Der Weg … zurück zu meinen Ahnen

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Der Weg … zurück zu meinen Ahnen
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Artur Weiß

DER WEG

… ZURÜCK ZU MEINEN AHNEN

Erzwungene Reise 1940 in das dritte Reich und

warum Bessarabien-Deutsche

zum Spielball der Weltpolitik wurden

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Copyright der Fotos:

Bildarchiv des Heimatmuseums der Deutschen aus Bessarabien,

Stuttgart (18 Fotos)

Alle anderen Fotos sind aus dem Familien-Album der Familie Weiß

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Die meine Eltern wurden

Annas Konfirmation

Der Tod von Mutter Messinger

Pferdemarkt in Tarutino und andere Ereignisse

Gottlieb Messingers Heimkehr

Gottliebs Antrag an Julijana

Julijanas Besuch in Klöstitz

Julijanas Weg nach Klöstitz und andere Ereignisse

Die Doppelhochzeit

Die Familie Weiß entsteht

Der Lehmhausbau

Annas Geständnis und Sonstiges

Annas Niederkunft und Begleiterscheinungen

Gerichtsverfahren in Klöstitz

Die Familien Kißler und Schultze in Deutschland

Oskars Hochzeit mit Klara und Sonstiges

Oskar wird Vater und Begleiterscheinungen

Klara will die Scheidung

Oskars Neustart

Der Umzug nach Pernitz

Familie Kißler und andere Ereignisse

Neuanfang in der Russischen Zone

Mein Weg zu ihr

Renis Geständnis und Sonstiges

Unsere Hochzeit

Meine Leidenswege kurz gefasst

Schlusswort

Bemerkung und Hinweis

VORWORT

In diesem Buch liegen wahre Geschichten zugrunde, die der Autor in seiner Kindheit und im Erwachsenwerden selbst erlebt hat. Lebensweisen, Begebenheiten, Sitten und Gebräuche von zwei bessarabischen Familien liefern den Stoff für dieses Buch. Es wird von und über Generationen berichtet, aus denen meine Eltern hervorgingen, wie sie sich kennen lernten und die Ehe eingingen. Schließlich bauten sie ein Lehmhaus in Klöstitz, in dem ich als ihr Sohn am 11.12.1931 das Licht der Welt erblickte. Gemeinsam mit drei Geschwistern wuchs ich auf und besuchte bis zur Aussiedelung nach Deutschland 1940 eine rumänische Schule. Die Aktion, kommt heim ins Reich, war ein Teil des Nichtangriffspaktes zwischen Hitler und Stalin. Damit verloren wir Haus und Hof und auch die Heimat.

Zur gleichen Zeit gab es in Deutschland zwei Familien, die nach deutschem Recht lebten. Ihr Leben und ihre Arbeit werden von allen Seiten beleuchtet, um die politischen Wirren in den zwanziger Jahren bis zur Machtergreifung Adolf Hitlers verständlich zu machen. Nach den turbulenten Zeiten im Dritten Reich begegneten sich die Sprösslinge aus den zwei Familien. Sie lernten sich kennen und lieben und landeten dann schnell im Hafen der Ehe. Ihr Heimatort wurde unter anderen Belzig, wo nach geraumer Zeit sich Nachwuchs einstellte. Sie gaben ihrem Mädchen den Namen Ilse Irene. Ihr Geburtsdatum ist der 21.01.1931, sie war somit ein Jahr älter als ich. Sie wuchs in ihrem Heimatort auf und ging in eine deutsche Schule.

Man bedenke, dass sich die Familien im fernen Bessarabien und in Deutschland nicht kennen, auch von ihrer Existenz nichts wussten. Das Gleiche trifft für die zwei heranwachsenden Kinder zu, die füreinander bestimmt sind. Das Schicksal wird sie auf Wege, über Ländergrenzen hinaus zusammenführen. Dafür wird der Zweite Weltkrieg sorgen, der ganze Völkerstämme vertrieb und entwurzelte. So kamen gezwungenermaßen die Bessarabier wieder ins Land ihrer Ahnen zurück, die um 1800 aus Baden-Württemberg nach Bessarabien ausgewandert waren, was das Werk des Zaren Alexander I. war.

