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Loe raamatut: «Der Graf von Moret», lehekülg 52

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Dem Capuziner widerstrebte es, diesen Männern, mit denen er doch von nun an Hand in Hand zu gehen hatte« die Hand zu reichen.Der Eine, Monod, war ja sein bisheriger Todfeind und der Andere, Caussin, der sich jetzt als Verräther entlarvt hatte, blieb als solcher verächtlich in seinen Augen, denn er konnte nicht gleich ihm zu seiner Entschuldigung die Gefühle einer bitteren Enttäuschung geltend machen.

Pater Joseph beschränkte sich also auf eine kurze Verbeugung zum Abschiede und eilte hastig an Bassompierres Seite zu dem Thore hinab, durch welches er mit Madame du Fargis vor etwa zwei Stunden eingetreten war.

Die Sonne schien bereits hell am Himmel. Pater Joseph, von Gefühlen der verschiedensten Art bestürmt, eilte in das Kloster »der Brüder vom Calvarienberge«, wo er eine Zelle inne hatte, nicht geräumiger und nicht besser, als sie der letzte seiner Ordensbrüder besaß.

IV.
Ein pfiffiger Bote

»Oho!« rief Latil unwillkürlich aus, als sein scharfes Auge Bassompierre gewahrte, der sich von der »grauen Eminenz« beim Thore des Louvre mit einer so tiefen Verbeugung verabschiedet hatte, daß selbe zu dem einfachen Gewande des Mönches einen gar zu auffallenden Contrast bildete.

»Soll ich ihn verfolgen?« frug sich der Gascogner.

»Nein und zehnmal nein!« war die Antwort, die er sich selbst ganz laut gab.

»Den Capuziner weiß ich zu finden,« fuhr er in seinem Monologe fort, »aber der Teufel soll mich holen, wenn Bassompierre die einzige intime Bekanntschaft ist, die der Pfaffe mit dem steinernen Gesicht heute Morgens du drüben gemacht.«

Der alte Klopffechter rührte sich nicht hinter dem dicken Kastanienbaume, der ihn barg.

Zehn Minuten später erblickte er Caussin und Monod, die durch dasselbe Thor den Louvre verließen.

»Den Ersten kenne ich und den Zweiten glaube ich zu kennen,« murmelte Latil und er rührte sich noch nicht von der Stelle.

Es verstrichen abermals zehn Minuten.

Madame du Fargis am Arme Bassompierre's trat aus dem Thore.

»Der Louvre hat doch so viele Thore,« brummte Latil vor sich, »warum kommen sie Alle gerade da heraus? Die Dame an Bassompierrer Arme ist der Page von früher, oder mein ganzes Leben soll keine Lüge mehr über meine Lippen kommen. Sacredieu! jetzt scheint der Käfig leer. Jetzt, Latil, wird es sich zeigen, ob Du in die Bastille spazirst oder Capitän wirst.«

Der Gascogner schlich Bassompiere und seiner Begleiterin in weiter Ferne nach.

Bassompierre blieb vor der Klosterpforte »der Brüder vom Calvarienberge« stehen und pochte. Nach einer kurzen Unterredung mit dem Pförtner erhielt er Einlaß.

Latil strich mit der Rechten höchst vergnügt seinen Kinnbart und mit der linken Hand, die den Griff seines langen Stoßdegens hielt, schlug er wiederholt dessen untere Scheide an seine dürren Waden.

Dann ging er gemächlich wieder in der Richtung zur Seine hinab, musterte aber aufmerksam alle die vielen Personen, welche ihm theils entgegenkamen, theils ihm vorauseilten. Es waren dies fast durchgängig Wasserträger, Marktleute, Kaminfeger, Diener, Mägde u. Dgl., welche in dieser frühen Stunde ihren gewöhnlichen Morgengeschäften nacheilten.

Keine einzige der vielen Physiognomien, die er im Vorbeipassiren gemustert, schien seinem Zwecke zu taugen.

