Loe raamatut: «Einfach Shakespeare»
Zum Buch
»Er hat nichts übriggelassen, dem man noch etwas hinzufügen müsste.«JOHN KEATS
Seit jeher fasziniert William Shakespeare Literatur- und Theaterbegeisterte. Neben seinen Dramen zählen auch seine Komödien und seine Lyrik seit Jahrhunderten zur Weltliteratur. In diesem Band kommen nicht nur Hamlet, Puck und Ariel zu Wort, sondern auch der Dichter selbst in seinen eindrucksvollen Sonetten und Sottisen. Gepaart mit fundierten Einführungen ist dieser Band ein Kleinod für alle Shakespeare-Verehrer und vermittelt Einblick in das Werk eines der größten Genies aller Zeiten.
Dieses Lesebuch bietet Auszüge aus den bekanntesten shakespeareschen Monologen und Dialogen, ausgewählte Lyrik des Weltdichters und interessante Hintergrundinformationen, die den Kosmos Shakespeares unter anderem mit der heutigen Popkultur verbinden.
Die ganze Welt ist eine Bühne,
Und alle Frauen und Männer bloße Spieler.
Sie treten auf und geben wieder ab,
Sein Leben lang spielt einer manche Rollen
Durch sieben Akte hin …
WILLIAM SHAKESPEARE; WIE ES EUCH GEFÄLLT (II, 7)
Einfach
Shakespeare
Einfach
Shakespeare
Szenen, Sottisen und Sonette
Herausgegeben von Sabine Anders
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.
Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2014
Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2014
Lektorat: Eva Schröder
Covergestaltung: Groothuis. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH
Hamburg Berlin
Bildnachweis: © marqs/fotolia.com eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0434-9
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung
Den Augenblick, da ich euch sahe … Erste Begegnungen zwischen Liebenden
Willst du schon gehn? Von Abwesenheit, Trennung und Sehnsucht
Vielleicht sind beide falsch Von Eifersucht und Treue
O wir sind alle der Versuchung Erben! Versuchung und Verführung
Liebt’ ich sie je, die Lieb ist längst vorüber Vom Ende der Liebe
Freundschaft hält Stand Über die Freundschaft
Wer möchte Vater sein? Familienbande
Mein Falsch besiegt dein Wahr Intrigen und Ränke
Mit würd’ger Staatskunst Von Politik und Macht
Wer das Leben läßt Berühmte Sterbeszenen//Vom Sterben
Und eine Stunde lacht’ ich ohne Rast Vom Lachen und Humor
Schicksal! Wir wollen sehn, was dir beliebt Das Schicksal und Prophezeiungen
Sein oder Nichtsein Die berühmten Monologe
Nichts ist so, wie es ist Schein und Sein
Ein Sonett zu seinem Ruhm Sonette
Voll weiser Sprüch’ Sentenzen und Aussprüche
Alphabetisches Verzeichnis der Stücke
EINLEITUNG
Die Frage, die einem am häufigsten zu Shakespeare gestellt wird, ist: Wer hat die Stücke eigentlich geschrieben? Die Autorschaftsfrage, auch bekannt als Shakespeare-Verschwörung, ist gleichzeitig das Thema, mit dem sich wahrscheinlich die meisten Fernsehdokumentationen über Shakespeare beschäftigen. Erst 2011 wurde ihr ein großer Kinofilm gewidmet: Anonymous von Roland Emmerich. Das Interessante an dieser Diskussion ist nicht die »Wahrheit« über eine mysteriöse Autorfigur, die hinter einer Verschwörung um Shakespeares Stücke verborgen sein soll, sondern wie diese Diskussion überhaupt entstanden ist und warum sie sich so hartnäckig hält.
