Loe raamatut: «Extra Krimi Paket Sommer 2021», lehekülg 23

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Eine Viertelstunde später wimmelte es rund um das Haus, in dem sich Dolores' Montalbans Wohnung befand, von Einsatzfahrzeugen. Der Fire Service war damit beschäftigt, den durch die Explosion verursachten Brand zu löschen. Es gab eine starke Rauchentwicklung. Außerdem war nicht klar, an welcher Stelle das Gas letztlich aus dem Leitungssystem ausgetreten war. Das alles machte besondere Vorsichtsmaßnahmen notwendig. Die Bewohner mehrerer Blocks mussten sicherheitshalber evakuiert werden. Bei dem Gebäude, in dessen Keller die Explosion stattgefunden hatte, ging das nur über die Leiterwagen des Fire Service. Bei den am Gebäude installierten Feuertreppen war nicht klar, wie fest sie noch verankert waren, denn die Bausubstanz hatte durch die Detonation erheblichen Schaden erlitten. Selbst ein Einsturz konnte nicht ausgeschlossen werden.

Dazu kam, dass ein Gemisch aus Rauch und giftigen Gasen innerhalb des Hauses emporstieg.

Wer dort hineingeriet, war unter Umständen innerhalb weniger Minuten ohnmächtig, was in dieser Situation den sicheren Tod bedeutete.

Das gesamte Gebiet war auf Clives Anweisung hin weiträumig umstellt worden. Eine Personenbeschreibung des flüchtigen Täters war an alle NYPD-Einheiten gegangen. So schnell es ging würde ein Phantombild folgen, das an sämtliche Police Precincts des Big Apple gehen und über das Datenverbundsystem NYSIS nationwide abrufbar sein würde.

In Dolores Montalbans Wohnung herrschte ebenfalls Gedränge. Außer den Erkennungsdienstlern der Scientific Research Division waren dort auch die FBI-Spurensicherer Mell Horster und Sam Folder tätig.

Clive und Orry befanden sich im Bad.

In der Wanne lag ein Mann im schwarzen Anzug.

Das Gesicht war unter der Wasseroberfläche, die Füße ragten dafür aus der Wanne heraus. Eine automatische Pistole lag auf dem Boden.

"Was sollen wir denn davon halten?", brummte Orry.

"Es heißt, dass Montalban seine Tochter bewachen ließ", sagte Clive. "Der Kerl könnte einer der Wachhunde gewesen sein. Er schöpfte Verdacht, überraschte die beiden Einbrecher und..."

"...die haben ihn dann überwältigt und in die Wanne gelegt."

"Sie haben ihn nicht erschossen, weil das Lärm gemacht hätte, Orry."

Orry nickte nachdenklich. "Keiner der beiden hatte eine Waffe mit Schalldämpfer dabei. Woran starb der Kerl dann?"

Clive trat auf die Wanne zu.

Er griff ins Wasser, schob das Kinn des Toten etwas zur Seite. Am Hals wurde ein kleiner Einstich sichtbar. Nicht größer als ein Mückenstich. "Na, kommt dir das nicht bekannt vor, Orry?"

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"Du kehrst allein von deinem Auftrag zurück, Brett?", fragte die heisere, tiefe Stimme des Kuttenträgers.

Brett schluckte.

Das Licht einiger flackernder Kerzen erhellte den Raum nur notdürftig. Der junge Mann mit den gelockten Haaren und dem dünnen Oberlippenbart trat nur zögernd einen Schritt näher an den Kuttenträger heran.

Knarrend fiel hinter ihm eine Tür ins Schloss.

Jetzt bin ich allein mit ihm, durchzuckte es Brett schaudernd.

Die Kerzen bildeten ein Pentagramm. Der Kuttenträger saß in sich versunken davor. Er drehte Brett den Rücken zu und rührte sich nicht.

"Mike und ich waren dort in... Dolores Wohnung..." Brett sprach abgehackt, stotterte sogar ein wenig.

