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»Ja, ja, Du hast Recht, so ist es, « versetzte Lia erbleichend, »so viel also von der Vergangenheit.«

»Wollt Ihr auch die Gegenwart wissen?« fragte die Alte, indem sie ihre kleinen stechenden Augen auf die Gräfin richtete. —

»Ja, « erwiederte Lia nach kurzem-Zögern.

»Fühlt Ihr auch den Muth, die Kunde zu ertragen?«

»Ich bin stark.«

»Aber wenn es treffe, was bekomme ich, zur Belohnung?« fragte die Alte.

»Diese Börse, « versetzte die Gräfin, indem sie einen kleinen mit Perlen gestickten Beutel hervorzog, in dem man zwanzig Zechinen schimmern sah.

Die Augen der Zigeunerin glänzten bei dem Anblick des Geldes und sie streckte begierig die Hand nach dem Beutel aus.

»Einen Augenblick noch, « rief die Gräfin, »noch ist der Beutel nicht verdient.«

»Da habt Ihr Recht, « fuhr die Alte fort. »Reicht mir noch einmal Eure Hand.«

Lia erfüllte das Verlangen der Zigeunerin.

Die Gegenwart, « sprach die Alte, nachdem sie die Lignamente der Hand betrachtet hatte, »die-Gegenwart bietet Euch nur Trauriges dar. Hier diese Linie verkündet mir, daß Ihr eifersüchtig seid.«

»Habe ich unrecht, es zu sein?«

–»Darüber kann ich Euch keine Antwort geben, « versetzte die Sybille, denn diese Linie läuft mit zwei andern zusammen. Alles was ich weiß, ist, daß Euer Gemahl ein Geheimnis hat, welches er vor Euch verbirgt.«

»Ja, so ist es« murmelte die Gräfin, »weiter, weiter.«

»Es ist ein Frauenzimmer, welches die Ursache dieses Geheimnisses ist, « fuhr die Zigeunerin fort.

»Ein junges Frauenzimmer?« forschte Lia.

»Jung, allerdings, « antwortete das Weib nach kurzem Nachdenken.

»Und hübsch?«

»Ich sehe hier nur durch einen Schleier, und kann Euch also keine Antwort geben.«

»Und wo ist dieses Frauenzimmer?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wie, Du weißt es nicht?«

»Nein, ich weiß- nicht, wo sie heute ist. Es scheint mir, als sey sie in einer Kirche; aber ich kann Euch mit Gewißheit sagen, wo sie morgen seyn wird.«

»Und wo wird-sie morgen sein?«

»In einem kleinen Hause, in der-Straße San Giacomo No 11, im dritten Stockwerk, wo sie Euren Gemahl erwarten wird.«

»Ich will dieses Frauenzimmer sehen!« rief die Gräfin, indem sie ihre Börse der Zigeunerin zuwarf. »Fünfzig Zechinen, wenn Du machst, daß ich sie schaue.«

»Ich werde sie Euch zeigen, aber nur unter einer Bedingung.«

»Sprich, unter welcher?«

»Ihr müßt geloben, daß Ihr, was Ihr auch sehen und hören werdet, Euch auf keinen Fall zeigen wollt.«

»Ich verspreche das.«

»Es reicht nicht hin; es zu versprechen. Ihr müßt es beschwören.«

»Wohlan, ich schwöre.«

»Wobei?«

»Bei den Wunden Christi.«

»Gut. Dann müßt Ihr Euch den Anzug einer Nonne besorgen, Damit man Euch nicht erkenne.«

»Ich werde mir einen solchen aus dem Kloster holen lassen, in welchem meine Tante Aebtissin ist. Ich werde mich gleich morgen zu ihr begeben, unter dem Vorwande, ihr einen Besuch machen zu wollen, hole mich dort um zehn Uhr in einem verschlossenen Wagen ab, und harre meiner an der kleinen Pforte, die in die Straße Aremaccia führt.«

»Ich werde mich; dort einfinden, « versicherte die Wahrsagerin. —

Lia kehrte in die Villa zurück während die Alte sich kopfschüttelnd und ihr Geld zählend, entfernte.