Endlich an der Seine selbst traf er einen Savoyardenknaben, der eben dort mit seiner Morgentoilette zu Ende kam, das heißt er hatte sich einige Hände voll Wasser ins Gesicht geplätschert und dann mit seinen Fingern dass dichte struppige Kopfhaar gekämmt.

Der Bursche sah sehr verwahrlost, aber sehr pfiffig aus.

Latil betrachtete ihn einige Augenblicke und rief dann: »He, Junge,mir scheint, Du hast noch kein Frühstück zu Dir genommen?«

»Bin meinem Magen noch von gestern das Abendessen und die Mittagskost schuldig,« entgegnete lachend der Savoyardenknabe.

»Ich fürchte sehr,« fuhr Latil fort, »Du wirft auch heute den Credit deiner Verdauungswerkzeuge in Anspruch nehmen müssen.«

»Was thut's,« sagte der Junge achselzuckend mit unverwüstlicher Laune; »das Hungern bin ich schon aus der Heimat gewöhnt; – stehlen mag ich nicht, betteln mag ich nicht und Verdienst gibts keinen, warten wir also bis der liebe Gott ein Stück Brot vom Himmel herunterfallen läßt.«

»Wenn aber doch keines herunterfällt, wenn Du darüber zu Grunde gehst, was dann?« rief Latil, den die Lebensphilosophie dieses Kindes unwillkürlich anzog.

»Zu Grunde gehen? Nein, das läßt der liebe Herrgott nicht zu, der selbst die Sperlinge füttert; so sagte meine Mutter, als ich vor zwei Jahren unsere armen Berge verließ, und die Mutter muß es doch wissen!« erwiderte der Knabe eifrig und mit einer Bestimmtheit, die selbst den rohen Latil ergriff.

»Gut,« sagte er, »deine Mutter soll Recht haben; ich will Dir eine Pistole zu verdienen geben.«

»Wie viel Geld ist dass, frug der Knabe und stellte sich von Diensteifer bereits erglühend vor den Gascogner hin.

»Ein Goldstück, da schau her – so sieht es aus, und wenn Du es wechseln läßt, bekommst Du so viel Münze, daß Du nach deiner Art wenigstens einen ganzen Monat hindurch dreimal des Tages gut essen kannst nach Herzenslust.«

»Da werde ich die Hälfte der Mutter schicken und drei Monate davon leben,« erwiederte rasch der Knabe, »aber – «

»Nun« was aber?«

Der Junge machte eine halb traurige, halb zornige Miene und sagte:

»Ihr scherzt entweder blos, oder Ihr verlangt etwas Unrechtes von mir.«

»Und wenn es das Letztere wäre?« forschte der Klopffechter.

»Dann könnt Ihr Euer Geldstück behalten!« entgegnete der Knabe mit der Festigkeit eines Mannes.

Latil blickte mit einer gewissen Bewunderung das Kind an und sagte:

»Mir scheint, Knabe, Du bist selbst von dem Himmel herunter gefallen, von dem Du ein Stück Brot erwartest, – sei ruhig,·Du wirst Dir ehrlich das Geld verdienen ; komme mit – da, verzehre indessen diesen Lebkuchen, er ist so gut, als je nur einer aus Meister Soleils Küche hervorging.«

Der arme ausgehungerte Knabe biß gierig in den Leckerbissen, den Latil aus einer seiner geräumigen Taschen gezogen und ihm hingereicht hatte.

Latil lenkte seine Schritte zum Kloster »der Brüder vom Calvarienberge« zurück.

Als er und sein junger Begleiter von demselben noch etwa hundert Schritte entfernt waren, blieb Latil stehen und sagte:

»Kennst Du vielleicht den Pater Monod, deinen Landsmann?«

Der Knabe, der eben an den letzten Bissen des Lebkuchens kaute, würgte aus den vollen Backen ein »Nein« heraus.

