Loe raamatut: «Ökologie der Wirbeltiere», lehekülg 7

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2.7 Energiebalance und Kondition

Obwohl die wichtigen Tätigkeiten, wie Reproduktion, Wanderungen oder bei den Vögeln auch die Mauser, dem Jahresgang der Verfügbarkeit von Energie gut angepasst sind, übersteigt der Energiebedarf oftmals das nutzbare Angebot. Nahrungsmangel ist nichts Seltenes, und viele Tiere können routinemäßig längere Perioden des Fastens ertragen, ohne die Körpertemperatur absenken zu müssen (McCue 2010). Die dabei benötigte Energie wird über den Katabolismus von Körpergewebe freigestellt. Im Verlauf des Fastens bis hin zum Verhungern können drei metabolische Phasen unterschieden werden (Wang et al. 2006): In den ersten Stunden bis Tagen des Nahrungsentzugs kann Leberglykogen mobilisiert werden, in einer zweiten Phase werden hauptsächlich die Fettvorräte abgebaut, wobei ein Minimum an Proteinabbau erfolgt. Vögel können in dieser Phase noch stärker die Proteinvorräte schonen als Säugetiere (Jenni-Eiermann & Jenni 2012). In der dritten Phase wird zunehmend auf Protein zurückgegriffen. Da Protein fast gänzlich strukturelle Aufgaben im Körper erfüllt und es deshalb unter normalen Umständen in viel geringerem Maß als Fett veratmet wird, markiert diese Phase einen fortgeschrittenen Zustand des Verhungerns, denn wichtige Organe und Muskeln werden angegriffen. Erst wenn hungernde Vögel die Brustmuskulatur so weit abgebaut haben, dass sie flugunfähig werden oder wenn andere Organe irreversibel geschädigt sind, sterben sie. Gelegentlich kommt es so zu Massensterben von überwinternden Entenvögeln (Suter & van Eerden 1992).

Energiespeicherung und Kondition

Die normale Energiespeicherung bei Wirbeltieren geschieht also in Form von Fett; bei Fischen spielen auch Glykogen und Proteine eine bedeutende Rolle. Fett besitzt die höchste Energiedichte der verfügbaren Speichermedien (Tab. 2.1) und kann auch schnell wieder katabolisiert werden. Dazu nehmen viele Tiere zu gewissen Zeiten mehr Nahrung auf, als momentan nötig ist (Hyperphagie). Die Assimilationsrate kann bei manchen Vögeln zur Zugzeit mehr als das 10-fache Äquivalent des BMR erreichen (Kvist & Lindström 2003; Klaassen M. et al. 2010). Der Rückgriff auf die Fettreserven erfolgt zu Zeiten ungenügender Energieversorgung (Winter oder Trockenzeiten, Übernachtung) oder wenn ungewöhnlich energieintensive Tätigkeiten verrichtet werden, vor allem im Zusammenhang mit der Fortpflanzung (Kap. 4) oder mit Wanderungen (Kap. 6). Sing- und Watvögel, die nonstop weite Strecken ziehen, verbrennen während der Phase 2 gleichzeitig zu etwa 95 % Fett und zu 5 % Protein (Jenni & Jenni-Eiermann 1998). Das Protein wird unter anderem aus der Massenreduktion des Verdauungstrakts bezogen, was funktionell als Massenersparnis für den Zug erklärt worden ist. Allerdings sind die Abnahmeraten bei fastenden Vögeln organ- und gewebespezifisch und unabhängig von einer Zugleistung (Bauchinger & McWilliams 2010), doch verändern sich die Raten des Proteinabbaus verschiedener Organe in Phase 3 (Jenni-Eiermann & Jenni 2012). Andererseits liefert das Katabolisieren von Protein 5-mal mehr Wasser als Fett, sodass dem Proteinabbau während des Ziehens auch eine Funktion bei der Aufrechterhaltung des Wasserhaushalts im Körper zukommt (Gerson & Guglielmo 2011). Jedenfalls sind die Zugvögel bei Bedarf in der Lage, etwa während des Rastens, sowohl Fettreserven als auch die reduzierten Organe schnell wieder aufzubauen (Karasov & Pinshow 1998; Bicudo et al. 2010). Die Energiespeicherung über Fett kann übrigens nicht unlimitiert erfolgen, da mit ihr auch Kosten verbunden sind, nicht nur im Sinne einer energetischen Verteuerung der Fortbewegung, sondern auch über höheres Prädationsrisiko bei reduzierter Manövrierfähigkeit (Kap. 3.7; s. auch Brodin & Clark 2007). Bei guter Nahrungsversorgung halten Dreizehenmöwen (Rissa tridactyla) während der Bebrütungszeit größere Fettreserven (Strategie fat and fit) als während der größere Beweglichkeit erfordernden Zeit der Jungenfütterung (Strategie lean and fit; Schultner et al. 2013).

