtfertigungsgründe dar. Soweit für eine Prüfung der §§ 8 bis 10 TMG auf Rechtwidrigkeitsebene, aber auch Schuldebene oder eine Qualifizierung als persönlicher Strafausschließungsgrund die Überschrift des dritten Abschnitts des TMG („Verantwortlichkeit“) angeführt wird, ist dem entgegenzuhalten, dass diese Formulierung wegen der rechtsgebietsübergreifenden Geltung nicht zur Herbeiführung einer solchen Einordnung führen kann.477 Vielmehr resultiert aus dem bezweckten umfassenden Geltungsbereich der Haftungsprivilegierungen die Notwendigkeit von Formulierungen, die in allen Rechtsgebieten zu demselben Ergebnis, nämlich der haftungsrechtlichen Privilegierung der Diensteanbieter führen. Aus einzelnen Begrifflichkeiten kann daher nicht auf eine bestimmte Einordnung innerhalb der strafrechtlichen Dogmatik geschlossen werden.478 Zudem finden sich in Rechtfertigungsgründen regelmäßig Formulierungen wie „nicht rechtswidrig“ und „nicht widerrechtlich“, die in §§ 8 bis 10 TMG nicht verwendet werden.479

 

Darüber hinaus weisen die §§ 8 bis 10 TMG auch nicht die dogmatischen Charakterzüge von Rechtfertigungsgründen auf. Rechtfertigungsgründe bezwecken „die sozial richtige Regulierung kollidierender Interessen“.480 Dabei wird „bei einer Kollision zweier Rechtsgüter das höher bewertete Rechtsgutinteresse dem geringer bewerteten vorgezogen“.481 Der Rechtsgutverletzung wird demnach mit einem Rechtfertigungsgrund ein anderes Rechtsgut gegenübergestellt, wodurch das materielle Unrecht beseitigt wird.

Demgegenüber dienen die Haftungsprivilegierungen des TMG der Rechtssicherheit für bestimmte Diensteanbieter, indem deren Verantwortlichkeit Grenzen gesetzt werden. Diese Risikoreduzierung soll vor allem zur „Investitionsbereitschaft in die neuen Medien“ beitragen.482 Sie beruht auf dem Gedanken, dass sich die Tätigkeit der Diensteanbieter auf einen technischen Vorgang beschränkt und einen bloßen Vermittlungsvorgang darstellt.483 Soweit davon auszugehen ist, dass das Verhalten der Diensteanbieter grundsätzlich als sozialadäquat anzusehen ist,484 führt dies nicht zu einer Qualifizierung der daran anknüpfenden Haftungsprivilegierungen als Rechtfertigungsgründe. Denn der Vermittlungsvorgang durch den Diensteanbieter beinhaltet grundsätzlich, dass der Diensteanbieter die Informationen weder veranlasst hat noch kennt.485 Die Information und ihre Verbreitung bleiben jedoch rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit wird durch die Haftungsprivilegierungen nicht beseitigt. Der Rechtsverletzung durch die Tätigkeit des Diensteanbieters wird kein Eingriff in ein anderes Rechtsgut gegenübergestellt, um eine Rechtfertigung herbeizuführen. Vielmehr erfolgt die Privilegierung allein zur Schaffung klarer Haftungskonturen und damit der Rechtssicherheit für die Diensteanbieter, um Investitionen in solche Diensteanbieter und damit wirtschaftliche Zwecke zu fördern. Dies wird auch dadurch deutlich, dass der Diensteanbieter bspw. im Hinblick auf § 10 Satz 1 Nr. 2 TMG zum Einschreiten verpflichtet bleibt, wenn er Kenntnis von der rechtswidrigen Information erlangt hat.486

k. Keine Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe

Auch eine Qualifizierung der Haftungsprivilegierungen der §§ 8 bis 10 TMG als Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe scheidet aus. Schuldausschließungsgründe betreffen den Fall, dass „der Täter unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen bzw. sich von dieser Einsicht leiten zu lassen“.487 Entschuldigungsgründe lassen demgegenüber ausnahmsweise den Schuldvorwurf wegen einer rechtswidrigen Tat entfallen, indem sie an „eine außergewöhnliche Situation“ anknüpfen.488 Diese Situation muss „die Entscheidung zum rechtgemäßen Verhalten“ erschweren.489 Sie muss zur Unzumutbarkeit der Normbefolgung führen, was grundsätzlich der Fall ist, wenn die Situation für den Täter „Unglück“ ist und „auch allgemein als Unglück definiert wird oder aber einer anderen Person zugerechnet werden kann.“490

Wie bereits dargestellt, beruhen die §§ 8 bis 10 TMG allein auf wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten. Sie dienen nicht der Auflösung einer persönlichen Zwangslage des Diensteanbieters. Die Haftungsprivilegierungen entsprechen deshalb nicht dem Charakter eines Entschuldigungsgrundes. Sie regeln zudem keinen Fall, in dem es dem Diensteanbieter an der Einsicht fehlt, das Unrecht seiner Tätigkeit einzusehen, wenn die von ihm übermittelte oder gespeicherte Information strafbar ist. Die Haftungsprivilegierungen stellen demnach auch keine Schuldausschließungsgründe dar.

