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Loe raamatut: «Der Graf von Bragelonne», lehekülg 77

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»Gut,« sprach Madame, »geht auf Amaryllis über, Herr von Saint-Aignan, wir folgen Euch.«

»Amaryllis ist die Aelteste von den Dreien, und dennoch,« fügte Saint-Aignan rasch bei, »und dennoch erreicht dieses hohe Alter nicht zwanzig Jahre.«

Die Stirne von Fräulein von Tonnay-Charente, die sich beim Beginne dieser Erzählung gefaltet hatte, entfaltete sich wieder mit einem leichten Lächeln.

»Sie ist groß und besitzt ungeheure Haare, die sie nach der Weise der Statuen Griechenlands knüpft; ihr Gang ist majestätisch und ihre Geberde stolz: sie hat auch vielmehr das Aussehen einer Göttin, als einer einfachen Sterblichen, und unter den Göttinnen ist diejenige, welcher sie am meisten gleicht, Diana, die Jägerin, nur mit dem Unterschied, daß die grausame Schäferin, die einst Cupido, während er in einem Rosengebüsch schlief, den Liebesköcher gestohlen, statt ihre Pfeile auf die Gäste des Waldes zu richten, sie unbarmherzig auf alle die armen Schäfer absendet, welche im Bereiche ihres Bogens und ihrer Augen vorüberkommen.«

»Oh! die boshafte Schäferin,« rief Madame,«wird sie sich nicht eines Tages mit einem der Pfeile verwunden, die sie so unbarmherzig nach rechts und links absendet?«

»Das ist die Hoffnung aller Schäfer im Allgemeinen antwortete Saint-Aignan.

»Und die von Amyntas insbesondere, nicht wahr?« sagte Madame.

»Der schöne Amyntas ist so schüchtern,« erwiederte Saint-Aignan mit der bescheidensten Miene, die er anzunehmen im Stande war, »daß, wenn er diese Hoffnung hegt, nie ein Mensch etwas davon erfahren hat, denn er verbirgt sie in der tiefsten Tiefe seines Herzens.«

Ein äußerst schmeichelhaftes Gemurmel wurde diesem Glaubensbekenntniß des Erzählers in Beziehung auf den Schäfer zu Theil.

»Und Galathe,« fragte Madame, »ich bin sehr begierig, eine so geschickte Hand das Portrait, wo Virgil es gelassen hat, aufnehmen und vor unsern Augen vollenden zu sehen.«

»Madame,« erwiederte Saint-Aignan, »gegen den großen Virgilius Maro ist Euer unterthäniger Diener nur ein sehr armer Dichter. Durch Euern Befehl ermuthigt, werde ich jedoch mein Möglichstes thun.«

»Wir hören,« sagte Madame.

Saint-Aignan streckte den Fuß, die Hand und die Lippen vor und sprach:

»Weiß wie die Milch, golden wie die Aehren strömt sie in die Luft die Wohlgerüche ihres blonden Haares aus. Dann fragt man sich, ob es nicht jene schöne Europa sei, welche Jupiter Liebe einflößte, als sie mit ihren Gefährtinnen auf den blüthenreichen Binsen spielte.«

»Aus ihren Augen, die so blau sind, wie das Azur des Himmels in den schönsten Sommertagen, fällt eine sanfte Flamme, die Träumerei nährt sie, die Liebe gibt sie aus. Wenn sie die Stirne faltet, oder ihr Haupt zur Erde neigt, verschleiert sich die Sonne, zum Zeichen der Trauer.«

»Wenn sie lächelt, nimmt im Gegentheil die ganze Natur ihre Freude wieder auf, und, einen Augenblick stumm, beginnen die Vögel ihre Lieder wieder im Schoße der Bäume.«

»Diese besonders,« sprach Saint-Aignan, um zu endigen, »diese besonders ist der Anbetung der Welt würdig, und wenn sie je ihr Herz verschenkt, glücklich der Sterbliche, aus dem ihre jungfräuliche Liebe einen Gott zu machen sich herbeilassen wird.«

Indem Madame, wie alle Andern, auf dieses Portrait horchte, beschränkte sie sich darauf, daß sie ihre Billigung bei den poetischsten Stellen durch ein Nicken mit dem Kopf bezeichnete, aber es ließ sich unmöglich sagen, ob diese Zeichen der Beipflichtung dem Talent des Erzählers oder der Aehnlichkeit des Portraits gespendet wurden.

