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Loe raamatut: «Der Mondstein», lehekülg 27

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Fräulein Verinder hörte mir aufmerksam zu, bis ich ausgeredet hatte. Dann dankte sie mir sehr freundlich für meinen Rath, erklärte mir aber zugleich, daß es ihr unmöglich sei, denselben zu befolgen.

»Darf ich fragen,« sagte ich, »was Sie gegen die Befolgung meines Raths einzuwenden haben?«

Sie zögerte – und erwiderte dann meine Frage mit einer andern.

»Angenommen,« fing sie an, »Sie würden aufgefordert, Ihre Ansicht über Herrn Ablewhites Benehmen auszusprechen.«

»Ja – und?«

»Wie würden Sie dasselbe bezeichnen?«

»Ich würde es als das Benehmen eines niedrig gesinnten und falschen Menschen bezeichnen.«

»Herr Bruff! Ich habe an diesen Mann geglaubt. Ich habe diesem Manne das Versprechen gegeben, ihn zu heirathen. Wie kann ich ihm darnach sagen, daß er niedrig gesinnt ist, daß er mich getäuscht hat, wie kann ich ihn darnach in den Augen der Welt herabsetzen. Ich habe mich selbst herabgewürdigt, indem ich dem Gedanken Raum gab, ihn zu meinem Gatten zu machen. Wenn ich ihm das sage, was Sie mir vorschlagen, so muß ich ihm in’s Gesicht bekennen, daß ich mich herabgewürdigt habe. Das kann ich nicht, nach dem, was zwischen uns vorgegangen ist, das kann ich nicht! Die Schande würde ihm nichts ausmachen, mir aber völlig unerträglich sein.«

Hier enthüllte sich mir eine andere hervorragende Eigenthümlichkeit ihres Charakters. Es war ihr feinfühliger Schauder vor der bloßen Berührung mit Allem, was gemein war, der sie gegen jede Rücksicht auf das, was sie sich selbst schuldig war, blind machte, und sie in eine schiefe Position drängte, die sie in der Schätzung aller ihrer Freunde compromittiren konnte. Bis zu diesem Augenblicke war ich selbst gegen die Angemessenheit meines Raths etwas mißtrauisch gewesen. Aber nach dem, was sie mir eben gesagt hatte, konnte ich nicht mehr den geringsten Zweifel haben, daß es der beste Rath war, den man ihr hätte geben können, und ich stand keinen Augenblick an, ihr die Befolgung desselben nochmals dringend an’s Herz zu legen.

Sie schüttelte mit dem Kopfe und wiederholte nur in andern Worten ihre Einwände.

»Er stand auf so vertrautem Fuße mit mir, daß er mich um meine Hand bitten konnte. Er stand hoch genug in meiner Achtung, um mein Jawort zu erhalten, und nach allem diesen kann ich ihm nicht in’s Gesicht sagen, daß er das verächtlichste Geschöpf auf Erden ist.«

»Aber mein liebes Fräulein Rachel,« wandte ich ein, »es ist doch ebenso unmöglich für Sie, ihm ohne jede Angabe von Gründen zu erklären, daß Sie ihr einmal gegebenes Wort zurücknehmen.«

»Ich werde ihm sagen, daß ich mir die Sache überlegt habe und zu der Ueberzeugung gelangt sei, daß es für uns Beide das Beste sei, unsere Verbindung wieder aufzugeben.«

»Weiter nichts?«

»Weiter nichts!«

»Haben Sie auch bedacht, was er Ihnen vielleicht erwidern wird?«

»Er kann sagen, was er will.«

Es war unmöglich, der Delicatesse ihres Entschlusses die Anerkennung zu versagen, und es war ebenso unmöglich, nicht zu sehen, daß sie sich selbst damit zu nahe trat. Ich bat inständigst, ihre eigene Stellung nicht außer Augen zu lassen, ich machte sie darauf aufmerksam, daß sie sich den gehässigsten Mißdeutungen ihrer Motive aussetzen würde.

»Sie können mit den Gefühlen Ihres Herzens nicht dem allgemeinen Urtheil Trotz bieten.«

»Das kann ich doch,« antwortete sie, »und ich habe es bereits gethan.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Sie haben den Mondstein vergessen, Herr Bruff, Habe ich nicht in dieser Angelegenheit, auf meine Niemandem außer mir bekannten Gründe gestützt, dem allgemeinen Urtheil Trotz geboten?«

Ihre Antwort brachte mich für den Augenblick zum Schweigen. Es reizte mich, eine Erklärung ihres Benehmens zur Zeit des Verlustes des Mondsteins auf der Spur des sonderbaren Bekenntnisses zu suchen, welches ihr soeben entschlüpft war. Wäre ich jünger gewesen, hätte ich dieser Versuchung vielleicht nachgegeben, jetzt aber war es mir unmöglich.

