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Loe raamatut: «Die Gräfin von Charny Denkwürdigkeiten eines Arztes 4», lehekülg 16

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Es fehlte fortwährend an Mehl und Brod.

Alle Tage gab es Zusammenschaarungen vor der Thüre der Bäcker, und diese Zusammenschaarungen verursachten große Unordnungen. Wie aber denselben steuern?

Das Versammlungsrecht war geheiligt durch die Erklärung der Menschenrechte.

Doch die Nationalversammlung wußte nichts von Allem dem. Ihre Mitglieder waren nicht genöthigt, vor den Thüren der Bäcker Queue zu machen, und bekam zufällig eines von ihren Mitgliedern während der Sitzung Hunger, so war es sicher, in einer Entfernung von hundert Schritten frische kleine Brode zu finden bei einem Bäcker Namens François, der in der Rue du Marché-Palu, Bezirk von Notre-Dame, wohnte und, da er sechs bis acht Mal im Tage backte, immer eine Reserve für die Herren von der Nationalversammlung hatte.

Der Polizeilieutenant war also beschäftigt. Ludwig XVI. seine Befürchtungen in Betreff dieser Unordnungen mitzutheilen, welche sich an einem schönen Morgen in einen Aufstand verwandeln konnten, als Weber die Thüre des kleinen Cabinets der Königin öffnete und mit halber Stimme meldete:

»Die Frau Gräfin von Charny.«

XXV
Frau ohne Mann. – Liebende ohne Geliebten

Obgleich die Königin selbst Andrée hatte zu sich rufen lassen, obgleich sie folglich die Meldung, die man ihr machte, erwartete, bebte sie doch am ganzen Leibe bei den fünf Worten, welche Weber ausgesprochen.

Die Königin konnte sich nicht verhehlen, daß zwischen ihr und Andrée bei jenem, so zu sagen, vom ersten Tage, wo sie sich als junge Mädchen im Schlosse Taverney gesehen, abgeschlossenen Vertrage ein Austausch von Freundschaft und von Dienstleistungen stattgefunden, bei welchem Marie Antoinette immer die Schuldnerin gewesen.

Nichts aber ist den Königen so lästig, als diese eingegangenen Verbindlichkeiten, besonders wenn sie an den tiefsten Wurzeln des Herzens festhalten.

Hieraus erfolgte, daß die Königin, welche Andrée holen ließ, im Glauben, sie habe ihr große Vorwürfe zu machen, als sie sich von Angesicht zu Angesicht der jungen Frau gegenüber fand, sich nun der Verbindlichkeiten erinnerte, die sie gegen sie hatte.

Was Andrée betrifft, sie war immer dieselbe: kalt, ruhig, rein wie der Diamant, aber auch schockend und unverwundbar wie er.

Die Königin zögerte einen Augenblick, um sich zu besinnen, mit welchem Namen sie die weiße Erscheinung begrüßen sollte, die vom Schatten der Thüre in den Halbschatten des Zimmers überging und allmälig in den Lichtkreis eintrat, den die drei Kerzen des aus dem Tische stehenden Candelabers auswarfen.

Endlich streckte sie die Hand gegen ihre alte Freundin aus und sprach:

»Seien Sie willkommen, heute wie immer, Andrée.«

So stark und so vorbereitet sie in den Tuilerien erschien, so war es doch nun an Andrée, zu beben. Sie hatte in diesen Worten, welche die Königin an sie gerichtet, eine Erinnerung an den Ton erkannt, in dem einst die Dauphine mit ihr sprach.

»Brauche ich Eurer Majestät zu sagen,« erwiederte Andrée, die Frage mit ihrer gewöhnlichen Offenherzigkeit und Bestimmtheit adoptirend, »daß sie, würde sie immer so mit mir gesprochen haben, wie sie es so eben gethan, nicht nöthig gehabt hätte, wenn sie mit mir reden wollte, mich außerhalb des Palastes, den sie bewohnt, holen zu lassen?«

Nichts konnte der Königin besser dienen, als diese Art, aus welche Andrée in die Sache einging; sie nahm sie also wie eine Eröffnung auf, die sie zu benützen gedachte.

