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Loe raamatut: «Die Mohicaner von Paris», lehekülg 34

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»Ich sagte ihr, ich handle für meinen Bruder, und nicht für mich; ich sei persönlich so arm, als mein Bruder reich sei; ich fügte nur bei, ich befürchte, mein Bruder Jacques werde sein Vermögen nicht lange zu genießen haben. Da rühmte sie mir die Luft der Gegend, die gesunde Lage, die Nähe von Paris, wohin man sich in einer Stunde begeben könne, und besondern die Mäßigkeit des Preises von diesem herrlichen Gute, das man um hundert und zwanzig tausend Franken und sogar vielleicht um hunderttausend, – so große Eile haben die Erben, ihren Theil an der Erbschaft in Empfang zu nehmen, – dem, welcher baare Bezahlung böte, geben würde.

»Mein Bruder war ganz in dieser Lager meiner Ansicht nach stand ihm das Gut vortrefflich an, und ich versprach Orsola Vontaé, – so hieß die Vertraute des vormaligen Eigenthümers, – meine ganze Macht über den Geist meinen Bruders zu benützen, einmal, daß er das Schloß kaufe, und dann, daß er sie bei sich behalte . . . Ich rede lange von dieser Frau wegen des entsetzlichen Einflusses, den sie auf mein Leben gehabt hat . . .

»Kaum hatte ich sie übrigens verlassen, als ich mich wunderte, daß ich ihr meine Protection bei meinem Bruder Jacques versprochen; der Eindruck, den sie auf mich hervorgebracht, war, ich wiederhole es, eher zurückstoßend. als sympathetisch. Dagegen fand ich das Gut so wunderbar schön, ich machte bei meinem Bruder solche Lobeserhebungen davon, daß er mir Vollmacht gab, zu unterhandeln, und daß ich nach acht Tagen in seinem Namen den Kauf zum den Preis von hunderttausend Franken abgeschlossen hatte.

»Der Einzug fand am Tage der Bezahlung des Preises an den Notar von Corbeil statt. Unser Gesinde bestand aus einem Gärtner, einem Bedienten, einer Köchin, und der Kammerfrau, welche mit der Sorge für die Kinder beauftragt war; ferner hatten wir einen Hund, halb St. Bernhard-Races halb Neufundländer, den der Herr des von meinem Bruder in Paris bewohnten Hotels ihm auf die Bitte der Kinder abgetreten hatte, welche vom Morgen bis zum Abend mit diesem Hunde spielten und sich nicht von ihm trennen wollten: die Kinder hatten ihm den Namen Brasil zur Erinnerung an das Land gegeben, wo sie geboren waren.

»Auf meine Empfehlung gesellte man Orsola diesem ganzen Personal bei. An demselben Tage that sie für Jedermann. was sie für mich gethan hatte, das heißt, sie zeigte meinem Bruder das Schloß in allen seinen Einzelheiten; führte Jeden in seine Wohnung oder in seinen Posten ein, und bemächtigte sich vom ersten Augenblicke wieder, unter einer scheinbaren Demuth, der Stellung als Vertraute, die sie bei ihrem vorigen Herrn inne gehabt. »Niemand hatte sich übrigens zu beklagen über die Art, wie sie die Dinge angeordnet; es war, als hätte sie Jeden über seinen Geschmack und seine Neigungen zu Rathe gezogen. Selbst Brasil hatte eine herrliche Nische, wo er sich wohl den glücklichsten der Hunde gefühlt habest würde; hätte er nicht mit Besorgniß eine in der Mauer befestigte Kette betrachtet, welche seine zukünftige Freiheit zu bedrohen schien.

»Alles fand sich so comfortable in dieser neuen Wohnung, daß das Leben vom ersten Tage an für Jeden leicht und bequem war. Wir brachten den Sommer, sodann den Herbst zu. Es war davon die Rede gewesen, für den Winter nach Paris zurückzukehren, Jacques zog aber das Land mit allen seinen Unannehmlichkeiten, – welche übrigens theilweise mit Hilfe eines großen Vermögens verschwinden, – Jacques zog das Land dem Aufenthalte in Paris vor.

