Loe raamatut: «Mara und der Feuerbringer»

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Copyright © 2019 Tommy Krappweis

Copyright © 2019 by Edition Roter Drache für die deutsche Ausgabe

Edtion Roter Drache, Holger Kliemannel, Haufeld 1, 07407 Remda-Teichel

edition@roterdrache.org; www.roterdrache.org

Umschlaggestaltung: *zeichenpool, München

Buchgestaltung: Holger Kliemannel

Korrektorat: Diane Krauss & Holger Kliemannel

Zeichnungen: Adriaan Prent

Fachberatung: Prof. Rudolf Simek

Gesamtherstellung: Jelgavas tipografia, Lettland

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (auch auszugsweise) ohne die schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

ISBN 978-3-964260-44-4

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Teil 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Teil 2

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Teil 1


Ich weiß Heimdalls Horn verborgen

Unter dem himmelhohen heiligen Baum.

Kapitel 1


Aber wenn uns jemand gesehen hat?«

»Dann ist noch lange nicht gesagt, dass er auch den Feuerbringer und die untoten Soldaten gesehen hat.«

»Aber wenn jemand gesehen hat, wie ich das ganze Wasser von überall her rausgezogen hab und wie es um das Denkmal rum ge… gedingst ist?«

»Dann ist noch lange nicht gesagt, dass jemand davon ausgeht, dass du die Ursache dafür warst.«

»Aber wenn jemand gesehen hat, wie ich unten in das Tor eingebrochen bin?«

Professor Weissinger blieb stehen und sah Mara an. Dann grinste er. »Dann, Mara, wird der Jemand sich hüten, dir zu nahe zu kommen.«

Mara nickte. Das traf im Moment sogar aus mehreren Gründen zu, denn sie sahen beide aus, als würden sie zum Himmel stinken. Was vielleicht sogar ebenfalls zutraf …

Keiner trug noch ein sauberes Kleidungsstück. Die Jacke des Professors war zudem an mehreren Stellen aufgescheuert, und der linke Ärmel war nur noch rudimentär an der Schulter befestigt. Beide hatten ein Loch im rechten Hosenbein auf Höhe des Knies und diverse kleine und größere Löcher in allen anderen Kleidungsstücken außer vielleicht den Socken. Dafür waren die aber wohl für den Geruch verantwortlich. Wahrscheinlich hatte bisher deshalb kein Auto angehalten, obwohl sie jedes Mal den Daumen ausgestreckt hatten. Vermutlich war von ihrem Gestank die Windschutzscheibe beschlagen, und man hatte sie übersehen.

Mara verdrehte die Augen. Witze brachten sie jetzt doch nicht weiter! Sie sah sich um. Alles kam ihr so seltsam unwirklich vor. Noch vor ein paar Stunden hatten sie zusammen im Kopf des Hermannsdenkmals auf dem Teutberg gestanden und gegen untote römische Legionäre gekämpft. Der Feuerbringer selbst hatte sie dann in Form eines hochhausgroßen Zenturios angegriffen.

Gut, sie hatten ihn mithilfe des Denkmals selbst und einer Million Liter Wasser empfindlich zurückgeschlagen, aber dafür hatte der Kampf einen Bannkreis der Verwüstung in die Gegend um Detmold gestempelt. Sogar hier, mehrere Kilometer vom Teutberg entfernt waren die Spuren des Kampfes noch deutlich sichtbar.

Seit einer knappen Stunde marschierten Mara und Professor Weissinger nun schon am Rand der Landstraße zurück Richtung Kalkriese. Und alles, was auch nur entfernt mit Wasser zu tun hatte, war … na ja … kaputt. Egal ob Brunnen, Rohre, Hydranten oder Kühlschränke in einer Tankstelle – all diese Dinge waren nun nicht mehr zu retten oder mindestens dringend reparaturbedürftig.

»Du liebe Zeit«, brummte der Professor, als sie gerade eine weitere geplatzte Leitung passierten.

Grotesk verdrehte Rohre ragten aus dem Boden rund um einen einsam stehenden Bauernhof.

Mara hatte sofort wieder ein seltsames Bild im Kopf: Es sah aus, als hätte das Gebäude seine dünnen Spinnenbeine aus dem Boden gezogen, um darauf wegzulaufen, wäre dann aber aufgrund des Gewichts wieder eingeknickt.

