Kinder ohne Karies

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Kinder ohne Karies
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www.editionkeiper.at

© edition keiper, Graz 2021

1. Auflage November 2021

Layout und Satz: textzentrum graz

Autorenfoto: Kyrillos Mikhail

Fotos 1, 10: Privatarchiv DDr. Elisabeth Santigli

Fotos 2, 4, 5, 6: Privatarchiv Dr. Ulrich Remschmidt

Fotos 3, 7, 8, 9: Kyrillos Mikhail

Fotos 11, 12, 13, 14, 15, 16: Teresa Robinson

Alle Illustrationen (Abb. 1 bis 15): Joseph Piaty

Korrektorat: Elisabeth Pirstinger, Michael Strauß

Druck und Bindung: OOK-PRESS KFT

ISBN 978-3-903322-48-6

eISBN 978-3-903322-61-5

KINDER OHNE KARIES

Eine Anleitung für ein

zahngesundes Leben

DR. ULRICH REMSCHMIDT

Inhalt

Danksagung

Vorwort

Die Bedeutung der Milchzähne, oder: Wie alles begann

Die Funktionen der Milchzähne

Was ist Karies und wie erkenne ich sie?

Wie sieht Karies aus?

Kann man Karies spüren?

Was genau sind die Probleme an Karies?

Stadien der Karies

Stufe 1: Initialkaries

Stufe 2: Schmelz- oder Dentinkaries

Stufe 3: Tiefe Zahnkaries / Caries Profunda

Stufe 4: Apikale Parodontitis

Kariesentstehung

1) Bakterien

2) Zeit

3) Kariesanfälligkeit des Zahnes

4) Zucker

5) Zuckerersatz-Stoffe

Ernährung

Fluoride

Zur Geschichte des Fluorids

Wirkungsmechanismus von Fluorid

Aufgaben von Fluorid am Zahn

Fluorid & Toxizität

Brauchen wir Fluorid wirklich?

Wo finden wir natürlich vorkommendes Fluorid?

Ein paar Fakten zu Fluorid

Fluoridempfehlung

Fluorose

Empfehlungen

Allgemeines über Mundspülung und Fluoridlack

Die vier Säulen der Kariesvermeidung

1. Plaque-Kontrolle

2. Stärkung der Widerstandskraft durch Fluoride

3. Ernährung

4. Zahnärztliche Kontrolle

Kinder von 0 bis 6

Welche Zahnpasta?

Die richtige Motivation

Ab wann zur Zahnärztin/zum Zahnarzt?

Das Schnullerproblem

Daumenlutschen

Der Schnuller

Der rechtzeitige Entzug

Tipps für Kinder von 0 bis 6

Kinder von 6 bis 12

Tipps für Kinder von 6 bis 12

Fissuren

Die Pubertät

1) Unterstützen

2) Weiterhin ein Vorbild sein

3) Den richtigen Knopf finden

Putztechnik

Elektrisch oder mit der Hand?

Der Zahnzwischenraum

Lebenslang kariesfrei

Was, wenn es doch passiert?

1. Weiterputzen

2. Ab zur Zahnärztin/zum Zahnarzt

3. Ursachen finden!

4. Aus dem Vorfall lernen

Literatur

Dieses Buch widme ich einem ganz besonderen Menschen. Daniel Felix Attila Bauer, einem treuen Wegbegleiter in meinem Leben, der im August 2017 auf tragische Weise aus unserer Mitte gerissen wurde.

Danksagung

Mein Bruder und ich stellen nun bereits die vierte Generation an Zahnärzten in unserer Familie. Diese langjährige Erfahrung war mir stets eine Hilfe, denn sowohl mein Opa, Herfried Remschmidt, als auch mein Vater, Rainer Remschmidt, ließen mich immer uneingeschränkt an ihrem Wissen teilhaben.

Ein Buch braucht immer viele Mitwirkende, entweder direkt, aber auch indirekt. Direkt hatte ich das Glück, die richtigen Leute um mich zu haben. Mit Anita Keiper, Robert Fimbinger, Kyrillos Mikhail und Joseph Piaty war nicht nur die Arbeit ein Vergnügen, ich habe auch meinen Freundeskreis um vier wertvolle Personen erweitert. Auch meine Fotografin Teresa Robinson sei hier dankend erwähnt. Sie zog leider während des Buchprojektes nach Wien und konnte uns somit nicht bis zum Ende begleiten. Doch wo sich eine Tür schließt, dort öffnet sich eine andere, und so fand ich ein weiteres Talent, den bereits erwähnten Kyrillos Mikhail. Danke euch beiden für all die tollen Bilder.