»Wir gelangten so zum Monat Februar 1818, während sich der Zustand meines Bruders von Tag zu Tag verschlimmerte; eines Morgens rief er mich in sein Schlafzimmer, schickte die Kinder weg, und als wir allein waren, sagte er zu mir:

›Mein lieber Gèrard, wir sind Menschen, wir müssen als Menschen reden und besonders handeln.‹

»Ich saß bei seinem Bette, und den Gegenstand, von dem die Rede sein sollte, errathend, suchte ich ihn über seine Gesundheit zu beruhigen, er reichte mir aber die Hand und sprach:

›Bruder, ich fühle, wie mein Leben mit jedem Hauche von mir gebt, und ich würde den Verlust meines Daseins nicht bedauern, da mich der Tod mit meiner theuren Frau wiedervereinigen soll, fühlte ich mich nicht durch die Zukunft meiner zwei Kinder tief angefochten. Ich weiß, das ich sie, indem ich sie Dir vermache, meinem andern Ich hinterlasse; unglücklicher Weise bist Du aber nicht Vater, und man wird es nie vollkommen bei den Kindern der Andern. Ueberdies sind zwei Dinge bei den Kindern zu beaufsichtigen, das materielle Leben, das des Leibes; das intellektuelle Leben, das des Geistes. Du wirst mir antworten, man könne den Knaben in ein großes Collége bringen, das Mädchen in ein vortreffliches Kloster; ich habe hieran gedacht, mein Freunde doch die armen Kinder sind an die Blumen, an die großen Wälder, an die Luft der Fluren, an die Strahlen der Sonne gewöhnt, und ich zittere bei der Idee, sie in diese Gefängnisse einzuschließen, die man Pensionen nennt, in diese Zellen, die man Schlafsäle nennt! Sodann gibt es meiner Ansicht nach, keinen großen Baum, als den, welcher im hellen Tageslichte wächst. Ich bitte Dich also, mein lieber Gèrard, kein Collèg kein Kloster für die armen Kinder!‹

»Ich neigte mich.

›Alles, was Du willst, Bruder,‹ sagte ich; ›befiehl, ich werde gehorchen.‹

›Seit langer Zeit,‹ fuhr Jacques fort, ›hatte ich den Gedanken, ihnen einen Hofmeister, gleichsam einen Arzt ihres moralischen Lebens, zu geben, nur wußte ich nicht, auf wen ich meine Wahl lenken sollte. Da gestattete Gott, der mir ohne Zweifel diese Beruhigung im Augenblicke meines Todes gewähren will, daß gestern einer meiner Freunde von fünfzehnhundert Meilen ankam, um mich dieser Verlegenheit zu entziehen . . .

»Es hatte in der That am Tage vorher ein Unbekannter, der sich weigerte, seinen Namen zu sagen, nach Jacques gefragt; er war in sein Zimmer geführt worden und wohl eine Stunde bei ihm geblieben.

»Du meinst den Mann, der gestern hier gewesen ist?« fragte ich Jacques.

»Ja,« antwortete er mir, ›das ist ein Mann, den ich einst gekannt und nun nach langen Zwischenräumen wiedergesehen habe; doch so wenig ich ihn gesehen, ich vermochte sein Urtheil, seine Rechtschaffenheit, seine Herzensgüte zu schätzen; bei mehreren Veranlassungen, wo er tapfer mit seiner Person bezahlt hat, war ich auch im Stande, seinen Muth zu würdigen. Wenige Menschen haben mir von Anfang an eine Sympathie eingeflößt, welche die Zeit besser gerechtfertigt; er hat mir einst einen Dienst geleistet, für den ich ihm bis zur Stunde meines Todes dankbar sein werde . . .

Der junge Mönch horchte mit wachsender Aufmerksamkeit auf die Erzählung des Sterbenden; seit einigen Augenblicken schien ihn diese Erzählung, durch einen unbekannten Punkt, persönlich zu berühren.

Herr Gèrard fuhr fort:

›Angelegenheiten der ernsthaftesten, gewichtigsten Art; Interessen, welche die höchsten politischen Fragen dieses Landes berühren, Interessen und Angelegenheiten, die ich kenne, ohne daß es mir indessen erlaubt ist, irgend Jemand, selbst Dich, mein Bruder, damit bekannt zu machen, – haben ihn zweimal gezwungen, sich aus Frankreich zu verbannen, und nötigen ihn heute, da er hierher zurückkehrt, sich beinahe verborgen zu halten. Gestern kam er, um von mir eine Zuflucht gegen Verfolgungen des Hasses und des Argwohns zu verlangen, Verfolgungen, welche ihn übrigens nur zur Ehre gereichen. Bruder, ich denke an diesen Mann für die Erziehung meiner Kinder . . . ‹

Der Athem des Mönches wurde immer beklommener, und von Zeit zu Zeit wischte er mit seinem Taschentuche seine Stirne ab. Man hätte glauben sollen, er sei einem inneren Kampfe, einer tiefen moralischen Aufregung preisgegeben, es war dies so, daß es der Sterbende bemerkte.

