Loe raamatut: «Deine Nase kann nichts dafür»
DR. ARTUR WORSEG
Dr. Artur Worseg:
Deine Nase kann nichts dafür
Alle Rechte vorbehalten
© 2019 edition a, Wien
Cover: JaeHee Lee
Satz: Isabella Starowicz
Korrektur: Leonard Soldo
epub-ISBN: 978-399001-320-5
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
Inhalt
Eigentlich wollte ich dieses Buch erst am Ende meiner Laufbahn schreiben
Birgit Schwarz und ihr Busen
Raphaëls und Aurelies Familiennase
Die Lehre vom Menschen
Die Macht der (stillen) Manipulation
Die Abgründe der Selbstwahrnehmung
Bist du verrückt geworden?
Der Weg in die Tiefe
Eigentlich wollte ich dieses Buch erst am Ende meiner Laufbahn schreiben
Warum ich ausgerechnet als Schönheitschirurg sage, dass Unzufriedenheit mit dem eigenen Äußeren fast immer eine psychische oder seelische Ursache hat.
Ich schreibe dieses Buch nicht, um zu erzählen, mit welchen Techniken ich Brüste operiere, was bei der optischen Korrektur einer Nase zu beachten ist oder wie und wofür sich das Neurotoxin mit dem Handelsnamen Botox einsetzen lässt. Auch, wenn Sie das von einem Schönheitschirurgen wie mir vielleicht erwarten würden.
Ich habe ein anderes Thema.
Ich schreibe dieses Buch, um zu zeigen, dass unsere Beziehung zu unserem Äußeren wenig damit zu tun hat, wie schön wir objektiv sind oder nicht sind. Schon deshalb, weil es bei der Betrachtung des menschlichen Äußeren keine Objektivität gibt.
Vielleicht haben Sie sich bei ungleichen Pärchen, die Ihnen auf der Straße begegnen, schon einmal gefragt, wie dieser Mann, der ohne seine Begleiterin in der Menge glatt zu übersehen wäre, zu so einer Frau gekommen ist. Oder umgekehrt. Was sehen diese beiden Menschen ineinander? Wie sehen sie einander? Was strahlen sie füreinander aus? Wofür sind sie empfänglich?
Nicht die Schönheit entscheidet, wen wir lieben, sondern die Liebe entscheidet, wen wir schön finden.
Dieser Satz von Sophia Loren sagt mehr über die Schönheit aus, als es die Versuche von Wissenschaftlern, Schönheit durch Winkel und Proportionen zentimetergenau zu definieren, je konnten. Er ließe sich auch auf unsere Beziehung zu unserem eigenen Äußeren umlegen.
Nicht unsere Schönheit entscheidet, ob wir uns lieben, unsere Liebe zu uns selbst entscheidet, ob wir uns schön finden.
Das werde ich in diesem Buch zeigen, und auch, dass unsere Beziehung zu unserem Äußeren Phasen unterworfen ist, menschlichen Entwicklungsphasen, dass aktuelle und vergangene Beziehungen zu anderen Menschen sie beeinflussen, und dass sie von unserem Lebensstil im weitesten Sinne, von unserer Vision von Lebensglück und von unserer Art, danach zu suchen, abhängig ist.
Ich werde zeigen, dass und wie wir Probleme in der Beziehung zu unserem Äußeren lösen können. Dass sie sich manchmal mit der Zeit auch ganz von selbst lösen. Und dass es ein bedauerlicher Trugschluss ist, wenn wir glauben, eine vermeintlich seltsame Nase, vermeintlich zu schmale Lippen oder ein vermeintlich zu kleiner, zu großer oder zu wenig »perfekt« geformter Busen könnten an irgendetwas schuld sein, mit dem wir in unserem Leben unzufrieden sind. An mangelnder Liebe von außen zum Beispiel, an mangelnder Anerkennung im Beruf, an Einsamkeit. Denn es ist immer eher umgekehrt. Unsere Probleme mit Nase, Lippen oder Busen kommen daher, dass wir mit etwas in unserem Leben unzufrieden sind.