Dadurch, daß Madame nicht offen Beifall zollte, kam es, daß Niemand zu klatschen sich erlaubte, nicht einmal Monsieur, der im Grunde seines Herzens fand, Saint-Aignan lege ein zu großes Gewicht auf die Portraits der Schäferinnen, nachdem er etwas rasch über die Portraits der Schäfer weggegangen.

Die Versammlung schien daher eiskalt.

Saint-Aignan, der seine Rhetorik und seinen Pinsel erschöpft hatte, um das Portrait von Galathe auszumalen, und der nach der günstigen Aufnahme, der sich die anderen Stücke zu erfreuen gehabt, für das letzte einen Beifallssturm zu hören erwartete, – Saint-Aignan war noch eiliger, als der König und die ganze Gesellschaft.

Es trat ein Augenblick des Stillschweigens ein, der von Madame mit der Frage unterbrochen wurde:

»Nun, Sire, was sagt Euer Majestät zu diesen drei Portraits?«

Der König wollte Saint-Aignan, ohne sich eine Blöße zu geben, zu Hilfe kommen, und erwiederte:

»Meiner Ansicht nach ist Amaryllis schön.«

»Ich, ich liebe Philis mehr sagte Monsieur, »es ist ein gutes Mädchen, oder vielmehr ein guter Junge von einer Nymphe.«

Jeder lachte.

Diesmal wurden die Blicke so unmittelbar, daß Montalais die Röthe in veilchenblauen Flammen sich zu Gesicht steigen fühlte.

»Diese Schäferinnen sagten sich also?« fragte Madame.

Aber in seiner Eitelkeit verletzt, war Saint-Aignan nicht im Stande, einen Angriff von frischen, ausgeruhten Truppen auszuhalten.

»Madame,« sprach er, »diese Schäferinnen gestanden sich gegenseitig ihre kleinen Neigungen.«

»Auf, auf, Herr von Saint-Aignan, Ihr seid im Strom schäferlicher Poesie,« sagte Madame mit einem liebenswürdigen Lächeln, das dem Erzähler wieder etwas Stärke verlieh.

»Sie sagten sich, die Liebe sei eine Gefahr, doch die Abwesenheit der Liebe sei der Tod des Herzens.«

»Und somit schloßen sie?« fragte Madame.

»Somit schloßen sie, man müsse lieben!«

»Sehr gut! Stellten sie dabei Bedingungen?«

»Die Bedingung, zu wählen,« antwortete Saint-Aignan. »Ich muß sogar beifügen – die Dryade spricht – daß eine von den Schäferinnen, Amaryllis, glaube ich, sich förmlich dem widersetzte, daß man liebe, und dennoch vertheidigte sie sich nicht zu sehr dagegen, daß sie habe bis zu ihrem Herzen das Bild eines gewissen Schäfers dringen lassen.«

»Amyntas oder Tiocis

»Amyntas, Madame,« erwiederte Saint-Aignan bescheiden. »Aber sogleich entgegnete Galathe, die sanfte Galathe mit den grünlichblauen Augen, weder Amyntas, noch Alphesibeus, noch Titycus, noch irgend einer der schönsten Schäfer der Gegend könne mit Tiocis verglichen werden, Tiocis verdunkle alle Männer, wie die Eiche durch ihre Größe alle Bäume, die Lilie alle Blumen verdunkle. Sie entwarf sogar von Tiocis ein solches Portrait, daß sich Tiocis, der ihr zuhorchte, trotz seiner Größe wahrhaft geschmeichelt fühlen mußte. So waren Tiocis und Amyntas von Philis und Galathe ausgezeichnet worden. So wurde das Geheimniß der zwei Herzen unter dem Schatten der Nacht und im Geheim des Waldes enthüllt.«

»Dies ist es, Madame, was mir die Dryade erzählt hat, sie, die Alles weiß, was in der Höhlung der Eichen und im Buschwerk des Grases vorgeht; sie, die die Liebschaften der Vögel kennt, die da weiß, was ihre Gesänge besagen wollen; sie endlich, die die Sprache des Windes in den Zweigen und das Gesumme der Käfer von Gold oder Smaragd im Kelch der wilden Blumen versieht; sie hat es mir wieder gesagt und ich wiederhole es.«

»Und nun seid ihr zu Ende, nicht wahr, Herr von Saint-Aignan?« fragte Madame mit einem Lächeln, das den König beben machte.

