Lugege ainult LitRes'is

Raamatut ei saa failina alla laadida, kuid seda saab lugeda meie rakenduses või veebis.

Loe raamatut: «Der Chevalier von Maison-Rouge», lehekülg 27

Font:

XLV.
Die Nachforschungen

Wir können nicht länger eine von den Hauptpersonen unserer Geschichte in Vergessenheit lassen, die Person, welche, während die im vorigen Kapitel angehäuften Ereignisse in Erfüllung gingen, am meisten von allen litt, und deren Leiden auch am meisten das Mitgefühl unserer Leser zu erwecken verdienen.

Es war voller Sonnenschein in der Rue de la Monnaie und und die Gevatterinnen plauderten vor den Thüren so lustig, als ob nicht seit zehn Monaten eine Blutwolke über der Stadt stille zu stehen geschienen hätte; da kehrte Maurice mit dem Cabriolet zurück, das er zu bringen versprochen hatte.

Er ließ die Zügel des Pferdes in den Händen eines Schuhputzers vom Parvis Saint-Eustache und stieg, das Herz voll Freude, die Stufen seiner Treppe hinaus.

Es ist ein belebendes Gefühl, das Gefühl der Liebe: es weiß todte Herzen für jede Empfindung rege zu machen, es bevölkert die Wüsten, es erweckt vor den Augen das Gespenst des geliebten Gegenstandes, es macht, daß die Stimme, welche im Innern des Liebenden singt, ihm die ganze Schöpfung von dem hellen Lichte der Hoffnung und des Glückes überströmt zeigt, und da es zu gleicher Zeit ein ausdehnendes Gefühl ist, so ist, es auch ein selbstsüchtiges Gefühl, es verblendet den Liebenden gegen Alles, was nicht der geliebte Gegenstand ist.

Maurice sah diese Frauen nicht, Maurice hörte ihre Commentar nicht; er sah nur, wie Geneviève Vorbereitungen zu einer Abreise traf, welche ihm endlich ein dauerhaftes Glück gewähren sollte; er hörte nur, wie Geneviève zerstreut ihr gewöhnliches Liedchen sang, und dieses Liedchen summte so anmuthig an sein Ohr, daß er geschworen hätte, er höre die verschiedenen Modulationen ihrer Stimme vermischt mit dem Geräusch eines Schlosses, das man schloß.

Aus dem Ruheplatze blieb Maurice stehen; die Thüre war halb geöffnet: sonst war sie beständig geschlossen und dieser Umstand setzte Maurice in Erstaunen. Er schaute umher, ob er nicht Geneviève im Gang erblicken würde. Geneviève war nicht hier. Er trat ein, durchschritt das Vorzimmer, das Speisezimmer, den Salon; er untersuchte das Schlafzimmer.

Vorzimmer, Speisezimmer, Salon, Schlafzimmer waren verlassen. Er rief, Niemand antwortete.

Der Willfährige war bekanntlich weggegangen; Maurice dachte, in seiner Abwesenheit hätte vielleicht Geneviève einer Schnur, um das Gepäcke zu binden, oder einiger Mundvorräthe bedurft, um sie für die Reise in den Wagen zu nehmen, und sie wäre hinabgegangen, um diese Gegenstände zu kaufen. Die Unklugheit kam ihm stark vor, doch er vermuthete noch nichts, obgleich er unruhig zu werden anfing.

Maurice wartete, ging im Zimmer aus und ab nur legte sich von Zeit zu Zeit aus dem Fenster, durch dessen Öffnung Luftströme mit Regen beladen eindrangen.

Bald glaubte Maurice einen Tritt auf der Treppe zu hören; er horchte; es war nicht der von Geneviève; er lief nichtsdestoweniger auf den Ruheplatz, neigte sich über das Geländer und erkannte den Willfährigen, welcher mit der den Bedienten eigenthümlichen Sorglosigkeit die Treppe heraufstieg.

»Scävola!« rief er.

Scävola schaute empor.

»Ah! Sie sind es, Bürger!«

»Ja, ich bin es; doch wo ist denn die Bürgerin?«

»Die Bürgerin?« fragte Scävola erstaunt, während er immer weiter hinausstieg.