Ich werde zeigen, dass mein chirurgisches Fachgebiet zwar in Fällen von ästhetischen Problemen, etwa nach Unfällen, das Leben von Menschen wieder deutlich verbessern kann, dass eine Schönheitsoperation aber eben nur die Behandlung eines Symptoms ist. Und zwar eines Symptoms, an dessen eigentliche Ursache mit einem Skalpell nicht heranzukommen ist. Was bedeutet, dass eine Schönheitsoperation in den meisten Fällen die falsche Entscheidung ist.
Darf das ein Schönheitschirurg?
Ich wollte dieses Buch eigentlich erst am Ende meiner Laufbahn schreiben. Schließlich lebe ich von solchen Operationen und führe sie täglich durch. Zudem eilt mir der Ruf voraus, der Chirurg der Reichen und Schönen zu sein, was mir innerhalb meiner Branche eine exponierte Position verschafft.
Wie klingt es vor diesem Hintergrund, dass ich meinen Verwandten und Freunden, allen meinen Lieben, von Schönheitsoperationen eher abraten würde, weil wir bessere Wege haben, unser Äußeres zu akzeptieren?
Wie klingt es, dass ich mich niemals selbst einem derartigen Eingriff unterziehen würde, und sei es nur einem leichten? Obwohl auch ich gelegentlich vor dem Spiegel die Falten an meinem Hals betrachte, die für mich in den vergangenen Jahren zu einem Symbol dafür geworden sind, dass meine Jugend auch schon länger zurückliegt, als es sich für mich anfühlt?
Darf ein Schönheitschirurg so etwas sagen?
Ich glaube schon, und ich habe gute Gründe dafür, es schon jetzt zu tun. Denn an Stärke wachsende gesellschaftliche Strömungen setzen immer mehr Menschen in ein Missverhältnis zu ihrem Äußeren und machen sie damit unglücklich.
Die zunehmende Beschleunigung unserer Welt erzwingt Oberflächlichkeit und konfrontiert uns stärker denn je mit unserem Äußeren. Permanenter Frust und ständige Unzufriedenheit sind die Folgen.
Da wären die Entwicklungen hin zum Narzissmus und zum Egoismus, die den Schein immer stärker über das Sein stellen. Da wäre unser kollektives Lebensgefühl, dass sich jedes Problem durch eine leicht googelbare Sofortlösung prompt beheben lassen muss. Da wären der Normierungsdruck und die Steuerung der Wunschvorstellung von unserem Äußeren durch die Medien. Beides verstärkt sich gerade durch den Selfie-Boom, der uns vergleichbar wie nie zuvor macht und uns nachdrücklicher denn je vor die Herausforderung, dem unaufhörlichen Geschnatter der anderen keine Angriffsfläche durch Besonderheit zu bieten, stellt. Da wäre auch die schwindende Fähigkeit dieser auf Jugendlichkeit ausgerichteten Gesellschaft, mit den bei richtiger Betrachtung immer auch schönen Begleiterscheinungen des Alterns fertigzuwerden.
Am Ende hat es sich dann auch einfach ergeben, dass ich dieses Buch schon jetzt schreibe. Denn liegt mir ein Thema einmal am Herzen, will es heraus. Dann denke ich nicht mehr so genau darüber nach, was das für mich oder meine Stellung bedeuten kann und was es auslösen wird.
Ich bin auf die Kritik, dass ich dieses Buch vermeintlich gegen die Interessen meiner eigenen Branche schreibe, vorbereitet. Erstens kenne ich die Antworten auf die Fragen, die das aufwirft, und werde sie in diesem Buch auch geben. Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass es nie falsch ist, das Richtige zu sagen, zu welchem Zeitpunkt auch immer.
