Das Erbe der Macht - Band 32: Sigilschwingen

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Das Erbe der Macht - Band 32: Sigilschwingen
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Table of Contents

Sigilschwingen

Was bisher geschah

Prolog

1. Nächste Schritte

2. Temporalmagie und ihre Tücken

3. Nur der Tod öffnet den Weg

4. Moriartys Zugang

5. Das temporale Interdikt

6. Die Resonatoren

7. Verfaulendes Wissen

8. Zwischen schwarzen Flammen

9. Ich bin Kastoel

10. Ein Riss in der Wirklichkeit

11. Wer ist Alfie Kent?

12. Schlagabtausch

13. Zwei Seiten im Streit

14. Doppelschwingen

15. Ein erwachender Gedanke

16. In Ketten gelegt

17. Realitätsverschränkung

18. Gefangen

19. Die Ketten der Tiefen

20. Erneuerung

21. Ein gefallener Engel

22. Ritter Baby-Kent

Epilog

Vorschau

Seriennews

Glossar

Impressum

Das Erbe der Macht

Band 32

»Sigilschwingen«

von Andreas Suchanek


Was bisher geschah


Nach den Ereignissen um die Zerstörung des Onyxquaders landen Jen und Alex in einer veränderten Gegenwart. Sie werden mit einer Welt konfrontiert, in der die Magier alles beherrschen und Nimags einfaches Fußvolk darstellen. Es gelingt ihnen, Tyler zu finden, der zusammen mit Joshua im Bernstein geschlafen hat. Sie erfahren, dass Kevin die Zeit nicht zerstört und neu geschaffen hat, stattdessen wurde die Zeitlinie gesplittet. Es gibt jetzt zwei verschiedene Linien, die nebeneinander existieren. Noch. Denn in Kürze wird eine davon endgültig ausgelöscht.

Auf beiden Seiten müssen die Essenzstäbe der Macht vereint und ein neuer König gekrönt werden. Die jeweiligen Könige werden dann auf dem Schlachtfeld darüber entscheiden, welche Zeitlinie überlebt.

Joshua stirbt aufgrund seiner Verletzungen, hat vorher aber ein Portal für Alex und Jen geöffnet. Gemeinsam mit Tyler treten sie hindurch in eine sichere Zuflucht.

Ihnen bleibt nur die Möglichkeit, die Passage zu finden, die beide Seiten verbindet, und damit nach Hause zurückzukehren. Wo der Übergang sich befindet, ist jedoch ein Rätsel. Auch der Verbleib von Kevin und Artus ist ungewiss.

Prolog


Regen peitschte vom Meer heran.

Annora schlug den Kragen ihrer Jacke in die Höhe. Es wäre so einfach gewesen, diesen lächerlichen Sturm zu bändigen. Doch niemand sollte wissen, dass sie sich hier trafen. Noch nicht. Jeder weitere Schritt musste mit Bedacht gegangen werden.

»Ich hätte nicht gedacht, dass du tatsächlich auftauchst«, sagte Max Manning mit der ihm typischen hochgezogenen Augenbraue, mit der er jeden verhöhnte.

Niemand schien auf der gleichen Stufe wie er zu stehen, zumindest aus seiner Sicht. Sie hätte ihn liebend gerne hier und jetzt erledigt. Bedauerlicherweise hatten die Dinge sich geändert.

»Gibt es Neuigkeiten?«, fragte sie anstelle einer Begrüßung.

Er trat neben sie. Gemeinsam gingen sie die leere Straße am Meer entlang. Der Wind störte ihn offenbar wenig. Der Höchste Magier von Australien war nach einer Handvoll Schritten klitschnass. Das dunkle Haar klebte an seinen Wangen. Einzig die sanften Gesichtszüge, die so viele Feinde getäuscht hatten, blieben unverändert. Er trug eine simple Herbstjacke, die er nicht einmal geschlossen hatte.

»Der falsche Kevin Grant befindet sich noch immer in London«, erklärte er. »Moriarty hält seine schützende Hand über ihn.«

Jeder, der auf dem Parkett der Macht verkehrte, hatte Zuträger, Informanten, Spione in den Reihen der anderen. Ein Geheimnis existierte niemals lange.

Sah man von jenem ab, das sie selbst seit langer Zeit verbarg. Aber sie, Annora Grant, war nun einmal etwas Besonderes.

