Loe raamatut: «Kartell Compliance», lehekülg 43

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B. Die Delikte im Einzelnen

I. Untreue (§ 266 StGB)

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Der Untreuetatbestand ist – neben dem Betrugstatbestand – zentraler Tatbestand zum Schutz des Vermögens. Daher kommt ihm in der Praxis eine herausragende Bedeutung zu. Im Gegensatz zum Betrug liegt das charakteristische Unrecht der Untreue in der Schädigung des Vermögens von innen. Täter kann damit nur sein, wer durch seine besondere Stellung dazu verpflichtet ist, fremdnützig Vermögen zu betreuen.

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Seit jeher gestaltet sich die Auslegung des Untreuetatbestands schwierig: „Sofern nicht einer der klassischen Fälle der Untreue vorliegt, weiß kein Gericht und keine Anklagebehörde, ob § 266 vorliegt oder nicht.“[4] Dieser viel zitierte Satz mag zwar aus dem Jahr 1954 stammen. Er trifft den Kern des Problems aber nach wie vor[5] und führt insbesondere dem Präventivberater vor Augen, dass sich die Entwicklung der Rechtsprechung in Verfahren, die einen Untreuevorwurf zum Gegenstand haben, nie sicher prognostizieren lassen wird. Manche sprechen gar von einem „Lotteriespiel“[6] oder einer „willkürlichen Von-Fall-zu-Fall-Rechtsprechung“[7]. Insbesondere die offene Formulierung des Treubruchstatbestand lässt zahlreiche Auslegungsvarianten zu und erschwert demnach sowohl dem Bürger als auch dem Rechtsanwender die Einschätzung seiner Grenzen. Dies hat immer wieder zu Zweifeln an der verfassungsmäßigen Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) des Untreuetatbestandes geführt. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Einwände jedoch stets zurückgewiesen[8] und zum Ausdruck gebracht, dass die Rechtsprechung sowohl dazu in der Lage als auch dazu angehalten sei, den Tatbestand verfassungskonform zu konkretisieren.[9] Es hebt im Zusammenhang mit dem für die Untreue erforderlichen Vermögensnachteil sogar positiv hervor, dass die bisherige Rechtsprechung das Tatbestandsmerkmal „zukunftsoffen für neue wirtschaftliche Zusammenhänge“ auslege.[10] Damit bleibt dem Präventivberater nichts anderes übrig, als sich eingehend mit der zu § 266 StGB ergangenen Rechtsprechung zu befassen und die Bereiche zu lokalisieren, in denen zukünftig eine strafbarkeitserweiternde Auslegung drohen könnte.

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Im Kontext kartellrechtswidriger Verhaltensweisen hat es bisher nur vereinzelt Entscheidungen gegeben, die eine Untreuestrafbarkeit zum Gegenstand hatten. In Ermangelung einschlägiger Präjudizien ist der Rechtsanwender in diesem Bereich daher umso mehr dazu angehalten, relevante Fallkonstellationen zu antizipieren und auf der Basis der zur Untreuestrafbarkeit ergangenen Rechtsprechung zu einer belastbaren Prognoseentscheidung zu gelangen. Als Faustformel gilt, dass eine Untreuestrafbarkeit stets dort bedacht werden sollte, wo kartellrechtsrelevantes Verhalten – wenn auch nur mittelbar – negativen Einfluss auf das Unternehmensvermögen haben könnte.