Ich versuchte es mit einem letzten Einwand, bevor wir nach Hause zurückgekehrt. Sie ließ sich aber auch dadurch von ihrem Entschluß nicht abbringen. Mein Gemüth befand sich in einem sonderbaren Conflict von Gefühlen, als ich sie an jenem Tage verließ. Sie war eigensinnig, sie war im Unrecht, sie war interessant, sie war bewunderungswürdig, sie verdiente das tiefste Mitleid. Ich ließ mir von ihr das Versprechen geben, mir zu schreiben, sobald sie mir etwas Neues mitzutheilen haben werde, und ich kehrte zu meinen Geschäften nach London in einer sehr unbehaglichen Stimmung zurück.

An dem Abend nach meiner Rückkehr, noch bevor ich den versprochenen Brief möglicher Weise hätte erhalten können, wurde ich durch einen Besuch des älteren Herrn Ablewhite überrascht, der mir mittheilte, daß Herr Godfrey an eben diesem Tage seine Entlassung erhalten und angenommen habe.

Bei der Ansicht, die ich mir bereits von dem Fall gebildet hatte, offenbarte die bloße Thatsache der Annahme die Motive, welche Herrn Godfrey Ablewhite bei seiner Ergebung leiteten, so klar, als ob er sie ausgesprochen hätte. Er bedurfte einer großen Summe Geldes und zwar in einer gegebenen Zeit. Rachel’s Einkommen, das ihm in jeder andern Beziehung genügt haben würde, war dazu nicht ausreichend und Rachel hatte deshalb ihr Wort zurücknehmen können, ohne auf den mindesten ernsthaften Widerstand von seiner Seite zu stoßen. Wenn man mir darauf entgegnet, daß dies eine reine Hypothese sei, so frage ich dagegen, auf welche andere Weise man das Aufgeben einer Heirath von seiner Seite erklären will, welche ihm für den Rest seiner Tage eine glänzende Lebensstellung gegeben haben würde.

Jede freudige Aufwallung, welche diese glückliche Wendung der Dinge vielleicht in mir erregt haben würde, wurde durch den Fortgang meiner Unterhaltung mit dem alten Herrn Ablewhite sofort wieder zurückgedrängt.

Er war, wie er mir sagte, gekommen, um von mir zu erfahren, ob ich im Stande sei, ihm eine Erklärung über das auffallende Benehmen Fräulein Verinders zu geben. Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß ich mich völlig außer Stande erklärte, ihm den gewünschten Aufschluß zu geben. Die unangenehmen Empfindungen, die ich dadurch bei Herrn Ablewhite erregte und die ihn in einer durch die Unterhaltung mit seinem Sohne schon sehr gereizten Stimmung fanden, brachten ihn völlig außer Fassung. Seine Blicke und sein Benehmen ließen gleich deutlich erkennen, daß Fräulein Verinder am nächsten Tage, wo er zu den Damen nach Brighton gehen wollte, einen erbarmungslosen Mann an ihm finden würde.

Ich verbrachte eine schlaflose Nacht damit, mir zu überlegen, was ich demnächst zu thun haben werde. Zu welchem Resultat mein Nachdenken führte und wie wohlbegründet mein Mißtrauen gegen den alten Herrn Ablewhite sich erwies, das sind Momente, die, wie ich erfahre, bereits genau und an der richtigen Stelle von der vortrefflichen Miß Clack mitgetheilt worden sind. Zur Vervollständigung ihres Berichts habe ich nur noch hinzuzufügen, daß Fräulein Verinder die Ruhe und Erholung, deren das arme Kind so sehr bedürftig war, in meinem Hause in Hampstead fand. Sie erfreute uns durch einen langen Besuch. Meine Frau und meine Töchter befreundeten sich sehr mit ihr, und als die Executoren ihren Entschluß in Betreff der Ernennung eines neuen Vormunds gefaßt hatten, trennten sich, wie ich mit Stolz und Freude berichten kann, mein Gast und meine Familie wie alte Freunde.

Zweites Capitel

Das Nächste, was ich mitzutheilen habe, ist die genauere Kunde, welche ich in Betreff der Mondstein-Angelegenheit, oder correcter ausgedrückt in Betreff des indischen Complotts den Diamanten zu stehlen, besitze. Das Wenige, was ich zu sagen habe, ist gleichwohl, wie ich schon bemerkt zu haben glaube, in Betracht seines merkwürdigen Zusammenhangs mit späteren Ereignissen von einiger Wichtigkeit.

