Beethoven

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INHALT

Cover

Titel

Vorwort

EINS

Eine Geschichte aus zwei Städten – von Bonn nach Wien

ZWEI

Das Erhabene und das »umgekehrte Erhabene«

DREI

Beethoven in Heiligenstadt

VIER

Der Weg zur Eroica

FÜNF

Leonore, der »Engel der Freiheit«

SECHS

Von Grätz über Wagram nach Leipzig

SIEBEN

Ein doppeltes Frösteln: Beethoven im Wien Metternichs

ACHT

Damals und heute: Die neunte Sinfonie

Anhang

Impressum

VORWORT

Seit Langem gilt er als einer der größten Komponisten aller Zeiten: Ludwig van Beethoven. Übersehen wurde dabei oft, dass er auch ein ausnehmend politischer Künstler war. Die Französische Revolution, die Schreckensherrschaft, Aufstieg und Fall Napoleon Bonapartes, die Schlachten bei Wagram und Leipzig, der Wiener Kongress und die darauffolgende Ära politischer Unterdrückung: Es waren einige der turbulentesten Epochen europäischer Geschichte, die Beethoven miterlebte. Er war von der großzügigen Unterstützung adeliger Mäzene abhängig, dennoch zertrümmerte er 1806 eine Büste seines Förderers Fürst Lichnowsky und hielt kühle Distanz zu Kaiser Franz I. von Österreich. Eine Aussöhnung mit Napoleons Absolutismus oder jenem in Österreich unter Metternich, der bis über den Tod des Komponisten 1827 hinaus andauerte, war für Beethoven undenkbar.

Heute, zwei Jahrhunderte später, erfreut sich Beethovens musikalisches Vermächtnis einer erstaunlichen Strahlkraft. Während wir 2020 das Beethovenjahr feiern und bereits wieder darüber hinausdenken, scheint es an der Zeit, die politische Bedeutung des Komponisten genau zu untersuchen. Denn es ist das politische Narrativ seiner Werke, das zu deren bemerkenswerter Beständigkeit beiträgt. Im Zusammenhang steht das mit Ereignissen, die größer sind als jeder Einzelne. Beethoven, der im politisch progressiven Bonn aufwuchs, immatrikulierte sich 1789 an der neu gegründeten Bonner Universität – genau in jenem Jahr, als im nahen Frankreich die Revolution ausbrach. Als er 1792 seine Karriere als Musiker in Wien fortsetzte, traf er dort auf eine künstlerisch reiche, politisch jedoch extrem reaktionäre Situation. Beethovens in diesem Umfeld riskante Bewunderung für Napoleon Bonaparte, der damals Erster Konsul der Republik Frankreich war, kühlte bald ab. Trotzdem faszinierte ihn der spätere Kaiser der Franzosen weiterhin und in seiner kulturellen Welt sah er sich als eine Art Rivale – als ein »Generalissimus« im Reich der Klänge. In späteren Jahren, als seine Welt mit dem zunehmenden Gehörverlust immer stiller wurde, schuf er jene Werke, die bis heute nachhaltigen Einfluss haben. Darunter die neunte Sinfonie, deren Ursprünge bis in Beethovens Jugendjahre in Bonn zurückreichen.


J. S. Lyser: Beethoven in Heiligenstadt.

Zeitgenössische Zeichnung. © akg-images/picturedesk.com

Wie Mozart war auch Beethoven ein versierter Improvisator, für den sprunghafte Spontaneität, dramatische Überraschungen und ästhetische Risikobereitschaft wesentlich waren. Beethovens Ziel war es, starke Gefühle im Hier und Jetzt zu vermitteln. Die Glut des Augenblicks, die Momentaufnahme intensiver menschlicher Empfindungen erscheinen in jeder Hinsicht ewig. Wenn Leonore dem schändlichen Pizarro die Worte »Töt erst sein Weib!« entgegenschleudert, wenn der Bariton die orchestralen Turbulenzen der Neunten mit »O Freunde, nicht diese Töne!« beruhigt, dann tragen diese Gesten eine weit über den unmittelbaren Kontext hinausreichende, substanzielle Geisteshaltung in sich.