Beispiele aus meiner Welt
Obwohl ich mich nun also im Grunde gar nicht als Schönheitschirurg an Sie wende, sondern als jemand, der sich sein Leben lang mit der Beziehung von Menschen zu ihrem Äußeren befasst und die damit verbundenen menschlichen Phänomene beobachtet hat, werden Sie in diesem Buch einiges über meine Welt erfahren. Schon deshalb, weil die meisten Beispiele aus dieser Welt stammen.
So wie die beiden Beispiele, mit denen ich dieses Buch jetzt beginne. Namen, persönliche Merkmale und zeitliche Abläufe habe ich zum Schutz der Privatsphäre der auftretenden Personen jeweils verändert.
Birgit Schwarz und ihr Busen
Eine Geschichte mit Turbulenzen, die in meinem Besprechungszimmer begann und an einer Tankstelle an der Donau ihr Happy End fand.
Sie weiß genau, was sie will«, stand auf dem Zettel, den die Schwestern für mich vorbereitet hatten. Ich betrachtete die Buchstaben länger, als ich zum Lesen brauchte. Ich war mir da nicht so sicher. Irgendetwas an der Dame im Wartezimmer machte mich stutzig. Ich hätte nicht sagen können, was.
Birgit Schwarz. Den Namen hatte ich noch nie gehört. Unternehmensberaterin. Das konnte alles Mögliche bedeuten. Sie war 42 Jahre alt.
Ich begrüßte sie und zeigte auf den Sessel für Besucher. Sie musterte ihn kurz, dann nahm sie Platz.
In den ersten Jahren meiner Laufbahn als Schönheitschirurg empfing ich meine Patienten zum Erstgespräch noch in einem gemütlichen Raum mit Sofas und servierte ihnen Kaffee. Das sollte eine möglichst entspannte Atmosphäre schaffen.
Vor etwa zehn Jahren änderte ich das Ambiente. Seither finden Erstgespräche wie auch das mit Birgit Schwarz in einem Zimmer mit Besprechungstisch und einfachen Stühlen statt. Kaffee servieren wir nur noch, wenn die Patienten warten müssen. Ich mache das nicht, um mir die Kaffeekosten zu sparen. Ich mache das, weil es für alle Beteiligten am besten so ist. Denn in diesem nüchternen Rahmen verlaufen Gespräche besonders effizient. Die Schlichtheit fördert die Achtsamkeit und die Konzentration auf das Wesentliche. Wer immer hier sitzt, hat meine ungeteilte Aufmerksamkeit.
Die Patienten kommen ja nicht zum Kaffeeklatsch, sondern, weil sie Informationen wollen.
Noch bevor ich meine Patienten zum ersten Mal selbst treffe, nehmen die Damen am Empfang meiner Klinik schon alle relevanten Daten auf und plaudern dabei ein wenig mit ihnen. Persönliche Eindrücke von diesen Gesprächen und von den Telefonaten davor schreiben sie mir auf altmodische Notizzettel, wie in den Zeiten vor der digitalen Revolution.
Diese persönlichen Eindrücke sind hilfreich, mitunter sogar wertvoller als meine eigenen. Denn vor allem weibliche Patienten sind am Empfang und bei den unprätentiösen Erstkontakten meist offener als in der Unterredung mit dem Arzt, die zunächst doch immer etwas Förmlicheres, Offizielles hat. Während sie sich mir gegenüber gerne von ihrer besten Seite präsentieren, zeigen sie beim Personal eher ihr wahres Ich und sind, zum Beispiel nach längeren Wartezeiten, auch einmal ungehalten oder unfreundlich.
Zudem lehne ich das Friseurgetue, das in der Schönheitschirurgie Einzug gehalten hat, insgesamt ab. Immerhin behübschen wir Schönheitschirurgen das aktuelle Aussehen eines Menschen nicht bloß. Wir leisten medizinische Präzisionsarbeit und führen teils schwierige Eingriffe durch, die meist irreversibel sind. Wir verändern das Erscheinungsbild eines Menschen, also seinen körperlichen und damit auch seinen psychischen und seelischen Zustand. Und wir verändern das für den Rest seines Lebens.