1. Tatbestand der Untreue vor und neben kartellrechtswidrigem Verhalten

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Die Untreue umfasst gem. § 266 Abs. 1 StGB zwei Tatbestandsvarianten, den Missbrauchs- und den Treubruchstatbestand, wobei das Verhältnis der beiden Tatbestandsvarianten aufgrund zahlreicher Überschneidungen seit jeher umstritten ist. Sowohl der Missbrauchs- als auch der Treubruchstatbestand setzen eine Vermögensbetreuungspflicht voraus.[11] Zu den Voraussetzungen und Grenzen der Vermögensbetreuungspflicht existiert eine breite und stark fallgruppenorientierte Kasuistik.[12] Hieraus lassen sich immerhin einzelne Kriterien der Rechtsprechung zur Begründung einer Vermögensbetreuungspflicht abstrahieren – wobei die Rechtsprechung in Abhängigkeit von den „Umständen des Einzelfalls“ die nachfolgenden Kriterien ganz unterschiedlich gewichtet. Danach muss die Pflicht, das Vermögen des Treugebers zu schützen, eine „wesentliche Aufgabe“ bzw. eine „Hauptpflicht“ des Treunehmers darstellen.[13] Der übertragene Aufgabenkreis weist Elemente der Geschäftsbesorgung auf und die Tätigkeit des Treunehmers muss durch Eigenverantwortlichkeit und Selbstständigkeit geprägt sein.[14] Fehlt ein gewisses Maß an Handlungsfreiheit, spricht dies gegen eine Vermögensbetreuungspflicht. Ausschlaggebend für die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht ist nicht nur das formal wirksame Rechtsverhältnis. Sie kann auch auf tatsächlichen Treue- und Herrschaftsverhältnissen basieren.[15] Umgekehrt schließt die Rechtsprechung aus bestimmten formalen Positionen – wie z.B. der Eigenschaft als Geschäftsführer einer GmbH – stets auch auf eine Vermögensbetreuungspflicht. Bei Positionen unterhalb der Geschäftsleitung sind die mit der jeweiligen Position verbundenen Pflichten und Befugnisse in den Blick zu nehmen.

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Dementsprechend kann grundsätzlich sowohl in einem Unternehmen als auch in einer staatlichen Institution jedem Mitarbeiter, Bediensteten und Amtsträger eine Vermögensbetreuungspflicht zukommen, sofern die oben aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Auch den Compliance-Beauftragten kann eine Vermögensbetreuungspflicht i.S.d. § 266 StGB treffen.[16] Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob und inwieweit die Tätigkeit des Compliance-Beauftragten Vermögensbezug aufweist und wie weit sein eigener Ermessensspielraum reicht.[17] Im Kontext von Auftragsvergaben kann der mit der Vergabe befasste Mitarbeiter oder Beamte ebenfalls vermögensbetreuungspflichtig i.S.d. § 266 StGB sein. Sofern es sich hierbei zugleich um den Geschäftsführer einer GmbH handelt, wird dies regelmäßig der Fall sein.[18] Aber auch bei externen Dienstleistern hat die Rechtsprechung eine Pflicht zur Betreuung des Vermögens des Auftraggebers aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung bejaht.[19] Demnach kann einen Ingenieur, der u.a. neben der Genehmigungs- und Ausführungsplanung auch mit der Vergabe von Aufträgen betraut ist, eine Vermögensbetreuungspflicht treffen. Hier sei nämlich die Vertragsbeziehung auf die Herbeiführung eines möglichst vorteilhaften Vertragsabschlusses gerichtet und habe deshalb die Betreuung fremder Vermögensinteressen zum Gegenstand gehabt.

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Bei Auftragnehmern – bzw. deren Organen und Mitarbeitern –, die aufgrund wettbewerbswidriger Absprachen in den Genuss verbesserter Vertragskonditionen kommen, kann eine Vermögensbetreuungspflicht regelmäßig nicht angenommen werden. Personen aus der Auftragnehmersphäre können sich aber wegen einer Anstiftung oder Beihilfe zur Untreue gem. §§ 266 Abs. 1, 26 bzw. 27 StGB strafbar machen, sofern sie den Tatentschluss des Treunehmers hervorgerufen oder ihm zu seiner Tatausführung Hilfe geleistet haben. Für Letzteres kann bereits der Umstand genügen, dass der Auftragnehmer als Vertragspartner bei der wettbewerbswidrigen Auftragsvergabe die Untreuetat des Treupflichtigen überhaupt erst ermöglicht hat.[20] Insbesondere in den Fällen, in denen der Auftragnehmer im Zuge der wettbewerbswidrigen Absprache an den Treunehmer ein Schmiergeld zahlt, liegt neben einer Strafbarkeit wegen aktiver Bestechung (§ 334 StGB) bzw. Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB)[21] auch eine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe zur Untreue nicht fern.[22]