»Ich bin zu Ende, ja, Madame,« antwortete Saint-Aignan, »und glücklich, wenn ich Eurer Königlichen Hoheit eine Zerstreuung von einigen Augenblicken habe bereiten können.«

»Zu kurze Augenblicke,« sagte Madame, »denn Ihr habt Alles, was Ihr wißt, vortrefflich erzählt; doch, mein lieber Herr von Saint-Aignan, Ihr habt das Unglück gehabt. Euch nur bei einer einzigen Dryade zu erkundigen, nicht wahr?«

»Ja, Madame, ich gestehe es, nur bei einer einzigen.«

»Daraus geht hervor, daß Ihr an einer kleinen, unscheinbaren Najade vorübergegangen seid, die noch ganz andere Dinge wußte, als Eure Dryade, mein lieber Graf.«

»Eine Najade,« wiederholten mehrere Stimmen, welche zu vermuthen anfingen, es werde die Geschichte eine Fortsetzung haben.

»Allerdings, neben der Eiche, von der Ihr sprecht und die, wenigstens wie ich glaube, die Königseiche genannt wird, nicht wahr, Herr von Saint-Aignan?«

Saint-Aignan und der König schauten sich an.

»Ja, Madame,« antwortete Saint-Aignan.

»Nun denn! es ist dort eine hübsche kleine Quelle, welche, inmitten von Mäuseöhrchen und Maßlieben über die Kieselsteine hin murmelt.«

»Ich glaube, Madame hat Recht,« sagte der König, der immer voll Bangigkeit an den Lippen seiner Schwägerin hing.

»Oh! ich stehe Euch dafür,« rief Madame, »und zum Beweise dient, daß die Najade, welche diese Quelle beherrscht, mich auf dem Wege angehalten hat, mich, die ich mit Euch spreche.«

»Bah!« machte Saint-Aignan.«

»Ja,« fuhr die Prinzessin fort,«und zwar, um mir eine Menge von Dingen mitzutheilen, die Herr von Saint-Aignan in seiner Erzählung nicht vorgebracht hat.«

»Oh! erzählt das selbst,« rief Monsieur, »Ihr erzählt auf eine so reizende Weise.«

Die Prinzessin verbeugte sich vor seinem ehelichen Kompliment.

»Ich werde nicht die Poesie und das Talent des haben, um alle Einzelheiten gehörig hervorzuheben.«

»Man wird Euch nicht mit geringerem Interesse zuhören,« sagte der König, der zum Voraus etwas Feindseliges in der Erzählung seiner Schwägerin fühlte.

»Ich spreche übrigens im Namen der armen kleinen Najade, welche wohl die reizendste Halbgöttin ist, die ich je gefunden,« fuhr Madame fort. »Sie lachte aber dergestalt während ihrer Erzählung, daß ich Euch kraft des medicinischen Axioms: das Lachen ist ansteckend, um Erlaubniß bitte, selbst ein wenig lachen zu dürfen, wenn ich mich ihrer Worte erinnere.«

Der König und Saint-Aignan, die auf vielen Gesichtern einen Anfang von Heiterkeit, der ähnlich, welche Madame verkündigte, sich verbreiten sahen, schauten sich am Ende einander an, und fragten sich mit dem Blick, ob hierunter nicht eine kleine Verschwörung stecke.

Madame war aber fest entschlossen, das Messer in der Wunde um und umzudrehen; sie fuhr auch mit ihrer Miene naiver Unschuld, das heißt, mit der gefährlichsten aller ihrer Mienen fort:

»Ich ging also dort durch; und da ich unter meinen Fichten viele frisch erschlossene Blumen fand, so unterliegt es keinem Zweifel, daß Philis und Amaryllus und alle Eure Schäferinnen von mir auf demselben Weg gegangen waren.«

Der König biß sich auf die Lippen: die Erzählung wurde immer bedrohlicher.

»Meine kleine Najade girrte ihr Liedchen am Bette ihres Büchleins; als ich sah, daß sie sich, indem sie den untern Theil meines Kleides berührte, mir nähern wollte, fiel es mir nicht ein, sie schlimm zu empfangen und dies um so mehr, als im Ganzen eine Göttin, mag sie auch nur zweiten Rangs sein, immer mehr werth ist als eine sterbliche Prinzessin. Ich redete die Najade an, und sie sagte mir Folgendes, indem sie in ein Gelächter ausbrach:

»»Stellt Euch vor, Prinzessin.«« Ihr begreift, Sire, die Najade spricht.«

Der König machte ein bejahendes Zeichen. Madame fuhr fort:

»»Stellt Euch vor, Prinzessin, daß die Ufer meines Baches vorhin Zeugen eines äußerst belustigenden Schauspiels gewesen sind. Zwei neugierige Schäfer, neugierig bis zur Indiscretion, haben sich auf eine ergötzliche Weise durch drei Nymphen oder drei Schäferinnen mystificiren lassen.«« Ich bitte Euch um Verzeihung, ich weiß nicht mehr, ob sie Nymphen oder Schäferinnen gesagt hat. Doch gleichviel, nicht wahr? Weiter also.«

Bei diesem Eingang erröthete der König sichtbar, und Saint-Aignan, der ganz die Fassung verlor, sing an, die Augen auf das Allerängstlichste zu verdrehen.