»Thut nichts!« erwiderte Latil nach kurzem Besinnen, »poche nur an der Klosterpforte und frage ob nicht Pater Monod vor einer Stunde dort eingetreten ist. Du hättest ihm eine Botschaft auszurichten.«

»Und diese Botschaft lautet?« frug der Knabe

»Esel!« brummte Latil ärgerlich.

»Die Botschaft werde ich Dir schon sagen. wenn Du wieder zurück bist. Sobald Du die Auskunft hast, springst Du hurtig davon; ich erwarte Dich hier bei der Straßenecke.«

Der Junge kam bald mit der vom Pförtner erhaltenen Antwort zurück, daß zwei Väter der Gesellschaft Jesu bei Pater Joseph auf Besuch sich befänden, daß einer derselben möglicher Weise der Gesuchte sei, daß es aber jetzt nicht anginge, Jemanden hinauf zu lassen, weil vor Kurzem auch noch ein Herr und eine Dame vom Hofe dazugekommen wären.

Latil wußte genug, er war sehr zufrieden.

»Ich werde nicht in die Bastille spazieren.« lächelte er vor sich sehr vergnügt hin. »Jetzt ist es noch nicht ganz sieben. Ich werde »der grauen Eminenz« statt um acht erst um neun Uhr meine Aufwartung machen« – nun aber, Knabe da nimm dein Goldstück und komme mit zu Meister Soleil; ich will Dich einführen als Stammgast in sein Wirthshaus »zum gefärbten Bart«. – Pardieu! von nun an sollst Du wenigstens alle Tage einmal zu essen haben – doch, wie ist dein Name, mein Kind, und in welcher Gegend bist Du geboren, Du kleines Murmelthier?«

»Georges Gravé, und die Hütte, die meine gute Mutter mit noch drei kleineren Geschwistern bewohnt – der Vater ist vor zwei Jahren im Steinbruche umgekommen – liegt in der Faucigny an der Arve nächst Lallanches.«

»Und wie alt bist Du?«

»Mit heutigen Tage dreizehn Jahre.«

Latil griff in die Tasche und reichte dem kleinen Gravé ein zweites Goldstück.

»Und was soll ich dafür thun?« frug der Knabe, der sein heutiges Glück gar nicht zu fassen wußte.

»Behalten als Geburtstagsgeschenk,« entgegnete der Gascogner kurz; »wird ohnehin das erste sein, das Du je in deinem Leben bekamst.«

Inzwischen waren der Klopffechter und der kleine Gravé in die Rue de l'Hhomme zu Meister Soleils Haus gelangt.

Der Wirth beeilte sich die verlangten Speisen aufzutischen und wieder von dem Weine zu bringen, welchem die heutige ganze Nacht hindurch Latil bereits bis zum Uebermaße zugesprochen hatte.

»Und wird dieses zerlumpte Murmelthier da an Eurem Tische essen?« frag Meister Soleil etwas verwundert, als der Savoyardenknabe auf Latils Geheiß gerade ihm gegenüber Platz genommen.

»Ihr werdet gut thun, Meister Soleil, in Zukunft von meinem jungen Freunde da in gewählteren Ausdrücken zu sprechen; ich habe mich selbst zu seinem Protector ernannt und den kleinen Gravé bereits angewiesen, sich auf meine Kosten täglich in Eurer Küche zu zeigen; verstanden?«

Der Wirth, der vor dem Klopffechter, wie wir schon von früher her wissen, einen außerordentlichen Respect hatte, weil sein Gast nicht nur ein guter Zecher, sondern auch ein ehrlicher Zahler war, wenn auch zwischen Zeche und Zahlung öfters Monate inzwischen lagen, verbeugte sich.

Nachdem Latil einige Schoppen getrunken hatte, während welcher Zeit der kleine Gravé eine sehr große kalte Kalbskeule fast ganz verschlang, rief er abermals den Wirth und sagte:

»Sendet mir nach dem Kleidertrödler da drüben, er soll gleich mitbringen, was dem kleinen Kerl da allenfalls passen mag.«

Einen großen Pack unter dem Arme trat fünf Minuten später der Hebräer ein.