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Der Missbrauchstatbestand betrifft Fälle, in denen der Treunehmer nach außen hin wirksam, d.h. im Rahmen seines rechtlichen „Könnens“ handelt, aber im Innenverhältnis das rechtliche „Dürfen“ überschreitet. Erforderlich zur Erfüllung des Missbrauchstatbestandes sind demnach rechtlich wirksame Verpflichtungen oder Verfügungen. Hieran kann es fehlen, wenn etwa der mit der Vergabe Betraute und der Auftragsnehmer kollusiv zusammenwirken, um vergaberechtswidrig unter Einbeziehung von Schmiergeldzahlungen Verträge zu schließen. Sind derartige Vertragsabschlüsse i.S.d. § 138 BGB sittenwidrig oder verstoßen sie gem. § 134 BGB gegen ein gesetzliches Verbot, ist der Missbrauchstatbestand nicht erfüllt.[23] Der Treubruchtatbestand ist – unabhängig von der zivilrechtlichen Wirksamkeit des Verhaltens – erfüllt, wenn der Täter seine Pflicht, das Vermögen fremdnützig zu betreuen, verletzt. Damit kommt grundsätzlich jede vermögensrelevante Handlung in Betracht, durch die die Vermögensbetreuungspflicht verletzt wird.[24] Auf Grund der unzähligen Verhaltensweisen, die eine Treuepflichtverletzung darstellen, kommt dem Treubruchtatbestand in der Praxis herausragende Bedeutung zu.

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Der Treubruchstatbestand setzt die Pflichtwidrigkeit des jeweils relevanten Verhaltens voraus. Ob das Verhalten pflichtwidrig ist, richtet sich nach dem der Treuepflicht zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Es besteht daher eine Anbindung an zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Normen.[25] Die Anknüpfungspunkte für pflichtwidriges Verhalten sind damit zahlreich, die Reichweite und Grenzen für die Annahme der Pflichtwidrigkeit unklar. Im Hinblick auf die tatbestandliche Weite verlangt die Rechtsprechung daher eine „evidente“ Pflichtverletzung.[26] Außerdem sind Verstöße gegen Rechtsnormen nur dann pflichtwidrig i.S.d. § 266 StGB, wenn die verletzte Rechtsnorm vermögensschützenden Charakter für das zu betreuende Vermögen hat,[27] wobei die Rechtsprechung es bereits für ausreichend erachtet, wenn die Vorschrift lediglich mittelbar dem Vermögensschutz dient.[28]

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Im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe kommen für eine Pflichtverletzung auf Veranstalterseite insbesondere die Pflichten des § 97 GWB in Betracht, die die Mechanismen des Wettbewerbs und damit jedenfalls mittelbar auch das Vermögen des Auftraggebers i.S.d. § 98 GWB schützen. Geht mit der Verletzung des Vergaberechts eine „Kick-Back“-Vereinbarung einher, wird diese i.d.R. bereits unabhängig von den vergaberechtlichen Regelungen eine Treuepflichtverletzung begründen.[29] Auch im Rahmen der privatwirtschaftlichen Auftragsvergabe kann ein Fehlverhalten des für die Durchführung des Vergabeverfahrens Verantwortlichen eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht darstellen. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn zur Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs unter Einsatz von erheblichen Schmiergeldzahlungen veranlasst wird, dass Aufträge zu einem überhöhten Preis vergeben werden, obwohl die konkrete Möglichkeit des Abschlusses zu einem niedrigeren Preis bestanden hätte.[30]