Etwa eine Woche oder zehn Tage später, nachdem Fräulein Verinder uns verlassen hatte, trat einer meiner Schreiber in mein Privat-Cabinet auf meinem Bureau mit einer Karte in der Hand und theilte mir mit, daß unten ein Herr sei, der mich zu sprechen wünsche.

Ich warf einen Blick auf die Karte, auf welcher sich ein ausländischer Name befand, der mir entfallen ist. Am Fuße der Karte aber befand sich eine geschriebene Zeile, deren Wortlaut ich mich sehr erinnere: »Empfohlen durch Herrn Septimus Luker.«

Die Frechheit eines Mannes in der Stellung des Herrn Luker, der sich herausnahm mir Jemanden zu empfehlen, brachte mich so völlig außer Fassung, daß ich einen Augenblick schweigend dasaß und mich fragte, ob ich meinen Augen trauen dürfe. Der Schreiber, der meine Ueberraschung bemerkte, kam mir mit dem Ergebniß seiner eigenen Beobachtung des Fremden, der unten wartete, zu Hilfe.

»Es ist ein sonderbar aussehender Mann, Herr Bruff, von so dunkler Hautfarbe, daß wir ihn aus dem Bureau Alle für einen Indier oder etwas Aehnliches halten.«

Indem ich die Schilderung des Schreibers mit der impertinenten Zeile auf der Karte combinirte, erkannte ich auf der Stelle, daß der Mondstein der Schlüssel zu der Empfehlung des Herrn Luker und zu dem Besuch des Fremden auf meinem Bureau sei. Zum Erstaunen meines Schreibers entschloß ich mich sofort, dem unten wartenden Herrn eine Audienz zu gewähren.

Zur Rechtfertigung des höchst unberufsmäßigen Opfers, welches ich aus diese Weise der reinen Neugierde brachte, sei es mir gestattet, jeden Leser dieser Zeilen daran zu erinnern, daß keine, wenigstens gewiß keine in England lebende Person den Anspruch erheben kann, in so genauer Beziehung zu der romantischen Geschichte’ des indischen Diamanten gestanden zu haben, wie ich. Mir waren die Veranstaltungen des Obersten Herncastle, um der Ermordung zu entgehen, anvertraut gewesen. Ich war es, der die Briefe des Obersten empfing, in welchen er in regelmäßig wiederkehrenden Perioden meldete, daß er noch am Leben sei. Ich war es, der sein Testament abfaßte, in welchem er den Mondstein Fräulein Verinder vermachte. Ich war es, der den von ihm ernannten Executor durch die Vorstellung, daß der Edelstein sich vielleicht als eine kostbare Erwerbung für die Familie erweisen werde, zur Uebernahme der Executorschaft vermochte. Und ich war es endlich, welcher Herrn Franklin Blake’s Skrupel bekämpfte und ihn dazu veranlaßte, die Uebermittelung des Diamanten nach Lady Verinder’s Hause auf sich zu nehmen. Wenn irgend Jemand ein unveräußerliches Recht des Interesses an der Mondstein-Angelegenheit und an Allem, was damit zusammenhängt, in Anspruch nehmen kann, so bin ich es unleugbar.

In dem Augenblick, wo mein mysteriöser Client in mein Cabinet geführt wurde, drang sich mir die Ueberzeugung auf, daß einer der drei Indier, wahrscheinlich ihr Anführer, vor mir stehe. Er war sorgfältig in europäische Tracht gekleidet. Aber seine dunkle Hautfarbe, seine lange geschmeidige Gestalt und seine feierliche und gefällige Höflichkeit wäre für jedes kundige Auge hinreichend, um seinen orientalischen Ursprung zu erkennen.

Ich wies ihm einen Stuhl an und bat um die Mitheilung der Veranlassung seines Besuches.

Nachdem er sich zuerst in sehr gewähltem Englisch wegen der Freiheit, die er sich genommen, mich zu stören, entschuldigt hatte, holte der Indier ein kleines Packet hervor, dessen äußere Umhüllung in einem Stück Goldstoff bestand. Nachdem er dasselbe, sowie eine zweite Umhüllung von Seidenstoff entfernt hatte, stellte er einen kleinen mit kostbaren Edelsteinen besetzten, aus Ebenholz gefertigten Kasten auf meinen Tisch.

»Ich bin zu Ihnen gekommen, Herr Bruff,« sagte er, »Sie zu bitten, mir etwas Geld zu leihen, und biete Ihnen dieses Kästchen als Pfand an.«

Ich wies auf seine Karte. »Und Sie wenden sich an mich,« sagte ich, »auf Herrn Luker’s Empfehlung?«

Der Indier verneigte sich.