»Ach!« sagte sie, »Sie müßten es wissen, Sie, die Sie so schön, so keusch und so rein; Sie, deren Herz kein Haß getrübt bat; Sie, deren Seele keine Liebe verrückt hat; Sie, die die Wolken des Sturmes bedecken und verschwinden machen können wie einen Stern, welcher jedes Mal, wenn der Wind den Sturm fegt, glänzender am Firmament wiedererscheint! alle Frauen, selbst die höchst gestellten, haben nicht Ihre unerschütterliche Seelenruhe; ich aber besonders, die ich Sie um Beistand gebeten, und der Sie ihn so edelmüthig bewilligt  . . .«

»Die Königin,« erwiederte Andrée, »spricht von Zeiten, die ich vergessen hatte, und von denen ich glaubte, sie erinnere sich derselben nicht mehr.«

»Die Antwort ist streng, Andrée,« sprach die Königin, »und dennoch verdiene ich sie, und Sie haben Recht, sie mir zu geben; nein, es ist wahr, so lange ich glücklich gewesen bin, habe ich mich Ihrer aufopfernden Ergebenheit nicht erinnert, und zwar vielleicht, weil keine menschliche Macht, nicht einmal die königliche Macht mir ein Mittel bot, mich meiner Schuld gegen Sie zu entledigen; Sie mußten mich für undankbar halten, Andrée; aber vielleicht war das, was Sie für Undank hielten, nur Unvermögen.«

»Ich hätte das Recht, Sie anzuschuldigen,« versetzte Andrée, »würde ich je etwas gewünscht oder verlangt haben, und die Königin hätte sich meinem Wunsche widersetzt und mein Verlangen zurückgewiesen; aber wie soll ich mich beklagen, Madame, da ich nie etwas gewünscht oder verlangt habe?«

»Nun denn! soll ich es Ihnen, sagen, meine liebe Andrée? gerade diese Art von Gleichgültigkeit in Betreff der Dinge dieser Welt erschreckt mich bei Ihnen; ja, Sie scheinen mir ein übermenschliches Wesen zu sein, ein Geschöpf von einer andern Sphäre durch einen Wirbel fortgetragen und unter uns geworfen, wie jene durch das Feuer geläuterten Steine, die, man weiß nicht, aus welcher Sonne fallen . . . Hieraus geht hervor, daß man Anfangs erschrocken ist, über seine Schwäche, wenn man sich derjenigen gegenüber befindet, welche nie schwach gewesen. Hernach aber beruhigt man sich, man sagt sich, die höchste Nachsicht liege in der höchsten Vollkommenheit; an der reinsten Quelle müsse man seine Seele waschen, und in einem Augenblicke tiefen Schmerzes thut man, was ich so eben gethan habe, Andrée, man ruft das übermenschliche Wesen zu sich, dessen Tadel man fürchtete, um es um seinen Trost zu bitten.«

»Ach! Madame,« erwiederte Andrée, wenn dies wirklich die Sache ist, die Sie von mir verlangen, so befürchte ich sehr, das Resultat entspricht der Erwartung nicht.«

»Andrée! Andrée! Sie vergessen, bei welchem erschrecklichen Umstande Sie mich schon unterstützt und getröstet haben!« sagte die Königin.

Andrée erbleichte sichtbar. Als sie die Königin schwankend und die Augen geschlossen sah, wie Jemand, dessen Kraft entschwindet, machte sie eine Bewegung mit dem Arme und mit der Hand, um sie aus dasselbe Canapé zu ziehen, auf welchem sie saß; Andrée, widersetzte sich aber und blieb stehen.

»Madame,« sprach sie, »wenn Eure Majestät Mitleid mit ihrer getreuen Dienerin hätte, so würde sie ihr Erinnerungen ersparen, die von sich zu entfernen ihr beinahe gelungen war; es ist eine schlechte Trösterin, diejenige, welche von Niemand einen Trost verlangt, nicht einmal von Gott, weil sie bezweifelt, ob Gott selbst die Macht hat, bei gewissen Schmerzen zu trösten.«

Die Königin heftete auf Andrée ihren klaren, tiefen Blick.

