Loe raamatut: «Rennfahrertraining», lehekülg 5

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Offensichtlich war dieser Stress so gewaltig, dass es in meinem Kopf zu eng wurde und für kühle, analytische und vorausschauende Gedanken kein Platz mehr war. Es ging mir nur noch darum, den direkten Kontakt zu Sanden wieder herzustellen – und das so schnell wie nur irgendwie möglich. Angetrieben von nur diesem einen Ziel setzte ich – damals bereits mit einer langjährigen, und bei aller Bescheidenheit höchst erfolgreichen Kartkarriere auf dem Buckel – bereits in Runde 2 zu einem Überholmanöver an, das selbst bei optimistischster Betrachtung keine Aussicht auf Erfolg hatte (an der so genannten Mutkurve vor der Schumacher-Schikane), und was ich mit der heutigen Distanz einfach nur als Panikaktion bewerten kann. Logische Konsequenz waren eine Kollision und mein selbstverschuldeter Ausfall. Ich beschenkte damit Helmut Sanden mit der freien Fahrt zur Meisterschaft.

Wer mich kennt, weiß, dass das lange an mir gefressen hat. Gleichzeitig bin ich fest davon überzeugt, dass es gerade solche unangenehmen Erlebnisse braucht, um einen Rennfahrer als Sportler wie Mensch reifen zu lassen.“


Nikolas Hülkenberg in seiner Kart-Zeit (© kartsport.de)

3. Belastungsreaktionen von Autorennfahrern

Alle Rennfahrer versuchen, ihr Auto so schnell wie möglich um die Strecke zu bewegen. Wie das vorangegangene Kapitel verdeutlicht hat, werden dabei Körper wie Geist durch viele unterschiedliche Faktoren beansprucht. Wie intensiv diese Beanspruchung im Auto ist, hängt maßgeblich von der körperlichen Fitness, den fahrerischen Fähigkeiten und der inneren Gedanken- und Gefühlswelt ab. Die Belastungsreaktionen von Autorennfahrern sind daher sehr individuell.

Das gängigste Verfahren, um festzustellen, wie intensiv ein Mensch beansprucht wird, ist die Messung seiner Herzfrequenz. Hier ist auch bei Rennfahrern bereits viel untersucht und veröffentlicht worden, die wichtigsten Erkenntnisse finden Sie nachfolgend unter Punkt 3.1 dargestellt. Die Herzfrequenz lässt allerdings nur eine Aussage über die allgemeine psycho-physische Beanspruchung zu, für eine genauere Analyse ist sie ein zu grobes Instrument.

Ob eine Herzfrequenzsteigerung durch eine körperliche oder doch eher durch eine mentale Beanspruchung verursacht wird, kann anhand der Menge und Art von Stresshormonen im Körper bestimmt werden. Für den Autorennsport liegen dazu wenige, aber aufschlussreiche Daten vor. Sie sind beschrieben unter Punkt 3.2. Darunter befinden sich auch die Ergebnisse einer Pilotmessung, die ich im Autorennsport in Zusammenarbeit mit der Firma Black Tusk 2011 vorgenommen habe. Wir haben mit einer neuartigen Methode die Aktivität des Nervensystems beobachtet und die Größe der körperlichen wie der mentalen Beanspruchung vor, während und nach dem Fahren bestimmt. Unter Punkt 3.3 gehe ich dann auf Messungen ein, die Aufschluss darüber geben, ob im Autorennsport überhaupt von erhöhter körperlicher Beanspruchung gesprochen werden kann. Zu guter Letzt erhalten Sie unter Punkt 3.4 dann noch einen Eindruck von der subjektiven Einschätzung der Fahrer, wie stark sie im Autorennsport ihre körperliche wie mentale Beanspruchung empfinden.

