Loe raamatut: «Til Schweiger - Der Mann, der bewegt»
Impressum
Der Autor: Uwe Killing
Deutsche Erstausgabe 2013
Coverdesign und Bilderstrecke: © bürosüd°, München
Coverabbildung: © Thomas Leidig photoselection
Layout und Satz: © Thomas Auer, www.buchsatz.com
Bilder im Innenteil: Privatfotos mit freundlicher Genehmigung von Til Schweiger, außer anders angeführt
Lektorat & Korrektorat: Hollow Skai
© 2013 by Hannibal
Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen
ISBN 978-3-85445-386-4
Auch als Hardcover erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-385-7
Hinweis für den Leser:
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Inhalt
Grußwort von Moritz Bleibtreu
Prolog: Tatort Hamburg
Die Angst vor Mucki
Männerherzen
Bildstrecke 1
Til the Kid
Es kommt nicht auf die Größe an
Bildstrecke 2
Die Familie ist heilig
Eichingers Erbe
10 Lieblingsfilme – Til Schweigers Bestenliste
Filmografie und Auszeichnungen
Danksagung
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Widmung
Für Liv, Finn und Zoe
Tilmann Valentin „Til“ Schweiger, Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor und Produzent, geboren am 19. Dezember 1963 in Freiburg, zwei Brüder, vier Kinder (Foto: Stephan Pick)
Til musste das Filmemachen nicht lernen. Das war einfach so da. Und er macht das einfach alles aus einem natürlichen Instinkt heraus. Manche Menschen haben das, andere nicht. Da hilft auch keine Filmhochschule.
Das Gleiche gilt für seine Art, seinen Humor, seine unheimliche Energie. Til ist eine unentwegt arbeitende Ein-Mann-Maschine und zugleich ein großer Teamplayer, der sitzt noch bis morgens um vier im Schneideraum. Ich könnte das nicht, da bin ich, ehrlich gesagt, manchmal viel zu faul. Ich würde lange herumreden, mich zwischendurch von meinem Leben ablenken lassen. Aber Til macht einfach und treibt die anderen an. Das ist der Unterschied.
Ich freue mich sehr darüber, dass es nun dieses Buch über sein Leben und seine Kunst des Filmemachens gibt. Ich werde darin lesen, wenn ich mal wieder einen Tritt in den Arsch brauche.
Moritz Bleibtreu, Schauspieler
„Willkommen in Hamburg“: Til als Tatort-Kommissar Nick Tschiller (Foto: NDR)
Til Schweiger ist zu Hause. Er hat Platz genommen in seinem Lieblingssessel, halb liegend, die Beine angewinkelt auf dem Polster. Es ist ein Möbelstück wie aus einem Katalog für Menschen mit Übergröße. Der Hausherr kuschelt sich auf der breiten weichen Fläche, beim Reden zappelt er manchmal hin- und her, und etwa alle zehn Minuten greift er zum ebenfalls überdimensionierten Holztisch, um sich die nächste Zigarette aus einer von drei Packungen zu fischen.
Er trägt eine bequeme Stoffhose und ein Sweatshirt, das unter den Armen Löcher hat. Die Bartstoppeln, die markanten Falten um den Mund und die Augen, die hinter zwei dünnen, messerscharf geschnittenen Schlitzen verborgen liegen – ein durchaus vertrautes Profil aus vielen Schweiger-Auftritten. In diesem Moment, ohne Kameralicht, sitzt mir ein Mann gegenüber, der erst vor einer halben Stunde aufgestanden ist. Er kämpft noch gegen einen Kater, doch er wirkt überhaupt nicht zerknirscht, sondern sehr entspannt. „Heute mache ich nichts mehr“, sagt er. Ein Satz, den Til Schweiger, der Schauspieler, Regisseur, Produzent und allgegenwärtige Medienstar, selten sagt. Man kennt ihn vor allem als Mann in ständiger Unruhe.