Um zwei Uhr Odoardo zurück. Lia hörte, wie er den Kammerdiener fragte, ob keine Briefe für ihn angelangt wären. Der Kammerdiener verneinte diese Frage.

Lia stellte sich, als habe sie nichts vernommen, als die Schritte des Grafen, und lächelnd öffnete sie ihm die Thür.

»Welch eine angenehme Ueberraschung, « sprach sie, »Du kehrst früher zurück, als ich es erwartete.«

»Ich war beunruhigt, « erwiederte Odoardo, indem er einen Blick auf den Vesuv warf; »fühlst Du nicht, daß die Luft drückend ist? Siehst Du nicht, daß der Rauch aus dem Vesuv dichter emporsteigt, als gewöhnlich? Ich fürchte einen Ausbruch!«

»Ich fühle nichts, ich sehe nichts, « antwortete Lia. »Ueberdies wohnen wir nicht auf der bevorrechteten Seite?«

»Allerdings, und jetzt ist sie noch bevorrechteter als sonst, « erwiederte Odoardo, »denn ein Engel beschützt sie.«

Dieser Abend verging, wie alle früheren, ohne daß der Gras irgend einen Verdacht faßte, dergestalt wußte Lia ihren Schmerz zu verbergen.

Am folgenden Morgen bat Lia ihren Gemahl ums die Erlaubniß, ihre Tante, die Aebtissin des Klosters St. Maria, besuchen zu dürfen, welches ihr freundlich gestattet wurde.

Der Vesuv begann unterdessen ein immer drohenderes Ansehen zu bekommen; Beider Herz und Geist waren aber allzu sehr beschäftigt, als daß sie an den Vesuv hätten denken sollen. —

Die Gräfin stieg in ihren-Wagen und ließ sich nach dem Kloster fahren. Dort angelangt, bemerkte sie ihrer Tante, daß sie, um ein Werk der Wohlthätigkeit zu vollbringen, des Anzuges einer Nonne bedürfe. Die Aebtissin ließ Ihr einen solchen bringen. Lia legte denselben an. Als sie ihre Toilette beendigt hatte, erschien die alte Wahrsagerin vor der Klosterpforte und fragte nach ihr. Bald darauf hielt der Wagen in der Straße San Giacomo.

Lia und ihre Begleiterin stiegen aus, und legten den übrigen Theil zu Fuß zurück; sie traten durch eine kleine Thür in das Haus, fanden eine schmale dunkle Treppe und stiegen bis in das dritte Stockwerk. Dorf angelangt, öffnete die Alte eine Thür und trat in Art von Vorzimmer, wo seine andere Alte sie erwartete. Die beiden Weiber ließen den Schwur wiederholen, daß sie niemals verrathen werde, wie sie hinter das Geheimniß ihres Gemahls gekommen sey; nachdem die Gräfin den Eid der Treue abgelegt hatte, ward sie in ein kleines Gemach geführt, in dessen hölzerner Wand eine kleine unbemerkbare Oeffnung angebracht worden war. Lia legte ihr Auge an diese Oeffnung.

Das Erste, was in diesem Gemache ihre Aufmerksamkeit auf sich zog, war ein schönes junges Frauenzimmer, ungefähr von ihrem Alter, welches ganz angekleidet auf einem kostbaren Lager ruhte; sie schien der Müdigkeit unterlegen und fest eingeschlummert zu seyn.

Lia wandte sich, um eine der beiden Alten rücksichtlich dieses Frauenzimmers zu befragen. Beide waren verschwunden. Sie legte nun neuerdings ihr forschendes Auge eifrig an die Oeffnung.