»»Die zwei Schäfer,«« fuhr meine kleine Najade immer lachend fort, »»folgten der Spur der drei Fräulein,«« nein, ich will sagen, der drei Nymphen, verzeiht, ich täusche mich, der drei Schäferinnen. Das ist nicht immer vernünftig, und es kann diejenigen belästigen, welchen man folgt. Ich appellire an alle diese Damen, und nicht eine von den anwesenden wird mich Lügen strafen, dessen bin ich gewiß.«

Sehr in Angst über das, was nun kommen sollte, stimmte der König mit der Geberde bei.

»»Aber,«« fuhr die Najade fort,,»,die Schäferinnen hatten Tiocis und Amyntas in das Gehölze schleichen sehen; und mit Hilfe des Mondes hatten sie dieselben durch die Baumgruppen erkannt.«« Oh! Ihr lacht,« unterbrach sich Madame. »Wartet, wartet, Ihr seid noch nicht beim Ende.«

Der König erbleichte, Saint-Aignan wischte sich seine von Schweiß befeuchtete Stirne ab.

Es war in den Gruppen der Frauen ein kleines unterdrücktes Gelächter, verstohlenes Geflüster bemerkbar.

»Die Schäferinnen,«« sagte ich, »»als sie die Indiscretion der Schäfer wahrnahmen, setzten sich an den Fuß der Königseiche, und als sie fühlten, daß ihre unbescheidenen Horcher ihre Stellung so genommen hatten, daß sie kein Wort von dem verloren, was gesagt werden würde, richteten sie an dieselben auf das Allerunschuldigste der Welt eine entflammende Erklärung, deren Ausdrücke die aller Menschen, und selbst den sentimentalsten Schäfern natürliche Eitelkeit süß wie Honigstrahlen für die zwei Zuhörer erscheinen ließ.««

Bei diesen Worten, welche die Versammlung nicht ohne zu lachen anhören konnte, ließ der König einen Blitz aus seinen Augen hervorspringen.

Saint-Aignan aber senkte seinen Kopf auf seine Brust. Und unter einem bitteren Gelächter seinen Aerger verbergend, sagte der König, indem er sich in seiner ganzen Höhe aufrichtete:

»Ah! das ist bei meinem Wort ein ganz reizender Scherz, und von Euch, Madame, auf eine nicht minder reizende Weise erzählt; aber habt Ihr denn auch wirklich die Sprache der Najaden verstanden?«

»Der Graf behauptet wohl, er habe die der Dryaden verstanden,« antwortete Madame lebhaft.

»Allerdings,« sprach der König, »doch Ihr wißt, es ist eine Schwäche des Grafen, daß er auf die Academie abzielt; zu diesem Behufe hat er alle Arten von Dingen gelernt, die Ihr zum Glück nicht wißt, und möglicher Weise könnte die Sprache der Wassernymphe zu der Zahl der Dinge gehören, die Ihr nicht studirt habt.«

»Ihr begreift, Sire,« erwiederte Madame, »bei solchen Umständen verläßt man sich nicht auf sich allein. Das Ohr eines Weibes ist nichts Unfehlbares, sagt der heilige Augustin; ich wollte mich auch durch andere Ansichten, als die meinige, erleuchten, und da meine Najade, die in ihrer Eigenschaft als Göttin Polyglottin ist . . . sagt man nicht so, Herr von Saint-Aignan?«

»Ja, Madame,« antwortete Saint-Aignan, aus der Fassung gebracht.

»Und da meine Najade, die in ihrer Eigenschaft als Göttin Polyglottin ist, Anfangs Englisch mit mir sprach, so befürchtete ich, wie Ihr sagt, schlecht verstanden zu haben, ließ die Fräulein von Tonnay-Charente, Montalais und La Vallière kommen, und bat meine Najade, nun in französischer Sprache die Erzählung zu wiederholen, die sie mir schon Englisch gemacht hatte.«

»Und sie that es?« fragte der König. »Oh! es ist die gefälligste Gottheit, die existirt. Ja, Sire, sie wiederholte die Erzählung. Somit bleibt kein Zweifel mehr. Nicht wahr, meine Fräulein,« sagte die Prinzessin, indem sie sich nach der Linken ihrer Armee wandte, »nicht wahr, die Najade hat ganz so gesprochen, wie ich erzähle, und ich habe mich auf keine Art gegen die Wahrheit verfehlt. Philis? . . . Verzeiht, ich täusche mich, Fräulein Aure von Montalais, ist es so?«

»Oh! ganz und gar, Madame,« antwortete Montalais mit völlig festem Ton.