"Wo ist Mike? Warum ist er nicht hier? Berichte mir alles! Das bist du unserer Gemeinschaft schuldig!"

Brett nickte. "Wir haben versagt, Bruder Maleficius", brachte er schließlich heraus.

"Der Herr der Finsternis hört das nicht gerne."

"Scheiße, Mann, es geht auch alles schief bei dieser Sache!"

"Du vergisst dich!"

"Verzeih, Herr!"

"Dein Temperament geht manchmal mit dir durch, Brett. Die Kraft der Dunkelheit sollte dir inzwischen schon deutlich mehr Gelassenheit geben!"

"Ja, Herr."

Der Kuttenträger, der sich Bruder Maleficius nennen ließ, erhob sich mit überraschender Schnelligkeit.

Er trat auf Brett zu. Sein entstelltes Gesicht lag vollkommen im Schatten der Kapuze. Nichts als Finsternis war dort zu sehen.

"Berichte, Brett!"

"Da war ein Typ, der zu Montalbans Leuten gehörte und uns schon länger gefolgt sein muss! Wir konnten ihn ausschalten..."

"Das ist gut!"

"Die werden uns jagen, Bruder Maleficius!"

"Was ist noch geschehen?"

"Zwei FBI-Leute haben uns überrascht. Wir mussten die Durchsuchung der Wohnung abbrechen."

"Und wo ist Mike?"

"Er ist tot, Bruder Maleficius."

"Dann wird es vielleicht ein paar Unannehmlichkeiten für uns geben!"

"Unannehmlichkeiten? Verdammt, ich..."

"Mäßige dich, Brett. Die Macht der Finsternis scheint zurzeit nur sehr schwach in dir ausgeprägt zu sein. Wir sollten die Rituale bei dir erneuern, Bruder des Bösen."

Brett atmete tief durch.

Er hatte das Gefühl, als ob ihm jemand den Hals abzuschnüren versuchte. Wir hätten einfach die Finger von einer Braut mit dem Familiennamen Montalban lassen sollen!, ging es Brett durch den Kopf. Dann hätten wir jetzt keine Probleme. Weder mit dem FBI noch mit den Mobstern des Montalban-Clans...

Aber Brett schluckte diese Kritik an Bruder Maleficius herunter.

Der Narbengesichtige schätzte es nicht sehr, wenn man seine Entscheidungen nachträglich in Frage stellte. Er sah sich selbst als der Stellvertreter Satans auf Erden an. Das beinhaltete auch die Vollmacht, über Leben und Tod zu entscheiden. Ganz besonders galt das für die Mitglieder seiner Gemeinschaft.

"Ich weiß, was du sagen willst, Brett. Ich kenne jeden deiner Gedanken. Vergiss niemals, wie stark die Macht der Finsternis in mir ist. Sie durchdringt jede Faser meines Körpers, jeden Winkel meines Bewusstseins und verleiht mir die innere Kraft, das zu tun, was getan werden muss. Die zu richten, die der Macht Satans im Wege stehen. Aber habe ich dir je versprochen, an meiner Seite einen einfachen Weg gehen zu können, Brett?"

"Nein", flüsterte der Lockenkopf.

"Und jetzt fahre fort in deinem Bericht! Ich will jede Einzelheit wissen!"

"Ja."

"Wir sind Brüder und Schwestern in Schande, Diener des Bösen, Verkünder des Unaussprechlichen..."

"Ja, Bruder."

"Erinnere dich der Kraft, die du selbst während des Einführungsrituals erhalten hast. Erinnere dich, wie du ein Teil von uns wurdest. Ein Teil der Finsternis..."

"Ja", murmelte Brett fast tonlos.

"Wenn Dolores Montalban wirklich eine der unseren geworden wäre, hätte uns das große Macht in die Hände gegeben. Wer konnte schon ahnen, dass das Höllenfeuer der Dunkelheit in ihrem Geist offenbar noch nicht stark genug brannte, um die Prüfung bestehen zu können..."