Das junge Frauenzimmer erwachte, hob ihr Haupt empor und stützte es in ihre Hand. Ihr langes, schwarzes Haar wallte in üppigen Locken herab und bedeckte theilweise ihr Gesicht. Sie schüttelte das reizende Köpfchen, um diesen natürlichen Schleier zu entfernen, schlug das große Auge auf, und blickte um sich, gleichsam als wolle sie erforschen, wo sie sich befinde; dann umzuckte ein schwermüthiges Lächeln ihre Lippen. Sie lispelte ein kurzes Gebet, küßte ein kleines Cruzifix, welches an ihrem Halse hing und erhob sich alsdann von ihrem Lager; worauf sie an’s Fenster trat und hinab auf die Straße blickte, so als erwarte sie Jemand. Da dieser Erwartete aber noch nicht zu kommen schien, so setzte sie sich wieder.

Lia hatte keinen Blick von ihr abgewendet, und ihr Herz wollte brechen. Das junge Frauenzimmer war ungemein schön-

Der Blick Lia’s richtete sich nunmehr auf die Gegenstände, die sie umgaben. Alles in dem Gemache zeigte von dem größten Luxus, während das Zimmer, worin sich Lia befand, nur Armuth und Elend aussprach.

Es lag am Tage, daß das andere Zimmer ausdrücklich für die schöne Bewohnerin eingerichtet worden sei.

Diese saß indessen noch immer mit gesenktem Haupte da, ohne Zweifel dessen harrend, der dies alles so anmuthsvoll für sie geordnet hatte. Plötzlich hob sie den Kopf, hörte ihn, und richtete ihren Blick auf die Thür. Endlich erhob sie sich, preßte ihre eine Hand auf ihr Herz, und stützte die andere auf den Tisch, denn sie war nahe daran, in Ohnmacht zu sinken. Eine kurze Pause folgte, dann ward auf der Treppe ein Schall von Schritten hörbar, der selbst bis an Lia’s Ohr drang, die Thür des benachbarten Zimmers öffnete sich, die Unbekannte stieß einen lauten Schrei aus und streckte dem Kommenden die Arme entgegen.

Ein Mann stürzte in das Zimmer, und fing sie in seine Arme auf, grade als sie nahe daran war zu Boden zu sinken. Dieser Mann war war Graf Odoardo.

Das junge Frauenzimmer und er konnten nur wenige Worte mit einander wechseln.

»Odoardo! Therese!« darauf beschränkte sich ihr Willkommen.

Die Gräfin vermochte es nicht länger zu ertragen; sie preßte einen schmerzlichen Seufzer hervor und sank ohnmächtig zu Boden.

Als sie ihr Bewußtsein wieder erlangte befand sie sich in einem anderen Zimmer. Die beiden Alten besprengten ihr Gesicht mit Wassers und rieben ihre Stirn mit Essig.

Lia richtete sich rasch empor und wollte sich in das Zimmer stürzen, in welchem sich Odoardo mit der Unbekannten befand; die beiden Alten aber erinnerten sie an ihren Schwur. Lia beugte sich unter dem geleisteten Eide; sie zog aus ihrer Tasche eine Börse, welche gegen 50 Louisd’or enthalten mochte und reichte sie der Wahrsagerin.

Die Gräfin eilte darauf wieder die Treppe hinab, warf sich in ihrem Wagen, ertheilte den Befehl sie wider ins Kloster St. Maria zu bringen und kehrte zu ihrer Tante zurück.

Lia war so bleich, daß die gute Aebtissin augenblicklich bemerkte, es müsse ihr etwas Besonderes begegnet sein; auf alle Fragen ihrer Tante aber antwortete Lia nur, daß sie sich plötzlich unwohl gefühlt habe und daß ihre Blässe von einer Ohnmacht herrühre, in die sie gesunken sei.

Die Aebtissin drang in ihre Nichte, so lange im Kloster zu bleiben, bis sie sich wieder ganz wohl befände. Lia’s Aufregung aber war keine derjenigen, von denen man sich in einigen Stunden erholt. Die Wunde war tief und schmerzlich. Lia lächelte bitter, und bestand darauf Augenblicklich mach der Villa zurückkehren zu wollen.