Wie konnte ein Komponist »Symbole des Vortrefflichen« (um es mit Schillers Worten zu formulieren) ersinnen, die eine Freiheit und soziale Reformen abbilden, die sich in der damaligen Realität kaum erreichen ließen – weder in den autokratischen deutschsprachigen Ländern noch in der chaotischen Republik Frankreich und wahrscheinlich nicht einmal in unserer Gegenwart? Wie konnte die fünfte Sinfonie zum Widerstand gegen den Faschismus wachrütteln und die Pastorale, die sechste Sinfonie, in den Dienst unserer zeitgenössischen Umweltschutzbewegung treten?

Die Globalisierung der Gesellschaft lässt der Musik Beethovens eine neue, frische Wahrnehmung angedeihen. Seit Adrian Leverkühn, der Protagonist aus Thomas Manns Doktor Faustus, versucht hat, das Versprechen, das Beethovens Neunte birgt, zu zerstören, ist viel Zeit vergangen. Mann, der sein Buch nach der Flucht vor Hitlers Regime im kalifornischen Exil schrieb, platzierte seine verzweifelte Botschaft vor dem Hintergrund von Beethovens leuchtender letzter Sinfonie. Wie wir noch sehen werden, nahm Beethoven in seinen Entwürfen positiver Symbole (unter denen An die Freude das am meisten gefeierte ist) diese dystopischen Schatten bereits vorweg. Seit damals hat der Traum der Neunten den Globus umschlungen – von den rituellen Masseninszenierungen Japans bis zu einem Flashmob im katalonischen Sabadell, dessen Videoaufzeichnung mittlerweile mehr als 85 Millionen Menschen auf YouTube gesehen haben. Dieser aufregende Weg, der noch lange nicht zu Ende ist, ist ein Resultat unserer Historie, eine sehr menschliche, von Schmerz und Opfer, Standhaftigkeit und Mut geprägte Geschichte.


EINS EINE GESCHICHTE AUS ZWEI STÄDTEN – VON BONN NACH WIEN

»Es steckt was Revolutionäres in der Musik!«

Diese Reaktion auf Beethoven stammt angeblich von jenem habsburgischen Monarchen, der während der gesamten Zeit, in der Beethoven in Wien lebte – von 1792 bis 1827 –, regierte. Kaiser Franz spürte etwas in Beethovens Musik, das ihm verdächtig erschien und sein Misstrauen weckte. »Es steckt was Revolutionäres in der Musik!« weist auf eine Qualität in der Musik, die dem Kaiser Unbehagen verursachte.

Auf derartige Beiklänge reagierte der Monarch alarmiert. Immerhin war er der Neffe von Marie-Antoinette, jener österreichischen Erzherzogin, die als Ehefrau König Ludwigs XVI. Königin von Frankreich wurde. Im Jahr 1793, vier Jahre nach dem Ausbruch der Französischen Revolution und bald nach Beethovens Ankunft in Wien, waren Ludwig und Marie-Antoinette eingekerkert worden, bevor man beide in Paris enthauptete. Angesichts dieses Schreckens war es vordringliche Priorität des Habsburgerkaisers, während seiner Regentschaft jede derartige Revolution in Österreich zu verhindern.

Mit starrköpfiger Beharrlichkeit überdauerte Franz schließlich seinen weitaus brillanteren französischen Rivalen Napoleon Bonaparte. Anders als der erbliche Kaiser von Österreich war der Korse aus bescheidenen Verhältnissen gekommen und hatte sich während der Aufstände im Jahrzehnt nach der Französischen Revolution nach oben gearbeitet. Seine bemerkenswerten militärischen Erfolge machten Napoleon berühmt, 1799 wurde er Erster Konsul der Französischen Republik.

Leidenschaftlich hoffte Beethoven zu jener Zeit, der Einfluss dieser französischen Leitfigur würde positiv auf Politik und Kultur wirken. Doch so viel Zuversicht war in Österreich nicht realistisch. Anders als sein Vorgänger Kaiser Joseph II. in den 1780er-Jahren war Kaiser Franz kein progressiver Lenker seines Staates, sondern fühlte sich durch Napoleons soziale und politische Reformen bedroht. 1794 war des Kaisers »Grauen vor ›Demokratie‹ ebenso krankhaft geworden wie seine Feindseligkeit gegenüber jeder Art von Veränderung«. Ein Historiker wies darauf hin, dass der Kaiser »überall Verschwörung roch« und sich seine Angst vor Revolution zu einer »institutionalisierten Paranoia« verfestigte.