»Es ist so, Fräulein von Tonnay-Charente?«

»Die reine Wahrheit,« antwortete Athenais mit nicht minder fester, aber weniger verständlicher Stimme.

»Und Ihr, La Vallière?« fragte Madame. Die Arme fühlte den glühenden Blick des Königs auf sich gerichtet; sie wagte es nicht, zu leugnen, sie wagte es nicht, zu lügen, und senkte den Kopf zum Zeichen der Beistimmung.

Nun erhob sich ihr Kopf nicht wieder, halb vereist, wie sie war, durch eine Kälte, die noch schmerzlicher, als die des Todes.

Diese dreifache Zeugschaft schlug den König nieder. Was Saint-Aignan betrifft, so machte er nicht einmal einen Versuch, seine Verzweigung zu verbergen, und er stammelte, ohne zu wissen, was er sagte:

»Ein vortrefflicher Scherz! gut gespielt! meine Damen Schäferinnen.«

»Eine gerechte Strafe für die Neugierde,« sprach der König mit heiserer Stimme. Oh! wem würde es nach der Bestrafung von Tiocis und Amyntas einfallen, erlauschen zu wollen, was in den Herzen der Schäferinnen vorgeht? Mir sicherlich nicht . . . und Euch, meine Herren?«

»Mir auch nicht! mir auch nicht!« wiederholte im Chor die Gruppe der Höflinge.

Madame triumphirte über diesen Verdruß des Königs; sie ergötzte sich ungemein, denn sie glaubte, ihre Erzählung sei die Entwicklung von Allem gewesen, oder sie müßte dies sein.

Monsieur aber, der über diese doppelte Erzählung gelacht hatte, ohne etwas davon zu verstehen, wandte sich an Guiche und sprach:

»Nun! Graf, Du sagst nichts. Du findest also nichts zu sagen? Solltest Du zufällig die Herren Tiocis und Amyntas beklagen?«

»Ich beklage sie von ganzer Seele,« antwortete Guiche; »denn, in der That, die Liebe ist eine so süße Chimäre, daß sie verlieren, obgleich es eine Chimäre ist, mehr als das Leben verlieren heißt. Wenn also diese beiden Schäfer geliebt zu sein geglaubt haben, wenn sie sich glücklich gefühlt, und statt dieses Glückes nicht nur die Leere finden, die dem Tode gleichkommt, sondern auch eine Verspottung der Liebe, die so viel ist, als ein hunderttausendfacher Tod . . . Nun, ich sage, Tiocis und Amyntas sind die zwei unglücklichsten Menschen, die ich kenne.«

»Und ihr habt Recht, Herr von Guiche,« sprach der König, »denn der Tod ist am Ende sehr hart für ein wenig Neugierde.«

»Damit ist also gesagt, die Geschichte meiner Neugierde habe dem König mißfallen?« fragte Madame naiv.

»Oh! Madame, Ihr täuscht Euch,« antwortete Ludwig, indem er die Hand der Prinzessin nahm, »Eure Neugierde hat mir um so mehr gefallen, als sie wahrhafter gewesen ist, und als Ihre Erzählung durch unverwerfliche Zeugnisse unterstützt wird.«

Diese Worte fielen auf la Vallière mit einem Blick, den Keiner, von Sokrates bis auf Montaigne, vollkommen zu besinnen vermocht hätte.

Diese Worte und dieser Blick lähmten vollends da, unglückliche Mädchen, das, auf die Schultern von Montalais gestützt, das Bewußtsein verloren zu haben schien.

Der König stand auf, ohne diesen Vorfall zu bemerken, auf den übrigens Niemand Achtung gab, und gegen seine Gewohnheit, denn er blieb in der Regel bis sehr spät bei Madame, nahm’ er Abschied, um in seine Gemächer zurückzukehren.

Saint-Aignan folgte ihm, ebenso verzweiflungsvoll bei seinem Abgange, als er sich freudig bei seinem Eintritt gezeigt hatte.

Weniger empfänglich für Gemüthsbewegungen, als la Vallière, erschrack Fräulein Tonnay-Charente kaum und wurde durchaus nicht ohnmächtig.