Körpermasse (relativ zur Größe, s. unten) und Fettreserven sind wichtige Indizes der Kondition (Ernährungs-, Körperzustand) eines Individuums und bestimmen weitgehend seinen Überlebens- und Reproduktionserfolg, also seine Fitness. Die Beziehung zwischen Kondition und Fitness muss allerdings nicht linear verlaufen (Barnett et al. 2015). Misst man die Kondition in einer ganzen Population, so erhält man Auskunft über die Energieversorgung in einem bestimmten Habitat oder Gebiet (Delguidice et al. 2001). Messmethoden richten sich sowohl danach, wie in der betreffenden Art das Fett abgelagert wird, als auch nach der Größe des Tieres (Übersichten: Barboza et al. 2009; Wilder et al. 2016). Bei kleineren Arten lässt sich der Fettanteil im Körper mit verschiedenen chemisch oder physikalisch basierten Verfahren am lebenden Individuum recht genau bestimmen (Karasov & Martínez del Río 2007). Da Vögel ihr Fett in charakteristischen Depots um das Brustbein oder im Abdominalbereich anlagern, kann der Fettvorrat noch einfacher visuell klassiert werden. Die Bestimmung geschieht bei kleineren Vögeln in der Hand, etwa anlässlich der Beringung von Zugvögeln, kann aber bei größeren Arten auch mittels Beobachtung im Feld durchgeführt werden (Abb. 2.28). Bei genügend großen Stichproben oder bei vorgängiger Kalibrierung lassen sich diese Indizes des Fettvorrats (fat score) in eigentliche Werte konvertieren und für quantitative Voraussagen nutzen, wie die mögliche Reichweite eines ziehenden Vogels (Salewski et al. 2009).

Bei Vögeln und kleinen Säugern genügt oft auch die Messung der Körpermasse (Labocha & Hayes 2012). Wenn die Körpergröße (Konstitution; structural size) individuell variiert, muss dafür korrigiert werden. Dazu verwendet man das Verhältnis zwischen Körpermasse und einem Körpermerkmal, das mit der Körpergröße korreliert (zum Beispiel die Länge von Extremitäten). Die Konstitution kann über solche Allometrien auch bei großen Arten ermittelt werden, die nicht gewogen werden können.


Abb. 2.28 Links: Gut ausgebildetes Fettdepot eines zugbereiten Teichrohrsängers (Acrocephalus scirpaceus). Rechts: Bei Wat- und Entenvögeln sind die Fettvorräte im Abdominalbereich als Krümmung der Bauchlinie gut sichtbar. In einer Feldstudie am Zwergschwan (Cygnus columbianus; auch in Abb. 5.13) wurden sechs Klassen unterschieden, die von 1 = Linie stark konkav (wenig bis kein Fett) bis 6 = Linie stark durchhängend (große Fettanlagerung) reichten (Abbildung neu gezeichnet nach Bowler J. M. 1994).

Größere Säugetiere speichern ihre Fettvorräte subkutan, um die Eingeweide, die Nieren und das Herz, sowie im Knochenmark. In dieser Reihenfolge werden die Vorräte auch mobilisiert. Deshalb ist keiner der Indizes ein gutes Maß für das gesamte Körperfett. Die verschiedenen Depots werden zudem für unterschiedliche Zwecke gebraucht, und deren Bestimmung gibt dann vor allem über diese spezifischen Belastungen Auskunft. So gibt der Nierenfettindex (kidney fat index) Auskunft über die konditionelle Belastung im Rahmen der Reproduktion, während der Wert für das Knochenmarkfett (bone marrow fat), das zuletzt mobilisiert wird, Hinweise auf allfällige starke Mangelerscheinungen liefert (Fryxell et al. 2014). Informationen über den Ernährungszustand lassen sich auch aus Blut- oder Urinproben gewinnen - vor allem Hinweise zur Proteinversorgung von Herbivoren. Die Untersuchungen sind aber oft kompliziert (Karasov & Martínez del Río 2007). Besser eingeführt ist die Untersuchung des Stickstoffgehalts im Herbivorenkot als Ausdruck der Qualität aufgenommener Nahrung (Leslie et al. 2008), nicht jedoch der eigentlichen Kondition.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Energie auch außerhalb des Körpers gespeichert werden kann, indem Nahrungsvorräte gehortet und versteckt werden. Allerdings funktioniert dies nur bei unverderblicher Ware, und die hortenden Tiere müssen sedentär sein. Da es sich dabei um Verhaltensanpassungen handelt, kommt das externe Speichern in Kapitel 3.7. ausgiebiger zur Sprache.