3.1 Herz- und Kreislaufreaktionen

Das Herz-Kreislaufsystem reagiert auf das Fahren eines Rennwagens mit einer deutlichen und unmittelbaren Steigerung der Herzfrequenz. Bewegt ein Fahrer sein Auto kontinuierlich am Limit, so bleibt die Herzfrequenz in dieser Zeit meistens auch auf annähernd gleichem Niveau erhöht. Ein größerer Abfall ist in der Regel erst dann wieder zu beobachten, wenn der Fahrer die Geschwindigkeit deutlich reduziert oder ganz anhält. Übrigens ist die Herzfrequenz eines Rennfahrers beim Fahren am Limit unter trockenen Bedingungen stets deutlich höher als auf gleicher Strecke im Nassen.


Vergleich der Herzfrequenzkurve eines Formel-3-Rennfahrers zwischen dem Zeittraining und den darauffolgenden zwei Meisterschaftsläufen (aus Emberger, S. 55):Im Zeittraining befindet sich die Höhe der Herzfrequenz beim Fahren auf gleichem Niveau wie in den beiden Rennen, fällt aber während der zwei Boxenphasen deutlich ab.

Die Herzfrequenzwerte, die im Autorennsport gemessen werden, sind überraschend hoch. Es kommt nicht selten vor, dass die Spitzenwerte über 200 S/min (Schläge pro Minute) liegen. Sid Watkins (1996) spricht in diesem Zusammenhang von dem „Erreichen der menschlichen Toleranzgrenze“ (S. 175). Bereits 1999 habe ich im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit bei Rennfahrern unter anderem die Reaktionen des Herz-Kreislaufsystems untersucht. Dabei zeigte die statistische Verrechnung von mehr als 100 Messungen, dass das Herz-Kreislaufsystems bei Autorennfahrern während eines Rennens kontinuierlich im Bereich von 80 bis über 90 Prozent der maximalen Möglichkeiten beansprucht wird. Das sind Werte, die auf massive Anforderungen im Cockpit hindeuten und von einem untrainierten Rennfahrer mittelfristig nicht ohne Ermüdungserscheinungen toleriert werden können.

Diese deutlichen Reaktionen des Herz-Kreislaufsystems lassen sich bei allen Fahrern finden. Die Stärke dieser Reaktionen ist allerdings von Fahrer zu Fahrer auch unter vergleichbaren Geschwindigkeiten und mit ähnlichem Material sehr unterschiedlich. Schon 1983 veröffentlichten Bertrand und Richalet Untersuchungen, in denen sie auf der Ferrari-Teststrecke in Fiorano die Herzfrequenz der damaligen Formel-1-Ferrari-Werksfahrer in Abhängigkeit von den Durchschnittsgeschwindigkeiten einer gefahrenen Runde verglichen. Bei Gilles Villeneuve wie Didier Pironi erhöhte sich die Herzfrequenz mit zunehmender Geschwindigkeit. Die erreichten Höchst- und Durchschnittswerte unterschieden sich jedoch deutlich voneinander: Die Werte von Pironi lagen kontinuierlich über den Werten von Villeneuve; bei maximaler Fahrleistung hieß das im Schnitt 200 S/min zu 175 S/min.

Da die Bedingungen auf der Strecke für beide gleich waren, kommen als Erklärung für diese Unterschiede nur in Frage:

a) Pironi ist weniger fit gewesen,

b) er war am Testtag weniger ausgeruht,

c) sein Wahrnehmungsapparat wurde vom Einfluss von Geschwindigkeit generell mehr gefordert oder

d) seine Gedanken- und Gefühlswelt sorgten an diesem Tag für eine höhere mentale Stressbelastung.


Mittlere Herz-Kreislauf- und Stoffwechselbeanspruchung im Rennen von insgesamt 46 Fahrern, aufgeteilt in verschiedene Automobilrennsportklassen (nach Emberger, 1999, S. 50)

Was auch immer die Gründe für Pironis stärkere Herz-Kreislaufreaktionen waren – eins kann sicher gesagt werden: Um die gleiche fahrerische Leistung abzuliefern, musste er sich an diesem Testtag im Vergleich zu Villeneuve deutlich mehr anstrengen.