 

Ein großes Dankeschön an dieser Stelle auch an Bobbys Agency rund um Markus Mansi – ihr seid spitze.

Für die indirekte Hilfe bedanke ich mich bei meinen Eltern, Barbara und Rainer, die mich Zeit meines Lebens in jeder Situation liebevoll begleitet und unterstützt haben.

Ein herzliches Dankeschön geht an Dr. Rainer Remschmidt, Dr. Bernhard Hierzer, Dr. Bernhard Remschmidt, Mag. Birgit Pucher und Anna Achernig sowie an Familie Hofreiter, Erika und Jörg, für das Korrekturlesen und viele wichtige, tolle Inputs.

Mein Großvater mütterlicherseits sei hier nochmals besonders dankend erwähnt: Dr. Jörg Hofreiter, du hast mich zum Schreiben motiviert.

Zu guter Letzt möge hier auch die Grazer Universitätsklinik für Zahnmedizin und Mundgesundheit erwähnt sein, wo ich vieles sehen und lernen durfte. Vor allem das Team der Oralchirurgie um Univ.-Prof. Dr. Dr. Norbert Jakse und Dr. Elisabeth Harrer-Bantleon war ein wichtiger Wegbereiter für dieses Buch und für mich. Auch Dr. Dr. Elisabeth Santigli danke ich an dieser Stelle für die Fotos, die ich verwenden durfte. Auch OA. Dr. Michaela Nebl-Vogl will ich danken, sie hat mich von Anfang an unter ihre schützenden Hände genommen.

Vorwort

Vor vielen Jahren gab es in zahnärztlichen Kreisen eine Sorge: Karies als Krankheit könnte bald aussterben und es würde deshalb ein spürbarer Geschäftsrückgang zu verzeichnen sein. Grund für diese Überlegungen war ein (eigentlich erfreulicher) nachgewiesener jährlich zunehmender Rückgang von Karies.

Davon abgesehen, dass den Kolleginnen und Kollegen, die solche Ängste haben, die Weitsicht fehlt und dass Zahnärztinnen und Zahnärzte auch ohne die Krankheit Karies genug bedeutsame (und auch lukrative) Aufgaben haben, frage ich mich bei meinen täglichen Kontrollen, warum Karies wieder so allgegenwärtig ist.

Wenn ich mir meine Generation, also die um 1990 Geborenen, vor Augen führe, dann haben die meisten einen akzeptablen bis guten Zahnstatus. Viele von ihnen haben noch nie ein »Loch« gehabt.

Auch die Jugendlichen in Deutschland oder Österreich haben zwar einen durchwegs guten Zahnstatus, in letzter Zeit bemerken wir hierzulande jedoch wieder einen deutlichen Anstieg von Karies, vor allem bei den Milchzähnen.

Bei den unter Dreijährigen ist laut neuesten Untersuchungen der Anstieg am größten. Dies war einer der Hauptbeweggründe, um dieses Buch zu schreiben. In meinen Augen ist dies nämlich ein absolut vermeidbarer Trend. Wir haben heutzutage das Wissen und die Mittel, um die Krankheit Karies weitgehend in den Griff zu bekommen und sukzessive auszurotten.

Ein weiterer Beweggrund für dieses Buch: Zusätzlich zu der Tätigkeit in meiner Praxis bin ich einmal pro Woche an der Grazer Klinik für Zahnmedizin und Mundgesundheit als Lehrbeauftragter tätig und ein- bis zweimal im Monat übernehme ich dort einen Dienst auf der Kinderklinik für die Sanierung in Narkose.

Was wird im Rahmen einer solchen Sanierung gemacht? Kinder werden in Vollnarkose behandelt. Sie bekommen Füllungen und gegebenenfalls werden auch Zähne gezogen. Das muss geschehen, wenn Kinder nicht herkömmlich in der Zahnarztpraxis zu behandeln sind, entweder aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie zu viel Angst haben.