 

Dieser politische Hintergrund steckt den Rahmen für unsere Erkundung der politischen Überzeugungen Beethovens ab. Der junge Komponist hatte den Geist der Aufklärung in den 1780er-Jahren förmlich aufgesogen – Immanuel Kants »Kritiken«, liberale Reformen, kultureller Tatendrang –, aber auch den Schrecken und die Polarisierung erlebt, die auf den Ausbruch der Französischen Revolution 1789 folgten. Erstaunlich, wie kraftvoll sich das Erbe eines Musikers im Jahr 2020 zeigt – immerhin ein Vierteljahrtausend nach seiner Geburt. Diese Tatsache lässt sich teilweise mit der universellen Sprache der Musik erklären. Sie macht es zum Beispiel möglich, dass das »Freude«-Thema der neunten Sinfonie die Hymne der Europäischen Union wurde, während Friedrich Schillers Verse selbst nie offiziell übernommen wurden. Ein anderer Faktor ist die zunehmende Polarisierung der Politik des 21. Jahrhunderts. Es sind merkwürdige Parallelen, die die Ära Beethovens mit unserer Gegenwart verbinden. Viele, die den Ausbruch der Französischen Revolution begrüßt hatten, waren bald desillusioniert. Das ähnelt dem 1989 beginnenden Zusammenbruch der Sowjetunion, der zu einem fehlgeleiteten Optimismus über ein bevorstehendes Zeitalter der Demokratie führte.

Beethovens Welt zu erkunden bedeutet, sich Spannungen und Widersprüchen gegenüberzusehen – den über weite Strecken erfolglosen Reformen des aufgeklärten Absolutismus unter Joseph II. und dem prekären Reiz des revolutionären Frankreichs, dem deutschen »Flickenteppich« aus Klein- und Mittelstaaten, den Beethoven in jungen Jahren erlebte, und der autokratischen Habsburgermonarchie, der französisch-deutschen Grenzregion am Rhein und der Hauptstadt des ausgedehnten vielsprachigen Reiches an der Donau. Außerhalb der verwirrenden Komplexität historischer Voraussetzungen formt der Künstler Visionen seiner Vorstellungskraft. Es ist aufregend, sich mit dem Bestreben des Komponisten auseinanderzusetzen, auf das ganze Durcheinander einer turbulenten Epoche zu reagieren. Während Napoleon Bonapartes Aufstieg und Fall auf der Bühne der Welt nichts als längst vergangene Geschichte ist, haben Beethovens musikalisches Vermächtnis und damit seine Reaktion auf die politischen Umstände seiner Zeit bis heute unvermindert Bestand, auch wenn das Potenzial seines Werks nach wie vor nicht ausgeschöpft ist. Verständnis und Wertschätzung profitieren vom Wissen um den Zusammenhang. Wie wir sehen werden, vermitteln die kontrastreichen Erzählstränge der Werke Beethovens weitaus mehr als ein neutrales Abspielen von Tönen.

Wie war es für den sechzehnjährigen Hofmusiker Beethoven, im Jahr 1787 für drei Monate von Bonn nach Wien zu reisen? Welche Erfahrungen machte er, als er im Revolutionsjahr 1789 an der Bonner Universität inskribierte? Wie formte sein Aufwachsen im Rheinland während einer Schlüsselära seine Einstellungen gegenüber Ästhetik und Politik? Welche Rolle spielten seine musikalischen Vorgänger Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn für seinen künstlerischen Weg?

Die Regentschaft Kaiser Josephs II. brachte eine Welle von Reformen von oben, die der Vernunft folgen wollten: die »weiße Revolution« des aufgeklärten Absolutismus. Joseph II. nahm für sich in Anspruch, die französischen Revolutionäre von 1789 hätten etwas angestrebt, das er längst zustande zu bringen versucht hatte. Im Jahr 1783 verkündete er: »Ich habe die von Vorurteilen und eingewurzelten alten Gewohnheiten entsprungenen Umstände durch Aufklärung geschwächt und mit Beweisen bestritten.« Er dämmte die Macht der Kirche ein, förderte religiöse Toleranz, war ein Verfechter des Gedankens menschlicher Gleichheit, hob die Leibeigenschaft ebenso auf wie viele Privilegien von Adel, Hof, Klerus, Zünften und Städten. Unzähligen Bittstellern gewährte Joseph II. eine persönliche Audienz. Als Herrscher befürwortete er Kants Definition der Aufklärung als einen »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit«. Er reformierte die Volksschulen, ließ Krankenhäuser errichten und trat Obskurantismus und religiösem Aberglauben entgegen.

