Loe raamatut: «Leichen im Keller, Maden im Speck, und die Mäuse tanzen auf dem Tisch»

Font:

Über das Buch

Wenn der Tod vorbeikommt und vergisst, Bescheid zu sagen, sich hinter der Wohnungstür Müllberge türmen und die Mäuse auf dem Tisch tanzen, ist guter Rat teuer. Die Autorin Agnes Christofferson berichtet vom Alltag eines Tatortreinigers. In dem skurrilen Job putzt sie dem Tod hinterher, entrümpelt Messiewohnungen und beseitigt Spuren von Verbrechen. Dabei erhascht sie einen Blick auf die Schattenseite unserer Gesellschaft und menschliche Abgründe. Mit einer Prise schwarzem Humor und Charme schildert sie die eigentlich tragischen Erlebnisse aus dem Berufsalltag.

Über die Autorin

Agnes Christofferson, geboren 1976 in Deutsch Eylau, Polen, lebt seit ihrem 12. Lebensjahr in Deutschland. Sie ist verheiratet und zweifache Mutter. Seit 2008 ist sie als Autorin tätig und hat bereits mehrere Romane veröffentlicht. Sie arbeitete unter anderem auch als Tatortreinigerin. „Leichen im Keller, Maden im Speck und die Mäuse tanzen auf dem Tisch“ ist ihr erstes Buch über den Bereich Crime Scene. Sie lebt mit Ehemann, Kindern und zwei Hunden in Bochum, Nordrhein-Westfalen.

Leichen im Keller, Maden im Speck, und die Mäuse tanzen auf dem Tisch

Das Buch enthält mitunter detaillierte Einblicke aus dem Alltag eines Tatortreinigers und kann auf zartbesaitete Gemüter verstörend wirken.

Alle Namen sowie einige Details wurden geändert, um die Anonymität aller beteiligten Personen zu gewährleisten. Etwaige Ähnlichkeiten mit Lebenden und Verstorbenen sind deshalb rein zufällig und nicht beabsichtigt. Alles andere entspricht so weit der Wahrheit. Versprochen.

„Nehmen Sie meinen Arm. Halten Sie sich gut fest. Wir werden eine Reihe dunkler Orte besuchen.“

Stephen King

Vorwort

Das Leben ist manchmal eine launische Bitch mit miesem Humor, zumindest meiner Meinung nach. Womöglich kommt es mir nur so vor, weil die meisten Leute ein Happy End erwarten. Sie bekommen zwar ein Ende, aber es ist eben nicht immer so happy, wie sie denken. Aber versteht mich nicht falsch. Ich will das Leben jetzt nicht schwarzmalen. Manchmal ist es eben nur ein wenig grau.

Hallo.

Ich bin Agnes Christofferson. Angenehm. Ich bin 45 Jahre alt, zweifache Mutter und Autorin. Ich war bereits Autorin, bevor ich mich unter die Tatortreiniger mischte. Das hier ist allerdings das erste Buch, das ich über Dinge aus dem wahren Leben und über reale Personen schreibe. Ich werde mich langsam vortasten und mich bemühen, die interessantesten Fälle aufzuschreiben. Und ich werde versuchen, es auch noch halbwegs spannend zu machen.

Natürlich habe ich mir die Frage gestellt, warum ich mich überhaupt hinsetze und dieses Buch schreibe. Ich könnte jetzt sagen, wegen Geld und Ruhm, aber das ist natürlich Quatsch. Der Job als Tatortreinigerin war eine der lehrreichsten und interessantesten Erfahrungen meines Lebens. Man bekommt einfach eine ganz andere Sicht auf die Dinge, die man für ganz normal hielt, weil sie eigentlich ganz normal sind. Der Tod offenbart allerhand Kurioses, Trauriges und enthüllt Schattenseiten unserer Gesellschaft, die für die breite Masse unbemerkt bleiben. Ich habe Dinge gesehen, die ich lieber nicht gesehen hätte. Aber so ist es in diesem Job. Hier tun sich Abgründe auf.

Der Tod bringt einen auch ins Grübeln, und man denkt schon mal darüber nach, was man in seinem Leben alles vermasselt, verpasst hat oder gar besser hätte machen können. Mittlerweile habe ich eine To-do-Liste mit Dingen, die ich noch machen möchte, bevor ich tot umfalle.

Oh, und eine wichtige Sache habe ich als Tatortreinigerin gelernt: Menschen können richtige Ferkel sein.

Nichts für ungut. Das ist jedoch eine Tatsache.