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Ich fuhr den Sportwagen gerade über die Brooklyn Bridge. Zu beiden Seiten glitzerte das Wasser des East River im milchigen Licht der Abendsonne. Vor uns lag die Skyline des Big Apple, wie man sie sonst nur auf Postkarten fand.

Das Handy schrillte.

Milo nahm ab. Über die Freisprechanlage konnten wir beide die Stimme von Jonathan D. McKee hören, dem Chef des FBI Field Office New York im Rang eines Special Agent in Charge.

"Milo, Jesse, wo sind Sie jetzt gerade?"

"Die Brooklyn Bridge haben wir zur Hälfte passiert. Wenn wir nicht in einen der berüchtigten Staus auf dem Elevated Highway geraten, sind wir in Kürze bei Ihnen, Sir", antwortete mein Kollege.

"Ich brauche Sie beide an der Pier 41. Wir haben einen Tipp bekommen. Danach soll Tommy Aranjuez eine Riesenladung Kokain in Empfang nehmen. Aranjuez gilt als Montalbans Vertrauensmann in der South Bronx."

"Schon ein eigenartiger Zufall, dass dieser Tipp ausgerechnet jetzt kommt", fand ich.

"Das mag sein, Jesse. Aber so einen Fang können wir uns in keinem Fall durch die Lappen gehen lassen. Aranjuez wäre die größte Nummer in Montalbans Organisation, die uns je ins Netz gegangen ist. Vielleicht ist er kooperativ und wir erfahren von ihm etwas mehr über das, was hinter den Kulissen dieses Syndikats so vor sich geht."

"Wann soll der Deal über die Bühne gehen?", fragte Milo.

"Nicht vor 18.00 Uhr. Sie brauchen also keinesfalls mit Rotlicht anzubrausen", antwortete Mister McKee. "Jay und Leslie sind schon dort. Jay hat die Einsatzleitung. Ansonsten schicke ich jeden Agenten hin, den ich im Moment freibekommen kann..."

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Etwa fünfzehn Minuten später trafen wir auf einem Parkplatz am West Side Highway in der Nähe von Pier 41 ein. Man hatte einen guten Blick auf die Pier, konnte alles überblicken. Ein Container-Terminal befand sich dort. Den Sportwagen parkten wir etwas abseits. In einem als Pizza-Express-Wagen getarnten Van war unsere mobile Einsatzzentrale. Dort trafen wir unsere Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell.

Agent Fred LaRocca war kurz vor uns eingetroffen. Außerdem waren noch Lieutenant Ray Grogan von der Drogenpolizei DEA sowie Captain Barry Sykes von der Hafenpolizei anwesend.

Jay erläuterte uns die Lage. "Zunächst einmal sei gesagt, dass der Informant eine bislang absolut zuverlässige Quelle ist, die sowohl uns als auch die Kollegen der DEA bislang immer mit zutreffenden Informationen aus dem Umfeld der kolumbianischen Drogenkartelle versorgt hat. Wir können also davon ausgehen, dass auch dieser Tipp brandheiß ist."

"Es geht um eine Ladung Kokain?", fragte ich.

Jay Kronburg nickte. "Versteckt in einer Ladung Landmaschinen. Die Maschinen sind bereits an Land. Fünf große Container mit der Aufschrift "Pan-Americana Cargo". Sie kommen von einem Schiff mit der Bezeichnung Panama Queen, das zurzeit am Kai liegt. Es wird in Kürze den Hafen verlassen..."

"Bevor der Deal über die Bühne geht?", fragte Fred LaRocca.

Jay nickte. "Natürlich. Kapitän und Mannschaft hängen in der Sache mit drin und wollen natürlich kein Risiko eingehen."