Birgit Schwarz schlug die Beine übereinander. Ihre Handtasche stellte sie neben sich auf den Boden.
»Es wäre Ihre erste Schönheitsoperation«, sagte ich.
Sie nickte.
In meiner Branche ist das nicht immer so. Für einen Gutteil der Patienten ist so ein Besuch keine Premiere. Wer einmal damit angefangen hat, gefühlte Makel an sich selbst beheben zu lassen, hat eine Tendenz, es wieder zu tun.
Nach Erkenntnissen einer Fünf-Jahres-Studie, die Langzeitverbesserungen nach kosmetischen Operationen untersuchte, gibt es dabei interessante Unterschiede. Menschen, die vor dem Eingriff verheiratet waren oder in einer Beziehung lebten, sind demnach eher bereit, sich einer weiteren Operation zu unterziehen, als Singles. Ältere Patienten bereuen ihre Operation weniger oft als junge und würden es deshalb eher wieder tun.
Manche Patienten können gar nicht mehr damit aufhören. Es ist wie beim Tätowieren. Sie wollen immer mehr. Ich möchte fast sagen, dass es manchmal wie mit einer Droge ist. Manche Patienten entwickeln eine regelrechte Sucht danach, und wenn ein Schönheitschirurg aus Verantwortungsbewusstsein darauf hinweist und sie davon abzuhalten versucht, verabschieden sie sich meist höflich, oft aber auch unhöflich, und gehen zum nächsten.
Das heikle Thema Busen
Birgit Schwarz wollte eine Brustoperation. Sie fand ihren Busen zu klein und zu schlaff.
Ich schwieg und betrachtete sie.
Ins Klischee für Patientinnen, die eine Brustvergrößerung wollen, fiel sie eindeutig nicht. Nach einer Studie über Brustvergrößerung müsste sie dafür jung, solo und in nichts besonders genial sein. Sie müsste Aufmerksamkeit suchen und dabei auf ihre Brüste setzen.
Doch so sah Birgit Schwarz nicht aus, und der Eindruck änderte sich auch nach der Untersuchung nicht. Sie kam mir wie eine selbstbewusste, lebenstüchtige Frau vor. Äußerlich war alles an ihr ganz normal und wohlgeformt.
Es gibt Frauen, die Schönheitschirurgen konsultieren, nur um sich bestätigen zu lassen, dass ihr Busen völlig in Ordnung ist. Sie könnten es auch selbst sehen, aber dazu braucht es mitunter mehr als einen Spiegel.
Denn der Busen ist nicht bloß ein Körperteil. Die Brust hat einen hohen Stellenwert, sowohl für jede Frau als auch im gesellschaftlichen Kontext. Sie ist Symbol und Maßstab der Weiblichkeit. Sie steht für Fruchtbarkeit. Sie ist sexueller Anreiz. Sie spielt eine Rolle in der Werbung, in der Mode und ist damit omnipräsent. Der Busen wird instrumentalisiert. Von der Literatur. Von Hollywood. Von der Schönheitsindustrie. Von praktisch allem, was unsere Geschlechterrollen prägt.
Der Busen ist ein heikler Punkt für fast jede Frau. Er steht für ihre Weiblichkeit, ihre Sexualität und ihre Fruchtbarkeit. Er steht für sie als Frau.
Brustvergrößerungen gehören deshalb weltweit zu den häufigsten Operationen. Seit den Anfängen der Schönheitschirurgie in den 1960er-Jahren verzeichnen sie dreistellige Zuwachsraten. Patientinnen fühlen sich vollständiger, selbstbewusster und weiblicher.