Am Tag zuvor hatte der Norddeutsche Rundfunk in ein Hamburger Kino eingeladen, um vorab in einer Sondervorstellung den Pilotfilm des neuen Tatort-Kommissars Nick Tschiller (Til Schweiger) zu präsentieren. Es wurde ein langer Abend, bei dem die Schauspieler, das Produktionsteam, die NDR-Oberen, Freunde und Journalisten einen äußerst gelungenen Einstand feierten. Dabei lösten sich auch Spannungen, die sich im Vorfeld von Schweigers Fernseh-Ermittler-Premiere aufgebaut hatten. Der Kinostar war bei einer Veranstaltung von einem Reporter gefragt worden, was er denn an dem TV-Klassiker für verbesserungswürdig halte. Naja, den mehr als dreißig Jahre alten Vorspann könne man vielleicht mal modernisieren, sagte Schweiger beiläufig, der als erfahrener Produzent solche Dinge durchaus beurteilen kann. Die Folge: Helle Aufregung in den Medien, bei Fernsehmachern, auch unter den Schauspielerkollegen, die für andere ARD-Sendeanstalten ermitteln. Er sei ein anmaßender Star, der dem NDR seine hohen Gagen und Drehbedingungen diktieren wolle, hieß es in manchen Presseberichten über Til Schweiger.
In der merkwürdig überhitzten Debatte zeigte sich vor allem, wie sehr der Quotenrenner Tatort eine heilige Kuh des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist. Es ist das Terrain von Senderbossen, Abteilungsleitern und schwerfälligen Presseabteilungen. Ein Terrain, auf dem sich der Hollywood-erfahrene Schauspieler und Filmemacher Til Schweiger – nach seinen Anfängen in der Lindenstraße und einigen frühen Fernsehfilmen – lange nicht bewegt hat. Er muss sich auf eine andere Produktionsweise umstellen, was er tut, weil es ihn enorm reizt, einen Kommissar nach seinen Vorstellungen zu verkörpern. Unangepasst, leidenschaftlich, nicht so deutsch, moralisierend und Derrick-mäßig wie vieles im Fernsehkrimi-Genre.
Mit dem Regisseur Christian Alvart, der schon international gearbeitet hat (u.a. Pandorum mit Dennis Quaid in der Hauptrolle), findet er einen Gleichgesinnten, der Tschillers ersten Fall um Morde im brutalen Menschenhändler- und Zuhältermilieu stilsicher umsetzt.
Willkommen in Hamburg heißt die Startfolge. Und der Titel bekommt eine schöne Vieldeutigkeit. Denn im März 2013, als sein erster Tatort in der ARD ausgestrahlt wird, wohnt Til Schweiger erst seit einigen Tagen in seinem neuen Hamburger Haus. Die vergangenen Jahre hatte er weitgehend in Berlin verbracht. Oder unterwegs in Hotels. Nun aber möchte er wieder näher bei seinen vier in Hamburg zur Schule gehenden Kindern sein. Eine ähnliche Ausgangslage wie bei Kommissar Nick Tschiller: Der machte zwar einen exzellenten Job bei einer SEK-Einheit in Frankfurt. Doch seine 15-jährige Tochter Lenny ist mit ihrer Mutter nach Hamburg gezogen. Und um ihr nahe zu sein, bewirbt er sich beim LKA der Hansestadt – Abteilung Organisiertes Verbrechen. Lenny wird von Schweigers 15-jähriger Tochter Luna gespielt.
Es ist Til Schweigers zweiter Versuch, sich seinen Lebensmittelpunkt in Hamburg zu schaffen. Der erste war ziemlich schnell gescheitert. Im Jahr 2004 war die sechsköpfige Familie nach mehrjährigem USA-Aufenthalt in eine Villa im Stadtteil Niendorf gezogen, doch schon nach einem Jahr verkündeten Til und Dana Schweiger ihre Trennung. Das neue Domizil liegt nun ganz in der Nähe der anderen Schweiger-Villa, die noch immer von Dana und den Kindern bewohnt wird. Auch beim Vater haben nun alle vier Kinder ihre Zimmer. Valentin und Luna, die Älteren, sind mehr oder weniger fest eingezogen. Freundin Svenja wohnt mit im Haus.