Niemand, nicht einmal Anhänger der Verschwörungstheorien, bezweifeln, dass es einen Mann namens William Shakespeare wirklich gegeben hat, der in Stratford-upon-Avon geboren und gestorben ist und dazwischen einen Großteil seines Lebens als Schauspieler in London verbracht hat. Freunde der Verschwörungstheorie bezweifeln lediglich, dass dieser Mann von bescheidener Herkunft, der nur eine durchschnittliche Schulbildung genossen hat, die literarischen Werke verfasst hat, die ziemlich unangefochten zu den besten der Welt zählen. Sie behaupten, dieser William Shakespeare wurde von dem wahren Autor der Stücke nur vorgeschoben, weil letzterer seine wahre Identität verbergen wollte.
Die Kandidaten, die Shakespeares Stücke geschrieben haben sollen, sind nicht gerade wenige und reichen von dem Earl of Oxford über Francis Bacon (der die Stücke von Christopher Marlowe gleich mitgeschrieben haben soll) bis hin zu Königin Elizabeth I und König James I. Alle diese Kandidaten haben jedoch eines gemeinsam: Sie sind hochrangige Mitglieder des Adels (oder eben sogar Könige). Das sei, so die Verschwörungsanhänger, auch der Grund für die Verschleierung ihrer Identität: Es schickte sich angeblich nicht für einen Aristokraten, Theaterstücke zu schreiben. Es gibt jedoch einige Adelige unter Shakespeares Zeitgenossen, die durchaus Theaterstücke geschrieben und keinen Hehl daraus gemacht haben. Sie haben ihre Stücke nur nicht auf der Bühne aufführen lassen. Die Suche nach einem adeligen »wahren« Autor hat also eher sozio-historische Gründe.
Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts kam niemand auf die Idee, dass Shakespeares Stücke aus einer fremden Feder stammen könnten, weil Shakespeare damals noch nicht so verehrt wurde wie zu späterer Zeit und als Autor nicht wichtig genug war, als dass diese Frage irgendjemanden interessiert hätte. Seine Texte wurden damals ziemlich sorglos geändert, um sie an die Gepflogenheiten der Bühne beziehungsweise den literarischen Konventionen der Zeit anzupassen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts jedoch wurde Shakespeare nicht nur als Genie, sondern sogar als »Gott« apostrophiert und entwickelte sich zum englischen Nationaldichter. Einige Leute verdienten in dieser Zeit viel Geld mit gefälschten Manuskripten, Briefen, Testamenten und anderen Dokumenten, die angeblich von Shakespeare stammten, zum Beispiel Briefe von ihm an Königin Elizabeth und seine Frau.
Das Aufkommen der Verschwörungstheorien um Shakespeares Autorschaft hängt einerseits eng damit zusammen, dass die viktorianische Mittelklasse, das kulturelle Establishment, voller aristokratischer Ideale war und große Angst vor sozialen Aufsteigern aus den unteren Klassen hatte. Um Shakespeare für sich zu vereinnahmen, mussten sie ihn zu einem Adeligen machen. Und andererseits wandelte sich in dieser Zeit, der Epoche der literarischen Romantik, die Auffassung über die Bedeutung von Schriftstellern und insbesondere schriftstellerischen Genies.
In der Romantik hatte Schreiben sehr viel mit Inspiration und der Person des Autors zu tun. Er saß, so die idealisierte Vorstellung, allein im stillen Kämmerlein und brachte sein Werk in einem einzigartigen Moment, wenn die Inspiration, die er nicht willentlich beeinflussen konnte, über ihn kam, in seiner vollendeten Form zu Papier. Und was er zu Papier brachte, entsprang seiner eigenen, persönlichen Gefühlsund Erfahrungswelt. Unter solchen Umständen spielte das handschriftliche Manuskript eine unschätzbare Rolle, bildete es doch die übernatürlich anmutende Inspiration ab. Von Shakespeare sind keine handschriftlichen Manuskripte seiner Stücke erhalten. Das ist aber nicht weiter verwunderlich: Shakespeare schrieb seine Stücke (ab und zu auch mit anderen Autoren zusammen) für verschiedene Schauspieltruppen. Das »Copyright« lag bei der Schauspieltruppe und wurde manchmal zusammen mit dem Manuskript an einen Drucker verkauft, der das handschriftliche Dokument nach der Drucklegung nicht zurückgab, sondern wahrscheinlich einfach wegwarf.