»Darf ich fragen, wie es kommt, daß Herr Luker Ihnen nicht selbst das von Ihnen gewünschte Geld vorgeschossen hat?«

»Herr Luker hat mir erklärt, Herr Bruff, daß er kein Geld zu verleihen habe.«

»Und hat Ihnen gerathen, sich an mich zu wenden?«

Der Indier wies nun seinerseits auf die Karte und sagte: »Da steht es geschrieben.«

Eine kurze und durchaus bündige Antwort! Wenn der Mondstein sich in meinem Besitz befunden hätte, so würde mich dieser orientalische Herr, wie mir wohl bekannt war, ohne das geringste Bedenken ermordet haben. Dabei aber muß ich anerkennen, daß er, abgesehen von dieser kleinen Unannehmlichkeit, das vollkommene Muster eines Clienten war. Mein Leben würde er nicht respectirt haben, aber er that, was keiner meiner Landsleute, so lange ich in geschäftlicher Beziehung mit ihnen gestanden, jemals gethan hatte – er respectirte meine Zeit.

»Ich bedauere,« sagte ich, »daß Sie sich zu mir bemüht haben. Herr Luker hat Sie durchaus an die falsche Adresse verwiesen. Wie andere Männer meines Berufs befinde ich mich in Besitz von Geldern, die mir zum Zweck der Verleihung anvertraut sind. Aber ich verleihe es niemals an Fremde und niemals auf ein Pfand, wie das von Ihnen angebotene.«

Weit entfernt, wie andere Leute es gethan haben würden, den Versuch zu machen, mich zu einer Abweichung von meinen Grundsätzen zu bewegen, beschränkte sich der Indier darauf, sich zum zweiten Mal zu verneigen und seinen Kasten, ohne mit einem Wort weiter zu insistiren, wieder in seine beiden Umhüllungen zu wickeln. Dieser merkwürdige Mörder erhob sich in demselben Augenblick von seinem Sitz, wo ich ihm meine Antwort gegeben hatte.

»Wollen Sie mir,« sagte er, »bevor ich fortgehe, aus freundlicher Rücksicht für einen Fremden eine Frage erlauben?«

Ich verneigte mich meinerseits. Nur eine Frage beim Abschied! Nach meiner Erfahrung betrug die Durchschnittszahl solcher Fragen sonst fünfzig.

»Angenommen, Herr Bruff,« sagte er, »es wäre für Sie möglich und nützlich gewesen, mir das Geld zu leihen in welchem Zeitraum wäre es für mich möglich und üblich gewesen, es zurückzuzahlen?«

»Nach dem landesüblichen Gebrauch,« antwortete ich, würden Sie berechtigt gewesen sein, das Geld ein Jahr nach dem Tage, wo es Ihnen vorgeschossen wurde, zurückzuzahlen.«

Der Indier verneigte sich zum letzten Mal, Dieses Mal am tiefsten, und ging plötzlich und leise aus dem Zimmer.

Im Nu war er geräuschlos, schleichend, katzenartig zum Zimmer hinaus, was mich, wie ich bekennen muß, etwas betroffen machte. Sobald ich meine Fassung wieder gewonnen hatte, um nachdenken zu können, gelangte ich zu einem ganz bestimmten Schluß in Betreff des sonst unbegreiflichen Fremden, der mich mit seinem Besuch beehrt hatte.

Sein Gesicht, seine Stimme und seine Bewegungen hatte er, so lange er sich in meiner Gesellschaft befand, so vollständig zu beherrschen gewußt, daß sie jeder Erforschung seiner Absichten Hohn sprachen. Aber trotz alledem hatte er mir eine Möglichkeit geboten, durch seine glatte Außenseite hindurch einen Blick in sein Inneres zu thun. Er hatte, bis ich die Zeit nannte, in welcher es üblich sei, einem Schuldner frühestens die Rückzahlung eines Darlehns zu gestatten, nicht den geringsten erkennbaren Versuch gemacht, sich irgend etwas von dem, was ich ihm sagte, einzuprägen. Erst als ich ihm diese Zeit nannte, blickte er mir gerade in’s Gesicht Der Schluß, den ich daraus zog, war, daß er bei dieser Frage einen besonderen Zweck im Auge gehabt habe. Je reiflicher ich das zwischen uns Vorgefallene überdachte, um so stärker drängte sich mir der Verdacht auf, daß dies Angebot des Kästchens und das Gesuch um ein Darlehen ein reiner Vorwand zu dem Zweck gewesen sei, ihm den Weg zu seiner beim Abschied an mich gerichteten Frage zu bahnen.