Ich schüttele Menschen grundsätzlich nicht gern die Hand. Warum? Nicht, weil ich etwa eine Macke habe, sondern weil ich vorsichtig bin. Ich weiß einfach nicht, wo die Hand vorher gewesen ist und was die dort so gemacht hat. Und nachdem ich gesehen habe, was ich gesehen habe, behalte ich meine Hände gern noch einmal mehr in der Hosentasche. Während ich das Buch schreibe, befinden wir uns in der Coronapandemie. Pandemien finde ich natürlich nicht toll, doch eine Sache gefällt mir an der Gesamtsituation: Super, dass in Zeiten wie diesen alle zwangsläufig auf das Händeschütteln verzichten. Ehrlich. Für mich kann das nach der Pandemie ruhig so weitergehen. Ein nettes Lächeln hat bekanntlich noch keinen mit einer potenziell tödlichen Krankheit angesteckt.

Und abgesehen vom Händeschütteln habe ich auch den größten Respekt vor öffentlichen Toiletten und Hotelzimmern, weil ich eben weiß, was die Leute so treiben, wenn man nicht hinschaut. Sie ferkeln herum. Und zwar ungeniert. Die meisten Leute glauben ja, dass Tatortreiniger dem Tod hinterherputzen. Das stimmt nur bedingt. Tatortreiniger räumen auch dem Leben hinterher, und zwar öfter, als man glaubt. Auch das Leben hinterlässt wirklich eklige Spuren. Dabei spreche ich jetzt nicht nur von Messiewohnungen, Hausbesetzern oder Teenagern. So war ich mitunter im Knast im Einsatz. Der Renner dort waren mit Blut und Fäkalien verschmierte Zellen, weil ein Häftling kurz durchdrehte, sich langweilte oder den Wärtern eins auswischen wollte. Nicht wirklich kreativ, aber effektiv. Man schrubbt schon ein Weilchen an so einer kotverschmierten Wand.

Natürlich legt der Tod eine Schippe drauf. Wenn Tatortreiniger nach einem Todesfall gerufen werden, dann für gewöhnlich, weil irgendeiner beschlossen hat, klammheimlich zu sterben. Oder weil irgendeiner beschlossen hat, sehr blutig zu sterben. Oder weil irgendeiner beschlossen hat, dass ein anderer sehr blutig sterben sollte. Die Gründe sind vielseitig. Das Endergebnis dagegen fast immer gleich: Es ist unschön, und es stinkt.

Ich für meinen Teil habe teuflische Freude an dem Job. Möglicherweise hat es damit zu tun, dass mir der Tod bereits seit meiner Kindheit hinterherläuft. Wie ich ja am Anfang erwähnt habe, ist das Leben manchmal eine launische Bitch mit miesem Humor. So sah ich meine erste Leiche im Alter von sieben Jahren. Mein Nachbar erhängte bzw. strangulierte sich im Gartenschuppen, und ich fand ihn. Ein erhängter bzw. strangulierter Mensch ist wahrlich kein schöner Anblick. Auf Einzelheiten werde ich jetzt nicht eingehen, weil irgendjemand vielleicht getriggert werden könnte. Der Strick war aber so fest um seinen Hals geschlungen, dass die Rettungskräfte Mühe hatten, ihn davon zu befreien.

Es sollte jedoch nicht nur bei einer unschönen Leiche bleiben. Meine zweite unschöne Leiche sah ich im Alter von knapp elf Jahren. Ein Schulkamerad starb durch einen bösen Autounfall. Unsere Schule wollte ihm die letzte Ehre erweisen und schickte alle Klassensprecher und Klassensprechervertreter aus dem Jahrgang zu Beerdigung. Da ich Klassensprecherin war, blieb mir keine Wahl.

An dieser Stelle ist es sinnvoll zu erwähnen, dass in Polen, wo ich zu diesem Zeitpunkt lebte, Trauerfeiern am offenen Sarg üblich waren. Ich nenne es Trauerfeier mit Leiche zum Anfassen. In den USA wird das so ähnlich praktiziert. Ist jetzt aber Nebensache.

Da der Jugendschutz damals noch in den Kinderschuhen steckte, bugsierte man uns Kinder ohne jegliche Vorwarnung in die Kapelle zu dem toten Jungen. Ganz arglos stiefelte ich also rein. Der Anblick war nicht schön. Auch hier werde ich nicht auf Einzelheiten eingehen. Ein grober Einblick muss genügen: Die linke Gesichtshälfte des Jungen fehlte komplett und war blutverkrustet, und er hatte so viele Knochenbrüche, dass sein Körper ganz merkwürdig verrenkt im Sarg lag.