Die Kuschelecke, in der Til Schweiger sitzt, war eine der Vorgaben an seine Architekten. Er hat sie als lichtdurchfluteten Erkerraum an das zweistöckige Backsteingebäude aus den Dreißigerjahren anbauen lassen. Neben dem riesigen Sessel, dem Til-Thron, gibt es unter den Fenstern extrabreite Sitzflächen. Hier liegen verstreut Bücher und die aufgeschlagene Mappe eines Drehbuches herum. Es ist für Til Schweiger Arbeitsplatz und Ort zum Relaxen in einem: „Hier mich auszubreiten, und den Abend dann langsam mit einem Glas gut gekühlten Weißwein einzuleiten, das ist ein wunderbares Gefühl.“
Durch die Fenster kann man drei Gärtner bei ihren Pflanzarbeiten beobachten. Hier haben alle Häuser große, durch hohe Hecken abgegrenzte Grünflächen. Es ist eine ruhige Nachbarschaft im Stadtteil Nienstedten, der in den Elbvorort Blankenese übergeht. Reederei-Besitzer im Ruhestand, Akademiker-Familien, Kaufmanns-Witwen, die zu Bridge-Abenden einladen. In diesem Milieu haben in der Vergangenheit oft Hamburger Tatort-Kommissare, von Manfred Krug bis Robert Atzorn, ermittelt, um missgünstige Erben oder aus der Bahn geworfene Bürgersöhne als Mörder zu überführen.
Nick Tschiller alias Til Schweiger ist kein Kommissar, der am goldenen Klingelknopf läutet, um zu fragen: „Haben Sie ein Alibi für gestern Abend zwischen 21 und 24 Uhr?“ Er tritt vielmehr Türen ein, flucht laut „Fuck“, schert sich wenig um Dienstvorschriften, wenn es um Leben und Tod geht. Nick Tschiller ist ein gradliniger Bulle mit großem Herz. Ein Held, der auch auf die große Kinoleinwand passen würde, schlagkräftig, witzig und unberechenbar, einer, der die Tatort-Reihe mit ihren unterschiedlichen Ermittlern und gelegentlich überambitionierten Stoffen bereichert – und auch für ein jüngeres Publikum attraktiv macht. Mit 12,5 Millionen Zuschauern erzielte Willkommen in Hamburg die beste Einschaltquote auf dem sonntagabendlichen Tatort-Sendeplatz seit zwanzig Jahren. „Ein verdammt guter, grober, lässiger Action-Star“, schreibt Die Zeit.
Nach dem Premieren-Erfolg ist Til Schweiger sehr erleichtert. Er, der erfolgreiche Kinomacher, hat bewiesen, dass die Marke Til Schweiger auch zur Prime-Time im Fernsehen funktioniert. Und Hamburg, sein Einsatzgebiet, ist auch sein neues altes Privatrevier. Das Haus ist weitgehend eingerichtet. Von den elegant gestalteten Berliner Loftwohnungen oder verspielten Single-Behausungen in seinen Filmen ist das Schweiger-Ambiente weit entfernt. Er bevorzugt den hellen und luftigen Landhausstil, eine Art gehobenes IKEA-Wohnen, durchsetzt mit individuellen Akzenten. Ein Bild der Kunstikone Joseph Beuys am großen Esstisch zum Beispiel – das würde man nicht unbedingt bei ihm vermuten. Bücherwände gibt es nicht. Der belesene Lehrersohn hatte schon immer ein Problem mit Menschen, die zu sehr mit ihrer Bildung prahlen. Seine Eltern nimmt er davon aus, ihnen ist er bis heute unendlich dankbar für das, was sie ihm mitgegeben haben. Allerdings: Als gemütlich hat er das Wohnzimmer seiner Jugend nicht unbedingt empfunden – es war zugestellt mit Bücherregalen und hatte keinen Platz für eine große Couchgarnitur oder ein Sofa zum Herumlümmeln.
Ein Bild von Herbert und Monika Schweiger jüngeren Datums, auf denen sie sehr entspannt und sympathisch lächeln, hängt in der Küche. Diese wird im Gegensatz zu mancher Promi-Vorzeige-Designerküche sogar täglich benutzt, denn der Hausherr kocht gerne, auch Imbisse zwischendurch, und er bewirtet noch lieber abends viele Gäste. Die Eltern waren auch schon zum Antrittsbesuch da und freuen sich über das neue Zuhause ihres Sohnes und ihrer Enkelkinder. Die unternehmungsfreudigen Pensionäre kommen gerne für ein paar Tage nach Hamburg. Dort erleben sie ihren Sohn, der es sich so eingerichtet hat, dass er jeder Zeit auch zu Hause arbeiten kann.
Im Erdgeschoss befindet sich ein kleines Studio mit Schnittplatz, damit Schweiger in der Lage ist, einen Film in jeder Projektphase zu bearbeiten. Und auch die Mitarbeiter aus seiner in Berlin ansässigen Produktionsfirma Barefoot Films können in zwei, bis drei Stunden bei ihm sein, wenn es wichtige Dinge zu besprechen gilt. Seinen Vater Herbert, den früheren Deutsch- und Geschichtslehrer, fragt Til Schweiger gerne um Rat, wenn er in Bezug auf einen Stoff oder eine bestimmte Drehbuchstelle unsicher ist. Hier Papa, lies mal.
Til Schweiger wirkt in den stundenlangen Gesprächen, in denen er über seine Kindheit, seinen Weg als Schauspieler und Filmemacher sowie seine Familie erzählt, wie jemand, der angekommen ist. Auf seine Art. Ungeduld und eine gewisse Rastlosigkeit gehören fest zu seinem Charakter. Das wird sich auch mit fortschreitendem Alter nicht grundsätzlich ändern. Doch in der jetzigen Phase seines Lebens scheint er sehr mit sich im Reinen, weil sich privat und beruflich die Dinge gut ineinander fügen (was nicht immer so war). Er ist glücklich, weil er die Filme machen kann, die er machen möchte – und diese auch noch von einem breiten Publikum geliebt werden.
Nach der Tatort-Premiere und einigen Handwerks- und Gärtnerarbeiten am Haus, die er beaufsichtigt, beschließt Til Schweiger, über Ostern einige Tage auf Mallorca zu verbringen. Auch dort besitzt er seit einigen Wochen ein neues festes Domizil – eine Finca nahe der Hauptstadt Palma. Mit Freundin Svenja reist er vor, Valentin und Luna sollen mit Beginn der Schulferien nachkommen. Lilli und Emma halten sich mit ihrer Mutter in den USA auf. Die zwei ältesten Schweiger-Kinder verbringen die Nacht vor ihrem Flug nach Mallorca alleine zu Hause.
Es ist Sonntag, der 24. März, an dem sie früh zu Bett gehen – und dann später in der Nacht aus dem Schlaf gerissen werden. Ein Passant bemerkt gegen drei Uhr ein brennendes Auto vor dem Schweiger-Haus. Der Mann alarmiert Polizei und Feuerwehr. Diese treffen wenig später ein und wecken Valentin und Luna auf. Sie sind schockiert, und sie entdecken, dass die Täter auch ihr Grundstück betreten haben, welches zur Straße hin weder durch einen Zaun noch durch eine Hecke geschützt ist. Sechs abgeworfene Farbflaschen haben die Fassade verunstaltet. Bei dem völlig ausgebrannten Fahrzeug handelt es sich um den Mini-Cooper von Svenja Holtmann.