Der Handel war bald geschlossen, da Latil heute seine generöse Laune hatte und so ziemlich den ganzen Preis bezahlte, den der Jude gefordert.

Der kleine Savoyarde fühlte sich so glücklich, daß er sich mit Erstaunen fortwährend in seinen neuen Kleidern betrachtete und selbst betastete.

Als acht Uhr vorüber war. bezahlte Latil seine Wirthshausrechnung, befahl sein Pferd zu satteln und sagte zu seinem Schützling:

»Nun passe auf. mein kleiner Georges; ich gehe jetzt fort und Du wirst mir meine Stute am Zügel nachführen. Du findest doch wieder zur Stelle, wo ich Dich erwartete, als Du zum Pförtner gingst?«

Der Knabe bejahte.

»Nun gut, dort wartest Du.«

Latil mochte sich auf den Weg.

Eine gute Viertelstunde später trat er in das Kloster »der Brüder vom Calvarienberge« ein.

Der Pförtner, welcher ihn schon vor einigen Monaten so oft zur »grauen Erninenz« kommen gesehen, ließ ihn ungehindert ein.

»Ist Pater Joseph zu Hause und allein?« frug Latil.

»Ja.« lautete die kurze Antwort.

»Der Clubb ist also schon auseinander,« dachte der Gascogner; »es war vielleicht gut, daß ich ein Stündchen zugegeben! Latil, Latil, mir scheint, Du bist heute ein verflucht »gescheidter Kerl.«

Wenige Minuten später trat Latil bei Pater Joseph ein, in dessen Auge ein Blitz dämonischer Freude aufleuchtete, als er den Boten des Cardinals erblickte. Ohne ein Wort zu sprechen streckte er mit einer bei ihm ganz ungewöhnlichen Ungeduld dem Gascogner die flache Hand entgegen, als erwarte er, daß Latil ihm sofort einen Brief einhändigen werde.

»Nun?« rief der Capuziner nach einer längeren Pause, als der Gascogner noch immer keine Miene machte, nach seiner Brusttasche zu langen. »Nun, wo sind Eure Briefe?«

»Ich habe Euch, ehrwürdiger Vater, nur eine mündliche Botschaft auszurichten,« entgegnete Latil ganz keck, dann verdrehte er die Augen und setzte tief auffeufzend bei:

»Seine Eminenz sind sehr, sehr krank und werden vielleicht erst in zwei Wochen in Paris einzutreffen »vermögen.«

»Und wo befindet sich der Cardinal?«

»In Fontenay ist er vorgestern Abends angekommen, aber sein Leiden hatte sich plötzlich so verschlimmert. daß er selbst in der Sänfte nicht mehr weiterzureisen vermochte.«

Die Sänfte, von welcher Latil hier sprach, hatte riesige Dimensionen; um dieses Unding zu tragen, waren zwölf Mann erforderlich, welche alle halbe Stunde mit zwölf anderen abwechselten. – Der Umstand, daß mitunter sogar Stadtthore ausgebrochen werden mußten, um mit der Sänfte durchzukommen. mag von deren Breite einen kleinen Begriff geben.«

Besser ging es. wenn man einen schiffbaren Fluß erreicht hatte, da dann die Maschine auf Bote oder Flöße gesetzt wurde.

»Also in Fontenay befindet sich Richelieu? Ist Chicot bei ihm?« forschte der Capuziner weiter.

Chicot war des Cardinals Leibarzt, später wurde er auch der des Königs.

»Ja, und eben er befürchtet das Schlimmste.« erwiederte Latil und heuchelte eine große Traurigkeit.

Die Züge des Pater Joseph überflog ein Schatten des Unmuthes, er dachte an die Möglichkeit, daß der Mann sterben könnte, bevor er sich an ihm gerächt hatte.

»Wünscht Seine Eminenz, daß ich zu ihm eile?« frug er dann weiter.