Aus ein paar Rohren tröpfelte es nur, aber eine dicke geborstene Leitung mitten in einem Kräutergarten hatte die aufwändig angelegten Beete in eine Schlammwüste verwandelt. Gartenzwerge lagen im Morast wie die Opfer einer Sturmflut, und ihr maskenhaftes Grinsen wirkte so noch psychopathischer.

Mara hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Allerdings nicht so sehr wegen der Gartenzwerge. Die waren ihr schon als kleines Kind ebenso suspekt gewesen wie Zirkusclowns.

Stimmt, dachte sie, es könnte viel schlimmer sein, wenn der Feuerbringer zum Beispiel ein angemalter Clown wäre.

Ein tiefer Seufzer des Professors weckte sie aus ihrem skurrilen Tagtraum. Als er darauf noch ein weiteres Mal seufzte, wusste Mara ziemlich genau, warum. Die Seufzer galten dem Auto seiner Exfrau Stefanie, mit dem sie vom Museum aus vor den untoten Soldaten geflüchtet waren. Genauer gesagt, dem Gedanken, wie er das Steffi beibringen sollte.

»Tut mir leid, dass ich ein Loch ins Dach gemacht habe«, murmelte Mara. »Und dass dann was draufgefallen ist.«

Der Professor stierte nur stumm geradeaus. Okay. Sie versuchte es noch einmal: »Aber es war doch eine gute Idee, das Auto zu tarnen, oder?«

»Ja, Mara. Das war eine tolle Idee, verblüffend in ihrer Einfachheit. Allein der Teufel steckte hier wahrlich im Detail der Durchführung.«

Mara runzelte die Stirn. »Also ehrlich jetzt, ich kann doch nix dafür, dass da ein Berg ist und dass man das von oben nicht so direkt sehen konnte! Ich wusste doch auch nicht, dass es da gleich neben dem Weg steil bergab geht!«

»Nun ja, ich sag mal: Jetzt wissen wir es beide, was?«, antwortete der Professor. »Und das Auto weiß es nun auch.«

Bevor Mara noch etwas zu ihrer Verteidigung anbringen konnte, hob der Professor den Zeigefinger. »Ich habe einen Traum. Darf ich ihn dir erzählen?«

Mara nickte. Was kam denn jetzt?

Professor Weissinger blieb stehen und breitete die Arme aus. »Ich habe einen Traum«, rief er theatralisch. »In diesem Traum bist du gerade im Begriff, etwas zu tun, das ich für eine unfassbar schlechte Idee halte. Darum rufe ich so etwas Ähnliches wie Stopp! Halt! oder Hör um Gottes willen auf zu schieben! Und jetzt kommt das Schönste an diesem Traum: Du! Hörst! Auf! Mich!« Er wartete, bis auch das letzte »Mich« im nahen Waldrand verklungen war, drehte sich dann einfach um und ging weiter.

»Okay, hab’s kapiert«, brummelte Mara so leise, dass es kaum zu hören war. Aber es genügte, um beim Professor einen weiteren Seufzer auszulösen.

Sie holte zu ihm auf, und eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Mara lenkte ihre Gedanken von der wahnsinnigen Nacht hinter ihnen auf den Irrsinn, der vor ihnen lag.

Sie mussten jetzt erst mal zurück zu dem Museum in Kalkriese und ihre Koffer holen. Dann weiter nach Osnabrück und mit der nächsten Zugverbindung ab nach Hause. Nach München!

Denn dort würde dieser schmierige Dr. Thurisaz seine nächsten Seminare abhalten und dabei all den leichtgläubigen Esoterikfans den Vers des Feuerbringers in die weichen Birnen pflanzen. Sie wussten nun ganz sicher: Der Vers war dafür verantwortlich, dass der Feuerbringer namens Loge an Kraft gewann.

Außerdem hatte Mara Angst um ihre Mutter. Diese war in ihrer Begeisterung über das angebliche Rückführungsseminar des Gurus wild entschlossen, weitere Veranstaltungen von ihm zu besuchen!

»Wenn immer mehr Menschen den Vers vom Feuerbringer aufsagen«, fing Mara an.

»… wird er sich irgendwann nicht mehr darauf beschränken, dich zu piesacken«, beendete der Professor den Satz.