Ich glaube, diese Erlebnisse haben dafür gesorgt, dass aus mir ein True-Crime-Nerd wurde. Ich lese alles, was mit Tod und Gerichtsmedizin zu tun hat. Kenne fast jeden berühmt-berüchtigten Serienmörder, und brisante Kriminalfälle oder ungewöhnliche Todesfälle ziehen mich in ihren Bann. Für mein Leben gern schaue ich schaurige Reportagen, die alle mit Mord und Totschlag zu tun haben.

Genau durch so eine Reportage bin ich über den Tatortreiniger gestolpert. Ich saß auf dem Sofa, aß Popcorn und schaute mir einen Bericht über einen Tatortreiniger aus den USA an. Viele Fälle hatten mit Morden, Verletzungen durch Schusswaffen sowie Messiewohnungen zu tun. Sofort war ich wie gebannt und rief meinen Mann zu: „Das ist so krass und so eklig! Das will ich auch machen!“ Mein Mann nahm mich nicht ernst, denn ich habe öfter verquere Ideen. Doch diesmal meinte ich es ernst. Ich wollte mehr über diesen Beruf erfahren, und noch am gleichen Tag begann ich mit der Recherche und der dazugehörigen Jobsuche. Allerdings wohnten wir in einer Kleinstadt mitten im Nirgendwo, und die Jobsuche ergab nichts.

Als wir jedoch drei Jahre später in eine Großstadt zogen, setzte ich meine Jobrecherche fort und wurde tatsächlich fündig. Eine Gebäudereinigungsfirma suchte noch Mitarbeiter. Und voilà! Ich durfte nicht nur ein Praktikum machen, sondern wurde nach der Einarbeitung in Desinfektion und Arbeitsschutz zu einer neuen Mitarbeiterin gekürt.

So, und jetzt genug gefaselt. Am besten fange ich jetzt mal an.

Leichenexperten und Blutspurenprofis

Oh, bevor ich gleich loslege und euch in die Schattenwelt unserer Gesellschaft entführe, möchte ich noch gern das eine oder andere Klischee aus der Welt schaffen und ein paar Schubladen aufräumen. So viel Zeit muss sein.

Die meisten Leute, denen ich begegne, denken, dass Tatortreiniger echte Allrounder sind: Leichenexperten, Blutspurenprofis und was weiß ich. Nicht gerade selten werden meiner Kollegin und mir Löcher in den Bauch gefragt: Wie lange braucht eine Leiche, um komplett zu verwesen? Wann erscheinen die ersten Schmeißfliegen auf der Bildfläche? Wann fängt eine Leiche an zu stinken? Das Tatortreiniger Leichenexperten oder Blutspurenprofis sind, stimmt nur bedingt und kommt auf den Tatortreiniger an.

Tatortreiniger ist nach meiner Kenntnis (noch) kein eigener Ausbildungsberuf. Es gibt viele Wege, um Tatortreiniger zu werden. Manche Gebäudereiniger bieten Fortbildungen an. Oder man absolviert eine Weiterbildung zum staatlich geprüften Desinfektor. Die Kollegen kommen oftmals aus den unterschiedlichsten Branchen. Zumindest die, die ich kennengelernt habe.

An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass ich von meiner persönlichen Erfahrung spreche. Mein Chef beispielsweise war Bestatter und kannte sich mit Leichen bestens aus. Der war ein echter Profi und hat uns viel beigebracht. Ein ehemaliger Kollege wiederum kam aus der Gebäudereinigung und hatte mit Leichen nichts am Hut, dafür konnte er super putzen. Dann hatten wir noch eine Praktikantin, die aus einem Pflegeberuf kam, und die wiederum hatte von allem ein wenig Ahnung. Ich persönlich habe nur bedingt Ahnung von Leichen, kenne mich aber dafür mit Hygiene und Desinfektion gut aus, weiß, worauf es beim Beseitigen von Blut und Leichenüberresten ankommt und bei welchen Krankheitserregern besondere Vorsicht geboten ist. Nicht selten haben wir mit Hepatitis, HIV oder Tuberkulose zu tun.