»Leiden Sie, mein Vater?« fragte er, sich unterbrechend, »und haben Sie etwas nötig? dann klingeln Sie Marianne.«

Und mit leiser Stimme fügte er bei:

»Ach, ich brauche noch lange, denn ich verzögere, so viel ich kann, das entsetzliche Geständniß . . . Haben Sie Geduld, mein Vater, ich bitte Sie flehentlich!«

»Fahren Sie fort,« sprach der Priester.

»Wobei war ich? . . . Ich weiß es nicht mehr.«

»Ihr Bruder Jacques rühmte die Moralität und den Muth von seinem Freunde, von demjenigen, welchen er seinen Kindern als Hofmeister geben wollte.«

»Ja, es ist wahr . . . «

›Das ist ein Mann von tiefer Bildung,‹ fügte Jacques bei, ›ein Mann, der die Welt von den hohen bis zu den niederen Regionen kennt; alte Sprachen, neue Sprachen, Geschichte, Wissenschaften, er weiß Alles: er ist eine lebendige Encyclopädie, und wäre ich sicher, daß er bis zur Volljährigkeit meiner Kinder bei Dir bleiben könnte, so würde ich fast ohne Bedauern sterben.‹

»Was sollte ihn daran verhindern?«

›Das schwere Gewicht der Angelegenheiten, die ihn beschäftigen und von der Art sind, daß er jeden Augenblick gezwungen sein kann, sich nicht nur auf einige Jahre, sondern für immer zu entfernen . . . In allen Fällen, wäre er genötigt, Dich zu verlassen, würde ich Dir Vollmacht geben, ihn zu ersetzen: er hat einen Sohn, der sich für den geistlichen Stand bestimmt . . . ‹

»Verzeihen Sie,« sprach Dominique aufstehend, »ich kann, ich darf Ihre Beichte nicht länger hören, mein Herr.«

»Und warum nicht, mein Vater?« fragte Gèrard mit bebender Stimme.

»Weil,« antwortete der Mönch mit einer Stimme, welche vielleicht ebenso sehr bebte, als die des Sterbenden, »weil ich Sie kenne, und Sie mich nicht kennen, weil ich weiß, wer Sie sind, und Sie nicht wissen, wer ich bin.«

»Sie kennen mich? Sie wissen, wer ich bin?« rief der Kranke mit einem Ausdrucke der tiefsten Bangigkeit. »Das ist unmöglich!«

»Sie beißen Gèrard Tardieu, nicht wahr, und nicht einfach Gèrard.«

»Ja . . . doch wer sind Sie? wie heißen Sie?«

»Ich, ich heiße Dominique Sarranti.«

Der Kranke stieß einen Schreckensschrei aus.

Der Mönch fuhr fort:

»Ich bin der Sohn von Gaetano Sarranti, den Sie des Mordes und des Diebstahls bezichtigt haben, während er unschuldig ist, das schwöre ich!«

Der Sterbende, der sich in seinem Bette aufgerichtet hatte; fiel wieder, mit dem Gesichte auf das Kopfkissen, zurück und gab einen erstickten Seufzer von sich.

»Sie sehen wohl,« sagte der Mönch, »es hieße Sie täuschen, länger Ihre Beichte zu hören, da ich, statt mit der Mildherzigkeit eines Priesters zu hören, mit derer Hasse eines Sohnes; dessen Vater Sie verleumdet und entehrt haben, hören würde!«

Und seinen Stuhl heftig zurückstoßend, machte der Dominicaner eine Bewegung gegen die Thüre.

Aber zum dritten Male fühlte er sich an seiner Robe festgehalten,

»Nein, nein, nein! bleiben Sie im Gegentheile,« rief der Sterbende mit der ganzen Gewalt seiner Stimme; »bleiben Sie! es ist die Vorsehung; die Sie zu mir führt; bleiben Sie! es ist Gott, der gestattet, daß ich bevor ich sterbe, das Böse, was ich gethan, wieder gut mache.«

»Sie wollen es!« sprach der Mönch; Nehmen Sie sich in Acht! Das ist mir gerade recht, und es hat mich eine übermenschliche Anstrengung gekostet, Ihnen zu erklären, wer ich bin, und nicht den Zufall; der mich zu Ihnen geführt, zu mißbrauchen.«

»Sagen Sie die Vorsehung, mein Bruder, sagen Sie die Vorsehung!« wiederholte der Sterbende. »Oh! ich würde Sie am Ende der Welt gesucht haben, bitte ich Sie dort zu finden gewußt, um Sie zu nötigen, das Geständnis, das entsetzliche Geständniß zu hören, das ich Ihnen noch zu machen habe.«

»Sie wollen es?« fragte zum zweiten Male Dominique.