Die Aebtissin machte sie darauf aufmerksam, daß der Gipfel des Vesuvs ganz und gar von Rauch- umhüllt sey, und bemerkte ihr, daß ohne Zweifel bald ein Ausbruch erfolgen werde; weshalb es verständiger sey, wenn sie ihren Gemahl ersuchen ließe, unverzüglich zu ihr zukommen, und bis die Gefahr vorüber sey mit ihr an einem sicheren Orte zu verweilen. Lia aber wandte ihr ein, daß der Ausbruch des Vesuv sich noch niemals über den Abhang hin ergossen habe, an dem ihre Villa lag. Worauf die Aebtissin, das sie sah, daß ihr Entschluß unwandelbar sey; ihr Lebewohl sagte und sie dem Schutze des Allmächtigen anvertraute.

 

Die Gräfin warf sich wieder in den Wagen. Zehn-Minuten darauf befand sie sich in der Villa Giordani.

Odoardo war noch nicht zurückgekehrt.

Hier verdoppelten sich Lia’s Qualen. Sie durcheilte wie eines Wahnsinnige Gärten und Gemächer, jedes Zimmer, jede Laube bot ihr noch vor wenigen Tagen die süßeste Erinnerung, heute erfüllten alle diese Orte ihre Seele mit namenlosen Schmerzen.

Ueberall hatte Odoardo seiner Gemahlin gesagt, daß er sie liebe. Jetzt fühlte Lia, daß hienieden Alles für sie verloren, und daß es ihr ganz Unmöglich sey, das Leben länger zu« ertragen; aber sie fühlte auch, daß es ihr ebenso und möglich sey zu sterben, und Odoardo in Einer Welt zurück zu lassen, in welcher ihre Nebenbuhlerin lebte. In diesem Augenblicke kam ihr ein furchtbarer Gedanke in die Seele, der Gedanke, Odoardo und sich selbst zu tödten. Als diese Idee zuerst in ihr erstieg, stieß sie einen Schrei des Entsetzens aus; nach und nach aber machte sie sich mit dem Gedanken vertraut. Ja, bald fühlte sie bei demselben eine finstere Freude; sie sah sich, den Dolch in der Hand wie sie Odoardo aus seinem Schlafe aufschreckte, ihm den Namen ihrer Nebenbuhlerin zurief und seine Brust durchbohrte, worauf sie sich selbst gleichfalls den tödtlichen Stoße versetzte und neben ihm ihr Leben aushauchte.

Sie begab sich in Odoardo’s Cabinet. Dort befanden sich Waffen von allen Gattungen und aus allen Ländern, von dem vergifteten Pfeil des Malayen an, bis auf die gothische Art des fränkischen Ritters. Lia ergriff einen türkischen Dolch von kostbarer Arbeit, der in einer samtenen Scheide steckte, und dessen Griff mit Edelsteinen geschmückt war. Sie nahm ihn mit sich in ihr Gemach und prüfte die Spitze des Stahls, dann verbarg sie denselben unter ihrem Kopfkissen.

In diesem Augenblick vernahm sie das Schnauben des Pferdes Odoardo’s, und da sie gerade vor ihrem Spiegel stand; gewahrte sie, daß sie blaß war wie eine Leiche. Sie lächelte bitter über ihre eigene Schwäche, aber sie erschrak vor sich selbst und schauderte zusammen.

In diesem Augenblick hörte sie die Schritte ihres Gemahls, der die Stiege heraufkam. Lia zog, schnell den Vorhang des Fensters herab, um dem Grafen die Veränderung ihrer Gesichtszüge zu verbergen.