»Allerdings. Hast Du sie unten gesehen?«

»Nein.«

»Dann gehe wieder hinab. Frage den Concierge und erkundige Dich bei den Nachbarn.«

»Auf der Stelle.«

Scävola ging wieder hinab.

»Schneller, schneller!« rief Maurice, »siehst Du nicht, daß ich auf feurigen Kohlen stehe.«

Maurice wartete fünf bis sechs Minuten auf der Treppe. Als er dann Scävola nicht wieder erscheinen sah, trat er in das Zimmer und neigte sich abermals aus dem Fenster.

Er sah Scävola in zwei oder drei Buden eintreten und herauskommen, ohne etwas Neues erfahren zu haben. Ungeduldig rief er ihm.

Der Willfährige schaute empor und erblickte seinen ungeduldigen Herrn am Fenster.

Maurice hieß ihn durch ein Zeichen wieder heraufkommen.

»Sie kann unmöglich ausgegangen sein,« sagte Maurice zu sich selbst.

Und er rief abermals:

»Geneviève! Geneviève!«

Alles war todt. Das einsame Zimmer schien nicht einmal mehr ein Echo zu haben.

Scävola erschien wieder.

Nun?« fragte Maurice.

»Der Concierge allein hat sie gesehen.«

»Der Concierge hat sie gesehen?«

»Ja, doch die Nachbarn haben nicht von ihr sprechen hören.«

»Der Concierge hat sie gesehen, sagst Du? Wie dies?«

»Er hat sie hinausgehen sehen.«

»Sie ist also weggegangen?«

»Es scheint.«

»Allein? Geneviève kann unmöglich allein weggegangen sein.«

»Sie war nicht allein, Bürger, sie hatte einen Man^ bei sich.«

»Wie! einen Mann?«

»Wenigstens wie der Bürger Concierge sagt.«

»Hole ihn, ich muß wissen, wer dieser Mann ist.«

Scävola machte zwei Schritte gegen die Thüre, wandte sich dann um und sagte, indem er nachzudenken schien:

»Warten Sie doch.«

»Wie? was willst Du? Sprich, Du machst mit sterben.«

»Vielleicht war es der Mann, der mir nachgelaufen ist.«

»Ein Mann ist Dir nachgelaufen?«

»Ja.«

»Warum?«

»Um in Ihrem Namen den Schlüssel von mir zu verlangen.«

»Was für einen Schlüssel, Unglücklicher, sprich doch, sprich doch!«

»Den Schlüssel der Wohnung.«

»Du hast den Schlüssel der Wohnung einem Fremden gegeben?« rief Maurice und packte den Willfährigen mir beiden Händen am Kragen.

»Aber es war kein Fremder, mein Herr, es war einer von Ihren Freunden.«

»Ah! ja, einer von meinen Freunden, gut, es ist Lorin, sie wird ohne Zweifel mit Lorin weggegangen sein.

Und unter seiner Blässe lächelnd, fuhr Maurice über seine von Schweiß befeuchtete Stirne.

»Nein! Nein! nein! mein Herr, er ist es nicht,« sagte Scävola; »bei Gott, ich kenne wohl Herrn Lorin.«

»Aber wer ist es denn?«

»Sie wissen wohl, Bürger, der hübsche Mann, der eines Tags kam . . .«

»An welchem Tag?«

»An dem Tag, wo Sie so traurig waren; der Mann, der Sie mit sich nahm, wonach Sie so heiter zurückkehrten.«

Scävola hatte alle diese Dinge bemerkt.

Maurice schaute ihn mit bestürzter Miene an, ein Schauer durchlief seinen ganzen Leib; dann nach langem Stillschweigen rief er:

»Dirmer?«

»Meiner Treue, ja, ich glaube so ist es, Bürger,« sagte der Willfährige.

Maurice wankte und wäre bald rückwärts aus einen Lehnstuhl gefallen.

Seine Augen verschleierten sich.

»Oh! mein Gott!« murmelte er.

Dann öffneten sich seine Augen wieder und fielen auf den vergessenen, oder vielmehr von Geneviève zurückgelassenen Veilchenstrauß.