Auch begegne ich immer wieder Leuten, die glauben, dass die Leiche noch da ist, wenn Tatortreiniger kommen, und die dann irgendwie drum herumputzen. Das wäre doch ein bisschen schräg. Die Leiche befindet sich üblicherweise dort, wo sie hingehört: im Leichenschauhaus oder bereits unter der Erde. Denn wenn es sich zum Beispiel um einen echten Tatort handelt, also Mord und Totschlag, können sogar Wochen vergehen, bis der Tatort freigegeben wird, weil die Ermittlung noch läuft. So müssen Tatortreiniger in der Regel warten, bis der Leichenfundort von der Staatsanwaltschaft oder dem Nachlassgericht freigegeben wird. Gut, die Welt ist groß und das Universum sowieso, vielleicht gibt es ja Tatortreiniger, die schon mal um eine Leiche herumgeputzt haben. Mir jedenfalls ist es noch nicht passiert. Ausschließen will ich es nicht, alles ist möglich.

Was Blut angeht, so ist es in diesem Job nicht ganz unwichtig zu wissen, dass Blut gerne spritzt. Vor allem bei blutigen Suiziden oder Morden spritzt es. Da sollte man sich schon etwas gründlicher umsehen. So hatten wir mal einen Fall, in dem eine Seniorin vom Einbrecher erschlagen wurde. Der Einbrecher hatte direkt im Flur zugeschlagen, und so befand sich die Blutlache unmittelbar vor der Tür. Wir bekamen den Auftrag, den Boden zu reinigen und zu desinfizieren. Da der Flur sehr spärlich beleuchtet war, mussten wir als Erstes einen kleinen Baustrahler aufstellen, um überhaupt etwas sehen zu können. Dabei entdeckten wir noch mehr Blut an der Tür. Die Kommode in unmittelbarer Nähe sowie die benachbarte Wand hatten jedoch nur ein paar Spritzer abbekommen. Viel zu putzen, gab es nicht. So schien es jedenfalls. Meine Kollegin freute sich schon darüber, pünktlich Feierabend machen zu können. Ich sagte, dass ich mich auf Mittag freue, und dann sagte ich noch, dass mir der Flur irgendwie zu sauber vorkommt. Meine Kollegin wollte wissen, was ich denn damit meine.

„Ich meine“, sagte ich, „es müsste eigentlich viel mehr Blut geben. Sieht man doch immer in Filmen. Da wird einer erschlagen und zack, ist alles voller Blutspritzer. Meine Kollegin lachte und meinte, ich würde vermutlich nur zu viele schlechte Filme schauen. Mag ja vielleicht sein, dachte ich, ich schaue wirklich viele schlechte Filme, dennoch erschien mir der Tatort zu sauber. Instinktiv richtete ich den Strahler zu Decke und zack, da hatte ich meine Sauerei. Tatsächlich hatte die Decke einiges abbekommen. Wenn wir also zu einem blutigen Einsatz gerufen werden, weiß ich, dass ich vorsichtshalber in allen Ecken nachschauen sollte.

Eine Sache möchte ich auch gern aus der Welt schaffen. Zumindest ich werde öfter gefragt, ob ich so arbeite wie Bjarne Mädel in der Serie „Der Tatortreiniger“. Ich kenne die Serie zwar flüchtig, doch ich weiß, dass es am Arbeitsplatz der fiktiven Figur oft zugeht wie am Bahnhof. Da herrscht reger Durchgangsverkehr. Ständig steht einer auf der Matte. Das war bei uns nicht so. Man lässt jetzt nicht einfach irgendwelche Leute rein, die dann über die Leichenreste laufen und sie schön in der Gegend verteilen. Tatortreiniger tragen ja nicht aus Spaß Schutzanzüge und arbeiten in voller Montur. Ganz abgesehen davon legten wir viel Wert auf Diskretion, daher arbeiteten wir für gewöhnlich ohne Groupies. Störende Besucher oder sensationsgierige Nachbarn haben bei uns nur wenig Aussicht auf Erfolg. Oh, und Familienangehörige stehen gar nicht so oft auf der Matte, wie man denkt. Der Schock steckt einfach so tief in den Knochen, dass die meisten froh sind, wenn jemand kommt und die Sauerei wegmacht.

Auch geht es bei uns nicht so spaßig zu wie in der Serie. Das heißt jetzt nicht, dass wir keinen Spaß haben. Den haben wir durchaus. Nur nicht mir Angehörigen. Auch wenn mir schon mal der eine oder andere zynische Spruch auf der Zunge brennt, muss ich mich aus Respekt und Taktgefühl zusammenreißen. Manchmal ist das zugegebenermaßen verdammt schwer. Wir mögen es vielleicht witzig finden, wenn wir einen Teil eines Fingers finden und einer sagt, zeig ja nicht mit dem Stinkefinger auf mich, doch ein Familienangehöriger würde es womöglich nicht so spaßig finden. Daher scherzen wir eher unter uns. Humor ist ganz wichtig, zumindest meiner Meinung nach. Humor hilft mit diesen nicht gerade alltäglichen Dingen umzugehen. Und Tatortreiniger sehen wirklich verdammt viele von diesen nicht gerade alltäglichen Dingen.