Da die Verschwörungstheoretiker Shakespeare als romantischen Autor sehen, gehen sie davon aus, dass auch er in seinen Werken über seine eigene Erfahrungswelt geschrieben hat. Deswegen bringen sie immer wieder das Argument vor, dass er die Stücke gar nicht geschrieben haben kann, wenn er kein Adeliger war, weil so viele Szenen am Königshof spielen. Alle Dramenschreiber zu Shakespeares Zeit haben jedoch über das Leben am Hof geschrieben, so wie sie es von Gerüchten, ihrer Anwesenheit dort während Theateraufführungen, anderen Texten und Theaterstücken her kannten. Viel weniger vorstellbar ist, dass ein Aristokrat so überzeugend den Zungenschlag der einfachen Bevölkerung nachahmen konnte, wie Shakespeare es in seinen Stücken tut. Fest steht auch, dass ein Kenner des Theaters die Stücke geschrieben haben muss.
Aller Wahrscheinlichkeit nach hat Shakespeare als Kind und Jugendlicher die Grammar School in Stratford besucht. Da die Lehrpläne vergleichbarer Institutionen überliefert sind, wissen wir, dass Shakespeare dort übte, auf Latein und Englisch Textvorlagen klassischer Autoren umzuschreiben: Er änderte Fließtexte in Dialoge, fasste die Sichtweise und Argumente verschiedener Figuren in eigene Worte und verwandelte Prosa in Vers. Viele Zeilen aus Shakespeares Werk, die wie Sprichwörter klingen (siehe Kapitel 16 in diesem Buch), lassen sich auf Erasmus’ Sammlung von Sprichwörtern (»Adagia«) zurückführen, die Shakespeare in der Schule gelesen hat.
Das heißt nicht, dass er deswegen nicht das Genie war, für das er gemeinhin gehalten wird. Ob ein Kunstwerk gut oder schlecht ist, darüber lässt sich streiten, und manche sagen, es sei reine Geschmackssache. Nur bei Shakespeare gilt es als allgemein anerkannte Tatsache, dass er ein Genie war. Das liegt, wie Jonathan Bate in The Genius of Shakespeare (London: Picador, 1997) erklärt, jedoch unter anderem daran, dass die literarische Szene den Begriff »Genie« in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hauptsächlich dazu benutzt hat, um auszudrücken, was das Besondere an Shakespeare im Vergleich zu anderen Schriftstellern ist. Er war der erste Schriftsteller in der westlichen Welt, der dafür gelobt wurde, dass er so »natürlich« und »originell« schrieb, anstatt »künstlich« und frühere Autoren imitierend. Bis dahin galt beides – natürliches, lebensnahes Schreiben und die Nachahmung anerkannter Autoren – als ein und dasselbe. Es gibt schriftliche Äußerungen von Shakespeares Zeitgenossen, zum Beispiel von Ben Jonson, die ganz klar eine Verbindung zwischen dem William Shakespeare aus Stratford und dem Schauspieler und Stückeschreiber in London herstellen, und die ihn für seine guten Stücke trotz seiner fehlenden »Gelehrtheit« loben. Am Ende des 18. Jahrhunderts wird er für die fehlende Gelehrtheit gelobt.