Er stürzte daraus, nahm ihn, küßte ihn und sprach, als er sodann die Stelle bemerkte, wo er niedergelegt gewesen war:

»Es ist kein Zweifel mehr. Diese Veilchen sind ihr letztes Lebewohl.«

Maurice wandte sich um und gewahrte nun erst, daß der Koffer halb voll war, und daß die übrige Wäsche auf dem Boden oder in dem geöffneten Schrank lag.

Die Wäsche aus dem Boden war ohne Zweifel den Händen von Geneviève bei der Erscheinung von Dirmer entfallen.

Von diesem Augenblicke an erklärte er sich Alles. Die Szene erhob sich lebendig und gräßlich vor seinen Augen zwischen diesen vier Wänden, welche kurz zuvor noch Zeugen von so viel Glück gewesen waren.

Bis dahin war Maurice niedergeschlagen, gelähmt, geblieben. Das Erwachen war furchtbar, der Zorn des jungen Mannes schrecklich.

Er stand auf, schloß das offen gebliebene Fenster nahm oben von seinem Secretaire zwei für die Reise geladene Pistolen, untersuchte das Zündkraut und steckte, als er sah, daß dieses in gutem Zustande war, die Pistolen in seine Tasche.

Dann ließ er in seine Börse zwei Rollen Louis dor gleiten, welche er, trotz seines Patriotismus, im Hintergrunde einer Schublade aufzubewahren für klug erachtet hatte, nahm seinen Säbel mit der Scheide in die Hand und sagte zu seinem Willfährigen:

»Scävola, ich glaube, Du bist mir anhänglich, Du hast meinem Vater und mir seit fünfzehn Jahren gedient.«

»Ja, Bürger,« antwortete der Willfährige vom Schrecken erfaßt beim Anblick dieser marmorartigen Blässe und des Nervenzitterns, das er nie an seinem Herrn wahrgenommen hatte, der mit Fug und Recht für den unerschrockensten und kräftigsten Mann galt; »ja, was befehlen Sie mir?«

»Höre, wenn diese Dame, welche hier wohnte . . .«

Er unterbrach sich; seine Stimme zitterte so heftig, als er diese Worte sprach, daß er nicht fortfahren konnte.

»Wenn sie zurückkommt,« sagte er nach einem Augenblick, »empfange sie, schließ die Thüre hinter ihr; nimm diesen Carabiner, stelle Dich auf die Treppe, bei Deinem Kopfe, bei Deinem Leben, bei Deiner Seele laß Niemand herein; will man die Thüre sprengen, vertheidige sie; schlage! Tödte! Tödte! und fürchte nichts, Scävola, ich nehme Alles auf mich.«

Der Ton des jungen Mannes, sein gewaltiges Vertrauen electrisirten Scävola und er erwiderte:

»Ich werde nicht nur tödten, ich werde mich auch für die Bürgerin Geneviève tödten lassen.«

»Ich danke. Nun höre. Diese Wohnung ist mir verhaßt, und ich will sie nicht mehr betreten, wenn ich sie nicht wieder aufgefunden habe. War es ihr möglich, entweichen, ist sie zurückgekommen, so stelle an das Fenster die große japanesische Vase mit den Margarethenblumen, welche sie so sehr liebte. Das ist für den Tag. Zu der Nacht stelle eine Laterne an diesen Platz. So oft ich am Ende der Straße vorüberkomme, werde ich unterrichtet sein; so lange ich weder Laterne noch Vase sehe, setze ich meine Nachforschungen fort.«

»Oh! Herr, seien Sie klug, seien Sie klug!« rief Scävola.

Maurice hörte nicht einmal; er stürzte aus dem Zimmer, eilte die Treppe hinab, als ob er Flügel gehabt hätte und lief zu Lorin.

Es wäre schwer, das Erstaunen, den Zorn, die Wuth des würdigen Dichters zu schildern, als er diese Nachricht erfuhr; man könnte ebenso leicht die rührenden Elegien wieder beginnen, welche Orestes seinem Pilades eingeben mußte.

»Du weißt also nicht, wo sie ist?« wiederholte er unablässig.