»Gewisse Schmerzen!« sagte sie; »Sie haben also noch andere Schmerzen, als die, welche Sie mir anvertraut?«

Andrée antwortete nicht.

»Sprechen Sie,« fuhr die Königin fort, »die Stunde, uns zu erklären, ist gekommen, und ich habe Sie zu diesem Ende zu mir rufen lassen. Sie lieben Herrn von Charny?«

Andrée wurde bleich wie eine Todte, blieb aber stumm.

»Sie lieben Herrn von Charny?« wiederholte die Königin.

»Ja,« antwortete Andrée.

Die Königin stieß einen Schrei aus wie eine verwundete Löwin.

»Oh!« rief sie, »ich vermuthete es!  . . .Und seit wann lieben Sie ihn?«

»Seit der ersten Stunde, wo ich ihn gesehen habe.«

Die Königin wich erschrocken vor dieser Marmorstatue zurück, welche gestand, daß sie eine Seele besitze.

»Oh!« sprach sie, »und Sie haben geschwiegen?«

»Sie wissen es besser, als irgend Jemand, Madame.«

»Und warum dies?«

»Weil ich bemerkt habe, daß Sie ihn liebten.«

»Wollen Sie denn sagen, daß Sie ihn mehr liebten, als ich ihn liebte, da ich nichts gesehen habe?«

»Ah!« versetzte Andrée mit Bitterkeit, »Sie haben nichts gesehen, weil er Sie liebte, Madame!«

»Ja  . . .und ich sehe nun, weil er mich nicht mehr liebt. Das wollen Sie sagen, nicht wahr?«

Andrée blieb stumm.

»So antworten Sie doch!« fuhr die Königin fort, indem sie Andrée nicht mehr bei der Hand, sondern beim Arme faßte; »gestehen Sie, daß er mich nicht mehr liebt!«

Andrée antwortete weder durch ein Wort, noch durch eine Geberde, noch durch ein Zeichen.

»Wahrhaftig,« rief die Königin, »das ist um zu sterben!  . . . Aber tödten Sie mich doch auf der Stelle, indem Sie mir sagen, daß er mich nicht mehr liebt!  . . .Nicht wahr, er liebt mich nicht mehr?«

»Die Liebe oder die Gleichgültigkeit des Herrn Grafen von Charny sind seine Geheimnisse; es ist nicht meine Sache, sie zu entschleiern,« erwiederte Andrée.

»Oh! seine Geheimnisse  . . .nicht die Geheimnisse von ihm allein; denn ich setze voraus, daß er Sie zur Vertrauten genommen hat!« sprach die Königin mit Bitterkeit.

»Nie hat mir der Herr Graf von Charny ein Wort von seiner Liebe für Sie oder von seiner Gleichgültigkeit gegen Sie gesagt.«

»Nicht einmal diesen Morgen?«

»Ich habe den Herrn Grafen von Charny diesen Morgen nicht gesehen.«

Die Königin heftete aus Andrée einen Blick, der in die tiefste Tiefe ihres Herzens zu dringen suchte.

»Wollen Sie sagen, Sie wissen nichts von der Abreise des Grafen?«

»Ich will das nicht sagen.«

»Woher ist Ihnen aber diese Abreise bekannt, wenn Sie Herrn von Charny nicht gesehen haben?«

»Er hat mir geschrieben, um sie mir mitzutheilen.«

»Ah!« rief die Königin, »er hat Ihnen geschrieben?«

Und wie Richard III. in einem äußersten Augenblick ausgerufen: »Ein Königreich für ein Pferd!« so war Marie Antoinette nahe daran, zu rufen: »Meine Krone für diesen Brief!«

Andrée begriff diesen glühenden Wunsch der Königin; aber sie wollte sich die Freude machen, ihre Nebenbuhlerin einen Augenblick in der Angst zu lassen.