Die Herzfrequenz erreicht das individuell höchste Niveau eher unter extremen mentalen Stressbedingungen als unter körperlicher Höchstleistung (Neumann et al., 1998). Auf den ersten Blick ist es bei Rennfahrern allerdings schwer, allein anhand der Herzfrequenzhöhe zu beurteilen, ob ein Fahrer unter erhöhtem mentalem Stress steht oder ob er dazu noch körperlich härter arbeiten muss. Genaueren Aufschluss erlaubt ein Blick auf die Reaktionen von Hormon- und Nervensystem (siehe Punkt 3.2). Ist allerdings die Herzfrequenz eines Rennfahrers bereits in der Vorstartphase massiv erhöht, so ist das schon ein deutlicher Hinweis darauf, dass er mit starkem mentalen Stress zu kämpfen hat.

Je nachdem, wie sich die Herzfrequenz am Vorstart entwickelt, erlebt er entweder zu viel mentalen Stress und verbaut sich so den Zugang zu seinen fahrerischen Fähigkeiten (= Startfieber; Herzfrequenz dauerhaft >120 S/min), befindet er sich in einer Art „Lampenfieber“, was den Körper wie Geist optimal aktiviert (= Kampfbereitschaft; Herzfrequenz bewegt sich im Bereich zwischen 90-110 S/min) oder er erlebt so wenig mentalen Stress, dass seine physischen wie mentalen Systeme unteraktiviert bleiben und für die bevorstehende Aufgabe nicht ideal vorbereitet sind (= Startapathie; Herzfrequenz nahe des Ruhebereichs). (Einteilung nach PUNI, erwähnt von Allmer 1981).

Dr. Michael Schmidt

(Mercedes-Teamarzt in der DTM)

„Bei Rennfahrern gehen etwa 70 bis 80 Prozent der hohen Herzfrequenzen auf das Konto Psyche und emotionaler Stress.“ (in Stars & Cars 3/2002)


Extreme Herzfrequenz eines Nachwuchsrennfahrers aus der Formel BMW aufgrund großer mentaler Aufregung bereits in der Vorstartphase (was die Herzfrequenz aufgrund der sich im Blut massiv vermehrenden Stresshormone ab Rennstart bis zum Rennende in Maximalbereiche schnellen lässt).

Im Rennsport wird davon ausgegangen, dass vor allem Nachwuchsrennfahrer in der Vorstartphase großen mentalen Stress erleben und die routinierten Rennfahrer cooler sind. Tendenziell mag dies stimmen, nach meinen Beobachtung hängt das mentale Stresserleben von Autorennfahrern aber viel eher von der individuellen Persönlichkeitsstruktur und den jeweils vorherrschenden situativen Einflüssen ab als vom Alter oder von der Rennerfahrung. So wurden bereits in den 1980er Jahren bei Teilnehmern des 24-Stunden-Rennens von Le Mans, durchaus alte Hasen, 15 Minuten vor dem Start Herzfreqenzen von 150 bis 180 S/min gemessen (Brostet, 1980). Und in meiner Untersuchung von 1999 konnte ich eindeutig keinen statistisch relevanten Zusammenhang zwischen der Höhe der Herzfrequenz in der Zeit von 15 bis 5 Minuten vor dem Start und dem Alter der Probanden feststellen (bei 46 Teilnehmern im Schnitt 26 Jahre; dabei der Jüngste 15 und der Älteste 44 Jahre) (Emberger, 1999).

Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass bei Rennfahrern auch zwischen der Höhe der Herzfrequenz in der Vorstartphase und der nachfolgenden Rennphase kein statistisch relevanter Zusammenhang besteht (Emberger 1999). Erklärung dafür ist, dass der individuelle Rennverlauf mit seinen unterschiedlichen Situationen die stärkste Auswirkung auf den Herzfrequenzverlauf hat. Kann ein Rennfahrer nach der Startphase auf einer Position, mit der er zufrieden ist, ein unbedrängtes Rennen fahren, dann wird er sich im Laufe des Rennens entspannen und seine Herzfrequenz trotz gleichbleibender Rundenzeiten in der Tendenz abfallen.

Gerät ein Rennfahrer im Rennen dagegen immer mehr unter Druck, wird die Herzfrequenz mindestens auf dem Niveau der Startphase bleiben, eventuell gar ansteigen. Steigt die Herzfrequenz bei gleichbleibender Rennsituation dagegen kontinuierlich an, so kann davon ausgegangen werden, dass der Körper des Rennfahrers durch Ermüdungseffekte nach und nach mehr beansprucht wird. Ursachen sind etwa mangelnde Fitness oder ein kontinuierlicher Temperaturanstieg im Cockpit.

Wie stark sich die „Macht der Rennsituation“ auf die Herzfrequenz auswirkt, zeigt die Grafik. Abgebildet ist der Herzfrequenzverlauf von Timo Glock während einer der wohl spannendsten Positionskämpfe, die im Motorsport bislang zu sehen waren. 2006 wurde Timo im GP2-Sprint-Rennen in der Türkei nach einem bis dahin für ihn eher gewöhnlichen Rennverlauf in Runde 15 (von 23) zuerst von Nelson Piquet junior angegriffen. Ein paar Runden später lief Lewis Hamilton auf die beiden auf. Über knapp fünf Runden schaffte es Timo mit deutlich langsamerem Auto, die Attacken seiner Kontrahenten abzuwehren und eindrucksvoll zu kontern, wenn die beiden schon an ihm vorbei gezogen waren. Diese Kampfphase ist anhand der Herzfrequenzkurve eindeutig zu identifizieren. Bei gleichbleibender körperlicher Belastung stieg Timos Herzfrequenz allein dadurch, dass er eine Rennsituation erlebte, die ihn mental stärker beanspruchte.

Auch wenn die mentale Beanspruchung auf die Herz-Kreislaufreaktionen im Rennwagen die größte Auswirkung hat: Der Zusammenhang von Herzfrequenz und körperlicher Beanspruchung beim Fahren lässt sich ebenfalls sehr deutlich erkennen. Die Herzfrequenz von Rennfahrern erhöht sich in der Kurve und sinkt auf längeren Geraden wieder ab. Unter der Voraussetzung, dass der Fahrer keine außergewöhnliche mentale Beanspruchung erlebt und seine Rundenzeiten auf hohem Niveau stabil bleiben, ist der Verlaufscharakter der Herzfrequenz Runde für Runde nahezu deckungsgleich. Dabei reagiert das Herz-Kreislaufsystem umso mehr, je stärker und je länger der Körper durch Beschleunigungskräfte beansprucht wird, die durch Bremsmanöver und Kurvenfahrten entstehen. Wie massiv diese körperliche Beanspruchung ist, ist dann wieder eine Frage der körperlichen Fitness.


Herzfrequenzverlauf von Timo Glock beim GP2-Sprint-rennen am 27. August 2006 in der Türkei: Deutlich zu sehen ist, dass die Phase des Dreikampfes zwischen ihm, Nelson Piquet junior und Lewis Hamilton seine Herzfrequenz steigen ließ.

3.2 Reaktionen im Bereich von Hormon- und Nervensystem

Hormon- wie Nervensystem steuern in unserem Körper sämtliche Abläufe. Beide Systeme arbeiten Hand in Hand und sind als Taktgeber für die grundlegende Funktionsfähigkeit sowie für die situationsabhängige Aktivierung von Körper und Geist pausenlos aktiv. Unser Hormonsystem erhält seine Steuerimpulse von unserem vegetativen Nervensystem, das wiederum in seiner Arbeit stark von unseren Gefühlen gelenkt wird (wie Sie unter Punkt 2.6 erfahren konnten). Letztendlich bestimmen die aufeinander abgestimmten Abläufe in Hormon- und Nervensystem, auf welches Aktivitätsniveau das Herz-Kreislaufsystem, die Muskulatur und das Gehirn während des Fahrens eingestellt werden.