Der letzte Blick von Saint-Aignan war indessen bedeutend majestätischer gewesen; als der letzte Blick des Königs.

XIV.
Königliche Psychologie

Der König kehrte mit raschen Schritten nach seinen Gemächern zurück.

Ludwig der XIV. ging vielleicht so schnell, um nicht zu wanken. Er ließ etwas wie die Spur einer geheimnißvollen Trauer hinter sich.

Die Heiterkeit, die Jeder in seiner Haltung bei seiner Ankunft wahrgenommen, und über die sich Jeder gefreut, Niemand hatte sie vielleicht ergründet: aber diesen so stürmischen Abgang, dieses so verstörte Gesicht begriff Jeder, oder glaubte es wenigstens leicht zu begreifen.

Die Leichtfertigkeit von Madame, ihre für einen argwöhnischen Charakter etwas rohen Scherze, die allerdings zu vertrauliche Zusammenstellung dieses Königs mit einem gewöhnlichen Menschen, dies waren die Gründe, die sich die Versammlung für den heftigen und unerwarteten Abgang des Königs angab.

Sonst hellsichtiger, sah Madame hierin Anfangs nichts Anderes. Es war für sie genug, eine kleine Eitelkeitsfolter demjenigen auferlegt zu haben, der, so rasch eingegangener Verbindlichkeiten vergessend, es als seine Aufgabe zu betrachten schien, die edelsten und erhabensten Sachen zu erobern und zu verachten.

In der Lage, in der sich die Dinge befanden, war es nicht ohne eine gewisse Bedeutung für Madame, dem König zu zeigen, welch ein Unterschied es sei, wenn man hohen Ortes liebe, oder wenn man Liebeshändel betreibe, wie ein Junker aus der Provinz.

Bei einer solchen großen Liebe, die ihr Königthum und ihre Allmacht fühlte und gleichsam ihre Etiquette und ihre Ostentation hat, vergab ein König nicht nur seiner Würde nichts, sondern er fand sogar Ruhe, Sicherheit, Geheimniß und allgemeine Achtung.

In der Erniedrigung zu gemeinen Liebschaften, traf er selbst bei seinen geringsten Unterthanen Glossen und Spott; er verlor seinen Charakter als unfehlbar und unverletzlich. In die Region des kleinen menschlichen Elends hinabsteigend unterzog er sich den armseligen Stürmen desselben.

Mit einem Wort aus dem Gott-König einen einfachen Sterblichen machen, indem man ihn am Herzen oder vielmehr sogar im Gesicht berührte wie den letzten seiner Unterthanen, hieß einen furchtbaren Schlag dem Stolz dieses edlen Blutes beibringen: man unterwarf und fesselte Ludwig mehr noch durch die Eitelkeit, als durch die Liebe. Madame hatte ihre Rache weise berechnet; sie hatte sich auch gerächt, wie man gesehen. Man glaube jedoch nicht, Madame habe die schrecklichen Leidenschaften der Heldinnen des Mittelalters gehabt und die Dinge unter ihrem düsteren Anblick an’ gesehen; jung, anmuthig, geistreich, gefallsüchtig, verliebt, mehr aus Phantasie, durch die Einbildungskraft oder aus Ehrgeiz, weihte Madame im Gegentheil jene Epoche leichter vorübergehender Vergnügungen ein, welche die hundert und zwanzig Jahre bezeichnete, die zwischen der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts und drei Vierteln des achtzehnten vergingen.

Madame sah nun die Dinge oder glaubte sie wenigstens unter ihrem wahren Gesichtspunkte zu sehen; sie wußte, daß der König, ihr erhabener Schwager, zuerst über die demüthige la Vallière gelacht hatte, und daß es nach seinen Gewohnheiten nicht wahrscheinlich war, er würde je die Person anbeten, über die er, wenn auch nur einen Augenblick, hatte spotten können.

War nicht überdieß die Eitelkeit da, dieser flüsternde Dämon, der eine so große Rolle in der dramatischen Komödie spielt, die man das Leben einer Frau nennt; sagte nicht die Eitelkeit ganz laut, ganz leise, mit halber Stimme, in allen möglichen Tonarten, sie eine Prinzessin, jung, schön, reich, könne nicht mit der armen la Vallière verglichen werden, die zwar allerdings ebenso jung als sie, aber viel weniger hübsch und ganz arm? Und darüber darf man sich bei Madame nicht wundern: man weiß, die größten Charaktere sind diejenigen, die sich am meisten in der Vergleichung schmeicheln, die sie von sich mit Anderen, von Anderen mit sich anstellen.

