Loe raamatut: «Lektionen der Geschichte»
Volker Hermsdorf
Lektionen der Geschichte
Hans Modrow über Kuba,
die DDR und die Perestroika
2019 • Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund
Im Jahr 2015 veröffentlichte Volker Hermsdorf gemeinsam mit Hans Modrow den Gesprächsband »Amboss oder Hammer. Gespräche über Kuba«, der einen Teil ihres über Monate erfolgten Gedankenaustausches über Kuba und über die DDR wiedergibt. Das Buch ist zugleich Zeitdokument, Momentaufnahme und wertvolle Informationsquelle.
Aufgrund der Entwicklungen in Kuba und der Welt entschlossen sich Hermsdorf und Modrow eine auf wesentliche Gedanken reduzierte Kurzfassung der Erörterungen zusammenzustellen und sie um aktuelle Einschätzungen und Perspektiven zu ergänzen.
»Lektionen der Geschichte« ist das Ergebnis dieser Arbeit.
Der Verlag, im September 2019
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Volker Hermsdorf
(1951) ist 1982 zum ersten Mal nach Kuba gereist und hat die Insel seitdem jährlich besucht. Seit einigen Jahren verbringt er mehrere Monate im Jahr in Havanna und berichtet von der Insel, die ihm mittlerweile zur zweiten Heimat geworden ist.
Er ist unter anderem ständiger Autor der Tageszeitung »junge Welt«, der Zeitschrift »Cuba Libre« und des Medienportals »Cubainformación« in Bilbao. Im Verlag Wiljo Heinen erschienen von ihm »Amboss oder Hammer«, »KUBA – Aufbruch oder Abbruch?«, »Raúl Castro – Revolutionär und Staatsmann«, und als Herausgeber und Mit-Autor »Kuba im Wandel«.
Volker Hermsdorf lebt in Hamburg.
Hans Modrow
(1928) ist der deutsche Politiker mit den längsten und differenziertesten Kuba-Erfahrungen. Zum ersten Mal reiste er 1970 mit einer DDR-Delegation auf die sozialistische Karibikinsel, vertrat sein Land bei der Kundgebung zum Nationalfeiertag am 26. Juli und verhandelte mit Kubas damaligem Präsidenten Osvaldo Dorticós Torrado. In den letzten 45 Jahren war er rund ein dutzend Mal dort, nach dem Ende der DDR unter anderem als Abgeordneter des Bundestags, des Europaparlaments und Vorsitzender des Ältestenrats der Partei DIE LINKE.
Hans Modrow lebt in Berlin.
Inhaltsverzeichnis
1. Hans Modrow und Kuba
2. Annäherung und Gemeinsamkeiten
3. Invasion und Weltkriegsgefahr
4. Partnerschaft und Freundschaft
5. Wirtschaftsbeziehungen und gegenseitige Vorteile
6. Perestroika und Sozialismus
7. Untergang und Überlebenskampf
8. Erholung und neue Rolle in der Welt
9. Krise des Kapitalismus und neue Gefahren
10. Alternativen und Hoffnungen
1. Hans Modrow und Kuba
Volker Hermsdorf: Am 10. Februar 2019 wurde Ihnen in Havanna der Orden der Solidarität der Republik Kuba verliehen. In seiner Würdigung sagte José Ramón Balaguer, Mitglied des Sekretariats des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas und Leiter der Abteilung für Internationale Beziehungen, Hans Modrows politisches Wirken sei stets dem Kampf für die Gerechtigkeit und die Interessen der am meisten Benachteiligten gewidmet. Hans Modrow liebe Kuba, eine Nation, die er immer verteidigt habe. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie Herr Modrow?
Hans Modrow: Ich empfinde sie als Anerkennung und Ausdruck der Achtung für Jahrzehnte der Solidarität mit dem revolutionären Prozess in Kuba. Der Augenblick der Verleihung war bewegend für mich und wird in meinem weiteren Leben einen wichtigen Platz einnehmen. In meinen Worten des Dankes an die Kubaner habe ich zugleich auch Worte des Dankes an alle hiesigen Mitstreiter gerichtet, die – ob in der Zeit der DDR oder aktuell – mit mir ihre Solidarität für die sozialistischen Bestrebungen in Kuba zum Ausdruck bringen. Diese Anerkennung gebührt allen Mitgliedern der verschiedenen Solidaritätsgruppen in Deutschland und Europa, die viel Kraft aufbringen, um die Wahrheit über Kuba zu verbreiten. Angesichts der Bestrebungen der USA aber auch reaktionärer Kräfte auf unserem Kontinent, den sozialistischen Prozess in Kuba zu beenden, ist unsere Solidarität so wichtig wie selten zuvor. Ich fühle mich dazu verpflichtet, im Rahmen meiner Möglichkeiten dazu beizutragen. Ich hoffe, ich kann weiter nützlich sein indem ich etwas von meinen vielfältigen politischen Erfahrungen einbringe.
VH: Sie sind seit mehr als sechs Jahrzehnten politisch aktiv, unter anderem als Abgeordneter des Mecklenburgischen Landtags (1951/52), der DDR-Volkskammer (1958–1990), des Deutschen Bundestags (1990–1994) und des Europa-Parlaments (1999–2004). Vom Herbst 1989 bis zum Frühjahr 1990 waren Sie der vorletzte Ministerpräsident der DDR. Als Vorsitzender des Ältestenrats der Partei DIE LINKE agieren Sie weiter politisch. Ihr Lebensweg ist der eines deutschen und europäischen Politikers. Was befähigt Sie über Kuba zu sprechen?
HM: Zunächst möchte ich festhalten, dass ich nicht zu denjenigen gehöre, die den Kubanern aus einer gesicherten, bequemen Position heraus wohlmeinende Ratschläge geben. Wenn wir wüssten, wie heute ein attraktiver, überlebensfähiger Sozialismus aussieht, dann hätten wir in Deutschland und Europa andere Wahlergebnisse und eine fortschrittliche Massenbewegung. Aber wir haben einige der Fehler, die zum Untergang des real existierenden Sozialismus in der DDR, der Sowjetunion und den Ländern Osteuropas beigetragen haben, analysiert und ich weiß, dass viele meiner Gesprächspartner in Kuba ein Interesse an diesen Erfahrungen, aber auch an unseren Fehlern und Irrtümern und deren Bewertung haben. Ich habe Kuba seit 1970 rund ein dutzend Mal besucht. Bei allen Reisen konnte ich auf verschiedenen Ebenen Gespräche führen und zahlreiche Kontakte aufbauen, die teilweise bis heute nützlich sind.
VH: Sie haben von 1952 bis 1953 in Moskau an der Komsomol-Hochschule studiert. Welche Rolle haben Lateinamerika und Kuba 1953 bei den Studenten in Moskau gespielt?
HM: Für uns standen beim Studium andere Themen im Vordergrund. Es gab damals politische Entwicklungen, die uns und die Welt bewegten. Der Korea-Krieg ging in die Endphase, in China wurde eine sozialistische Volksrepublik aufgebaut und in Europa herrschte der Kalte Krieg. Was sich auf Kuba ereignete, haben wir jungen Studenten erst später diskutiert.
VH: Seit wann beschäftigen Sie sich intensiver mit Kuba?
HM: Meine Erinnerungen an Kuba beginnen im Jahr 1960. In dieser Zeit diskutierten junge Leute in der DDR über die dortige Entwicklung. Wir hörten von der Revolution, von Fidel und Raúl Castro. Doch wer von uns wusste bis dahin genau, wo Kuba lag? Dann trat unter den Inseln der Karibik mit einem Mal eine für uns in den Vordergrund. Das war zu einer Zeit, als wir in der DDR eigene Probleme hatten. Wir merkten, dass wir die Jugend nicht mehr oder zumindest immer schwieriger erreichten. Ich war damals Sekretär im Zentralrat der FDJ und für uns stand der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft im Zentrum. Die Kubanische Revolution stand zunächst nicht auf unserer Tagesordnung. Ich hatte zwar 1959 meine erste Reise nach China unternommen, aber der Sieg der dortigen Kommunisten im Volkskrieg lag schon eine Zeit zurück. Die Gründung der Volksrepublik China durch Mao Tsetung war am 1. Oktober 1949 erfolgt.
Plötzlich hörten wir von Kuba. Dort war die Entwicklung völlig anders verlaufen als bei uns. Es gab eine wirkliche, von der Bevölkerung getragene Revolution. Wir begannen, das mit unseren eigenen Erfahrungen zu vergleichen. Dies geschah in einer Phase, in der sich die Konflikte zwischen Ost und West immer mehr zuspitzten. Kuba erlebte zu dieser Zeit eine ganz andere Situation. Dort stand die große Mehrheit des Volkes mit Begeisterung hinter der Revolution. Insofern war meine erste intellektuelle Begegnung mit Kuba auch mit der Hoffnung verbunden, dass es auch anders geht. Meine Altersgenossen und mich beeindruckte außerdem, dass dort Gleichaltrige ein Volk anführten, das seine Geschicke zum ersten Mal in die eigenen Hände nahm.
VH: Die Bundesrepublik bezeichnete die Entwicklung Kubas Anfang 1960 als »Gefahr für Lateinamerika« und warnte vor dem »Ausbau roter Brückenköpfe vor den Pforten der USA«. Wie hat die DDR das eingeschätzt ?
HM: Die Entwicklung auf Kuba war für meine Generation zunächst eine klare Absage an die von den USA unterstützte Diktatur Batistas. Die Revolution stand für uns aber auch im Gegensatz zur Politik der USA. Unsere Begeisterung für Kuba war deshalb sehr groß. Dort fand eine Revolution statt, die zunehmend im Zentrum des Interesses linker Jugendlicher in aller Welt stand. Die offizielle Kommunistische und Arbeiterbewegung suchte aber noch nach ihrer Position. So berichtete Walter Ulbricht zum Beispiel im Dezember 1960 auf der 11. Plenartagung des Zentralkomitees der SED von einer Tagung der Kommunistischen- und Arbeiterparteien in Moskau: »Auf der Konferenz wurde vereinbart, das kubanische Volk, das seine nationaldemokratische Revolution zum Siege geführt hat, mit allen Kräften zu unterstützen.« Das klingt ganz gut, war aber zwei Jahre nach dem Sieg der Rebellenarmee doch etwas wenig. Ich will nicht sagen, dass dies ein Misstrauen ausdrückte, aber eine Distanz, ein Abwarten dessen, was sich im Hinterhof der USA entwickeln würde, war spürbar. Zugleich gab es aber auch schon ein Interesse an wirtschaftlicher Zusammenarbeit.
2. Annäherung und Gemeinsamkeiten
Volker Hermsdorf: Das erste Wirtschaftsabkommen wurde im Dezember 1960 zwischen dem DDR-Außenhandelsminister und ehemaligem Spanienkämpfer Heinrich Rau und Che Guevara vereinbart. Wie haben Sie Che Guevaras DDR-Besuch in Erinnerung?
Hans Modrow: Damals bemühte sich der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) Handelsbeziehungen zu Kuba aufzunehmen. In der DDR wurde Che Guevara der Partner von Heinrich Rau. Rau war ein Mann, den wir als junge Leute sehr geachtet haben, weil er aus der kommunistischen Jugendbewegung kam und nun zum Gestalter einer sozialistischen Wirtschaft wurde. Che Guevara war damals für viele, die in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern in Verantwortung standen, nicht richtig einschätzbar. Einerseits war er der junge Revolutionär, zugleich hatte er aber bereits damals einen kritischen Blick auf unsere Entwicklung. Es gab von ihm Wertungen über die Sowjetunion, in der er Bürokratismus, mangelnde Effizienz, Disziplinlosigkeit und Korruption gesehen und deutlich gemacht hatte, dass er so etwas für Kuba nicht als Vorbild sehe. Das war bei uns wiederum für viele Wasser auf die Mühlen. Zur Zeit von Walter Ulbricht in den 1960er Jahren hatten wir in der DDR eine Phase, in der wir das Modell der Sowjetunion nicht unverändert übernehmen wollten. Damit war die DDR für Che Guevara vermutlich ein RGW-Land, das er mit Interesse betrachtete. Als Leiter der Nationalbank interessierte ihn, wie Betriebe und Wirtschaft in der DDR geleitet wurden. Er hat nicht nur den Blick für die gesellschaftliche Entwicklung im Allgemeinen gehabt, sondern auch versucht, die inneren wirtschaftlichen Verbindungen und Entwicklungen in den sozialistischen Ländern Europas zu analysieren. Aus den positiven Eindrücken bei seinem Besuch lässt sich wohl die Tatsache erklären, dass die DDR unter allen RGW-Ländern gegenüber Kuba immer eine herausragende Position innehatte.
VH: Im Westen erfolgte die Identifikation junger Leute mit Che Guevara aus Abgrenzung und im Konflikt mit der Obrigkeit. In der DDR wurde die Identifikation mit Che und der Revolution gefördert. Welche Folgen hatte das?
HM: Sein Beispiel hatte einen gewissen Einfluss auf Auseinandersetzungen um die Linie in der FDJ und der SED. Che Guevara war für die jungen Leute in der DDR eine Persönlichkeit, die viel ausstrahlte. Ich erinnere mich an Diskussionen darüber, wie wir davon in unserer Jugendarbeit profitieren könnten. Diese Ansichten hat besonders Alfred Kurella stark vertreten. Er war sehr daran interessiert, den revolutionären Prozess in Kuba bei uns stärker darzustellen. Kurella war als junger Mann noch mit Lenin zusammengetroffen, den er 1919 als Kurier der KPD in Moskau kennengelernt hatte. Später wurde Kurella zum Mitbegründer der Kommunistischen Jugendinternationale. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass uns damals gar nicht so bewusst war, welche Tiefe und welche Überlegungen hinter dem steckten, was Kurella uns zu vermitteln versuchte. Er war überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit revolutionären gesellschaftlichen Prozessen, die Bereitschaft zur Solidarität bei jungen Menschen viel stärker fördert, als zum Beispiel die Diskussionen über Handelsbeziehungen. Ich denke dass Kurella damit recht hatte. Ein Beispiel dafür ist Tamara Bunke.
VH: Bei Guevaras Besuch in der DDR arbeitete Tamara Bunke als Dolmetscherin für ihn. Ein halbes Jahr später ging sie nach Kuba, kämpfte später mit Che als Revolutionärin »Tania La Guerillera« in Bolivien. Kannten Sie Tamara Bunke persönlich?
HM: Ja, meine Bekanntschaft mit Tamara Bunke begann mit Aufnahme ihres Studiums an der Humboldt-Universität in Berlin. Unsere Jugendbewegung war sehr internationalisiert. Wir pflegten den Austausch mit Genossen in vielen Ländern und Tamara war für uns wichtig, weil sie spanisch sprach. Wegen ihrer Sprachkenntnisse und wegen ihres mitreißenden Engagements war sie überall dabei. Wir trafen uns oft beim Essen im Speisesaal. Sie war damals eine der engagiertesten Mitstreiterinnen in der FDJ. Durch ihre Übersetzungen für Jugendfunktionäre hatte sie ein interessantes und für DDR-Verhältnisse abwechslungsreiches Betätigungsfeld. Tamara war eine gut aussehende junge FDJlerin, vielseitig aktiv, doch niemand von uns hätte damals gedacht, dass sie einmal die »Guerillera Tania« wird. Der Besuch von Che Guevara in der DDR hatte nach meinem Eindruck eine große Wirkung auf Tamara und forderte sie als Revolutionärin heraus. Danach wollte sie mehr für die Verwirklichung ihrer Ziele tun, als sie das in der FDJ konnte. Sie verstand sich selbst als Internationalistin.
VH: War sie eher Romantikerin oder Realistin? Wie haben Sie Tamara Bunke erlebt?
HM: Ich habe Tamara als eine sehr selbstbewusste, gesellschaftlich aktive junge Mitstreiterin erlebt. Sie stand immer im Zentrum, war absolut kontaktfreudig, immer begeisterungsfähig – aber auf keinen Fall unrealistisch oder gar fanatisch. Tamara war für uns nicht nur die Dolmetscherin, sondern auch die engagierte Jugendfunktionärin, die Ausstrahlung hatte, die andere gewinnen und begeistern konnte. Sie war trotz ihrer Jugend eine Persönlichkeit, vor der alle Respekt hatten.
VH: In der DDR wurden 242 Jugendbrigaden, Frauengruppen, Kindergärten und Schulen nach Tamara Bunke benannt. Welche Bedeutung hatte sie für die Jugend in der DDR?
HM: Kuba trat mehr und mehr in den Blickpunkt der DDR-Öffentlichkeit und mit der Erklärung der Revolution zu einer sozialistischen wuchsen bei uns das Interesse und die Solidarität mit Kuba. Damals galt Kuba vor allem bei der Jugend als Insel der Hoffnung. Damit rückten auch Tamara Bunke und ihr Schicksal in die Öffentlichkeit. Über ihr revolutionäres Engagement und den Kampf, den Che Guevara in Bolivien begann, wurde bei uns berichtet. Obwohl wir etwas ratlos vor der Frage standen, warum Ches Versuch in Bolivien nicht einen ähnlichen Verlauf genommen hatte wie die Entwicklung auf Kuba, wuchs in dieser Debatte ein ungeheurer Respekt und eine Achtung vor den Menschen, die in Bolivien ihr Leben eingesetzt hatten. Wir, die wir von der Roten Armee befreit worden waren, hatten ja nie die Gefahren des revolutionären Kampfes kennengelernt. Für uns war der Einsatz von Tamara Bunke in Bolivien ein Vorbild und ich will nicht verhehlen, dass wir das auch brauchten und nutzten. Schulen bekamen nicht nur ihren Namen, sondern auch Informationen zu ihrer Biografie. Das war für uns ein Teil der revolutionären Bildung und Erziehung in der DDR. Das Leben und Wirken von Tamara Bunke wurden von vielen jungen Leuten als Beispiel angenommen. Denn sie war ja eine Person wie wir alle, eine von uns, aus unseren Reihen, eine der man selbst mit seiner eigenen DDR-Biografie nahe war. Sie war das Vorbild einer jungen kämpfenden Frau, einer jungen, kämpfenden Revolutionärin. Tamara war eine Person, mit der viele von uns studiert, diskutiert, gestritten, gelacht und getanzt haben. Ihre Geschichte spielte im Hier und Jetzt. Und zugleich erfuhren wir durch sie etwas über einen revolutionären Kampf, der auf einem anderen Kontinent stattfand. Allerdings muss ich einräumen, dass wir in den späten 1970er und den 1980er Jahren in der DDR immer mehr den Bezug zur Jugend verloren haben. Es reicht meiner Meinung nach aber nicht, dies zuzugeben, sondern wir sollten auch versuchen, die Ursachen zu analysieren.
VH: Vermutlich ist es für viele Jugendliche schwieriger, sich mit einer Person wie Tamara Bunke zu identifizieren als mit einem Idol aus der Film-, Musik- oder Modewelt. Oder?
HM: Ja, gewiss. Die Identifikation mit einem Model oder einem Filmstar ist ja sehr einfach und verlangt Jugendlichen nichts ab. Wenn man sich dagegen eine Revolutionärin wie Tamara Bunke zum Vorbild nimmt, dann hat das auch Konsequenzen für einen selbst. Deshalb ist es schwieriger, dafür Begeisterung zu wecken. Trotzdem fand das Engagement, das Tamara den Jugendlichen in der DDR vorlebte, großes Interesse. In den kapitalistischen Ländern wird es heute lieber gesehen, dass junge Leute sich für Casting-Shows interessieren und davon träumen, Superstars oder Top-Modelle zu werden, statt sich für eine gerechtere Welt einzusetzen.