Lugege ainult LitRes'is

Raamatut ei saa failina alla laadida, kuid seda saab lugeda meie rakenduses või veebis.

Loe raamatut: «Der Graf von Bragelonne», lehekülg 114

Font:

XXI.
Was im Louvre während des Mahles in der Bastille vorfiel

Herr von Saint-Aignan hatte seinen Auftrag bei la Vallière besorgt, wie man in den vorhergehenden Kapiteln gesehen, aber wie groß auch seine Beredsamkeit war, er überzeugte sie nicht, sie habe im König einen hinreichend gewichtigen Beschützer, und sie brauche Niemand in der Welt, wenn der König für sie sei.

Bei dem ersten Wort, das der Vertraute über die Entdeckung des vielerwähnten Geheimnisses sprach, stieß Louise, in Thränen zerfließend, laute Schreie aus, und überließ sich ganz ihrem Schmerz, den der König nicht verbindlich gefunden haben würde, hätte er aus einer Ecke des Zimmers Zeuge davon sein können. Saint-Aignan, der Botschafter, wurde ausgebracht, als wäre er der Gebieter gewesen, und kehrte zum König zurück, um ihm zu melden, was er gesehen und gehört. Hier finden wir ihn in Gegenwart von Ludwig, der noch viel mehr aufgeregt.

»Aber,« sagte der König zu seinem Höfling, nachdem dieser seine Erzählung beendigt, »was hat sie beschlossen? werde ich sie wenigstens vor dem Abendbrod sehen? wird sie kommen oder muß ich zu ihr gehen?«

»Sire, ich glaube, daß Eure Majestät, wenn sie das Fräulein zu sehen wünscht, nicht nur die erste Schritte thun, sondern den ganzen Weg machen muß.«

»Nichts von mir? Dieser Bragelonne liegt ihr also sehr am Herzen!« murmelte Ludwig XIV. durch die Zähne.

»Oh! Sire, das ist nicht möglich, denn Euch liebt Fräulein de la Vallière, und zwar aus das Innigste. Doch Ihr wißt, Herr von Bragelonne gehört zu jener ernsten Race, welche die römischen Helden spielt.«

Der König lächelte schwach; er wußte, woran er sich zu halten hatte, Athos ging eben von ihm weg.

»Was Fräulein de la Vallière betrifft,« fuhr Saint-Aignan fort, »so ist sie bei Madame Witwe, das heißt, in der Steifheit und Strenge aufgezogen worden. Die zwei Verlobten haben sich dort kalt Schwüre vor dem Mond und den Sternen gethan, und seht Ihr, Sire, heute, um das zu brechen, das ist der Teufel!«

Saint-Aignan glaubte den König abermals lachen zu machen; doch der König ging im Gegentheil vom einfachen Lächeln zum völligen Ernst über. Er fühlte schon das, was der Graf ihm zu bereiten d’Artagnan versprochen hatte – Gewissensbisse. Er bedachte, diese jungen Leute haben sich wirklich geliebt und Bündniß geschworen, eines von ihnen habe Wort gehalten, und das andere sei zu redlich, um nicht darüber, daß es meineidig geworden, zu seufzen.

Und mit dem Gewissensbiß stachelte die Eifersucht gewaltig das Herz des Königs. Er sprach kein Wort mehr, und statt zu seiner Mutter, oder zur Königin, oder zu Madame zu gehen, um sich ein wenig zu erheitern und die Damen lachen zu machen, wie er selbst sagte, versenkte er sich in den großen Lehnstuhl, worin Ludwig XIII., sein erhabener Vater, sich so oft mit Baradas und Cinq-Mars so viele Tage und Jahre hindurch gelangweilt hatte.

Saint-Aignan begriff, der König sei in diesem Augenblick nicht leicht zu unterhalten. Er wagte das letzte Mittel und sprach den Namen Louise aus; der König schaute empor.

»Was wird Eure Majestät heute Abend machen? soll ich Fräulein de la Vallière benachrichtigen?«

»Ei! mir scheint, sie ist benachrichtigt,« erwiederte der König.

»Wird man spazierenfahren?«

»Man ist schon gefahren.«

»Nun! Sire?«

»Nun! Saint-Aignan, träumen wir, träumen wir jeder seinerseits; hat Fräulein de la Vallière das gehörig beklagt, was sie beklagt (der Gewissensbiß wirkte), so wird sie wohl so gut sein, uns Nachricht von sich zu geben.«

»Oh! Sire, könnt Ihr so dieses treu ergebene Herz verkennen?«

Der König stand roth vor Aerger auf; die Eifersucht biß auch an.

Saint-Aignan fand die Lage allmälig schwierig, als der Thürvorhang ausgehoben wurde. Der König machte eine ungestüme Bewegung! sein erster Gedanke war, er werde ein Billet von la Vallière erhalten, doch statt eines Liebesboten sah er nur seinen Kapitän der Musketiere aufrecht und stumm im Thürrahmen.

»Herr d’Artagnan?« rief er, »ah! . . . Nun?«

D’Artagnan schaute Saint-Aignan an. Die Augen des Königs nahmen dieselbe Richtung, wie die seines Kapitäns. Diese Blicke wären klar für Jedermann gewesen, um so viel mehr waren sie es für Saint-Aignan. Der Höfling verbeugte sich und ging hinaus. Der König und d’Artagnan waren allein.

»Ist es geschehen?« fragte der König.

»Ja, Sire,« antwortete der Kapitän der Musketiere mit ernstem Ton, »es ist geschehen!«

Der König fand kein Wort zu sagen. Der Stolz gebot ihm jedoch, nicht hierbei zu bleiben. Wenn ein König eine Entschließung gefaßt hat, selbst eine ungerechte, so muß er allen denjenigen, welche sie ihn haben fassen sehen, und besonders sich selbst beweisen, daß er Recht gehabt hat, dieselbe zu fassen. Es gibt hierfür ein gutes Mittel, ein beinahe unfehlbares Mittel, das, dem Opfer Unrecht aufzubürden.

Von Mazarin und Anna von Oesterreich erzogen, kannte Ludwig sein Königshandwerk besser, als es je ein Fürst gekannt hat. Er suchte es auch bei dieser Gelegenheit zu beweisen. Nachdem er einen Augenblick geschwiegen und ganz leise die Betrachtungen angestellt hatte, die wir laut angestellt, fragte er nachlässig:

»Was hat der gesagt?«

»Nichts, Sire.«

»Er hat sich doch wohl nicht verhaften lassen, ohne etwas zu sagen?«

»Er sagte, er habe erwartet, man werde ihn verhaften, Sire.«

Der König erhob stolz das Haupt und sprach:

»Ich denke, der Herr Graf de la Fère hat seine Rebellenrolle nicht fortgesetzt.«

»Vor Allem, Sire, was nennt Ihr einen Rebellen?« fragte ruhig der Musketier. »Ein Rebell ist in den Augen des Königs der Mann, der sich nicht nur in die Bastille stecken läßt, sondern auch denjenigen widersteht, welche ihn nicht dahin führen wollen.«

»Die ihn nicht dahin führen wollen!« rief der König. »Was höre ich da, Kapitän? seid Ihr verrückt?«

»Ich glaube nicht, Sire.«

»Ihr sprecht von Leuten, die Herrn de la Fère nicht verhaften wollten?«

»Ja, Sire.«

»Und wer sind diese Leute?«

»Offenbar diejenigen, welche Eure Majestät damit beauftragt hatte.«

»Ich hatte ja Euch damit beauftragt,« rief der König.

»Ja, Sire, mich.«

»Und Ihr sagt, trotz meines Befehles habet Ihr die Absicht gehabt, den Mann, der mich beleidigt, nicht zu verhaften?«

»Ja, Sire, das war ganz und gar meine Absicht.«

»Ho! ho!«

»Ich machte ihm sogar den Vorschlag, ein Pferd zu besteigen, das ich bei der Barrière de la Conference bereit halten ließ.«

»Und in welcher Absicht ließet Ihr dieses Pferd bereit halten?«

»Sire, damit der Graf de la Fère das Havre und von da England erreichen könnte.«

»Ihr verriethet mich also, mein Herr?« rief der König funkelnd vor unbändigem Stolz.

»Allerdings.«

Auf ein Wort, in diesem Ton ausgesprochen, war nichts zu erwiedern. Der König fühlte einen so heftigen Widerstand, daß er ganz erstaunte.

»Ihr hattet wenigstens einen Grund, Herr d’Artagnan, als Ihr so handeltet?« fragte der König mit Majestät.

»Ich habe immer einen Grund, Sire.«

»Es ist wenigstens der Grund der Freundschaft nicht der einzige, den Ihr geltend machen könntet, der einzige, der Euch zu entschuldigen vermöchte, denn ich habe es Euch in diesem Kapitel sehr bequem gemacht.«

»Mir, Sire?«

»Habe ich es Euch nicht freigestellt, den Grafen zu verhaften oder nicht zu verhaften?«

»Ja, Sire, aber . . . «

»Was aber?« unterbrach der König ungeduldig.

»Aber indem Ihr mir sagtet, wenn ich ihn nicht verhaftete, so würde ihn Euer Kapitän der Garden verhaften.«

»Machte ich Euch die Sache nicht leicht, sobald ich Euch keinen Zwang anthat?«

»Mir, ja, Sire. Doch meinem Freunde, nein.«

»Nein?«

»Gewiß, da mein Freund durch mich oder den Kapitän der Garden immerhin verhaftet wurde.«

»Und das ist Eure Ergebenheit, mein Herr! eine Ergebenheit, die ein Urtheil fällt, die wählt! Ihr seid kein Soldat, mein Herr!«

»Ich erwarte, daß mir Eure Majestät sagt, was ich bin.«

»Ihr seid ein Frondeur.«

»Also seitdem es keine Fronde mehr gibt, Sire . . . «

»Doch wenn das, was Ihr sagt, wahr ist . . «

»Was ich sage, ist immer wahr.«

»Sprecht, was wollt Ihr hier?«

»Dem König melden, Sire, daß Herr de la Fère m der Bastille ist.«

»Das ist nicht Euer Fehler, wie es scheint.«

»Allerdings, Sire, aber er ist doch dort, und da er dort ist, so muß es Eure Majestät nothwendig wissen.«

»Ah!Herr d’Artagnan, Ihr trotzt Eurem König!«

»Sire . . . «

»Herr d’Artagnan, ich sage Euch, daß Ihr meine Geduld mißbraucht.«

»Im Gegentheil, Sire.«

»Wie, im Gegentheil?«

»Ich will mich auch verhaften lassen.«

»Euch verhaften lassen!«

»Gewiß. Mein Freund wird sich dort langweilen, und ich mache Eurer Majestät den Vorschlag, mir zu gestatten, daß ich ihm Gesellschaft leiste. Eure Majestät spreche ein Wort, und ich verhafte mich selbst, ich bedarf hierzu des Kapitäns der Garden nicht, dafür stehe ich Euch.«

Der König stürzte aus einen Tisch zu und ergriff eine Feder, um den Befehl zur Einsperrung von d’Artagnan zu erlassen.

»Gebt wohl Acht, daß dies für immer ist, mein Herr,« rief er mit drohendem Ton.

»Ich rechne darauf,« erwiederte der Musketier, »denn wenn Ihr diesen schönen Streich einmal gemacht habt, so werdet Ihr es nicht mehr wagen, mir ins Gesicht zu schauen.«

Der König warf seine Feder voll Heftigkeit weg und rief:

»Geht! geht.«

»Oh! nein, Sire, wenn es Eurer Majestät beliebt.«

»Wie, nein?«

»Sire, ich kam, um sanft mit dem König zu sprechen; der König ist hitzig geworden, das ist ein Unglück; darum werde ich aber nicht minder dem König sagen, was ich ihm zu sagen habe.«

»Eure Entlassung, mein Herr!« rief der König, »Eure Entlassung!«

»Sire, Ihr wißt, daß mir an meiner Entlassung nichts gelegen ist, denn an dem Tage, wo Eure Majestät König Karl die Millionen verweigerte, die ihm mein Freund Athos gegeben hat, bat ich den König um meine Entlassung.«

»Nun! so macht geschwinde.«

»Nein, Sire, denn es handelt sich hier nicht um meine Entlassung. Eure Majestät nahm die Feder, um mich nach der Bastille zu schicken; warum geht sie von ihrem Beschluß ab?«

»D’Artagnan! Gascognerkopf! Wer ist, hier der König? Ihr oder ich?«

»Leider Ihr, Sire.«

»Wie, leider?«

»Ja, Sire, denn wenn ich es wäre . . . « .Wenn Ihr es wäret, nicht wahr, so würdet Ihr die Rebellion von Herrn d’Artagnan billigen?«

»Ja, gewiß.«

»Wahrhaftig!« rief der König, die Achseln zuckend.

»Und ich würde zu meinem Kapitän der Musketiere sagen,« fuhr d’Artagnan fort, »ich würde ihm sagen, indem ich ihn mit menschlichen Augen und nicht mit entflammten Kohlen anschaute, ich würde ihm sagen: »»Herr d’Artagnan, ich habe vergessen, daß ich König bin. Ich bin von meinem Throne herabgestiegen, um einen Edelmann verletzen.««

»Mein Herr!« rief der König, »glaubt Ihr, seine Unverschämtheit überbieten heiße Euren Freund entschuldigen!«

»Oh! Sire, ich werde noch viel weiter gehen, als er,« sprach d’Artagnan, »und dies ist dann Euer Fehler. Ich sage Euch das, was er, der Mann jeglichen Zartgefühls, Euch nicht gesagt hat; ich sage Euch: Sire, Ihr habt seinen Sohn geopfert, und er vertheidigte seinen Sohn; Ihr habt ihn selbst geopfert; er sprach zu Euch im Namen der Ehre, der Tugend und der Religion. Ihr habt ihn zurückgestoßen, fortgejagt, eingekerkert. Ich werde härter sein als er, Sire, und sage Euch: Sire, wählet! wollt Ihr Freunde oder Knechte? Soldaten oder Bücklingschneider? große Männer oder Hanswurste? wollt Ihr, daß man Euch diene oder daß man vor Euch krieche? wollt Ihr, daß man Euch liebe oder daß man Furcht vor Euch habe? Zieht Ihr die Niedrigkeit, die Intrigue, die Feigheit vor, oh! so sagt es, Sire; wir werden abgehen, wir, die wir allein geblieben sind; ich sage mehr, wir, die einzigen Muster der Tapferkeit von einst, wir, die wir schon in der Nachwelt großen Männern gedient, und diese vielleicht an Muth und Verdienst übertroffen haben. Wählet, Sire, und beeilt Euch. Was Euch an vornehmen Herren übrig bleibt, behaltet es; Ihr werdet immerhin noch Höflinge genug haben. Beeilt Euch und schickt mich mit meinem Freunde in die Bastille, denn wenn Ihr den Grafen de la Fère, das heißt, die sanfteste uns edelste Stimme der Ehre nicht zu hören vermocht habt, wenn Ihr d’Artagnan, das heißt, die offenherzigste und rauhste Stimme der Aufrichtigkeit, nicht zu hören wißt, so seid Ihr ein schlechter König, und werdet morgen ein armer König sein. Die schlechten Könige aber verabscheut man; die armen Könige jagt man weg. Das hatte ich Euch zu sagen; Sire, Ihr hattet Unrecht, mich so weit zu treiben.«

Der König warf sich kalt und leichenbleich aus seinen Stuhl zurück; hätte der Blitz zu seinen Füßen eingeschlagen, er wäre offenbar nicht so sehr erstaunt gewesen, und man hätte glauben sollen, der Athem sei ihm ausgegangen, und er werde verscheiden. Diese rauhe Stimme der Aufrichtigkeit, wie es d’Artagnan nannte, hatte wie eine Klinge sein Herz durchdrungen.

D’Artagnan hatte Alles gesagt, was er zu sagen hatte. Er begriff den Zorn des Königs, zog seinen Degen, näherte sich ehrfurchtsvoll Ludwig XIV. und legte ihn aus den Tisch.

Doch mit einer wüthenden Geberde stieß der König den Degen so zurück, daß er aus den Boden fiel und vor die Füße von d’Artagnan rollte.

So sehr der Musketier auch Herr über sich war. so erbleichte er doch und sprach bebend vor Entrüstung:

»Ein König kann seine Ungnade auf seinen Soldaten werfen: er kann ihn verbannen, er kann ihn zum Tod verurtheilen; aber wäre er auch hundertmal König, so hat er doch nie das Recht, ihn, seinen Degen entehrend, zu beschimpfen. Sire, ein König von Frankreich hat nie mit Verachtung den Degen eines Mannes wie ich zurückgestoßen. Dieser besteckte Degen, bedenkt das wohl, Sire, hat fortan keine andere Scheide, als mein Herz oder das Eurige. Ich wähle das meine, Sire, dankt hierfür Gott und meiner Geduld.«

Nach diesen Worten stürzte er sich aus seinen Degen und rief:

»Mein Blut falle aus Euer Haupt, Sire.«

Doch mit einer Bewegung, noch schneller als die des Musketiers, eilte der König aus diesen zu, schlang den rechten Arm um den Hals von d’Artagnan, faßte mit der linken Hand den Degen mitten au der Klinge und steckte ihn stillschweigend in die Scheide.

Starr, bleich und noch bebend, ließ ihn d’Artagnan, ohne ihm zu helfen, bis zum Ende machen.

Dann kehrte Ludwig gerührt zum Tische zurück, nahm die Feder, schrieb ein paar Zeilen, unterzeichnete und streckte die Hand gegen d’Artagnan aus.

»Was bedeutet dieses Papier, Sire?« fragte der Kapitän.

»Es ist der Befehl für Herrn d’Artagnan, den Herrn Grafen de la Fère aus der Stelle in Freiheit zu setzen.«

D’Artagnan ergriff die königliche Hand und küßte sie; dann legte er das Papier zusammen, steckte es in sein Koller und ging ab.

Weder der König, noch der Kapitän hatten eine Sylbe mehr gesprochen.

»O menschliches Herz, Compaß der Könige,« murmelte Ludwig, als er allein war, »wann werde ich in deinen Falten wie in den Blättern eines Buches zu lesen verstehen? Nein, ich bin kein schlechter König, nein, ich bin kein armer König; doch ich bin noch ein Kind.«

XXII.
Der ehrliche Grimaud

D’Artagnan hatte Herrn von Baisemeaux beim Nachtisch zurückzusein versprochen; d’Artagnan hielt Wort. Man war bei den seinen Weinen und den Liqueurs, mit welchen bewunderungswürdig ausgestattet zu sein der Keller des Gouverneur der Bastille im Rufe stand, als die Sporen des Kapitäns der Musketiere im Gange erklirrten und er selbst auf der Schwelle erschien.

Athos und Aramis hatten sich mit der größten Vorsichtigkeit benommen, und so war es keinem von Beiden gelungen, den Andern zu durchdringen. Man hatte zu Nacht gespeist, viel von der Bastille, von der letzten Reise nach Fontainebleau und von dem Feste gesprochen, das Herr Fouquet in Vaux geben sollte. Man war mit den Allgemeinheiten verschwenderisch gewesen, und Niemand, außer Baisemeaux, hatte die besonderen Dinge berührt.

D’Artagnan fiel, noch bleich und aufgeregt von seiner Unterredung mit dem König, mitten in das Gespräch. Baisemeaux beeilte sich, einen Stuhl herbeizurücken. D’Artagnan nahm ein volles Glas an und leerte es. Athos und Aramis bemerkten Beide die Aufregung von d’Artagnan. Baisemeaux aber sah nichts, als den Kapitän der Musketiere Seiner Majestät, dem er alle Ehre anzuthun sich bemühte. Beim König Zutritt haben hieß aus die rücksichtsvollste Zuvorkommenheit des Gouverneur Anspruch machen können. Nur konnte Aramis, obgleich er diese Aufregung wahrgenommen hatte, die Ursache davon nicht errathen. Athos allein glaubte sie ergründet zu haben. Für ihn bedeuteten die Rückkehr von d’Artagnan und besonders die Verstörtheit des unempfindlichen Mannes: »»Ich habe den König um etwas gebeten, was er mir abgeschlagen.«« Ueberzeugt, er habe die Wahrheit getroffen, lächelte Athos, stand vom Tische auf und machte d’Artagnan ein Zeichen, als wollte er ihn daran erinnern, sie hätten etwas Anderes zu thun, als zusammen zu Nacht zu speisen.

D’Artagnan begriff und antwortete durch ein anderes Zeichen. Als Aramis und Baisemeaux diesen stummen Dialog sahen, befragten sie sich mit dem Blick. Athos glaubte, es sei an ihm, die Erklärung von dem, was vorgehe, zu geben, und sprach mit einem Lächeln:

»Die Wahrheit, meine Freunde, ist, daß Ihr, Aramis, mit einem Staatsverbrecher, und Ihr, Herr von Baisemeaux, mit Eurem Gefangenen zu Nacht gespeist habt.«

Baisemeaux gab einen Ausruf des Erstaunens und beinahe der Freude von sich. Dieser liebe Herr von Baisemeaux war eitel aus seine Festung. Je mehr er Gefangene hatte, desto glücklicher fühlte er sich, abgesehen vom Nutzen; je höher seine Gefangenen standen, desto stolzer war er auch.

Aramis nahm ein den Umständen angemessenes Gesicht an und erwiederte:

»Ah! mein theurer Athos, verzeiht mir, aber ich vermuthete beinahe das, was geschieht. Nicht wahr, eine Beschimpfung Eures Raoul und der la Vallière?«

»Ach!« machte Baisemeaux.

»Und,« fuhr Aramis fort, »Ihr als vornehmer Mann habt, vergessend, daß es nur noch Höflinge gibt, den König ausgesucht und ihm seine Handlung vorgehalten!«

»Ihr habt errathen, mein Freund.«

»Somit,« sagte Baisemeaux zitternd, daß er so vertraulich mit einem Mann zu Nacht gespeist, der beim König in Ungnade gefallen, »somit, Herr Graf . . . «

»Somit, mein lieber Gouverneur,« sprach Athos, »wird mein Freund, Herr d’Artagnan, Euch das Papier mittheilen, das aus der Oeffnung seines Kollers hervorsteht und sicherlich kein anderes ist, als mein Einsperrungsbefehl.«

Baisemeaux streckte die Hand mit dem geschmeidigen Wesen der Gewohnheit aus.

D’Artagnan zog wirklich zwei Papiere aus seiner Brust und reichte eines dem Gouverneur. Baisemeaux entfaltete das Papier und las halblaut und sich unterbrechend, während er Athos über das Papier anschaute:

»»Befehl in meinem Schlosse Bastille.«« Sehr gut! »»In meinem Schlosse Bastille den . . . Herrn Grafen de la Fère gefangen zu halten.«« Oh! mein Herr, welch eine schmerzliche Ehre ist es für mich, Euch zu besitzen!«

»Ihr werdet einen geduldigen Gefangenen an mir haben,« erwiederte Athos mit seiner milden, ruhigen Stimme:

»Und einen Gefangenen, der nicht einen Monat bei Euch bleiben wird,« sagte Aramis, während Baisemeaux, den Befehl in der Hand, in sein Gefangenenregister den königlichen Willen eintrug.

»Nicht einen Tag, oder vielmehr nicht eine Nacht,« sprach d’Artagnan, indem er den zweiten Befehl des Königs vorwies; »denn, mein lieber Herr von Baisemeaux, Ihr müßt nun auch diesen Befehl, den Grafen sogleich in Freiheit zu setzen, einschreiben.«

»Ah!« rief Aramis, »Ihr erspart mir ein Geschäft, d’Artagnan.« Und er drückte aus eine bezeichnende Weise zugleich dem Musketier und Athos die Hand.

»Wie!« rief der Letztere, »der König gibt mir die Freiheit?«

»Leset, lieber Freund,« sagte d’Artagnan.

Athos nahm den Befehl und las.

»Es ist wahr,« sprach er.

»Solltet Ihr ärgerlich darüber sein?« fragte d’Artagnan.

»Oh! nein, im Gegentheil. Ich grolle dem König nicht, und das größte Uebel, das man den Königen wünschen kann, ist, daß sie eine Ungerechtigkeit begehen. Doch nicht wahr, Ihr habt eine Unannehmlichkeit gehabt? Gesteht es, theurer Freund.«

»Ich? durchaus nicht,« erwiederte lachend der Musketier. »Der König thut Alles, was ich will.«

Aramis schaute d’Artagnan an und sah wohl, daß er log. Baisemeaux aber schaute nichts an, als d’Artagnan, so sehr war er von tiefer Bewunderung für diesen Mann ergriffen, der den König thun machte, was er wollte.

»Und der König verbannt Athos?« fragte Aramis.

»Nein, nicht gerade; der König hat sich nicht einmal hierüber erklärt,« antwortete d’Artagnan, »doch ich glaube, daß der Graf nichts Besseres zu thun hat, wenn er nicht etwa einen besonderen Werth darauf legt, dem König zu danken . . . «

»Wahrhaftig, nein,« sagte Athos lächelnd.

»Nun wohl! ich glaube, daß der Graf nichts Besseres zu thun hat, als sich nach seinem Schlosse zurückzuziehen. Sprecht übrigens, mein lieber Athos, fordert: ist die eine Residenz Euch angenehmer, als die andere, so mache ich mich anheischig, das für Euch zu verlangen.«

»Nein, ich danke,« erwiederte Athos; »nichts kann mir angenehmer sein, mein Freund, als in meine Einsamkeit, unter meine großen Bäume, an das User der Loire zurückzukehren. Ist Gott der höchste Arzt der Seelenleiden, so ist die Natur das souveraine Heilmittel . . . Ich bin nun also frei, mein Herr?« fuhr Athos, sich an Baisemeaux wendend, fort.

»Ja, Herr Graf, ich glaube es, ich hoffe es wenigstens,« sprach der Gouverneur, indem er die Papiere um und um drehte, »wenn nicht etwa Herr d’Artagnan einen dritten Befehl hat.«

»Nein, lieber Herr von Baisemeaux, nein,« sagte der Musketier. »Ihr müßt Euch an den zweiten halten und dabei stehen bleiben.«

»Ah! Herr,« sprach Baisemeaux, sich an Athos wendend. »Ihr wißt nicht, was Ihr verliert! Ich hätte Euch aus dreißig Livres gesetzt, wie die Generale, was sage ich, aus fünfzig Livres wie die Prinzen, und Ihr hättet alle Abende gespeist, wie heute Abend.«

»Erlaubt mir, mein Herr, daß ich meine Mittelmäßigkeit vorziehe,« erwiederte Athos; dann wandte er sich gegen d’Artagnan um und sprach:

»Laßt uns gehen, mein Freund.«

»Laßt uns gehen,« wiederholte d’Artagnan.

»Wird mir die Freude zu Theil werden, Euch als Gefährten zu besitzen?« fragte Athos.

»Nur bis zum Thore, Theuerster,« antwortete d’Artagnan: »sodann sage ich Euch, was ich zum König gesagt: Ich habe den Dienst.«

»Und Ihr, mein lieber Aramis,« sagte Athos lächelnd, »begleitet Ihr mich? La Fère liegt aus dem Wege nach Vannes.«

»Ich, mein lieber Freund,« antwortete der Prälat, »ich habe diesen Abend eine Zusammenkunst in Paris und vermöchte mich nicht zu entfernen, ohne daß gewichtige Interessen darunter leiden würden.«

»Dann erlaubt, mein theurer Freund, daß ich Euch umarme und scheide,« sprach Athos. »Mein lieber Herr von Baisemeaux, großen Dank für Euren guten Willen, und besonders für die Probe, die Ihr mir von der Hausmannskost der Bastille gegeben habt.«

Und nachdem er Aramis umarmt, und Herrn von Baisemeaux die Hand gedrückt hatte, nachdem ihm Beide eine glückliche Reise gewünscht, entfernte sich Athos mit d’Artagnan.

Während die Scene im Palais Royal ihre Entwickelung in der Bastille fand, sagen wir, was im Hause von Athos und bei Bragelonne vorging.

Grimaud hatte, wie wir gesehen, seinen Herrn nach Paris begleitet. Er war, wie wir erwähnt, beim Abgang von Athos zugegen gewesen; er hatte d’Artagnan auf seinen Schnurrbart beißen, seinen Herrn in den Wagen steigen sehen, und die eine und die andere Physiognomie befragt, und er kannte Beide seit hinreichend langer Zeit, um durch die Maske der Unempfindlichkeit begriffen zu haben, daß große Ereignisse vorgingen.

Sobald Athos sich entfernt hatte, dachte er nach. Da erinnerte er sich der seltsamen Art, wie Athos von ihm Abschied genommen, und der für jeden Andern als ihn unmerklichen Verlegenheit dieses Herrn mit den so klaren Ideen, mit dem so geraden Willen. Er wußte, daß Athos nichts mit sich genommen, als was er aus dem Leibe trug, und dennoch glaubte er zu sehen, Athos gehe nicht nur aus eine Stunde, nicht einmal nur aus einen Tag weg. Es lag eine lange Abwesenheit in der Art und Weise, wie Athos, Grimaud verlassend, das Wort Lebewohl ausgesprochen hatte.

Dies Alles kehrte in seinen Geist zurück mit allen seinen Gefühlen tiefer Zuneigung für Athos, mit allem jenem Widerwillen gegen die Leere und die Einsamkeit, der stets die Einbildungskraft der Leute, welche lieben, beschäftigt; dies Alles, sagen wir, machte den ehrlichen Grimaud sehr traurig und besonders sehr unruhig. Ohne sich von dem, was er seit dem Abgang seines Gebieters that, Rechenschaft zu geben, irrte er in der ganzen Wohnung umher, so zu sagen, die Spuren seines Herrn suchend, ähnlich in dieser Hinsicht, – Alles, was gut ist, gleicht sich, – ähnlich dem Hunde, der wegen der Abwesenheit seines Herrn nicht besorgt, aber verdrießlich ist. Nur, da Grimaud mit dem Instincte des Thieres die Vernunft des Menschen verband, war Grimaud zugleich verdrießlich und besorgt.

Als er kein Anzeichen fand, das ihn zu leiten vermochte, als er nichts sah, nichts entdeckte, was seinen Zweifeln ein Ziel steckte, fing Grimaud an auszusinnen, was geschehen sein könnte. Die Einbildungskraft ist aber die Hilfsquelle oder vielmehr die Marter guter Herzen. Es kommt in der That nie vor, daß ein gutes Herz sich seinen Freund glücklich oder froh vorstellt. Nie flößt die Taube, welche wandert, der Taube, die zu Hause geblieben, etwas Anderes ein, als Angst.

Grimaud ging daher von der Unruhe zu der Angst über. Er wiederholte sich in Gedanken noch einmal Alles, was vorgefallen war: den Brief von d’Artagnan an Athos, einen Brief, in dessen Folge Athos so betrübt geschienen hatte; dann den Besuch von Raoul bei Athos, einen Besuch, in dessen Folge Athos seinen Orden und sein Galakleid verlangt; sodann die Erklärung zwischen dem Vater und Sohn, eine Erklärung, in deren Folge Athos Raoul so traurig umarmt, wonach Raoul so traurig nach Hause gegangen war; endlich die Ankunft von d’Artagnan, der aus seinen Schnurrbart gebissen, eine Ankunft, in deren Folge der Herr de la Fère mit d’Artagnan in den Wagen gestiegen. Dies Alles bildete ein Drama in fünf Akten, das sehr theilbar, besonders für einen Analysten von der Stärke von Grimaud.

Grimaud nahm vor Allem seine Zuflucht zu den großen Mitteln; er suchte in dem von seinem Herrn zurückgelassenen Rock den Brief von Herrn d’Artagnan. Dieser Brief fand sich noch darin und enthielt Folgendes:

»Raoul ist bei mir gewesen und hat mich um Auskunft über das Benehmen von Fräulein de la Vallière während des Aufenthalts unseres jungen Freundes in London gebeten. Ich bin ein armer Musketier-Kapitän, dem die Ohren alle Tage von Kasernen- und Gassenwitzen wehe thun. Hätte ich Raoul gesagt, was ich zu wissen glaubte, so wäre der arme Junge darüber gestorben: doch ich, der ich im Dienste des Königs bin, kann die Angelegenheiten des Königs nicht erzählen. Sagt es Euch das Herz, so schreitet zu! Die Sache geht Euch mehr an als mich und beinahe eben so viel als Raoul.«

Grimaud riß sich ein halbes Pfötchen Haare aus. Er hätte mehr gethan, wäre reichlicher Haar bei ihm vorhanden gewesen.