Die Termine für diese Sanierungen sind mittlerweile an unserer Klinik fast ein Jahr ausgebucht. (Wenn es sich um eine Notsituation handelt, wie zum Beispiel eine gefährliche Schwellung, wird natürlich ein Termin eingeschoben.) Pro Kind sind zwischen fünf und sechs Personen beschäftigt, die Kosten für so einen Eingriff sind immens.

Mich erschreckt einerseits die immer weiter steigende Anzahl an sanierungsbedürftigen Kinderzähnen, andererseits die Tatsache, dass viele Kinder sich vor lauter Angst bei der Voruntersuchung oftmals nicht einmal in den Mund schauen lassen.

Wenn ich mit den Eltern spreche, stoße ich immer wieder auf Schuldabweisung und Nichtwissen. Sie unterschätzen die Bedeutung von Milchzähnen und die Gefahr von Karies ebenso wie das Risiko des Eingriffs. Mich überrascht immer wieder, wie leichtfertig die Eltern die Narkoseeinwilligung unterschreiben, ist doch ganz groß als Komplikation »möglicher Todesfall« angegeben. Wie kann man es nur so weit kommen lassen?

Und das Ganze wäre so leicht zu vermeiden! Ein Kind ohne Karies freut sich über einen Besuch bei seiner Zahnärztin/seinem Zahnarzt, wo es natürlich viel Lob für die schönen Zähne gibt, und manchmal springt sogar eine Belohnung heraus. Das Kind assoziiert dann etwas Positives mit dem Besuch, vor dem so viele Menschen Angst haben, und die jährlichen Kontrollen und Mundhygienetermine werden problemlos eingehalten. Somit steht einem lebenslangen gesunden Gebiss nichts mehr im Weg.

Aber wie bereits erwähnt, ist in den meisten Fällen leider genau das Gegenteil zu beobachten. Schon fast vergessene Probleme wie Zuckerteekaries (oder Nuckelflaschenkaries, auch bekannt als nursing bottle syndrome) tauchen vermehrt auf.

Wenn ich die Eltern über das Ess- und Trinkverhalten ausfrage, erzählen sie mir immer wieder von dem Apfelsaft, der Milch und dem gesüßten Tee aus der Flasche. Auf meinen Einwand, dass nur Wasser als tägliche Begleitung in Frage kommt, höre ich Aussagen wie »Er/ Sie trinkt aber kein Wasser« oder »Das wusste ich ja gar nicht«.

Auch neuartige Krankheiten, wie zum Beispiel die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (kurz: MIH), im Volksmund auch »Kreidezähne« genannt, bei der eine veränderte Zusammensetzung des Zahnschmelzes zu beobachten ist, vermehren sich zunehmend. Die Ursache der MIH ist bis heute ungeklärt, aber manche sprechen schon von einer neuen Volkskrankheit. Die Prävalenz liegt diffus zwischen 0,5 und 40%.

Weiters sind nicht nur offensichtliche Erkrankungen der Zähne, sondern auch Zahnfehlstellungen wieder im Ansteigen. Noch nie wurden so viele Zahnspangen verschrieben wie heutzutage. Und auch wenn eine Zahnspange als »normal« gilt, muss man Zahnfehlstellungen zu jenen Erkrankungen des Kausystems dazuzählen, bei denen eine Therapie benötigt wird.

Aber woran liegt der Anstieg von Karies, Schmelzstörungen und Zahnfehlstellungen?

Hinsichtlich Karies ist der Schuldige schnell gefunden: Zucker. Aber liegt es allein am steigenden Zuckerkonsum? Laut einer Statistik aus dem Jahr 2017/18 konsumierten die Österreicher pro Kopf durchschnittlich 33,3 Kilogramm Zucker im Jahr. Dies ist zwar deutlich mehr als vor 100 Jahren, aber seit ungefähr 10 Jahren ist wieder ein leichter Rückgang zu beobachten. Also würde ich hier nicht den alleinigen Grund der zunehmenden Zahnerkrankungen vermuten.

Meiner Erfahrung nach findet sich die Ursache in der Aufklärung und in der Erziehung. Unsere Generation hat aufgrund der zurückgehenden Karies verlernt, auf diese Krankheit zu achten. Hinzu kommen Unwissen oder Ignoranz der mundgerechten Ernährung und eine Überdosis an kieferfeindlichen Schnullern oder Fläschchen.