Das Wohnhaus von Til Schweiger ist zum Tatort geworden.
Verkehrte Welt. Til Schweiger, der sofort nach Hamburg zurückkehrt, wird von der Polizei befragt: Haben Sie Feinde? Können Sie sich diesen Angriff erklären? Er kann es erst einmal nicht. Til Schweiger ist vor allem wütend. Wütend über die Heimtücke dieses Anschlages und dass seine Kinder nun Angst in ihrem eigenen Zuhause haben müssen. Für den Filmstar, der nahezu alle positiven und negativen Seiten seiner Popularität kennen gelernt hat, ist eine Grenze überschritten.
Am nächsten Tag geht bei der Boulevardzeitung Hamburger Morgenpost ein Schreiben ein. Die Gruppe, die sich darin zu dem Farb- und Brandanschlag bekennt, nennt sich „Tatortverunreiniger_innen“. Sie beginnen ihr Pamphlet mit dem Satz „Til Schweiger, you’re not welcome“, eine Anspielung auf die Ausstrahlung seines ersten Tatort-Krimis zwei Wochen zuvor. Und: Man habe sein Anwesen „mit krimineller Energie heimgesucht“, um ein Zeichen gegen Schweigers Film Schutzengel zu setzen. Der war im September 2012 im Kino gelaufen. Nun werfen die Täter, die offenbar aus der autonomen linksradikalen Szene kommen, dem Macher des Filmes mit halbjähriger Verspätung vor, damit den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan zu verherrlichen: „Deutsche Kriegseinsätze mit allen ihren Folgen sollen als normal und gerecht empfunden und akzeptiert werden.“ Sie drohen mit weiteren Aktionen und kündigen „Feuer über Nienstedten“ an.
Drei Wochen nach dem Anschlag sitzen wir erneut im Erker seines Hauses zusammen. Til Schweigers Wut ist verflogen, er wirkt aber viel nachdenklicher als beim ersten Treffen. Vor dem Haus hat er eiligst einen zwei Meter hohen Sichtschutz aus Kunststoff errichten lassen. Er soll vorerst neugierige Reporter und Fotografen abhalten. Denn in den ersten Tagen nach der Tat herrschte in der gesamten Straße der Belagerungszustand. Überall Medienleute, die versuchen, einen Blick auf das vorher nur wenigen Menschen bekannte Anwesen zu erhaschen. Selbst etliche Nachbarn erfahren erst jetzt, wer da vor wenigen Wochen in ihrer Straße eingezogen ist. Til Schweiger wollte keine abgeschirmte Promi-Trutzburg, er möchte sich frei bewegen können: Einkaufen gehen, die Kinder von der Schule abholen, ganz normale Dinge des Alltags in seiner drehfreien Zeit erledigen. Das scheint jetzt erst einmal nur mit nervigen Begleiterscheinungen möglich zu sein.