Mara runzelte die Stirn. Das machte irgendwie keinen Sinn. »Und das wäre dann die Götterdämmerung? Will der Loge das … das Ende der Welt? Warum denn?«

Der Professor schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Meine Vermutung ist aber, dass der Kampf, der dann mit diesem mächtigen Feuerwesen ausgetragen würde, einem Ende der Welt ziemlich nahe käme.«

Mara schwieg, denn das machte Sinn. Schön, wenn zur Abwechslung mal etwas Sinn machte. Schade, dass es ausgerechnet das war.

Zu Hause warteten also ein paar große Aufgaben. Und eine ganz besondere Aufgabe lag direkt vor ihnen.

»Ähm … haben Sie schon eine Idee, wie Sie Ihrer Exfrau das mit dem Auto erklären?«, fragte Mara.

»Ich weiß ziemlich genau, was ich tun werde, aber ich fühle mich dabei sehr unwohl«, antwortete der Professor zerknirscht. »Ich hasse es, zu lügen.«

»Ehrlich?«, entfuhr es Mara schneller, als sie sich selbst bremsen konnte. Denn sie hatte den Professor nun schon ein paar Mal so was von dermaßen brillant lügen gesehen, dass sich zufällig anwesende Balken nicht nur gebogen, sondern freiwillig in Brezelform gekringelt hätten. Natürlich war das immer im Dienste ihrer großen Aufgabe passiert oder weil er Mara schützen wollte. Trotzdem gefiel ihr dieses Talent so gar nicht. Schließlich bahnte sich da was zwischen Professor Weissinger und ihrer Mutter an, und Mama sollte auf keinen Fall mit einem talentierten Lügner zusammenkommen! Immerhin hatte er jetzt zum ersten Mal gesagt, dass er es nicht gerne tat. Oder hatte er da jetzt auch gelogen? Er hatte dabei allerdings sehr ehrlich ausgesehen. Aber genau das war ja das Problem!

Warum, verdammt noch mal, denke ich immer so viel über alles nach?, dachte Mara. Und warum denke ich jetzt auch noch drüber nach, dass ich immer über alles so viel nachdenke!?

Mara runzelte kurz die Stirn, als sie versuchte, darüber nachzudenken, dass sie gerade darüber nachdachte, wie sie darüber nachdachte, dass sie zu viel nachdachte. Das war mal wieder typisch! Genau dieses Herumgehirne ging ihr selbst so fürchterlich auf die Nerven.

Alles Gedenke hat nämlich auch nix dagegen geholfen, dass jetzt hier überall die Rohre aus dem Boden schauen, alles kaputt ist und vielleicht auch noch irgendwelchen Leuten was passiert ist, die mit dem ganzen Wahnsinn überhaupt nix zu tun haben!, ärgerte sich Mara und fühlte sich einfach nur beschissen. Was für eine Weltenretterin bin ich, wenn ich dabei alles zerstöre?

Sie hatte vor Kurzem einen Film gesehen, in dem sich riesige Roboter quer durch eine amerikanische Stadt prügelten. Dabei hatte der Chefroboter von den Guten immer mit tief donnernder Stimme etwas von »Menschen retten« und »Erde verschonen« gefaselt. Während dieser erdeverschonenden Menschenrettungsaktion zermalmte er aber genau wie alle anderen Robos unzählige Bürogebäude, Autos, U-Bahnen und andere Dinge in Schutt und Brösel. Mara hätte gerne gesehen, was nach dem Abspann passiert wäre. Wenn die Überlebenden nach dem Kampf aus den Trümmern gekrochen kamen und den siegreichen Robotern so was zubrüllten wie: »Rettung?! Verschonen?! Ich glaub, es HACKT!«

Wenn die Leute im Umkreis von Detmold auch nur geahnt hätten, dass das zerrissene Mädchen auf der Landstraße Richtung Osnabrück für die ganze Verwüstung verantwortlich war, hätten sie vermutlich was Ähnliches gebrüllt. Oder sie hätten ihre Fackeln und Mistgabeln ausgepackt, um sie aus dem Bundesland zu jagen. Ach nein, sie war ja nicht Frankensteins Monster, sondern eher so was wie eine Hexe. Und mit denen machte man ja bis vor wenigen Jahrhunderten ganz was anderes.