Bei etwas Heiklem wie dem Busen mit all den irrationalen Perspektiven darauf, kann es schon einmal angenehm sein, eine scheinbar objektive Stimme zu hören. Die Stimme von jemandem, der professionelle Vergleichsmöglichkeiten hat. Eine Art TÜV für die Oberweite sozusagen. Mit dem erhofften Ergebnis: alles in Ordnung. Vielleicht war es das bei Birgit Schwarz, und genau diese Art TÜV konnte ich ihr auch bieten.
»Sind Sie wirklich sicher, dass wir da etwas machen sollen?«, fragte ich.
»Ja.«
Ihre Antwort kam mit Nachdruck in der Stimme und klarem Blick, zwei an sich verlässliche Hinweise auf Wahrheit.
Trotzdem war ich noch immer nicht restlos überzeugt. Ich wusste nicht, was genau sie als Unternehmensberaterin machte, aber sie wirkte wie jemand, der Entscheidüngen treffen kann und es gewohnt ist, sie dann nicht mehr lange zu hinterfragen. Was allerdings nicht bedeuten muss, dass es immer auch die richtigen Entscheidungen sind. Speziell bei Schönheitsoperationen treffen Patienten ihre Entscheidungen oft genug auf irrationaler Basis.
Der irrationale Wunsch nach Veränderung
Birgit Schwarz hatte sich leicht nach vorn gebeugt. Ihre Haltung war angespannt. Mein unbestimmtes Gefühl, dass da etwas nicht passte, wurde immer bestimmter.
Dieses Gefühl, nennen wir es Intuition oder meinetwegen Empathie. Es ist für Ärzte, die einen Menschen gleichsam zu dessen eigener Wunschversion modellieren sollen, ebenso wichtig wie für jene, die ihn von Krankheiten heilen sollen.
Früher habe ich den wissenschaftlichen Zugang zum Innenleben meiner Patienten gesucht. Ich habe sie, nach entsprechenden Fortbildungen, mit Techniken des Neurolinguistischen Programmierens zu verstehen versucht, also auf komplexere Weise. Heute weiß ich, dass die Fähigkeit zu diesem unbestimmten Gefühl entweder natürlich vorhanden ist oder nicht. Genau genommen ist es gar kein Gefühl. Es ist eher eine Art des Mitfühlens mit einem anderen Menschen.
Ich erlebe das auch bei meinen Schülern immer wieder. Wenn ich ihnen zu erklären versuche, wie dieses Mitfühlen geht, verstehen es die einen sofort und die anderen nie. Dabei ist es so simpel. Ein Arzt muss fähig sein, seine Patienten zu lieben, zumindest in dem Moment, in dem sie ihm gegenübersitzen und ihm ihre Situation, ihre Befürchtungen und ihre Hoffnungen erklären.
Nun wollte ich wissen, was Birgit Schwarz wirklich zu ihrem Besuch in meiner Klinik bewogen hatte. Schließlich kommen die wenigsten Patienten, weil sie pragmatisch und nach reiflich durchdachter Entscheidung ihr Leben und ihr Selbstwertgefühl durch eine nachhaltige Veränderung ihres Äußeren verbessern wollen.
Manchmal führen sie berufliche Probleme zu mir. Jemand hat das Gefühl, am Arbeitsplatz nicht wertgeschätzt, vielleicht sogar ignoriert oder ausgegrenzt zu werden. Viele fühlen sich dem Druck der nachdrängenden Generationen nicht mehr gewachsen. Insbesondere, wenn sie in Branchen wie der Werbung arbeiten, wo der Druck, jugendlich zu wirken, besonders hoch ist. Andere haben den Job verloren, finden keinen neuen und sind sicher, dass es daran liegt, dass sie keine dreißig mehr sind und auch nicht so aussehen.