Dabei spielten auch politische Gründe eine Rolle, unter anderem der Wunsch Englands, sich bewusst von Frankreichs kultureller Vorherrschaft abzugrenzen. Während in Frankreich nur Dramen als gut galten, die sich streng an klassizistische Regeln hielten – in denen also zum Beispiel Tragödien streng von Komödien getrennt waren, die Handlung an einem Ort spielte, maximal 24 Stunden dauerte und plausibel sein musste, und Personen unterschiedlicher Stände nicht gleichzeitig auf der Bühne waren – mischte Shakespeare unbekümmert komische mit tragischen Elementen (zum Beispiel durch den Narr in König Lear), transportierte seine Figuren von England nach Frankreich (zum Beispiel in König Heinrich V), übersprang Zeiträume von mehreren Jahren (zum Beispiel ganze 16 Jahre in Das Wintermärchen), brachte Könige und einfache Leute zusammen auf die Bühne und ließ übernatürliche Wesen wie Elfen und Geister in seinen Stücken auftreten.
Die Stücke, die Aristokraten zu Shakespeares Zeit geschrieben haben, ähnelten dagegen eher den französischen Regeldramen – ein weiterer Grund, warum es unwahrscheinlich ist, dass jemand wie der Earl of Oxford Shakespeares Stücke geschrieben hat (genauso wie die tatsächlich von Francis Bacon verfasste Dichtung in keiner Weise Shakespeares Stil gleicht). Ebenso unwahrscheinlich ist, dass der Earl of Oxford sich zu der unterwürfigen Widmung herabgelassen hätte, die Shakespeare in seinen längeren Versdichtungen an den Earl of Southampton richtet. Dazu kommt, dass der Earl of Oxford zu früh gestorben ist, um alle von Shakespeares Stücken geschrieben zu haben. Und die ganzen Anspielungen auf andere zeitgenössische Adelige, die Anhänger der Oxford-Theorie in Shakespeares Stücken vermuten, hätten Shakespeare vermutlich ins Gefängnis gebracht oder ihn sogar sein Leben gekostet.
Wenn Sie trotzdem daran glauben wollen, dass Shakespeare seine Stücke nicht selbst geschrieben hat, befinden Sie sich in illustrer Gesellschaft: Sigmund Freud, Henry James und Mark Twain zum Beispiel waren ebenfalls fest davon überzeugt. Das muss Sie jedoch nicht davon abhalten, seine Texte zu genießen – letztlich ist dafür ja unerheblich, wer sie geschrieben hat. Sollten Sie Anhänger einer ganz anderen Shakespeare-Verschwörung sein – nämlich dass Shakespeare maßlos überschätzt wird und gar nicht so gut ist, wie alle behaupten – sind Sie ebenfalls nicht allein, sondern einer Meinung mit – zum Beispiel – Leo Tolstoi, Bernard Shaw und Ludwig Wittgenstein. Das Buch, das Sie in den Händen halten, gibt Ihnen auf jeden Fall die Möglichkeit, sich anhand der interessantesten Textstellen in Shakespeare selbst ein Bild zu machen.
Das 1. Kapitel (»Den Augenblick, da ich euch sahe ...«) schildert erste Begegnungen zwischen Liebenden. Das 2. Kapitel (»Willst du schon gehen?«) enthält Szenen, in denen Liebende mit Abwesenheit, Trennung und Sehnsucht konfrontiert sind. Themen des 3. Kapitels (»Vielleicht sind beide falsch«) sind Eifersucht, Untreue und Unaufrichtigkeit. Kapitel 4 (»O wir sind alle der Versuchung Erben!«) handelt von Versuchung und Verführung. Kapitel 5 (»Liebt’ ich sie je, die Lieb ist längst vorüber«) zeigt das Ende der Liebe, Streit und Trennung. Das 6. Kapitel (»Freundschaft hält Stand«) erzählt Geschichten rund um wahre und falsche Freunde. Familienbande und Familienangelegenheiten bieten im 7. Kapitel (»Wer möchte Vater sein?«) ausgiebig Konfliktpotenzial. Kapitel 8 (»Mein Falsch besiegt dein Wahr«) führt die Meister-Intriganten in Shakespeares Stücken vor. Im 9. Kapitel (»Mit würd’ger Staatskunst«) kommen erstaunlich moderne politische Konflikte zur Sprache. Kapitel 10 (»Wer das Leben läßt«) enthält die berühmtesten Sterbeszenen. Kapitel 11 (»Und eine Stunde lacht’ ich ohne Rast«) steht ganz im Zeichen von Komik und Humor. Die Schwankungen des Schicksals, Prophezeiungen und Vorahnungen sind Inhalt von Kapitel 12 (»Schicksal! Wir wollen sehn, was dir beliebt«). Kapitel 13 (»Sein oder Nichtsein«) enthält die berühmtesten Monologe, Kapitel 14 (»Nichts ist so, wie es ist«) zeigt, dass sich in Shakespeares Stücken der äußere Anschein und die innere Wahrheit von Menschen und Geschehnissen häufig widersprechen. Kapitel 15 (»Ein Sonett zu seinem Ruhm«) versammelt ausgewählte Sonette und Kapitel 16 (»Voll weiser Sprüch’«) berühmte, kurze Zitate mit ihren englischen Originalen.