»Ja,« antwortete der Kranke, »ja, ich bitte darum, ich flehe Sie an! ja, ich will es!«

Der Mönch fiel ganz schauernd in seinen Lehnstuhl zurück, schlug die Augen zum Himmel auf und murmelte leise:

»Mein Gott! mein Gott was werde ich hören?«

LXIV
Wo ein Hund heult, wo eine Frau singt

Nach dem, was er durch ein seltsames Zusammentreffen von Umständen entdeckt hatte, mußte Bruder Dominique eine heftige Anstrengung gegen sich selbst machen, damit sein Gesicht nicht die Unruhe verrieth, die sein Inneres bewegte.

Wir haben es gesagt, als wir dem Leser jenes herrliche Bild den Zurbaran zu zeigen versuchten, – der Gang, die Physiognomie, die Rede des jungen Mönches, Alles an ihm trug das Gepräge einer finstren, tiefen, aber verschleierten, stillen Traurigkeit.

Die Ursachen dieser Traurigkeit, die er nie einem Menschen anvertraut hatte, werden wir mit der Beichte den Gèrard Tardieu, oder vielmehr mit der Erzählung der letzten Jahre dieses Menschen, den das ganze Dorf Vanvres, und alle umliegenden Dörfer den guten, den ehrlichen, den tugendhaften Herrn Gèrard nannten, sich entrollen sehen.

Dieser sprach mit einer schwachen, häufig durch Seufzen, Stöhnen und Schluchzen gehemmten Stimme: ›Was mein Vermögen betrifft,‹ fuhr mein Bruder fort, ›so ist seine Theilung sehr einfach, und ich glaube, seitdem ich an meinen Tod denke, für Alles vorhergesehen zu haben. Hier ist die Abschrift meines bei Herrn Henry, Notar in Corbeil, niedergelegten Testamentes; ich übergebe sie Dir, und Du wirst es lesen, um zu sehen, ob nicht ein Vergessen oder eine Auslassung gut zu machen ist. Ich denke indessen, Du wirst nichts auszusetzen haben, denn die Verwendung meines Vermögens ist sehr leicht. Jedem von meinen Kindern hinterlasse ich eine Million; ich wünsche, daß abgesehen von den für ihre Erziehung und ihren Unterhalt nothwendigen Ausgaben, die Einkünfte aus diesen zwei Millionen sich bis zu ihrer Volljährigkeit anhäufen mögen . . . Deine Freundschaft betraue ich mit der Sorge, hierüber zu wachen, mein lieber Gèrard . . . Dir, da ich die Einfachheit Deiner Neigungen kenne, hinterlasse ich, nach Deiner Wahl, entweder eine Summe von hunderttausend Thalern in baarem Geld oder eine Leibrente von vier und zwanzig tausend Franken. Käme Dir die Idee, Dich wieder zu verheirathen, so nähmest Du von den angehäuften Einkünften der Kinder entweder weitere sechstausend Franken Rente oder eine weitere Summe von hunderttausend Franken. Stürbe eines der beiden Kinder, so wünsche ich, daß das Ueberlebende vom Andern sein ganzes Vermögen erbe; stürben Beide . . . ‹

»Und schon bei diesem Gedanken allein wurde die Stimme meines armen Bruders unverständlich.

Stürben Beide, so würdest Du, da sie auf der Weit keinen andern Verwandten als Dich haben, ihr Erbe. Ich hinterlasse insbesondere allen denjenigen, welche mir gedient haben, Zeichen meiner Dankbarkeit, Du wirst Dich nichts hierum zu bekümmern haben. Ich habe es für unnötig erachtet, im meinem Testamente die Summen zu specificiren, die Du der Erziehung meiner Kinder widmen sollst; diese Ausgabe wird von Dir ohne Verschwendung, wie ohne Sparsamkeit geordnet werden. Es ist indessen ein Punkt, auf den ich Deine Aufmerksamkeit lenken werdet ich bitte Dich, meinem Freunde Sarranti nicht weniger als sechstausend Franken jährlich zu bieten die Ergebenheit der Menschen, die unsere Kinder erziehen, hat mir nie hinreichend belohnt geschienen, und wäre ich der Chef des öffentlichen Unterrichts in Frankreich, so wollte ich dahin wirken, daß die Professoren, welche ihr Leben damit zubringen, daß sie das Herz und den Geist der neuen Generation bilden, anders belohnt wären, als die Lackeien, die dazu dienen, daß sie ihre Kleider bürsten! . . .