»Verloren, verschwunden!« schrie Maurice in einem Paroxysmus der Verzweiflung; »er hat sie getödtet, Lorin, er hat sie getödtet!«

»Ei! nein, mein lieber Freund! nein, mein guter Maurice! er hat sie nicht getödtet; nein, nach so vielen Tagen der Überlegung ermordet man eine Frau wie Geneviève nicht; nein, wenn er sie getödtet hätte, so würde sie aus der Stelle getödtet und als Zeichen seiner Rache den Leichnam bei Dir zurückgelassen haben. Nein, siehst Du er ist mit ihr geflohen, nur zu glücklich, seinen Schatz wiedergefunden zu haben.«

»Du kennst ihn nicht, Lorin, Du kennst ihn nicht,« sagte Maurice; »dieser Mensch hatte etwas Unseliges in seinem Blicke.«

»Nein, Du täuschest Dich, er machte auf mich immer den Eindruck eines braven Mannes. Er hat sie mitgenommen, um sie zu opfern. Er wird sich mit ihr verhaften lassen und man tödtet sie mit einander. Ah! darin liegt die Gefahr,« sprach Lorin.

Diese Worte verdoppelten den Wahnsinn von Maurice.

»Ich werde sie wiederfinden! ich werde sie wiederfinden oder ich sterbe!« rief er.

»Oh! was das betrifft, sicherlich werden wir sie wiederfinden, nur beruhige Dich. Sieh, Maurice, mein guter Maurice, glaube mir, man sucht schlecht, wenn man nicht überlegt, man überlegt schlecht, wenn man sich so gewaltig aufregt.«

»Gott befohlen, Lorin.«

»Was machst Du denn?«

»Ich gehe.«

»Du verlassest mich? warum dies?«

»Weil das nur mich allein angeht, weil nur ich allein mein Leben einsetzen darf, um das von Geneviève zu retten.«

»Du willst sterben?«

»Ich werde Allem Trotz bieten: ich will den Präsidenten des Beaufsichtigungsausschusses aufsuchen; ich will mit Hebert, mit Danton, mit Robespierre sprechen; ich werde Alles gestehen, doch man muß sie mir zurückgeben.«

»Es ist gut,« sagte Lorin.

Und ohne ein weiteres Wort stand er auf, schnallte sich seinen Säbel um, setzte seinen Uniformhut auf, nahm, wie es Maurice getan, ein Paar geladene Pistolen und steckte sie in seine Tasche.

»Gehen wir,« fügte er dann einfach bei.

»Gut, und hernach?«

 
»Hat man das Stück zu Ende gesehen,
Muß man in guter Gesellschaft gehen.«
 

»Wo suchen wir zuerst?« sagte Maurice.

»Suchen wir zuerst in dem alten Quartier, Du weißt? Rue Vieille-Saint-Jacques; dann lauern wir auf den Maison-Rouge; wo er ist, wird ohne Zweifel auch Dirmer sein; hernach nähern wir uns den Häusern der Vieille-Corderie, Du weißt, man spricht davon, Antoinette wieder in den Temple zu versetzen? Glaube mir, Leute wie diese werden die Hoffnung, sie zu retten, bis aus den letzten Augenblick nicht verlieren.«

»Ja, in der That, Du hast Recht. . . Du glaubst, Maison-Rouge sei in Paris?«

»Dirmer ist wohl hier.«

»Es ist wahr, es ist wahr, sie werden vereinigt sein,« versetzte Maurice, dem ein entfernter Schimmer wieder etwas Vernunft verlieh. »Komm!«

Von diesem Augenblick an suchten die zwei Freunde mit allem Eifer. Doch es war vergebens. Paris ist groß, und sein Schatten ist dicht. Nie hat ein Schlund in tieferer Dunkelheit das Geheimniß, welches ihm das Verbrechen oder das Unglück anvertraut, zu verbergen vermocht.

Hundertmal gingen Lorin und Maurice über die Grève, hundertmal streiften sie an dem kleinen Hause hin, in welchem Geneviève lebte, unablässig bewacht von Dirmer, wie einst die Priester das Opfer bewachten, das zum Schlachten bestimmt war.

Als sich Geneviève ihrerseits dem Tode geweiht sah, nahm sie wie alle edle Seelen das Opfer an und wollte nur geräuschlos sterben; überdies befürchtete sie weniger noch für Dirmer, als für die Sache der Königin eine Öffentlichkeit, welche Maurice unfehlbar seiner Rache gegeben haben würde.