Odoardo öffnete die Thür, und noch geblendet von dem Lichte draußen, rief er Lia mit der weichsten, zärtlichsten Stimme. Lia lächelte verächtlich, sie erhob sich aus dem Lehnsessel, in den sie sich gesetzt hatte und näherte sich ihrem Gemahl. —

Odoardo umarmte sie mit dem glücklichen Gefühle eines Mannes, welcher sich gedrungen fühlt, seine ganze Glückseligkeit auf Alles zu übertragen was ihn umgiebt. Lia glaubte, daß ihr Gemahl eine Liebe affektire, die er nicht mehr fühle. Einen Augenblick zuvor glaubte sie, daß sie ihn hasse, von jetzt an aber schien es ihr, als ob sie ihn nur verachten könne.

So verging der Tag, endlich erschien die Nacht. Mehrmals war Odoardo nahe daran, seiner Gemahlin das Geheimnis zu offenbaren, welches auf seinem Herzen lastete; jedes Mal aber erstarben ihm die Worte auf den Lippen, denn er erinnerte sich an das Versprechen, welches er seiner unglücklichen Schwester gegeben.

Im Laufe des Abends wurden die drohenden Anzeichen des Vesuvs immer furchtbarer Odoardo machte seiner Gemahlin mehrmals den Vorschlag, , ihre Villa zu verlassen und sich nach ihrem Palaste in, Neapel zu begeben; Lia aber argwöhnte, daß Odoardo nur deshalb in sie dringe, um seiner vermeintlichen Geliebten näher zu seyn, denn die Straße Toledo, in welcher sich sein Palast befand, war kaum hundert Schritte von der Straße San Giacomo entfernt. Sie erinnerte ihn also ruhig daran, daß die Seite des Vesuvs, auf der die Villa erbaut sey, noch niemals gelitten habe. Odoardo räumte dieses ein; aber er erklärte nichts desto weniger, daß falls der Vesuv am folgenden Tage noch eben so furchtbar rauchen werde, er fest entschlossen sey, die Villa zu verlassen und sich nach Neapel zu begeben.

Lia willigte ein, denn es blieb ihr ja die Nacht für ihre Rache, das war alles, was sie verlangte.

Durch ein seltsames Phänomen der Atmosphäre ward die Hitze immer drückender, je weiter die Nacht herabsank Vergebens standen die Fenster der Villa wie gewöhnlich weit geöffnet, um die frische Luft hereinzulassen; die Kühle fehlte heute, und aus dem Meere selbst erstieg ein warmer Nebel, der die Luft noch schwüler machte. Der Himmel, statt sich wie sonst mit Sternen zu schmücken, glich einem Gewölbe von glühendem Zinn, das mit drückender Schwere auf der Erde lastete. Eine fast unerträgliche Hitze dehnte sich von dem Berge her der Stadt zu, und ward mit jedem Augenblick heftiger.

Odoardo wollte wach bleiben. Dies bekannten Kennzeichen ängstigten ihn Lia’s wegen; Lia aber Zwang sich, seine Besorgniß zu belächeln; Lia schien gegen das ganze Phänomen gefühllos. Als der Graf sich mit halb geschlossenen Augen in einen Lehnstuhl warf, blieb Lia aufrecht stehn, entschlossen, unbeweglich, empor gehalten von dem Schmerze, der sie; durchwogte. Endlich erhob sich Odoardo, erklärte, daß er sich sehr ermattet fühle, bat Lia, ihn zu seinem Lager zu geleiten, warf sich unausgekleidet auf dasselbe, kämpfte noch einige Augenblicke gegen seinen Schlaf an, und entschlummerte endlich von Müdigkeit überwältigt, während seine Hand in der Lia’s ruhte.

Lia blieb neben seinem-Lager stehen, schweigend, regungslos, bis sie sich überzeugt hatte, daß der Schlaf vollständig sein Recht über ihn geltend gemacht habe, dann erst zog sie leise die Hand zurück, begab sich in das, Vorzimmer, ertheilte der Dienerschaft den Befehl, unverzüglich nach Neapel aufzubrechen, am den Palast für ihre Ankunft am folgenden Tage in Bereitschaft zu setzen; hierauf begab sie sich wieder in ihr Zimmer.