»Wir wissen ebenso, wo sich Artus befindet«, sagte sie. »Jennifer, Alexander und Tyler sind jedoch durch ein Portal verschwunden, dessen Magie sich hinter ihnen aufgelöst hat.«

»Konntest du keinen Zeitschattenzauber weben?«, spie er ihr vorwurfsvoll entgegen.

»Nein«, sagte sie leichthin.

»Es geht um unsere Welt.« Ein gefährliches Funkeln trat in seine Augen, als er stehen blieb und sich ihr zuwandte.

Regen perlte über seine Haut, dunkelblonde Haarsträhnen klebten auf seiner Stirn. Hass schillerte in seinem Blick in jeder erdenklichen Facette, wie ein dunkler Regenbogen.

»Tut es das nicht immer?«, fragte sie. »Der Anbeginn bedroht uns seit einer Ewigkeit, und wir existieren nach wie vor.«

Unnötig zu erwähnen, dass sie auch dabei ihre Finger im Spiel hatte.

»Mach mich nicht noch wütender, Annora Grant.« Max’ Stimme war kalt wie Eis und scharf wie Stahl. »Du weißt nicht, wozu ich fähig bin.«

»Ich habe Erinnerungen gesehen«, setzte sie dagegen. »Wie hieß diese Stadt noch gleich, die du ausgelöscht hast, weil eines der Noblen Häuser dich beleidigt hatte?«

»Du weißt nicht, wozu ich fähig bin«, wiederholte er nur.

Sie seufzte. »Es ist unabdingbar, dass wir die sieben Stäbe finden und den dazugehörigen König. In der Zwischenzeit gibt es nur ein Ziel: Wir müssen die Passage in Besitz nehmen, bevor Jennifer, Alexander und Tyler dies tun. Kontrollieren wir diese, können die drei ihre Seite nicht warnen.« Sie lächelte. »Außerdem dürfte es dann recht simpel sein, Agenten dort einzuschleusen.«

Für einige Augenblicke gab es nur das Meer hinter, den Sturm über und den Hass vor ihr.

»Dann sei es so«, sagte Max.

»Und all das sollte uns gelingen, bevor das Institut sich einschaltet.«

Er runzelte die Stirn. »Ich stelle mich nicht gegen das Institut. Nicht einmal ich wage das.«

Wieder einmal fühlte Annora sich in ihrer Tat bestätigt: den Zwillingsfluch erschaffen zu haben, geborene Magier mit eigenen Sigilen. Unangreifbar durch das Institut. Was sie nicht gegeben hatten, konnten sie nicht nehmen.

»Wir machen es einfach, wie die Römer es taten«, sagte sie: »Teile und herrsche. Ich denke, es ist an der Zeit, dass das Institut sich um die gefährlichen Subjekte kümmert. Immerhin sind mit Alexander, Jennifer und Tyler drei Magier dort draußen unterwegs, die Sigile besitzen, obwohl sie ihnen nie vom Institut verliehen wurden. Das wird die Jäger des Instituts eine Weile beschäftigen.«

Sie las die Zustimmung in den Augen von Max, bevor er etwas sagte. »Willst du ihnen den Tipp geben oder soll ich es tun?«

Annora lächelte seinem Hass überlegen entgegen.

1. Nächste Schritte


Alles wirkte so idyllisch.

Jen starrte durch das Fenster und betrachtete die Wolken. Im Unterschied zu sonst sah sie diese heute aus anderer Perspektive – von oben. Joshua hatte Wort gehalten und ihnen einen sicheren Unterschlupf geschaffen. Ein Haus, das im Himmel schwebte. Getragen von einem Fundament aus Bernstein, in das ein Permanentzauber eingewoben war. Eine Illusionierung hatte diese Zuflucht unsichtbar werden lassen.

 

»Die Wolken sehen aus wie ein Meer unter uns«, sagte Jen leise zu sich selbst.

Die Sonnenstrahlen kitzelten ihr Gesicht. Sie spürte Wärme und Frieden.

Und einen Körper.

Ihren eigenen.

Wie lange war sie nicht mehr gewesen als pure Gedanken, in Form gehalten von einem magischen Artefakt; davor bewahrt, als Geistessplitter in der Zeit verloren zu sein.

In den vergangenen Tagen hatte sie Schaumbäder genommen, war auf dem Balkon durch die frische Luft spaziert, hatte ihre Muskeln trainiert. Jedes Gefühl hatte sie genossen, jede Berührung.