»Und dieser Brief, den Ihnen der Graf in der Stunde seiner Abreise geschrieben hat . . .ich bin überzeugt, Sie haben ihn nicht bei sich?«

»Sie irren sich, Madame,« erwiederte Andrée, »hier ist er.«

Und sie zog aus ihrer Brust den von ihrer Wärme lauen und von ihrem Wohlgeruche duftenden Brief und reichte ihn der Königin.

Diese nahm ihn schauernd, preßte ihn einen Augenblick zwischen ihren Fingern, da sie nicht wußte, ob sie ihn behalten oder zurückgeben sollte, und schaute Andrée mit zusammengezogenen Brauen an; dann warf sie fern von sich alles Zögern und sagte:

»Oh! die Versuchung ist zu stark.«

Und sie öffnete den Brief, neigte sich gegen das Licht des Candelabers und las wie folgt:

»Madame,

»Ich verlasse Paris in einer Stunde auf den ausdrücklichen Befehl des Königs.

»Ich kann Ihnen nicht sagen, wohin ich gehe, warum ich reise, noch wie lange ich von Paris abwesend sein werde; lauter Dinge, an denen Ihnen wahrscheinlich sehr wenig gelegen ist, welche Ihnen mitzutheilen ich indessen wohl ermächtigt zu sein gewünscht hätte.

»Einen Augenblick hatte ich die Absicht, mich zu Ihnen zu begeben, um Ihnen meine Abreise mündlich anzukündigen, aber ich wagte es nicht, dies ohne Ihre Erlaubniß zu thun  . . .«

Die Königin wußte, was sie zu wissen wünschte, sie wollte den Brief Andrée zurückgeben, doch diese, als hätte sie zu befehlen, und nicht zu gehorchen gehabt, sprach:

»Gehen Sie bis zum Ende, Madame.«

Die Königin las weiter:

»Ich habe die letzte Sendung, die man mir angeboten, ausgeschlagen, weil ich armer Narr damals glaubte, irgend eine Sympathie halte mich in Paris zurück; seitdem habe ich aber leider den Beweis vom Gegentheil erlangt, und ich ergriff mit Freuden diese Gelegenheit, mich von den Herzen zu entfernen, denen ich gleichgültig bin.

»Sollte es mir während dieser Reise ergehen, wie dem unglücklichen Georges, so sind alle meine Maßregeln getroffen, Madame, daß Sie zuerst von dem Unglück, das mir widerfahren, und von der Freiheit, die Ihnen zurückzugeben wäre, unterrichtet werden. Dann erst Madame, werden Sie erfahren, welche tiefe Bewunderung in meinem Herzen Ihre erhabene Ergebenheit entstehen gemacht hat, die so schlecht belohnt wurde von derjenigen, welcher Sie, jung, schön und geboren, um glücklich zu sein, Jugend, Schönheit und Glück geopfert.

»Alles, was ich mir dann von Gott und von Ihnen erbitte, ist, daß Sie ein Andenken bewilligen dem Unglücklichen, der so spät den Werth des Schatzes, den er besaß, erkannt hat.

»Alle Ehrsurcht des Herzens,

»Graf Olivier von Charny.«

Die Königin reichte den Brief Andrée, die ihn diesmal wieder nahm, und ließ mit einem Seufzer an ihrer Seite ihre träge, beinahe leblose Hand hinabfallen.

»Nun, Madame,« fragte Andrée, »sind Sie verrathen? habe ich, ich sage nicht das Versprechen, das ich Ihnen geleistet, denn ich habe Ihnen nie ein Versprechen geleistet, sondern das Vertrauen verletzt, das Sie in mich gesetzt?«

»Verzeihen Sie mir, Andrée,« erwiederte die Königin. »Oh! ich habe so sehr gelitten!  . . .«