Die soziale Revolution erwies sich als zerbrechlich, stammte sie doch von einem Herrscher, der umgeben war von Ministern aus altem Adel. In welchen Fallstricken sich Josephs II. Tugenden verfangen konnten, illustriert seine Unterstützung von Mozarts Oper Le nozze di Figaro. Der Kaiser verstand etwas von Musik und hatte 1782 bereits Mozarts deutsches Singspiel Die Entführung aus dem Serail gefördert. Vier Jahre später arbeitete Mozart mit dem Librettisten Lorenzo da Ponte zusammen, der das zweite Stück der Figaro-Trilogie von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais adaptiert hatte. Im Paris des Jahres 1784 war das Stück, das aristokratische Vorrechte und soziale Ungleichheit angreift, eine Sensation gewesen. Da Joseph II. 1785 seine Erlaubnis für eine Aufführung des Dramas in Wien verweigert hatte, begann eine Rezension von Mozarts Figaro in der Wiener Realzeitung mit der Feststellung, man würde heutzutage eben singen, was auszusprechen verboten sei. Da Ponte hatte zwar ein paar revolutionäre Frechheiten von Beaumarchais ausgelassen, dafür jedoch eigene hinzugefügt. Obwohl der aufgeklärte Kaiser der Aufführung der Oper zugestimmt hatte, beschädigte sie Mozarts Position innerhalb des Adels. Die Subskriptionslisten für seine Instrumentalkonzerte, bislang von Mitgliedern des Hochadels gezeichnet, schmolzen im Nachhall des Figaro, der ja auf dem die Aristokratie kritisierenden und eigentlich verbotenen Beaumarchais-Stück beruhte, rasch zusammen.

Es gibt Parallelen zwischen Mozarts 1786 einsetzenden Schwierigkeiten und den politischen Problemen, die den zunehmend isolierten Kaiser plagten, dessen Reformen nach seinem Tod 1790 vielfach revidiert wurden. Dieses außergewöhnliche Jahrzehnt, in dem die Macht dem Volk zu dienen versuchte, sollte mit Don Giovanni noch eine weitere Mozart-Oper sehen: mit drei Gesellschaftsklassen auf der Bühne, deren jede von einer eigenen Musik dargestellt wird. Alle drei Schichten treffen im selben Ballsaal aufeinander, wo sie von ihrem aristokratischen Gastgeber Don Giovanni im Namen der Freiheit begrüßt werden.

Beethoven besuchte Wien erstmals in der Zeit von Januar bis April 1787. Als er eintraf, wurde Mozart gerade in Prag gefeiert, wo sein Figaro so enorm erfolgreich war, dass er den Auftrag zum Don Giovanni erhielt, der im Oktober 1787 in der böhmischen Hauptstadt uraufgeführt werden sollte. Zu dieser Zeit residierte Mozart noch in repräsentablen Wiener Wohnungen, bevor er aufgrund finanzieller Engpässe aus der Inneren Stadt wegzog. In den Wochen zwischen Mozarts Rückkehr aus Prag am 12. Februar und Beethovens Abreise im April gab es hinreichende Gelegenheiten für eine Begegnung der beiden Komponisten, zumal es seine Verbindungen zum Adel waren, die dem Jüngeren den Besuch ermöglicht hatten. Berichten zufolge hörte Beethoven Mozart spielen. Anekdoten darüber, dass Beethoven für Mozart improvisiert hätte, sind zwar plausibel, aber nicht belegt. Beethovens Beschäftigung mit Don Giovanni spiegelt sich in verschiedenen Werken – von der Mondscheinsonate bis zu den Diabelli-Variationen – wider. Und zu jener Zeit, als ein Aufeinandertreffen möglich war, konzentrierte sich Mozart ganz auf diese Oper.