Sie beobachtete also ein so tiefes Stillschweigen, als ob der Tod ihren Mund geschlossen hätte.

Maurice hatte indessen, ohne Lorin etwas zu sagen, die Mitglieder des furchtbaren Wohlfahrtsausschusses angefleht, und Lorin hatte seinerseits, ohne mit Maurice zu sprechen, sich denselben Schritten gewidmet.

An demselben Tage wurde auch ein rothes Kreuz von Fouquier-Tinville neben ihre Namen gezeichnet, und das Wort Verdächtige vereinigte sie in einer blutigen Umarmung.

XLVI.
Das Gericht

Am drei und zwanzigsten Tage des ersten Monats im Jahre II, der einigen und untheilbaren französischen Republik, der mit dem 14. October 1793 alten Styls, wie man damals sagte, correspondirte, drängte sich eine neugierige Menge vom Morgen an auf den Tribunen des Saales, in welchem die revolutionären Sitzungen gehalten wurden.

Die Gänge des Palastes, die Zugänge der Conciergerie waren dicht besetzt von ungeduldigen Zuschauern, welche einander die Gerüchte und Leidenschaften übertrugen, wie sich die Wellen ihr Tosen und ihr Schäumen übertragen.

Trotz der Neugierde, mit der jeder Zuschauer sich geberdete, und gerade vielleicht wegen dieser Neugierde, behielt jede Welle dieses Meeres, bewegt, gepreßt zwischen zwei Barrièren, der äußeren Barrèire, welche sie vorstieß, der inneren Barrière, welche sie zurückstieß, in diesem Strom und Gegenstrom ungefähr denselben Platz, den sie eingenommen hatte. Doch diejenigen, welche am besten gestellt waren, begriffen auch, daß sie sich Verzeihung für ihr Glück verschaffen mußten, und sie strebten nach diesem Ziele dadurch, daß sie ihren minder gut gestellten Nachbarn erzählten, was sie sahen und hörten, die dann an Andere wieder die ursprünglichen Worte übertrugen.

Doch an der Thüre des Tribunals stritt sich eine Gruppe dicht zusammengescharter Männer heftig um zehn Linien Raum in der Breite oder in der Höhe; denn zehn Linien in der Breite waren hinreichend, um zwischen zwei Schultern eine Ecke des Saales und das Gesicht der Richter zu sehen; denn zehn Linien in der Höhe waren hinreichend, um über einen Kopf hin den ganzen Saal und das Gesicht der Angeklagten zu erschauen.

Leider nahm diese Passage von einem Gang in den Saal, diesen so kleinen Engpaß ein Mann beinahe gänzlich mit seinen breiten Schultern und seinen in die Seite gestemmten Armen ein, welche die ganze schwankende Menge zurückhielten, die in den Saal gestürzt wäre, wenn ihr plötzlich der fleischerne Wall gefehlt hätte.

Dieser unerschütterliche Mann auf der Schwelle des Tribunals war jung und schön und schüttelte bei jedem stärkeren Stoße, den ihm die Menge versetzte, wie eine Mähne sein dickes Haupthaar, unter welchem ein finsterer, entschlossener Blick glänzte. Wenn er dann mit dem Blicke und der Bewegung die Menge, deren hartnäckigen Angriff er als ein lebendiger Damm aushielt, wieder zurückgedrängt hatte, versank er abermals in seine aufmerksame Unbeweglichkeit.

Hundertmal versuchte es jedoch die gepreßte Masse, ihn niederzuwerfen, denn er war von hohem Wuchse und hinter ihm wurde jede Aussicht unmöglich; doch wie gesagt, ein Fels wäre nicht unerschütterlicher gewesen als er.

Am andern Ende dieser menschlichen Mauer, inmitten der gedrängten Menge, hatte sich ein anderer Mensch mit einer Beharrlichkeit, welche an Wildheit grenzte, Bahn gebrochen; nichts hatte ihn in seinem unermüdlichen Fortschritte aufgehalten, weder die Schläge derjenigen, welche er hinter sich gelassen, noch die Verwünschungen der Leute, die er im Vorübergehen beinahe erdrückte, noch die Klagen der Frauen, denn es waren viele Frauen unter dieser Menge.