»Sie haben gelitten!  . . .Sie wagen es, vor mir zu sagen, Sie haben gelitten, Madame! Und ich, was soll ich dann sagen?  . . .Oh! ich werde nicht sagen, ich habe gelitten, denn ich will nicht ein Wort gebrauchen, dessen sich eine andere Frau schon bedient hat, um denselben Gedanken zu bezeichnen. Nein, ich müßte ein neues, unbekanntes, unerhörtes Wort haben, welches der Inbegriff aller Schmerzen, der Ausdruck aller Qualen wäre . . .Sie haben gelitten . . . und dennoch, Madame, haben Sie nicht den Mann, den Sie liebten, gleichgültig gegen diese Liebe, auf den Knieen und sein Herz in den Händen, einer andern Frau sich zuwenden sehen; Sie haben nicht Ihren Bruder, der eifersüchtig aus diese andere Frau, welche er in der Stille und wie ein Heide seine Gottheit anbetete, sich mit dem Manne, den Sie liebten, sich schlagen sehen; Sie haben nicht den Mann, den Sie liebten, durch Ihren Bruder aus eine Art verwundet, die man einen Augenblick für tödtlich hielt, in seinem Delirium nur nach dieser andern Frau rufen hören, deren Vertraute Sie waren; Sie haben nicht diese andere Frau wie einen Schatten durch die Corridors schlüpfen sehen, wo Sie selbst umsonst wachten, um diese Töne des Deliriums zu hören, welche bewiesen, daß eine wahnsinnige Liebe, wenn sie auch nicht über das Leben hinausreichte, diese doch wenigstens bis an die Schwelle des Grabes begleitete; Sie haben diesen Mann nicht, durch ein Wunder der Natur und der Wissenschaft ins Leben zurückkehrend, sich aus seinem Bette erheben sehen, um Ihrer Nebenbuhlerin zu Füßen zu fallen, . . Ihre Nebenbuhlerin, ja, Madame, denn in der Liebe mißt man nach der Größe der Liebe die Gleichheit der Rangstufen; Sie haben sich hernach nicht, in Ihrer Verzweiflung, mit fünfundzwanzig Jahren in ein Kloster zurückgezogen und zu den eisigen Füßen eines Crucifixes die Liebe, die Sie verzehrte, auszulöschen gesucht; dann, eines Tags, als Sie nach einem Jahre von Gebeten, von Schlaflosigkeiten, von Fasten, von ohnmächtigen Wünschen, von Schmerzensschreien, die Flamme, die Sie verzehrte, nicht gelöscht, wohl aber eingeschläfert zu haben glaubten, haben Sie nicht diese Nebenbuhlerin, Ihre alte Freundin, welche nichts begriffen, nichts errathen hatte, Sie in Ihrer Einsamkeit aussuchen sehen, um Sie zu bitten  . . .was? . . .um Sie im Namen einer alten Freundschaft, welche die Leiden nicht hatten schwächen können, im Namen ihres Heiles als Gattin, im Namen der gefährdeter, königlichen Majestät zu bitten, die Frau zu werden . . .von wem? . . .von diesem Manne, den Sie seit drei Jahren anbeteten! – Frau ohne Gatten, wohlverstanden, ein einfacher Schleier zwischen die Blicke der Menge und das Glück Anderer geworfen, wie ein Tuch zwischen einem Leichname und der Welt ausgebreitet wird; Sie haben nicht, beherrscht, nicht durch das Mitleid, die eifersüchtige Liebe hat keine Barmherzigkeit, – und Sie wissen das wohl, Madame, Sie, die Sie mich geopfert! Sie haben nicht, beherrscht durch die Pflicht die ungeheuere Aufopferung angenommen; Sie haben nicht den Priester Sie fragen hören, ob Sie zum Gatten einen Mann nehmen, der nie Ihr Gatte sein werde; Sie haben nicht gefühlt, wie Ihnen dieser Mann an den Finger einen goldenen Ring steckte, der, das Pfand eines ewigen Bundes, für Sie nur ein leeres, bedeutungsloses Symbol war; Sie haben nicht eine Stunde nach der Trauungsfeierlichkeit Ihren Gatten verlassen, um ihn nur als Liebhaber Ihrer Nebenbuhlerin wiederzusehen!  . . .Ah! Madame! Madame! die abgelaufenen drei Jahre sind drei grausame Jahre, das sage ich Ihnen!«

Die Königin hob ihre kraftlose Hand auf, um die Hand von Andrée zu suchen.

Andrée zog die ihrige zurück.

