Loe raamatut: «Der Verleger, der seinen Verstand verlor und sich auf die Suche machte»
Über dieses Buch
Peter Korff ist Ehemann, Verleger, Cheflektor, Kunstmäzen, Aktionskünstler, Avantgardist. Sein Leben gerät immer mehr aus den Fugen: Seine Ehefrau darf Korff nur noch über den Scheidungsanwalt kontaktieren. Dem Verlag gehen die finanziellen Mittel und talentierten Autoren aus. Kreative Kunstaktionen werden als Erregung öffentlichen Ärgernisses fehlinterpretiert. Und zu allem Überfluss observiert Korffs Nachbarin Ogonnek wie besessen jeden seiner Schritte.
Die Lage erscheint aussichtslos. Doch Korff hat einen Plan: Er will ein in seiner Größe und Vielfalt nie da gewesenes Kunst- und Literaturfestival veranstalten.
Also schreibt Peter Korff Briefe. Er schreibt dem Finanzamt, er schreibt dem Polizeipräsidenten. Er schreibt Zeitungsredaktionen, seiner Frau, dem Ordnungsamt, Frau Ogonnek, der Telekom, Sascha Lobo und Clint Eastwood. Und immer wieder schreibt er seinem Freund George.
Doch mit jedem Brief scheint sich die Realität ein Stück weiter von Korff zu entfernen. Seine Idee wird zu der Vision eines Irren. Erst als Korff als Flüchtiger polizeilich gesucht wird, glaubt der Rest der Welt, die Bedeutung seines Lebenswerks zu erkennen.
Achim Albrecht
Der Verleger, der seinen Verstand verlor und sich auf die Suche machte
© 2015
Handlungen und Personen dieses Romans sind frei erfunden.
©2015 OCM GmbH, Dortmund
1. Auflage April 2015
Gestaltung, Satz und Herstellung:
OCM GmbH, Dortmund
Verlag:
OCM GmbH, Dortmund, www.ocm-verlag.de
ISBN 978-3-942672-27-6
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Inhaltsverzeichnis
Zitat
Kapitel 1 Ein Wochenende im Februar
Kapitel 2 Anfang März
Kapitel 3 Osterfeiertage
Kapitel 4 Nach Ostern im April
Kapitel 5 Ende April
Kapitel 6 Im Mai
Kapitel 7 Kirmeszeit im Mai
Kapitel 8 Nachlese der Maiereignisse
Kapitel 9 Ende Mai
Kapitel 10 Ergänzung zu den Maiereignissen
Kapitel 11 Am Tag der ersten Junikäfer
Kapitel 12 Noch immer Anfang Juni
Kapitel 13 Mitte Juni
Kapitel 14 Eine Krise im Juni
Kapitel 15 Der Rest des Juni – im Zentrum der Krise
Kapitel 16 Juli – die Abrechnung
Kapitel 17 Juli – Apokalypse
Kapitel 18 Anfang August – postapokalyptisch
Kapitel 19 Hochsommersolidarität
Kapitel 20 Die Welle
Kapitel 21 September – Across all Worlds
Kapitel 22 Epilog
Über den Autor
Wende Dein Gesicht der Sonne zu,
dann fallen die Schatten hinter Dich
Ugandisches Sprichwort
Kapitel 1
Ein Wochenende im Februar
Verehrte Frau Maas, liebe Freundin der Literatur,
der Verlag Scientia fühlt sich geehrt, dass Sie Ihre Gedichtsammlung ‚Von der Gleichmut der Nilpferde‘ in seine bewährten Hände zu legen wünschen.
Nach einer ersten sorgfältigen Durchsicht des uns überlassenen Materials ist der Cheflektor des Verlages zu dem vorläufigen Urteil gekommen, dass es sich bei den Poemen um eine außergewöhnliche, vielleicht sogar einzigartige Darstellungsquelle handelt, die die Versform des Jambus in einem vollkommen neuen Licht erscheinen lässt.
Gleichwohl bedauern wir, Ihnen mitteilen zu müssen, dass es unsere mittelfristige Planung mit dem Fokus auf Moldawien und Gender Mainstreaming leider nicht erlaubt, Ihnen eine kurzfristige Abdruckzusage zu erteilen.
