Loe raamatut: «Gesetz und Frau»
Erster Theil
Erstes Capitel.
Der Irrtum der Braut
»Denn in dieser Weise zieren sich die heiligen Frauen des Alterthums, welche auf Gott baueten, selbst, indem sie sich unterwürfig machten ihrem Eheherrn, so wie Sarah Abraham gehorchte und ihn Herr nannte, als deren Töchter Ihr Euch bekennen dürft, so lange, als Ihr wohl handelt und nicht bange seid in irgend einem Bedenken.«
So die wohlbekannten Worte der Trauformel unserer englischen Kirche endend, schloß mein Onkel Starkweather sein Buch, und warf mir über das Altargitter hinweg einen Blick herzlichen Interesses zu, der sein ganzes breites Angesicht erleuchtete. In demselben Augenblick tippte mir meine Tante Mrs. Starkweather, welche neben mir stand, auf die Schulter und sagte:
»Valeria, nun bist Du verheirathet!«
Wo waren meine Gedanken? Was war aus meiner Aufmerksamkeit geworden? Ich war zu verwirrt, um es zu wissen. Ich stutzte und blickte meinen Gatten an. Er schien beinahe eben so Verwirrt, als ich es war. Es schien, als wenn wir Beide in diesem Augenblick denselben Gedanken gehabt. War es denn wirklich möglich daß wir, trotz des Einspruches seiner Mutter, dennoch Mann und Frau geworden? Meine Tante Starkweather erledigte die Frage, indem sie mir noch einmal auf die Schulter tippte.
»Nimm seinen Arm!« flüsterte sie, in einem Ton, als wenn sie alle Geduld mit mir verloren hätte.
Ich nahm seinen Arm.
»Folge Deinem Onkel.«
Mich fest an meinen Gatten schmiegend, folgte ich meinem Onkel und dem Hilfeprediger, welcher bei der Trauung assistirt hatte.
Die beiden Geistlichen führten uns in die Sakristei. Die Kirche lag in einer der traurigen Gegenden Londons, welche sich zwischen der City und dem West-End hinziehen. Der Tag war trübe; die Luft schwer und feucht.
Wir bildeten eine melancholische kleine Hochzeitsgesellschaft, welche vollständig mit der traurigen Umgebung und dem traurigen Tage sympathisirte. Keine Verwandte und Freunde meines Gatten waren anwesend; weil, wie ich bereits angedeutet, seine Familie unsere Verbindung mißbilligte. Von meiner Seite waren auch nur mein Onkel und meine Tante erschienen. Meine beiden Eltern hatte ich längst verloren und die wenigen Freunde wohnten zu entfernt. Der ehemalige alte Schreiber meines Vaters, Benjamin, war auf wenige Stunden nach London gekommen, um meiner Trauung beizuwohnen. Er hatte mich von Kindesbeinen an gekannt und war mir nachher in meiner verlassenen Stellung ein zweiter Vater gewesen.
Der Rest der Ceremonie bestand wie gewöhnlich darin, das die beiden jungen Gatten den Trauact unterzeichneten. In der Befangenheit, welche die Situation mit sich brachte, beging ich einen Irrthum, welcher, nach der Ansicht meiner Tante Starkweather, von übler Vorbedeutung war. Ich unterzeichnete meinen Frauennamen anstatt dessen, den ich als Mädchen geführt.
»Was!« rief mein Onkel laut und verwundert, »Du hast schon Deinen Namen vergessen? Wir wollen hoffen, daß Du es nie bereuen mögest, ihn so schnell beseitigt zu haben. Schreibe noch einmal Valeria.
Mit zitternden Fingern ergriff ich noch einmal die Feder und zeichnete meinen Mädchennamen:
Valeria Brinton
Als meinem Gatten die Feder überreicht ward, bemerkte ich mit Erstaunen, daß seine Hand ebenfalls zitterte und daß er, wie ich, nur eine sehr schlechte Unterschrift aufs Papier brachte:
Eustace Woodville
Meine Tante, die ebenfalls aufgefordert wurde, zu unterzeichnen, that es unter Protest.