Man wird vielleicht fragen, was Madame mit diesem so geschickt combinirten Angriff wollte? Warum so viele Kräfte entwickelt wurden, wenn es sich nicht darum handelte, den König im Ernst aus einem ganz neuen Herzen zu vertreiben, in dem er sich einzuquartieren gedachte? hatte Madame nöthig, la Vallière eine solche Wichtigkeit zu geben, weil sie Madame nicht fürchtete?

Nein, Madame fürchtete la Vallière nicht, aus dem Gesichtspunkt eines Geschichtschreibers, der die Dinge weiß und die Zukunft oder vielmehr die Vergangenheit sieht; Madame war auch keine Prophetin oder Sybille; Madame konnte eben so wenig, als eine Andere, in dem furchtbaren, unseligen Buch der Zukunft lesen, welches in seinen geheimen Blättern die ernstesten Ereignisse bewahrt.

Nein, Madame wollte den König ganz einfach dafür bestrafen, daß er gegen sie eine ganz weibliche Geheimnißkrämerei getrieben hatte; sie wollte ihm ganz klar beweisen, daß, wenn er von dieser Art von Angriffswaffen Gebrauch mache, sie, eine Frau von Geist und Geschlecht, sicherlich im Arsenal ihrer Einbildungskraft, selbst gegen die Streiche eines Königs stichhaltige, Waffen finden würde.

Auch wollte sie ihm beweisen, daß es bei solchen Kriegen keine Könige mehr gibt, oder wenigstens, daß die Könige, für ihre eigene Rechnung kämpfend, wie gewöhnliche Menschen, ihre Krone beim ersten Schlag fallen sehen können; daß endlich, wenn er, ganz von vorne herein, bei seinem Anblick allein, von allen Frauen seines Hofes angebetet zu werden gehofft habe, dieß eine vermessene, verletzende, menschliche Anmaßung bei gewissen Frauen von höherer Stellung, als die anderen wäre, und daß die gerade auf das zu hohe und zu stolze königliche Haupt fallende Lection wirksam sein würde.

Dieß waren sicherlich die Reflexionen von Madame in Beziehung auf den König.

Das Ereigniß selbst kam nicht in Betracht.

Man steht auch, daß sie auf den Geist ihrer Ehrenfräulein hingewirkt und in allen ihren Einzelheiten die Komödie vorbereitet hatte, die gespielt worden war.

Der König war ganz davon betäubt. Seit er Herrn von Mazarin entkommen, sah er sich zum ersten Mal als Mensch behandelt.

Eine solche Strenge von Seiten seiner Unterthanen hätte ihm Stoff zum Widerstand geliefert. Die Kräfte wachsen im Streit.

Aber Frauen angreifen, von ihnen angegriffen werden, von kleinen Provinzmädchen, welche ausdrücklich hierzu von Blois gekommen, hintergangen worden sein, dieß war das höchste Maß der Schmach für einen jungen König, der voll von der Eitelkeit, die ihm zu»gleich seine persönliche Vorzüge und seine königliche Gewalt einflößten.

Nichts zu machen, weder Vorwürfe, noch Verbannung, noch Schmollen.

Schmollen, damit hätte man gestanden, man sei von einer spitzigen Waffe, von der Waffe der Lächerlichkeit getroffen worden.

Frauen schmollen! Welche Demüthigung! besonders, wenn die Frauen den Spott zur Rache haben.

Oh! wenn statt,Frauen die ganze Verantwortlichkeit zu überlassen, ein Höfling sich in diese Intrigue gemischt hätte, mit welcher Freude würde Ludwig XIV. diese Gelegenheit ergriffen haben, um die Bastille zu benützen.

Aber auch der königliche Zorn blieb, durch das Raisonnement zurückgestoßen, stille stehen.

Eine Armee, Gefängnisse, eine beinahe göttliche Macht besitzen und diese ganze Allmacht in den Dienst eines elenden Grolls stellen, war nicht nur eines Königs, sondern selbst eines Menschen unwürdig.

Es handelte sich also ganz einfach darum, stillschweigend die Schmach zu verschlucken, und mit seinem Gesichte dieselbe Zahmheit, dieselbe Leutseligkeit zur Schau zu stellen.

Es handelte sich darum, Madame als Freundin zu behandeln. Als Freundin? Warum nicht.

Entweder war Madame die Anstifterin des Ereignisses, oder hatte sie das Ereigniß passiv gefunden.

War sie die Anstifterin gewesen, so erschien dieß sehr keck von ihr; war dies aber nicht ihre natürliche Rolle?