Joseph Haydn auf der anderen Seite lebte damals nach wie vor isoliert in Eisenstadt, wo er dem Fürstenhof der Esterházy diente. Erst nach dem Tod seines Dienstherrn Fürst Nikolaus im Jahr 1790 war er frei und kam dank seiner Englandaufenthalte zu beachtlichem Wohlstand. Bereits 1785 war in einer Londoner Zeitung das Ansinnen zu lesen, man möge Haydn, diesen »Shakespeare der Musik«, im Namen der Freiheit kidnappen und nach England bringen: »Käme es für manche aufstrebende Jünglinge nicht einer erfolgreichen Pilgerfahrt gleich, ihn vor seinem Schicksal zu retten und nach Großbritannien zu verpflanzen, jenes Land, für das seine Musik gemacht zu sein scheint?« Da sich Bonn auf Haydns Route befand, unterbrach er dort seine Reise von Wien nach London im Dezember 1790 ebenso wie seine Rückfahrt im Juli 1792. Zu diesem Zeitpunkt trafen einander Haydn und der junge Beethoven, der ihm anscheinend seine bis dahin eindrucksvollste Komposition zeigte: die Kantate auf den Tod Kaiser Josephs II., eine Hommage auf den erst kurz zuvor verstorbenen österreichischen Monarchen.

Die Lebensläufe des großen musikalischen Triumvirats Haydn–Mozart–Beethoven erstrecken sich über die Ära der Französischen Revolution, wobei sich der umwälzende Einfluss dieses politischen Ereignisses besonders stark im Werk des jüngsten der drei niederschlug. Der jugendliche Beethoven sog den Geist der Aufklärung förmlich auf. Zu seinen Bonner Lehrern und Mentoren gehörten viele, die eng mit aktiven Organisationen jener Zeit verbunden waren – mit Freimaurern, Illuminaten und der Lesegesellschaft. Beethovens Umzug nach Wien bald nach dem Ausbruch der Revolution in Frankreich brachte ihn in ein kulturell reiches Umfeld, die Politik in den habsburgischen Landen nahm nun jedoch eine reaktionäre Richtung. Die Stadt, in der sich Mozart 1781 und Haydn 1790 niedergelassen hatten, wurde 1792 Beethovens Heimat. Es war jenes Jahr, in dem der Konflikt eskalierte und Krieg ausbrach zwischen dem revolutionären Frankreich und absolutistischen Staaten wie Österreich, wo man die Entwicklung in Frankreich beklommen verfolgte. In seinem Tagebuch hielt Beethoven jenen Moment fest, in dem er auf seiner Reise nach Österreich dem Postkutscher ein Trinkgeld gab, als dieser »wie ein Teufel« durch den enger werdenden Frontbereich zwischen französischen und hessischen Truppen fuhr.

Dieser ereignisreiche historische Hintergrund ist essenziell für das Verstehen von Beethovens turbulenter politischer Gegenwart und er hilft uns auch die Art und Weise zu begreifen, in der seine Musik kulturelle Werte ausdrückt. Die Hoffnungen und unerfüllten Versprechen der Französischen Revolution spielten für die schöpferische Arbeit Beethovens eine große Rolle. Seine Skepsis gegenüber Kaiser Franz und seine Ambivalenz gegenüber Napoleon spiegeln seine Reaktion auf weitreichende Ereignisse wider. Die unerschütterliche Begeisterung des Komponisten für die Prinzipien der Französischen Revolution existierte parallel zu seiner Geringschätzung repressiver absolutistischer Herrschaft. Zentrale Aspekte seiner ästhetischen Auffassung und seiner musikalischen Inhalte sind untrennbar damit verbunden. Kunstwerke müssen äußere Umstände nicht unbedingt widerspiegeln, können jedoch antagonistische Werte darstellen. Wie wir sehen werden, bezieht sich die Schilderung von Heroismus in der Eroica auf einen mythischen Zusammenhang, der Bonapartes Versagen, zum Helden zu werden, bloßstellt. Die Idee einer transformierenden Kraft der Kunst, wie sie von Künstlerkollegen – darunter Friedrich Schiller, Johann Wolfgang von Goethe und Jean Paul Richter – propagiert wurde, übte großen Einfluss auf Beethovens Schöpferkraft aus.