»Ich, ich hatte nichts versprochen,« sagte sie, »und dies habe ich gehalten; Sie, Madame,« fuhr die junge Frau fort, die sich zur Anklägerin machte, »Sie hatten mir zwei Dinge versprochen.«

»Andrée! Andrée!« rief die Königin.

»Sie hatten mir versprochen, Herrn von Charny nicht wiederzusehen; ein Versprechen, das um so heiliger war, als ich es nicht von Ihnen verlangte.«

»Andrée!«

»Dann hatten Sie mir versprochen, – oh! diesmal schriftlich, – Sie hatten mir versprochen, mich wie eine Schwester zu behandeln; ein Versprechen, das um so heiliger war, als ich nicht darum nachgesucht hatte.«

»Andrée!«

»Muß ich Sie an die Worte dieses Versprechens erinnern, das Sie mir in einem feierlichen Augenblick geleistet, in einem Augenblick, wo ich Ihnen mein Leben . . .mehr als mein Leben  . . .meine Liebe . . . das heißt, mein Glück auf dieser Welt und mein Heil in der andern geopfert hatte  . . .Ja, mein Heil in der andern, denn man sündigt nicht nur durch Handlungen, Madame, und wer sagt mir, der Herr werde mir meine wahnsinnigen Begierden, meine gottlosen Wünsche vergeben? Nun wohl! in jenem Augenblick, wo ich Ihnen Alles geopfert, haben Sie mir ein Billet übergeben; dieses Billet sehe ich noch, jeder Buchstabe flammt vor meinen Augen; dieses Billet war in folgenden Worten abgefaßt:

»Andrée, Sie haben mich gerettet! Meine Ehre kommt mir von Ihnen zu, mein Leben gehört Ihnen! Im Namen dieser Ehre, die Sie so viel gekostet, schwöre ich Ihnen, daß Sie mich Ihre Schwester nennen können. Versuchen Sie es, Sie werden mich nicht erröthen sehen.

»Ich lege diese Schrift in Ihre Hand; es ist das Pfand meiner Dankbarkeit; es ist die Mitgift, die ich Ihnen schenke.

»Ihr Herz ist das edelste von allen Herzen; es wird mir Dank wissen für das Geschenk, das ich Ihnen biete.

»Marie Antoinette.«

Die Königin stieß einen Seufzer kleinmüthiger Niedergeschlagenheit aus.

»Ja, ich begreife,« sagte Andrée, »weil ich dieses Billet verbrannte, glaubten Sie, ich habe es vergessen?  . . .Nein, nein, Madame, Sie sehen, daß ich jedes Wort behalten habe, und je mehr Sie sich nicht mehr desselben zu entsinnnen schienen, desto mehr erinnerte ich mich.«

»Oh! verzeih mir, verzeih mir, Andrée  . . .Ich glaubte, er liebe Dich.«

»Sie glaubten also, es sei ein Gesetz des Herzens, daß er, wenn er Sie weniger liebe, Madame, eine Andere lieben müsse?«

Andrée hatte so viel gelitten, daß sie ebensalls grausam wurde.

»Sie auch, Sie haben also auch bemerkt, er liebe mich weniger?« sagte die Königin mit einem Ausdruck des Schmerzes.

Andrée antwortete nicht. Sie schaute nur die Königin erstaunt an, und etwas wie ein Lächeln trat aus ihre Lippen.

»Aber was soll ich thun, mein Gott, was soll ich thun, um diese Liebe, das heißt mein Leben, das entschwindet, zurückzuhalten? Oh! wenn Du das weißt, Andrée, meine Schwester, meine Freundin, sage es mir, ich flehe Dich an, ich beschwöre Dich!  . . .« rief die Königin.

Und sie streckte ihre beiden Hände gegen Andrée aus.

Andrée wich einen Schritt zurück.