Aus die Schläge antwortete er durch Schläge, auf die Verwünschungen durch einen Blick, vor dem die Muthigsten zurückwichen, auf die Klagen durch eine Unempfindlichkeit, die der Verachtung glich. Endlich gelangte er zu dem kräftigen jungen Mann, der gleichsam den Eingang des Saales schloß. Und unter der allgemeinen Erwartung, denn Jeder wollte sehen, wie die Sache zwischen diesen zwei harten Gegnern ablaufen würde, und unter der all» gemeinen Erwartung, sagen wir, versuchte er seine Methode, welche darin bestand, daß er zwischen zwei Zuschauer seine Ellenbogen wie Keile einpreßte und mit seinem Leib die am Engsten an einander geschlossenen Leiber spaltete.

Dieser war jedoch ein junger Mann, dessen bleiches Gesicht und zarte Glieder eine ebenso schwächliche Constitution andeuteten, als seine sprühende Augen für die Festigkeit seines Willens zeugten.

Doch kaum hatte sein Ellenbogen die Seiten des jungen Mannes gestreift, der vor ihm stand, als dieser sich, erstaunt über den Angriff, rasch umwandte und mit derselben Bewegung eine Faust aufhob, die den Verwegenen niederfallend zu zerschmettern drohte.

Die zwei Gegner fanden sich nun von Angesicht zu Angesicht einander gegenüber und ein kleiner Schrei entschlüpfte ihnen zu gleicher Zeit.

Sie hatten sich erkannt,

»Ah! Bürger Maurice,« sagte der schwächliche junge Mann mit einem Ausdrucke unaussprechlichen Schmerzes, »lassen Sie mich vorbei; lassen Sie mich sehen; ich flehe Sie an! Sie mögen mich hernach tödten!«

Maurice, denn er war es wirklich, fühlte sich von Rührung und Bewunderung für diese Ergebenheit, für diesen unstörbaren Willen durchdrungen.

»Sie!« flüsterte er; »Sie hier, Unvorsichtiger?«

»Ja, ich bin hier! doch ich bin erschöpft, Oh! mein Gott! sie spricht! lassen Sie mich Sie sehen! lassen Sie mich sie hören!«

Maurice trat ein wenig aus die Seite und der junge Mann rückte vor ihn. Da Maurice an der Spitze der Menge stand, so hemmte nichts mehr den Blick desjenigen, welcher so viele Busse und Stöße ausgestanden, um nur zu dieser Stelle zu gelangen.

Diese ganze Szene und das Gemurmel, das sie veranlaßte, erregten die Neugierde der Richter.

Die Angeklagte schaute auch nach dieser Seite; da erblickte und erkannte sie in der ersten Reihe den Chevalier.

Etwas wie ein Schauer bewegte einen Augenblick die Königin, welche in dem eisernen Lehnstuhle saß.

Geleitet von dem Präsidenten Harmand, erläutert von Fouquier-Tinville und discutirt von Chauveau-Lagarde, dem Vertheidiger der Königin, dauerte das Verhör so lange es die Kräfte der Richter und der Angeklagten erlaubten.

Während dieser ganzen Zeit blieb Maurice unbeweglich an seinem Platz, indes die Zuschauer sich schon mehrere Male in dem Saale und in den Gängen erneuert hatten.

Der Chevalier hatte einen Stützpunkt an einer Säule gefunden, und hier stand er, nicht minder bleich als der Stuck, an den er sich anlehnte.

Auf den Tag folgte eine finstere Nacht; einige aus den Tischen der Geschworenen angezündete Kerzen, ein paar Lampen, welche an den Wänden des Saales rauchten, beleuchteten mit einem düsteren, rothen Reflex das edle Antlitz dieser Frau, die so schön gewesen war unter den glänzenden Lichtern der Feste von Versailles.

Sie saß hier allein, beantwortete mit ein paar kurzen, verächtlichen Worten die Fragen des Präsidenten und neigte sich zuweilen an das Ohr ihres Vertheidigers, um leise mit ihm zu sprechen.