»Ein schlechter Anfang!« sagte sie, mit dem anderen Ende der Feder auf meine erste Unterschrift deutend. »Ich sage wie mein Mann, ich hoffe, daß Du es nie bereuen mögest.« Selbst in jenen Tagen meiner Unwissenheit und Unschuld verursachte mir die seltsam abergläubische Aeußerung meiner Tante ein gewisses unbehagliches Gefühl. Ich fühlte einen Trost in dem leisen Händedruck meines Gatten; es war eine unbeschreibliche Erleichterung für mich, als meines Onkels herzliche Stimme mir eine glückliche Zukunft wünschte. Der gute Mann hatte seine, im Norden gelegene Pfarre, meine zweite Heimath seit der Eltern Tode, verlassen, um den Trauact an uns zu vollziehen, und er wollte nun mit meiner Tante den Mittagszug zur Rückkehr benutzen. Er schloß mich in seine großen starken Arme und gab mir einen Kuß, der von den Müßiggängern gehört werden mußte, welche draußen vor der Kirchthür auf die Neuvermählten warteten.
»Ich wünsche Dir alles Glück und Wohl- ergehen, mein liebes Kind! Du warst alt genug, um selbst zu wählen, und ich bitte Gott, Valeria, daß Du gut gewählt haben mögest. Unser Haus wird uns recht leer ohne Dich vorkommen; aber ich muß mich bescheiden Wenn Du nur glücklich wirst, dann will ich es auch sein. O, O, nun weine nur nicht, sonst steckst Du Deine Tante auch noch an. Außerdem verderben Thränen die Schönheit. Trockne Deine Augen und blicke dort in den Spiegel, dann wirst Du sehen, daß ich Recht habe. Und nun lebe wohl, Kind, und Gott sei mit Dir!«
Er nahm den Arm meiner Tante und verließ die Sacristei. So sehr ich meinen Gatten liebte, that mir doch das Herz weh, als ich den treuen Freund und Beschützer meiner Mädchentage scheiden sah.
Dann kam der Abschied vom alten Benjamin. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, und vergessen Sie mich nicht!« war Alles, was er sagte. Aber so wenig Worte es auch waren, riefen sie mir doch alte Erinnerungen aus der Heimath zurück. Benjamin speiste jeden Sonntag bei uns, als mein Vater noch lebte, und jedes mal brachte er mir ein kleines Geschenk mit. Ich hätte beinahe wieder meine Schönheit verdorben, wie mein Onkel sich ausdrückte, als ich dem alten Manne die Wange zum Kuß bot, und als er aufseufzte, als wenn er keine rechte Hoffnung auf mein künftig Glück hätte.
Die Stimme meines Gatten machte meinen Sinn heiterer.
»Wollen wir gehen, Valeria?« fragte er.
Ehe wir die Kirche verließen, wollte ich noch meines Onkels Rath befolgen und in den Spiegel blicken, der über dem Kamin in der Sacristei angebracht war.
Welche Bilder zeigte mir der Spiegel?
Er zeigte mir ein großes, schlankes, junges Weib von dreiundzwanzig Jahren. Sie gehört durchaus nicht zu den Personen, welche auf der Straße die Blicke der Vorübergehenden auf sich ziehen, obgleich sie des goldblonden Haares und der rothen Wangen entbehrt, welche den meisten Engländerinnen eigenthümlich sind. Ihr Haar ist schwarz und fällt in breiten, sanft gekräuselten Locken von der Stirn auf Schulter und Nacken herab. Ihre Farbe ist bleich: mit Ausnahme von Momenten heftiger Erregung, in denen sich ihre Wangen röthen. Die Augen sind von so dunklem Blau, daß sie gewöhnlich für schwarz gehalten werden. Die Augenbrauen, obwohl schön geformt, sind zu dunkel und zu stark. Die scharf gebogene Nase wird von Leuten, die sich auf Nasen verstehen, für zu groß gehalten. Der Mund, der schönste Theil ihres Antlitzes, ist sehr edel geschnitten und außerordentlich ausdrucksfähig. Was das Antlitz im Allgemeinen betrifft, so ist es zu schmal und im unteren Theile zu lang, während es im oberen Theile, namentlich in der Stirn, zu breit erscheint.