Wir werden uns allerdings bemühen, das ein oder andere Ihrer Gedichte in unserem weithin beachteten Periodicum Intelligentia zu berücksichtigen.
Mit aufrichtigem Dank verbleiben wir,
Scientia
Peter Korff
Verlagsleitung
Hochverehrte Redaktion,
bitte verzeihen Sie meine bisweilen barocke Ausdrucksweise. Sie erklärt sich aus meinen langjährigen Studien wertvoller Texte, deren Bewahrung und Pflege ich mein Leben gewidmet habe.
Als Einwohner dieses schönen Fleckchens Erde, kam ich nicht umhin, beim Studium des Lokalteils Ihrer geschätzten Tageszeitung ‚Der Regionalbote‘ Notiz von einer Rezension des unlängst zelebrierten Literaturfestivals Kenntnis zu nehmen. Ohne jeden Zweifel hat der von Ihnen entsandte Redakteur, der, wie mir bekannt ist, auch den Sportteil und die Todesanzeigen betreut, gute, ja beste Arbeit geleistet, doch ich möchte einige wenige, aber bedeutsame Korrekturen zu seinem vierspaltigen Text anbringen.
Seien Sie versichert, dass meine Anmerkungen keinen Kern der Kritik beinhalten, sondern vielmehr beweisen, dass der brave und gutgläubige Redakteur infolge seiner Menschenfreundlichkeit und potenziellen Arbeitsüberlastung das Opfer übler Machenschaften geworden ist, wie sie der Literaturbetrieb leider seit Anbeginn der Zeiten sein Eigen nennt. Ich darf an dieser Stelle nur die Verwerfungen um unseren geschätzten Freund, Kollegen und Vorfahren William Shakespeare anführen, dessen dichterisches Genie bis heute von dunklen Mächten und eigennützigen Blendern infrage gestellt wird. Muss ich mehr sagen? Ich glaube und hoffe nicht.
Ganz offensichtlich ist dem Redakteur des Regionalboten unter dem Deckmantel der Arbeitserleichterung ein höchst einseitiger Text der Initiatoren dieses sogenannten Literaturfestivals angedient worden und auch zum Abdruck gekommen. Die dankbare Reaktion des Redakteurs und der ungeprüfte Abdruck des Fremdtextes sind nur allzu verständlich.
Umso verwerflicher erscheint mir, der ich mich bei aller Bescheidenheit rühmen darf, einen vollständig neutralen Überblick über die Literaturszene im weiteren Sinne zu besitzen, die unlautere Vorgehensweise der Organisatoren des Literaturfestivals.
Es handelte sich nach meinem Dafürhalten keineswegs um die Präsentation ‚der wichtigsten zeitgenössischen Literaten‘, sondern allenfalls um eine Auswahl zweitklassiger Mainstream-Autoren zweifelhafter Begabung. Auch wurden nicht die ‚gewichtigsten Stimmen der Literaturkritik‘ in die Jury geladen, sondern die Ehegatten bestimmter Honoratioren und das Gefolge von Sponsoren. Das alles wäre nicht weiter erwähnenswert, ja sogar der Üblichkeit entsprechend, wenn man sich von Veranstalterseite aus nicht das Mäntelchen literarischer Exzellenz wider besseres Wissen umgehängt hätte.
Den verschleierten Amateurstatus des Festivals erkennen Sie allein an der Tatsche, dass der über die nationalen Grenzen hinaus renommierte Verlagsleiter, Herausgeber und Kritiker Peter Korff nicht eingeladen war. Er ist der Literat, der Irvine Bristlewaithe entdeckt und zur Reife gebracht hat, den Mann, der Wort und Installation in einen bisher nicht gekannten Zusammenhang setzte. Und das ist nur ein Beispiel. Wer einen solchen Kenner und Könner ignoriert und seine Veranstaltung dennoch ,Literaturfestival‘ nennt, ist hoffnungslos dekadent, um nicht zu sagen verlogen.
Um mir weitere Worte zu ersparen, die meine Empörung ohnehin nicht ausreichend widerspiegeln würden, habe ich diesem Leserbrief eine Gegendarstellung zu Ihrem Redaktionsartikel beigefügt. Bitte machen Sie gerne Gebrauch davon.
