LUNATA
Die Die Meerjungfrau
Dramatisches Gedicht
© 1836 Alexander Puschkin
Originaltitel Rusalka
Aus dem Russischen von Ferdinand Löwe
Umschlagbild: John William Waterhouse
© Lunata Berlin 2020
Erste Szene
Zweite Szene
Dritte Szene
Vierte Szene
Fünfte Szene
Sechste Szene
Über den Autor
Ufer des Dnjepr. Mühle. Der Müller und seine Tochter
Müller
Ja ja, so seid ihr all', ihr jungen Dinger,
Seid unvernünftig. Wenn einmal ein Mann,
Der fürnehm ist, um den euch Andre neiden,
Sich eingefunden – müßtet ihr ihn halten.
Wodurch? Durch kluges, sittiges Betragen,
Bald streng ihn nehmen, bald ihn schmeichelnd locken,
Müßt unvermerkt, mit kluger Wendung oft
Von Hochzeit sprechen – und vor allen Dingen
Bewahren streng der jungfräulichen Ehre
Unschätzbar Kleinod, das ja, wie das Wort,
Nicht mehr zurückzubringen, wenn's entschlüpft ist.
Und ist durchaus auf Hochzeit nicht zu rechnen –
So läßt sich irgendwie ein Vorteil doch
Für sich und für die Sein'gen wohl erspähen.
Sprächt ihr nur so zu euch: »Er wird nicht ewig
Mich lieben und verhätscheln« – aber nein,
Euch fällt's nicht ein, bei Zeiten zu bedenken.
Euch schwindelt gleich der Kopf, ihr seid nur froh,
Den Wunsch ihm ohne Rückhalt zu erfüllen,
Den lieben langen Tag zu kosen mit
Dem Herzgeliebten – und der Herzgeliebte,
Eh ihr's euch noch verseht, ist fort, verschwunden,
Und ihr habt nichts – ach, ihr seid alle töricht!
Hab' ich dir nicht wohl hundertmal gesagt,
Gib, Tochter, Acht! sei solche Närrin nicht,
Verpasse träumend nicht dein Lebensglück!
Den Fürsten laß nicht los und stürz' dich nicht
Einfältig ins Verderben! Aber half's?
Jetzt kannst du sitzen und dich ewig härmen,
Denn hin ist hin, da hilft nichts.
Tochter
Und warum
Glaubst du, daß er mich aufgegeben hat?
Müller
Warum, fragst du? Wie oft kehrt' er nicht sonst
Die Woche über in der Mühle ein –
Was? Jeden Gottestag, zuweilen gar
Zweimal am Tage – darauf immer seltner
Erschien er, und jetzt ist's der neunte Tag,
Daß wir ihn nicht gesehn. Was sagst du drauf?
Tochter
Er hat zu tun, ihn drückt gar manche Sorge.
Er ist kein Müller und für ihn wird nicht
Das Wasser schaffen. Oftmals sagt' er mir,
Daß seine Müh' die schwerste sei von allen.
Müller
Ja trau' du ihm. Wann mühen wohl sich Fürsten?
Und was ist ihre Mühe? Hasen jagen
Und Schmause geben, und die Nachbarn plündern,
Und euch, ihr armen Närrinnen, verführen!
Er schaffet selber! Ja 's ist zum Erbarmen,
Für mich schafft 's Wasser. Und doch habe ich,
Bei Tag, bei Nacht nicht Ruhe: sieht man nach,
So gibt es überall etwas zu flicken:
Hier fault's, dort leckt's. – Wahrhaftig besser wär' es,
Wenn du verstündest von dem Fürsten dir
Ein Sümmchen für den Umbau auszubitten.
Tochter
Ah!
Müller
Nun, was gibt's?
Tochter
Horch auf, es ist das Stampfen
Von seinem Roß – er ist's, er ist's!
Müller
Hör', Tochter,
Vergiß nicht, was ich dir geraten, denk' daran.
Tochter
Da ist er, da!
(Der Fürst tritt ein; der Stallknecht führt sein Pferd fort)
Fürst
Wie geht's, mein liebes Kind?
Wie geht es, Müller, euch?
Müller
Mein gnäd'ger Fürst,
Sei hoch willkommen! Lange schon, daß wir
Dein helles Antlitz nicht gesehen haben –
Ich gehe, dir den Imbiß zu bereiten. (Geht ab.)
Tochter
Ach, endlich hast du meiner doch gedacht!
Wie brachtest du es über's Herz, so lange
Zu quälen mich durch der Erwartung Pein!
Was ging mir Armen nicht durch meinen Kopf!
Welch Schreckbild gab's, das ich mir nicht geschaffen!
Bald dacht' ich, daß dein Roß dich fortgetragen
In Sümpfe, wilde Schluchten – daß ein Bär
Im Waldesdickicht dich bewältigt habe –
Daß krank du wärst, daß du mich nicht mehr liebtest –
Doch Gott sei Dank, du lebst, bist unversehrt,
Und liebst wie sonst mich noch! Nicht wahr?
Fürst