Das ganze Bild, welches der Spiegel zurückwirft, zeigt eine elegante Figur, aber zu bleich, zu ruhig und ernst in Momenten des Schweigens, kurz eine Person, welche den gewöhnlichen Beobachter im ersten Augenblicke besticht, welche aber mit dem nächsten und jedem folgenden Blicke gewinnt. Was ihre Kleidung anbetrifft, so sucht diese eher zu verschweigen als zu erzählen, daß sie sich soeben verheirathet hat. Sie trägt einen Tunika von grauem Caschmir, und darunter einen Rock von gleichem, Stoff und gleicher Farbe. Von dem Haupt herab fließt ein weißer Schleier, der mit einer dunkelrothen Rose im Haar befestigt ist.
Ist mir die Beschreibung gelungen oder mißrathen, welche ich von meiner eigenen Person lieferte? Ich kann nicht sagen. Ich habe mein Bestes gethan, mich von zwei Eitelkeiten fern zu halten, von der Eitelkeit der Selbstherabsetzung und von der Eitelkeit des Selbstlobes.
Jedenfalls danke ich Gott, daß ich damit zu Ende bin. Und wen sehe ich im Spiegel an meiner Seite? Ich sehe einen Mann, nicht ganz so groß wie ich, der das Unglück hat, älter auszusehen als er ist. Seine Stirn ist vor der Zeit kahl geworden. Sein dichter kastanienbrauner Backenbart und lang herabfallender Schnurrbart sind, ebenfalls vor der Zeit, schon vielfach mit weißem Haar durchzogen. Sein Antlitz besitzt die Rothe, welche dem meinigen fehlt. Er blickt mich mit den zärtlichsten hellbraunen Augen an, die ich jemals bei einem Mann bemerkt. Sein Lächeln ist mild und liebreich; sein Benehmen obgleich ruhig und zurückhaltend, besitzt dennoch eine stumme Ueberredungsgabe, welche Frauen gegenüber von unwiderstehlicher Wirkung ist. Sein Gang ist ein klein wenig hinkend, in Folge einer Wunde, die er in früheren Jahren als Soldat in Indien empfing, und er trägt deshalb ein Bambusrohr mit seltsam geschnittener Krücke. Dies ist aber der einzige Fehler in seiner äußern Erscheinung, ein Fehler, der ihm in meinen Augen sogar eine gewisse Grazie verleiht. Das Beste aber, was ich an ihn finde, ist, daß ich ihn liebe. Mit diesem tiefgefühlten Geständniß beschließe ich das Portrait meines Gatten, wie es an unserem Hochzeitstage von dem Spiegel in der Sacristei zurückgeworfen wurde.
Da der Spiegel mir Alles erzählt, was ich wissen wollte, verließen wir die Kirche. Der Himmel, schon vom Morgen an bewölkt, hat sich unterdeß noch dunkler bezogen, und ein schwerer Regen fällt hernieder. Die Vorübergehenden blicken beinahe grimmig unter ihrem Regenschirm hervor, als wir ihnen über den Weg gehen, um unseren Wagen zu erreichen. Kein Frohsinn kein Sonnenschein keine Blumen auf den Weg gestreut, kein Bankett, keine Festreden, keine Brautjungfern keinen Segen von Vater, Mutter. Ein trüber Hochzeitstag und, wie Tante Starkweather sagt, ein schlechter Anfang.
Auf dem Bahnhof ist ein Coupe für uns reservirt worden. Der aufmerksame Portier, in Erwartung eines guten Trinkgeldes, hat die seidenen Rouleaux vor den Fenstern heruntergelassen, um uns den Blicken der Neugierigen zu entziehen. Nach einem scheinbar unendlich langen Aufenthalt, wird der Zug abgelassen. Mein Gatte schlingt den Arm um meine Taille »Endlich!« flüstert er mit so viel Liebe im Blick, wie Worte sie nicht auszudrücken vermögen und zieht mich sanft an sich. Mein Arm stiehlt sich langsam um seinen Hals; unsere Blicke begegnen sich. Dann vereinen sich die Lippen zu einem langen heißen Kuß. O, welche Erinnerungen steigen in mir auf, während ich dies niederschreibe! Ich muß meine Augen trocknen und das Papier für heute bei Seite legen.
Zweites Capitel.