Die Zitate aus den einzelnen Stücken sind entnommen aus der Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel und Ludwig und Dorothea Tieck aus dem 19. Jahrhundert (Ausgabe erschienen im Warschauers Verlag, Berlin, ohne Jahresangabe). Die englischen Texte stammen aus The Complete Works of William Shakespeare, herausgegeben von W. J. Craig (Oxford University Press, London, 1926). Die Texte der Sonette stammen, wenn nicht anders angegeben, aus der Ausgabe Shakespeares Sonette, erläutert von Alois Brandl und übersetzt von Ludwig Fulda (Cottasche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin, 1925). Die Textgrundlage für Die beiden edlen Vettern ist die Übersetzung von Ferdinand Adolph Gelbcke (in Die englische Bühne zu Shakespeares Zeit. Zwölf Dramen seiner Zeitgenossen, Band III, Brockhaus, Leipzig, 1890). Die Rechtschreibung und Interpunktion wurden behutsam modernisiert, wobei bewusst auf die neue Rechtschreibung verzichtet wurde.
DEN AUGENBLICK,
DA ICH EUCH SAHE...
Wer liebte je und nicht beim ersten Blick?
Who ever loved that loved not at first sight?
(Wie es euch gefällt, III, 5)1
Verkleidung, du bist eine Schalkheit
In Was ihr wollt ist Orsino, Herzog von Illyrien, in Olivia verliebt, die jedoch um ihren verstorbenen Bruder trauert und Orsinos Liebe nicht erwidert. Viola wird durch einen Schiffbruch an die Küste Illyriens gespült, verkleidet sich als Mann und tritt als Page unter dem Namen Cesario in Orsinos Dienst. In seinem Auftrag wirbt sie bei Olivia für Orsino. Das hat jedoch zur Folge, dass Olivia sich in die als Cesario verkleidete Viola verliebt, während Viola selbst sich in Orsino verliebt. Wenn man dabei im Hinterkopf behält, dass zu Shakespeares Zeit alle Frauenrollen mit männlichen Schauspielern besetzt waren, nimmt die Mehrdeutigkeit zu: Ein männlicher Schauspieler spielt eine Frau, die sich wiederum als Mann verkleidet. Viola und Olivia begegnen sich das erste Mal, als Orsino Viola zu ihr schickt, um für ihn zu werben.
VIOLA
Ich seh euch, wie ihr seid: ihr seid zu stolz;
Doch wärt ihr auch der Teufel, ihr seid schön.
Mein Herr und Meister liebt euch; solche Liebe
Kann nur vergolten werden, würdet ihr
Als Schönheit ohne Gleichen auch gekrönt. [...]
O liebt’ ich euch mit meines Herren Glut,
Mit solcher Pein, so todesgleichem Leben,
Ich fänd in euerm Weigern keinen Sinn,
Ich würd es nicht verstehn.
OLIVIA
Nun wohl, was tätet ihr?
