Ein 80jähriger erinnert sich

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Ein 80jähriger erinnert sich
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Werner Mockenhaupt

EIN 80JÄHRIGER

ERINNERT SICH

19 Episoden mit autobiographischem Bezug

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2014

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

ISBN 9783957440860

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Das Telefon und meine Erlebnisse

Jakob Jünkerath

Panzer vor der Haustüre

Weihnachten war anders

Vom Angeber zum Angsthasen

Das Hochwasser und seine Folgen

Als im Siegerland der 2. Weltkrieg zu Ende ging

Die erste Lehrstelle ging in die Brüche

Mein Freund der Afrikaner

Der kleine Supermarkt und meine Lieblingsoma

Der kranke Freund

Weihnachten mit Komplikationen

Plötzlich hatten wir es mit der Polizei zu tun

Der Enkel wird 17

Heute schon gelobt?

Miteinander im Gespräch bleiben

Der verlorene Schlittschuh

Türkische Erfahrungen

Der erste Tag im Ruhestand

Das Telefon und meine Erlebnisse

Ja, mit dem Telefon fing alles an, ich war sechs Jahre alt, als ich eines Mittags nach dem Schulunterricht im Büro meines Vaters einen neuartigen Apparat entdeckte. Mein Vater klärte mich auf und sagte: „Das ist ein Telefon“. Bis zu dieser Zeit hatte ich noch nie einen Fernsprechapparat gesehen. Wir wohnten in einem kleinen Ort und ich weiß noch, dass meine Mutter sehr stolz darauf war. Neun andere Bewohner im Dorf hatten schon diese Errungenschaft. Ich durfte nicht damit spielen, aber die Nummer 206 Freudenberg habe ich bis heute behalten. Dann kam der 2. Weltkrieg. Die Welt veränderte sich. Mein Vater wurde Soldat, und unser Telefon wurde abmontiert.


Sechs Jahre später kamen die amerikanischen Besatzungssoldaten, aber die benutzten ihre eigenen Fernsprechverbindungen. Sie funktionierten über sogenannten schwarzen Amidraht, welcher auch für viele andere Sachen zu gebrauchen war, z.B. zum Ziehen, Festbinden oder Verschließen von Gegenständen aller Art.

Erst 1949 kam ein Fachmann und installierte unsern Fernsprecher wieder an den alten Platz. Wir bekamen auch wieder unsere alte Telefonnummer.

Die Anrufe wurden zunächst zur Postzentrale weitergeleitet. Dort wurde das Gespräch von den dort sitzenden Telefonistinnen über Kabel umgestöpselt zu den gewünschten Teilnehmern. Die Telefonistinnen waren schon bald bekannte Persönlichkeiten, sozusagen die Fräuleins vom Amt. Die Poststelle lag nur zwei Minuten von uns entfernt. Da meine Mutter eine sehr gesellige Frau war, gingen die Damen der Post bei uns schon bald ein und aus. Besonders Lore und Erika saßen oft bei uns in der Küche und meine Mutter unterhielt alle. Ich weiß nur noch, dass viel gelacht wurde. Lore wurde auch bald meine Tante, denn als mein Onkel Robert aus der Gefangenschaft zurückkam hat er schon bald seine Lieblingstelefonistin geheiratet.

Kurze Zeit später habe ich mich beruflich nach Iserlohn verändert. Ich konnte mir auch dort noch kein eigenes Telefon leisten. Öfter ging ich dann zum dortigen Postamt. Dort konnte ich billig und komplikationslos mit meiner Mutter und meinen Freunden telefonieren. Erst als ich mich im Jahre 1960 selbstständig machte, habe ich mir ein eigenes Telefon zugelegt. Es musste neu angeschlossen werden, noch mit Kabel legen und Löcher bohren von innen und von außen. Leider stellte ich aber bald fest, dass Telefonieren auch Nachteile hatte. Es wurde viel schwadroniert und oft auch leeres Stroh gedroschen. Manchmal dachte ich an ein Plakat, auf dem stand: Fasse dich kurz.

Als junger, selbstständiger Konditormeister musste ich oft an drei Sachen zur gleichen Zeit denken. Oft sind mir während des Telefonierens Backbleche mit Gebäck schwarz geworden. Ab 1975 kam dann das Faxgerät dazu. Jetzt war es möglich, Nachrichten schriftlich auszutauschen, ohne langweilige, zeitintensive Sprechzeit zu vergeuden.

Schon ein Jahr später kam mein Sohn mit dem Vorschlag: „Du musst dir unbedingt ein Handy anschaffen.“ Er zählte mir all die vielen Vorteile auf, welche ich zusätzlich nutzen könne. Ich knallte ihm den typischen Kölner Spruch um die Ohren: „Kenne mer net, bruche mer net, fott domet.“ Aber damit war er nicht zufrieden.

„Du gehst nicht mit der Zeit; denn in drei Monaten sagen dann viele Freunde und Bekannte: ‚Der Mockenhaupt ist von gestern.’ „Babalapapp“, sagte ich, „ich brauche kein Handy, basta.“

Aber wie es das Schicksal wollte, schon einige Zeit später knickte ich ein. Spät abends auf der Autobahn hatte ich eine Wagenpanne. Bis zum nächsten Parkplatz schaffte ich es noch, aber dann machte der Motor keinen Mux mehr. Der kleine Waldparkplatz war schlecht beleuchtet. Außer mir war weit und breit kein Mensch zu sehen. Nach fünf Minuten war mir schon mulmig zu Mute. Aber ich hatte Glück. Nach einer halben Stunde steuerte ein großer Lastwagen genau auf diesen Parkplatz zu. Ich ging ihm sofort entgegen. Der stämmige Fahrer und seine Frau oder Freundin waren sehr freundlich. Die junge Frau kramte sofort ein Handy aus der Kabine und innerhalb von 20 Minuten stand schon der ADAC Werkstattwagen neben meinem Auto. Nach weiteren 20 Minuten war mein Wagen wieder flott. Schon eine Woche später hatte jetzt auch ich ein Handy.

Es muss im Jahre 1994 gewesen sein, da brauchte ich für eine größere Bestellung noch mehr Informationen. Der Verkäufer sagte mir am Telefon, es wäre am einfachsten und es ginge am schnellsten, wenn ich ihm meine Email-Adresse durchgeben würde. Ich zuckte zusammen, denn so etwas hatte ich nicht. Etwas arrogant und überheblich sagte ich: „Ich habe einen Briefkasten, ein Telefon und sogar noch ein Faxgerät“, und leise sagte ich noch vor mich hin: „Genug ist Genug.“

Mein Freund Gottfried unterstützte mich, und sagte: „Bei mir kommt das nicht mehr in Frage, ich bin jetzt 73 Jahre und mit dem Zeugs gebe ich mich nicht mehr ab.“ Aber der Computer verbreitete sich wie eine Seuche. Es gibt mittlerweile große und kleine, flache und ganz dünne. Die Möglichkeiten der Nutzung sind unabsehbar. Auch ich, der Senior, kam um den Kauf eines Computers nicht mehr herum. Es war zunächst die Neugierde, aber nach einiger Zeit leistete er mir gute Dienste. Briefe schreiben, Informationen suchen und finden, vor allen Dingen die Buchführung ging schneller. Leider übertreiben aber viele junge Leute die Möglichkeiten des Computers, sie sind sozusagen vom Computervirus befallen. Sie haben keine Zeit mehr Bücher zu lesen. Ich sehe sie vertieft in ihr Smartphone in stundenlangen Unterhaltungen in der Straßenbahn, im Café, im Auto, am Strand oder beim Spazierengehen. Sie sind dann für andere total abgemeldet.

Vor kurzem habe ich Hubert kennengelernt. Er arbeitet sozusagen in der Firmenhierarchie an zweiter Stelle. Er klagte über die allgemeine Hetze im Beruf. Der Druck sei überall sehr groß und würde immer stärker. Er erzählte von den vielen Emails, die noch nach Feierabend bei ihm reinkommen und ihn diese noch bis abends spät beschäftigten. Die Medien berichten über die vielen psychischen Krankheiten, die immer mehr zunehmen, weil man immer erreichbar ist.

Jetzt bin ich aus dem Berufsleben raus, deshalb ist für mich vieles nicht mehr nachvollziehbar. Aber interessanter Weise faszinieren mich in letzter Zeit die vielen Möglichkeiten des Computers immer mehr, und ich werde immer wissbegieriger. Dann erwische ich mich mit dem Wunsch, noch mal 30 Jahre jünger zu sein.

 

Jakob Jünkerath

Er war sieben Jahre älter als ich und für mich der beste Fußballer der Welt.

Ich bewunderte ihn schon als elfjähriger Pimpf, wenn ich ihm als Zuschauer auf dem Sportplatz zu jubelte. Schon als kleiner Straßenfußballer wollte ich so werden wie er. Wenn er als Mittelfeldspieler des Vereins „Adler 09 Niederfischbach“ und als Kopfballspezialist die Bälle haargenau servierte, das war nicht nur für mich, sondern auch für viele Beobachter, große Klasse.


Eines Tages fiel mir auf, dass Jakob Jünkerath nicht mehr zu sehen war. Ich suchte ihn auf den Dorfstraßen, fragte noch bei anderen, fußballbegeisterten Leuten, aber nichts, keiner wusste, wo er war. Jakob war wie vom Erdboden verschwunden. Wir Jungs konnten uns keinen Reim daraus machen.

Man schrieb das Jahr 1945, kurz vor Ende des 2. Weltkrieges. Anfang Januar tauchten zwei fremde Männer im Dorf auf. Sie trugen teure, schwarze Ledermäntel und machten meist ein strenges und wichtiges Gesicht.

Mein Freund Gottfried wurde von ihnen nach Jakob Jünkerath gefragt und viele andere auch, aber keiner wusste was. Allerdings hatte ich manchmal den Eindruck, dass manche Dorfbewohner untereinander flüsterten und tuschelten.

Nach drei Tagen waren die fremden Männer – Gott sei Dank – wieder verschwunden und wir Jungs hatten sie auch bald wieder vergessen.

Vier Monate später war der Krieg zu Ende.

Wir bestaunten die amerikanischen Soldaten, sie spielten auf der Straße Volleyball und waren zu uns Halbstarken sehr freundlich. Bald hörte ich auch wieder etwas von unserm Fußballverein. Und plötzlich, für mich ganz unverhofft, lief mein Idol Jakob wieder auf dem Platz und zauberte seine Kunststücke. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht bis in den letzten Winkel. Gleichzeitig wuchs die Spannung mit der Frage: Wo war er in den vergangenen vier Monaten gewesen? Wo hatte er sich aufgehalten?


Mein Opa hat mir das dann in Ruhe erklärt. Ich hing an seinen Lippen, ich wollte das nun ganz genau wissen. Jakob Jünkerath war ein Halbjude, (für mich war es damals noch ein neues Wort) deshalb war er auch zum Militärdienst nicht geeignet. Seine Mutter hat irgendwann gespürt, dass ihr einziger Sohn in großer Gefahr war. Von seinem Vater hatten sie schon seit fast drei Jahren nichts mehr gehört. Deshalb handelte die Mutter jetzt sofort. Unser Freund wurde also noch frühzeitig von zwei verschwiegenen Leuten auf einem zehn Kilometer entfernten, kleinen Bauernhof im hügeligen, bewaldeten Siegerland evakuiert und dort in einer Scheune vier Monate lang versteckt. Die Gestapo, das waren die Männer mit den Ledermäntel, haben Jakob jedenfalls nicht gefunden.

Noch Jahre später erzählten die Dorfbewohner von dem lebensgefährlichen Wagnis, welches die Bauersleute Christian und Mathilde auf sich genommen hatten, da sie ihn bis zum Kriegsende verborgen hielten. Mein Opa sprach dann immer von einer mutigen Tat.

Aber nun war Jakob wieder da. Er arbeitete in einer Blechwarenfabrik, wo Ofenrohre hergestellt wurden. Trotz der schlimmen Zeit ließ ihn der Fußball nicht los. Wieder standen wir Jungs an der Seitenauslinie des Sportplatzes und staunten über seine fußballerischen Fähigkeiten. 21mal konnte er mit dem Ball dribbeln, ohne dass das Leder den Boden berührte.

Bei ihm hatte ich einen Stein im Brett. Deshalb konnte ich ihn auch dazu bewegen, eine Schülermannschaft zu gründen. Er hat uns dann lange Zeit 14tägig betreut und trainiert. Das war ein großer Erfolg und wir waren alle sehr stolz.

Jakob Jünkerath blieb dem Verein und dem Ort noch viele Jahre eng verbunden. Sein Charakter und seine Persönlichkeit standen in hohem Ansehen. Er hat mir in schwieriger Zeit Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Durchhaltevermögen beigebracht. Wenn ich heute, nach 70 Jahren, meinen Heimatort besuche, denke ich sofort an Jakob Jünkerath, er hat mir in einer entscheidenden Lebensphase viel wertvolles Gedankengut mit auf den Weg gegeben.

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