»Euch davon abzuhalten hat mich Seine Eminenz eben hierher gesandt. Es soll alles Aufsehen vermieden werden, ja gar nicht einmal verlauten, daß es so schlimm um ihn stehe.«

»Reist Ihr nach Fontenay zurück oder bleibt Ihr hier?«

»Mein Pferd ist bereits gesattelt; gebt mir Euren Brief an den Cardinal, in einer halben Stunde später habe ich Paris im Rücken.«

»Wartet einen Augenblick,« gebot die »graue Eminenz«, setzte sich zu seinem Tischchen aus blankem Eichenholze und schrie Folgendes:

»Von Latil den Bericht über Euren Gesundheitszustand vernommen, – für den Augenblick hier keine Gefahr, beunruhigt Euch daher nicht. Der König befindet sich viel besser.«

Diesen mit laconischer Kürze abgefaßten Zettel übergab der Capuziner versiegelt dem Gascogner.

Latil empfahl sich. «

Die »graue Eminenz« grinste ihm höhnisch nach. Er verhoffte sich die beste Wirkung von seinem beruhigenden Rapporte, der aber gerade das Gegentheil von der wahren Sachlage enthielt.

Der kleine Georges wartete bereits an der bezeichneten Stelle mit der braunen Stute Latil's. Dieser stieg in den Sattel und rief dem Knaben dessen sehnsüchtiger Blick auf dem schönen, muthigen und dabei doch so lammfrommen Thiere haften blieben, zu: »He, Junge, willst Du Dir vielleicht auch einmal die Umgegend von Paris besehen?«

»Warum denn nichts« erwiderte der Savoyarde und seine Augen leuchteten vor Vergnügen.

»Dann kannst Du mit mir kommen,« sagte Latil, wandte sein Pferd zur Seite, packte den kleinen Georges am Kragen seiner Jacke und setzte ihn mit einem einzigen jähen Rucke auf die Croupe der Stute.

Georges machte sich im Nu auf dem Mautelsacke hinter Latil zurecht und hielt sich an seiner Degenkuppel fest.

»Bravo!« rief der Gascogner, »ich sehe jetzt, daß Du nicht nur ein gescheidter, sondern auch ein muthiger Bursche bist. Allons. meine schöne Ninon!« Und die Stute trabte lustig mit ihrer doppelten Last davon, durch welche sie aber nicht mehr belästigt wurde. als hätte sie einen einzigen Reiter von etwas schwererem Caliber zu tragen gehabt, denn das arme »Murmelthier« war zum Skelett ausgehungert und auch, Latils Körper hatte keinen Ueberfluß .von Fleisch aufzuweisen.

Auf dem halben Wege nach Melun hielt der Gascogner sein braves Pferd an, welches der zweistündige ziemlich scharfe Trott etwas in Schweiß gebracht hatte, zumal die Sonne ziemlich heiß brannte, obwohl man erst den 18. April zählte.

Ganz steif und wie gerädert glitt der kleine Gravé auf den Boden herab.

»Jetzt ist es gerade Mittagszeit für uns und die gute Ninon,« sagte Latil, indem er gleichfalls abstieg, das Pferd abzäumte und dasselbe ohne es anzubinden vor eine Futterraufe stellte.

Dann ließ er sich ganz in der Nähe vor dem Gasthofe mit seinem jungen Freunde bei einem Tische nieder. Beide erwiesen dem frugalen Mittagsmahle volle Ehre. Dann sagte Latil: »Jetzt passe auf. Junge, daß Niemand der Ninon vom Futter etwas wegstiehlt, oder sich bei meinem Mantelsacke zu thun macht. Ich werde ein Stündchen schlafen, denn seit drei Tagen habe ich kein Auge zugemacht. Sobald es zwei Uhr ist, weckst Du mich.«

Der Gascogner streckte sich der ganzen Länge nach auf die Bank.