Bei Brustvergrößerungen geht es jedenfalls im Grunde immer um mehr als die neue Körbchengröße. Erstaunlich viele Untersuchungen belegen, dass solche Patientinnen so gut wie immer einen inneren, psychischen Konflikt lösen wollen. Eine Studie ergab sogar, dass es in manchen Fällen um ein Identifikationsproblem mit der Mutter geht. Die Folge ist ein beeinträchtigtes Körperbild, das Probleme mit der eigenen Weiblichkeit mit sich bringt.
Die meisten Frauen, die ihren Busen vergrößern lassen wollen, wünschen sich in Wirklichkeit eine komplette Änderung der Lebenssituation. Die Dinge sollen sich bessern. Emotional und überhaupt.
Doch was wollte Birgit Schwarz?
Gehörte sie zu den 75 Prozent der Patientinnen, die hoffen, durch einen größeren Busen glücklicher zu werden, ein stärkeres Selbstwertgefühl und mehr Selbstvertrauen zu haben?
Oder gehörte sie zu jenen 54 Prozent, die sich von der Operation positive Veränderungen in ihrem sozialen Umgang und mehr Akzeptanz in ihrer Umgebung erwarten?
Gehörte sie zu den 25 Prozent, die sich von so einem Eingriff mehr Erfolg, mehr Geld und höhere Karrierechancen erwarten?
Die Zahlen entstammen einer Studie des Sozialwissenschaftlers Tilmann von Soest am norwegischen Forschungsinstitut Nova, der untersuchte, welche psychosozialen Faktoren Menschen motivieren, sich einer Schönheitsoperation zu unterziehen. Sie belegen, was ich selbst ständig erlebe. Im Leben der meisten Patienten ist gerade einiges los, wenn sie einen Schönheitschirurgen konsultieren. Laut von Soest berichten allein 27 Prozent von ihnen, dass in das Jahr vor ihrer Operation eine Scheidung, eine Trennung, ein Jobwechsel oder eine Übersiedlung an einen neuen Wohnort fiel.
Meinen Beobachtungen zufolge sind es vor allem Beziehungsprobleme, die Menschen in mein Besprechungszimmer führen. Sie fühlen sich nicht mehr geliebt. Nicht mehr wahrgenommen. Sie haben den Eindruck, dass sich ihr Partner eher für andere interessiert oder überhaupt schon jemand anderen hat. Oder sie leben schon lange allein. Oft genug ist es auch Murphys Gesetz. Es kommt alles zusammen. Was schiefgehen kann, geht auch schief.
Beziehungsprobleme und Schwierigkeiten am Arbeitsplatz können unsere Selbstwahrnehmung verändern. Sie machen es uns schwerer, uns schön zu finden.
Dann ist es ein Zusammenspiel von allem. Im Job läuft es nicht richtig, die Beziehung ist kaputt und vielleicht fühlt sich der oder die Betreffende wegen einer so nötig gewordenen Übersiedlung auch noch in der neuen Nachbarschaft fremd. Viele mögen sich dann nicht mehr, wenn sie in den Spiegel schauen.
Ich habe das alles nicht ständig vor Augen, wenn ich Erstgespräche führe. Aber wenn es mir, wie bei Birgit Schwarz, einfällt, verstört es mich. Ich frage mich dann: Kann ich als Schönheitschirurg wirklich all diese Wünsche erfüllen? Zieht ein Schönheitschirurg da nicht besser den Kittel des vermeintlichen Gottes in Weiß aus und spielt überhaupt gleich Gott?
Natürlich wissen wir Schönheitschirurgen, dass wir keine Götter sind, noch nicht einmal brauchbare Zauberer. Wir verändern etwas am Körper, was wiederum etwas im Leben eines Menschen verändert. Doch wie können und sollen wir dabei mit dem ärztlichen Verantwortungsbewusstsein umgehen?
Denn es kommt noch schlimmer.