So, und jetzt fange ich wirklich an.

Hinab ins Kaninchenloch

„Mama? Bist du eigentlich ein Schornsteinfeger?“, fragt mich meine kleine Tochter, als wir auf dem Weg in die Kita sind.

„Nein. Ich habe doch viel zu starke Höhenangst. Deswegen arbeite ich als Ninja“, antworte ich.

Unsere Arbeitskleidung ist nämlich schwarz: schwarze Arbeitshose, Arbeitsstiefel und Shirts. Wir sehen ziemlich finster aus. Mich persönlich hat es am Anfang große Überwindung gekostet, so auf die Straße zu gehen. Ich bin ja jemand, der sehr auf sein Äußeres achtet. Es wird gecremt, geschminkt, gepudert und nichts dem Zufall überlassen. Meine Klamotten sind nicht von vorgestern und die Frisur sitzt bei jedem Wetter. Doch mittlerweile habe ich mich mit der Arbeitskleidung arrangiert. Es ist gar nicht so übel, ein Ninja zu sein.

Zu der Montur gehören schwarze T-Shirts mit dem Firmenlogo der Tatortreinigung Janssen, allerdings vermeide ich es, diese Shirts zu tragen. Darin fällt man nämlich auf wie ein bunter Hund. Als hätte man eine Leuchtreklame auf dem Rücken. Wenn man beispielsweise ins achte Stockwerk zum Einsatz muss, kann es sein, dass man auf dem Weg dorthin ein Grüppchen neugieriger Nachbarn um sich geschart hat. Diskretes Arbeiten geht anders.

Tatsächlich standen schon Leute aus dem Nachbarhaus auf der Matte und wollten sehen, wie wir so arbeiten, weil sie die Serie „Der Tatortreiniger“ gesehen haben, und dann denke ich: Ja, deswegen bin auch hier. Ich für meinen Teil arbeite lieber diskret, daher achte ich darauf, dass ich eher unauffällig wirke. Mein Chef dagegen genießt die Aufmerksamkeit. Für ihn ist die auffällige Kleidung wie eine Uniform. Doch die Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden. Da steckt man nicht drin.

Apropos Chef. Ähnlich wie Schotty („Der Tatortreiniger“) habe ich einen Boss. Wenn meine Kollegin und ich also zum Einsatz gerufen werden, wurden bereits alle Formalitäten durch meinen Chef erledigt. Es wurde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, sich ein Überblick verschafft, eine Einschätzung durchgeführt und ein Kostenvoranschlag gemacht. Wenn alle Parteien zufrieden sind, bekommen wir, ähnlich wie Schotty, einen Auftrag bzw. eine Auftragsbestätigung in die Hand gedrückt und schwirren los. Je nachdem wie gründlich mein Chef seinen Job erledigt hat, wissen wir, welches Equipment wir benötigen. Es ist jedes Mal aufregend und ein wenig, als würde man ein faules Überraschungsei aufmachen. Stinken tuts immer, nur der Inhalt ist jedes Mal anders.

Da mein Chef aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr aktiv am Einsatzort arbeitet, bin ich für gewöhnlich mit meiner erfahrenen Kollegin Andrea unterwegs. Sie gehört praktisch zum Inventar und ist Mädchen für alles. Selbst im Büro hilft sie mit. Sie ist fünfzig und eine sehr resolute und selbstbewusste Frau. Sie ist so eine, der man nicht widerspricht. Sie erinnert mich an eine Nonne aus meinem früheren Religionsunterricht. Wenn die sagte, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hatte, dann war das so und man hinterfragte nicht. Sie war eben eine Nonne und musste es wissen. Und Andrea ist Andrea und weiß es auch. Andrea ist, wie bereits am Anfang des Buchs erwähnt, nicht ihr richtiger Name, doch er passt zu ihr. Vielleicht wird ihr der Name sogar gefallen.

Abgesehen von Andrea habe ich noch zwei Aushilfskollegen, die uns beim Entrümpeln unter die Arme greifen. Die Reinigungsarbeit überlassen sie allerdings uns, was auch gut ist, denn ich für meinen Teil habe das Gefühl, dass Andrea und ich besser putzen. Vielleicht deshalb, weil wir einen Haushalt führen und Kinder haben. Da weiß man einfach, worauf es bei der Sauberkeit ankommt. Auch kennt man Alltagstricks, die Großmutter noch wusste. So weiß ich, dass eine vergilbte Klobrille wunderbar mit Backofenspray sauber wird und handelsübliche Essigsäure hartnäckigen Urinflecken prima zu Leibe rückt.