Die Gedanken der Braut
Wir mochten ungefähr eine Stunde gefahren sein, als mit uns Beiden eine Veränderung vorging.
Dicht nebeneinander sitzend, meine Hand in der seinen, den Kopf an seine Schulter gelehnt, wurden wir allmälich immer schweigsamer. Hatten wir das kleine, aber doch so beredte Wörterbuch der Liebe schon erschöpft? Oder waren wir stillschweigend übereingekommen, nach der Wollust der Leidenschaft, die in der Sprache liegt, uns der noch tieferen Leidenschaft hinzugeben, welche im Denken beruht? Ich wage es nicht zu entscheiden. Ich weiß nur, daß eine Zeit kam, in welcher unsere Lippen sich gegen einander verschlossen hielten. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Waren die seinen ebenso ausschließlich bei mir, wie die meinen sich ausschließlich mit ihm beschäftigten? Noch ehe wir unser Ziel erreichten stiegen Zweifel in mir auf, und ein wenig später wußte ich gewiß, daß seine Gedanken weitab von seiner jungen Frau, sich zu dem Unglück seines Lebens gewandt hatten.
Was mich betrifft, so fühlte ich mich dennoch außerordentlich glücklich, ihn an meiner Seite zu haben.
Ich malte mir mit stillem Behagen aus, wie wir uns zum ersten Mal begegneten nicht weit vom Hause meines Onkels.
Unser berühmter Forellenbach strömte murmelnd und schäumend über sein steiniges Bett, durch grünes Wiesenland. Es war ein stürmischer, trüber Abend. Die Sonne sank unter blutrothen Wolken im fernen Westen hernieder. Ein einsamer Angler stand an einer Biegung des Stromes, wo am gegenüberliegenden Ufer ein überhängender alter Baum das Wasser beschattet. Von seinen Zweigen verdeckt, befand sich ein junges Mädchen ich selbst, und folgte mit regem Interesse dem schnellen Dahingleiten der Forellen.
Der Angler seinerseits folgte jeder ihrer Bewegungen mit aufmerksamem und geübtem Blick, und am sandigen Ufer des Baches entlang gehend, ließ er oft die Angelschnur im seichten Wasser schwimmen bald zog er sie an, um den Fisch mit dem Köder zu locken. Ich folgte auf dem anderen, unebenen Ufer, um das Spiel zwischen dem Angler und der Forelle weiter zu beobachten. Ich hatte lange genug bei meinem Onkel Starkweather gelebt, um nicht Etwas von seinem Enthusiasmus für die Kunst des Angelns abbekommen zu haben. So folgte ich, von dem Fremden ungesehen, und die Augen fest auf jede Bewegung der Angelruthe und des Köders gerichtet, auf der anderen Seite des Baches, ohne auf den Weg Acht zu geben. Ein Fehltritt auf dem losen, etwas erhöhten, Ufer ließ mich straucheln, und ich fiel in den Bach.
Die Höhe war unbedeutend, das Wasser flach, das Bett an dieser Stelle nicht steinig. Außer dem Schreck und der Durchnässung trug ich keinen Schaden davon. Binnen wenigen Minuten war ich schon wieder aus dem Wasser und auf festem Grunde. So kurz der Zwischenfall auch war, hatte er doch dem Fische Gelegenheit gegeben, zu entfliehen. Der Angler hatte meinen ersten instinctiven Schreckensruf gehört, und in demselben Augenblick ward die Angel bei Seite geworfen und er eilte herbei, um mir zu helfen. Wir standen zum ersten Male einander gegenüber, ich auf dem etwas erhöhten Ufer, er in dem flachen Wasser unter mir. Unsere Blicke begegneten sich, und ich glaube, unsere Herzen thaten dasselbe. Soviel weiß ich gewiß, daß wir gegen alle gute Sitte und Erziehung uns schweigend eine ganze Weile anschauten.
Ich war die Erste, die wieder zu sich selbst kam.
Ich sagte ihm, daß ich mir kein Leides gethan und bat ihn, seine Beschäftigung wieder aufzunehmen und zu versuchen, ob er den Fisch nicht noch bekommen könnte.