Eine Einordnung auf der Schuldeben hätte wegen des rechtsgebietsübergreifenden Charakters zudem eine ungleiche Prüfung bzw. Anwendung der Haftungsprivilegierungen zur Folge. Im Rahmen von verschuldensunabhängigen Ansprüchen des Zivilrechts und öffentlichen Rechts würde eine solche Einordnung nämlich ausscheiden. Für diese gelten die §§ 8ff. TMG aber in gleicherweise wie für verschuldensabhängige Haftungsnormen.491

l. Keine persönlichen Strafausschließungsgründe

Persönliche Strafausschließungsgründe führen dazu, dass unabhängig von Unrecht und Schuld die Strafbarkeit der von ihnen erfassten Personen ausscheidet.492 Trotz des Vorliegens dieser Gründe bzw. Umstände ist die „Strafwürdigkeit der Tat [...] an sich zu bejahen, doch geben Unrecht und Schuld hier nicht allein den Ausschlag“, sondern die Strafbarkeit wird aus anderen – außerstrafrechtlichen, aber auch spezifisch strafrechtlichen – Gründen ausgeschlossen.493 Insbesondere kann es sich hierbei auch um kriminalpolitische Zweckmäßigkeitserwägungen handeln.494 Insoweit käme eine Qualifizierung der Haftungsprivilegierungen als persönliche Strafausschließungsgründe grundsätzlich in Betracht. Denn bei ihnen handelt es sich aus den dargestellten Gründen weder um Rechtfertigungsnoch Entschuldigungsgründe. Vielmehr werden mit ihnen wirtschafts- und rechtspolitische Zwecke jenseits von Unrecht und Schuld verfolgt, indem sie für die Diensteanbieter bestimmter Telemedien Rechtssicherheit schaffen und damit die Investitionsbereitschaft in solche Angebote erhöhen sollen.495

Einer Qualifizierung als persönliche Strafausschließungsgründe ist aber die horizontale Geltung der Haftungsprivilegierungen entgegenzuhalten, da sich diese auf das Strafrecht beschränken und „im Deliktsrecht keine Entsprechung haben“.496

m. Ergebnis zur zweistufigen Vorfilter-Lösung

Bei den Haftungsprivilegierungen der §§ 8 bis 10 TMG handelt es sich demnach richtigerweise um außerhalb der Haftungsnorm zu prüfende Vorfilter.

2. Bedeutung der dogmatischen Einordnung für die Annahme eines Irrtums

Zudem stellt sich die Frage, welche Folgen die dogmatische Einordnung der Haftungsprivilegierungen des TMG als außertatbestandliche Vorfilter für die Berücksichtigung eines Irrtums bzw. die Anwendung der strafrechtlichen Irrtumsregelungen hat. Im Ausgangspunkt ist zunächst festzustellen, dass jedenfalls eine direkte Anwendung des Tatbestandsirrtums (§ 16 StGB, § 11 Abs. 1 OWiG) ausscheidet, da die Haftungsprivilegierungen mit der hier gewählten Einordnung nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehören. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB und § 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG setzen aber voraus, dass der Beteiligte bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Aber auch eine direkte Anwendung des Verbotsirrtums nach § 17 Satz 1 StGB und § 11 Abs. 2 OWiG scheidet aus, da dieser das Unrechtsbewusstsein betrifft.497 Das Unrecht bleibt von den Haftungsprivilegierungen jedoch unberührt, da diese eine Strafbarkeit allein aus rechtspolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen entfallen lassen. Sie ähneln damit vor allem persönlichen Strafausschließungsgründen. Es stellt sich deshalb zunächst die Frage, ob die zu den persönlichen Strafausschließungsgründen vertretene Irrtumsdogmatik auf die Haftungsprivilegierungen des TMG übertragen werden kann.

a. Irrtümer bei persönlichen Strafausschließungsgründen

Zur Beantwortung der Frage, inwieweit sich die Irrtumsdogmatik persönlicher Strafausschließungsgründe übertragen lässt, ist in einem ersten Schritt festzustellen, ob und wie Irrtümer in Bezug auf persönliche Strafausschließungsgründe zugelassen und behandelt werden.