Denn wenn Kinder schreien, gibt es die Nuckelflasche, um sie zu beruhigen. Am besten noch mit Saft oder Milch. Das sorgt dann für Zuckerattacken bei jedem einzelnen Schluck.

Insgesamt schlucken wir ungefähr 600 bis 2000 Mal täglich. Da braucht sich keiner mehr wundern, warum sich Karies bildet, wenn bei jedem Schluck Zucker auf die Zähne gelangt. Zusätzlich entsteht eine starke Sogwirkung auf Zähne und Kiefer, die gerade dabei sind, sich zu entwickeln. Das fördert Zahn- und Kieferfehlstellungen.

Des Weiteren sind Milchzähne deutlich anfälliger für Karies als bleibende Zähne, und: Wenn Karies erst einmal entstanden ist, schreitet sie immer schneller fort. Das führt zu frühzeitigem Zahnverlust, der wiederum Fehlstellungen begünstigt. Ein fataler Kreislauf, der zur Schädigung des Kindergebisses führt.

Bei Zucker alleine die Schuld zu suchen, ist in meinen Augen jedoch der falsche Weg. Damit würden wir es uns zu einfach machen. Denn, wie wir später noch erfahren werden, die Entstehung von Karies ist von vielen Faktoren abhängig, nicht nur vom Zuckerkonsum.

Fakt ist jedoch, dass seit dem Auftauchen der industriellen Nahrung die Häufigkeit von Zahnfehlstellungen und Karies rapide zugenommen hat. Wir essen einfach zu weich, zu oft und zu nährstoffarm. (Corruccini, 1990)

In diesem Buch werden wir die unterschiedlichen Gründe der Entstehung von Karies und Zahnfehlstellungen genau beleuchten und die Faktoren, welche wir beeinflussen können, erörtern. Genau bei diesen Hebeln können wir dann ansetzen und die Grundlage für ein gesundes Gebiss schaffen. Jedes weitere Kind ohne Karies bringt uns einen Schritt näher an ein absolut realistisches Ziel der Weltgesundheitsorganisation: 80% der sechsjährigen Kinder in Österreich sollen kariesfrei sein.

Das war das Ziel für 2020. Auch wenn wir es leider verfehlt haben, glaube ich an die Chance, dieses Ziel in naher Zukunft zu erreichen. Deutschland hat es bereits vorgemacht: In der Gruppe der Zwölfjährigen kann das Land bereits solche Zahlen vorweisen.

Dieses Buch soll Ihr Interesse an der Mundgesundheit wecken, eine Anleitung zur bestmöglichen Vermeidung von Karies darstellen und als ein Nachschlagewerk für den täglichen Gebrauch dienen.

Des Weiteren finden sich Empfehlungen, Tipps und Tricks für jede Altersgruppe, um Kariesbildung zu verhindern. Auch weitere wichtige Punkte, wie zum Beispiel die Ernährung, die uns hilft, die Zähne von innen zu stärken, möchte ich kurz anschneiden.

Gesunde Zähne sind möglich. Jedoch liegt dies in den ersten Jahren vor allem in den Händen der Eltern.

Interessierte, die meine Quellen nachlesen wollen, finden das Quellenzitat immer direkt in Klammer gesetzt nach den zitierten Beiträgen, mit Namen natürlich. Ein ausführliches Quellenverzeichnis befindet sich am Ende des Buches. Ich finde, große Namen gehören möglichst oft erwähnt.

Viel Spaß beim Lesen.

Ulrich Remschmidt

Die Bedeutung der Milchzähne, oder: Wie alles begann …

Die Aussage eines Vaters, welcher mit seinem Sohn in meine Praxis kam, beschäftigt mich bis zum heutigen Tag. Der Grund für seinen Besuch war eine erste Zahnkontrolle bei seinem dreijährigen Sohn. Als ich die Mundhöhle des Kindes inspizierte, fielen mir sofort einige Löcher auf. Einige seiner Milchzähne waren nur noch Wurzelreste.

Ich wandte mich mit ernster Miene an den Vater und klärte ihn darüber auf, wie wichtig das Nachputzen ist und dass eine Erstvorstellung in der Zahnarztpraxis eigentlich ab dem ersten Zahn notwendig sei. Er schaute mich jedoch nur fragend an und sagte: »Das sind doch nur Milchzähne, oder?«

Natürlich weiß ich, dass diese Haltung nicht auf alle Eltern übertragbar ist, aber dennoch merke ich häufig, dass heutzutage einem Großteil der Bevölkerung die Wichtigkeit des Milchgebisses nicht bewusst ist. Dies wurde auch bereits durch diverse Umfragen belegt.