Der Mönch druckte sein Taschentuch nicht mehr an seine Stirne, um den Schweiß abzuwischen, sondern auf seinen Mund, um das Schluchzen zu ersticken. Diese erhabene Vorsicht von Jacques Tardieu, um die Würde seines Freundes zu wahren und zu beschirmen, rührte ihn in der tiefsten Tiefe seines Herzens.

›Stürbe eines von den zwei Kindern,‹ fuhr der Kranke, immer den letzten Willen seines Bruders ausdrückend, fort, ›so würden hunderttausend Franken vom Vermögen des Todten für Sarranti vorausgenommen; stürben Beide, zweimal hunderttausend . . .

Dominique stand auf und warf sich in einen Lehnstuhl in einer Ecke des Zimmers, um hier nach seinem Gefallen zu weinen.

Während er sich vom Bette entfernte, konnte er sich nicht enthalten, auf den Kranken einen Blick der tiefsten Verachtung fallen zu lassen.

Doch er brauchte nur ein paar Sekunden, um seine Gemüthsbewegung zu beherrschen, und die augenblickliche Einsamkeit, die er gesucht, verlassend, näherte er sich mit langsamem, ernstem Schritte dem Bette des Kranken.

Sein Auge war düster und voller Fragen, und er erwartete offenbar mit Ungeduld die Fortsetzung dieser Beichte, deren Erzählung er gern beschleunigt hätte, während er indessen keine von ihren Einzelheiten zu verlieren wünschte.

Der Kranke seinerseits war dergestalt angegriffen, sowohl durch die Anstrengungen, die er gemacht, um so lang zu sprechen, als durch die Gemüthsbewegung, die er erlitten, daß er leichenbleich auf sein Kopfkissen zurückgefallen war und ohnmächtig zu sein schien.

Der Dominicaner zitterte bei der Idee, Herr Gèrard könnte sterben, ehe er seine Beichte vollendet, und ihn folglich in Unwissenheit über die Umstände und die Thatsachen lassen, welche zu kennen er das größte Interesse hatte.

Er näherte sich also diesem Manne mit scheinbar weniger Widerwillen und fragte ihn, ob er etwas bedürfe.

»Mein Bruder,« antwortete der Kranke, »geben Sie mir einen Löffel voll von dem herzstärkenden Tranke, den Sie auf dem Kamin sehen . . . Müßte ich sterben an der Anstrengung, ich will Alles auf ein Mal sagen!«

Der Mönch reichte dem Sterbenden einen Löffel voll von dem Elixier; Herr Gèrard hatte es kaum verschluckt, als er in der That wieder einige Stärke zu erlangen schien; er bedeutete Dominique durch einen Wink, er möge sich wieder an sein Bett setzen, und fuhr dann fort:

»Mein Bruder übergab mir also die Abschrift des Testaments, und ich mochte immerhin gegen die Großmuth, die er für mich entwickelte, protestieren, ihm sagen, gewohnt, mit fünfzehn bis achtzehnhundert Franken jährlich zu leben, brauche ich weder ein so großes Kapital, noch eine so starke Rente; er wollte nichts hören und schloß die ganze Erörterung dadurch; daß er mir antwortete, der Bruder eines Mannes, der seinen Kindern zwei Millionen Vermögen hinterlasse, ein Vormund, der für seine Mündel ein Vermögen von zweimal hunderttausend Livres Rente verwalte, welche fähig, sich zu verdoppeln, dürfe in den Augen seiner Neffen nicht das Ansehen haben, als lebte er auf ihre Kosten wie ein fremder Schmarotzer. Ich nahm an, – das Herz zugleich von Traurigkeit und von Dankbarkeit erfüllt; – denn bis dahin mein Vater, verdiente ich den Titel ehrlicher Mann, den ich seitdem usurpiert habe, und ich hätte eingewilligt, nicht nur das Vermögen, das mir mein Bruder hinterließ, sondern auch mein persönlichen Vermögen, würde ich irgend eines gehabt haben, zu verlieren, um meinem Bruder das Leben zu retten oder es nur um einige Jahre zu verlängern . . . Leider war die Krankheit tödlich, und am andern Tage nach dieser Unterredung hatte Jacques kaum die Kraft, die Hand zu drücken . . . Ihrem Vater,« sagte der Kranke mit Anstrengung, Ihrem Vater,« wiederholte er, um sich zu befestigen, »der am Nachmittag ins Schloß kam . . . Ich werde Ihnen nicht das Portrait von Herrn Sarranti geben, mein Bruder, doch lassen Sie mich Ihnen ein paar Worte vom ersten Eindrucke sagen, den seine Gegenwart auf mich machte. Nie, ich kann es vor Gott und vor Ihnen schwören, nie flößte mir die Physiognomie eines menschlichen Geschöpfes eine lebhaftere Sympathie, eine tiefere Ehrfurcht ein. Die Biederkeit, welche den Hauptcharakter seiner Physiognomie bildete, erweckte unwillkürlich das Vertrauen, und beim ersten Anblicke war man bereit, ihm seine Arme und sein Herz In öffnen! Er quartierte sich noch an demselben Abend im Hause auf die Bitten von Jacques ein, welcher erklärt hatte, er wolle seine Augen zwischen seinen zwei besten Freunden, das heißt zwischen Herrn Sarranti und mir, schließen. Kaum angelangt, kam er in mein Zimmer und sagte zu mir:

›Herr Gèrard, finden Sie es nicht schlimm, wenn ich gleich bei meinem Eintritte ins Haus damit anfange, daß ich Sie um einen wichtigen Dienst bitte.‹ ›Sprechen Sie, mein Herr,‹ erwiderte ich; ›die Achtung und die Freundschaft, die mein Bruder für Sie hegt, geben mir das Recht, Ihnen zu sagen, was er Ihnen selbst sagen würde: Mein Herz und meine Börse gehören Ihnen!«

›Ich danke, mein Herr,‹ antwortete Ihr Vater, ›und ich werde wahrhaft glücklich sein an dem Tage, wo Sie meine Dankbarkeit auf die Probe stellen können. Doch der Dienst, den ich in diesem Augenblicke fordere, ist ein Art reinen Vertrauens; darum wende ich mich an Sie, denn die geringe Hoffnung, die wir haben, unsern armen Jacques noch lange zu erhalten, beraubt mich der Freude, mich an ihn zu wenden.‹

›In welcher Hinsicht kann ich Ihr Vertrauen rechtfertigen und meinen Bruder bei Ihnen ersetzen?‹

›Horen Sie, mein Herr.«

»Ich horchte aufmerksam, und Sarranti fuhr fort:

›Ich bin beauftragt von einer Person, deren Namen zu nennen mir bis jetzt nicht erlaubt ist, bei einem Notar eine Summe von hunderttausend Thalern, die ich in meinem Felleisen bei mir habe, unterzubringen: diese Summe, verstehen Sie wohl, wünsche ich einfach zu deponieren und nicht anzulegen; es ist wenig daran gelegen, daß sie nichts einträgt, wenn ich sie nur von einem Tage auf den andern und je nach den Bedürfnissen der Person, deren Mandatar ich bin, auf das erste Verlangen zurücknehmen kann.‹

›Nichts kann leichter sein, mein Herr, und alle Tage deponiert man unter diesen Bedingungen eine mehr oder minder starke Summe bei einem Notar.‹

›Ich danke, mein Herr; ich bin über einen Punkt beruhigt. Wollen Sie mich nun auch über den andern beruhigen, über den Hauptpunkt, über den, wo wirklich der Dienst liegt, den ich von Ihnen verlange.‹

›Reden Sie.‹

›Diese Summe kann nicht unter meinem Namen deponiert werden, denn Jedermann kennt meinen obligenen Mangel an Vermögen; sie kann nicht unter dem Ihres Bruders deponiert werden, da er uns jeden Augenblick bevorsteht, daß ihn Gott zu sich ruft. Ich wünschte also, sie würde untergebracht . . . ‹

›Unter meinem Namen?‹ beeilte ich mich einfach zu sagen.

›Ja, mein Herr, und das ist der Dienst, den ich von Ihnen zu fordern hatte.‹

›Ich hätte gewünscht, die Sache wäre wichtiger gewesen,« mein Herr; denn es ist nicht einmal ein Dienst, was Sie von mir verlangen, es ist eine einfache Gefälligkeit. Sobald es Ihnen beliebt, diese Summe zu deponieren, werden Sie mir es sagen: ich werde Ihren Wunsch erfüllen und Ihnen persönlich einen Gegenschein ausstellen, damit Sie im Falle eines Unglückes, einer Abreise, eines plötzlichen Todes sich mir substituieren und beim Notar als der wahre Eigenthümer des Geldes erscheinen können.