Sie blickte hinüber zum Bett, wo Alex noch immer schlief. Er lag quer auf der Matratze, wie immer, sobald sie das Bett verlassen hatte. Sein brauner Haarschopf lugte zerzaust hervor, während die Decke den Rest seines Gesichts bedeckte. Seine Füße hatte er natürlich freigestrampelt. Bei jedem Atemzug bewegte sich der Deckenhügel. Er atmete regelmäßig und entspannt, was ein gutes Zeichen war.

Die vergangenen Tage hatten sie alle bis ans Limit gebracht, aber wenigstens nicht darüber hinaus. Alex schlief die meisten Nächte durch. Im Gegensatz zu ihr. Immer wieder schreckte sie hoch und überprüfte, ob ihr Körper noch da war, ob Haut und Knochen nach wie vor existierten.

Sie schlüpfte in die Jogginghosen, streifte sich ein Shirt über und schlich aus dem Raum. Sollte Alex noch etwas schlafen. Sie benötigten ihre Kräfte für das, was ihnen bevorstand.

Eines musste man Joshua lassen: Er hatte vorgesorgt. Immer wieder war er aus dem Zeitschlaf gekommen, wobei er direkt auch dieses Haus ausgestattet hatte. Mit Kleidung, Nahrungsmitteln, Kaffee.

Sie lebten in purem Luxus, weitab von jedem Problem. In einer fliegenden Villa. Es hätte ein wunderbarer Urlaub sein können, doch stattdessen tickte die Uhr. Kevins Tat hatte die Zeitlinie gesplittet in jene, die sie kannten, und eine zweite, die einer Dystopie ziemlich nahekam. Der Anbeginn war dort stärker, machtgierige Magier hatten die Kontinente und Länder unter sich aufgeteilt, und ein ominöses Institut herrschte über die Verteilung von Sigilen.

Irgendwo gab es ein Portal, das beide Seiten verband. Es war für sie der Weg nach Hause. Zurück zu ihren Freunden.

»Und wir müssen ja auch nur Artus und Kevin finden, den Übergang und das alles, und zwar noch rechtzeitig, bevor unsere Zeitlinie ausradiert wird.«

Sie aktivierte die Kaffeemaschine, die mit einem Summen zum Leben erwachte. Wie aufs Stichwort schoss der Körper eines jungen Mannes vorm Fenster vorbei. Mit ausgebreiteten Flügeln setzte Tyler auf dem Balkon auf. Wie so oft mittlerweile trug er weiße 1980er-Sneakers, verschlissene Jeans und ein Hemd. Auf seinem Gesicht lag ein versonnener Ausdruck, wie immer, wenn er von einem Rundflug zurückkehrte. Er stürzte sich in die Wolken, flog hinauf Richtung Sonne, badete im Licht. Pure Freiheit.

»Guten Morgen«, begrüßte er sie.

»Morgen.«

Es folgte eine kurze Umarmung.

»Hast du dich auf magische Art mit der Kaffeemaschine verbunden?«, fragte Jen. »Du tauchst immer auf, wenn sie angeschaltet wird.«

Tyler grinste über beide Ohren und wirkte dadurch wie eine jüngere Version seines Vaters Chris. Das traf auch auf die Muskeln zu. »Das ist so toll. Man drückt auf einen Knopf und frischer Kaffee fließt in die Tasse.«

Jen lachte leise. Tyler war zuerst in einem Splitterreich aufgewachsen, bevor er später in die normale Welt gewechselt war und in der Vergangenheit gelebt hatte. Mit den Zeitreisenden hatte er dann die Wall-Erschaffung erlebt oder das Chaos, das Kevin angerichtet hatte. Von moderner Technik wusste er quasi nichts.

»Warum schaust du mich so an?«, fragte er und wirkte prompt noch jünger.

»Ich denke darüber nach, wie du reagierst, sobald du Computer und Smartphones kennenlernst«, sagte Jen.

»Ach«, Tyler winkte ab, »Joshua hat mich doch einmal aus dem Bernstein geholt, damit ich ihm bei einem Diebstahl helfe. Du weißt schon.« Er nickte mit dem Kopf in Richtung Arbeitszimmer. »Da habe ich mir so einen Computer angeschaut. Man sitzt die ganze Zeit vor diesem schwarzen Glasding …«

»… Monitor.«

»… und gibt irgendwelche Wörter ein. Und einmal habe ich gesehen, wie sie eine Karte mit Löchern benutzt haben, um ein Buch von einem mechanischen Arm aus einer Bibliothek herauffahren zu lassen.« Er schüttelte den Kopf. »Mit einem Zauber geht das viel effektiver.«

Jen grinste innerlich. »Ich gehe jede Wette ein, dass du mit dem ersten App-Spiel nicht mehr vom Smartphone aufsehen wirst.«

»Wie du meinst.« Er glaubte ihr offensichtlich kein Wort, linste aber ständig hinüber zum Kaffeevollautomaten.