Gegen die sechste Abendstunde finden wir Latil und seinen kleinen Begleiter bereits ganz in der Nähe von Melun. Statt aber nach dieser Stadt einzulenkem ritt er etwa eine halbe Meile vor derselben zur Fähre hinab, welche damals an jener Stelle den Verkehr zwischen dem linken und rechten Ufer der Seine vermittelte, und ließ sich übersetzen. Dann ritt er noch ein kleines Stündchen lang querfeldein, eine Richtung beobachtend, welche so ziemlich zwischen Fontainebleau und der Straße nach Orleans in der Mitte lag.

Bor einem einsamen Gehöfte hielt er endlich stille.

Der Anruf einer Wache, die hinter einem Gebüsche sich ganz versteckt gehalten hatte, erscholl und der Lauf einer Muskete glitzerte in der Abenddämmerung zwischen den Zweigen.

»Frankreich für immer;« gab Latil als Losung zurück.

»Passirt!« erwiderte der Wachtpostern.

Der Gascogner ritt in das Innere des einsamen Meierhofes.

Hier lagerte eine ganze Compagnie Soldaten in lautlosester Stille.

Capitän Cavois, den der Leser als Commandanten von Richelieu's Leibgarde schon von früher kennt, eilte auf Latil zu und sagte:

»Bereits dreimal hat Seine Eminenz nach Euch gefragt.«

»Konnte es nicht geschwinder machen,« entgegnete kurz angebunden der Gascogner und bevor er Cavois, der ins Wohngebäude bereits vorangeeilt war, nachfolgte, trug er dem kleinen Gravé auf, ja keinen Augenblick von Ninon zu weichen.

Richelieu, welchen Latil bei Pater Joseph in demnach zwanzig Lieues entfernten Fontenay beinahe mit dem Tode ringen ließ, schritt hastig im Gemache auf und ab. Gerade seit einigen Tagen befand er sich körperlich ungewöhnlich wohl, obschon er seit vierzehn Tagen die Beute einer noch größeren inneren Aufregung als sonst geworden war.

Die Nachrichten, die er in Turin aus Paris erhielt, lauteten immer eine schlimmer als die andere. Pater Joseph rieth ihm endlich dringend an, die Armee im Stiche zu lassen und nach Paris zu eilen, denn die Intrigue mit Fräulein Hautefort sei im besten Gange zum nahen sicheren Verderben der Cardinalisten und der Gesundheitszustand des Königs flöße bereits die allerernstesten Besorgnisse ein.

Richelieu hatte in der That den Rath der »grauen Eminenz« befolgt und das Commando in Italien dem Feldmarschall von Marillac übergeben, einem seiner ärgsten Todfeinde, wie wir wissen, aber darin lag eben ein großer und gelungener Kunstgriff. Hätte Richelieu einem seiner Anhänger das Commando in Italien abgetreten, so würde die Armee elendiglich zu Grunde gegangen sein, aus Mangel am Nothwendigsten. wie es vor ein paar Jahren unter Créqui schon einmal geschehen; so aber durfte man den den Königinnen unbedingt ergebenen Marillac nicht compromittiren oder gar im Stiche lassen, und wir müssen es also als eine ebenso kluge als großherzige That dem Cardinal anrechnen, daß er seinen ganz gerechtfertigten Haß gegen die Marillac der Existenz der in Feindesland stehenden französischen Armee zum Opfer brachte.

Wie kam aber Richelieu dazu, in diesem einsamen Gehöfte nur wenige Stunden von Paris die Rückkehr Eines Boten von dort zu erwarten, und war Latils Aeußerung, daß der Cardinal sich in Fontenay befinde, ganz und gar nur eine Erfindung des lügnerischen Gascogners?

Hören wir, wie es eigentlich züchtig

Richelieu war wirklich in Fontenay vorgestern abends angekommen hielt sich aber dort nur bis Mitternacht auf. Als einfacher Mönch gekleidet und blos von Cavois begleitet. ritt er auf einem Maulthier in das Gehöfte, wo wir ihn jetzt treffen. Eine Compagnie Musketiere, auf die er sich sicher verlassen konnte, war schau unter Tags ganz geräuschlos dahin dirigirt worden. In Fontenay jedoch blieb sein ganzer Hofstaat, darunter auch der Arzt Chicot zurück. Das Gerücht, der Cardinal sei plötzlich schwer krank geworden und durchaus unvermögend, die Reise fortzusetzen, wurde absichtlich stark verbreitet.