Fangen wir mit dem Hormonsystem an. Hormone tanzen ständig in ganz unterschiedlichen Mengen und Mischungen in uns umher. Sie sind chemische Botenstoffe und werden im Körper von verschiedenen Stellen aus durch den Blutkreislauf zu den Empfängerorganen transportiert. Sie regeln langsame und grundlegende Körperprozesse wie das Wachstum oder den Wach-Schlafrhythmus, sind aber ebenso für spontane Veränderungen zuständig – etwa für die unmittelbare und allgemeine Aktivierung in einer Belastungssituation. Wie Sie im Zusammenhang mit den Gefühlen und Gedanken in einem Wettkampf erfahren haben, wird diese Aktivierung hervorgerufen durch eine vermehrte Ausschüttung so genannter Stresshormone. Dazu zählen Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol.

Bei Autorennfahrern sind in mehreren Untersuchungen außergewöhnlich hohe Stresshormonwerte festgestellt worden. Bemerkenswert ist das Mischungsverhältnis von Noradrenalin und Adrenalin. Körperliche Beanspruchung erhöht eher die Noradrenalin-, mentale Beanspruchung eher die Adrenalin-Ausschüttung. Je weiter sich der Quotient zwischen den Mengen an Noradrenalin und Adrenalin in Blut oder Urin verringert, desto mehr muss davon ausgegangen werden, dass die Person eine mentale Überforderungssituation erlebt hat und in eine negative Stress-Spirale geraten ist. Liegt der Quotient unter Ruhebedingungen im Bereich 8-4, unter körperlicher Beanspruchung bei 6-3, so lag er in den Untersuchungen bei Autorennfahrern teilweise unter 2! Nach Zimmermann (1986) sind im Sport die besten Wettkampfleistungen in einem Quotientenbereich zwischen 3 und 6 zu erwarten, bei einem Quotienten unter 2 dagegen muss davon ausgegangen werden, dass das körperliche wie das mentale Leistungspotenzial durch muskuläre Koordinationsstörungen und Beeinträchtigung von Gehirnfunktionen nicht mehr störungsfrei abgerufen werden kann.


Autor Anzahl Testpersonen Quotient NA/A
Keul/Lehmann (1979) 38 1,4
Lehmann (1982) 48 1,8
Pejcic (1986) 4 2,3
Schwaberger/Reinprecht (1987) 7 1,5

Mittlere Werte für die Quotientenberechnung zwischen Noradrenalin und Adrenalin im Autorennsport von ausgewählten Untersuchungen

Noradrenalin wirkt allgemein aktivierend und hebt die Stimmung. Für das Gehirn ist es ein positiver Botenstoff mit anregender Wirkung. Als so genanntes Neurohormon ist es mitverantwortlich für eine höhere Belastbarkeit und verbesserte Gehirnleistung. Es erhöht die Wachsamkeit, verbessert die Konzentration und ist somit ein Grundstein des mentalen Leistungsvermögen. Kurz: Wird dieses Hormon bei Rennfahrern während des Fahrens ausgeschüttet, ist es von Vorteil, da es vor allem für die mentale Leistungsfähigkeit wie ein Turbo wirkt. Die Untersuchungen im Rennsport haben gezeigt: Es wird durchaus vermehrt ausgeschüttet – im Vergleich zu Adrenalin jedoch leider in deutlich geringerem Maße.