»Der erste gehört mir«, stellte Jen klar.

»Du warst gestern wieder so lange wach, oder?«

»Nicht zu lange.«

»Aber nur, weil Alex dich geschnappt hat und ihr dann … äh … ins Schlafzimmer verschwunden seid.« Seine Wangen nahmen einen zarten Rotton an.

Jen beschloss, darauf nicht näher einzugehen. »Wir müssen den Übergang finden.«

»Ihr habt euch also entschieden.«

Jen nickte nach einem kurzen Zögern. »Zuerst das Portal. Unsere Seite muss wissen, was auf dem Spiel steht. Weißt du, hier spielt Merlin keine Rolle. Drüben sieht das anders aus. Der Widerstand ist komplett darauf fokussiert zu überleben, ihn zu stürzen. Die wissen gar nicht, dass eine Katastrophe bevorsteht.«

Tyler schob die Hände in seine Jeanstaschen und knabberte auf seiner Unterlippe. »Das verstehe ich doch. Aber Onkel Kevin hat das alles nicht aus böser Absicht getan. Wir müssen ihm helfen.«

»Ty.« Jen suchte seinen Blick. »Falls unsere Zeitlinie ausgelöscht wird, leben wir für immer in diesem Höllenloch. Und haben mit dem Anbeginn ein noch größeres Problem.« Sie deutete auf das Arbeitszimmer. »Ich habe die Unterlagen von Joshua studiert. Natürlich nicht alle. Er hat Geschichtswälzer zusammengetragen, Mentigloben wurden hier ja scheinbar verboten. Alles ziemlich restriktiv. Aber so weit ich das gesehen habe, ist der Anbeginn hier noch stärker als bei uns. Irgendwie findet er immer ein Schlupfloch.«

Jen nahm die Kaffeetasse, goss ein wenig Milch hinein und streute Zimt darüber.

»Das weiß ich«, sagte Ty. »Aber Onkel Kevin wollte meinen Vater zurückholen. Ich kann ihn nicht im Stich lassen. Wer weiß, was die ihm antun.«

»Wir werden ihn aufspüren«, versprach Jen. »Artus befindet sich in der Gewalt von Chris, das wissen wir durch Annora, dein Onkel vermutlich ebenfalls – und das ist immerhin sein Bruder, irgendwie. Joshua hat ein paar Zauber hinterlegt, außerdem Namen von Informanten. Einige stammen noch aus den 1980ern, aber wir können sie prüfen. Es gibt sogar Inkognito-Magie.«

Hinter der Schlafzimmertür rumorte es. Kurz darauf öffnete sich die Tür. Ein verschlafener Alex stand ihm Türrahmen und sah aus, als habe man ihn vor eine Flugzeugturbine gestellt.

»Guten Morgen«, sagte er. »Ihr seid ganz schön laut.«

»Es war doch garantiert der Kaffeegeruch, der dich geweckt hat, gib es zu.« Jen drehte sich so, dass er nicht an ihre Tasse herankam.

Ty schob schnell die eigene unter den Auslauf. »Ich war zuerst.«

Während die Jungs sich um den Kaffee stritten, ging Jen langsam ins Arbeitszimmer.

In einem riesigen Stapel aus handschriftlichen Notizen, Büchern und kryptischen Zeichnungen lag die Wahrheit verborgen.

»Nur wo?«

Jen trank einen Schluck und ging an die Arbeit.

2. Temporalmagie und ihre Tücken


Alex zupfte an seinem Kragen, und Jen stand kurz davor, ihm auf die Finger zu hauen. »Hörst du jetzt auf.«

Er zog eine Grimasse. »Ich bin eben kein Fan von diesen Dingern. Wie Halskrausen.«

»Es ist ein Seil mit Steinchen daran, sonst nichts.«

»Ein schweres Steinchen«, sagte Alex leise.

»Fingernagelgroß«, gab sie trocken zurück.