Er folgte widerstrebend meiner Aufforderung und kehrte dann, natürlich ohne Forelle, zu mir zurück. Da ich wußte, wie unglücklich mein Onkel in der Stelle des Fremden gewesen sein würde, bat ich ihn, daß er mir nicht zürnen möge. In meinem Eifer, ihn für seinen Verlust zu entschädigen, wollte ich ihm sogar eine Stelle im Bach zeigen, wo er schnell das Versäumte nachholen könne.
Er wollte nicht darauf hören, sondern bat mich nur, nach Hause zu gehen und die Kleidung zu wechseln. Ich machte mir Nichts aus der Durchnässung, aber ich gehorchte ihm, ohne zu wissen, warum.
Erging an meiner Seite. Mein Heimweg zum Pfarrhause war sein Heimweg zum Gasthof. Er hatte unsere Gegend ausgesucht, erzählte er mir, nicht allein des Fischens, sondern auch der ruhigen Zurückgezogenheit wegen. Er hatte mich schon einige Male von seinem Fenster aus bemerkt; er fragte mich, ob ich des Predigers Tochter sei.
Ich klärte ihn auf über meine Verhältnisse. Ich erzählte ihm, daß der Prediger meiner Mutter Schwester geheirathet, und daß die Beiden dann, nach dem Tode meiner Eltern, Vater- und Mutterstelle bei mir vertreten hätten.
Er fragte mich, ob er es wagen dürfe, am nächsten Tage dem Doctor Starkweather seinen Besuch zu machen, indem er den Namen eines seiner Freunde nannte, den, wie er glaubte, mein Onkel kennen müsse. Ich lud ihn ein, zu uns zu kommen, als wenn ich die Herrin des Hauses gewesen wäre. Ich war wie bezaubert durch seine Stimme und durch seinen Blick. Niemals, in keines anderen Mannes Gegenwart, war mir so seltsam zu Muthe gewesen, wie ich es jetzt empfand. Die Schatten des Abends waren dunkler geworden, als er mich verließ. Ich lehnte mich gegen das Gitter unseres Gartens. Ich vermochte kaum zu athmen; ich konnte nicht denken; mein Herz schlug, als wenn es mir aus der Brust springen wollte, und Alles das für einen Mann, den ich nie zuvor gesehen. Ich erglühe vor Scham, und dennoch war ich so glücklich!
Und nun, nachdem erst wenige Wochen vergangen, halte ich ihn an meiner Seite, und er ist mein für das ganze Leben. Ich erhob mein Haupt von seiner Schulter, um ihn anzublicken.
Er wurde meine Bewegung nicht gewahr; er blieb still und regungslos in seiner Ecke sitzen. War er in tiefen Gedanken, und befanden sich diese Gedanken bei mir?
Ich ließ mein Haupt wieder leise sinken, um ihn nicht zu stören. Meine eigenen Gedanken wanderten abermals zurück und zeigten mir ein anderes Bild aus der goldenen Gallerie meiner Vergangenheit. Der Garten des Pfarrhauses bildete den Schauplatz. Es war Nacht. Wir waren heimlich zusammen gekommen. Wir gingen, ohne vom Hause ans bemerkt werden zu können, langsam auf und nieder, bald in den schattigen Steigen des Gehölzes, bald auf dem mondlichtbeglänzten Grasplatz. Wir hatten uns längst unsere Liebe gestanden, und unser Leben einander gewidmet. Unsere Interessen waren bereits eins geworden; wir theilten unsere Freuden und unser Leid. Ich war ihm in jener Nacht mit schwerem Herzen entgegengekommen, und hoffte Trost durch seine Gegenwart zu finden. Er hörte meinen Seufzer, als er mich in seine Arme schloß, und wandte sanft meinen Kopf dem Mondlicht zu, um in meinen Zügen lesen zu können. Wie oft hatten ihm dieselben in früheren Zeiten nur Glück und Freude entgegengestrahlt!
