Loe raamatut: «Unternehmenssanierung, eBook», lehekülg 14

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Abb. 16: Fragengeleitete Jahresabschlussanalyse auf Basis des BBR


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An der Spitze der Fragenpyramide steht der ermittelte N-Wert des analysierten Unternehmens. Auf der ersten Stufe der Abbildung hat sich der Jahresabschlussanalytiker die Frage zu stellen, wie sich das bilanzielle Standing, d.h. der N-Wert eines Unternehmens, über mehrere Jahre entwickelt hat, vor allem wie der Vorjahresvergleich ausfällt. Auf der darunterliegenden zweiten Stufe werden die Informationsbereiche (vgl. Rn. 114 in diesem Kapitel) identifiziert, die am stärksten zur Änderung des N-Wertes beigetragen haben. In der Abb. 16 sind beispielhaft nur die Informationsbereiche „Rentabilität“ und „Verschuldung“ als Hauptursachenkomplexe für die N-Wert-Änderung aufgeführt. Aus der Frage der zweiten Stufe ergibt sich die Frage auf der dritten Stufe: Wie entwickelten sich die zu den als Krisenkennzeichen identifizierten Informationsbereichen gehörigen Kennzahlen des BBR über die Geschäftsjahre? Auf der vierten bzw. fünften Stufe der fragengeleiteten Ursachenanalyse werden die Zähler und Nenner der Kennzahlen in ihre Bestandteile bzw. Jahresabschlusspositionen zerlegt und die Veränderungen der Jahresabschlusspositionen ermittelt. Nach der fünften Stufe der Fragenpyramide sind auf der sechsten Stufe die Gründe für die wesentlichen Veränderungen der einzelnen Jahresabschlusspositionen anhand von betriebswirtschaftlichen Analysen zu suchen.[152]

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Mit einem eigens von Baetge & Partner entwickelten Analysetool, der Individuellen Sensitivitätsanalyse, lässt sich darüber hinaus prozentual ermitteln, welche Änderungen der Jahresabschlusskennzahlen am stärksten zur N-Wert-Verschlechterung oder -Verbesserung beigetragen haben. Die individuelle Sensitivitätsanalyse erlaubt es, den Beitrag der Änderungen der Kennzahlen des BBR auf die Entwicklung des N-Werts eines Unternehmens von einem Jahr auf das folgende Jahr zu untersuchen. Mit der Sensitivitätsanalyse lässt sich ermitteln, welche Kennzahlen sich wie auf die Gesamtrisiko-Änderung (Ausfallwahrscheinlichkeit) ausgewirkt haben. Mit einer betriebswirtschaftlich inhaltlichen Analyse muss dann ermittelt werden, welche Transaktionen bzw. Situationen zu der Änderung der als krisenrelevant ermittelten Kennzahlen und zugehörigen Jahresabschlussposten geführt haben. Die Sensitivitätsanalyse wird anhand des folgenden Beispiels[153] veranschaulicht.

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(a) Beispiel:

Der N-Wert des Beispielunternehmens M verringert sich von Jahr 1 auf Jahr 2 um -1,17 N-Wert-Punkte. Die gesamte N-Wert-Änderung i.H.v. -1,17 N-Wert-Punkten wird als -100 % gesetzt (vgl. die erste Zeile in Abb. 17). Negative N-Wert-Änderungen werden in der Grafik als Balken nach links, positive nach rechts abgetragen. Die Beiträge, der einzelnen Kennzahlen zu der gesamten N-Wert-Änderung von Jahr 1 auf Jahr 2, zeigen die darunter liegenden Säulen. Die Beiträge aller 14 Kennzahlen zur Gesamtänderung addieren sich zu -100 %. Die Kennzahlen sind nach der Höhe ihres Beitrags zur N-Wert-Änderung aufgeführt.

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Abb. 17: Individuelle Sensitivitätsanalyse bzgl. der N-Wert-Änderung von Jahr 1 auf Jahr 2 für das Beispielunternehmen


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Von Jahr 1 auf das Jahr 2 haben die Kapitalstruktur (Eigenkapitalquoten und Fremdkapitalquote) und die Kapitalbindung den größten Einfluss auf die Verschlechterung des N-Werts des Beispielunternehmens M. Die Verringerung der Eigenkapitalquoten allein erklärt bereits über 57 % der N-Wert-Änderung (32,81 % + 24,56 %). Etwa 38 % der N-Wert-Änderung sind auf die Kapitalbindung zurückzuführen.