»Das ist der Knoten des Räthsels,« sagte er. »Das Mädchen hat dumme Streiche gemacht. Was man von ihr und dem König sagt, ist wahr. Unser junger Herr ist betrogen. Er muß es wissen. Der Herr de la Fère ist zum König gegangen und hat ihm sein Benehmen vorgehalten. Und dann hat der König Herrn d’Artagnan abgeschickt, um die Sache in Ordnung zu bringen. Ah! mein Gott!« fuhr Grimaud fort, »der Herr ist ohne seinen Degen zurückgekehrt.«

Diese Entdeckung machte den Schweiß aus die Stirne des braven Mannes steigen. Er hielt sich nicht länger bei Vermuthungen aus, drückte seinen Hut aus den Kopf und lief nach der Wohnung von Raoul.

Nach dem Abgang von Louise, aus deren Erscheinung wir später zurückkommen werden, bezähmte Raoul seinen Schmerz, wenn nicht seine Liebe; und genöthigt vorwärts zu schauen aus den gefahrvollen Weg, aus dem ihn die Tollheit und die Rebellion fortzogen, sah er mit dem ersten Blick seinen Vater im Kampf mit dem königlichen Widerstand, da sich Athos zuerst zu diesem Widerstand dargeboten.

In diesem Augenblick ganz sympathetischer Hellsichtigkeit, erinnerte sich der unglückliche junge Mann der geheimnißvollen Zeichen von Athos, des unerwarteten Besuchs von d’Artagnan, und die Folge dieses ganzen Streites zwischen einem Fürsten und einem Unterthanen erschien vor seinen erschrockenen Augen.

Im Dienst, das heißt an seinen Posten gefesselt, kam d’Artagnan sicherlich nicht zu Athos, nur um sich das Vergnügen zu machen, Athos zu sehen. Er kam, um ihm etwas zu sagen. Dieses Etwas war unter so mißlichen Cunjuncturen ein Unglück oder eine Gefahr. Raoul bebte, daß er selbstsüchtig gewesen, daß er seinen Vater um seiner Liebe willen vergessen, daß er die Träumerei oder den Genuß der Verzweiflung gesucht, während es sich vielleicht darum handelte, den dräuenden, gegen Athos gerichteten Angriff zurückzuschlagen.

Dieses Gefühl machte, daß er aufsprang. Er gürtete seinen Degen um und lief zuerst nach der Wohnung seines Vaters. Unter Weges stieß er aus Grimaud, der, vom entgegengesetzten Pol ausgegangen, mit gleichem Eifer seine Nachforschungen verfolgte. Diese zwei Männer umschlossen sich; sie waren Beide aus demselben Punkte der von ihrer Einbildungskraft beschriebenen Parabel.

»Grimaud!« rief Raoul.

»Herr Raoul!« rief Grimaud.

»Der Herr befindet sich wohl.«

»Du hast ihn gesehen?«

»Nein; wo ist er?«

»Ich suche ihn.«

»Und Herr d’Artagnan?«

»Hat sich mit ihm entfernt.«

»Wann?«

»Zehn Minuten nach Eurem Abgang.«

»Wie haben sie sich entfernt?

»Im Wagen.«

»Wohin gehen sie?«

»Ich weiß es nicht.«

»Hat mein Vater Geld mitgenommen?«

»Nein.«

»Einen Degen?«

»Nein.«

»Grimaud!«

»Herr Raoul.«

»Meiner Ansicht nach ist Herr d’Artagnan gekommen, um . . . «

»Nicht wahr, um den Herrn Grafen zu verhaften?«

»Ja, Grimaud.«

»Ich hätte daraus geschworen.«

»Welchen Weg haben sie genommen?«

»Den über die Quais.«

»Nach der Bastille?«

»Oh! mein Gott, ja.«

»Geschwinde, laufen wir.«

»Ja, laufen wir.«

»Aber wohin?« sagte plötzlich Raoul ganz niedergeschlagen.

»Gehen wir zu Herrn d’Artagnan, wir werden vielleicht etwas erfahren.«

»Nein; hat man sich bei meinem Vater vor mir verborgen, so wird man sich überall verbergen. Gehen wir zu . . . O mein Gott! ich bin heute ganz toll, mein guter Grimaud.«

»Was denn?«

»Ich habe Herrn du Vallon vergessen.«