Ich hielt mich eben von der Richtigkeit dieses Schlusses vollkommen überzeugt und war im Begriff, einen Schritt weiter zu thun und den Motiven des Indiers nachzuforschen, als mir ein Brief überbracht wurde, als dessen Schreiber sich kein Geringerer als Herr Septimus Luker selbst erwies. Er bat mich in Ausdrücken einer widerwärtigen Unterwürfigkeit um Verzeihung und versicherte mich, daß er mir über die fragliche Angelegenheit eine befriedigende Erklärung werde geben können, wenn ich ihm die Ehre einer persönlichen Besprechung erweisen wolle.

Abermals beschloß ich meiner Neugierde zu Liebe etwas von meiner berufsmäßigen Würde zu opfern. Ich erwiderte das Schreiben mit der Anberaumung einer Conferenz auf meinem Bureau für den nächsten Tag.

Herr Luker war ein dem Indier so weit untergeordnetes Wesen, er war so ordinair, so häßlich, so kriechend und so geschwätzig, daß er jeder weiteren Besprechung in diesen Blättern völlig unwürdig ist. Das Wesentliche von dem, was er mir mitzutheilen hatte, kann ich kurz dahin Zusammenfassen:

Einen Tag bevor der Indier mich mit seinem Besuche beehrt hatte, war dieser vollendete Gentleman bei Herrn Luker gewesen. Trotz seiner europäischen Kleidung hatte Herr Luker sofort in ihm den Anführer der drei Indier erkannt, die ihn früher durch ihr Herumlungern vor seinem Hause belästigt und endlich in die Nothwendigkeit versetzt hatten, sich an die Behörde zu wenden.

Diese erschreckende Entdeckung hatte bei ihm sofort zu dem sehr natürlichen Schluß geführt, daß der vor ihm Stehende einer von den drei Männern sein müsse, die ihm die Augen verbunden, ihn geknebelt und ihn des Empfangscheins seines Banquiers beraubt hatten. Die Folge dieses Schlusses war, daß ihn der Schreck völlig lähmte, und daß er sein letztes Stündlein gekommen glaubte.

Der Indier seinerseits benahm sich wie ein vollkommen Fremder. Er producirte das Kästchen mit demselben Anliegen, das er nachher bei mir vorgebracht hatte.

Als das geeignetste Mittel, ihn rasch los zu werden, hatte Herr Luker ohne Weiteres erklärt, er habe kein Geld. Darauf hatte der Indier ihn gebeten, ihm die geeignetste und sicherste Person zu nennen, von der er das gewünschte Darlehn werde erhalten können. Herr Luker hatte geantwortet, daß als die geeignetste und sicherste Person in der Regel ein Solicitor betrachtet werde. Nach einem bestimmten Solicitor gefragt, hatte Herr Luker mich einfach deshalb genannt, weil mein Name der erste war, der ihm in seiner Bestürzung einfiel.

»Die Schweißtropfen flossen mir in Strömen von der Stirn, Herr Bruff,« schloß der widerwärtige Kerl, »ich wußte nicht mehr, was ich sagte und ich hoffe, lieber Herr Bruff, Sie werden es mir verzeihen und Rücksicht nehmen, daß ich wirklich und wahrhaftig vor Angst die Besinnung verloren hatte.«

Ich war bereit genug, dem Patron die erbetene Entschuldigung angedeihen zu lassen. Das war die beste Art, seinen Anblick rasch los zu werden. Ehe ich ihn fortgehen ließ, hielt ich ihn noch einen Augenblick zurück, um noch eine Frage zu thun, nämlich ob der Indier in dem Moment, wo er Herrn Luker’s Haus verlassen, irgend etwas Bemerkenswerthes gesagt habe.

»Ja, der Indier hatte genau dieselbe Frage wie an mich, an Herrn Luker gerichtet, und hatte natürlich auch von ihm dieselbe Antwort erhalten wie von mir.

Was hatte das zu bedeuten?

Herrn Lukers Erklärung förderte mich durchaus nicht in der Lösung des Problems. Ebenso unfähig, über diese Schwierigkeit hinwegzukommen, erwies sich demnächst mein eigener Scharfsinn.

Ich hatte für den Abend eine Einladung zum Diner und ging in einer nicht sehr heitern Stimmung hinauf, ohne zu ahnen, daß der Weg zu meinem Ankleidezimmer auch der erste Schritt zu meiner Entdeckung sein sollte.

Drittes Capitel

Die hervorragendste Persönlichkeit unter den Gästen der Tischgesellschaft war Herr Murthwaite.