Energieeinsparung

Wenn Energie nicht in genügender Weise beschafft oder aus körpereigenen Reserven mobilisiert werden kann, sind Strategien zur Energieeinsparung vonnöten. Die Notwendigkeit zur Energieeinsparung ergibt sich vor allem in kühleren Klimazonen und während der kalten Jahreszeit, wenn einerseits die Rate der Energieaufnahme absinkt und der Wärmeverlust aufgrund der großen Differenz zwischen Körper- und Außentemperatur ansteigt. Energie kann auf verschiedene Weise gespart werden, zum Beispiel durch

• Reduktion des Wärmeverlustes des Körpers, vor allem während der Nacht,

• Reduktion der Aktivität,

• Reduktion der Körpertemperatur und damit des Energieumsatzes.

Oft werden diese Strategien untereinander und mit Fasten kombiniert.

Ein von vielen Säugern und Vögeln praktiziertes Verhalten zur Reduktion des Wärmeverlusts ist das gemeinsame Übernachten in dicht gedrängten «Kuschelgruppen» (huddling), wodurch sich je nach Art, Gruppengröße und Situation 6–53 % Energie sparen lassen (Gilbert et al. 2010). Solche soziale Ther-moregulation ist vor allem bei kleineren Arten verbreitet (Fledermäusen, Nagetieren, Singvögeln), kommt bei entsprechend niedrigen Umgebungstemperaturen aber auch bei größeren Arten vor (Robben, Affen in kalt-temperierten Gebieten, Pinguinen, Schweinen, Nashörnern). Das wohl spektakulärste Huddling zeigen die im antarktischen Winter brütenden Männchen des Kaiserpinguins (Aptenodytes forsteri): Kuschelnde Pinguine haben im Vergleich zu lose zusammenstehenden Vögeln um 16 % verringerte metabolische Aufwendungen und könnten ohne diese Einsparung die Fastenzeit von 105–115 Tagen während der Bebrütung nicht durchstehen (Ancel et al. 1997). Nicht sozial lebende Tiere in schneereichen Umgebungen können den Wärmeverlust etwa durch Ausharren in Schneehöhlen vermindern. In den Alpen praktizieren dies die beiden Raufußhuhn-Arten Birkhuhn (Tetrao tetrix) und Alpenschneehuhn (Lagopus mutus; Abb. 2.29). Anthropogene Störungen durch zunehmende Freizeitaktivitäten wie Schneeschuhwandern können sich damit negativ auf den Energiehaushalt solcher Arten auswirken; die weitergehenden Konsequenzen für die Bestandsentwicklungen sind aber noch unerforscht (Arlettaz et al. 2007).


Abb. 2.29 Alpenschneehuhn (Lagopus mutus) in seiner Übernachtungshöhle.

Die Reduktion der Aktivität ist notwendig, wenn der Aufwand für die Nahrungssuche und der daraus resultierende Energiegewinn ein ungünstiges Verhältnis erreicht. In der Regel geht verminderte Aktivität mit einer Absenkung der Körpertemperatur einher. Endotherme, die ihre Körpertemperatur nicht stets konstant halten, verhalten sich heterotherm. Heterothermie ist weit verbreitet, in ihrer Ausprägung aber art- und gruppenspezifisch verschieden. Innerhalb der Säugetiere ist sie bei kleinen Arten, solchen, die in hohen Breiten leben, und solchen, die keine Nahrung horten, stärker entwickelt (Boyles et al. 2013). Es gibt auch Unterschiede zwischen Verwandtschaftsgruppen, doch beeinflusst die Phylogenie physiologische Merkmale nur bei tropischen Arten stärker als die Umwelt (phylogenetischer Konservativismus), während außerhalb der Tropen die Umweltbedingungen für die Variation bei physiologischen Strategien entscheidend sind (Khaliq et al. 2015).