Captain Barry Sykes von den Kollegen der Hafenpolizei ergriff das Wort. "Unsere Leute und die Einheiten der Coast Guard werden den Kahn im Auge behalten und ihn nach Möglichkeit stoppen, solange er sich noch nicht in internationalen Gewässern befindet. Aber zunächst müssen wir die Brüder leider ziehen lassen, wenn wir an die größeren Fische heranwollen."

Jay Kronburg aktivierte einen Flachbildschirm, der zu der Computeranlage in der mobilen Einsatzzentrale gehörte. Das Bild eines Mannes mit Knebelbart, hoher Stirn und schütterem, blauschwarzem Haar wurde sichtbar.

"Das ist Aranjuez, den die Kollegen der DEA für Montalbans Vertrauensmann halten", erklärte Jay.

DEA-Lieutenant Grogan mischte sich in das Gespräch ein. "Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Nur sind sowohl Montalban als auch Aranjuez äußerst clever. Als zuletzt ein District Attorney versucht hat, gegen Aranjuez eine Anklage zusammenzubasteln, ist er damit vor Gericht mit Pauken und Trompeten untergegangen."

"Diesmal kriegen wir ihn vielleicht", sagt Jay. "Denn den Angaben des Informanten nach kommt die Koks-Ladung von einem neuen Geschäftspartner. Aranjuez' Job ist es also, hier her zu kommen und die Lieferung zu bezahlen."

"Hier an der Pier?", fragte ich.

Jay nickte. "Beide Partner misstrauen sich und setzen wahrscheinlich darauf, dass jeder hier nur mit einem kleinen Aufgebot an Mobstern auftreten kann", gab Leslie Morell zu bedenken.

"Hier ist so viel los, dass so ein Deal gar nicht auffällt", ergänzte Jay. "Unseren Einsatz macht das auch nicht gerade unkomplizierter. Aber dazu später mehr."

"Wie soll der Deal genau ablaufen?", erkundigte sich Milo.

"Aranjuez trifft sich mit einem Mittelsmann und übergibt das Geld", gab Jay Auskunft.

"Kennen wir den Mittelsmann?", fragte ich.

Jay schüttelte den Kopf. "Leider nicht. Wir müssen uns an Aranjuez halten. Sobald das Geld übergeben ist, wird der Mittelsmann die Container mit den Landmaschinen für den Weitertransport freigeben. Vielleicht übergibt er die entsprechenden Papiere auch gleich an Ort und Stelle. Zielort ist ein Wiederverkäufer in Connecticut, aber auf dem Weg nach Norden machen die Trucks einen kleinen Zwischenstopp auf einem stillgelegten Industriegelände in der Bronx. Da wird das Rauschgift aus den Containern geholt."

"Okay, dann würde ich sagen, legen wir unsere Kevlar-Westen an!", meinte Fred LaRocca.

"Moment", sagte Jay. "Wir haben einige Dutzend Arbeitsjacken und Schutzhelme organisieren können, wie sie von Hafenarbeitern hier im Terminal getragen werden."

"Wo sind die Jacken?", hakte ich nach.

Jay machte eine wegwerfende Handbewegung. "Auf dem Weg hier her. So wie im Übrigen auch ein Großteil der Kollegen, die an der Operation teilnehmen soll. Ich hoffe nur, dass diese improvisierte Aktion glatt über die Bühne geht."

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Wenig später befanden sich Milo und ich in der Nähe der Container mit der Aufschrift "Pan-Americana Cargo". Wir trugen Arbeitsjacke und Schutzhelm, darunter die Kevlar-Weste und die SIG. Über Ohrhörer und Kragenmikro hatten wir Funkverbindung zu den Kollegen.

Sobald Aranjuez auftauchte und seinen Mittelsmann traf, war der Erfolg dieser Operation weitgehend eine Frage der Koordination.

Im Laufe der Zeit trafen immer mehr Kollegen ein.

Jeder von uns versuchte sich so unauffällig wie möglich auf dem Pier zu bewegen.