Joshua hatte ihnen Inkognito-Zauber verschafft, die auf alter Magie der Inkas beruhten. Ein Seil, in das Knoten eingeflochten waren, in denen wiederum Kiesel hingen. Auf jedem davon waren Symbole eingeritzt. Jen hatte nicht herausfinden können, wie das Ganze funktionierte, so völlig ohne Bernstein. Es schien ein Passivzauber zu sein, der aktiv wurde, sobald ein anderer Mensch sie anblickte. Letztlich wurde ihr Aussehen nicht verändert, die betroffene Person dachte nur, dass Alex und Jen niemandem ähnelten, den sie kannten.

Jen vollendete den Sprungkreis, in dessen Zentrum sie standen, und sagte: »Corpus Aportate, Corpus Disparere.«

Die Umgebung des Gebäudes verschwand, wurde überlagert von einem heruntergekommenen Hinterhof.

Überfüllte Mülltonnen standen in der Ecke, das Gras wucherte. Unkraut war dabei, die verholzten Rosen zu ersticken. Rissige Trittplatten schlängelten sich durch den Garten bis zum Tor.

»Los!«, sagte Jen.

Sie eilten hinaus, bevor die Bewohner sie entdecken konnten. Nicht, dass das ein Problem dargestellt hätte. Jen trug den Sigilring, den sie bei einem Kampf gegen einen Magier erbeutet hatten. Mit diesem war es möglich, lautlos und unsichtbar Zauber zu wirken. Wenn ein Nimag diesen sah, zog er den Kopf zwischen die Schultern und eilte davon.

Hinter ihnen verblasste der Sprungkreis und löschte jeden Hinweis auf ihre Anwesenheit aus.

»Wenigstens benutzen die hier nur die Portale«, sagte Alex. »Damit haben wir einen Vorteil. Keiner kann uns aufspüren oder Schutzzauber wirken.«

Jen nickte, zählte im Stillen aber all die negativen Dinge auf, die in dieser Zeitlinie gegen sie arbeiteten. Geflügelte Beobachter, unsichtbare Magie, gefangene Sigile. »Schade, dass Joshua das Portal auf unserer Seite nicht längst gefunden hat.«

»Immerhin hat er noch eine Menge mehr erleben können, bevor er wieder gestorben ist.« Alex versuchte sich in einem Lächeln, das jedoch verunglückte. »Und Tyler wollte nicht mit?«

»Ach, er hat doch nur darauf gewartet, dass wir losziehen, damit er selbst nach Kevin suchen kann«, erwiderte Jen.

Sie kamen auf eine belebte Straße und ließen sich von der Menge treiben. Jen hatte sich den Stadtplan genau eingeprägt und wusste, in welche Richtung sie sich wenden mussten.

»Das sieht hier gar nicht aus wie ein Stubenviertel«, sagte Alex.

Jen grinste. »Das ist so eine historische Sache. Du kannst auch einfach 1. Bezirk sagen. Die Universität hat übrigens einen Namen.«

»Haben Sie das nicht alle?«

»Hier ist es wohl üblich, Bildungsstätten nach dem jeweiligen Noblen Haus zu benennen.«

»Höchster Magier ist Herrscher des Kontinents, hoher Magier Herrscher des Landes und Nobels Haus ist dann …«

»… die jeweilige Familie, die die Stadt kontrolliert. In unserem Fall handelt es sich um die Steiners«, erklärte Jen. »Wir betreten also gleich die Steinersche Universität. Hier werden die Professoren noch vom Noblen Haus selbst berufen. Für Nimags ist der Zutritt verboten.«

Alex knurrte auf.

Sie hatten sich lange über die Ungerechtigkeit und Ausgrenzung unterhalten, die in dieser Zeitlinie herrschte. Einigen Nimags, die auf der anderen Seite Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Sexualität, äußeren Merkmalen oder ihrer Religion unterdrückten, diskriminierten und verfolgten, hätte ein Aufenthalt hier durchaus mal gutgetan. Sie hätten am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlte, zu einer Person zweiter Klasse degradiert zu werden.

Jen wusste, dass Alex in diesem Augenblick an seine Mutter und seinen Bruder dachte. Alfie war nur dank Bernsteinkörnern in seinem Körper dazu in der Lage, Magie zu wirken. Vermutlich hätte das allmächtige Institut auf dieser Seite ihn kurzerhand getötet.

»Mal ehrlich, ich würde diese Zeitlinie nicht mal erhalten wollen, wenn ich selbst hier leben würde«, sagte er grimmig.