Die Diener, hocherfreut sich ohne Verletzung ihrer Pflicht in Sicherheit bringen zu können, machten sich unverzüglich auf den Weg. Die Gräfin, welche in ihrem offenen Fenster stand, vernahm wie sie sich entfernten und die Thür der Villa, so wie die Pforte des Gartens schlossen. Jetzt stieg sie wieder hinab, untersuchte die Vorzimmer, die Corridors u.s.w. Das ganze Haus war öde und verlassen; ganz wie die Gräfin es wünschte, befand sie sich jetzt allein mit Odoardo.

Lia kehrte in ihr Zimmer zurück, näherte sich ihrem Lager mit festem Schritt, erfaßte den Dolch, entblößte denselben, prüfte noch ein mal die Klinge und schritt alsdann mit zusammengepressten Lippen und starren Augen dem Gemach Odoardo’s zu.

Die Thür desselben stand offen. Sie näherte sich dem Lager; Odoardo schlief noch immer in der selben unbeweglichen Lage. —

Bei dem Bette angelangt, streckte sie die Hand aus, um die Stelle zu suchen, wo sie den tödtlichen Stoß anzubringen habe. Der Graf hatte wegen der drückenden Hitze, bevor er sich niederlegte, sein Halstuch gelöst und seine Weste geöffnet. Lia’s Hand berührte demnach auf seiner entblößten Brust dicht neben dem Herzen ein kleines Medaillon und eine Locke, die sie ihm bei seiner Abreise nach Sicilien gegeben hatte und die seitdem nie wieder von seinem Herzen gekommen war.

Von der größten Aufregung bis zur größten Schwäche ist oft nur ein Einziger Schritt. Kaum hatte Lia das Medallion erfaßt, als auch plötzlich alle seligen Momente ihrer ersten Liebe wie bezaubernde Gebilde an ihr vorüber zogen. Sie erinnerte sich mit jener bewunderungswürdigen Schnelligkeit, welche ganze Jahre in einer einzigen Secunde umschließt, des Tages, an dem sie Odoardo zum ersten Mal geschaut, des Tages, an dem sie ihm gestand, daß sie ihn liebe, des Tages, an welchem er nach Sicilien abgereist war, des Tages, an dem er zurückkehrte, um ihr seine Hand zu reichen. Diese Erinnerung überwältigte sie, der Dolch entfiel ihrer Hand, sie sank auf ihre Kniee nieder und flehte zu Gott, daß er über Odoardo und sie den Tod verhängen möge, den sie sich nicht mehr kräftig genug fühlte, mit eigener Hand herbeizuführen.

Gerade, als sie dieses-Gebet beendet hatte, ließ sich ein dumpfes donnerähnliches Rollen vernehmen, ein heftiger Stoß erschütterte den Fußboden, und ein blutrother Lichtstrahl leuchtete in das Gemach hinein. Lia hob das Haupt alle Gegenstände rund um sie her hatten ein phantastisches Ansehen gewonnen. Sie stürzte ans Fenster, dort ward ihr alles klar.

Der Vesuv hatte sich auf einer-Strecke von fast einer Viertelstunde lang gespalten. Eine heftige Flamme wälzte sich aus diesem höllischen Schlunde hervor, samt einem glühenden Lavastrome, der der Villa zu wogte, und dieselbe ins weniger als einer Viertelstunde zu erfassen drohte.

Lia, statt die wenigen Augenblicke zu benutzen, die ihr zur Rettung Odoardo’s noch übrig waren, glaubte im Gegentheil, daß Gott ihr Gebet vernommen und erhört habe, und ihre bleichen Lippen murmelten: Gott, Gott, Du bist groß, Du bist barmherzig, ich denke Dir!«

Und mit freudigen Blicken betrachtete sie den heranflutende Strom der feurigen Lava.