Heterothermie ist der Oberbegriff für eine Anzahl verschiedener, oft durch Übergänge verbundener Strategien. Als Hypothermie bezeichnet man die Reduktion auf Temperaturen, die unterhalb der Schwankungsbreite während des normalen aktiven Zustands der Art liegen. Torpor hingegen meint einen Zustand der Inaktivität mit stark vermindertem Energieumsatz und verringerter Reaktionsfähigkeit auf äußere Stimuli. Gemäßigte Hypothermie mit Senkung der Körpertemperatur auf bis zu 30 °C ist bei Vögeln und Säugetieren verbreitet und tritt je nach Tagoder Nachtaktivität der Art nachts oder tagsüber auf. Stärkere Hypothermie mit Absenkung der Körpertemperaturen auf unter 30 °C führt bei Endothermen in der Regel zu Torpor, doch können manche Säugetierarten auch bei massiv abgesenkter Körpertemperatur noch aktiv bleiben. Tiefe Hypothermie folgt entweder einem täglichen oder einem saisonalen Rhythmus. Beim täglichen Rhythmus erreichen die maximalen Phasenlängen zwischen 1,5 und 22 Stunden; man spricht dabei meist von Tagestorpor (daily torpor), selbst wenn das Tier trotz niedriger Körpertemperatur aktiv bleibt. Tiefe Hypothermie im saisonalen Rhythmus ist durch eine Reihe lange andauernder Phasen von Torpor (96–1080 h pro Phase; Geiser & Ruf 1995; Geiser 2013) charakterisiert und besser als Winterschlaf (hibernation) bekannt; wenn sie stattdessen zur Überbrückung von trockenheißen Perioden dient, spricht man von Sommer- oder Trockenschlaf (estivation; Abb. 2.30). Auch bei tiefer Hypothermie wird die Körpertemperatur so weit reguliert, dass eine kritische untere Temperatur nicht unterschritten wird.


Abb. 2.30 Strategien der Temperaturreduktion zum Energiesparen. Für einzelne Arten genügt es, lediglich einzelne Körperteile abzukühlen. Andere müssen in Tagestorpor oder saisonalen Torpor fallen, um genügend Energie zum Überleben einsparen zu können (verändert nach Vaughan et al. 2011; s. auch van Breukelen & Martin 2015). Die Vorstellung, dass die Vielfalt existierender Strategien ein physiologisches Kontinuum bildet, ist möglicherweise nicht korrekt: Variablen, die den Torpor beschreiben, bilden in einer bimodalen Verteilung Tagestorpor gegen Winterruhe/Winterschlaf ab (Ruf & Geiser 2015).

Gemäßigte Hypothermie kommt bei kleineren Vögeln und Säugetieren in vielen taxonomischen Gruppen und von der Arktis bis in die tropischen Regenwälder vor (Reinertsen 1996; Merritt 2010; Geiser 2013). In kühleren Gegenden wird sie in auch von größeren Arten ansatzweise praktiziert, indem die Temperatur in peripheren Körperpartien oder Gliedmaßen unter jene des Körperinnern gesenkt werden kann (regional heterothermia). Rothirsche (Cervus elaphus) etwa können die subkutane Körpertemperatur in Winternächten auf bis zu 20 °C vermindern, und man nimmt an, dass die auch bei anderen Huftieren höherer Breiten im Winter beobachtete Reduktion der Nahrungsaufnahme mit solcher Art von Hypothermie einhergeht (Arnold et al. 2004). Funktionell gibt es keine grundlegenden Unterschiede zwischen gemäßigter Hypothermie und dem Tagestorpor, doch ist Letzterer weitgehend auf kleine Arten (mit wenigen Ausnahmen bis etwa 100 g Körpermasse) und eine geringe Zahl von ta-xonomischen Gruppen beschränkt. Bei Vögeln sind vor allem Kolibris, Segler, Nachtschwalben und einige tropische Artengruppen (zum Beispiel Mausvögel Coliidae; Prinzinger et al. 1991) zu Torpor fähig, wobei sie die Körpertemperatur meist nicht unter 15 °C absenken. Einige Kolibris schaffen es jedoch, auch kurzfristig bis auf 6,5 °C abzukühlen. Bei Säugetieren ist Tagestorpor bei Kloakentieren, kleinen Beuteltieren (Abb. 2.7), Spitzmäusen und anderen kleinen Insektenfressern, Fledermäusen (inklusive tropischer Arten), einigen kleinen Primaten (Abb. 2.31) und Carnivoren sowie Nagetieren nachgewiesen.