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Noch weitestgehend ungeklärt ist die Frage, ob und inwieweit sanktionsbewährte Verstöße gegen das Kartellrecht Pflichtverletzungen i.S.d. § 266 StGB darstellen können. Nach einer Aufdeckung von Kartellrechtsverstößen drohen mitunter erhebliche negative Folgen für das Unternehmensvermögen, die existenzgefährdende Ausmaße annehmen können. Zu den vermögensrelevanten Folgen zählen insbesondere die Kartellgeldbuße (§ 81 GWB), Vorteilsabschöpfung (§ 34 GWB), Rückerstattung (§ 32 Abs. 2a GWB), Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 29a OWiG), Schadensersatz (§ 33a GWB) sowie faktische Schädigungen des Firmenwerts („Goodwill“).[31] Dies wirft die Frage auf, ob kartellrechtswidriges Verhalten eine auf die Vermögensbetreuungspflicht bezogene „Pflichtverletzung“ i.S.d. § 266 StGB darstellen kann. Richtigerweise stellt kartellrechtswidriges Verhalten für sich genommen keine Pflichtverletzung i.S.d. § 266 StGB dar. Die kartellrechtlichen Vorschriften schützen nicht spezifisch das Vermögen der an den wettbewerbsbeschränkenden Absprachen beteiligten Unternehmen, denen der Kartellrechtsverstoß zugutekommen soll.[32] Eine allenfalls anzunehmende Plicht des Treuepflichtigen, das Vermögen des Treugebers nicht durch – vor allem mit Geldbuße – sanktionsbewährte Verhaltensweisen zu verletzen, stellt keine spezifisch das Unternehmensvermögen schützende Norm dar.[33] Es handelt sich bei dieser Pflicht lediglich um einen Rechtsreflex, der aus der verletzten Bestimmung resultiert.[34] Vereinzelt wird allerdings auch das Gegenteil vertreten und zur Annahme einer Pflichtverletzung i.S.d. § 266 StGB für ausreichend befunden, dass der Geschäftsführer eines Unternehmens unlauteren Wettbewerb betreibt und damit sein Unternehmen ohne legitimierenden Grund bewusst in die Gefahr der Inanspruchnahme durch Dritte bringt.[35] Vertretbar erscheint dieser Ansatz allerdings nur, wenn zur Annahme der Pflichtverletzung nicht an die kartellrechtlichen Vorschriften selbst, sondern an im Unternehmen existierende Compliance-Richtlinien zur Vermeidung von Kartellrechtsverstöße angeknüpft wird. Das Risiko einer Untreuestrafbarkeit ergibt sich im Unterschied zu der unmittelbaren Verletzung einer Vorschrift des Kartellrechts dadurch, dass nicht das Kartellrecht selbst die rechtliche Grundlage für die Vermögensbetreuungspflicht bildet, sondern die – arbeitsrechtliche bzw. organschaftliche – Verpflichtung des handelnden Mitarbeiters gegenüber seinem Arbeitgeber zur Beachtung der Compliance-Vorschriften.[36] Compliance dient nämlich in besonderem Maße dazu, Vermögensnachteile durch Schadensersatzverpflichtungen oder Vermögenssanktionen zu vermeiden und damit – im Bereich der Kartell-Compliance jedenfalls mittelbar – dem Erhalt des Unternehmensvermögens.[37]