Was würde ich denn einem Mädel sagen, das gerade mit Zauberkraft mein Haus zerfetzt hat?, überlegte Mara. Ach, du wolltest die Welt retten? Dann glaube ich, du hast da was ganz Wesentliches nicht verstanden!

Mara fühlte sich schuldig und frustriert. Sie beschloss, das Thema zu wechseln, um … um das Thema zu wechseln. »Was machen wir denn jetzt als Nächstes?«

»Nun«, hub der Professor an zu sprechen, und im selben Moment blieb er stehen, als wäre er gegen eine Scheibe gelaufen. Verwundert tat Mara es ihm gleich und sah ihn an. »Was denn?«

»Da«, sagte er nur und deutete auf etwas, das ihnen auf der Straße entgegenkam.

Kapitel 2


Erst sah Mara gar nicht, was er meinte. Doch dann stellte sie fest, dass sich ihnen ein kleiner Punkt näherte. Und zwar mit hoher Geschwindigkeit und das auch noch mitten auf der Straße. War das Ding einfach nur verdammt weit weg und darum so klein oder …

Nein. NEIN! »Ratatösk!«, schrie Mara ebenso erschrocken wie wütend auf und riss ihren Stab empor.

»Warte!«, rief der Professor, doch es war zu spät. Mara hatte bereits auf das verdammte Eichhörnchen angelegt und ließ dem Wasser freien Lauf.

Zu beschreiben, was daraufhin aus dem Stab kam, wäre Mara nicht leicht gefallen. Tröpfeln wäre zu wenig, aber Strahl traf es auch nicht so recht. Okay, Rinnsal? Na ja, es war zu schnell wieder vorbei, als dass man es hätte rinnen sehen.

Etwas bedröppelt musterten Mara und der Professor die kleine Pfütze auf dem Asphalt direkt vor Maras Füßen. »Scheint, als wären die Götter noch ganz schön geschlaucht von gestern«, bemerkte der Professor trocken.

Mara nickte. Ja, das war tatsächlich der beste Beweis für das, was Odins Raben ihnen erklärt hatten: Die alten germanischen Götter hatten Mara in den letzten Wochen immer wieder ihre Kraft geliehen, und nur so hatte sie anscheinend all diese Wunderdinge vollbringen können. Odin und Konsorten hatten gestern im ganzen Land ein gigantisches Nordlicht an den Himmel gezaubert, um die Menschen davon abzulenken, den Spruch des Feuerbringers aufzusagen. So hatte er keine Kraft mehr schöpfen können, und Mara hatte ihn zum zweiten Mal besiegt. Die Aurora war den Göttern großartig gelungen, obwohl sie nur noch einen Bruchteil ihrer alten Macht zur Verfügung hatten. Und jetzt waren sie wohl ganz schön ausgelaugt und hatten nichts mehr übrig für Maras Wasserspielchen.

Mara schluckte den mächtigen Frust hinunter, der in ihr aufstieg. Endlich hatte sie sich dran gewöhnt, dass sie all diese coolen Dinge konnte, und nun konnte sie also doch nix. Zumindest nicht alleine.

Vielen Dank auch für diesen Dämpfer, dachte sie nur und griff den Stab fest mit beiden Händen. Das Eichhörnchen war vielleicht noch fünfzig Meter entfernt und hielt immer noch direkt auf sie zu.

»Komisch, bisher hat es immer aus dem Hinterhalt angegriffen«, ließ sich der Professor vernehmen. »Hat jetzt wohl die Faxen dicke.«

Mara nickte. »Sieht so aus, ja.« Sie griff ihren Stab noch ein bisschen fester. »Ich aber auch.«

Schon stellte sie sich in Gedanken vor, wie sie das Eichhörnchen damit quer über die Straße schmettern würde. Vielleicht hab ich Glück, und es kommt grad ein Laster. Mit Beton drin. Patsch, und es hat sich ausgehörnchent. Unter normalen Umständen hätte Mara so ein Tierchen einfach nur süß gefunden. Aber dieses Viech hatte von ihr keine Gnade zu erwarten, denn es war die puschelige Ausgeburt der Hölle!

Auch Ratatösk selbst hätte Mara, ohne zu zögern, vor den nächsten Reisebus geschubst. Es wollte an Maras Stab – und an den kleinen Bronzedelfin daran, koste es, was es wolle.