In gerechter Verärgerung,
ein aufrechter Literaturfreund
Anlage
Sehr geehrter Herr Polizeipräsident,
in Erwiderung auf das auf eine anonyme Anzeige hin eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Tierquälerei, Sachbeschädigung und Erregung öffentlichen Ärgernisses, gebe ich folgende Stellungnahme zur Kenntnis:
1. Der anonyme Anzeigenerstatter hat die von ihm gemachten Beobachtungen, das zweite Stockwerk meines Einfamilienhauses betreffend, falsch wiedergegeben.
2. An besagtem Donnerstag gegen 23.00 Uhr befand sich kein perverser Taucher in meinen Privaträumen, der bei geöffnetem Fenster und starkem Kunstlicht ein Kamel mit einem knüppelartigen Gegenstand vergewaltigte.
3. Das Kamel war kein Kamel, sondern ein Dromedar.
4. Das Dromedar war aus Plastik. Zum Beweis mag die Zeugenaussage des Umzugsunternehmens Mölle dienen, das an selbigem Donnerstag das Dromedar anlieferte und mit viel Mühe in das Atelier im zweiten Stock meines Hauses schaffte.
5. Der Taucher war kein Taucher, sondern der allseits geschätzte und vom internationalen Kunstbetrieb hochgelobte Actionkünstler Frank Pesser, der es unternahm, in meinem Haus letzte Schweißarbeiten an besagtem Dromedar durchzuführen, um das Exponat für die große Werkschau ‚Tiere der Wüste verletzt‘ zu fertigen.
6. Der kreative Prozess wurde durch lautes Rufen und eine durchaus drohende Haltung meiner Nachbarin, Frau Ogonnek, gestört, die auch die Anzeigenerstatterin sein mag.
7. Der knüppelartige Gegenstand war ein Schweißbrenner, die Taucherbrille eine Schweißbrille und die Lichtblitze mitsamt schwefligem Geruch ein notwendiger Ausfluss des Arbeitsprozesses und kein Beweis für die Anwesenheit Satans. Frau Ogonneks Rufen war genau diese Besorgnis zu entnehmen.
Zusammengefasst versichere ich, dass am vergangenen Donnerstag gegen 23.00 Uhr in der zweiten Etage meines Einfamilienhauses kein Kamel von einem perversen Satanstaucher mit einem knüppelartigen Gegenstand penetriert wurde, sondern vielmehr eine hoch seriöse künstlerische Performance zelebriert wurde, deren Bedeutung für die Stadt und den Kreis noch gar nicht abzusehen ist.
Der Künstler selbst lehnt jeden Kontakt mit der Polizei ab, ist aber damit einverstanden, auf dem Schriftwege befragt zu werden. Derzeit verständigt sich der Künstler ausschließlich in arabischer Sprache, weil er es für unerlässlich hält, mit den Gesamtumständen seiner künstlerischen Projekte vollkommen zu verwachsen.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Auskünften gedient zu haben und verbleibe respektvoll, Ihr
Peter Korff
Projektleiter Gegenwartskunst
Sehr geehrte Damen und Herren des örtlichen Finanzamtes,
Sie sehen mich verstört und verwirrt. Über Jahre hinweg war ich stets ein ebenso folgsamer wie unverständiger Steuerzahler, der das seinerseits Nötige tat, um seinen staatsbürgerlichen Pflichten auch ohne vertiefte Kenntnis des Steuerrechts nachzukommen.
Als die junge Dame und ihr Begleiter – ein ansehnliches Pärchen übrigens – im letzten Sommer in mein Verlagshaus kamen und um Einsicht in unsere Buchhaltung baten, kooperierten wir bereitwillig. Die Begründung für den Eingriff, der uns als ‚Steuerprüfung‘ vorgestellt wurde, löste keine weitere Beunruhigung aus, nachdem die Herrschaften versicherten, es handele sich um eine oft geübte Routinemaßnahme. Nach drei Tagen intensiven Aktenstudiums war den Gesichtern nicht zu entnehmen, was nunmehr, mehrere Monate nach dem Besuch, auf den Verlag zukommen würde.