Torpor ist der effizienteste Mechanismus der Endothermen zum Energiesparen. Das Sparpotenzial durch gemäßigte Hypothermie und Torpor bei Vögeln bewegt sich, auf den BMR bezogen, zwischen 4 und gut 95 % (McKechnie & Lovegrove 2002); auch Säugetiere sparen im Torpor oft um 30–50 % Energie. Als Stimulus dient wie bei der gemäßigten Hypothermie in der Regel eine ungenügende Energieversorgung, oft aber auch eine niedrige Umgebungstemperatur. Kleinere Arten können häufig, spontan und schnell in Torpor gehen und müssen dabei nicht inaktiv bleiben (Abb. 2.31), größere Arten benötigen meist stärkere Stimuli, etwa eine Kombination von niedrigen Temperaturen mit markantem Nahrungsmangel. Allerdings können auch energetisch gut versorgte Arten in Hypothermie gehen, Vögel zum Beispiel, um den Fettaufbau für den Zug zu beschleunigen oder als präventive Sparmaßnahme bei schwankendem Nahrungsangebot. So wurde bei zugbereiten Weißwangengänsen (Branta leucopsis, Abb. 8.12) festgestellt, dass sie mit einer mittleren Senkung der Körpertemperatur von 4,4 °C um 34–39 % des täglichen Energieaufwands einsparen konnten. Die Gänse verringerten ihre Temperatur einige Tage vor Zugbeginn und dann während 20 Tagen auf dem Zug, nicht nur während der Nacht (Butler & Woakes 2001).


Abb. 2.31 Die Mausmakis (Microcebus) aus Madagaskar sind die kleinsten Lemuren (Halbaffen) und wiegen meist <100 g. Die Grauen Mausmakis (M. murinus; das Bild zeigt den fast identischen Graubraunen Mausmaki, M. griseorufus) leben in Trockenwäldern und ernähren sich von Früchten, Baumsaft und Insekten. Während der kühlen Trockenzeit ist das Nahrungsangebot beschränkt; die Mausmakis gehen dann fast täglich in Tagestorpor. Der Abfall der Körpertemperatur setzt bereits zu Beginn der nächtlichen Aktivitätsperiode ein, und die Körpertemperatur erreicht ihr Minimum von etwa 17 °C (2–5 °C über der Umgebungstemperatur) zu Beginn der Ruheperiode am frühen Morgen. Der Wiederanstieg auf die Normaltemperatur von etwa 37 °C, die um die Mittagszeit erreicht wird, erfolgt zunächst über passives Aufheizen durch die Umgebungstemperatur und in einer zweiten Phase durch endogene Wärmeproduktion. Im Mittel sparen Graue Mausmakis damit 38 % Energie (Schmid 2000).

Neuere Arbeiten an Lemuren zeigen, dass das Eintreten in kurzzeitigen Torpor nicht eine Notfallstrategie von Individuen mit geringen Körperreserven sein muss, sondern in ihrem Fall eher von Tieren mit guter Kondition praktiziert wird. Bei Grauen und Graubraunen Mausmakis (Abb. 2.31) ist die Bereitschaft zum Tagestorpor neben der Temperatur von der Konstitution und Kondition abhängig, wobei größere und fettere Individuen häufiger und stärker in Torpor fallen als kleinere und magere Individuen (Kobbe et al. 2011; Vuarin et al. 2013). Dies lässt sich damit erklären, dass ein Minimum an Körperfett vonnöten ist, um nach einer Periode von Torpor die Normaltemperatur (Normothermie) wieder zu erreichen.