Dokumente aus Beethovens letzten Jahren zeugen davon, dass er nach wie vor über politische Belange nachdachte und häufig enttäuscht von den Herrschenden war. Im September 1825 unterhielt sich Beethoven mit seinem Pariser Verleger Moritz Schlesinger, der seine Antworten und Kommentare für den tauben Komponisten in ein Konversationsheft schrieb. Schlesinger hielt fest, »wäre [Napoleon] statt unersättlicher Welteroberer 1ter Konsul geblieben, so wär er einer der größten je existierenden Menschen«. Beethovens Antwort ist zwar unbekannt, doch Schlesingers Replik »Der Ehrgeiz« benennt wohl jenen charakterlichen Makel, der Napoleon in Beethovens Augen als wahren Helden disqualifizierte. Über den österreichischen Kaiser Franz spottete Schlesinger während dieser Unterhaltung: »Der Kaiser ist aber ein dummes Vieh, er sagt, ich brauch kein’ Gelehrten, gute Bürger will ich.«

Ein anderer Kommentar, der Aufschluss über Beethovens konfliktbehaftete Haltung gegenüber Napoleon gibt, stammt von Johann Doležalek, und zwar aus dem Februar 1827, als der Komponist im Sterben lag. Nachdem er sich über das französische Königsgeschlecht der Bourbonen beschwert hatte, sagte Beethoven über Napoleon: »In dem Scheißkerl habe ich mich geirrt.«

Beethovens Bekenntnis, er hätte falsche Hoffnungen in Napoleon gesetzt, stimmt mit unterschiedlichen Quellen überein, die seine Karriere und seine künstlerischen Errungenschaften in neuem Licht erscheinen lassen. Der Komponist war weit davon entfernt, sich der Politik gegenüber indifferent zu verhalten. Seine Affinität zum Werk Schillers und zu dessen Ideen vom affirmativen Kunstwerk, das Widerstandspotenzial hat, und vom Streben nach »Symbolen des Vortrefflichen« waren von enormer Bedeutung. Der Stoff für Beethovens Oper Fidelio, für den er ein düsteres reales Ereignis aus der Zeit der Schreckensherrschaft in Frankreich wählte, ist von bestechend aktueller politischer Relevanz. Außergewöhnlich ist auch der Einfluss, den Beethovens letzte Sinfonie mit dem Chorsatz nach Schillers Gedicht An die Freude hat – ein Werk, das den Komponisten lange beschäftigt hatte und über das er, wie sich aus den Manuskripten ablesen lässt, einige Zweifel hegte, da er auch einen rein instrumentalen Schlusssatz skizzierte.

 

Allerdings haben einige zeitgenössische Kommentatoren skeptischere, alternative Sichtweisen auf Beethovens kulturelles und politisches Format entwickelt. In einem dieser Zugänge wird auch der Versuch unternommen, jene Stücke des Komponisten, die besonders propagandistisch waren – darunter die für den Wiener Kongress geschriebene Kantate Der glorreiche Augenblick – zu rehabilitieren. Eine andere revisionistische Herangehensweise verknüpft Beethovens späten musikalischen Stil mit der reaktionären Ausrichtung der österreichischen Politik Metternichs. In einem radikaleren Ansatz wird der Wert der Freiheit an sich angezweifelt, indem Autonomie als leere Hülle oder getarnte Autorität demaskiert wird. Reduktionistische Sichtweisen verweisen auf den Reiz des Neuen oder den Anschein von Raffinesse – beides würde auf Kosten der ästhetischen Substanz und der historischen Genauigkeit gehen. Weit vielversprechender erweist sich da die Suche nach einem schöpferischen Potenzial jenseits konventioneller Auffassungen.

Um 1814, während des Wiener Kongresses, als Beethoven mehr Aufmerksamkeit erhielt und mehr Geld verdiente als jemals zuvor oder danach, erklärte der Komponist, lieber als alle Monarchen und Monarchien sei ihm das »geistige Reich«: »Mir ist das geistige Reich das liebste, und die oberste aller geistigen und weltlichen Monarchien.« Vor dem Hintergrund von Beethovens ereignisreichem Leben unternimmt der folgende Essay eine Erkundungsreise durch dessen künstlerisches »geistiges Reich«.