Zu unserem Standardequipment gehört eine Kiste mit allerhand Putzausrüstung und eine mit allerlei Chemikalien und Desinfektionsmitteln, die so lustige Namen wie Perform, Blutoxol oder B5 haben. Schutzkleidung, Handschuhe und Atemmasken sind selbstverständlich auch dabei.

„Komm, leg einen Zahn zu. Wir werden gerade von einer Schnecke überholt“, sage ich zu meiner Tochter. Ich bin nämlich ein bisschen spät dran. Ein Messieeinsatz in Essen erwartet mich. Als ich meine Tochter in der Kita abgebe, düse ich schnell zum Auto. Andrea und ich treffen uns üblicherweise im Büro. Danach bequatschen wir kurz die Lage, packen das Equipment ein und fahren gemeinsam im Firmenwagen (einem Transporter mit Firmenlogo) zum Einsatzort.

Als ich zehn Minuten später ankomme, wartet Andrea bereits auf mich. Sie drückt mir den Auftrag in die Hand, und ich lese ihn während der Fahrt durch. Ein junger Mann hat angerufen. Seine Mutter, eine sehbehinderte Seniorin, war in ihrer Wohnung gestürzt und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Das war natürlich nicht das Problem. Die Wohnung war das Problem. Wie sich herausstellt, war die Bewohnerin ein Messie. Der Sohn hat uns Fotos von der Wohnung geschickt: Der Müll und allerhand Gerümpel, das ein normaler Mensch weggeschmissen hätte, stapelt sich bis an die Decke. Lediglich ein paar schmale Trampelpfade führen durch den Mülldschungel. Ich habe absolut keine Ahnung, wie man die gute Frau da rausbugsiert hat. Reinbugsiert hat man sie auf jeden Fall nicht mehr, denn sie wurde in einer Anlage für betreutes Wohnen untergebracht. Meiner Einschätzung nach ist das auch besser so.

Leer geräumt ist die Wohnung allerdings bereits, weil der Sohn anfänglich eine andere Firma beauftragt hatte. Diese war allerdings nicht bereit gewesen, auch die Reinigung durchzuführen. So hat er sich an uns gewandt und das Standardprogramm gewählt: reinigen und desinfizieren. Dazu gehören Böden, Fenster, Türen, alle gefliesten Flächen sowie das Bad. Nachher soll es so aussehen und riechen, als wäre nie etwas passiert, denn die Wohnung soll schnellstmöglich vermietet werden.

Ich bin ein wenig enttäuscht. Entrümpeln gehört zu meinen Lieblingstätigkeiten. Möbel zu Kleinholz machen und Schränke fremder Menschen durchwühlen und das alles legal und mit dem Einverständnis der Angehörigen. Das soll nicht heißen, dass ich gerne in Sachen fremder Menschen wühle wie so ein verrückter Spinner, aber es macht ein bisschen Spaß. Ich schätze, es liegt einfach in der Natur des Menschen, neugierig zu sein. Hinzu kommt, dass ich als Autorin ein sehr interessierter und wissbegieriger Mensch bin. Ich spiele halt gern Mäuschen.

Die Wohnung befindet sich in einem privilegierten und bekannten Essener Stadtteil. Entzückende Häuser, hübsche Gärten und protzige Karossen prägen das Straßenbild. Man sieht sofort, dass hier die Schönen und Reichen leben. Feine Leute eben. Die Straßen sind sauber. Hier und da geht eine feine Dame mit ihrem Luxushündchen flanieren. Die Bewohnerin lebte mittendrin in einer kleinen entzückenden Villa mit drei Wohneinheiten und war keine arme Schluckerin.

Als wir den Hauseingang betreten, scheint alles normal. Es ist ein wirklich hübscher Hauseingang: glänzender Marmorboden, stilvoll geflieste Wände und eine Treppe wie in „Vom Winde verweht“. Es ist blitzeblank und wirklich sehr ruhig. Falls hier Menschen leben, dann schweben sie durch ihre Wohnungen.

Doch als Andrea die Wohnungstür öffnet, ist nichts mehr normal. So gar nicht normal. Plötzlich komme ich mir vor wie Alice im Wunderland. Als wäre ich in ein Kaninchenloch gefallen und in einer verkehrten Welt rausgekommen. Der Gestank nach verrottetem Müll, kalter Asche und Exkrementen schlägt mir sofort ins Gesicht. Und dann fällt mein Blick auf den Boden. Er ist bräunlich, irgendwie pelzig, und er klebt. Sehr sogar. „Was ist das für ein komischer Teppichboden. Und wieso klebt er so?“, frage ich, während ich nach Luft ringe.