Wenn ein Mensch das Licht der Welt erblickt, weiß er nicht, wie sich sein Leben entwickeln wird. Zunächst wird es von seinen Eltern bestimmt und gelenkt. Auch wird ihn die Zeit formen, in die er hineingeboren wurde. Das aber ist in den verschiedensten Ländern der Welt unterschiedlich, zum Beispiel in meinem Geburtsland Bessarabien, weil Weltanschauungen und Religion sich von anderen Ländern unterschieden. Sie haben in der Vergangenheit und Gegenwart für Spannungen gesorgt und werden es auch in der Zukunft tun. Diese gehen wiederum nicht spurlos an den heranwachsenden Menschen vorbei. Die Kinder werden erwachsen und stellen fest, dass das Leben oft sonderbare sowie seltsame Wege geht. Das kann ich als fünfundachtzigjähriger Lebens- und Zeitzeuge bestätigen. Es blieb mir nicht erspart, die politisch turbulenten Zeiten von 1931 bis 2015 zu durchleben, in denen kriegerische Handlungen und Annektierungen durch Hitler-Deutschland stattfanden. Der Krieg gegen Russland wurde angezettelt, welcher sich zum Zweiten Weltkrieg entwickelte, der am Ende bekannte Volksgruppen entwurzelte und vertrieb. Am schwersten hat es die Bessarabiendeutsche Gruppe getroffen, der ich angehöre. Sie ist 1940 unter dem Motto: „Kommt heim ins Reich!“ aus Bessarabien nach Deutschland ausgesiedelt worden. Später wurde sie im besetzen Polen 1941 auf enteigneten polnischen Bauernhöfen angesiedelt. Im Januar 1945 mussten sie die neue Heimat wegen des Herannahens der Ostfront mit Pferd und Wagen verlassen. Somit ist ihnen zum zweiten Mal die Heimat und ihr Habe genommen worden. So wurden sie wie viele andere zum Spielball der Weltpolitik. Sie landeten dann als mittellose Flüchtlinge in Deutschland, im Land ihrer Ahnen. Meine Familie ist im Land Brandenburg heimisch geworden, wo wir uns zum dritten Mal in fünf Jahren ohne unseren Vater eine Bleibe und Existenz aufbauen mussten. Vater ist 1945 in den Kriegswirren vermisst und durch Suchdienste nicht gefunden worden. Tausenden Familien hat der Zweite Weltkrieg schwere seelische und moralische Wunden geschlagen, die tiefe Narben hinterließen. Auch sind sich Menschen vieler Länder durch Flucht und Vertreibung begegnet, die sich sonst nicht hätten kennen gelernt. Es trafen sich Menschen, die in fremden Ländern aufgewachsen waren und stellten fest, dass sie füreinander geschaffen und bestimmt sind. Dieses Glück im Unglück widerfuhr mir und lieferte den Stoff für dieses Buch. Sie erfahren die Sitten und Gebräuche in bessarabischen Familien von 1920 bis 1950 und in deutschen Familien in gleicher Zeit. Wie diese Zeit sich auf meine Kindheit in Bessarabien und auf das Erwachsenwerden in Deutschland auswirkte, mit Höhen und Tiefen in meinem Leben, werde ich in diesem Buch zu berichten wissen.

DIE MEINE ELTERN WURDEN

Aus den Kolonisten, die 1813 aus Deutschland Baden-Württemberg, nach Bessarabien ausgewandert sind, wuchs aus Folgegenerationen eine starke Gemeinschaft heran. Sie schufen sich mit der Unterstützung des Zaren Alexander I. eine neue Heimat. So entstanden landesweit viele deutsche Dörfer, in denen sie ihre Gewohnheiten, Sprache und ihren christlichen Glauben integrierten. Auch bauten sie Kirchen, Schulen und Gemeindehäuser, in die ihre Gemeindevertretungen und Ordnungshüter einzogen. Auf dieser Grundlage entstand auch die Mustergemeinde Klöstitz und wurde zu einer der größten Kirchspiele Bessarabiens. Die Landwirtschaft entwickelte sich prächtig, so dass Großbauern und Gutsbesitzer entstanden. In der Familie des Großbauern Gottlieb Messinger erblickte Anna Maria am 12. 10. 1904 das Licht der Welt. Anna war das vierte Kind von zwölf Geschwistern. Sie wuchs in Klöstitz auf, wo sie auch die örtliche Schule besuchte. Die Gemeinde Klöstitz hatte zu dieser Zeit um die 3000 Einwohner.

 

Klöstitz im Winter um 1910

Anna Messinger drei Jahre alt

Im Nachbarort Tarutino, der sich mittlerweile zur Stadt entwickelt hatte und die Stadtrechte erhielt, ist Alfred Gottfried Weiß als neuntes Kind am 04. 09. 1909 zur Welt gekommen. Seine Kindheit verlief nicht so hart wie auf dem Lande. Alfred wuchs umsorgt von seinen Geschwistern heran, wo er dann mit sechs Jahren die Grundschule in Tarutino besuchte. Von seinen großen Geschwistern erfuhr er jegliche Unterstützung. So konnte er sich zu einem Spitzenschüler entwickeln und verließ nach acht Jahren erfolgreich die Schule.