Eine Studie aus Indien zum Beispiel zeigte: Nur 39% der Eltern sind sich der Wichtigkeit von frühzeitigen Kontrollen und der Gefahr von Milchzahnkaries überhaupt bewusst. Wenn es die Eltern nicht wissen, wie sollen es dann die Kinder wissen? Auch andere Länder, wie zum Beispiel Saudi-Arabien, schnitten in solchen Umfragen sehr schlecht ab und zeigten deutliche Wissenslücken. (Kamil et al., 2015; Setty, & Srinivasan, 2016)

Nun könnten Sie selbstverständlich das Argument einbringen, dass die Bevölkerung in Europa besser aufgeklärt ist. Das mag bedingt zutreffen, aber auch deutsche Kollegen berichten von unzureichendem Wissen bei Eltern. (Stumpf, 2012)

Bei diesen Umfragen ging es übrigens gar nicht um wissenschaftlich komplexe Themen. Es wurden Fragen zu Lage, Anzahl und Funktion der Milchzähne sowie deren Auswirkung auf die bleibenden Zähne gestellt.

Fakt ist: Ein entzündungsfreies Milchzahngebiss ist eine der wichtigsten Grundlagen für ein gesundes Leben. Die ersten sechs Jahre eines Kindes sind sehr bedeutsam für die weitere Entwicklung, und gerade sie unterliegen einem starken Einfluss durch die Außenwelt. Schäden in dieser Zeit können langfristige Folgen haben.

Mittlerweile wissen wir dank neuester Erkenntnisse der Wissenschaft, dass die Grundlage für ein gesundes Leben sogar noch viel früher geschaffen wird, nämlich bereits im Mutterleib.

 

In der Frühphase unserer Entwicklung sind wir vulnerabel und ein Mangel an Nährstoffen, ein gesundheitsschädigendes Verhaltensmuster oder vermeintliche Kleinigkeiten, wie zum Beispiel ein entzündeter Zahn, können lebenslange Konsequenzen haben.

Auch wenn manche Eltern der Meinung sind, dass Milchzähne wenig Relevanz haben und nur die »Erwachsenen-Zähne« eine Wertschätzung verdienen – dies ist ein falscher Zugang und Denkansatz, denn die Funktionen von Milchzähnen sind vielseitig und bedeutsam.

Die Funktionen der Milchzähne

Wir brauchen Milchzähne unter anderem als Platzhalter für die nachkommenden Zähne. Bei frühzeitigem Verlust der Milchzähne kann es zu einem nachgewiesenen Verlust dieses wertvollen Platzes kommen, welchen die nachfolgenden Zähne eigentlich brauchen. (Heilmann, Sheiham, Watt, & Jordan, 2016)

Wird ein Milchzahn also durch Karies zerstört und muss entfernt werden, können die weiter hinten stehenden Zähne nach vorne kippen oder wandern. Der bleibende Zahn, welcher noch im Knochen liegt, hat dann leider keinen Platz mehr zum Durchbrechen und bleibt regelrecht im Kiefer stecken.

Wird der Platzverlust nicht durch einen sogenannten »Platzhalter« verhindert, kann es im weiteren Verlauf zur Notwendigkeit einer sowohl finanziell als auch zeitlich aufwendigen Zahnspange kommen. Und nicht nur Zeit und Geld sind ein Thema. Jeder, der eine Zahnspange hatte, weiß, wie schmerzhaft sie hin und wieder (gerade in den ersten Tagen nach dem Nachstellen) sein kann.


Foto 1: Ein »Platzhalter«

Falls der Schaden nicht rechtzeitig behoben wird, kann er sich sogar auf die Entwicklung unseres Gesichts auswirken. Wir brauchen unsere ersten Zähne, um die Kieferbögen richtig auszuformen. Die Zähne und der Zahnkontakt geben dem Körper und den Knochen Reize für das richtige Wachstum.

Ein früher Verlust kann eine Reihe von sowohl ästhetischen als auch funktionellen Problemen nach sich ziehen. Diese sind dann im höheren Alter oft nur noch mittels einer Operation zu lösen. Natürlich wird keiner den Eltern die Schuld geben, wenn eine aufwendige Kieferoperation ansteht, jedoch wäre sie eventuell vermeidbar gewesen.