Derselbe wogte, wie wir bereits berichtet haben, geraden Wegs auf die Villa Giordani zu, gleichsam als sey er von dem Zorne des Himmels abgesandt, diese Stätte zuerst zu ergreifen und zu vertilgen. Der Feuerstrom aber bewegte sich langsam genug, um Menschen und Thieren Zeit zu gestatten, ihm zu entfliehen oder ihm auszuweichen. So wie er näher kam, ward die Luft immer trockener und brennender. Die Quellen versiegten, Bäume und Kräuter verdorrten, wie von einem Pesthauche erfaßt. Lia allein blieb bei Allem unbewegt und murmelte nur dumpf vor sich hin: »Fluthe nur immer heran, nur immer näher, immer näher.«

In diesem Augenblick schien es Lia, als ob Odoardo erwache. Sie näherte sich rasch seinem Lager, sie hatte sich geirrt; Odoardo auf dem während des Schlafes die drückende Hitze lastete, rang mit irgend einem grauenvollen Traumbilde. Es schien, als wolle er einen drohenden Gegenstand von sich zurückstoßen. Lia betrachtete ihn einen Augenblick lang und erschrak über den schmerzlichen Ausdruck seiner Züge. In diesem Moments aber löste sich das Band das seine Zunge fesselte, Odoardo sprach den Namen »Therese« aus. Es war also Therese die er in seinem Traume erschauete; es war also Therese, für die er zitterte! Ei furchtbares Lächeln umzuckte ihre Lippen, und sie trat wieder ans Fenster zurück.

Unterdessen strömte die Lava immer mehr heran; und bereits hatte sie ein bedeutendes Terrain gewonnen; schon dehnte sie ihre feurigen Arme rundum den Hügel aus, auf dem die Villa erbaut war. Hätte Lia in diesem Augenblick Odoardo erweckt, so wäre es noch zeit genug gewesen zu entfliehen. Lia aber schwieg, und war im Gegentheil von der Angst erfüllt, daß das Getöse draußen Odoardo aus seinem Schlafe aufschrecken könne.

Dem aber war nicht so.

Lia sah, wie die Lava hinter dem Hügel immer höher und hoher heranschwellte. Jetzt stieß sie einen schwachen Freudenschrei aus. Jede Flucht war jetzt unmöglich. Die Villa und ihre Gärten waren nur noch auf allen Seiten von einem Flammenmeer umwogte Insel. bald wogten die feurigen wellen gegen die Mauern des Parks heran, und die letzteren stürzten zusammen unter dem glühenden Andrange. Die Flammen erfaßten die Wurzeln der Bäume und in einem Augenblick standen diese bis zu Gipfel im Feuer. Endlich zeigten sich die ersten Lavawogen in den Alleen des Gartens. Bei diesem Anblick fühlte Lia, daß ihr kaum noch Zeit genug übrig sey, Odoardo zu wecken, um ihm sein Verbrechen vorzuhalten und ihm zu verkünden, daß sie jetzt mit einander sterben würden. Sie verließ das Fenster und näherte sich dem Lager.

»Odoardo! Odoardo!« rief sie, indem sie seinen Arm erfaßte und ihn schüttelte, »Odoardo, erwache, um zu sterben!«

Diese furchtbaren Worte, mit dem heftigsten Verlangen nach-Rache ausgesprochen, wurden von ihr wiederholt und schreckten den Grafen aus seinem festen Schlafe auf. Er richtete sich von seinem Lager empor, vernahm das zerspringen der Fensterscheiben, empfand die Gluth der heranfluthenden Lava, fühlte, wie das Haus zu schwanken begann, sprang rasch aus dem Bette und schrie:

»Der Vulkan! der Vulkan! Hatte ich es Dir nicht voraus gesagt, Lia?«

Er stürzte ans Fenster, sah wie jeder Ausweg versperrt war, und kehrte alsdann verzweiflungsvoll zu der Gräfin zurück.

»Lia, Lia, mein theures Leben!« jammerte er, wir sind verloren!« —

»Das weiß ich, « antwortete Lia mit eisiger Kälte.