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Dem Vorgehen bei der Fragengeleiteten Ursachenanalyse entsprechend, sind nach der Ermittlung der wesentlichen Einflussfaktoren die betriebswirtschaftlichen Gründe für die Verschlechterung des N-Wertes, der Kennzahlen und der Jahresabschlussposten zu suchen: Im Beispielfall hat das Unternehmen M den Kauf eines anderen Unternehmens mit der Aufnahme von kurzfristigem Fremdkapital finanziert, da die Eigentümer kurzfristig kein Eigenkapital zur Verfügung stellen konnten. Dies hat zur Folge, dass die Eigenkapitalquote sinkt, die Fremdkapitalquote steigt. Die negative Entwicklung des Unternehmens M konnte durch einen Börsengang und die aus den zugeflossenen Mitteln mögliche Bereitstellung von Eigenkapital „aufgefangen“ werden.

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(b) Beispiel:

Mit Hilfe der individuellen Sensitivitätsanalyse kann der Bilanzanalytiker auch den Informationsbereich bzw. die wirtschaftliche Teillage identifizieren, die den stärksten Beitrag zur N-Wert-Änderung leistet. Addiert man die Beiträge der Kennzahlenänderungen eines Informationsbereichs (vgl. Rn. 191), erhält man den Einfluss des Informationsbereichs auf die N-Wert-Änderung. Analog kann der Beitrag einer der drei wirtschaftlichen Teillagen (Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage, vgl. Rn. 191) zur N-Wert-Änderung ermittelt werden.

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Mithilfe des BBR kann der Analytiker zielgerichtet die Kennzahlen und Informationsbereiche des Jahresabschlusses identifizieren, die zur krisenhaften Situation des Unternehmens besonders stark beigetragen haben. Er erhält somit Ansatzpunkte für seine Risiko- und Krisenursachen-Analyse sowie für die daraus zu folgernden Sanierungsmaßnahmen. Auch ein evtl. Erfolg oder Misserfolg der Sanierungsmaßnahmen lässt sich im Folgejahr anhand des neuen Jahresabschlusses mit der individuellen Sensitivitätsanalyse ermitteln. Mit diesen Möglichkeiten bietet das BBR Ansatzpunkte und wertvolle Informationen auch für die Unternehmensleitung und den Abschlussprüfer.

5.3.6 Moody‘s KMV RiskCalc als modernes Verfahren der Jahresabschlussanalyse

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Als ein weiteres am Markt allgemein verfügbares modernes Verfahren der Bilanzbonitätsanalyse hat sich Moody's RiskCalc (RiskCalc) durchgesetzt. Dieses moderne Verfahren der Bilanzanalyse ist eine Weiterentwicklung des zuvor beschriebenen BBR. Auch bei RiskCalc ist analog zum BBR eine fragengeleitete Ursachenanalyse und eine individuelle Sensitivitätsanalyse möglich. Die diesbezüglichen Analysen werden in diesem Abschnitt indes nicht vorgestellt.

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Im Jahr 2001 wurde das erste deutsche RiskCalc-Modell von Baetge & Partner sowie Oliver Wyman nach dem Vorbild des BBR für Moody's entwickelt. Der Entwicklungs- und Validierungsdatenbestand des deutschen RiskCalc-Modells umfasste mehr als 100 000 HGB-Jahresabschlüsse. Um das RiskCalc-Modell dabei optimal an den künftigen Anwendungsbereich anzupassen, wurden bei der Entwicklung von RiskCalc – ebenso wie beim BBR – ausschließlich Jahresabschlüsse von Unternehmen berücksichtigt, die eine jährliche Gesamtleistung von mindestens 0,5 Mio. EUR erreichen, nicht staatsabhängig sind, nicht zur Finanzdienstleistungsbranche gehören, konzernunabhängig sind und keine Besitzgesellschaften oder Bauträger sind.[154]

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Für andere Länder wurde das deutsche RiskCalc-Modell in drei Schritten weiterentwickelt.[155] Auf diese Weiterentwicklungen kann hier aber nicht eingegangen werden.

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Wie beim BBR wurden für RiskCalc in einem ersten Schritt 209 Kennzahlen univariat auf ihre Eignung untersucht, solvente Unternehmen von insolvenzgefährdeten Unternehmen zu trennen und um Hypothesenkonformität zu gewährleisten.