Die "Panama Queen" legte ab und fuhr Richtung Battery Park und Statue of Liberty nach Süden.

"Ich frage mich, was das für ein Informant ist, der für diesen Supertipp verantwortlich ist", raunte ich Milo zu, während wir darauf warteten, dass sich irgendetwas tat. Wir standen uns die Füße platt, mussten die Umgebung im Auge behalten und gleichzeitig den Eindruck vermitteln, irgendetwas an den Containern oder der Hafenanlage zu tun zu haben.

"Sofern der Tipp gut ist, ist mir das ziemlich gleichgültig", bekannte Milo.

"Das ist doch kein Zufall! Montalbans Tochter wird wahrscheinlich bei einer schief gegangenen Entführung getötet, wenig später geht ein brandheißer Tipp ein, der den großen Boss vielleicht in ziemlich große Schwierigkeiten bringt!"

"Du meinst, dass eine hat etwas mit dem anderen zu tun?"

"Kannst du das ausschließen?"

"Sieht ganz so aus, als wollte da jemand Rick Montalban in arge Schwierigkeiten bringen!"

"Kann man wohl sagen."

Milo zuckte die Achseln. "Um ehrlich zu sein, das würde sogar ziemlich gut zusammenpassen. Der Tippgeber hat vielleicht etwas mit der Entführung zu tun und will sich jetzt vor Dirty Ricks Rache schützen, indem er zum Gegenangriff ansetzt. Und dass die Entführer zumindest Helfer unter den Insidern des Montalban-Syndikats gehabt haben müssen, dürfte außer Frage stehen."

"Bevor wir uns in Spekulationen versteigen, sollten wir mehr über den Typ wissen, der es wagt, Dirty Rick zu verraten, Milo", erwiderte ich.

Wir hatten keine Gelegenheit mehr, uns weiter zu unterhalten.

Über Ohrhörer vernahmen wir Jay Kronburgs Stimme.

"Aranjuez' Wagen ist im Anmarsch. Eine blaue Ford-Limousine. Sie fährt auf den ehemaligen Anlegeplatz der Panama Queen zu..."

An der Kai-Mauer standen ein paar vereinzelte Angler. Einer der gewaltigen Kräne hievte einen zwanzig Tonnen fassenden Container durch die Luft und setzte ihn zielsicher auf den vorgesehenen Truck.

Wenig später sahen wir die Limousine.

Zwei Männer stiegen aus, blickten sich um.

Sie trugen schwarze Anzüge. Bei einem der Kerle blitzte kurz eine Waffe auf, als das Jackett zur Seite glitt.

Schließlich stieg noch jemand aus. Das war Aranjuez. Ich erkannte ihn sofort wieder. Er trug einen Koffer, der mit einer Kette an seinem Handgelenk befestigt worden war.

Die Drei warteten.

Milo und ich postierten uns an der Ecke eines Containers.

Jay dirigierte per Funk die Einsatzkräfte an strategisch günstige Positionen.

Einige Augenblicke lang geschah gar nichts.

Mir fiel ein großes Schlauchboot mit Außenbord-Motor auf. Es war am Heck eines Schrott-Frachters mit der Bezeichnung "Albany Star" befestigt. Zwei Männer standen in dem schaukelnden Boot und bemühten sich offenbar, die meterhoch aufragende Stahlwandung mit Rostprimer zu streichen. Die beiden machten mir einen ziemlich unkonzentrierten Eindruck. Sie blickten immer wieder in Richtung des Ufers.

"Da fährt gerade ein metallicfarbener Van vom West Side Highway ab!", berichtete Jay Kronburg über Funk. "Dem Kennzeichen nach gehört er Tobias Garcia, einem von Aranjuez' Leuten."

"Aranjuez will offenbar auf Nummer sicher gehen", murmelte Milo.