VIOLA
Ich baut’ an eurer Tür ein Weidenhüttchen,
Und riefe meiner Seel’ im Hause zu;
Schrieb’ fromme Lieder der verschmähten Liebe,
Und sänge laut sie durch die stille Nacht;
Ließ’ euern Namen an die Hügel hallen,
Daß die vertraute Schwätzerin der Luft
»Olivia« schrie. O ihr solltet mir
Nicht Ruh genießen zwischen Erd’ und Himmel,
Bevor ihr euch erbarmt! [...]
Steckt euern Beutel ein, ich bin kein Bote;
Mein Herr bedarf Vergeltung, nicht ich selbst.
Die Liebe härte dessen Herz zu Stein,
Den ihr einst liebt, und der Verachtung nur
Sei eure Glut, wie meines Herrn geweiht!
Gehabt euch wohl dann, schöne Grausamkeit! geht ab
OLIVIA
Wie ist eure Herkunft?
»Obschon mir’s wohl geht, über meine Lage:
Ich bin ein Edelmann.« Ich schwöre drauf;
Dein Antlitz, deine Zunge, die Gebärden,
Gestalt und Mut sind dir ein fünffach Wappen.
Doch nicht zu hastig! Nur gemach, gemach!
Der Diener müßte denn der Herr sein. Wie?
Weht Ansteckung so gar geschwind uns an?
Mich däucht, ich fühle dieses Jünglings Gaben
Mit unsichtbarer leiser Überraschung
Sich in mein Auge schleichen. Wohl, es sei! [...]
Ich tu, ich weiß nicht was; wofern nur nicht
Mein Auge mein Gemüt zu sehr besticht.
Nun walte, Schicksal! Niemand ist sein eigen;
Was sein soll, muß geschehn: so mag sich’s zeigen!
(I, 5)
Da Viola/Cesario für Orsino wirbt, muss Olivia »ihn« zurückweisen. Und doch will sie Cesario wiedersehen und schickt ihren Diener Malvolio hinter »ihm« her. Malvolio soll Cesario einen Ring geben, von dem Olivia behauptet, dass Cesario ihn Olivia als Geschenk von Orsino überbracht hätte. Außerdem soll Malvolio Cesario ausrichten, dass er sich nicht mehr blicken lassen soll, außer um Olivia zu berichten, wie Orsino die Zurückweisung des Ringes aufgenommen hätte. Viola entschlüsselt diese komplizierte Liebesbotschaft mühelos.
VIOLA
Ich ließ ihr keinen Ring. Was meint dies Fräulein?
Verhüte, daß mein Schein sie nicht betört!
Sie faßt’ ins Auge mich, fürwahr so sehr,
Als wenn ihr Aug’ die Zunge ganz verstummte:
Sie sprach verwirrt in abgebrochnen Reden.
Sie liebt mich – ja! Die Schlauheit ihrer Neigung
Lädt mich durch diesen mürr’schen Boten ein.
Der Ring von meinem Herrn? Er schickt’ ihr keinen;
Ich bin der Mann. Wenn dem so ist, so täte
Die Arme besser einen Traum zu lieben.
Verkleidung, du bist eine Schalkheit, seh ich,
Worin der list’ge Feind gar mächtig ist.
Wie leicht wird’s hübschen Gleißnern nicht, ihr Bild
Der Weiber weichen Herzen einzuprägen!
Nicht wir sind schuld, ach! Unsre Schwäch’ allein:
Wie wir gemacht sind, müssen wir ja sein.
Wie soll das gehen? Orsino liebt sie zärtlich;
Ich armes Ding bin gleich verliebt in ihn;
Und sie, Betrogne, scheint in mich vergafft.
Was soll draus werden? Bin ich Mann, so muß
Ich an der Liebe meines Herrn verzweifeln;
Und wenn ich Weib bin: lieber Himmel, ach!
Wie fruchtlos wird Olivia seufzen müssen!
O Zeit! Du selbst entwirre dies, nicht ich:
Ein zu verschlungner Knoten ist’s für mich.
(II, 2)