Ich muss sagen, dass mich die Nachforderung, die Höhe derselben und der kompromisslose Ton, in dem das Anliegen seitens des Finanzamtes vorgetragen wird, zutiefst erschrecken und nicht minder verletzen.
Hiermit weise ich die Anmutung des Finanzamtes in aller Form zurück und bitte um eine höflich formulierte Erklärung zu dieser leidigen Angelegenheit. Gerne verzeihen wir Ihnen, sollte es sich um einen Irrtum handeln, weil das australische Bruttoinlandsprodukt in das von Ihnen verwendete Zahlenmaterial geraten ist. Wir sollten uns demnächst wie Bildungsbürger über das Nötige und Mögliche unterhalten, statt Vollstreckung anzudrohen, ohne überhaupt zuvor in Verhandlungen eingetreten zu sein.
Sie werden meinen Standpunkt sicher honorieren und der Verlag ist bereit zu vergessen.
Mit freundlicher Hochachtung,
Peter Korff
Hauptgeschäftsführer
Mein lieber, alter Freund George,
lange habe ich nichts mehr von mir hören lassen. Das ist nichts Neues für Dich und ich weiß, dass Deine sprichwörtliche Langmut beinahe unbegrenzt ist.
Da ich unsere Korrespondenz archiviere, so wie ich das aus Tradition und Pflichtbewusstsein mit fast allen Dingen von Belang tue, konnte ich unsere letzten Gedankenaustausche noch einmal nachlesen und weiß daher, dass wir bei dem Moment stehen geblieben waren, als Marie mich verließ. Das war wirklich ein gravierender Einschnitt in meinem Leben.
Ich erinnere mich genau, was Du mir in Deiner Lebensweisheit zu verstehen gegeben hast, alter Freund. Ich solle mich von dem Alten abwenden und Neuem zuwenden. Das war sicherlich richtig, aber ich vermochte die Weitsicht dieses Rates in meinem Kummer nicht zu erkennen. Ehrlich gesagt war ich sogar abgestoßen von Deiner Dickhäutigkeit und Deiner scheinbaren Gleichgültigkeit, mit der Du nach dem Anhören der für mich katastrophalen Entwicklung wieder Deinen Alltagsgeschäften nachgingst.
Ich fühlte mich vernachlässigt und missverstanden, von Marie, meinen geschätzten Autoren, den Lesern, Abonnenten, den Menschen in unserer Stadt und nicht zuletzt von Dir. Dafür möchte ich mich jetzt, mehr als zehn Monate zu spät, von Herzen entschuldigen. Ich bin weit davon entfernt, als geheilt bezeichnet werden zu können, aber ich bin gereift, ich bin auf dem Sprung, ich bin lebendig und voller Ideen.
Ja, ich gebe zu, dass ich entmutigt war und passiv entgegennahm, was an Realität auf mich einstürmte. Ich habe es sogar versäumt, die zweite Halbjahresausgabe von Intelligentia rechtzeitig herauszubringen, was mir berechtigte Schelte bei der Leserschaft einbrachte und dazu führte, dass die Abonnentenzahl um 28 Prozent zurückging. Eine Reihe von Büchern, darunter die vielversprechende feministische Streitschrift ‚Die Hyazinthe als Symbol des Phalluskultes‘, ist im Lektorat stecken geblieben und mein Staubsauger gab widerwärtige Geräusche von sich, als ich nach Wochen oder Monaten des Selbstmitleids wieder einmal mein Haus einem zaghaften Reinigungsversuch unterzog. Du weißt selbst, mit welch ungeheuerlicher Geschwindigkeit sich Schmutz ansammelt, wenn man ihn gewähren lässt.
Es wird Dich freuen zu hören, dass ich als Nebenprodukt meiner Trauer zu einer Art unfreiwilligem Vegetarier wurde. Anscheinend hatte ich noch unvorstellbare Vorräte an Dosenobst und Kidneybohnen in der Vorratskammer im Keller. Jedenfalls fand ich mich am Ende meiner Trauer umgeben von ganz genau 741 geöffneten Dosen Obst und Gemüse, davon interessanterweise auch 5 Dosen, von denen ich mir sicher bin, dass ich sie niemals gekauft habe.