Der Van parkte in einigem Abstand von dem ehemaligen Anlegeplatz der "Panama Queen" hinter einer Reihe von Trucks, die darauf warteten, beladen zu werden. Von Jay Kronburgs Position aus war das alles gut zu überblicken. Er beschrieb uns die Position. Einige unserer Leute wurden eingeteilt, um den Van und seine Insassen im Auge zu behalten.

Endlich bewegte sich etwas.

Einer der Angler packte seine Sachen zusammen und ging auf Aranjuez zu.

Der Angler sprach den Mann mit dem Koffer an.

"Achtung, es geht gleich los!", verkündete Jay Kronburg über Funk. Abhörspezialisten der DEA dokumentierten das Geschehen per Kamera und Richtmikrofon.

Schließlich musste am Ende alles juristisch wasserdicht sein.

Der Angler gab Aranjuez ein kleines Päckchen. Dieser gab es an einen seiner Mobster weiter, einem breitschultrigen Mann mit Ohrring. Der wandte sich in Richtung Ufer. So konnten wir nicht sehen, was er tat. Vermutlich nahm er eine Prise, um sie zu testen. Der Mann mit dem Ohrring nickte Aranjuez zu.

Wenig später wechselte der Geldkoffer den Besitzer.

Aranjuez schloss ihn von der Kette, gab ihm dem Angler. Dieser warf einen kurzen Blick hinein.

Anschließend holte der Angler ein Kuvert aus der Jackentasche. Das mussten die Papiere sein, die Aranjuez berechtigten, die Container abholen zu lassen. Wenn die Bande gut organisiert war, sogar mit Freigabe vom Zoll.

Jay Kronburg gab das Signal zum Eingreifen.

Der Deal war über die Bühne gegangen. Wir konnten Aranjuez auf frischer Tat erwischen.

Wir stürmten aus unserer Deckung.

Gleichzeitig ertönte eine Megafonstimme, die Aranjuez und seine Leute zum Aufgeben aufforderte.

Der Angler erfasste als erster die Situation. Er rannte mit dem Koffer zur Kaimauer und sprang ins Wasser.

Aranjuez und seine Gorillas griffen zu den Waffen, nahmen Deckung hinter der Limousine. Die Insassen des Vans stürzten heraus.

Sie waren mit MPis bewaffnet. Innerhalb von kürzester Zeit gingen Schüsse hin und her.

Einen der Mobster erwischte es tödlich. Eine Kugel traf ihn am Kopf.

Unbeteiligte Hafenarbeiter, die sich in der Nähe aufhielten, stoben in Panik davon.

Auch ich bekam etwas ab.

Zwei Geschosse trafen mich kurz hintereinander mitten in der Brust und rissen die Arbeitsjacke auf. Die Projektile fetzten durch den groben Stoff hindurch und blieben im Kevlar hängen. Die Aufprallwucht wird bei kugelsicheren Westen nur auf eine größere Fläche verteilt, sodass die Kugel nicht in den Körper eindringen kann, sondern vom Kevlar-Gewebe aufgehalten wird. Die Energie, die dabei auf den Getroffenen einwirkt ist jedoch dieselbe wie bei einem gewöhnlichen Treffer.

Ich wurde gestoppt, taumelte zurück und ging zu Boden.

Dabei hatte ich das Gefühl, als ob ich gerade einen brutalen Schlag mit einem Baseballschläger bekommen hatte. Ich bekam kaum Luft, drehte mich dennoch am Boden instinktiv herum. Dicht neben mir brannte sich eine Kugel in den Asphalt.

Ich riss die Waffe hoch, feuerte.

Milo blieb in meiner Nähe.

Er war völlig ohne Deckung.

Weit und breit war nichts, wohinter man sich verstecken konnte. Dennoch gab er mir Feuerschutz. Er kniete nieder, fasste die SIG mit seinen Händen und schoss in Richtung unserer Gegner.

Aranjuez öffnete inzwischen die Hintertür des Ford und hechtete sich auf den Rücksitz der Limousine.