Adrenalin wirkt ebenfalls wie ein Turbo, das gilt allerdings nur für den Körper und eine ganz spezielle Form der Muskelarbeit. Es bewirkt, dass der Muskulatur alles zur Verfügung steht, um maximale Kraft- und Schnelligkeitsleistungen vollbringen zu können. Aus diesem Grund ist Adrenalin auch immer mit im Spiel, wenn es um erhöhte Muskelbeanspruchung geht. Vor allem statische Muskelarbeit – wie sie im Autorennsport ja vorherrscht – führt zu deutlich erhöhter Adrenalinausschüttung. Aussagen, die bei Autorennfahrern gefundenen extrem hohen Adrenalinwerte seien ausschließlich auf große mentale Stressbelastung zurückzuführen, sollten daher mit einer gewissen Vorsicht genossen werden.

Unabhängig davon, ob die Ursache rein mentaler Natur ist oder zu einem gewissen Anteil auch körperlich – im Zusammenhang mit Rennsport und Adrenalin muss festgehalten werden, dass sich hohe Werte auf das Fahren eines Rennwagens stets negativ auswirken. Auf der mentalen Seite verschlechtert Adrenalin die Stimmung und führt zu nervöser Unruhe. Es blockiert zusammen mit Cortisol (s.u.) wichtige Verbindungen im Gehirn und vermindert so die Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Im Extremfall kann es zur totalen Blockade von Gedanken kommen, der Verstand wird gleichsam ausgehebelt.

Auf der körperlichen Seite schwindet unter zunehmendem Adrenalineinfluss die Möglichkeit, den Krafteinsatz der Muskulatur zu dosieren und einzelne Bewegungen sauber miteinander zu koordinieren. Dazu verschlechtern sich in der Muskulatur die Arbeitsbedingungen für die bereits beschriebenen kinästhetischen Rezeptoren. Dem Sinnessystem eines Fahrers fehlen somit wertvolle Informationen über die Fahrzeugbewegungen und -reaktionen. Vereinfacht ausgedrückt: Adrenalin stört das Popo-Meter massiv!

Bereits in den 1970er Jahren wurde im Automobilrennsport untersucht, wie sich Medikamente auswirken, die die körperliche wie die psychische Wirkung vor allem von Adrenalin einschränken. Unter Einfluss so genannter Beta-Blocker1 stieg die Herzfrequenz beim Fahren erwartungsgemäß nicht so extrem an. Das bemerkenswerteste ist jedoch, dass die Fahrer gleichzeitig von einem besseren Fahrgefühl, größerer Ruhe und besserem Kontrollempfinden berichtet haben: „In einem derartigen Testfall war ein Rennen unter Beta-Blockern für den Rennfahrer das erfolgreichste seiner Laufbahn“ (Keul und Lehmann 1979, S. 328). Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will Sie nicht zum Konsum von Medikamenten animieren, zumal Beta-Blocker inzwischen zu Recht auf der Doping-Liste stehen. Das Beispiel verdeutlicht aber, dass sich ein entspannter Zustand im Rennsport eindeutig positiv auf die Leistung auswirkt, während körperliche wie mentale Anspannung – die zwangsläufig mit erhöhter Adrenalinausschüttung einhergehen – schnell kontraproduktiv werden.

Adrenalin sorgt in einer bedrohlichen Situation unmittelbar für körperliche wie mentale Spannung. Entspannt sich die Situation, verschwindet auch das Adrenalin wieder recht schnell aus dem Blut. Dauert die unangenehme Situation dagegen länger, sammeln sich im Körper weitere Stresshormone an, darunter das bereits angesprochene Cortisol. In der Regel kommt die Cortisolausschüttung erst so richtig in Gang, wenn die Belastungszeit 45 Minuten überschreitet. Ist das Stresshormon aber erst einmal in größerer Menge ausgeschüttet, beeinflusst es die Funktionen des Körpers selbst dann noch über Stunden, wenn die belastende Situation längst vorbei ist. Mir liegen zum dem Zeitpunkt, an dem ich an diesem Buch schreibe, zwar keine Untersuchungen über Cortisol und den Autorennsport vor, dennoch möchte ich angesichts der massiven Adrenalinbefunde auf folgenden kurzen Exkurs nicht verzichten:

Kommt es an einem Rennwochenende im Körper zur massiven Erhöhung der Cortisolmenge, dann steht der Fahrer während des ganzen Wochenendes unter Dauerspannung und wird auch außerhalb des Cockpits nicht mehr richtig zu Ruhe kommen. Die Konsequenz sind körperliche, vor allem aber massive mentale Einschränkungen. Der Cortisoleinfluss kann zu quälenden Einschlaf- und Durchschlafstörungen führen. Und schläft ein Rennfahrer an einem Rennwochenende nicht vernünftig, wird eine Spirale in Gang gesetzt, die seine Leistungsfähigkeit im Auto erst so richtig nach unten zieht.

1 Beta-Blocker: Medikamente, die primär bei Herz-Kreislauferkrankungen eingesetzt werden. Je nach Beschaffenheit blockieren sie in der Herz- und Gefäßmuskulatur unter anderem Rezeptoren für Adrenalin und bewirken so eine Abmilderung körperlicher und mentaler Aktivierungsreaktionen.

Das ist aber leider noch nicht alles: Auch die Langzeitwirkung von Cortisol ist nicht lustig. Anhaltende und dauerhafte Cortisolladungen schädigen einen Teil der Gehirnstruktur, der unter anderem beim (Strecken-) Lernen und für die Konzentrationsleistungsfähigkeit eine herausragende Rolle spielt, den so genannten Hippocampus. Ist also an einem Rennwochenende der Stress für einen Fahrer so massiv, dass sich sein Cortisolspiegel dauerhaft erhöht, wird er seine fahrerische Leistung um so weniger auf den Punkt bringen können, je länger die Rennveranstaltung andauert. Ungleich bedrohlicher ist allerdings die langfristige Gefahr, dass das Cortisol sein Gehirn angreift und dabei eines seiner wichtigsten mentalen Leistungsorgane schädigt.

Sämtliche Reaktionen des Hormonsystems kommen durch Impulse aus dem vegetativen Nervensystem in Gang. Das können wir willentlich nicht direkt beeinflussen, es regelt den inneren Betrieb des Körpers und passt ihn in Abhängigkeit von Gefühlimpulsen ganz automatisch an wechselnde Umweltbedingungen an. Diese Leistungen werden im Nervensystem durch zwei Funktionsbereiche geregelt: den sympathischen und den parasympathischen Teil. Der sympathische Anteil stellt die Funktionsbereiche des Körpers auf Alarmbereitschaft, also auf Aktivität, Leistung und Energieverbrauch. Der parasympathische Anteil stellt auf Ruhe, also auf Erholung, Entspannung und Energieaufbau ein. Vergliche man unseren Körper mit einem Auto, hätte der Sympathikus für unseren Körper die Funktion des Gaspedals, der Parasympathikus die der Bremse. Und Sie wissen: Wenn die Bremsen versagen, dann landen Sie in der Mauer.

Negative Gefühle wie Angst und Wut aktivieren im vegetativen Nervensystem den sympathischen Anteil, positive Gefühle wie Freude und Gelassenheit dagegen den parasympathischen. Mithilfe einer relativ neuartigen Messmethode ist es seit einiger Zeit möglich, auch bei gestiegener Herzfrequenz herauszufiltern, durch welchen Anteil die körperlichen und mentalen Regelsysteme in einer Leistungssituation mehr beeinflusst werden. Die Zeit zwischen den einzelnen Herzschlägen wird gemessen und zur Herzfrequenzvariabilität1 verrechnet. Je variabler die Zeitabfolge zwischen den Schlägen, desto mehr spricht das für parasympathische Steuerung und geringe mentale Stressbelastung. Je starrer die Zeitabfolge ist, desto dominanter ist der Anteil der sympathischen Steuerung, was sich als Hinweis für eine mentale Stressbelastung deuten lässt.