Es war nicht nur üblich, dass die Schüler den Konfirmandenunterricht besuchten, sondern sie wurden auch konfirmiert. Sein Wunsch war es, den Maurerberuf zu erlernen, sein Vater beschaffte ihm eine Lehrstelle. Seine Ausbildung dauerte drei Jahre, die er auch problemlos bestand. So war Alfred mit siebzehn Jahren ein Fachmann in seinem Beruf. Inzwischen haben seine Geschwister alle das Haus verlassen und eigene Familien gegründet. Alfred wurde von seinem Betrieb übernommen und wohnte weiter bei seinen Eltern. Die Arbeit auf dem Bau machte ihm Spaß, so dass er sich fortbildete, um Karriere zu machen.


Elternhaus von Alfred Weiß in Tarutino

Alfred Weiß drei Jahre

Der Ort Tarutino bot der Jugend die verschiedensten Klubs, Vereine und Vergnügungsmöglichkeiten an, damit sich die Jugend nach getaner Arbeit mit Freunden vergnügen konnte. Die Zeit ging ins Land und Alfred feierte seinen achtzehnten Geburtstag, an dem unter anderen sein Vater als kranker Mann teilnahm. Es hat dann auch nicht lange gedauert, bis dieser verstarb. Das brachte große Trauer über die Familie Weiß, war er doch der Vater von neun Kindern, die nun zu Halbwaisen wurden. Einige kamen mit Pferdewagen aus den umliegenden Dörfern zur Beerdigung. Sie, die Großfamilie, nun mit Schwiegertöchtern, Schwiegersöhnen und Enkeln trugen ihren Vater sowie Großvater zu Grabe. Auch die Brüder und Schwestern des Verstorbenen kamen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Zu bemerken ist, dass die Familie Weiß in Tarutino stark vertreten war und der traurige Anlass alle wieder einmal zusammengeführt hat. Lange noch hat sich die Verwandtschaft Groß und Klein, über das aktuelle Geschehen unterhalten. Nachdem die Ersten mit ihren Gespannen den Hof verlassen hatten, sich Haus und Hof leerten, hielt der Alltag wieder Einzug. Mutter Weiß und Sohn Alfred stellten eine gewisse Leere fest. Das steigerte sich noch, wenn Alfred tagsüber zur Arbeit ging und seine Mutter allein zu Hause blieb. Wenn dann noch Alfred abends seinem Vergnügen nachging, fühlte sie sich allein gelassen. Es blieb nicht aus, dass sich eine gewisse Einsamkeit im Hause breit machte, war sie doch ihr Leben lang an das pulsierende Leben durch ihre Großfamilie gewöhnt.

ANNAS KONFIRMATION

In Klöstitz auf dem Bauernhof Messinger blieb die Zeit nicht stehen, auch dort hat sich alles weiter entwickelt. Aber nicht so positiv wie bei der Familie Weiß in Tarutino, weil die Entwicklung in der Familie ganz anders verlaufen ist. Auf dem Hof des Großbauern waren strenge Regeln angesagt, die Anna ganz besonders trafen. Es war ihr zur Auflage gemacht, mit Hilfe ihrer älteren Geschwister vor Schulbeginn die jüngsten Geschwister zu versorgen und mit ihnen zu frühstücken. Die gegenseitige Hilfe untereinander war in den Großfamilien selbstverständlich. Es war normal und üblich, den Kindern frühzeitig Verantwortung und Arbeit zu übertragen. Die Familie war im ständigen Wachstum begriffen, so dass ihre Arbeit nicht weniger wurde. Ausgiebig Schulaufgaben machen war nicht immer gegeben, die Kinder schafften es aber stets versetzt zu werden. In den bessarabischen Familien war es nicht allen Kindern vergönnt, bis zur achten Klasse in die Schule zu gehen. Oft haben die Eltern ihre Kinder schon mit zehn oder zwölf Jahren aus der Schule genommen, weil sie in der Landwirtschaft als Arbeitskraft gebraucht wurden.