»Warum nur will Ratatösk unbedingt deinen Stab«, überlegte der Professor laut, während er am Straßenrand nach irgendetwas suchte, das gegen mythologische Eichhörnchen half. »Der bringt ihm doch nix ohne die Götterkräfte. Ebenso wenig wie dir.«

Aua. Mara spürte die Worte des Professors wie einen Stich mitten ins Herz. Er war also auch der Meinung, dass Mara ohne die Unterstützung der Götter nichts wert war? Sie war genauso nutzlos wie der Stab?

Mara bemerkte gar nicht, dass sie dabei die Arme sinken ließ, obwohl das Eichhörnchen immer näher kam.

Da drehte sich der Professor herum und richtete sich auf. In der rechten Hand hielt er einen großen Stein. Er war wohl tatsächlich zu allem entschlossen.

Überraschenderweise stoppte das Mistvieh etwa zehn Meter von ihnen entfernt. Einen Moment lang geschah gar nichts, als sich die Kontrahenten musterten wie bei einem Westernduell.

Die tiefe Morgensonne hinter Ratatösk warf den grotesk langen Schatten des winzigen Tieres über die Straße. Nichts war zu hören, außer dem leisen Rauschen der Bäume im Wind. Es schien, als hätten sich auch alle anderen großen und kleinen Tiere links und rechts der Straße zurückgezogen, um nicht von einem Querschläger getroffen zu werden. Mara musste die Vorstellung unterdrücken, wie eine Mäusemama ihre Kinder aufgeregt in den Bau zurückzog. Jetzt war nicht der Moment für Kopfkino. Allerdings war jetzt auch nicht der Moment für Westernduelle. Genau genommen, war jetzt der Moment für gar nichts. Und genau danach war Mara im Moment.

Sie warf den Stab mit dem Delfin vor sich auf die Straße, als wäre es ein Stück wertloses Holz. »Da. Und jetzt verpiss dich«, sagte sie nur und ging dann einfach weiter.

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie der Professor sie erstaunt anstarrte. Aber das war ihr leider gerade völlig egal. Er hatte selbst gesagt, dass der Stab nichts wert war, und der blöde Delfin oben drauf war ja auch schon längst leer gezaubert. Also, was sollte sie sich noch groß mit dem elenden Eichhörnchen darum streiten?

»Ist das so etwas wie ein Plan? Dann erklär ihn mir bitte, denn ich verstehe ihn nicht!«, raunte der Professor ihr zu.

»Nein. Kommen Sie?«, antwortete Mara nur, ohne sich umzudrehen, und ging einfach weiter die Straße entlang. Das Eichhörnchen sah erst sie verwirrt an und dann wieder den Stab auf der Straße. Und zurück, und wieder hin und wieder her. Erstaunlich, dass diese kleinen Tiere sich so schnell bewegen konnten, dass man immer nur die Endpose sah, aber nicht die Bewegung selbst. Erstaunlich und egal. Mistviech.

»Aber, Mara! Was … was soll das?!«, hörte sie Professor Weissinger hinter sich rufen, aber sie antwortete nicht, sondern ging einfach weiter. Er konnte sich doch selbst zusammenreimen, was sie da tat. Schließlich hatte er es selbst gesagt, oder nicht?

Alles in ihr schrie danach, sich herumzudrehen und zu ihrem Stab zurückzurennen. Aber ihre Beine liefen wie von selbst immer weiter, und sie konnte nicht stoppen. Ratatösk schien wohl eine Falle zu wittern, denn es machte keine Anstalten, den Stab zu ergreifen. Oder es war einfach nur verwirrt. Obwohl Mara gerade verdammt frustriert und sehr genervt war, bereitete ihr das doch eine gewisse Freude. Trotzdem blieb sie nicht stehen.

Mara passierte das Eichhörnchen und würdigte es dabei keines Blickes. Aus den Augenwinkeln sah sie aber, wie Ratatösk sich schließlich doch entschloss, das Wagnis einzugehen. So blitzschnell, wie es seine Art war, schoss es los.