Während wir unser Gespräch fortsetzen, lässt plötzlich ein durchdringender Heulton Til Schweiger aus seinem Sessel aufschrecken. Die Alarmanlage! Schon den ganzen Vormittag sind zwei Mitarbeiter eines Sicherheitsunternehmens damit beschäftigt, das System zu installieren – was mit einigen unfreiwillig ausgelösten Alarmtönen verbunden ist. Til Schweiger verdreht die Augen, was klar ausdrückt: Ich hätte gerne auf diesen Mist verzichtet. Dann erzählt er, dass die Sache durchaus erfreuliche Nebenaspekte habe: „Ich habe so eine ältere Dame aus der Nachbarschaft kennen gelernt. Bei ihr hatte ein Fotograf geklingelt und gefragt, ob er kurz auf ihren Balkon treten dürfe, um ein paar Fotos zu machen. Sie hat ihm resolut geantwortet, dass er keine Fotos von Herrn Schweigers Haus machen und sofort verschwinden werde.“
Til Schweiger war nach den Vorfällen für die Medien nicht zu sprechen. Sein Büro und sein Anwalt kümmerten sich um die Sache. Er nahm sich eine Auszeit, um über alles nachzudenken, keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen. „Ich habe kurz überlegt, den Tatort hinzuschmeißen“, sagt er nun, „mir es dann aber anders überlegt.“ Hintergrund seines Unmuts: Das Online-Portal des NDR, der seinen Tatort produziert, verbreitet als erstes die Meldung von den Anschlägen – mit Ortsangabe und Detailfotos: „Das habe ich als ungeheuerlich empfunden. Gerade der NDR müsste mich besonders schützen.“ Es bestätigt, wie angespannt das Verhältnis zwischen dem Sender und seinem neuen Star noch immer ist. Doch Til Schweiger gibt sich kämpferisch: „Ich habe große Lust, die Figur des Nick Tschiller weiter zu entwickeln. Und warum soll ich meine Fans enttäuschen, die sich auf die nächsten Folgen freuen?“
Genauso wenig lässt er sich von der Kritik an seinem Film Schutzengel beirren. Er ist ein Wagnis eingegangen. Es ist kein Kriegsfilm, sondern das Drama um einen Ex-Afghanistan-Soldaten (Til Schweiger), den der Krieg kaputt gemacht hat. Dieser kämpft dann in einer Spezialeinheit, um ein Mädchen zu schützen, das auf die Todesliste einer internationalen kriminellen Organisation geraten ist. Es gibt in dem Film eindringliche Jagd- und Schießszenen. Genauso aber werden die seelischen Wunden gezeigt, die sich Männer geholt haben, die ursprünglich zu einer Friedensmission eingezogen, doch dann in einen blutigen Krieg in Afghanistan verwickelt worden sind. Til Schweiger bezieht mit dem Film keine direkte Stellung zu der politischen Dimension des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr. Aber er nutzt diesen Krieg und die Tatsache, dass deutsche Soldaten töten müssen, als Hintergrund für seine fiktionale Story. Und dann entscheidet er sich, seinen Film vor der eigentlichen Kino-Premiere den Menschen zu zeigen, um die es geht: den deutschen Soldaten in Afghanistan. Nach einem diplomatischen Kraftakt fliegt er schließlich mit einer Bundeswehr-Maschine ins Bundeswehrcamp nach Masar-i-Scharif, wo mehrere Abende mit Filmvorführungen organisiert werden.
Ihm stand zwar ein erfahrener Militärberater für die Kampfszenen in Schutzengel zur Seite. Doch Til Schweiger, der anerkannte Kriegsdienstverweigerer, will vor allem wissen, ob er mit seinem Film auch die Gefühle der Soldaten trifft. Dafür überwindet er sogar seine Flugangst. Die Tage in Afghanistan, wo er auch Krankenlager besucht und mit vielen Soldaten spricht, sind für ihn eine aufwühlende Erfahrung: „Wichtig war für mich, dass sie es honoriert haben, dass wir zeigen, dass der Soldat nicht nur der Held ist, sondern dafür auch einen hohen Preis zu zahlen hat.“
Til Schweigers Afghanistan-Flug ist ein hoher persönlicher Einsatz, gleichzeitig ist es eine clevere PR-Aktion für den Film. Er wird von einem Fernsehteam und ausgesuchten Reportern begleitet. Es ist für ihn kein Widerspruch, beide Anliegen zu verbinden, auch wenn er weiß, dass er für solch einen Truppenbesuch nicht von allen Medien bejubelt wird.
Der mitgereiste Spiegel-Reporter schreibt später, Schweigers Faszination für Waffen und kämpfende Männer rühre wohl daher, dass ihm seine Eltern, die in der Friedensbewegung aktiv waren, verboten hätten, mit Pistolen zu spielen. Schweiger: „Das ist für mich platte Küchenphilosophie. Was soll ich dazu sagen?“ Dann zieht er lächelnd an seiner Zigarette. Die Aussage steht im Raum wie der Qualm, der sich nur langsam in seiner Lieblingsecke mit Gartenblick verflüchtigt.