Es war ein doppelter Zweck, den der Cardinal hierdurch erreichen wollte. Erstens konnte die Intrigue in Paris wider ihn bereits schon so weit gediehen sein, daß man vielleicht sogar daran dachte, sich seiner Person zu versichern und in diesem Falle würde man in Fontenay das Nest leer gefunden haben, und zweitens war Richelieu, wenn es auch um ihn noch nicht so schlecht stand, durch seine Finte in der Lage, seine Feinde zu überraschen und unter denselben plötzlich wie eine Bombe zu platzen.

Von dieser seiner letzteren Absicht sollte in Paris Niemand eine Ahnung haben, als sein rechter Arm, der Pater Joseph, und der Brief. dessen Inhalt Latil kannte und den nicht abzugeben er für gut befand, enthielt in der That alle Pläne des Cardinals für die nächste Zukunft.

»Ich dachte schon. Dir wäre ein Unfall zugestoßen.« rief Richelieu dem eintretenden Gascogner entgegen, »wo ist die Antwort der » grauen Eininenz«?

»Antwort bekam ich keine von Pater Joseph,« entgegnete Latil in seiner gewohnten Keckheit, die er selbst dem Cardinal gegenüber nicht ganz zu unterdrücken vermochte, »aber einen Brief hat er mir mitgegeben.«

»Kerl, bist Du wieder einmal betrunken?« zürnte der Cardinal und öffnete, den ganz richtigen Sinn von Latils Entgegnung nicht verstehend, hastig des Capuziners Schreiben.

»Das soll Alles sein?« sagte verwundert den Kopf schüttelnd der Cardinal; »wo sind die Listen, die Verzeichnisse, die Rechnungen, die ich in meinem Schreiben gefordert?«

»Pater Joseph ist ganz unschuldig dabei,« bemerkte der Gascogner phlegmatisch.

»Wie so? warum? was weißt Du davon?«

»Weil ich ihm den Brief von Ew. Eminenz gar nicht übergeben habe!«

Richelieu prallte einen Schritt zurück und fixirte scharf den Sprecher, den er für verrückt oder betrunken hielt; als er sich aber überzeugte, daß keines von beiden der Fall sei, sagte er mit fürchterlichem Ernste:

»Ich werde Dich hängen lassen. Du Bestie!«

»Nicht einmal stäupen, Eminenz!« erwiderte rasch Latil, der keinen Augenblick seine ruhige Haltung verlor.

Ein so maßlos freches Benehmen machte sogar den Cardinal stutzig, der doch in seinem Leben an Ueberraschungen von mancherlei Art gewöhnt worden war.

Und nochmals ließ er seine Blicke forschend über den Gascogner gleiten, dann setzte er sich. plötzlich ruhig geworden, in den großen Lehnstuhl. der neben dem Camine stand, und sagte:

»Bei Gott! Du bist weder närrisch, noch betrunken und noch weniger ein Verräther; aber, Spitzbube, Du hast irgend einen pfiffigen Streich ausgeführt und willst jetzt dein Verdienst in die Höhe schrauben – also erzähle, Stephan.«

Wie wir schon bei früheren Gelegenheiten bemerkten, pflegte der Cardinal den bei ihm so sehr in Gnaden gekommenen Abenteurer in der Regel nur bei seinem Taufnamen zu nennen, was als ein besonderer Beweis seiner Gewogenheit gelten konnte.

Und Latil erzählte nun umständlich und aufrichtig Alles, von seiner gestrigen Ankunft in Paris und seiner Schwelgerei bei Meister Soleil angefangen bis zu seiner Bekanntschaft mit dem Savoyardenknaben.