Schule in Klöstitz


Annas Schulklasse Klöstitz um 1916

Dieses Schicksal traf auch Anna, was sie als Zwölfjährige ohne Widerspruch hinnahm, weil ihre Eltern es so wollten. Fortan war sie in Haus, Hof und Feldarbeit eingesetzt, wo ihr alles abverlangt wurde. Zunächst nahm ihre Mutter sie unter die Fittiche, um ihr das Kochen beizubringen und sie mit der Wäsche, die von Hand gewaschen wird, vertraut zu machen. Zu ihrer Mutter hat Anna einen guten Draht, sie wurden schnell zu einem Team. Von nun an bekam Anna all das beigebracht, was sie später als Hausfrau in ihrem Haushalt verwenden kann. Dafür aber braucht sie Jahre des Lernens, bis sie all das so beherrscht wie ihre Mutter: Kochen, Wäsche waschen, Wolle spinnen, Stricken, Häkeln und Garderobe schneidern. Die genannten Tätigkeiten verrichtete Anna mit ihrer Mutter nun schon zwei Jahre und war fast perfekt. Bis sie eigenständig ist und eine eigene Familie versorgen kann, gehen noch einige Jahre ins Land.

Weil Anna früher die Schule verlassen musste, war es ihr nicht vergönnt, eine Schulabschiedsfeier zu haben. Dafür wird sich ihr Vater revanchieren und eine große Konfirmation für die nun schon vierzehnjährige Tochter ausrichten. Dazu durfte sie ihre ganze Klasse einladen, alle nahmen ihre Einladung an. An einem Wochenende, um die Osterzeit, fand auf dem geschmückten Bauernhof die Feier statt. Die Mädels und Jungen der Klasse hatten sich herausgeputzt und nahmen an zwei Tischen Platz. Die brauchten sie auch, weil die Klassen in Bessarabien immer groß ausfielen. Anna mit ihrem schönsten Kleid, das ihre Mutter für sie geschneidert hat, war der Star des Tages und von den Freundinnen umringt.

Dann erklang lautstark die Stimme ihres Vaters, der alle Gäste Groß und Klein begrüßte. Er eröffnete die Feier mit einem Gebet, woran sich alle Gäste beteiligten und ihrem Herrn und Schöpfer dankten. Daraufhin tischten die Hausfrau und ihre Helfer die bessarabischen Gerichte auf. Es sind dies: Breitenudelsuppe als Vorsuppe, Strudel, Dampfnudeln und den passenden Braten, dazu verschiedene Paprika-Speisen. Spezielle Süßspeisen durften auch nicht fehlen. Vor allem aber hat Vater Messinger seine besten Weine für alle erwachsenen Gäste ausschenken lassen.


So, war alles gegeben und die Feier nahm ihren Lauf, so dass es nach Stunden recht lustig zuging. Als die Gäste für ihr leibliches Wohl gesorgt hatten, spielte die Dorfmusikgruppe zum Tanz auf, wobei die Harmoschka (Ziehharmonika) nicht fehlen durfte. Die Weinbauern unter den Gästen sprachen dem guten Wein des Gastgebers zur Genüge zu, was für Frohsinn auf dem Dreschplatz sorgte.

Annas Vater hat es an nichts fehlen lassen, so hat er auch den Gesangverein des Dorfes eingeladen. Dieser sorgte zusätzlich für Frohsinn. Sie sangen zuerst das Kirchenlied: Jesu geh voran auf der Lebensbahn, was für Anna bestimmt war. Dieses Lied sangen alle Gäste aus voller Kehle mit, weil alle Bessarabier sich mit dem Evangelium tief verbunden fühlten. Musik und Gesangverein wechselten sich ab und sorgten so für ein gelungenes Fest. Bis tief in die Nacht vergnügten sich Alt und Jung. Annas Eltern hatten ihre Tochter so froh und glücklich noch nie gesehen, haben sie ihr doch bislang nur Arbeit abverlangt. Daher genoss sie ihren Tag mit der Klasse und allen geladenen Gäste in vollen Zügen. Ihre Mutter sah oft, wie sich Anna die Freudentränen aus den Augen wischte. Diesen Tag wird sie ihr Leben lang nicht vergessen. Zur fortgeschrittenen Zeit hielten Annas Eltern es der Ordnung halber angebracht, die Jugend zur Heimkehr zu bewegen. Dem folgten auch einige Eltern und traten mit ihren Kindern den Heimweg an. Damit löste sich die Feier langsam auf.

Anna bedankte sich bei ihren Freunden und deren Eltern für die mitgebrachten Geschenke. Arm in Arm gingen Mutter und Tochter dann ins Haus, um noch ein wenig aufzuräumen. Vater Messinger gesellte sich noch zu einigen Hartgesottenen und holte noch einen Krug (Häfele) vom besten Wein aus dem Weinkeller, bis auch sie den Dreschplatz und Hof verließen. Vater Gottlieb Messinger lehnte sich noch ein wenig zurück und merkte, dass der Wein seine Wirkung nicht verfehlt hat.