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Die im ersten Schritt zur Trennung der solventen von den insolvenzgefährdeten Unternehmen als geeignet identifizierten Kennzahlen wurden im zweiten Schritt anhand des empirisch-statistischen Verfahrens, der Logistischen Regressionsanalyse, hinsichtlich ihrer besonderen Trennfähigkeit bzgl. solventer und später insolventer Unternehmen bewertet. Danach verblieben neun Kennzahlen, die als Kombination in einem optimal gewichteten ganzheitlichen logistischen Modell besonders gut dazu geeignet sind, solvente von insolvenzgefährdeten Unternehmen Jahre vor der Insolvenz zu trennen. Die optimale Gewichtung dieser neun Kennzahlen geschah mit Hilfe der 100 000 Jahresabschlüsse des Datensatzes. Danach konnte mit der logistischen Regressionsfunktion für Unternehmen, die nicht zum Entwicklungsdatensatz gehörten, anhand seiner Jahresabschlusszahlen der Gesamtwert für die Ausfallwahrscheinlichkeit berechnet werden.

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Dafür war es in einem dritten Schritt notwendig, die ermittelten Scorewerte in Ausfallwahrscheinlichkeiten zu transformieren. Um die Handhabung der RiskCalc-Ergebnisse dabei noch einfacher zu gestalten, wurden die Ausfallwahrscheinlichkeiten aufgrund beobachteter historischer Ausfallraten den bekannten Moody's Ratingklassen zugeordnet. Abschließend wurde das deutsche RiskCalc-Modell an den spezifischen Anwendungsbereich der nicht-börsennotierten deutschen Unternehmen angepasst, wobei Branchenbesonderheiten berücksichtigt wurden. RiskCalc berechnet die Ausfallwahrscheinlichkeit jeweils sowohl für einen Ein-Jahreszeitraum als auch für einen Fünf-Jahres-Zeitraum.

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Tab. 4 stellt die für das deutsche RiskCalc ermittelten Jahresabschlusskennzahlen mit ihren jeweiligen Definitionen dar. Diese neun Kennzahlen des RiskCalc decken die sieben Informationsbereiche des Jahresabschlusses ab, nämlich die Kapitalbindungsdauer, die Verschuldung, die Kapitalstruktur, die Finanzkraft, die Rentabilität, den Personalaufwand und das Wachstum. Die Mehrzahl der Kennzahlen berücksichtigt und neutralisiert einen Großteil der möglichen bilanzpolitischen und sachverhaltsgestaltenden Maßnahmen eines Unternehmens.

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Tab. 4: Kennzahlen des RiskCalc[156]
Bezeichnung Informationsbereich Teillage Definition
Kapitalbindungsdauer Kapitalbindung Vermögenslage (Akzepte + Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen) × 360) / Umsatz
Nettoverschuldungsquote Verschuldung (Kfr. Fremdkapital – flüssige Mittel) / Bilanzsumme
Fremdkapitalstruktur (Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen + Akzepte + Bankverbindlichkeiten) / (Fremdkapital – erhaltene Anzahlungen)
Eigenkapitalquote Kapitalstruktur (Eigenkapital – immaterielle Vermögensgegenstände) / (Bilanzsumme – immaterielle Vermögensgegenstände – flüssige Mittel – Grundstücke und Bauten)
Finanzkraft Finanzkraft Finanzlage Ertragswirt. Cashflow / (Fremdkapital – erhaltene Anzahlungen)
Umsatzrentabilität Rentabilität Ertragslage Ordentliches Betriebsergebnis / Umsatz
EBITD-ROI (Jahresüberschuss + Zinsaufwendungen + Steuern vom Einkommen und Ertrag + Abschreibungen) / Bilanzsumme
Personalaufwandsquote Aufwandsstruktur Personalaufwand / Gesamtleistung
Umsatzwachstum Wachstum Umsatz der aktuellen Periode / Umsatz der Vorperiode

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Die Zusammenhänge des deutschen RiskCalc-Modells veranschaulicht Abb. 18. Angelehnt an die international etablierte Ratingskala von Moody's differenziert die RiskCalc-Ratingskala zwischen 19 mit Aaa bis C bezeichneten Ratingklassen. Unternehmen von Aaa bis Baa3 zeichnen sich durch eine Bestandfestigkeit (Solvenz- bzw. Überlebenswahrscheinlichkeit) von mind. 99 % aus (sog. Investment Grade). Unternehmen aus den Ratingklassen von Ba1 bis C signalisieren eine Existenzgefährdung (Speculative Grade).

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Abb. 18: Zusammenhänge im RiskCalc


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Die Probleme und Grenzen für die modernen Verfahren der Jahresabschlussanalyse sind Gegenstand des folgenden Abschnitts.