Unterschätzen Sie nicht die umfassenden Folgen früher Zahnfehlstellungen! Ein optimaler Mundschluss ist äußerst wichtig, ansonsten kommt es zur Austrocknung der Mundhöhle und verminderter Speichelbildung. Das wiederum begünstigt Karies, und die Kinder sind anfälliger für alle möglichen Infektionserkrankungen.

Selbstverständlich brauchen wir unsere Milchzähne auch für die Nahrungszerkleinerung. Essen ohne Zähne macht wenig Spaß und ohne sie kann es zu einem gestörten Essverhalten kommen. Denn ein schmerzender, durch Karies zerstörter Zahn kann beim Essen wehtun. Dies führt wiederum zu einem Schmerz-Vermeidungs-Verhaltensmuster. (Frenzel, & others, 1933)

Damit wird eine Spirale ausgelöst, die in diesem Stadium der Entwicklung enorme Schäden, wie zum Beispiel Mangelerscheinungen, anrichten kann. Zusätzlich steigt durch frühkindliche Karies auch das Risiko für Karies im bleibenden Gebiss. (Colak, Dülgergil, & Dalli, 2011; P E Petersen, & Kwan, 2009)

Ebenso spielen die Zähne eine wichtige Rolle bei der Lautbildung, also beim Erlernen der Sprache. Gehen die vorderen Zähne verloren, kann die Zunge nicht in ihrer natürlichen Position verweilen. Dies resultiert dann in einer Missbildung der S-Laute, auch bekannt als Lispeln. (Fymbo, 1936; Koroluk, & Riekman, 1991)

Doch auch erziehungstechnisch spielen unsere ersten Zähne eine wesentliche Rolle, denn dadurch bekommen unsere Kinder einen Erstkontakt mit der oralen Hygiene. Durch konsequente Pflege der Zähne lernt ein Kind, langsam Verantwortung für den eigenen Körper zu übernehmen.

Sie sehen, die Bedeutung der Milchzähne ist vielseitig. Deswegen ist es unsere oberste Pflicht, diese zu erhalten. Die tägliche Mundhygiene an die Kinder zu delegieren und sie damit alleine zu lassen, ist definitiv der falsche Zugang. Ja, natürlich gibt es Kinder, die sich mit der Mundhygiene leichter tun, aber im Allgemeinen gilt:

Bevor ein Kind nicht schreiben kann, kann es auch nicht Zähne putzen. Meiner Meinung nach sollte ein Kind mindestens 8 Jahre alt sein, ehe man es sukzessive alleine putzen lässt, davor ist ein selbstständiges Putzen nicht zu erwarten. Deswegen helfen Sie Ihren Kindern beim Putzen und erklären Sie ihnen genau, wie wichtig Zähne sind.

Wenn Sie die Bedeutung der Milchzähne erkennen und dieses Bewusstsein Ihren Kindern weitergeben, haben Sie schon einen wichtigen Grundstein für ein kariesfreies und zahngesundes Leben gelegt.

Und ich weiß genau, dass das nicht immer leicht ist, aber Ihr Kind wird es Ihnen im Nachhinein danken. Mein Vater erzählt heute noch davon, wie er mich mit der Zahnbürste durch das Haus gejagt hat. Dennoch bin ich ihm rückblickend sehr dankbar dafür. Ich selbst habe noch nie ein »Loch« gehabt und ich bin damit der Erste in unserem Familienstammbaum, seit sehr langer Zeit. Es ist besser, die Zahnhygiene mit Nachdruck konsequent einzufordern, als sich später mit den Folgen von unzureichender Mundhygiene – z. B. Karies – herumzuschlagen.

Foto 2: Zähneputzen Klein-Ulrich

Das Bild links aus meiner Kindheit zeigt, dass auch ich als Kind das Nachputzen nicht gerade jubelnd über mich ergehen ließ, aber dank der Fürsorge meines Vaters habe ich noch nie einen Bohrer zu spüren bekommen.

Zusammenfassung der Milchzahnaufgaben

Platzhalter für die bleibenden Zähne

Gesichtsentwicklung

Optimaler Mundschluss

Nahrungszerkleinerung

Lautbildung

Erstkontakt mit der Körperhygiene