›Gehörte das Geld mir,‹ erwiderte Herr Sarranti, ›so würde ich diese Garantie, die ich als unnötig betrachtete, ausschlagen; doch ich wiederhole Ihnen, es gehört nicht mir und ist bestimmt, hohen Interessen zu dienen. Ich nehme also nicht nur den Dienst, sondern auch alle Sicherheiten an, die Sie mir bieten wollen, um im gegebenen Augenblicke entweder die gänzliche Zurücknahme, oder die theilweise Verwendung der deponierten Summe zu erleichtern.««

›Übergeben Sie mir diese Summe, mein Herr, und in einer Stunde wird sie bei Herrn Henry deponiert sein.‹

»Herr Sarranti hatte wirklich in seinem Felleisen die dreimal hunderttausend Franken in Gold, wir zählten sie; dann schloß ich sie in eine Cassette ein; ich gab ihm einen Empfangsschein in der verabredeten Form, ließ anspannen und fuhr nach Corbeil.

»Anderthalb Stunden nachher war ich im Hause zurück. Herr Sarranti saß am Bette meines Bruders, bei dem es immer schlimmer ging. Jacques hatte mehrere Male nach mir gefragt, sein Zustand war ein verzweifelter, und der Arzt bürgte nicht dafür, daß er die Nacht überlebte. In der That, gegen zwei Uhr Morgens verlangte er seine Kinder zum letzten Male zu sehen. Gertrud, die mit uns wachte, holte sie aus ihrem Bette und führte sie ganz weinend herbei. Die armen Kleinen vergossen Thränen, ohne sich genau Rechenschaft von ihrem Unglücke zu geben; sie fühlten Instinctartig, daß etwas Geheimnisvolles, Düsteres, Unendliches über ihnen schwebte: das war der Tod!

»Jacques segnete die zwei Kinder, die vor seinem Bette niederknieten; dann küßte er sie und winkte Gertrud, sie wegzuführen. Die Kinder wollten nicht gehen; ihre Thränen verwandelten sich in Schluchzen, und ihr Schluchzen in Geschrei, als man sie nötigte, das Zimmer zu verlassen. Das war eine Scene von tiefer Traurigkeit, von entsetzlicher Herzzerreißung, und ich habe sehr bange, zu meiner Strafe dieses Geschrei die ganze Ewigkeit hindurch zu hören . . . und dann,« fügte der Sterbende bei, »ein anderes Geschrei, das noch viel mehr herzzerreißend . . . «

Der Kranke sank zum zweiten Male zusammen; der Priester befürchtet, wenn er das Elixier verschwende, das ihm wieder Kräfte gegeben, seiner Wirksamkeit zu schaden: er beschränkte sich also diesmal darauf« daß er ihn Salze einathmen ließ, und dieses Reagens genügte in der That.

Herr Gèrard öffnete wieder die Augen, stieß einen Seufzer aus, wischte den Schweiß ab, der von seiner Stirne floß, und fuhr fort:

»Eine Stunde nach dem Abgange der Kinder verschied mein Bruder. Sein Tod war wenigstens sanft, und er starb, wie er es gewünscht hatte, »in unseren Armen . . . in den Armen zweier ehrlichen Leute, mein Herr! denn bis zur Todesstunde meines Bruders hatte ich mir, ich sage nicht einmal keine schlechte Handlung, sondern sogar keinen schlechten Gedanken vorzuwerfen . . . Am andern Tage oder vielmehr an demselben Tage, am frühen Morgen, entfernte man die beiden Kinder; Gertrud und Jean führten sie nach Fontainebleau, wo sie zwei Tage zubringen sollten, und wohin ihnen, sobald er seinem Freunde die lehre Ehre erwiesen, Herr Sarranti nachfolgen würde. Sie fragten« warum man ihnen nicht erlaube, ihren Vater zu küssen, ehe sie weggingen; man antwortete ihnen, ihr Vater sei nicht aufgewacht, da entgegnete aber das ältere Kind, Viktor, – ich weiß nicht, warum ich es wage, diesen Namen auszusprechen! – Victor, der eine Idee vom Tode zu haben anfing, entgegnete:

›Man hat uns schon einmal gesagt,« Mama schlafe; man hat uns schon so weggeführt, und wir haben Mama nie wiedergesehen! Papa ist ihr nachgefolgt, und wir werden ihn auch nie mehr sehen!‹ »Doch das Mädchen, das erst fünf Jahre alt war, sagte:

›Warum verlassen uns Papa und Mama, da wir sehr ordentlich sind, Niemand etwas zu Leide thun und sie so herzlich lieben?«

»Oh! in der That, arme Kinder! warum verließ Euch Euer Vater, und warum besonders, indem er Euch verließ, übergab er Euch in solche Hände? . . . «

Und der Kranke schaute seine abgezehrten Hände an, wie Lady Macbeth ihre blutige Hand anschaut, wenn sie sagt: »Oh! alles Wasser des großen Oceans wäre nicht hinreichend, um diese kleine Hand zu waschen!«

»Endlich gingen die Kinder ab,« fuhr Herr Gèrard fort; doch Gertrud hatte alte Mühe, um sie festzuhalten; sie streckten ihre Arme aus der Caleche und riefen:

›Wir wollen Papa küssen! . . . ‹

»Man war genötigt, die Fenster zu schließen.