Vierzig Prozent aller Frauen und Männer, die einen Schönheitschirurgen konsultieren, weisen laut einer systemischen Überprüfung von plastisch-chirurgischen Eingriffen zumindest Zeichen einer psychischen Auffälligkeit auf. In der norwegischen Soest-Studie berichten 19 Prozent von Depressionen und Angststörungen. Zum Vergleich: Vier Prozent sind es in der Gesamtbevölkerung.
18 Prozent greifen demnach zu Psychopharmaka, insbesondere Antidepressiva, was ich aus eigener Beobachtung sogar noch für untertrieben halte. Ich persönlich glaube, es sind dreißig bis fünfzig Prozent. In der Durchschnittsbevölkerung sind es fünf Prozent.
Patienten von Schönheitschirurgen leiden deutlich häufiger an psychischen Auffälligkeiten als die Gesamtbevölkerung. Stress mit dem eigenen Aussehen hängt offenbar mit Depressionen oder depressiven Verstimmungen zusammen.
Was hieße es für einen verantwortungsbewussten Schönheitschirurgen, wenn Birgit Schwarz zu dieser Gruppe gehören würde? Dass er aus ihrer Not ein Geschäft für sich machen soll? Dass er Einwände erheben und sie zu einem anderen Chirurgen weiterziehen lassen soll? Birgit Schwarz’ nachdrückliches Ja lag noch immer in der Luft. Ihr Blick war nach wie vor klar. Ich verlagerte das Gespräch auf eine persönlichere Ebene.
»Was sagt denn Ihr Partner dazu?«, fragte ich sie.
Manche Partner sind gegen einen Eingriff. Wenn sie bei diesen Erstgesprächen dabei sind, argumentieren sie auch dagegen, oft sogar heftig. Andere sind dafür und bringen, wenn sie selbst mitkommen, ihre eigenen Wünsche mit. Zum Beispiel, dass sie, wenn schon, auch ein bisschen Spaß mit dem Ergebnis der Operation haben wollen.
Doch meine Frage war nicht ganz ehrlich gestellt. Denn die Meinung des Partners interessiert mich in dieser Phase eines Arzt-Patientin-Verhältnisses weniger als die schlichte Auskunft, ob es überhaupt einen Partner gibt. Birgit Schwarz direkt danach zu fragen, wäre aber indiskret gewesen.
Birgit Schwarz hatte einen neuen Partner. Er mischte sich nicht ein und überließ die Entscheidung ganz ihr.
Solche Partner sind für mich die unangenehmsten. Ich finde sie schlimmer als die fundamentalistischsten Gegner oder Befürworter einer Schönheitsoperation. Denn ihr Schweigen suggeriert: Du bist mir egal. Es bedeutet Gleichgültigkeit und wird meist mit dem Argument, die Partnerin nicht »beeinflussen« oder gar »bevormunden« zu wollen, präsentiert.
Genau diese Gleichgültigkeit kann eine Frau aber erst zu einem Schönheitschirurgen führen. Weil sie ihre Zweifel nährt, dass etwas an ihr unzulänglich ist.
Wer seinen Partner mit seinen Zweifeln an seinem Äußeren alleine lässt, sendet ihm ein fatales Signal der Gleichgültigkeit, das diese Zweifel vergrößern kann.
Birgit Schwarz’ neuer Partner könnte so ein Fehlgriff von einem Partner sein, dachte ich. Tatsächlich stellte sich heraus, dass sie in Sachen Beziehung eine turbulente Phase hinter sich hatte.
Der Mann, mit dem sie bis vor Kurzem noch verheiratet gewesen war, hatte eine Affäre mit ihrer besten Freundin angefangen. Sie selbst war daraufhin mit dem Lebensgefährten dieser Freundin zusammengekommen. Ein komplizierter Fall von Partnertausch.
Ich bemühe mich immer, aus solchen Geschichten keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Doch für Birgit Schwarz schien dieser Partnertausch kein ganz freiwilliger gewesen zu sein, eher ein notgedrungener Schritt, um bei all dem am Ende nicht allein dazustehen.