Saisonaler Torpor (Winter- oder Trockenschlaf) ist praktisch nur von Säugetieren bekannt; bei einer einzigen Vogelart, der nordamerikanischen Winternachtschwalbe (Phalaenoptilus nuttallii, Common Poorwill), ist Winterschlaf nachgewiesen. Unter dem Begriff «Winterschlaf» gibt es eine breite Palette von Strategien, die sich in der Länge und Zahl der Torporphasen und der Stärke der Abkühlung unterscheiden. Größere Arten, die sich in einen Bau zurückziehen und den energetischen Vorteil der großen Körpermasse haben, reduzieren ihre Körpertemperatur nicht mehr als etwa 10 °C. Verschiedene Bären (Ursus sp.) fallen in einen langen Dämmerschlaf, wobei ihre Körpertemperatur aufgrund der großen Körpermasse immer über 30 °C bleibt. Ähnliches ist bei Dachsen (Meles sp.) nachgewiesen (Tanaka 2006). Wegen des relativ geringen Temperaturabfalls wird dieser Zustand auch als Winterruhe oder Winterlethargie (denning) bezeichnet. Ob sich Winterruhe aber physiologisch vom Winterschlaf unterscheidet, ist noch nicht geklärt, denn die Verminderung der Stoffwechselrate ist zumindest in beiden Fällen gleich. Eine tropische kleine Lemurenart, der Westliche Fettschwanzmaki (Cheirogaleus medius; Abb. 2.0), pflegt diesbezüglich eine variable Strategie. Er überwintert während sieben Monaten in Baumhöhlen, obwohl die Wintertemperaturen auf über 30 °C ansteigen können. Je nach Wärmedämmung der Höhle schwankt die Körpertemperatur wie bei Ektothermen mit der Außentemperatur um bis zu 20 °C (schlechte Dämmung) oder bleibt konstant (gute Dämmung); in diesem Fall kommt es aber in etwa wöchentlichem Abstand zu Aufwärmphasen (s. unten), wobei die Körpertemperatur kurz auf die Normaltemperatur erhöht wird (Dausmann et al. 2004).

Viele kleine Säuger sind hingegen obligate Winterschläfer bei tiefer Körpertemperatur. Manche sind imstande, ihre Körpertemperatur bis auf unter 4 °C beziehungsweise bis lediglich 1 °C über die Umgebungstemperatur abzusenken, im Falle einiger Fledermäuse damit nahe an den Gefrierpunkt und bei Zieseln (Erdhörnchen) kurzfristig sogar darunter. Abgesehen von den dann regelmäßig auftretenden kurzen Aufwärmphasen (arousal oder interbout euthermia) dauert der Winterschlaf bei ihnen oft mehrere Monate: beim Siebenschläfer (Glis glis) sind es in Mitteleuropa um acht Monate und maximal bis elf Monate (Hoelzl et al. 2015; s. auch Kap. 7.1), bei einzelnen Zieseln bis acht Monate und beim Alpenmurmeltier (Marmota marmota) um sechs Monate. Murmeltiere sind mit etwa 4–5 kg Körpermasse die größten obligaten Winterschläfer. Bei ihnen ist die Winterschlafdauer von Individuen genügender Kondition wohl aufgrund der jährlich konstanten Umweltbedingungen zeitlich nur wenig variabel.

Allerdings reagieren auch obligate Winterschläfer auf Umgebungssignale, etwa auf starken Abfall der Umgebungstemperatur, und wachen dann auf. Ohne solche Stimuli kommt es zu den genannten periodischen Aufwärmphasen, die energetisch teuer sind, denn auf sie fallen etwa 70 % der im Winterschlaf ausgegebenen Energie (van Breukelen & Martin 2015). Arten mit Winterruhe, deren Körpertemperatur nicht unter 30 °C fällt, können darauf verzichten. Trotz des Begriffs «Winterschlaf» schlafen Tiere im Torpor nicht im eigentlichen Sinne. In den kurzen Aufwärmphasen wird hingegen viel geschlafen, doch können sich die Tiere dann auch bewegen, von Vorräten fressen oder Kot absetzen. Der Grund für das periodische Aufwärmen ist noch nicht restlos geklärt. Möglicherweise dienen solche Phasen der Reparatur neuronaler Schaltkreise und damit der Aufrechterhaltung des Gedächtnisses, aber auch anderen physiologischen Bedürfnissen (Millesi et al. 2001; Humphries et al. 2003; Heller & Ruby 2004). Tatsächlich nutzen Siebenschläfer mit höheren Fettvorräten ihren Vorteil nicht, um die Dauer des Winterschlafs abzukürzen, sondern um die Körpertemperatur höher zu halten und häufiger aufzuwachen (Bieber et al. 2014).

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