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Der Tatbestand der Untreue kann auch durch Unterlassen begangen werden. In beiden Tatbestandsvarianten des § 266 Abs. 1 StGB kann demzufolge die Nichtvornahme einer rechtlich gebotenen Handlung eine Pflichtverletzung begründen.[38] Praktisch relevant ist daher die Frage, ob und inwieweit fehlende oder unzureichende Compliance-Richtlinien eine (Untreue-)Strafbarkeit nach sich ziehen können.[39] Legt man – z.B. bei Aktiengesellschaften gestützt auf eine Gesamtanalogie aus §§ 91 Abs. 2, 93 AktG[40] – eine rechtliche Pflicht zur Etablierung eines Compliance-Systems zu Grunde, wirft dies die Frage auf, inwieweit derartige Pflichten als „Treuepflichten“ i.S.d. Untreuetatbestands gewertet werden können. Es wird grundsätzlich, aber auch speziell im Bereich der Kartell-Compliance vertreten, dass die Geschäftsleitung ihre Vermögensbetreuungspflicht i.S.d. § 266 StGB verletzen kann, wenn sie eine gesetzlich vorgeschriebene Compliance-Organisation nicht einrichtet.[41] Die Pflicht, eine Compliance-Organisation einzurichten, dient nämlich ebenso wie die Pflicht, derartige Regeln zu befolgen, jedenfalls mittelbar dem Schutz des Unternehmensvermögens. Folglich ist es möglich, dass die Rechtsprechung zukünftig eine – ja nach Fall vertragliche oder gesetzliche – Verpflichtung gegenüber dem Unternehmen zur Implementierung und Aufrechterhaltung eines effektiven kartellrechtlichen Compliance-Systems als eine spezifisch das Vermögen schützende Treuepflicht i.S.d. § 266 Abs. 1 StGB bewertet.

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Dementsprechend kommt auch die Annahme einer Treuepflichtverletzung durch den Compliance-Beauftragten in Betracht, wenn dieser seine Pflicht, durch geeignete Compliance Rechtsverstöße im Unternehmen zu unterbinden, gravierend missachtet.[42] Implementiert der für Compliance verantwortliche – und zugleich vermögensbetreuungspflichtige – Mitarbeiter in seinem Zuständigkeitsbereich evident pflichtwidrig kein geeignetes System zur Verhinderung von Kartellordnungswidrigkeiten, kann dies als Treuepflichtverletzung i.S.d. § 266 StGB angesehen werden. Ein Strafbarkeitsrisiko besteht damit auch für den Fall, dass die Geschäftsleitung oder der für die Compliance Verantwortliche erkennt, dass das im Unternehmen etablierte System ineffizient ist, oder er konkrete Kenntnis besitzt, dass sich Mitarbeiter nicht an die Regeln halten, und dennoch untätig bleibt. Die Annahme einer Treuepflichtverletzung muss aber „schlechthin unvertretbaren“[43] Entscheidungen vorbehalten bleiben.