Geräte, die vorgeben die Herzfrequenzvariabilität gut messen und analysieren zu können, gibt es inzwischen auf dem Medizingeräte- wie auf dem Fitnessmarkt viele. Davon sind allerdings nur wenige tatsächlich dazu geeignet, die unterschiedlichen Herzfrequenzrhythmen sauber zu erfassen und in wasserdichte Analysen zu überführen. Da die Variabilität der Herzfrequenz im Bruchteil weniger tausendstel Sekunden liegt, kommen für eine vernünftige Messung nur Geräte in Frage, die das Herz mit einer minimalen Rate von 1000mal pro Sekunde abtasten können. Auch wenn viele Hersteller mit der Herzratenvariabilitätsmessung werben, genügen vor allem die im Fitnessbereich angebotenen Geräte dieser Mindestanforderung in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht.

Ein hochwertiges und vergleichsweise günstiges Mess-System samt Analysesoftware hat die österreichisch-deutsche Firma Black Tusk AG entwickelt. Ich habe dieses System erstmals 2011 für eine Pilotstudie im Rennsport einsetzen können (in der ADAC GT-Masters Serie). Es zeigte sich, dass das Nervensystem der Fahrer je nach Streckenabschnitt unterschiedlich, Runde für Runde in den jeweiligen Streckenabschnitten aber annähernd gleich beansprucht wird. Dazu zeigten die Messdaten sehr deutlich, dass die nervale Aktivierung vor allem in den Bremsphasen vor den Kurven deutlich ansteigt.

1 Herzfrequenzvariabilität: Beschreibt die Veränderung der Zeitabstände zwischen den nacheinander ablaufenden Herzschlägen über einen längeren Messzeitraum.

Auch wenn man aus diesen bislang unveröffentlichten Daten noch keine allgemeine Aussage ziehen kann, wurde in dieser Studie ganz deutlich, dass Rennfahrer beim Fahren mental am meisten beansprucht werden, wenn sie Ihr Auto punktgenau abbremsen und für die unmittelbar folgende Kurve positionieren müssen. In dieser Phase ist die Beanspruchung deutlich höher als beim nachfolgenden Durchfahren der Kurve. Für Rennsportklassen, in denen zwischen Fahrer und Box Funkverkehr herrscht, ergibt sich daraus schon mal eine wichtige praktische Konsequenz: Befindet sich ein Fahrer auf der unmittelbaren Anfahrt zu einer Kurve, sollte er in dieser Phase keine Gespräche führen und auch keine Informationen übermittelt bekommen.

Die beschriebene Messung zeigte zudem, dass die überwiegende Zahl der beteiligten Fahrer bereits innerhalb des nur rund 30-minütigen Renneinsatzes mental wie körperlich müde wurde. Ausgehend von dieser Pilotstudie arbeitet Black-Tusk nun daran, für den Motorsport Softwarelösungen zu entwickeln, die an der Box eine Echtzeit-Beobachtung der HRV-Entwicklung zulassen, während der Fahrer auf der Strecke unterwegs ist. Eine solche Beobachtung bietet sich vor allem im Bereich von Langstreckenrennen mit Fahrerwechsel an. Zeigen die HRV-Daten, dass ein Fahrer im Cockpit beginnt müde zu werden, dann besteht die Chance, ihn an die Box zu holen, noch bevor die Zahl seiner Fahrfehler massiv ansteigt, seine Rundenzeiten deutlich unregelmäßiger werden oder ein Weiterfahren für ihn, für sein Auto sowie für die übrigen Fahrer zum echten Sicherheitsrisiko wird.


Übersicht über die Aktivität und das wiederkehrende Muster im sympathischen und parasympathischen Anteil des vegetativen Nervensystems eines Fahrers innerhalb von fünf Runden während eines Rennens in der ADAC GT-Masters-Serie.