Bei seinem Wiedererscheinen in England nach seinen Erforschungsreisen hatte die Gesellschaft sich lebhaft für ihn als einen Mann interessirt, der viele gefährliche Abenteuer bestanden hatte und von denselben erzählen konnte. Er stand im Begriff auf den Schauplatz seiner Erlebnisse zurückzukehren und in unerforschte Gegenden vorzudringen. Sein großartig gleichmüthiges Vertrauen auf sein bisheriges Glück und sein Entschluß, dasselbe in neuen Gefahren zu erproben, hatte das erlöschende Interesse seiner Verehrer an ihrem Helden neu belebt. Nach aller Erfahrung mußte er dieses Mal seinen Gefahren erliegen. Man trifft nicht alle Tage einen merkwürdigen Mann bei Tische, mit der Aussicht demnächst von seiner Ermordung zu hören.

Als die Herren im Eßzimmer allein zurückblieben, saß ich neben Herrn Murthwaite. Da die anwesenden Gäste Alle Engländer waren, so brauche ich wohl kaum zu sagen, daß sobald die heilsam, durch die Anwesenheit der Damen gebildete Schranke entfernt war, die Unterhaltung sich nothwendiger Weise um Politik drehte.

In Betreff dieses Alles absorbierenden nationalen Themas bin ich zufällig einer der unpatriotischsten Engländer. Im Allgemeinen kenne ich nichts Trübseligeres und Nutzloseres als eine politische Conversation Als ich einen Blick auf Herrn Murthwaite warf, nachdem die Flaschen zum ersten Mal ihren Rundgang um den Tisch gemacht hatten, fand ich, daß er augenscheinlich meiner Ansicht sei. Sehr geschickt und mit aller schuldigen Rücksicht für seinen Wirth richtete er sich auf ein Mittagschläfchen ein. Es reizte mich, den Versuch zu wagen, ob eine geschickte Anspielung auf den Mondstein ihn wach halten werde, und falls dieser Versuch erfolgreich wäre, zu sehen, was er über die neueste Verwicklung der indischen Verschwörung, wie sie sich in den nüchternen Räumen meines Bureaus enthüllt hatte, dachte.

»Wenn ich mich nicht irre, Herr Murthwaite«, fing ich an, »waren Sie mit der verstorbenen Lady Verinder bekannt und Sie haben sich für die sonderbare Kette von Begebenheiten interessirt, welche zu dem Verlust des Mondsteins führten.«

Der berühmte Reisende erwies mir die Ehre sich sofort zu ermuntern und mich zu fragen, wer ich sei.

Ich setzte ihn von meinen geschäftlichen Beziehungen zu der Herncastle’schen Familie in Kenntniß und vergaß dabei nicht der merkwürdigen Stellung Erwähnung zu thun, die ich dem Obersten und seinem Diamanten gegenüber in früherer Zeit eingenommen hatte.

Herr Murthwaite drehte sich in seinem Stuhle um, so daß er der übrigen Gesellschaft, conservativen wie liberalen, den Rücken kehrte und concentrirte seine ganze Aufmerksamkeit auf mich, den einfachen Advocaten Bruff.

»Haben Sie kürzlich etwas von den Indiern gehört?« fragte er.

»Ich habe allen Grund zu glauben,« antwortete ich, »daß ich Einen von ihnen gestern auf meinem Bureau gesprochen habe.«

Herr Murthwaite war nicht der Mann, sich leicht über etwas zu wundern; aber diese meine Antwort machte ihn augenscheinlich betroffen. Ich erzählte ihm, was Herrn Luker und was mir selbst begegnet war, wie ich es oben geschildert habe.

»Offenbar,« fügte ich hinzu, »hatte der Indier bei seiner Abschiedsfrage einen besonderen Zweck im Auge. Denn was konnte er sonst für ein Interesse daran haben, die Zeit zu kennen, innerhalb deren ein Darlehn nach Landesgebrauch zurückerstattet werden kann?«

»Ist Ihnen wirklich seine Absicht dabei nicht klar, Herr Bruff?«

»Ich muß zu meiner Schande bekennen, daß ich dieselbe wirklich nicht zu durchschauen vermag, Herr Murthwaite.«

Den großen Reisenden schien es zu ergötzen, den Abgrund meiner Dummheit bis in seine tiefsten Tiefen zu sondiren.

»Erlauben Sie mir eine Frage« sagte er. »In welchem Stadium befindet sich augenblicklich die Verschwörung zur Entwendung des Mondsteins?«

»Das vermag ich nicht zu sagen,« erwiderte ich. »Die indische Verschwörung ist mir ein Räthsel.«