Ihre weiße, glatte Stirne hatte nichts von ihrem gewöhnlichen Stolz verloren; sie trug das schwarzgestreifte Kleid, das sie seit dem Tode des Königs nicht hatte ablegen wollen.

Die Richter verließen den Saal, um zur Abstimmung zu schreiten; die Sitzung war beendigt.

»Habe ich mich denn zu hochmüthig gezeigt, mein Herr?« fragte die Königin Chauveau Lagarde.

»Ah! Madame,« erwiderte dieser, »Sie werden stets gut sein, wenn Sie Sie selbst sind.«

»Siehst Du, wie stolz sie ist!« rief eine Frau in der Versammlung, als ob eine Stimme aus dem Volke die Frage beantwortete, welche die unglückliche Königin an ihren Advocaten gerichtet hatte.

Die Königin wandte den Kopf gegen diese Frau.

»Nun wohl, ja,« wiederholte die Frau, »ich sage. Du bist stolz, Antoinette, und Dein Stolz hat Dich zu Grunde gerichtet.«

Die Königin erröthete.

Der Chevalier drehte sich gegen die Frau, welche diese Worte gesprochen hatte und erwiderte halblaut: »Sie war die Königin.«

Maurice faste ihn beim Faustgelenke und sagte ganz leise zu ihm:

»Ruhig, haben Sie den Muth, sich nicht in das Verderben zu stürzen.«

»Oh! Herr Maurice,« entgegnete der Chevalier, »Sie sind ein Mann und Sie wissen, daß Sie mit einem Manne sprechen. Oh! sagen Sie mir, glauben Sie, daß sie die Königin verurtheilen können?«

»Ich glaube es nicht, ich bin dessen gewiß.«

»Oh! eine Frau!« rief Maison-Rouge schluchzend.

»Nein, eine Königin,« versetzte Maurice, »Sie haben es selbst gesagt.«

Der Chevalier ergriff Maurice ebenfalls am Faustgelenke und zwang ihn mit einer Kraft, die man ihm nicht hätte zutrauen sollen, sich an sein Ohr zu neigen.

Es war halb vier Uhr Morgens Große Leeren ließen sich unter den Zuschauern bemerken, einige Lichter waren erloschen und dadurch verschiedene Theile des Saales in Dunkelheit versunken.

Einer von den dunkelsten Theilen war derjenige, wo sich der Chevalier und Maurice befanden.

»Warum sind Sie hier und was wollen Sie hier machen?« fragte der Chevalier, »Sie, mein Herr, der Sie kein Tigerherz haben?«

»Ach!« erwiderte Maurice, »ich bin hier, um zu erfahren, was aus einer unglücklichen Frau geworden ist.«

»Ja, ja,« sprach Maison-Rouge, »aus der, welche ihr Gatte in den Kerker der Königin gestoßen hat, aus der Frau, welche vor meinen Augen festgenommen wurde.«

»Geneviève?«

»Ja, Geneviève.«

»Also ist Geneviève eine Gefangene, aufgeopfert durch ihren Gatten, getödtet durch Dirmer? Oh! ich verstehe Alles, ich begreife nun Alles. Chevalier, erzählen Sie mir, was vorgefallen, sagen Sie mir, wo sie ist, sagen Sie mir, wo ich sie wiederfinden kann. Diese Frau ist mein Leben, hören Sie wohl, Chevalier?«

»Nun! ja, ich habe sie gesehen, ich war dabei, als sie verhaftet wurde. Ich kam auch, um der Königin entweichen zu helfen; doch unsere Pläne, die wir uns nicht hatten mittheilen können, schadeten sich, statt sich zu unterstützen.«

»Und Sie haben sie nicht wenigstens gerettet, sie, ihre Schwester, Geneviève?«,

»Konnte ich? Ein eisernes Gitter trennte mich von ihr. Ah! wenn Sie da gewesen wären, wenn Sie Ihre Kräfte mit den meinigen hätten vereinen können, das verfluchte Gitter würde nachgegeben haben, und wir hätten Beide gerettet.«

»Geneviève! Geneviève!« flüsterte Maurice.