Richelieu hörte ihm mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu. Als der Klopffechter zu Ende war. sagte der Cardinal kurz:

»Und ich werde Dich doch hängen lassen! «

»Wie, Eminenz?«

»So wahr Gott lebt, Du hängst!«

»Laßt sich daran gar nichts ändern?«

»Nicht ein Haar!«

»Geschieht mir am Ende recht,« brummte Latil düster vor sich, »warum wollte das Ei klüger sein als die Henne; hätte als Soldat einfach Ordre pariren, den Brief abgeben sollen; ja, ja, geschieht mir ganz recht, wozu hatte ich mich in die Intriguen der Kutten und Unterröcke hineinzumischen – Also wann soll ich schon daran?«

»Zwei Stunden nachdem Du geplaudert haben wirst!«

»Wie ?« schrie Latil, »versteh ich recht, so war es nur ein Scherz von Ew. Eminenz mit dem —«

»Der aber zum Ernste wird, zum fürchterlichen Ernste, sobald Du plauderst, gegen irgend Jemand nur mit einer Miene verräthst, was Du mir eben berichtet hast.« entgegnete Richelieu drohend, nahm dann den Brief des Pater Joseph abermals zur Hand, las ihn laut und sagte dann :

»Nun, Stephan, was hältst Du davon?«

»Daß der König sich besser befindet, ist erlogen,« rief Latil. »man sprach allgemein, daß er heute mit der letzten Oelung versehen werden soll und ein Lakei aus dem Louvre der Morgens auch in den »gefärbten Bart« zum Frühestück kam, hat es bestätigt.«

Todtenblässe überzog auf einen Augenblick Richelieu's Antlitz bei den letzten Worten des Gascogners und er murmelte vor sich : »Wenn ich zu spät käme!«

Latil. dessen feines Ohr diese Worte erreichten . That als ob er seine obige Rede noch nicht beendigt hätte, und fuhr fort :

»Doch hat derselbe Lakei ausdrücklich erwähnt , daß es eigentlich nicht gar so pressant wäre, der König liegt ja erst seit ein paar Tagen; aber die Herren Caussin und Monod hätten einmal ihre besonderen Absichten damit.«

Der Gascogner sprach wirklich die Wahrheit, Richelieu sah ihn scharf an und fühlte sich ziemlich beruhigt.

»Stephan!« sagte der Cardinal dann, »wenn Cavois heute oder morgen meinen Dienst verläßt, sollst Du seine Stelle bekleiden.«

»Wollten mir Ew. Eminenz das nicht gleich schriftlich geben?« entgegnete Latil rasch.

Richelieu lächelte und sprach : »Ein neuer Beweis, daß Du ein pfiffiger Spitzbube bist.«

Dann nahm er ein Blatt Papier zur Hand und schrieb:

»Ich ernenne den Stephan von Latil zum Nachfolger meines Gardecapitäns Cavois. Richelieu.«

Der Gascogner steckte hastig dieses Papier zu sich.

Der Cardinal griff inzwischen nach einem zweiten Blatte, das er dann gleichfalls Latil hinreichte; es lautete :

»Herr Charpentier hat meinem Gardelieutenant Latil fünfhundert Pistolen als Geschenk auszubezahlen.

Richelieu.«

Der Gascogner war wie versteinert. Der Cardinal klopfte ihm lächelnd auf die Schulter und sagte:

»Stephan, in drei Stunden brechen wir Zwei allein, verstehst Du allein nach Paris auf.«

»Darf ich meinen Schützling mitnehmen?«

»Du meinst deinen Savoyardenknaben? Meinetwegen; laß ihm einen leichten Klepper geben, wer weiß zu was der Junge noch zu brauchen ist.«

Latil verbeugte sich und verließ das Gemach.

Richelieu ließ traurig das Haupt auf die Brust sinken, als er allein war, und mit einem wehmüthigen Seufzer hauchte er vor sich hin: »Also auch er, mein Joseph, ein Verräther!«

Žanrid ja sildid
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10 detsember 2019
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