5.3.7 Probleme und Grenzen von modernen Verfahren der Jahresabschlussanalyse

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Ein modernes Verfahren der Jahresabschlussanalyse zeigt eine Bestandsgefährdung so frühzeitig an, dass Maßnahmen zur Krisenabwehr noch möglich sind. Das konnte am Bsp. des BBR anhand von vielen Anwendungen nachgewiesen werden (vgl. Rn. 195). Zwar ist die Entwicklung eines Bilanzratingsystems aufwändig, indes kann ein einmal entwickeltes System auf beliebig viele Jahresabschlüsse einer breiten Klasse von Unternehmen angewendet werden. Unternehmen, die kein eigenes Bilanzratingsystem entwickeln möchten bzw. können, können sich über einen externen Anbieter Zugang zu einem solchen Tool verschaffen, beispielsweise im Rahmen eines Lizenzerwerbs, wie dies bei RiskCalc möglich ist. Dem Anwender eines modernen Verfahrens der Jahresabschlussanalyse steht somit ein Top-down-Ansatz zur Verfügung, der finanzielle Risiken (und Chancen) frühzeitig und wirtschaftlich erfasst und anzeigt (vgl. Rn. 106 f.) und eine weitergehende Sensitivitätsanalyse ermöglicht – wie beim Bsp. unter Rn. 199 f. gezeigt werden konnte.

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Die in modernen Verfahren der Jahresabschlussanalyse verwendeten mathematisch-statistischen Verfahren auf Basis einer großen empirischen Datenbasis gewährleisten, dass die Kennzahlen objektiv ausgewählt, gewichtet und zusammengefasst werden. Das Gesamturteil (N-Wert beim BBR bzw. PD beim RiskCalc) ist somit intersubjektiv nachprüfbar. Dem Objektivierungsprinzip wird also entsprochen (vgl. Rn. 103). Stabile Ergebnisse aus einer empirisch-statistischen Analyse von Jahresabschlüssen lassen sich indes nur erwarten, wenn die Rechnungslegungsvorschriften für die Jahresabschlussinformationen, auf welche die für die Analyse gebildeten Kennzahlen basieren, im Zeitablauf nahezu unverändert bleiben. Änderungen der Bilanzierungsvorschriften, wie durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) oder die häufige Neufassung bzw. die Revision der IFRS, können Überarbeitungen der Ratingtools erforderlich machen. Vor allem die Umstellung auf die IFRS-Bilanzierung hat gezeigt, dass sich durch Veränderungen der Rechnungslegungsvorschriften die Notwendigkeit von Änderungen der Kennzahlen ergeben kann.[157] Allerdings hat die Anwendung des bisher auf der Basis der „alten“ HGB-Abschlüsse entwickelten RiskCalc und des BBR selbst auf Jahresabschlüsse nach IFRS zu guten Ergebnissen geführt, wenn die Besonderheiten der IFRS im Vergleich zu der handelsrechtlichen Rechnungslegung berücksichtigt werden.[158]

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Die modernen Verfahren der Bilanzanalyse müssen auf Dauer an die Veränderungen der Bilanzierungsvorschriften angepasst werden. Durch das BilMoG wurden neue Ermessensspielräume und Möglichkeiten der Sachverhaltsgestaltung bei der Aufstellung von Jahresabschlüssen ermöglicht, die vom Bilanzanalytiker schwieriger zu erkennen sind.[159] In noch größerem Maße gilt das für die IFRS. Bilanzpolitik neutralisierende Kennzahlen müssen entsprechend den bilanzpolitischen Möglichkeiten entwickelt bzw. angepasst werden. Kreative Kennzahlen werden also auch künftig eine wichtige Rolle bei der Bilanzanalyse spielen.[160] Sie sollen ermöglichen, eine durch den Jahresabschluss-Ersteller mittels Bilanzpolitik bewusst verzerrte Darstellung der wirtschaftlichen Lage zu neutralisieren.

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Wichtige Datenbasen für die modernen Verfahren der Bilanzanalyse sind neben zahlreichen Jahresabschlüssen von solventen Unternehmen eine statistisch hinreichende Zahl von Jahresabschlüssen von später insolvent gewordenen, also von kranken Unternehmen. Als „krank“ werden Unternehmen bezeichnet, wenn sie innerhalb von vier Jahren in die Insolvenz gehen. Die in einer solchen Datenbasis enthaltenen kranken Unternehmen entsprechen zwar nicht vollständig der in Rn. 18 gewählten Definition von Unternehmen in der Krise, weil in einer solchen Datenbasis nur jene Unternehmen mit Krisen enthalten sind, die in einem Insolvenzverfahren enden. Unternehmen, die die Krise vor Eintritt in ein Insolvenzverfahren erfolgreich bewältigen, werden in dem Jahresabschluss-Datensatz nicht als „krank“ erfasst, sondern als „gesund“.