Der Chauffeur hatte die ganze Zeit über hinter dem Steuer ausgeharrt. Jetzt startete er den Wagen.

Er trat das Gas voll durch.

Der Ford machte einen Satz nach vorne. Der Chauffeur riss das Steuer herum.

Kugeln trafen die Frontscheibe, wurden aber vom schusssicheren Panzerglas aufgefangen.

Von den beiden Mobstern, die Aranjuez begleitet hatten, war einer schwer verletzt. Er ließ die Waffe fallen, sank dabei zu Boden.

Der andere versuchte noch in die Limousine zu gelangen. Aber weder den Chauffeur noch Aranjuez kümmerte es, was aus ihm wurde. Der Wagen brauste einfach los, ließ den Mann stehen.

Dieser warf die Waffe weg, hob die Hände.

Ich rappelte mich auf.

Milo feuerte auf die Reifen des Ford.

Er traf erst rechts, dann links. Zwei sehr präzise Schüsse, wie aus dem Lehrbuch. Der Ford brach seitwärts aus, konnte die Spur nicht halten und rammte gegen einen stehenden Gabelstapler, dessen Fahrer längst das Weite gesucht hatte.

Der Chauffeur wurde beim Aufprall nach vorn geschleudert. Der Airbag blies sich auf.

Innerhalb von Augenblicken war der Ford von Agenten des FBI und der DEA umgeben. Die hintere Tür wurde aufgerissen, Handschellen um Aranjuez Gelenke gelegt.

Mir fiel das Schlauchboot auf, dessen Insassen zuvor so getan hatten, als ob sie Rostprimer an das Heck des Schrottfrachters streichen würden.

Der Außenborder heulte auf. Das Boot schnellte einige Meter über die Wasseroberfläche, stoppte dann mit schäumender Heckwelle.

Der Angler mit dem Geldkoffer wurde an Bord geholt.

Der Motor heulte wieder auf. Das Boot ging vorne in die Höhe, brauste über die Wasseroberfläche davon.

Eine Megafonstimme forderte die Flüchtigen auf, sich zu ergeben.

Die Antwort kam in Blei.

Einer der Bootsinsassen holte plötzlich eine MPi hervor und feuerte in unsere Richtung.

Ziemlich ungezielt allerdings. Die Schüsse gingen ins Nichts. Milo und ich rannten bis zur Kaimauer, legten an und feuerten mit unseren SIGs.

Ich hatte höllische Schmerzen beim Atmen, riss mich aber zusammen.

Eine Kugel traf die Außenhülle des Schlauchboots. Mit einem lauten Knall platzte die Luft aus einer der Kammern heraus. Das Boot bekam in voller Fahrt Schlagseite, lief voll Wasser. Der falsche Angler wurde aus dem Boot herausgeschleudert.

Eine Hand krallte sich dabei um den Griff des Geldkoffers.

Noch.

Wahrscheinlich würden Kollegen von uns dieses Beweismittel am Ende mühsam auf dem Grund des Hudson suchen müssen.

Von Süden her näherte sich ein Schnellboot der Hafenpolizei. Die Flucht des Anglers und seiner Helfer war auf jeden Fall vorbei, ihr Boot nicht mehr manövrierfähig. Die Gangster klammerten sich an die verbleibenden Luftkammern, um sich über Wasser zu halten.

Milo senkte die SIG und wandte sich an mich. "Geht's, Jesse?"

Ich atmete tief durch. "Ging schon mal besser." Ich zog die Arbeitsjacke aus und öffnete die Kevlar-Weste. Vorsichtig begann ich damit, meinen Oberkörper zu betasten. "Eine Kugel habe ich definitiv nicht abbekommen!", sagte ich.

"Du wirst mit Sicherheit ein paar große blaue Flecken davontragen!"

"Ich hoffe nur, dass keine Rippe gebrochen ist!"