»Mein lieber Herr Bruff, die indische Verschwörung kann nur deshalb für Sie ein Räthsel sein, weil Sie sich niemals wirklich bemüht haben, dasselbe zu ergründen. Wollen wir uns die verschiedenen Stadien, welche die Verschwörung von der Zeit an, wo Sie Oberst Herncastles Testament aufsetzten, bis zu dem Moment, wo der Indier aus Ihrem Bureau erschien, durchlaufen hat, einen Augenblick Vergegenwärtigen? In Ihrer Stellung kann es für die Interessen Fräulein Verinder’s von großer Wichtigkeit sein, daß Sie nöthigenfalls einen klaren Ueberblick über diese Angelegenheit haben. Bitte, sagen Sie mir, ob Sie es unter diesen Umständen vorziehen, den Schlüssel zu den Motiven des Indiers selbst zu suchen, oder ob ich Ihnen jedes weitere Nachdenken über die Sache ersparen soll?«

Ich brauche wohl kaum zu sagen, daß ich den praktischen Zweck, den er in diesem Moment im Auge hatte, vollkommen zu würdigen wußte und daß ich aus den ersten der beiden mir gemachten Vorschläge einging.

»Nun wohl,« sagte Herr Murthwaite »Fragen wir zuerst nach dem Alter der drei Indier. Ich kann bezeugen, daß sie nach ihrem Aussehen alle Drei von ungefähr gleichem Alter zu sein scheinen, und Sie können selbst darüber urtheilen, ob der Mann, der bei Ihnen war, in der Blüthe der Jahre stand oder nicht. Noch nicht vierzig, nicht wahr? Das glaube ich auch. Also noch nicht vierzig. Nun versetzen Sie sich gefälligst in die Zeit, wo Oberst Herncastle nach England zurückkehrte und wo Sie in das Geheimniß seiner Veranstaltungen zum Schutz seines Lebens gezogen wurden. Sie brauchen die Jahre nicht zu zählen. Ich will nur constatiren, daß diese gegenwärtigen Indier nach ihrem Alter die Nachfolger von drei Indiern sein müssen, welche, – (Alle aus der hohen Kaste der Brahminen, Herr Bruff) seiner Zeit den Obersten hierher verfolgten. Nun wohl. Unsere jetzigen Indier sind ihren Vorgängern gefolgt. Wenn sie sich darauf beschränkt hätten, so würde die Sache keine weitere Nachforschung verdient haben. Aber sie haben mehr gethan. Sie sind in das Complott eingetreten, welches ihre Vorgänger hier in England organisirt hatten. Erschrecken Sie nicht. Das Gewebe des Complotts ist, wie ich fest überzeugt bin, nach unsern Begriffen ein sehr loses. Dasselbe beschränkt sich meiner Meinung nach auf die Mitwissenschaft und die eventuellen Hilfsleistungen jener obscuren Art unserer Landsleute, die in den überwiegend von Ausländern bewohnten Nebengäßchen Londons ihr Quartier aufgeschlagen haben, und auf die geheime Sympathie jener Wenigen ihrer Landsleute und ehemaligen Glaubensgenossen, die ihr Brot in der Befriedigung eines der unzähligen Bedürfnisse der hauptstädtischen Bevölkerung verdienen. Kein sehr furchtbares Complott wie Sie sehen. Aber immerhin als Ausgangspunkt unserer Betrachtung der Berücksichtigung werth, weil wir im Fortgang derselben vielleicht Veranlassung finden werden, auf diese bescheidene kleine Verschwörung zurückzukommen. Nachdem ich uns so den Weg gebahnt habe, will ich eine Frage an Sie richten, die Sie mir nach Ihren Erfahrungen gewiß werden beantworten können. Welches Ereigniß gab den Indiern die erste Chance, sich des Diamanten zu bemächtigen?«

Ich verstand die Anspielung auf meine Erfahrungen.

»Ihre erste bestimmte Chance,« erwiderte ich, »wurde ihnen durch Oberst Herncastle’s Tod geboten. Ich nehme als selbstverständlich an, daß sie von seinem Tode sofort Kunde erhielten.«

»Ganz gewiß. Und sein Tod bot ihnen, wie Sie sagen, die erste Chance Bis zu jenem Zeitpunkte hatte der Diamant sicher in dem Gewölbe der Bank gelegen. Sie haben das Testament des Obersten verfaßt, in welchem er seiner Nichte den Edelstein vermacht, und die Rechtsgültigkeit des Testaments wurde in gewohnter Weise festgestellt. Als Jurist können Sie keinen Augenblick zweifelhaft über Das sein, was die Indier nach Einholung englischen Raths danach gethan haben werden.«

»Sie werden sich mit einer Copie des Testaments in Doctors Commons versehen haben. sagte ich.