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Der Untreuetatbestand schützt vor Schädigungen des Vermögens. Er setzt daher den Eintritt eines Vermögensnachteils voraus. Der Nachteilsbegriff i.S.d. § 266 StGB entspricht im Wesentlichen dem Begriff des Schadens beim Betrug. Zur Bestimmung des Schades ist eine Gesamtsaldierung, d.h. ein Wertvergleich des Vermögens vor und nach der Tathandlung, erforderlich. Praktisch bedeutsam und in der Rechtsprechung anerkannt ist auch der sog. Gefährdungsschaden, der immer dann in Betracht kommt, wenn Vermögenswerte zwar noch nicht vermindert wurden, aber so konkret gefährdet sind, dass nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise bereits eine Verschlechterung der gegenwärtigen Vermögenslage eingetreten ist. In Fällen der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung eines Schmiergeldes zur Umgehung eines Vergabeverfahrens wird von der Rechtsprechung regelmäßig ein Schaden mindestens in Höhe der Schmiergeldsumme angenommen.[44] Dahinter steht der Gedanke, dass der vereinbarte Preis im Rahmen einer wettbewerbskonformen Auftragsvergabe mindestens um die Höhe des Schmiergeldes niedriger gelegen hätte bzw. hätte liegen können. Knüpft der Untreuevorwurf an die Verursachung einer Kartellgeldbuße oder Schadensersatzverpflichtung – z.B. durch kartellrechtswidriges Verhalten oder unzureichende Compliance – an, liegen Tathandlung (bzw. Unterlassen) und Schadenseintritt regelmäßig auseinander. Aus diesem Grund kommt allenfalls ein Gefährdungsschaden in Betracht. Allerdings dürfte es stets mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden – wenn nicht gar unmöglich – sein, zum Zeitpunkt des kartellrechtswidrigen Verhaltens eine Vermögensminderung nach wirtschaftlich anerkannten Maßstäben festzustellen und zu beziffern. Für den endgültigen Schadenseintritt (z.B. durch eine Kartellgeldbuße) muss nämlich stets das kartellbehördliche Einschreiten hinzutreten. Dieses wird dem eigentlichen Verstoß i.d.R. zeitlich nachgelagert und dessen Ausgang zum Zeitpunkt des tatbestandlichen Verhaltens nicht konkret prognostizierbar sein. Knüpft der Vorwurf an fehlende oder unzureichende Compliance an, muss darüber hinaus ein ebenfalls in seiner konkreten Ausgestaltung kaum prognostizierbares kartellrechtswidriges Verhalten einer Person im Unternehmen hinzukommen. Es ist kaum vorstellbar, in derartigen Szenarien im Zeitpunkt der Treuepflichtverletzung eine bezifferbare Vermögensminderung festzustellen. Für einen Teil der Literatur, der zu Recht einen „Unmittelbarkeitszusammenhang“[45] zwischen Vermögensgefährdung und endgültigen Schaden verlangt, muss der Nachteil ohnehin ausscheiden. Ein signifikantes Strafbarkeitsrisiko verbleibt jedoch, da die Rechtsprechung bei Unsicherheiten hinsichtlich der Schadenshöhe für die Annahme eines Vermögensnachteils i.S.d. § 266 StGB auch die Feststellung eines „Mindestschadens“ genügen lässt, sofern dieser unter Beachtung des Zweifelssatzes im Wege einer tragfähigen Schätzung ermittelt wird.[46]

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In den meisten Fällen dürfte eine Untreuestrafbarkeit im Zusammenhang mit kartellrechtswidrigem Verhalten jedenfalls am subjektiven Tatbestand scheitern. Für den subjektiven Tatbestand genügt zwar bedingter Vorsatz. Um der Weite des Untreuetatbestands entgegenzuwirken, müssen an den Untreuevorsatz aber strenge Anforderungen gestellt werden.[47] Dies gilt in besonderem Maße, wenn lediglich bedingter Vorsatz und uneigennütziges Handeln in Rede stehen.[48] Sorgfältiger Prüfung bedarf nach der Rechtsprechung die Annahme des Vorsatzes insbesondere bei Gefährdungsschäden. Hier ist neben der Kenntnis der konkreten Möglichkeit des Schadenseintritts auch die Billigung der Realisierung der Gefahr erforderlich.[49] Unter dieser Prämisse dürfte es in den meisten hier angesprochenen Fallkonstellationen am Vorsatz fehlen. I.d.R. bezweckt die sich kartellrechtswidrig verhaltende Person keinen Vermögensnachteil, sondern vielmehr umgekehrt – u.U. neben eigenen (mittelbaren) Vorteilen – einen Vermögenszuwachs im eigenen Unternehmen. Häufig wird das Risiko einer kartellrechtlichen Ahndung – abgesehen von besonders schweren Verstößen – vielfach schlicht übersehen oder jedenfalls deutlich unterschätzt. In solchen Fällen liegt dann aber allenfalls bewusst fahrlässiges Verhalten vor, das vom Untreuetatbestand nicht erfasst ist.