Mehrere Schuhkartons dienten als Asyl für Behördenbriefe, Manuskripte und andere Sendungen, die ich geöffnet haben muss. Ich kann mich aber nicht genau erinnern, was ich bearbeitet habe und was nicht.
Nun denn, die schwierigen Zeiten liegen hinter mir und ich habe damit begonnen, alle Signale auf Erfolg zu stellen. Du wirst noch von mir hören und besuchen werde ich Dich auch. Entschuldige, wenn ich an Dir gezweifelt habe.
In ungeminderter Zuneigung,
Peter Korff
Dein Freund
Zoologischer Garten
Abteilung Großwild
Herrn Tierpfleger Kannengießer
Sehr geehrter Herr Kannengießer,
ich bestätige den Erhalt Ihres Schreibens von gestern.
Ganz gegen meine Gewohnheit möchte ich sofort zur Sache kommen.
Was heißt, ich solle es gefälligst unterlassen, Ihrem Elefanten George diese Briefe zu schreiben? Was heißt hier, Ihr Elefant? George ist niemandes Besitz und Eigentum und wenn doch, dann ist er der Allgemeinbesitz des Steuerzahlers, und zu dieser Spezies zähle ich mich, auch wenn das Finanzamt vorübergehend anderer Meinung zu sein scheint.
Der Reihe nach. George hat es verdient, dass ich mich der Anschuldigungen, die Sie gegen mich erheben, chronologisch erwehre. Mein Herr, Briefe sind keine Zeitverschwendung. Haben Sie sich die Mühe gemacht, George meinen letzten Brief vorzulesen und haben Sie auf seine Reaktion geachtet? Wahrscheinlich nicht, denn in Ihren Augen ist George ein Tier, das man zum Broterwerb betreut, um es in einer guten körperlichen Verfassung zu erhalten. Nun, was ich tue, ist die Pflege der Seele. Einigen wir uns auf Gemüt, wenn Sie mögen.
Es ist mir über die Jahre gelungen, eine persönliche Beziehung zu George aufzubauen. Wir sorgen uns umeinander. Jeder auf seine eigene Art. Und wir kommunizieren. Nur, weil Sie, werter Herr, nicht spüren, was George und mich verbindet, heißt das noch nicht, dass es nicht vorhanden ist.
Energisch widersprechen muss ich dem Vorwurf, ich sei ein Sonderling, der anderen Leuten die Zeit stehle und besser in einer Anstalt aufgehoben sei. Als Literat von Rang verzeihe ich Ihnen Ihre grobe Ausdrucksweise und Ihr mangelndes Urteilsvermögen. Wer hat Ihnen überhaupt das Recht gegeben, einen persönlichen Brief an meinen alten Freund George zu öffnen und damit nach eigenem Gutdünken zu verfahren? Sie können sich glücklich schätzen, dass ich von der Einleitung disziplinarischer Maßnahmen für den Augenblick absehe.
Als schlimmen Angriff auf meine Integrität sehe ich an, dass Sie mich beschuldigen, George zu bekümmern, weil meine Briefe nicht zu einer artgerechten Haltung passten. Glauben Sie etwa, dass ein Elefant kein Anrecht auf eine distinguierte, ernsthafte und tief gehende Ansprache hat? Nein, ich bestreite, dass ich meine nicht vorhandenen psychischen Probleme auf Kosten eines Zooelefanten kurieren will. George ist ein Freund und wie ich meine Freundschaft zum Ausdruck bringe, unterliegt nicht Ihrer Kontrolle, Herr Kannengießer.
Ich habe nichts dagegen, dass Sie diesen Brief und alle an George gerichtete Korrespondenz dem Kuratorium des Zoos zur Beurteilung vorlegen.
Mögen Sie Ihren Irrtum bald einsehen.
Mit vorzüglicher Hochachtung,
Peter Korff
Philanthrop und Tierschützer
Kapitel 2
Anfang März
Marie,
ich bin mir ehrlich gesagt unsicher, wie ich Dich ansprechen soll oder darf. Aus diesem Grund habe ich das schlichte, unaufdringliche ‚Marie‘ gewählt. Ich hoffe, damit alles richtig gemacht zu haben.