„Das liegt daran“, erwidert Andrea ruhig, „weil es kein Teppichboden ist. Die Bewohnerin hat die gesamte Wohnung als Toilette benutzt.“

„Ist das etwa Pipi und Kacka?“, rufe ich.

„Ja. Das ist Pipi, Kacka, Müll und Asche und was weiß ich noch“, erwidert Andrea fachkundig. Sie kennt das bereits.

Der Pipi-Kacka-Teppich zieht sich über den Fliesenboden weiter fort. Vor allem im Wohnzimmer ist er großflächig verteilt und zentimeterdick. Man kann praktisch erkennen, wo die Möbel gestanden haben. Ich sehe buchstäblich die Kommode, das Sofa und den Fernsehtisch vor mir. Und dazwischen halt viel Dreck. Die Wände sehen nicht besser aus. Als hätten Kinder mit brauner Fingerfarbe rumgeschmiert. Nur dass es keine Fingerfarbe ist. Es sind menschliche Exkremente. Wie der Kot auf die Wände kommt, weiß ich nicht. Das ist jetzt auch nichts, was zu Alttagspannen gehört. Dass man mal Kaffee- oder Teespritzer an der Wand findet, weil jemand mit einer vollen Tasse gestolpert ist, kommt ja bekanntlich vor. Meine kleine Tochter kann das ganz gut mit Saft. Aber wie man das mit Fäkalien hinbekommt …

Darüber hinaus war die Bewohnerin starke Raucherin gewesen. Die Fenster und die eigentlich schönen Altbautüren haben einen dicken, klebrigen Gelbschleier, der sich auch super als Fliegenfalle eignet. Tatsächlich kleben Insekten daran. Sehr praktisch, wie ich finde.

Als ich das Bad betrete, erscheint mir die restliche Wohnung wie ein Traum. „Okay“, sage ich, als ich im kotverschmierten Türrahmen stehen bleibe. In dieser Wohnung ist irgendwie alles kotverschmiert, und ich kann mir keinen Reim darauf machen. Ich für meinen Teil wasche mir nach dem Toilettenbesuch grundsätzlich die Hände. So was kommt im normalen Leben doch nicht vor! „Schöner Wohnen geht definitiv anders“, füge ich hinzu. Das Klo ist voller alter Fäkalien und quilt nur so über. Die Wände drumherum sehen auch nicht besser aus: zentimeterdick mit Kot verschmiert. Das Klo erinnert mich an einen überdimensionalen Schokomuffin, der im Backofen explodiert ist. Wumm! Und der ganze Backofen ist mit dem Schokomuffin vollgesaut.

Tatsächlich wird es nicht mein letztes vollgesautes Klo bleiben. In fast jeder Messiewohnung ist so ein Exemplar zu finden und scheint zu einer Messiewohnungsausstattung dazuzugehören. Dabei sind die Klos nicht etwa kaputt. I wo! Die funktionieren einwandfrei. Die Spülung geht, Wasser läuft und die Rohre sind frei. Das ist ein wirklich interessantes Phänomen. Und bis heute habe ich nicht herausgefunden, was passieren muss, damit ein Klo so aussieht. Aber eins ist klar: Über Nacht entsteht so was nicht.

Der Rest des Badezimmers sieht nicht besser aus. Nicht nur die Wände, sondern auch der halbe Badezimmerboden ist zentimeterdick mit versteinerten Fäkalien bedeckt. Von den hübschen Qualitätsfliesen ist praktisch nichts mehr zu sehen.

„Das Klo müssen wir erst ausschaben, bevor wir es putzen können“, sagt Andrea fachkundig. Das soll ich machen. Andrea will mit dem Nikotinentferner die Fenster und Türen schrubben. Da ich kein Weichei bin, nicke ich und sage: „Klar, kein Problem.“ Und nur wenig später knie ich ausgestattet mit extralangen und extradicken Handschuhen vor dem Klo und kratze den Inhalt raus. Dabei muss ich hübsch aufpassen, dass mir nichts ins Gesicht fliegt.