Wer hatte sie in den süßesten Augenblicken des Honigmondes aufgesucht, um eine Liebessprache mit ihr zu sprechen? Wer hatte sich erdreistet, die Chancen des Ehebruchs, ja sogar der Blutschande zu berechnen? wer hatte hinter seiner königlichen Allmacht verschanzt, zu der jungen Frau gesagt: seid ohne Furcht, liebt den König von Frankreich, er steht über Allen, und eine Geberde seines mit dem Scepter bewaffneten Armes wird Euch gegen Männiglich, selbst gegen Eure Gewissensbisse beschützen!

Die junge Frau hatte dem königlichen Worte gehorcht oder vielmehr dieser bestechenden Stimme nachgegeben, und nun, da sie das moralische Opfer ihrer Ehre gebracht, sah sie sich für dieses Opfer durch eine Untreue belohnt, die um so demüthigender, als sie zur Ursache eine Frau hatte, die bei Weitem geringer, als diejenige, welche sich von Anfang geliebt geglaubt.

War also Madame die Anstifterin der Rache gewesen, so hatte Madame Recht gehabt.

War sie dagegen bei diesem ganzen Ereigniß passiv geblieben, welchen Grund hatte der König, ihr zu grollen?

Mußte sie oder konnte sie vielmehr den Erguß einiger Provinzzungen hemmen? mußte sie durch ein Uebermaß schlecht verstandenen Eifers die Impertinenz von drei kleinen Mädchen auf die Gefahr, sie giftig zu machen, zurückdrängen?

Alle diese Betrachtungen waren eben so viele empfindliche Stiche für den Stolz des Königs; nachdem er aber alle diese Beschwerden in seinem Geiste recht durchgegangen hatte, wunderte sich Ludwig, nach abgeschlossener Reflexion, das heißt, nachdem die Wunde verbunden, daß er andere dumpfe, unerträgliche, unbekannte Schmerzen fühlte.

Und was er sich selbst nicht zu gestehen wagte, war, daß die stechenden Berührungen ihren Sitz im Herzen hatten.

Der Geschichtschreiber muß auch den Lesern gestehen, wie es der König sich selbst gestand, er hatte sich das Herz durch die naive Erklärung von la Vallière kitzeln lassen; er hatte an reine Liebe, an Liebe für den Menschen, an eine Liebe frei von jedem Interesse geglaubt; und seine Seele, jünger und besonders naiver, als sie es vermuthete, war dieser anderen Seele entgegengesprungen, die sich ihm durch ihren Ausflug verrathen hatte.

Die ungewöhnlichste Sache in der sehr zusammengesetzten Geschichte der Liebe ist die doppelte Einimpfung der Liebe in zwei Herzen; es gibt eben so wenig Gleichzeitigkeit, als Gleichheit; der eine Theil liebt beinahe immer vor dem andern, wie der eine am Ende nach dem andern liebt.

Der elektrische Strom bildet sich auch nach Maßgabe der Intensität der ersten Liebe, die sich entzündet.

Je mehr Fräulein de la Vallière Liebe gezeigt, desto mehr hatte der König davon empfunden.

Und das war gerade, was den König in Erstaunen setzte.

Denn es war für ihn ganz erwiesen, daß kein sympathetischer Strom sein Herz hatte hinreißen können, da dieses Geständniß nicht Liebe, da dieses Geständniß nur eine dem König und dem Menschen angethane Beleidigung, da es endlich, und dieses Wort brannte wie ein glühendes Eisen, da es endlich eine Mystification war.

So hatte dieses kleine Mädchen, dem man, streng genommen, Alles absprechen konnte, Schönheit, Geburt, Geist, so hatte dieses Mädchen, von Madame selbst gerade wegen seiner Demuth gewählt, nicht nur den König herausgefordert, sondern sogar den König verachtet, das heißt einen Menschen verachtet, der, wie ein Sultan Asiens, nur mit den Augen zu suchen, die Hand auszustrecken, das Schnupftuch fallen zu lassen brauchte.

Und vom Tage vorher an war er dergestalt mit dieser Kleinen beschäftigt gewesen, daß er nur noch an sie gedacht, von ihr geträumt; seit dem Tage vorher hatte sich seine Einbildungskraft daran ergötzt, daß sie ihr Bild mit allen Reizen, die sie nicht besaß, geschmückt; er, den so viele Angelegenheiten in Anspruch nahmen, den so viele Frauen riefen, hatte endlich seit dem vorhergehenden Tage alle Minuten seines Lebens, alle Schläge seines Herzens dieser einzigen Träumerei gewidmet.