»Du bringst mir schlechte Zeitung, mein Engel,« sagte er, mir das Haar aus der Stirn streichend. »Dein Auge erzählt mir von Sorge und Kummer; ich wünschte beinahe, ich liebte Dich weniger, Valeria.«
»Und weshalb?«
»Um Dich Dritter Freiheit zurückgeben zu können. Wenn ich den Ort verließe, würde Dein Onkel sehr zufrieden sein, und Dir selbst blieben für die Folge alle Sorgen erspart, die Dich um meinetwillen drücken.«
»O sprich nicht so, Eustace! Du weißt ja, daß ich nicht mehr ohne Dich leben kann.«
Ein Kuß bereinigte unsere Lippen, und wir vergaßen während einiger köstlicher Minuten den harten Weg, auf dem wir wandelten. Dann kehrten wir zur Wirklichkeit zurück, und ich war gestärkt und getröstet, belohnt für Alles, was ich erlitten, und bereit, dasselbe noch einmal zu erleiden, um eines zweiten solchen Kußes willen. Wendet nur dem Weibe wahrhafte Liebe zu, und es wird Nichts geben, was es nicht dieser Liebe wegen erduldete und wagte.
»Haben sich wieder neue Hindernisse unserer Verbindung entgegengesetzt?« fragte er, als wir wieder langsam neben einander herschritten.
»Nein, die Hindernisse haben ein Ende erreicht. Onkel und Tante haben sich erinnert, daß ich mündig bin und selbst wählen kann, Sie wollten mich allerdings überreden, Dich aufzugeben. Meine Tante, die ich immer für hart gehalten, sah ich zum ersten Male um mich weinen. Mein Onkel, der immer freundlich und gut zu mir gewesen, ist es jetzt noch mehr denn sonst. Er sagte mir, daß, wenn ich darauf bestände, Deine Frau zu werden, er mich nicht an meinem Hochzeitstage verlassen werde. Wo wir uns auch verheirathen möchten, er würde dorthin kommen, um den heiligen Art zu vollziehen, und meine Tante würde mich zur Kirche begleiten. Aber er beschwört mich auf das Ernsthafteste, in Erwägung zu ziehen, was ich beginne; mich von Dir zu trennen, ehe es zu spät ist, und andere Leute um Rath zu fragen, wenn ich mich mit seiner Ansicht nicht einverstanden erklären könnte. Zwingen wollen sie mich nicht, aber sie sind dennoch eifrig bemüht, uns zu trennen, als wenn Du der schlechteste aller Männer wärst, während Du doch deren bester bist.«
»Ist seit gestern etwas vorgefallen, das ihre Abneigung gegen mich erhöht hätte?« fragte er.
»Ja.«
»Und was?«
»Du erinnerst Dich Eures gemeinschaftlichen Freundes?«
»Ganz recht. Des Majors Fitz-David.«
»Mein Onkel hat an ihn geschrieben.«
»Weshalb?«
Er sprach dieses eine Wort in einem so fremdartigen Ton, als wenn es gar nicht zu seiner Sprache gehörte.
»Du mußt aber nicht böse sein, wenn ich es Dir erzähle, Eustace,« sagte ich. »Mein Onkel, wenn ich ihn, recht verstanden habe, hatte verschiedener Gründe, dem Major zu schreiben. Einer derselben war, um die Adresse Deiner Mutter zu bitten.«
Eustace stand plötzlich still.
Ich hielt in demselben Augenblick inne, weil ich fühlte, daß ich nicht weiter gehen dürfe, ohne ihn zu beleidigen.