2. Untreue durch Übernahme von Verteidigungskosten oder Geldbußen

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Risiken für eine Untreuestrafbarkeit können auch im Nachgang zu kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen entstehen, wenn ein Unternehmen in Erwägung zieht, Verteidigungskosten oder Geldbußen für dessen Mitarbeiter zu übernehmen. Beides kann sinnvoll sein, wenn Unternehmen durch eine Kooperation mit den Kartellbehörden in den Genuss der sog. „Kronzeugenregelung“ gelangen möchten, um hierdurch einen Bußgelderlass oder zumindest eine Bußgeldreduzierung zu erzielen. Die Übernahme bietet sich aber auch in den Fällen an, in denen sich das Unternehmen nach Einleitung eines Kartellordnungswidrigkeitenverfahrens gegen die Vorwürfe koordiniert verteidigen möchte. In beiden Fällen erstreckt sich das Risiko einer bußgeldrechtlichen sowie strafrechtlichen Ahndung häufig auch auf Mitarbeiter des Unternehmens. Soll eine koordinierte Verteidigung gegen den Vorwurf erfolgen oder eine etwaige Kooperation den gewünschten Effekt auf die Sanktionshöhe erzielen oder gar einen Bußgelderlass zur Folge haben, wird dies häufig nicht ohne die Einbeziehung der (mutmaßlich) unmittelbar in die kartellrechtswidrigen Absprachen eingebundenen Leitungsorgane oder Mitarbeiter gelingen. Vor diesem Hintergrund benötigen die natürlichen Personen eigenen anwaltlichen Beistand, mit dem die Unternehmensvertreter bestenfalls gemeinsame Interessen ausloten und Synergieeffekte bei einem koordinierten Verhalten (sog. „Sockelverteidigung“) gegenüber den Behörden erzielen können. Meist stellt sich dann die – für den betroffenen Mitarbeiter äußerst relevante – Frage, ob das Unternehmen für die Verteidigungskosten aufkommen kann. Steht die Verhängung eines Bußgeldes – z.B. im Zuge eines konsensualen Verteidigungsverhaltens – gegen natürliche Personen zu befürchten bzw. lässt sich dies nicht im Rahmen eines umfassenden Settlements vermeiden, kommt die Übernahme des gegen den Mitarbeiter verhängten Bußgeldes durch das Unternehmen in Betracht.

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Hinsichtlich der Übernahme von Verteidigungskosten existiert ein breites Meinungsspektrum, das, je nach Ausgestaltung des Sachverhalts, von einem Verbot der Übernahme bis hin zu einer Übernahmeverpflichtung des Unternehmens reicht.[50] Im Grundsatz lässt sich festhalten, dass die Übernahme der Verteidigungskosten für Organe oder Mitarbeiter eines Unternehmens nicht pflichtwidrig i.S.d. § 266 StGB ist, wenn die Verantwortungsträger nach sorgfältiger Abwägung zu dem Ergebnis gelangen, dass die Kostenübernahme für das Unternehmen vorteilhaft ist.[51] Meist wird dieses Problem durch vorhandene D&O-Versicherungen bzw. spezielle Strafrechtsschutzversicherungen entschärft. Unter Umständen wird das Problem aufgrund etwaiger Rückforderungsklauseln in den Vertragsbedingungen aber lediglich zeitlich nach hinten verlagert. Daher kann es unter Untreuegesichtspunkten mit und ohne Rechtsschutzversicherung erforderlich sein, für den Fall bestimmter Rechtsfolgen einen Rückerstattungsvorbehalt mit dem Mitarbeiter zu vereinbaren. Die Zulässigkeit der Übernahme von Bußgeldern, die gegen natürliche Personen verhängt wurden bzw. verhängt werden sollen, hängt ebenfalls davon ab, ob die Übernahme im Interesse des Unternehmens liegt. Vorsicht ist allerdings bei Übernahmeversprechen im Vorfeld geboten, da diese schlimmstenfalls sogar als Teilnahmehandlung i.S.d. §§ 26, 27 StGB in Bezug auf einen noch nicht beendeten Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand gewertet werden könnten. Darüber hinaus sollten stets die mit der Übernahme von Verteidigungskosten oder Geldbußen einhergehenden steuerlichen Folgen bedacht werden.[52]

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