Während Beethovens prägender Jugendjahre war das Rheinland alles andere als ein beschaulich-friedvoller Ort. Der in Bonn wehende politische Wind unterschied sich radikal von jenem, dem Beethoven in Österreich begegnen sollte. Als junger Hofmusiker profitierte er von einem glücklichen Zusammenwirken anregender Entwicklungen. Da Erzherzog Maximilian Franz, Kaiser Josephs II. jüngster Bruder, seit 1784 als Kurfürst in Bonn residierte, bestanden enge Verbindungen zwischen der kleinen Stadt am Rhein und der fernen, zehnmal so großen Residenzstadt an der Donau. Maximilian Franz setzte jenes Reformwerk, das sein Vorgänger Kurfürst Maximilian Friedrich begonnen hatte, fort – ein Reformwerk, nicht unähnlich jenem Josephs II. in Wien. Der Klerus wurde an die Kandare genommen, die Kunst und ihre Institutionen wurden neu organisiert und gefördert, die Akademie Bonn 1785 in den Rang einer Universität erhoben. Johannes Neeb wurde engagiert, um die Philosophie Immanuel Kants zu lehren, Männer wie der spätere Revolutionär Eulogius Schneider und Friedrich Schillers Freund Bartholomäus Ludwig Fischenich unterrichteten griechische Literatur, Ästhetik, Ethik und Rechtswissenschaften.

Im Laufe der 1780er-Jahre wurde Bonn zu einem Zentrum der Aufklärung, jener fragilen und doch so enorm produktiven Geistesströmung, die liberale Reformen von oben und nicht aufgrund drohender Revolutionen von unten auslöste. Bonn hätte ein zweites Weimar werden können. Doch die Umwälzungen im Gefolge der französischen Okkupation spülten Maximilian Franz’ Regentschaft 1794 hinweg, weniger als zwei Jahre nach Beethovens Abreise. Niemand jedoch hätte diese Ereignisse ein paar Jahre zuvor prophezeien können.

Als ältester überlebender Sohn eines Alkoholikers – seine geliebte Mutter war bereits 1787 gestorben – schlug Beethoven psychologisch betrachtet den Pfad in Richtung Kompensation durch außergewöhnliche Leistungen ein. Andererseits dürfte das tyrannische, verletzende Verhalten seines Vaters Beethovens Widerstandskräfte gestählt haben. Insgesamt schufen seine schwierige Vaterbeziehung und der frühe Verlust seiner Mutter eine Leere, die von Freunden, Vorbildern, Kunst und Ideen gefüllt wurde. Um 1784 geriet Beethoven über seine enge Freundschaft mit Franz Gerhard Wegeler in den Einflussbereich der kultivierten Familie von Breuning, die ihn mit deutscher Literatur und Poesie vertraut machte. Während der Sommer dieser Jahre dürfte er immer einige Zeit auf dem Landsitz der von Breuning in Kerpen westlich von Köln verbracht haben, wo die verwitwete Helena von Breuning eine schützende Mutterrolle gegenüber Beethoven einnahm. Wegeler wiederum studierte während der 1780er-Jahre in Wien Medizin und half, den Weg für Beethovens Rückkehr nach Wien zu ebnen. Jahre später, als ihn die Symptome seiner unheilbaren Taubheit quälten, bekannte Beethoven Wegeler gegenüber dieses Problem.

Ein bedeutendes Vorbild war der Komponist und Hoforganist Christian Gottlob Neefe, ein aus Sachsen stammender Protestant, der in Leipzig studiert hatte. Neefe war ein begeisterter Bewunderer Johann Sebastian Bachs und eifrig bemüht, dessen Vermächtnis weiterzugeben. Auch seine ersten Begegnungen mit der Musik von Carl Philipp Emanuel Bach, Haydn und Mozart verdankte Beethoven Neefe. Unter Neefes eigenen größeren Kompositionen befinden sich zwölf beeindruckende Serenaden nach Oden von Friedrich Gottlieb Klopstock. Im Jahr 1782 vertonte Neefe mit Dem Unendlichen (für vier Chorstimmen und Orchester) eine weitere Ode Klopstocks. Dieses Stück ist Teil jenes größeren Ganzen, aus dem acht Jahre später Beethovens gewichtige Kantate auf den Tod Kaiser Josephs II. hervorgehen sollte.