Während eine Ansicht498 die Möglichkeit eines Irrtums verneint, will die Gegenauffassung499 differenzieren und Irrtümer dann zulassen, wenn sich Schuldgesichtspunkte in dem persönlichen Strafausschließungsgrund widerspiegeln. Dabei werden verschiedene Ansätze zur Behandlung des Irrtums vertreten; es finden sich insbesondere die Annahme eines Verbotsirrtums (§ 17 StGB) und einer analogen Anwendung des § 16 Abs. 2 StGB sowie einer ebenfalls analogen Anwendung des § 35 Abs. 2 StGB.500

Allerdings sind Irrtümer auch nach der differenzierenden Ansicht dann nicht zu berücksichtigen, wenn der betreffende persönliche Strafausschließungsgrund „ausschließlich oder überwiegend [...] staatspolitischen Belangen dient [...] oder auf kriminalpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen beruht“.501

Ein Beispiel für einen persönlichen Strafausschließungsgrund, der Schuldgesichtspunkte einschließt, ist § 258 Abs. 6 StGB. Danach ist trotz Verwirklichung einer Strafvereitelung straffrei, wer die Tat zugunsten eines Angehörigen begeht. Die Regelung trägt „der notstandsähnlichen Lage desjenigen Rechnung [...], der einen Angehörigen vor Strafe schützt“.502 Demgegenüber handelt es sich bei der Indemnität (§ 36 StGB) um einen persönlichen Strafausschließungsgrund, der staatspolitischen Belangen dient und keine Schuldgesichtspunkte beinhaltet, da gerade keine entschuldigungsähnliche Zwangslage Gegenstand des Strafausschließungsgrundes ist. § 36 StGB dient allein dem Zweck, „vor dem Forum des Parlaments eine möglichst freie Diskussion [zu] ermöglichen“.503

b. Folgen einer Übertragung dieser Grundsätze auf die §§ 8 bis 10 TMG

Nach der differenzierenden Ansicht wäre demnach eine Berücksichtigung von Irrtümern im Rahmen der §§ 8 bis 10 TMG möglich, wenn die Haftungsprivilegierungen auf Schuldgesichtspunkten beruhen und nicht allein staatspolitischen Belangen dienen oder auf kriminalpolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen beruhen.

Die Haftungsprivilegierungen sollen den Diensteanbietern Rechtssicherheit verschaffen und durch die damit verbundene Risikoreduzierung vor allem zur „Investitionsbereitschaft in die neuen Medien“ beitragen.504 Sie beruhen auf dem Gedanken, dass sich die Tätigkeit der Diensteanbieter auf einen technischen Vorgang beschränkt und einen bloßen Vermittlungsvorgang darstellt.505 Auf eine persönliche Zwangslage des Diensteanbieters, die für diesen zu einer Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens führt, wie für Schuldgesichtspunkte im Rahmen eines Entschuldigungsgrundes üblich,506 wird nicht abgestellt.

Die Haftungsprivilegierungen des TMG dienen demnach allein rechtspolitischen Zielen. Dies wird durch die Erwägungsgründe zur ECRL, deren Art. 12 bis 14 durch die §§ 8 bis 10 TMG in deutsches Recht umgesetzt sind, bestätigt. Nach Erwägungsgrund 3 zielt die ECRL „darauf ab, ein hohes Niveau der rechtlichen Integration in der Gemeinschaft sicherzustellen, um einen wirklichen Raum ohne Binnengrenzen für die Dienste der Informationsgesellschaft zu verwirklichen.“ Zudem rekurriert Erwägungsgrund 42 für die Haftungsprivilegierungen der Diensteanbieter auf deren Tätigkeit, die „rein technischer, automatischer und passiver Art“ sei. Nach Erwägungsgrund 40 dienen die Art. 12 bis 14 ECRL zudem der Beseitigung von „bestehende[n] und sich entwickelnde[n] Unterschiede[n] in den Rechtsvorschriften und der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Verantwortlichkeit von Diensteanbietern, die als Vermittler handeln,“ und „das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes [behindern], indem sie insbesondere die Entwicklung grenzüberschreitender Dienste erschweren und Wettbewerbsverzerrungen verursachen.“ Der europäische Richtliniengeber verfolgt mit den Haftungsprivilegierungen demnach ebenfalls Wettbewerbs- und Wirtschaftsinteressen.

Eine (analoge) Anwendbarkeit der strafrechtlichen Irrtumsregelungen in Bezug auf einen Irrtum über das Vorliegen der Voraussetzungen der Haftungsprivilegierungen des TMG wäre deshalb auch bei einer Übertragung der differenzierenden Ansicht zu den Irrtümern bei persönlichen Strafausschließungsgründen nicht gegeben. Eine Entscheidung über die Übertragung dieser Irrtumsdogmatik und innerhalb der dort bestehenden Meinungsunterschiede ist somit entbehrlich.