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In den hier vorgestellten Verfahren der modernen Bilanzanalyse (BBR und RiskCalc) wurde gewährleistet, dass sämtliche Informationsbereiche des Jahresabschlusses durch Kennzahlen abgedeckt werden. Hierdurch werden vor allem die numerischen Informationen des Jahresabschlusses ausgewertet. Die verbalen, nicht oder nur schwierig quantifizierbaren Informationen aus dem Anhang, dem Lagebericht und dem Unternehmensumfeld bleiben dabei zumindest unmittelbar unberücksichtigt. Da diese qualitativen Daten wichtige unmittelbar zukunftsgerichtete Informationen für die Früherkennung einer Krise enthalten können, sollte man solche qualitativen Risiken in die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens zusätzlich einbeziehen, die erst nach Jahren ihres Wirksamwerdens durch ein Bilanzbonitätsrating erfasst werden (können), sonst läuft man Gefahr, von qualitativen Faktoren unmittelbar hervorgerufene Unternehmenskrisen nicht rechtzeitig zu erkennen. Diese qualitativen Risiken werden als Negativmerkmale bezeichnet.[161]

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Negativmerkmale können nach den Unternehmensbereichen unterschieden werden, in denen sie auftreten. Danach lassen sich Negativmerkmale aus


- dem globalen Umfeld,
- dem Unternehmensumfeld,
- dem internen operativen Geschäft und
- der internen Organisation

des Unternehmens unterscheiden.

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Ad 1. Globales Umfeld: Negativmerkmale können im globalen Umfeld des Unternehmens liegen: Die Rahmenbedingungen des Unternehmens, welche sich aus dem gesamtwirtschaftlichen, rechtlich-politischen, wissenschaftlich-technischen oder ökologischen Umfeld ergeben, bergen Risiken. Zu den Risiken aus dem globalen Umfeld sind im Speziellen zu zählen:


- Währungsrisiken,
- wirtschaftliche und politische Labilität der wichtigsten Abnehmer-/Lieferländer oder
- wirtschaftliche und politische Labilität des Standortes des zu beurteilenden Unternehmens selbst.

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Ad 2. Unternehmensumfeld: Qualitative Risiken sind auch im Unternehmensumfeld zu finden; diese Risiken ergeben sich aus der Branchenentwicklung, den Marktbedingungen auf Absatz- und Beschaffungsmärkten sowie aus den Wettbewerbsverhältnissen. Hierunter fallen beispielsweise die Abhängigkeit des Unternehmens von (wenigen oder) nur einem einzigen Lieferanten, Abnehmer(n), Produkt(en), Geldgeber(n) oder Rohstoff(en) sowie neue staatliche Auflagen oder Steueränderungen.

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Ad 3. Operatives Geschäft: Negativmerkmale im unternehmensinternen operativen Geschäft lassen sich anhand der unternehmensinternen Erfolgsfaktoren erfassen. Hierzu gehören Risiken in der Leistungs- und Produktpalette, der Beschaffungs- und Absatzpolitik, der strategischen Ausrichtung des Unternehmens. Bsp. für unternehmensinterne Erfolgsfaktoren sind:


- Übernahme von Eventualrisiken,
- Bürgschaften,
- Auslaufen von Patenten,
- Auslaufen von Verträgen.

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Ad 4. Interne Organisation: Ferner können bestimmte Negativmerkmale in der internen Organisation und der Entscheidungsfindung nicht durch den Jahresabschluss bzw. ein Bilanzbonitätsrating erfasst werden. Negativmerkmale in der Unternehmensleitung selbst sind auch hierunter zu fassen. Zu diesen Negativmerkmalen zählen:


- Mängel im Risikoüberwachungs-/Risikomanagementsystem,
- schwierigste Verhältnisse zwischen den Leitenden des Unternehmens oder
- Unzuverlässigkeit der Unternehmensleitung.

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Neben den o.g. Negativmerkmalen werden solche Risiken durch ein Bilanzbonitätsrating nicht erfasst, die durch die Periodenabgrenzung zeitlich nicht im analysierten Jahresabschluss erfasst wurden. Diese Risiken sind ebenfalls gesondert zu beurteilen. Hierzu zählen z.B. Risiken aus laufenden Gerichtsprozessen oder Risiken die sich aus besonderen den Unternehmensbestand gefährdenden Geschäftsvorfällen nach dem Bilanzstichtag ergeben (könnten).

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Erst durch die zusätzliche Beurteilung der (qualitativen) Negativmerkmale und der mittels des Bilanzbonitätsratings ermittelten Bestandsfestigkeit kann das Risiko der künftigen Entwicklung des Unternehmens adäquat bestimmt werden.