Wenn Til Schweiger in Folge der Ereignisse der zurückliegenden Wochen in seinem inneren Koordinatensystem verunsichert gewesen sein sollte, nun ist es wieder voll funktionstüchtig. Til Schweiger hat einen Panzer, der ihn jedes Pfeilgewitter aus Kritik, Neid und Häme ertragen lässt. Er trägt den Kopf oben, weil er seinem untrüglichen Instinkt folgt. Viele Menschen spüren das, mögen ihn genau deshalb, seine Filme, seine Menschlichkeit, seine ganze Ausstrahlung. Gleichzeitig ist der Star Til Schweiger jemand, der polarisiert, der Abwehrmechanismen hervorruft und vor allem immer wieder als Projektionsfläche herhalten muss: Typisch Schweiger … Ich mag keine Schweiger-Filme … Wenn ich schon seine Stimme höre …
Im Vergleich zu den USA oder auch Frankreich gibt es in Deutschland nur wenige Persönlichkeiten, die es geschafft haben, Teil der populären Kultur zu werden. Um das zu erreichen, muss man sofort identifizierbar sein. Ein typisches Merkmal, das ausreicht, in Sekundenschnelle eine Parodie auf jede noch so kleine Comedybühne zu stellen: Die Sonnenbrille und das Nuscheln von Karl Lagerfeld, die Schnoddergrammatik von Udo Lindenberg, das lange Äh von Boris Becker. Deshalb: Wer karikiert wird, hat es geschafft, der hat so starke Spuren im kollektiven Gedächtnis hinterlassen, dass in jedem Witz zugleich eine große Anerkennung mitschwingt.
Und Til Schweiger? Er ist der Mann mit dem unverschämt frechen Grinsen. Es reizt beide Geschlechter. Er setzt es in herzerwärmenden romantischen Komödien ein. Es steht aber auch für das Einverständnis unter Männerfreunden, für die Lust am Abenteuer, das ewige Spielen, das auch Aggression zulässt.
Til Schweigers unverschämt freches Grinsen hält eine Spannung aufrecht: Was ist es, das den Schauspieler und Filmemacher nach so vielen Erfolgen wie auch gelegentlichen Rückschlägen noch immer so unbeschwert erscheinen lässt? Warum wird er nicht richtig erwachsen? Woraus schöpft er seine beeindruckende Energie?
Platte Küchenphilosophie, sagt Til Schweiger selbst, hilft wenig weiter. Genau hinzuschauen und zuzuhören aber auf jeden Fall. Denn der Filmemacher, der nie eine Regieschule besucht und sich immer alles selbst erarbeitet hat, hat sein Publikum stets an seiner Entwicklung teilhaben lassen. All seine Filme sind Spiegelbilder seiner Persönlichkeit. Jeder Karriereschritt wird verständlich, weil der Mensch hinter dem übergroßen Image nie verschwunden ist: das schüchterne Kind, der Träumer, der Willensstarke, der Verliebte, der Familienvater, der treue Freund.
Es ist ein beeindruckender Weg von nunmehr fünfzig Jahren, der in diesem Buch lebendig werden soll.
Til Schweiger – der Mann, der bewegt.
Schicksalsgemeinschaft: Til als traumatisierter Soldat, Tochter Luna als verfolgtes Mädchen im Film Schutzengel
Er kann auch anders: Til hat ein Faible für Action und Drama – ob als Tatort-Kommissar oder in seinem Thriller Schutzengel (Szenenfoto) (Fotos: Warner Bros.)
Nur Theater: Mucki (Til) und Bello (Armin Rohde) in Keinohrhasen (Foto: Warner Bros.)