Neefe war Freimaurer, übernahm später einen Part im Illuminatenorden und trat schließlich der Lesegesellschaft bei – allesamt der Aufklärung nahestehende Organisationen. Die beiden letztgenannten Vereinigungen erfüllten in den 1780er-Jahren weitgehend die Aufgaben der 1776 in Bonn gegründeten Freimaurerloge, die sich infolge der Repressalien Kaiserin Maria Theresias aufgelöst hatte. Zu den Mitgliedern des 1781 gegründeten Bonner Kapitels des Illuminatenordens gehörten viele, die Beethoven eng verbunden waren, darunter der Hornist und spätere Verleger Nikolaus Simrock sowie der Geiger Franz Ries, der Vater von Beethovens Schüler und Freund Ferdinand Ries. Neefe war ein Anführer dieser Gruppe. Als der Illuminatenorden 1785 aufgelöst wurde, setzte der Bonner Zirkel seine Aktivitäten in der Lese- und Erholungsgesellschaft fort. Zu ihren Mitgliedern zählten viele der Schlüsselfiguren rund um Beethoven während seiner letzten Bonner Jahre, auch Graf Ferdinand Waldstein, der Beethoven in Wien wesentliche Kontakte vermittelte und in das Stammbuch des jungen Komponisten schrieb: »Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozart’s Geist aus Haydens [sic] Händen.« Welche Bedeutung die Lesegesellschaft für Beethoven hatte, mag man an der Tatsache ermessen, dass sie die Kantate auf den Tod Kaiser Josephs II. in Auftrag gab.

Eine weitere wesentliche, vielfach noch unterschätzte Figur in einer prägenden Phase von Beethovens Erziehung war der »Säkularkleriker« Eulogius Schneider, der sich dem Prinzip der Volksaufklärung verschrieben hatte: Die Grundsätze der Aufklärung müssten öffentlich verkündet werden, um solcherart die Freiheit der Gedanken, die Menschenrechte, die Überwindung der Aristokratie und die Zurückweisung der kirchlichen Autorität zu fördern. Liberté, égalité, fraternité – mit Vehemenz vertrat Schneider die Ideale der Französischen Revolution und versuchte diese praktisch umzusetzen. Doch sein leidenschaftliches Eintreten für die Prinzipien der Aufklärung ließen Schneider auf jeder seiner Karrierestufen Grenzen der Konvention und der Autorität überschreiten, was immer wieder Konflikte verursachte.

Links: Eulogius Schneider: »Gedichte«. Titelseite. Privatsammlung Luigi Bellofatto

Rechts: Eine Seite aus »Gedichte«, die Beethoven als Abonnenten ausweist: Hr. van Be[e]thoven, Hofmus[ikus]. Privatsammlung Luigi Bellofatto

Im Jahr 1789, am Vorabend der Revolution, erhielt Schneider seine Berufung zum Professor der Ästhetik und der Kunst an der Bonner Universität. Gleichzeitig begann Schiller Geschichte an der Universität von Jena zu unterrichten. Und es war exakt dieses Revolutionsjahr, in dem sich der um eine Generation jüngere Beethoven an der Universität von Bonn einschrieb. Dieses zeitliche Zusammentreffen war durchaus dazu angetan, den jungen Komponisten zu beeindrucken, sah er es doch als Beispiel dafür, wie Ideen das menschliche Schicksal ganz real beeinflussen konnten. Unter all seinen Lehrern war Schneider derjenige, an dessen Karriere bald höchst anschaulich sowohl Möglichkeiten als auch Gefahren politischen Handelns abzulesen waren.

Viele seiner Texte stellte Schneider in dem Band Gedichte zusammen, der 1790 publiziert wurde. Auf der Subskriptionsliste für das Buch stand auch »Hofmusikus Bethoven« [sic] (Abb. S. 19). Eine ganze Reihe von Belegen zeugt davon, wie bedeutsam Schneider für Beethoven in jener Zeit war. Es war Schneider, der – als Mitglied der Lesegesellschaft – den Vorschlag machte, Kaiser Josephs II. Tod mit einem musikalischen Werk zu gedenken, womit er die Joseph-Kantate initiierte. Schneider selbst verfasste eine poetische Elegie auf den Tod Josephs II., die in seine Gedichte Eingang fand. Teile des Kantaten-Textes, darunter die Phrase »Ungeheuer des Fanatismus«, widerspiegeln Schneiders Einfluss, dessen Interesse für zeitgenössische Poeten wie Klopstock oder Gellert sich mit jenem Beethovens deckt. Zweifellos hinterließ der talentierte Redner Schneider mit seinem Gespür für rhetorisches Pathos einen tiefen Eindruck bei dem jungen Komponisten. Besonders nachhaltig dürfte Schneiders scharfe Kritik am katholischen Ritus und an der strengen kirchlichen Lehrmeinung im Verband mit seinen deistischen oder pandeistischen Überzeugungen gewirkt haben. Eine der Dichtungen, in denen Schneider seine Gesinnung darlegte, ist An die Theologie: