Die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter sozialer Netzwerke im Internet

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ee. Hier vertretene Auffassung

Überzeugend ist allein der subjektive Ansatz zur Begründung eines besonderen Inlandsbezugs, sodass der Täter eine Wirkung seiner Tat im Inland wollen muss.260

Ein Rückgriff auf § 7 StGB ist abzulehnen, da der nötige Inlandsbezug damit zu eng würde. Denn über § 7 StGB würden grundsätzlich nur „deutsche Staatsbürger geschützt oder als Täter bestraft“.261

Zwar wird dem subjektiven Ansatz teilweise entgegengehalten, dass die Rechtsanwendungsvorschrift des § 9 StGB nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehört und daher nicht vom Vorsatz umfasst sein muss.262 Jedoch wird dabei verkannt, dass § 9 Abs. 1 Var. 4 StGB für den Fall des Versuchs gerade auf die Vorstellung des Täters von dem Ort des Erfolgseintritts abstellt und damit für die Anwendung deutschen Strafrechts die subjektive Zielrichtung des Täters berücksichtigt.263 Insoweit kann auch nicht der Einwand überzeugen, dass es „eines umfangreichen Prozesses“ bedürfe, „um festzustellen, ob der Täter Auswirkungen auf das deutsche Staatsgebiet beabsichtigt hatte“, was im Widerspruch zur Einordnung der fehlenden Anwendbarkeit deutschen Strafrechts als Prozesshindernis stehe.264 Sofern der subjektive Ansatz damit abgelehnt wird, dass dieser die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts „zur Disposition des Einzelnen“ stellt,265 ist dem ebenfalls entgegenzuhalten, dass für den Versuch gerade auf die subjektiven Vorstellungen des Handelnden abgestellt wird. Aber auch sonst kommt es für eine Strafbarkeit wegen des nach § 15 StGB grundsätzlich erforderlichen Vorsatzes regelmäßig auf die Vorstellungen des Täters und Teilnehmers an.

Die nötige Einschränkung der Anwendung des deutschen Strafrechts über den Erfolgsort ist deshalb nach hier vertretener Auffassung im Wege einer teleologischen Reduktion des § 9 Abs. 1 StGB zu erreichen. Als Folge dieser ist das „Oder“ zwischen § 9 Abs. 1 Var. 3 und Var. 4 StGB als „und“ zu lesen.266 Eine Tat ist damit an jedem Ort begangen, an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist und nach der Vorstellung des Täters auch eintreten sollte.

Zur Feststellung der Vorstellung des Täters kann sodann im Wege der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) auf die Kriterien des objektiven Ansatzes zurückgegriffen werden. Indizien für eine entsprechende Vorstellung des Täters können dann die „deutsche Sprache“ des Inhalts und die Bezugnahme auf „deutsche Sachverhalte oder Personen“ sein.267

3. Ergebnis zur Anwendbarkeit deutschen Strafrechts

Für inländische Diensteanbieter als Teilnehmer durch Unterlassen an der Tat eines Nutzers findet deutsches Strafrecht grundsätzlich über § 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 3 StGB Anwendung. Die für den inländischen Diensteanbieter handelnden Personen nehmen ihre Handlungen grundsätzlich im Inland vor und müssen deshalb im Falle des Unterlassens auch grundsätzlich im Inland handeln.

Hingegen scheidet eine Anwendung deutschen Strafrechts über § 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 und 3 StGB in Bezug auf ausländische Diensteanbieter bzw. die für sie handelnden Personen grundsätzlich aus. Anknüpfungspunkt für eine Anwendung deutschen Strafrechts ist hier in der Regel der Ort der Tat (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 i.V.m. Abs. 1 Var. 1 und 3 StGB). Dieser ist hinsichtlich der rechtswidrigen Inhalte i.S.d. § 1 Abs. 3 NetzDG regelmäßig im Inland, da die Nutzer diese Inhalte in aller Regel vom Inland aus in das soziale Netzwerk einstellen und damit im Inland handeln (§ 9 Abs. 1 Var. 1 StGB). Sollte eine Tat von dem Nutzer einmal nicht im Inland begangen sein, kommt es hingegen für die Anwendung des deutschen Strafrechts darauf an, ob der zum Tatbestand gehörende Erfolg im Inland eingetreten ist oder dort nach der Vorstellung des Täters, also Nutzers, eintreten sollte (§ 9 Abs. 1 Var. 3 und 4 StGB). Dabei ist zwischen den verschiedenen Deliktstypen zu unterscheiden. Während Erfolgsdelikte in Form des Verletzungsdelikts und konkrete Gefährdungsdelikte einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg besitzen, ist das Vorliegen eines solchen Erfolgs bei abstrakten und abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten umstritten und nach überzeugender Auffassung zu verneinen. Bezüglich abstrakter und abstrakt-konkreter Gefährdungsdelikte kann deshalb eine Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nicht über den Erfolgsort begründet werden, da sie einen solchen schlicht nicht besitzen. Insoweit scheidet eine Anwendbarkeit deutschen Strafrechts über § 9 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 i.V.m. Abs. 1 Var. 3 und 4 StGB bei solchen Delikten aus.

176 § 4 StGB beinhaltet das sog. Flaggenprinzip und bestimmt, dass deutsches Strafrecht für Taten gilt, die auf einem Schiff oder in einem Luftfahrzeug begangen werden, das berechtigt ist, die Bundesflagge oder das Staatszugehörigkeitszeichen der Bundesrepublik Deutschland zu führen. Die §§ 5 bis 7 StGB regeln die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf bestimmte Auslandstaten. 177 § 6 Nr. 6 StGB nimmt dabei Bezug auf Straftatbestände der Gewalt- und Tierpornographie (§ 184a StGB), Kinderpornographie (§ 184b Abs. 1 und 2 StGB) und Jugendpornographie (§ 184c Abs. 1 und 2 StGB). 178 Vgl. StA Hamburg, Mitteilung des Gerichts vom 8.3.2016 – 7101 AR 57/16, BeckRS 2016, 8783, hinsichtlich der Verantwortlichen der Facebook Inc. und Facebook Ireland Ltd. 179 Vgl. auch Pelz, ZUM 1998, 530. 180 Handel, MMR 2017, 227; Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 9 Rn. 7 und 19. 181 Boese, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 105. 182 Boese, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 105. 183 Boese, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 104. 184 Handel, ZUM-RD 2017, 202, 204; Kudlich, HRRS 2004, 278, 279. 185 Hierauf geht die Staatsanwaltschaft Hamburg in ihrer Entscheidung vom 20.5.2016, 7101 AR 57/16, BeckRS 2016, 12717, mit keinem Wort ein. Vielmehr wird allein darauf abgestellt, wo die Verantwortlichen der Facebook Inc. bzw. Facebook Ireland Ltd. hätten handeln müssen. Die Entscheidung erweckt den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft Hamburg weder eine Beihilfe noch die erste Variante des § 9 Abs. 2 Satz 1 StGB auch nur überhaupt in Betracht gezogen hat. 186 Cornils, JZ 1999, 394, 397; Eser, in: FS 50 Jahre BGH, S. 24; Werle/Jeßberger, JuS 2001, 35, 39; vgl. auch KG, NJW 1999, 3500, 3502; kritisch Walter, JuS 2006, 870, 872. 187 Handel, MMR 2017, 227, 228. 188 Vgl. Handel, MMR 2017, 227, 228; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB, 13. Auflage, § 9 Rn. 80; Heinrich, in: FS Weber, S. 91, 99. 189 Handel, MMR 2017, 227, 228. 190 KG, NJW 1999, 3500, 3502. 191 Heinrich, in: FS Weber, S. 91, 103. 192 BGH, MMR 2001, 228, 231, lässt dies im Ergebnis offen, führt aber aus, dass „Bedenken“ bestehen, „eine auch bis ins Inland wirkende Handlung darin zu sehen, dass der Angeklagte sich eines ihm zuzurechnenden Werkzeugs (der Rechner einschließlich der Proxy-Server, Datenleitungen und der Übertragungssoftware des Internet) zur – physikalischen – ‚Beförderung‘ der Dateien ins Inland bedient hätte“. 193 Handel, ZUM-RD 2017, 202, 204; vgl. BGH, MMR 2015, 200, 201. 194 BGH, MMR 2015, 200, 201; BGH, ZUM-RD 2017, 198, 200. 195 Statt vieler Fischer, StGB, Vor § 13 Rn. 18. 196 Statt vieler Fischer, StGB, Vor § 13 Rn. 18. 197 BGH, MMR 2001, 228, 230; Finke, Die strafrechtliche Verantwortung von Internet-Providern, S. 39f.; Schwiddessen, CR 2017, 443, 446. 198 Bär, in: Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kap. 15 Rn. 207; Bosbach/Pfordte, K&R Beihefter 1/2006, S. 4; Haft/Eisele, JuS 2001, 112, 119; Klengel/Heckler, CR 2001, 243, 248; Mahn, in: Böttger, Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis, Kap. 10 Rn. 22; Pelz, ZUM 1998, 530, 531. 199 Statt vieler Fischer, StGB, Vor § 13 Rn. 19. 200 Offengelassen in BGH, MMR 2001, 228, 230, aber nunmehr abgelehnt in BGH, MMR 2015, 200f. 201 BGH, MMR 2001, 228, 230, wobei die Entscheidung offenlässt, „ob bei rein abstrakten Gefährdungsdelikten ein Erfolgsort jedenfalls dann anzunehmen wäre, wenn die Gefahr sich realisiert hat“; vgl. auch BGH, NJW 1997, 138, 140; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB, 13. Auflage, § 9 Rn. 33f.; ablehnend Pelz, ZUM 1998, 530, 531. 202 BGH, MMR 2015, 200f. und BGH, ZUM-RD 2017, 198, 200; vgl. auch Kudlich, HRRS 2004, 278, 280. 203 Pelz, ZUM 1998, 530, 531. 204 Handel, MMR 2017, 227, 228. 205 BGBl. 1969 I, S. 717, 719; ausführlich zur Gesetzesänderung Sieber, NJW 1999, 2065, 2069. 206 Vgl. auch Klengel/Heckler, CR 2001, 243, 245. 207 BGH, MMR 2015, 200, 201; BGH, ZUM-RD 2017, 198, 200; Handel, MMR 2017, 227, 228; Handel, ZUM-RD 2017, 202, 204; a.A. BGH, MMR 2001, 228, 231, und Sieber, NJW 1999, 2065, 2069. 208 Koch, JuS 2002, 123, 125. 209 So Jofer, Strafverfolgung im Internet, S. 107 und 110f., der ausführt, dass „der Erfolg abstrakter Gefährdungsdelikte [...] regelmäßig zeitgleich mit der Tatbegehung ein[tritt]“ und es genügen lassen will, wenn die „Auswirkungen der Handlung innerstaatliche Rechtsgüter – wenn auch nur abstrakt – beeinträchtigen“. Vgl. auch v. Heintschel-Heinegg, in: v. Heintschel-Heinegg, BeckOK StGB, § 9 Rn. 21. 210 Handel, MMR 2017, 227, 228; Cornils, JZ 1999, 394, 395; Satzger, Jura 2010, 108, 115. 211 StA Hamburg, Mitteilung des Gerichts vom 8.3.2016 – 7101 AR 57/16, BeckRS 2016, 08783. 212 Ambos, Internationales Strafrecht, § 2 Rn. 6 m.w.N. Einen solchen Inlandsbezug verlangt auch BGH, MMR 2001, 228, 231: „[...] liegt auch ein völkerrechtlich legitimierender Anknüpfungspunkt vor“. 213 Handel, MMR 2017, 227, 228. Vgl. auch Breuer, MMR 1998, 141, 143, und Hilgendorf, NJW 1997, 1873, jeweils m.w.N. und unter Bezugnahme auf die Lotus-Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs v. 7.9.1927, StIGHE 5, 71ff. 214 Sieber, NJW 1999, 2065, 2068f.; Ambos, in: MüKo StGB, § 9 Rn. 34; Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 9 Rn. 10; Hörnle, NStZ 2001, 309, 310. 215 Sieber, NJW 1999, 2065, 2070; so wohl auch GBA, MMR 1998, 93, 94, der in seiner Entscheidung ausführt, dass „der Verbreitungserfolg jedenfalls auch im Inland eingetreten ist“. 216 Sieber, NJW 1999, 2065, 2071. 217 Sieber, NJW 1999, 2065, 2071f. 218 Handel, ZUM-RD 2017, 202, 204; Cornils, JZ 1999, 394, 396; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB, 13. Auflage, § 9 Rn. 81; Eser, in: FS 50 Jahre BGH, S. 23; Heinrich, in: FS Weber, S. 91, 104. 219 Handel, MMR 2017, 227, 228. 220 Sieber, NJW 1999, 2065, 2071. 221 Handel, MMR 2017, 227, 228. 222 BGH, MMR 2015, 200f. 223 BGH, MMR 2015, 200, 201. 224 Vgl. Jofer, Strafverfolgung im Internet, S. 108, der aber gerade wegen dieser Vorverlagerung aufgrund der vom Gesetzgeber angenommenen Gefährlichkeit davon ausgeht, dass abstrakte Gefährdungsdelikte einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB besitzen, da anderenfalls die Intention des Gesetzgebers, die dieser mit der Vorverlagerung der Strafbarkeit verfolgt, unterlaufen würde. 225 BGH, MMR 2015, 200, 201. 226 BGH, MMR 2015, 200, 201; ebenso BGH, ZUM-RD 2017, 198, 200; vgl. auch Gercke, ZUM 2017, 915, 919. 227 BGH, ZUM-RD 2017, 198, 200. 228 BGH, MMR 2015, 200, 201; Gercke, ZUM 2017, 915, 919; Handel, ZUM-RD 2017, 202, 205; vgl. auch Klengel/Heckler, CR 2001, 243, 249. 229 BGBl. 2020 I, S. 2600. 230 Fischer, StGB, Vor § 13 Rn. 19; Clauß, MMR 2001, 232. 231 Schwiddessen, CR 2017, 443, 447. 232 Nach Auffassung des BGH, MMR 2001, 228, 230, ist ein zum Tatbestand gehörender Erfolg mit der „konkrete[n] Eignung zur Friedensstörung in der Bundesrepublik Deutschland“ gegeben. Dieser Auffassung zustimmend: Galetzka/Krätschmer, MMR 2016, 518, 521, und Clauß, MMR 2001, 232. 233 BGH, MMR 2001, 228, 229. 234 BGH, MMR 2001, 228, 229f. 235 BGH, MMR 2001, 228, 230. 236 Vgl. Gercke, ZUM 2002, 283, 286ff.; vgl. auch Schwiddessen, CR 2017, 443, 446. 237 Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 9 Rn. 13; Kudlich, HRRS 2004, 278, 280; Satzger, Jura 2010, 108, 116. 238 BGH, ZUM-RD 2017, 198ff. 239 BGH, ZUM-RD 2017, 198, 200. 240 Handel, MMR 2017, 227, 229. Ebenso OLG Hamm, MMR 2019, 53. 241 BGH, ZUM-RD 2017, 198, 200. 242 Handel, MMR 2017, 227, 229 und Handel, ZUM-RD 2017, 202. Zu diesem Ergebnis kommt auch Schwiddessen, CR 2017, 443, 448. 243 BGH, ZUM-RD 2017, 198, 200. 244 Handel, ZUM-RD 2017, 202, 203. 245 Vgl. zu diesem Beispiel: Hilgendorf, NJW 1997, 1873, 1876; Hilgendorf/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, Rn. 159; Breuer, MMR 1998, 141, 142. 246 Die Beleidigung ist vollendet, wenn „die Äußerung [...] zur Kenntnis der beleidigten oder einer anderen Person kommt“, wobei der „Erfolgsort der Ort des Zugangs“ ist, also der Ort an dem sich derjenigen aufhält, der Kenntnis von der Äußerung erlangt (Fischer, StGB, § 185 Rn. 14). 247 Roßnagel, MMR 2002, 67, 70. 248 Vgl. auch Gercke, ZUM 2002, 283, 285. 249 So auch Koch, JuS 2002, 123, 124, der hierin eine „geradezu absurde Konsequenz“ sieht. 250 Handel, MMR 2017, 227, 229; Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 9 Rn. 14; Clauß, MMR 2001, 232; Werle/Jeßberger, in: LK-StGB, 13. Auflage, § 9 Rn. 101f.; Hörnle, NStZ 2001, 309, 310; vgl. auch BGH, MMR 2001, 228, 231. 251 Das generelle Erfordernis eines legitimierenden Inlandsbezugs zur Begründung einer Anwendbarkeit deutschen Strafrechts sieht auch der BGH, MMR 2001, 228, 231. 252 Gercke, ZUM 2002, 283, 287. 253 Hilgendorf, NJW 1997, 1873, 1876. 254 Hilgendorf, NJW 1997, 1873, 1877; Hilgendorf/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, Rn. 160; vgl. auch Blanke, Über die Verantwortlichkeit, S. 90. 255 Collardin, CR 1995, 618, 621. Vgl. auch Gercke, ZUM 2002, 283, 287f., der ausführt, dass dem Anbieter „nur in den Fällen, in denen [er] die Versendung selbst unmittelbar eingeleitet hat, [...] die Datenübertragung an den Nutzer zugerechnet werden“ kann. Soweit jedoch „der Nutzer durch die Ansteuerung eines ausländischen Angebotes eine automatische Übertragung von Daten nach Deutschland ein[leitet], sind dem Anbieter, der keinen Einfluss auf die Auswahl des Empfängers hat, die daraus hinsichtlich des Erfolgsortes resultierenden Konsequenzen aufgrund der selbstverantwortlichen Handlung des Nutzers [...] nicht zuzurechnen“. 256 Breuer, MMR 1998, 141, 144. 257 Paeffgen, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 86 Rn. 46. 258 BGH, Urteil v. 14.2.1979 – 3 StR 412/78 (S), Rn. 10f., juris. 259 Jofer, Strafverfolgung im Internet, S. 113. 260 Handel, MMR 2017, 227, 229; Collardin, CR 1995, 618, 621. 261 Pelz, ZUM 1998, 530, 531. Ebenso Boese, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 109. 262 So Boese, Strafrechtliche Verantwortlichkeit, S. 109; Bosbach/Pfordte, K&R Beihefter 1/2006, S. 4; Breuer, MMR 1998, 141, 143; a.A. Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 9 Rn. 15, der §§ 3ff. StGB als Unrechtsmerkmale einordnet. 263 Handel, MMR 2017, 227, 229. 264 So aber Jofer, Strafverfolgung im Internet, S. 112. 265 So Hilgendorf/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht, Rn. 160. 266 Handel, MMR 2017, 227, 229. 267 Vgl. zu den Kriterien Hilgendorf, NJW 1997, 1873, 1877. Ebenso Handel, MMR 2017, 227, 229.

 

B. Die Anwendbarkeit deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts

Die soeben getätigten Ausführungen gelten entsprechend für die Anwendbarkeit des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts.

Ähnlich wie § 3 StGB bestimmt § 5 OWiG, dass grundsätzlich nur Ordnungswidrigkeiten geahndet werden können, die im räumlichen Geltungsbereich des OWiG, also im Inland, begangen werden.268 Dabei lässt § 5 OWiG eine Abweichung von diesem Grundsatz zu, wenn das Gesetz anderes bestimmt. Hiervon wurde bspw. in § 4 Abs. 3 NetzDG in für Diensteanbieter sozialer Netzwerke relevanter Weise Gebrauch gemacht. Die Norm bestimmt, dass eine Ordnungswidrigkeit nach dem NetzDG auch dann verfolgt werden kann, „wenn sie nicht im Inland begangen wird.“

Ob eine Ordnungswidrigkeit im Inland begangen wurde, bestimmt sich nach § 7 OWiG,269 der im Wesentlichen § 9 StGB entspricht.270 § 7 Abs. 2 OWiG verweist für den Ort der Beteiligung an einer Ordnungswidrigkeit, also unter anderem die Beihilfe,271 auch auf den Ort der Haupttat. Für diesen kommt es nach § 7 Abs. 1 Var. 3 und 4 OWiG ebenfalls auf den Ort an, an dem der „zum Tatbestand gehörende Erfolg“ eingetreten ist bzw. nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte.

Im Ergebnis ist damit festzuhalten, dass sich bei der Frage der Anwendbarkeit deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts nach §§ 5, 7 OWiG grundsätzlich dieselben Fragen stellen wie bei der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts nach §§ 3, 9 StGB.

268 Rogall, in: KK-OWiG, § 5 Rn. 7. 269 Rogall, in: KK-OWiG, § 5 Rn. 9. 270 Rogall, in: KK-OWiG, § 7 Rn. 1. 271 Dabei gilt es zu beachten, dass § 14 Abs. 1 Satz 1 OWiG die Differenzierung zwischen Mittäterschaft und Teilnahme, also Anstiftung und Beihilfe, aufhebt und damit zum sog. Einheitstäter führt, wonach jeder Beteiligte letztlich Täter der Ordnungswidrigkeit ist (vgl. Rengier, in: KKOWiG, § 14 Rn. 4).

C. Ausschluss des deutschen Strafrechts und Ordnungswidrigkeitenrechts durch das Herkunftslandprinzip (§ 3 TMG)?

Aber selbst, wenn das deutsche Strafrecht gem. §§ 3, 9 StGB und das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht gem. §§ 5, 7 OWiG grundsätzlich auf den ausländischen Diensteanbieter eines sozialen Netzwerks anwendbar sind, könnte das Herkunftslandprinzip des § 3 TMG der Anwendung entgegenstehen. Wegen der grundsätzlich grenzüberschreitenden und weltweiten Nutzbarkeit von Telemedien, dient das Herkunftslandprinzip dazu, „das auf Telemedien anzuwendende Recht auf eine einzig anwendbare Rechtsordnung zu kanalisieren und so Rechtsunsicherheiten zu begegnen“, indem die Diensteanbieter ihr Telemedium grundsätzlich nur nach dem am Ort ihrer Herkunft geltenden Recht ausrichten müssen.272

 

I. Anwendbarkeit des Herkunftslandprinzips auf das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht

Teilweise wird vertreten, dass das Herkunftslandprinzip auf das Strafrecht keine Anwendung findet, da die ECRL ausweislich ihres Erwägungsgrunds 8 den Bereich des Strafrechts nicht als solchen harmonisieren soll.273

Dem ist jedoch entgegenzutreten. Eine Harmonisierung des Strafrechts findet mit der ECRL und dem Herkunftslandprinzip nicht statt. Es werden keine Straftatbestände einander angeglichen oder Straftatbestände auf EU-Ebene geschaffen. Vielmehr erfolgt mit dem Herkunftslandprinzip allein eine Bestimmung über die auf den jeweiligen Diensteanbieter anwendbare Rechtsordnung. Zudem spricht für eine grundsätzliche Anwendung des Herkunftslandprinzips auch auf den Bereich des Strafrechts, dass sich die Ausnahmen des § 3 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 lit. a, aa TMG und Art. 3 Abs. 4 lit. a Ziff. i ECRL unter anderem ausdrücklich auf die Verfolgung von Straftaten beziehen.274 Sinn und Zweck des Herkunftslandprinzips sprechen ebenfalls dafür. Dieses soll gerade eine Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs von Telemedien in der Europäischen Union verhindern (vgl. Wortlaut des § 3 Abs. 2 TMG: „Der freie Dienstleistungsverkehr von Telemedien [...] wird [...] nicht eingeschränkt“). Insoweit muss es auf alle Rechtsgebiete Anwendung finden, soweit diese auf die Erbringung von Telemedien Auswirkungen haben und damit geeignet sind, zu einer Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu führen.275 Zu einer solchen Einschränkung kann auch das Ordnungswidrigkeitenrecht führen.

Im Ergebnis ist deshalb von einer Anwendbarkeit des Herkunftslandprinzips auf das Ordnungswidrigkeitenrecht und Strafrecht auszugehen.

II. Voraussetzungen des Herkunftslandprinzips

§ 3 Abs. 2 TMG setzt das in der ECRL und AVMD-RL geregelte und vorausgesetzte Herkunftslandprinzip in deutsches Recht um. Die Regelung schreibt vor, dass der freie Dienstleistungsverkehr von Telemedien, die innerhalb des Geltungsbereichs der Richtlinie 2000/31/EG (ECRL) und der Richtlinie 2010/13/EU (AVMD-RL) in Deutschland von Diensteanbietern, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind, geschäftsmäßig angeboten oder verbreitet werden, vorbehaltlich § 3 Abs. 5 und 6 TMG nicht eingeschränkt wird.

Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass es Diensteanbietern nicht zumutbar ist, die Zulässigkeit ihres Angebots nach den „Rechtsordnungen aller anderen Mitgliedstaaten“ der EU zu prüfen.276