»Wir beschäftigten uns sodann mit der Erfüllung der letzten Pflichten, die uns der Tod dieses armen Bruders auferlegte. Er hatte uns nichts Besonderes hinsichtlich des Begräbnisses empfohlen; wir legten seinen Leib im Friedhofe von Viry nieder. Die Beerdigung war das, was sie in einem Dorfe sein konnte,und an seinem noch offenen Grabe übergab ich dem Pfarrer, der die Todtengebete sprach, tausend Thaler für die Armen« damit die Gebete derjenigen, deren Unglück er selbst nach seinem Tode erleichterte, sich mit denen des Priesters verwischen möchten.

»Wie er es versprochen, begab sich Herr Sarranti, als er den Kirchhof verließ, nach Fontainebleau. Er sollte am andern oder am zweiten Tage mit den Kindern zurückkommen; ehe wir uns aber trennten, warfen wir uns Beide in Thränen zerfließend, beim Andenken an denjenigen, welchen wir verloren, einander in die Arme . . . Oh! vergeben Sie mir, daß ich einen Mann, den ich ans Herz gedrückt, angeklagt, verleumdet, gebrandmarkt habe!« rief der Kranke, indem er sich an Dominique wandte; »doch Sie werden sehen, ich war wahnsinnig, als ich dieses Verbrechen beging, und, Gott sei Dank, dieses Verbrechen kann wieder gut gemacht werden!«

Der Mönch war, wie gesagt, ungeduldig, das Ende der Beichte zu hören, von der der Sterbende selbst gestand, sie sei entsetzlich, so entsetzlich, daß wie groß auch seine Schwäche, derjenige, welcher sie that, so viel als möglich den Schluß hinausschob.

Er bat also Herrn Gèrard« fortzufahren.

»Ja, ja,« murmelte dieser; »doch fortzufahren, das ist gerade das Schwierige, und es ist wohl dem Reisenden, der bis auf zwei Drittel seines Weges nur reiche Ebenen und fruchtbare Thäler durchwandert hat, erlaubt, einen Augenblick zu zögern, ehe er sich in stinkende Sumpfe, unter tödtliche Abstürze und unergründliche Schlünde wagt!«

Der Dominicaner, so ungeduldig er war, schwieg und wartete.

Das Warten währte nicht lange, fühlte der Kranke, daß seine Stärke wiederkehrte oder befürchtete er im Gegentheile, was ihm an Kraft blieb, werde ihn ganz und gar verlassen, er fuhr fort:

»Ich kam allein in das Schloß zurück, das nun verödet war, denn die Kinder hatten es, von Jean und Gertrud weggeführt, verlassen, und Herr Sarranti hatte sich auch entfernt, um ihnen nachzufolgen. Ich war« düster und betrübt: ich hatte eine tiefe Trauer, nicht nur an den Kleidern, sondern auch im Herzen: eine Trauer zugleich um meinen Bruder, und um fünf und vierzig Jahre der Ehre, welche sterben sollten! Ich hätte den Weg nach dem Schlosse vergessen, wäre ich nicht durch das schmerzliche Geheul von Brasil geleitet worden. Man sagt, die Hunde sehen den unsichtbaren Gott, den man den Tod nennt, und wenn die ganze Natur bei seinem vorüberziehen schweige, so begrüßen sie ihn allein mit ihrem unheimlichen prophetischen Geheul. Das Geschrei des Hundes konnte an die Wahrheit dieser düsteren Legende glauben machen. Glücklich, selbst bei einem Thiere einen Schmerz zu finden, der dem meinigen entsprach, ging ich auch auf den Hund zu, wie ich auf ein menschliches Geschöpf, auf einen Freund zugegangen wäre.

»Doch kaum hatte mich Brasil erblickt« als er nicht auf mich zulief, sondern in der ganzen Länge seiner Kette, mit glühenden Augen, blutiger Zunge und gierigen Zähnen, gegen mich losstürzte. Ich bekam Angst vor diesem Zorne, ohne ihn zu begreifen; ich liebkoste gewöhnlich den Hund nicht, ich mißhandelte ihn aber auch nicht. Er liebte unendlich meinen Bruder und die Kinder. Warum dieser Haß gegen mich? Der Instinct hat also zuweilen die Oberhand über den Verstand.