»So ist es. Einer oder der Andere jener obscuren Engländer, von denen ich vorhin sprach, wird ihnen eine solche Copie verschafft haben. Aus dieser Copie ersahen sie, daß der Mondstein der Tochter Lady Verinder’s vermacht sei und daß der ältere Herr Blake oder eine von ihm ernannte Person bestimmt sei, ihn derselben zu überbringen. Sie werden mir zugeben, daß die nöthige Information über Personen in der Stellung Lady Verinder’s und Herrn Blake’s sehr leicht zu erlangen sein mußte. Die einzige Schwierigkeit der Indier konnte nur darin bestehen, daß sie sich zu entscheiden hatten, ob sie den Versuch, sich des Diamanten auf seinem Wege aus dem Gewahrsam der Bank zu bemächtigen, machen, oder ob sie damit warten sollten, bis derselbe nach Lady Verinder’s Hause nach Yorkshire gebracht sein würde. Der zweite Weg mußte offenbar als der sicherere erscheinen und damit haben Sie die Erklärung der Erscheinung der Indier in Frizinghall, wo sie als Jongleurs auftraten und ihre Zeit abwarteten. In London hatten sie selbstverständlich ihre Einrichtungen derart getroffen, daß sie von den sie interessirenden Ereignissen au fait gehalten wurden. Zwei Männer waren beauftragt, der eine, Jedem, der von dem Hause des Herrn Blake nach der Bank ging, zu folgen, und der andere, die niederen männlichen Dienstboten des Hauses mit Bier zu regaliren und sich die Neuigkeiten des Hauses von denselben berichten zu lassen. In Folge dieser sehr einfachen Vorsichtsmaßregeln mußten sie alsbald davon in Kenntniß gesetzt werden, daß Herr Franklin Blake auf der Bank gewesen und daß derselbe die einzige Person im Hause sei, welche Lady Verinder besuchen werde. Was dieser Entdeckung folgte, ist Ihnen ohne Zweifel so gegenwärtig wie mir.«

Ich erinnerte mich, daß Franklin Blake einen der Spione auf der Straße als solchen erkannt, – daß er in Folge dessen seine Ankunft in Yorkshire um einige Stunden verschiebt, und daß er (Dank dem vortrefflichen Rath des alten Betteredge) den Diamanten in der Bank in Frizinghall niedergelegt hatte, noch ehe die Indier ihn auch nur in der Gegend vermuthet hatten. Alles vollkommen klar bis soweit. Aber wie kam es, daß die Indier, ohne von der letztgedachten Vorsichtsmaßregel Franklin Blake’s unterrichtet zu sein, in dem ganzen Zeitraum bis zu Rachel’s Geburtstag keinen Einbruch in das Haus, von dem sie glauben mußten, daß der Diamant sich darin befinde, versuchten?

Indem ich Herrn Murthwaite diese schwierige Frage vorlegte, fügte ich hinzu, daß ich allerdings von dem kleinen Jungen und der tintenartigen Flüssigkeit und dem übrigen Hokuspokus gehört habe, daß aber eine auf die Annahme eines clairvoyanten Zustandes bei dem Jungen gegründete Erklärung für mich durchaus nichts Ueberzeugendes habe.

»Für mich auch nichts« sagte Herr Murthwaite »Die Clairvoyance ist in diesem Fall nichts als die Entfaltung der Liebhaberei der Indier an übernatürlichen Dingen. Für diese Leute war es eine für uns Engländer völlig unverständliche Belebung und Ermuthigung, ihre mühsamen und gefahrvollen Wanderungen durch dieses Land mit einem gewissen Schimmer des Außerordentlichen und Wunderbaren zu umgeben. Ihr Junge ist unzweifelhaft ein für magnetische Einflüsse empfängliches Subject, und unter diesem Einfluß hat er eben so unzweifelhaft das in dem Geiste der ihn magnetisirenden Person Vorhandene wieder ausgestrahlt. Ich habe die Theorie des Magnetismus geprüft und habe gefunden, daß die Aeußerungen der Magnetisirten niemals die eben angegebene Grenze überschreiten. Die Indier fassen die Sache anders auf; sie glauben ihren Jungen mit der Kraft begabt, Dinge zu sehen, die für ihre Augen unsichtbar sind und, ich wiederhole es, in diesem Wunder finden sie die Quelle eines neuen Interesses an der Verfolgung des Zwecks, der sie vereinigt. Ich erwähne das nur als eine Probe einer merkwürdigen Seite des menschlichen Charakters, die Ihnen völlig neu sein muß. Wir haben bei der uns vor liegenden Untersuchung nichts mit Clairvoyance, Magnetismus oder mit irgend etwas Aehnlichem, an das zu glauben einem praktischen Mann schwer wird, zu thun. Mein Zweck bei der schrittweisen Verfolgung der indischen Verschwörung ist, auf rationellem Wege gewisse Thatsachen auf ganz natürliche Ursachen zurückzuführen. Ist mir das bis jetzt in Ihren Augen gelungen?«

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
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Ilmumiskuupäev Litres'is:
04 detsember 2019
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