„Wenn du dich übergeben musst, dann in die Badewanne“, gibt mir Andrea auf dem Weg. „Sonst gibt es eine echte Sauerei.“

„Keine Bange“, erwidere ich. „Das wird nicht passieren. Ich übergebe mich nur, wenn ich Magen-Darm-Grippe habe.“ Und tatsächlich scheint es mir nichts auszumachen. Die Exkremente sind bereits so alt, dass sie fast gar nicht riechen. Abgesehen davon stinkt es in der Wohnung allgemein mächtig.

Während ich in den nächsten drei Stunden buchstäblich auf die Kacke haue und auf Knien krieche, denke ich darüber nach, wie es so weit kommen konnte. Ich bekomme es einfach nicht zusammen. Hat nicht jeder Mensch das Grundbedürfnis nach Sauberkeit? Und ein bisschen gesunden Ekel? Der Dame muss doch klar gewesen sein, dass normale Badezimmer anders aussehen, denke ich, während ich mit einem Spachtel die dunklen Schichten abkratze. Was muss also passieren, damit ein Mensch dermaßen die Kontrolle über sein Leben verliert? Konnte sich die Bewohnerin wegen ihrer Sehbehinderung einfach nicht mehr selbst versorgen? Doch was sprach gegen eine Haushälterin? Oder anderweitige Hilfe? Der Zustand der Wohnung ist ganz sicher kein Problem, das mit Geld zu tun hat. Jedoch bin ich nicht hier, um über andere zu urteilen. Es wird (Ab-)Gründe gegeben haben. Noch bin ich nicht alt, gebrechlich und allein.

Andrea ist derweil mit den Fenstern und Türen fertig. Den Schleier auf den Türen hat sie leider nicht ganz wegbekommen. Die müssen neu lackiert oder gar erneuert werden.

Das Klo ist nicht das Einzige, wo wir mühselig kratzen müssen. Auch die Böden in der gesamten Wohnung müssen in Kleinstarbeit abgekratzt werden. Schicht für Schicht kratzen wir den Schmutz ab. Auf die Reste sprühen wir Reinigungsmittel drauf, das praktischerweise auch Desinfektionsmittel ist, und lassen es eine halbe Stunde einziehen. Erst dann geht es ans eigentliche Wischen. Andrea wischt grob vor, ich wische feinsäuberlich hinterher. Eimer für Eimer, bis der Fliesenboden einen menschenwürdigen Zustand erreicht.

Knapp drei Tage brauchen wir, bis die Wohnung sauber und desinfiziert ist. Trotz allem ist die Wohnung aber bei Weitem nicht bezugsbereit. Die Tapeten müssen runter, die Türen neu lackiert und der Türrahmen im Badezimmer komplett erneuert werden, weil er sich im unteren Bereich mit Fäkalien vollgesogen hat und nun total morsch ist. Das überlassen wir jedoch den Handwerkern. Wir müssen nur zusehen, dass alles picobello und desinfiziert ist, damit sich keiner den Tod holt.

Unsere Arbeit bleibt nicht unbemerkt. Eine junge Nachbarin liegt am letzten Tag bereits auf der Lauer. Es ist ein erstaunliches Phänomen, auf das ich immer wieder stoße: Die Leute kriegen nicht mit, dass ein Messie nebenan wohnt oder dort eine Leiche seit Wochen verrottet, doch sie wissen ganz genau, wann Tatortreiniger auftauchen und wieder gehen. Ich warte noch auf den Tag, an dem man mich mit Milch und Plätzchen empfängt.

Die Nachbarin hat es auf jeden Fall spitzbekommen und verwickelt uns in ein Gespräch. An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass wir zwar gerne plaudern, aber grundsätzlich keine Details verraten. Diskretion und Respekt haben den höchsten Stellenwert, das habe ich ja schon erwähnt. Der jungen Nachbarin steht der Schock ins Gesicht geschrieben. Sie kann es immer noch nicht fassen. Die Bewohnerin sei eine sehr gepflegte Frau gewesen. Stets in sauberer und in feiner Kleidung unterwegs. Dazu sei sie freundlich gewesen und habe immer ein Ohr für andere gehabt. Intelligent sei sie auch, denn einst habe sie einen medizinischen Beruf ausgeübt. Natürlich habe sie Probleme mit der Sehkraft gehabt, doch sei sie mit ihrer Behinderung anscheinend gut zurechtgekommen. Nur Besuch habe sie nicht gerne gehabt, die Tür stets nur ein Stück weit aufgemacht. Selbst den Sohn habe sie nicht reingelassen. Es sei gerade unordentlich, sei ihre häufigste Ausrede gewesen, was ja in gewisser Weise stimmte. Es war ja wirklich ziemlich unordentlich. Ich hätte auch keinen reingelassen.

Tasuta katkend on lõppenud.