Dann schaute er Maison-Rouge mit einem unbeschreiblichen Ausdruck der Wuth an und fragte ihn:

»Und Dirmer, was ist aus ihm geworden?«

»Ich weiß es nicht. Er hat sich seinerseits geflüchtet, während ich meinerseits dasselbe that.«

»Oh! wenn ich ihn je wiederfinde. . .« sprach Maurice mit den Zähnen knirschend.

»Ja, ich begreife. Doch für Geneviève darf man noch nicht verzweifeln, während hier, während die Königin . . . Oh! hören Sie, Maurice, Sie sind ein Mann von Herz, ein mächtiger Mann! Sie haben Freunde . . . Oh! ich bitte Sie, wie man Gott bittet, Maurice, helfen Sie mir die Königin retten.«

»Was denken Sie?«

»Maurice! Geneviève sieht Sie durch meine Stimme an.«

»Oh! sprechen Sie diesen Namen.nicht aus, mein Herr. Wer weiß, ob Sie nicht wie Dirmer die arme Frau aufgeopfert haben?«

»Mein Herr,« antwortete der Chevalier stolz, »wenn ich mich einer Sache weihe, opfere ich nur mich selbst.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre des Berathungssaales, Maurice wollte antworten.

»Stille, mein Herr,« sagte der Chevalier, »stille, hier kehren die Richter zurück.«

Maurice fühlte die Hand zittern, welche Maison-Rouge, bleich und wankend, auf seinen Arm gelegt hatte.

»Oh!« murmelte der Chevalier, »oh! das Herz bricht mir.«

»Muth gefasst, bewältigen Sie sich, oder Sie sind verloren.«

Das Tribunal kehrte in der That zurück, und die Nachricht von. seiner Rückkehr verbreitete sich in den Gängen und Gallerien.

Die Menge drang abermals ungestüm in den Saal und die Richter schienen sich von selbst für diesen entscheidenden, feierlichen Augenblick wiederzubeleben.

Man hatte die Königin zurückgebracht; sie hielt sich gerade, unbeweglich, stolz, die Augen starr, die Lippen geschlossen.

Man las ihr den Spruch vor, der sie zum Tode verurtheilte.

Sie hörte, ohne zu erbleichen, ohne eine Miene zu verändern, ohne daß eine Muskel ihres Gesichtes den Anschein einer Erschütterung bezeichnete.

Dann wandte sie sich gegen den Chevalier um und richtete einen langen, beredten Blick an ihn, als wollte sie diesem Manne danken, den sie immer nur als lebendige Bildsäule der Ergebenheit gesehen hatte, und sich aus den Arm des Gendarmerie-Officiers stützend, der die bewaffnete Macht befehligte, verließ sie ruhig und würdig das Tribunal.

Maurice stieß einen langen Seufzer aus.

»Gott sei Dank!« sagte er, »nichts hat in ihrer Erklärung Geneviève gefährdet und es ist noch Hoffnung vorhanden,«

»Gott sei Dank!« murmelte seinerseits der Chevalier von Maison-Rouge, »Alles ist vorbei, der Kampf ist beendigt.«

»Muth gefasst, mein Herr,« flüsterte ihm Maurice zu.

»Ich werde haben,« antwortete der Chevalier.

Und nachdem sie sich die Hand gedrückt, entfernten sich Beide durch verschiedene Ausgänge.

Die Königin wurde in die Conciergerie zurückgeführt; es schlug vier Uhr im Glockenthurme, als sie zurückkam.

An der Mündung des Pont Neuf wurde Maurice durch die Arme von Lorin aufgehalten.

»Halt,« sagte er, »man geht nicht vorbei.«

»Warum?«

»Vor Allem, wohin willst Du?«

»Ich gehe nach Hause. Ich kann nun zurückkehren, denn ich weiß, was aus ihr geworden ist.«

»Desto besser; doch Du wirst nicht nach Hause gehen.«

»Aus welchem Grunde?«

»Weil vor zwei Stunden die Gendarmen gekommen sind, um Dich zu verhaften.«

»Ah!« rief Maurice, »das ist ein Grund mehr.«

»Bist Du verrückt? Und Geneviève?«

»Es ist wahr. Wohin gehen wir?«

»Zu mir, bei Gott!«

»Doch ich stürze Dich ins Verderben.«

»Ein Grund mehr; komm, laß uns gehen.«

Und er zog ihn fort.