Die Wahrheit zu sprechen, war sein Benehmen, als er den Onkel um meine Hand bat, etwas unruhig und seltsam. Der Pfarrer hatte ihn natürlich um seine Familie befragt. Er erhielt zur Antwort, daß der Vater todt sei, und dann hatte Eustace, obgleich nicht ohne Widerstreben, darin gewilligt, daß unser Verlöbniß seiner Mutter angezeigt werden dürfte. Nachdem er uns mitgetheilt, daß sie auch auf dem Lande wohne, hatte er sich zu ihr begeben, jedoch ohne uns ihre Adresse zu hinterlassen. Nach zwei Tagen war er mit einem Bescheide zurückgekehrt, der uns stutzig machte. Seine Mutter hatte Nichts gegen mich oder meine Verwandten einzuwenden gehabt; aber sie mißbilligte in so hohem Grade die Absicht ihres Sohnes, sich mit mir verheirathen zu wollen, daß sie, im Verein mit allen Familienmitgliedern, ihre Gegenwart bei der Trauungsfeierlichkeit verweigerte, wenn Mr. Woodville darauf bestände, seine Verlobung mit Dr. Starkweathers Nichte aufrecht zu erhalten. Um die Ursache dieses seltsamen Ausspruches befragt, erzählte uns Eustace, daß seine Mutter und Schwestern seine Verheirathung mit einer andern Dame wünschten, und daß sie sich daher bitter gekränkt und enttäuscht fühlten, daß er eine Fremde in die Familie bringen wollte. Diese Erklärung genügte mir vollkommen, denn sie enthielt, so weit ich es beurtheilen konnte, für meine Person die Schmeichelei, daß ich größeren Einfluß über Eustace gewonnen, als jene Andere. Onkel und Tante zeigten sich aber weniger zufriedengestellt. Ersterer sprach gegen Mr. Woodville den Wunsch aus, seiner Mutter schreiben oder sie besuchen zu dürfen, tun sie ihres seltsamen Ausspruches wegen zu befragen. Eustace verweigerte auf das Hartnäckigste die Adresse seiner Mutter, unter dem Vorgeben, daß des Pastors Intervention vollkommen nutzlos sein würde. Hieraus zog mein Onkel sofort den Schluß, daß in dem Geheimniß welches auf der Adresse der Mutter ruhte, etwas Böses verborgen sein müsse. Er verweigerte es, Mr. Woodvilles erneutes Anhalten um meine Hand zu befürworten und schrieb noch am nämlichen Tage an den gemeinschaftlichen Freund, Major Fitz-David, um Erkundigungen über Mr. Woodville einzuziehen.
»Hat Dein Onkel eine Antwort vom Major Fitz-David erhalten?« fragte Eustace.
»Wurde Dir erlaubt, sie zu lesen?« Seine Stimme sank bei diesen Worten zum Geflüster herab, und seine Züge verriethen eine Angst, die mich schmerzlich berührte.
»Ich habe die Antwort mitgebracht, um sie Dir zu zeigen,« sagte ich.
Er riß mir beinahe den Brief aus der Hand und wandte den Rücken, um ihn im Mondlicht zu lesen.
Der Brief war kurz genug und lautete folgendermaßen:
Lieber Vicar!
Mr. Eustace Woodville ist Gentleman von Geburt und Lebensstellung und besitzt, nach seines verstorbenen Vaters Testament, ein unabhängiges Einkommen von 2000 Pfund jährlich.
Stets der Ihre
Lawrence Fitz-David
»Kann es eine einfachere Antwort geben?« fragte Eustace, mir den Brief zurückgebend.
»Wenn ich Auskunft über Dich verlangt hätte; würde sie mir allerdings genügend gewesen sein.«
»Deinem Onkel genügt sie also nicht?«
»Nein.«
»Was sagt er?«
»Weshalb willst Du das wissen?«
»Ich muß es wissen, Valeria. In dieser Angelegenheit darf kein Geheimniß zwischen uns bestehen. Sprach Dein Onkel irgend Etwas, als er Dir des Majors Brief zeigte?«
»Ja.«
»Und was?«
»Mein Onkel sagte mir, daß sein Brief drei Seiten gefüllt habe, und daß die Antwort in einem einzigen Satze bestände. Er sagte, Du siehst, wie kurz mich der Major abfertigt. Ich bat ihn um die Adresse von Mr. Woodvilles Mutter.
Er übergeht die Frage mit völligem Stillschweigen. Urtheile nach Deinem eigenen gesunden Menschenverstande, Valeria. Ist dies Benehmen bei einem Gentleman und Freunde nicht auffällig?«
Eustace unterbrach mich hier.
»Erwidertest Du etwas darauf?« fragte er.
»Nein,« entgegnete ich. »Ich sagte nur, daß ich das Benehmen des Majors nicht verstände.«
»Und was bemerkte Dein Onkel darauf? Bei Deiner Liebe, Valeria, sage mir die Wahrheit.«
»Er bediente sich harter Worte, Eustace, er ist ein alter Mann, Du mußt ihm das nicht übel nehmen.