Mara hörte, wie der Professor einen wütenden Laut ausstieß und gleich darauf das Plockediplock des schweren Steins auf dem Asphalt. Er hatte ihn wohl nach dem Eichhörnchen geworfen, aber natürlich nicht getroffen. Stattdessen raste nur Sekunden später ihr eigener Stab an Mara vorbei. In der Mitte befand sich etwas Rotes, das sich so schnell bewegte, dass man es nur schemenhaft erkennen konnte: Ratatösk hielt den Stab quer umklammert und trug ihn mühelos in den Pfoten, während es die Straße entlangschoss. Dann bog es überraschend ab, und schon waren Eichhörnchen und Stab in dem angrenzenden Feld verschwunden. Nur die Halme der Pflanzen zeigten noch ein paar Sekunden lang, wo es sich befand, und dann regte sich gar nichts mehr. Stille trat ein, und Mara blieb stehen.

Da erst bemerkte sie, dass sie zitterte. Sie kannte dieses Gefühl. Das hatte sie immer, wenn sie begriff, dass sie gerade eine besonders dämliche Grütze verbrochen hatte. Instinktiv machte sie sich bereit für den lautstarken Anschiss ihrer Mutter. Stattdessen folgte ein lautstarker Anschiss von Professor Weissinger.

»Was war DAS denn, in drei Teufels Namen!?«, rief er, während er näherkam. »Ich kann es gar nicht glauben, und doch hab ich es gesehen! Du hast dem Viech deinen Stab überlassen? Kampflos?! Mit dem Delfin? Der Delfin aus dem Museum, den wir Steffi zurückgeben müssen?«

Nein! Mara wäre am liebsten im Boden versunken. Ganz egal, ob die Kraft des Delfins aufgebraucht war – er gehörte ihr nicht, und sie hatten versprochen, ihn zurückzubringen.

»D… daran hab ich gar nicht … ich dachte nur«, purzelte es kleinlaut aus ihr heraus.

»Du dachtest? Das möchte ich an dieser Stelle mal höchst wissenschaftlich anzweifeln, Mara Lorbeer! Wenn du gedacht hättest, dann hättest du das nicht getan!«

»Es ist doch nur, weil Sie gesagt haben, der Stab ist eh wertlos! So wie …« Maras Stimme versiegte, und gleichzeitig erweichte sich auch der Blick von Professor Weissinger.

»Du liebe Zeit, das war es also. Ach Gott, wie konntest du das nur so falsch verstehen.« Niedergeschlagen ließ sich der Professor auf einem verwitterten Grenzstein am Straßenrand nieder.

»Das tut mir leid«, sagte er und starrte zu Boden.

»Nein, mir«, entgegnete Mara sofort.

»Nein, mir. Ich wollte dir doch nicht das Gefühl geben, du wärst wertlos!«

»Nein, mir, weil Sie ja recht haben und ich den Delfin nicht hätte weggeben dürfen!«

»Nein, mir, aber trotzdem«, antwortete der Professor und musste dabei ein kleines bisschen grinsen.

»Immer einmal mehr als Sie«, sagte Mara und grinste auch.

»Immer einmal mehr als du plus tausend unendlich«, erwiderte Professor Weissinger. »Und mit der Unendlichkeit kenne ich mich besser aus als du! Weil ich älter bin und weil ich Wissenschaftler bin, nämlich!« Dabei stampfte er mit dem Fuß auf und machte ein dermaßen beleidigtes Leberwurstgesicht, dass Mara losprusten musste.

Da war der Professor auch schon aufgestanden und schlang seine Arme um Mara. Sie konnte und wollte gar nicht anders und schlang die ihren um ihn. Kaum war das geschehen, begann sie auch sofort, bitterlich zu weinen. Mara spürte, wie sie dabei zitterte und wie ihre Knie weich wurden, aber sie konnte nicht aufhören. Sie hörte die Stimme des Professors wie durch einen Schleier. »Es wird alles gut … Du schaffst das … Wir schaffen das zusammen, Mara«, sagte er, und obwohl seine Stimme beruhigend klang und einfach nur guttat, konnte Mara nicht aufhören zu weinen.

€9,99

Žanrid ja sildid

Vanusepiirang:
0+
Ilmumiskuupäev Litres'is:
22 detsember 2023
Objętość:
374 lk 25 illustratsiooni
ISBN:
9783964260444
Õiguste omanik:
Автор
Allalaadimise formaat:
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