»Und stattdessen sterben?« Jen schüttelte den Kopf. »Ich hoffe wirklich, dass wir noch irgendeine andere Lösung finden. Natürlich bin ich froh, dass Kevins Veränderung nicht unsere Gegenwart vernichtet oder umgewandelt hat, aber das alles hier sind Menschen.«

Bevor sie weitersprechen konnten, waren sie auch schon angekommen. Ein Gebäude aus weißem Marmor ragte vor ihnen auf. An beiden Seiten des Durchgangs standen Statuen aus Bernstein, was puren Protz darstellte.

Als vor ihnen ein Student an den Abbildern irgendwelcher noblen Magier vorbeiging, leuchteten diese kurz auf.

 

»Das ist eine Überprüfung«, realisierte Alex.

»Falls es schiefgeht, rennen wir in die nächste Gasse und nutzen einen Sprungkreis.«

Ein letztes Durchatmen, dann nahmen sie den gleichen Weg wie der Student.

Die Statuen leuchteten auf, Jen spürte ein Tasten. Ihr Sigil wurde erkannt. Nichts geschah.

»Ich will gar nicht wissen, was mit einem Nimag geschieht, der hinein möchte«, sagte Alex.

Die Gesinnung der Magier in dieser Welt war gnadenlos.

Sie eilten zum Hauptgebäude, traten ein und Jen warf einen Blick auf eine Tafel. Hier waren die einzelnen Fakultäten aufgelistet, die sich vor Ort oder in einem anderen Gebäude befanden.

»Da, Fakultät für Temporalmagie.« Sie deutete auf den Eintrag. »Wenn es stimmt, was Joshua herausgefunden hat, dann könnte dies die Lösung sein.«

Sie stiegen eine Steintreppe hinauf und eilten durch lange Flure. Am Ende ragte eine wuchtige schwarze Tür auf. Alex ballte die Hand und schlug dagegen.

Als eine Weile nichts geschah, drückte Jen die Klinke herunter. Sie traten ein.

Ein Mann in den Fünfzigern sah von seiner Arbeit auf. Beinahe hätte Jen verwirrt aufgeschrien, so ähnlich sah der Professor Albert Einstein; wenn auch nur im ersten Moment.

»Ich hatte Sie nicht hereingebeten«, blaffte er in seinen Vollbart.

Aus der Nähe schwand die Ähnlichkeit zu Albert rapide. Professor Steiner – bei dem es sich vermutlich um einen Abkömmling der Familie des Noblen Hauses handelte – wirkte grimmig. Er schien eine nach außen gerichtete Härte abzustrahlen, was seine gepflegte Kleidung noch betonte. Er trug eine Weste über einem Hemd und Stoffhosen. An der rechten Hand glänzte der Sigilring.

»Wir kommen in wichtiger Angelegenheit«, stellte Jen klar und hob ihre rechte Hand, zur Faust geballt.

Der Professor runzelte die Stirn. Er machte eine schnelle Bewegung mit den Fingern, prüfte wohl auf irgendeine Art den Ring. Sein Gesicht nahm einen verwirrten Ausdruck an. »Mir wurde kein Besuch eines Hohen Hauses angekündigt.«

»Eine drängende Angelegenheit«, erklärte Jen.

Sie hatten sich die Abschriften Joshuas über die komplizierten Allianzen und Hochzeiten zwischen den Familien der Höchsten Häuser und Hohen Häuser angeschaut, in der Hoffnung, mit dem erbeuteten Ring niemandem gegenüberzustehen, der feindlich gesinnt war.

»Willkommen in meiner Fakultät.« Steiner sprang auf und schüttelte ihnen nacheinander die Hand.

»Aber Sie tragen keinen Ring.« Er musterte Alex.

»Ich denke nicht, dass das notwendig ist«, erklärte dieser mit einer gespielten Leichtigkeit, für die Jen ihn bewunderte. »Sie können sich natürlich gerne an das Institut wenden, um mich zu überprüfen.«

Der Professor erbleichte. »Das wird nicht nötig sein.«

Die Angst vor dem allmächtigen Institut war in jede Faser dieser Welt eingesickert. Joshua hatte zahlreiche Notizen dazu angefertigt. Solange sie mit Fingerspitzengefühl vorgingen, konnte das hier und da nützlich sein.

»Wie kann ich ihnen helfen?«, fragte Professor Steiner.

Jen lächelte.