»Wie, Du weißt es?«

 

»Seit einer Stunde beobachte ich den Vulkan, ich habe mich nicht zur Ruhe gelegt.«

»Wenn Du nicht schliefest, warum hast Du mich denn nicht geweckt?«

»Du, träumtest von Theresen, ich wollte Deinen Traum nicht stören.«

»Ja wohl, ich träumte, daß man mir meine Schwester zum zweiten Man rauben wolle. Ich träumte, daß man mich getäuscht habe, daß sie wirklich todt sey, daß sie in dem kleinen Zimmer in der Straße San Giacomo auf ihrem Bette ruhe, daß man seinen Sarg bringe, um sie zu beerdigen. Es war ein furchtbarer Traum, aber noch bei weitem weniger furchtbar, als die grauenvolle Wirklichkeit.«

»Wie, was sagst Du?« fragte die Gräfin, indem sie Odoardo’s Hand erfaßte und ihn starr anblickte, »diese Therese wäre Deine Schwester

»Nun ja, allerdings.«

»Jenes Frauenzimmer, welches in der Straße Satt Giacomo No 11, drei Treppen hoch, wohnt, sie ist Deine Schwester

»So ist es.«

»Deine Schwester ist ja todt, Du lügst!«

»Meine Schwester lebt, Lia, meine Schwester lebt, wir aber werden sterben. Meine Schwester war mit einem französischen Obristen entflohen, der getödtet worden ist. Ich hielt sie gleichfalls für todt, man hatte es mir gesagt; aber ich empfing vorgestern einen Brief von ihr, gestern sah ich sie selbst. Sie war es selbst, meine Schwester Therese; verblüht, gedemüthigt, wollte sie unerkannt, bleiben. Aber was kümmert uns dies alles jetzt? Fühlst Du nicht, wie das Haus unter unsern Füßen schwankt? Hörst Du nicht, wie die Mauern sich spalten? Ewiger Gott, stehe uns bei!«

»Verzeihung, Verzeihung, « flehte Lia, indem sie vor Odoardo auf ihre Kniee sank. »O, verzeihe mir, bevor ich sterbe!«

»Und was soll ich Dir verzeihen? fragte der Graf, was habe ich Dir zu verzeihen?«

»Odoardo! Odoardo! ich bin es, die Dich tödtet! Ich hielt jenes Frauenzimmer für eine Nebenbuhlerin, und da ich nicht mehr mit Dir leben konnte, beschloß ich mit Dir zu sterben. Allmächtiger Gott! und giebt es kein Mittel zu unsrer Rettung! Komm, komm, Odoardo, « rief Lia, wir wollen suchen zu entfliehen! Ich bin stark, ich hege keine Furcht. —

Und sie erfaßte die Hand ihres Gemahls und beide stürzten nach allen Ausgängen, überall aber fluthete ihnen die feurige Lava wegsperrend entgegen.

Lia war auf ihre Kniee niedergesunken, denn ihre Kräfte schwanden, Odoardo nahm sie in seine Arme stürzte mit ihr von Fenster zu Fenster und schrie um Hilfe. Jeder Beistand aber lag außer dem Bereiche menschlicher Gewalt, die Lava stieg unterdessen immer höher und höher. Odoardo suchte instinktmäßig eine Zuflucht auf der Terrasse des Hauses; dort aber überzeugte er sich noch mehr, daß alles verloren sey. Er sank nieder auf seine Kniee und hob Lia mit seinen Armen hoch über sich empor, gleichsam als hoffe er ein Engel werde sich ihrer erbarmen und sie in seinen Schutz nehmen.

»Ewiger Gott!« flehte er, »habe Barmherzigkeit mit uns!« —

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als die Terrasse unter ihm schwankte und mit ihm und der ohnmächtigen Lia in den-Feuerschlund hinabstürzte. Die Mauern der Villa schlossen sich über ihnen, wie über einem Grabe. Die Lava wogte über die Ruinen hin und – Alles war vorüber.