»Kann ich das wissen, Madame,« erwiederte sie, »ich, die er nie geliebt hat?«

»Ja, aber er kann Dich lieben  . . .Eines Tages kann er Dir aus den Knieen Abbitte thun, er kann Dich um Verzeihung anflehen für Alles, was er Dich hat leiden lassen; und, mein Gott! die Leiden sind so schnell in den Armen desjenigen, welchen man liebt, vergessen! Die Verzeihung ist so rasch demjenigen, welcher uns hat leiden lassen, bewilligt!«

»Wohl denn! kommt dieses Unglück, – ja das wäre wahrscheinlich ein Unglück für Beide, Madame; – vergessen Sie, daß ich, ehe ich die Frau von Charny würde, ihm ein Geheimniß mitzutheilen, ein Geständniß zu machen hätte, ein erschreckliches Geheimniß, ein gräßliches Geständniß, welches auf der Stelle diese Liebe, die Sie fürchten, tödten würde? Vergessen Sie, daß ich ihm zu erzählen hätte, was ich Ihnen erzählt habe?«

»Sie würden ihm sagen, Sie seien von Gilbert entehrt worden? . . . Sie würden ihm sagen, Sie haben ein Kind?«

»Ja, wahrhaftig, Madame,« erwiederte Andrée, »für wen halten Sie mich denn, daß Sie einen solchen Zweifel offenbaren?«

Die Königin athmete.

»Sie würden also nichts thun, um es zu versuchen, Herrn von Charny zu Ihnen zurückzuführen?« fragte sie.

»Nein, Madame, ebenso wenig in der Zukunft, als ich in der Vergangenheit etwas gethan habe.«

»Werden Sie ihm nicht sagen, werden Sie ihn nicht vermuthen lassen, daß Sie ihn lieben?«

»Wenn er nicht kommt und mir sagt, er liebe mich, nein, Madame.«

»Und wenn er Ihnen sagt, er liebe Sie, wenn Sie ihm sagen, Sie lieben ihn, Sie schwören mir  . . .«

»Oh! Madame,« unterbrach Andrée die Königin.

»Ja,« sprach die Königin, »ja, Sie haben Recht, Andrée, meine Schwester, meine Freundin, und ich bin ungerecht, anspruchsvoll, grausam. Oh! doch wenn Alles mich verläßt, Freunde, Macht, Ruf, dann möchte ich wenigstens, daß diese Liebe, der ich Ruf, Macht, Freunde opfern würde, mir bliebe.«

»Und nun, Madame,« sagte Andrée mit der eisigen Kälte, welche sie nicht einen Augenblick verlassen halte, als sie von den von ihr ausgestandenen Qualen sprach; »haben Sie noch über einen andern Gegenstand Auskunft zu verlangen  . . .haben Sie mir einige neue Befehle zu ertheilen?«

»Nein, ich danke. Ich wollte Ihnen meine Freundschaft wiedergeben, und Sie schlagen Sie aus  . . .Leben Sie wohl, Andrée; nehmen Sie wenigstens meine Dankbarkeit mit.«

Andrée machte mit der Hand eine Geberde, welche dieses zweite Gefühl ebenso zurückzustoßen schien, wie sie das erste zurückgestoßen hatte, und nach einer kalten, tiefen Verneigung ging sie langsam und stillschweigend wie eine Erscheinung hinaus.

»Oh! Du hast sehr Recht, Eiskörper, Demantherz, Feuerseele, daß Du weder meine Dankbarkeit, noch meine Freundschaft willst; ich fühle es, – und ich bitte den Herrn deshalb um Verzeihung – ich hasse Dich, wie ich nie einen Menschen gehaßt habe  . . .denn wenn er Dich nicht liebt  . . .oh! ich bin fest überzeugt, er wird Dich eines Tags lieben!, . .«

Dann rief sie Weber und fragte ihn:

»Weber, hast Du Herrn Gilbert gesehen?«

»Ja, Eure Majestät,« antwortete der Kammerdiener.

»Um welche Stunde wird er morgen früh kommen?«

»Um zehn Uhr, Madame.«

»Es ist gut, Weber; sage meinen Frauen, ich werde heute Abend ohne sie zu Bette gehen, und leidend und müde wie ich bin, wünsche ich, daß man mich morgen bis zehn Uhr schlafen lasse  . . .Die erste und einzige Person, die ich empfange, wird der Doctor Gilbert sein.«