Du, dann Deine liebe Mutter und schließlich Deine Anwälte, haben mir mithilfe des Familiengerichtes klargemacht, dass ich in der Vergangenheit so manches – Deine liebe Mutter würde sagen ‚alles‘ – falsch gemacht habe. Ich stehe im Begriff, das Ausmaß meines Versagens zu verstehen und nehme als erste Rate meiner Buße hin, dass Du bei Deinem Auszug aus unserem Haus die gesamte Einrichtung außer dem eingebauten Wandschrank, der Mineraliensammlung meines verstorbenen Onkels Albert und der marokkanischen Sitzgruppe alles mitgenommen hast, was sich demontieren ließ.
Noch immer interessiert es mich, mit wie vielen helfenden Händen Dein Umzugsteam vor Ort war, um ein Haus mit 183 m2 Wohnfläche binnen drei Stunden in eine Geisterkulisse zu verwandeln, während ich versuchte, auf einem Verlegertreffen unsere gemeinsame finanzielle Zukunft zu sichern. Frau Ogonnek jedenfalls, unsere stets wachsame Nachbarin, sprach von einer Invasion seltsamer Kapuzenwesen, was zu dem Gerücht führte, ich kollaborierte mit Aliens, die sich auf Gebrauchtmöbel spezialisiert hätten. Wenigstens fährt die Polizei jetzt häufiger Streife in unserer Gegend, auch wenn ich mich dadurch eher beobachtet als beschützt fühle.
Bitte verstehe mich nicht falsch. Ich mache Dir keine Vorwürfe und dieser Brief ist auch kein Versuch, Dich zurückzugewinnen, obwohl es ein schöner Gedanke ist, dass Du irgendwann in naher Zukunft zurückkommen könntest. Ab und zu gehe ich einfach für mehrere Stunden ziellos aus dem Haus, um Dir Gelegenheit zu geben, mit der gleichen Konsequenz und Verschwiegenheit wieder einzuziehen. Das ist auch der Grund, weshalb ich das in Auftrag gegebene Schild ‚Umzugs-Aliens Betreten Verboten‘ bezahlt, aber nicht abgeholt habe. So bin ich einfach nicht. Ich wiederhole. So bin ich einfach nicht.
Der Anlass meines Schreibens ist administrativer Natur. Ich kann verstehen, dass Du aus meinem Büro Deine persönlichen Unterlagen mitgenommen hast. Was aber ist mit den Ordnern mit den Versicherungs- und Steuerunterlagen geschehen? Nicht, dass ich sie vermisse, aber der Verlag steckt in einer unerfreulichen Auseinandersetzung mit dem Finanzamt, das eine Rechnung aufgemacht hat, die für den Verlag den Ruin bedeuten könnte. Ich war bei einem Steuerberater, der mir mit spitzen Fingern den Bescheid des Finanzamtes zurückreichte und mir eröffnete, dass er mich vertreten könne, wenn ich eine lange Reihe von Unterlagen beibrächte. Die Liste der Unterlagen lege ich diesem Brief bei und vertraue darauf, dass Du die Nachweise und Buchungsbelege direkt auf den Weg bringst.
Ich will Dich nicht langweilen, aber hast Du Dir Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen soll? Ich meine, mit uns. Deine Anwälte haben mich freundlicherweise darauf aufmerksam gemacht, dass jegliche Korrespondenz in Sachen Korff gegen Korff ausschließlich mit der Anwaltskanzlei zu führen sei. Nur die Kanzlei korrespondiert nicht. Ich habe der Kanzlei bereits mehrfach geschrieben. Kurze, nicht invasive Nachrichten, so zum Beispiel: Wie geht es Dir? Ich vermisse Dich. Geht es unserem Hamster Freddy gut oder hat er immer noch diese Fellprobleme?
Solche Dinge. Keine Antwort bisher. Das ist bestimmt nicht in Deinem Sinne. Kannst Du bitte Deine Anwälte bei dieser Gelegenheit fragen, ob es eine Besuchsregelung für Haustiere gibt oder für Hamster im Speziellen?
Du kannst mir gerne schreiben. Telefonieren ist schlecht, weil mit dem Telefon etwas nicht stimmt. Mit dem Strom auch nicht, aber das kriege ich hin.
Jetzt geht es mir besser,
Dein Ehemann
Peter