»Ich nehme es nicht übel. Was sagte er?«
»Er sagte: Merke wohl auf meine Worte! Es schwebt ein Geheimniß über Mr. Woodville und seiner Familie, welches der Major nicht enthüllen darf. Der Brief soll aber dennoch eine Warnung sein, zeige ihn Mr. Woodville und erzähle ihm, was ich Dir soeben gesagt.«
Eustace unterbrach mich abermals.
»Du weißt gewiß, daß Dein Onkel sich dieser Worte bediente?« sagte er, mein Antlitz sorgfältig im Mondlicht betrachtend.
»Ganz gewiß Aber ich bin nicht der Ansicht meines Onkels; denken wir nicht mehr daran.«
Er zog mich plötzlich an seine Brust, und seine Augen blickten in die meinen. Sein Aussehen erschreckte mich.
»Gute Nacht, Valeria!« sagte er, »bewahre mir ein freundliches Andenken, wenn Du einem glücklicheren Manne vermählt sein wirst.«
Er machte Miene mich zu verlassen. Ich hing mich in einem Anfall von Schrecken an ihn und zitterte am ganzen Körper.
»Was willst Du damit sagen?« flüsterte ich als-ich der Sprache wieder mächtig war. »Ich bin Dein, nur Dein! Was habe ich gethan, um diese entsetzlichen Worte zu verdienen?«
»Wir müssen uns trennen,« antwortete er traurig. »Die Schuld ist nicht Dein; aber mein ist das Unglück Wie kannst Du einen Mann heirathen wollen, der Deinen nächsten Angehörigen verdächtig ist? Ich habe ein trauriges Leben geführt. Nie sah ich ein Weib, das mir so sympathisch war, als Du es bist, und das mir so süßen Trost gewährte. ist hart Dich zu verlieren, es ist hart, in das freudlose Leben zurückzukehren. Deinetwegen muß ich das Opfer aber bringen. Ich kann des Majors Brief ebenso wenig erklären, als Ihr es könnt. Wird Dein Onkel mir glauben? Noch einen letzten Kuß, Valeria! Vergieb mir, daß ich Dich leidenschaftlich und mit tiefer Ergebenheit liebte. Vergieb mir das, und laß mich gehen!«
Ich klammerte mich in halber Verzweiflung an ihn.
»Gehe, wohin Du willst,« sagte ich, »ich gehe mit Dir! Was sind mir Ehre, Ruf, Freunde? Dein Besitz wiegt das Alles auf! Mache mich nicht wahnsinnig, Eustace! Ich kann nicht ohne Dich leben! Ich will und muß Dein Weib werden!« Jene wilden Worte waren das einzige was ich hervorbringen konnte; dann löste sich mein Elend in einen Strom von Thränen auf.
Er gab nach. Er tröstete mich mit seiner bezaubernden Stimme; er brachte mich mit sanfter Liebkosung zu mir selbst zurück. Er rief den sternenklaren Himmel zum Zeugen, daß er mir sein ganzes Leben weihen wolle. Und wie beredt und feierlich seine Worte klangen! Er schwur, daß nur ein Gedanke ihn belebe, Tag und Nacht, nämlich der, mich glücklich zu machen und sich meiner würdig zu bezeigen. Und hat er nicht jenes Gelöbniß gehalten? Folgte nicht dem Schwur in jener erinnerungsreichen Nacht der Schwur vor dem Altar, der Schwur vor Gott? Und welch’ ein Leben sah ich vor mir! Die ganze irdische Glückseligkeit erwärmte meine Seele.
Noch einmal hob ich das Haupt von seiner Schulter, um ihn anzublicken, mein Leben, meine Liebe, meinen Gatten, mein Alles! Kaum erwacht aus den Erinnerungen der Vergangenheit zu den Wirklichkeiten der Gegenwart, lehnte ich meine Wange an die seine und flüsterte ihm zu: »O, wie ich Dich liebe! Wie ich Dich liebe!«
Im nächsten Augenblick schreckte ich von ihm zurück. Mein Herz stand still, ich führte die Hand an mein Antlitz. Was fühlte ich auf meiner Wange? Eine Thräne!
Sein Antlitz war mir noch abgekehrt, ich faßte es sanft mit beiden Händen und wandte es zu mir.
Ich blickte es an und sah die Augen meines Gatten, an unserem Hochzeitstage, voller Thränen.