Der Folgetag, ein Sonntag, konnte auf dem Bauernhof nicht zum Ausschlafen genutzt werden, weil sich in den Ställen das Vieh lautstark meldete. Die Milchkühe müssen von Hand gemolken und dann auf die Straße getrieben werden, wo der Kuhhirt sie übernimmt und zur Weide (Steppe) bringt. Am Abend treibt er sie satt wieder ins Dorf zurück. Die Versorgung des Viehbestandes ist die einzige Arbeit, welche am Sonntag verrichtet wird. Der Rest des Tages ist zum Kirchgang und zum Ausruhen gedacht. Am Sonntagabend fand die Familie Messinger Zeit, um über die gestrige Konfirmationsfeier miteinander zu reden. Wenn Annas Geschwister über die einzelnen Geschehnisse sprachen, leuchteten Annas Augen auf. Jeder sprach über seine persönlichen Eindrücke, die er während der Feier gewonnen hat. Sie waren alle der Meinung, dass Anna die Feier und Zuwendungen verdient hat.

Weil sich die Arbeiten auf dem Bauernhof jedes Jahr zeitlich wiederholen, läuft auch jetzt im April die Frühjahrsbestellung an. Es wird wie immer ein arbeitsreiches Jahr, das der Großfamilie Messinger alles abverlangen wird, besonders auch von Anna. In diesem Sinne vergingen die Jahre und Anna wuchs inmitten ihrer Geschwister als junge Frau heran. Längst hat sie mit ihrer Mutter die Hauswirtschaft voll im Griff und besucht mittlerweile mit achtzehn Jahren abendliche Jugendtreffs. Dort lernte sie bei Spiel und Gesang viele Freundinnen kennen.


Anna Maria Messinger 18 Jahre

Die Mädchen trafen sich zum gemeinsamen Häkeln, Stricken, Spinnen und Schneidern und arbeiteten schon für ihre Aussteuer. Sie trat einer Folklore-Tanzgruppe bei.

Diese Tätigkeiten fanden hauptsächlich in den Wintermonaten statt, wenn Klöstitz im hohen Schnee versunken war. Die männliche Jugend traf sich auch in ihren Vereinen, das waren: Musik, Gesang, Jagd und Schützenverein. Die Eltern machten es sich zur Aufgabe, mit ihren Söhnen die Technik und Werkzeuge in Stand zu setzen. Auch kümmerten sie sich um die Pferdezucht, die alle Großbauern mit großem Interesse betrieben.

Wenn die Kinder herangewachsen waren und ihrer Wege gingen, merkten die Eltern, dass nicht alles an ihnen spurlos vorbeigegangen war. Oft hatte die Gesundheit Schaden genommen. Nun waren sie auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen. Diese ist ihnen in der bessarabischen Großfamilie immer zuteil geworden. Das war nicht nur Normalität, sondern ein Bumerang dessen, was den Kindern von Seiten der Eltern zuteil wurde. Das wird auch dem Elternpaar Messinger zuteil werden, wenn der Umstand eintreten sollte. Vorerst ist das alles nicht aktuell, vielmehr ist festzulegen, wer den Hof übernehmen soll. Damit beschäftigt sich Vater Gottlieb Messinger und seine Frau seit längerem. Die Wahl fiel auf ihren jüngsten Sohn Benjamin, dessen Einschulung demnächst ansteht. Er soll und muss die beste Schulbildung erhalten, damit später der Hof von ihm erfolgreich geleitet werden kann. Darüber waren sich beide einig, was ihre Kinder wissen sollten. Von nun an ist Benjamin vorsichtig auf seine zukünftige Aufgabe vorbereitet worden. Als Jüngster war Benjamin Mutters Bester, aber er merkte nicht, dass es seiner Mutter gesundheitlich nicht so gut ging. Das aber hatte Vater Messinger und seine Tochter Anna schon seit längerem bemerkt.

 

Die vergangene Zeit hat dafür gesorgt, dass das Haus der Messingers leerer geworden ist, bis auf die zwei jüngsten, Benjamin und Emma. Anna als Älteste führt mit ihrer Mutter gemeinsam den Haushalt und versorgt das Federvieh. Die übrigen Acht haben schon ihre eigenen Familien gegründet. Aus Rücksichtnahme auf ihre kranke Mutter hat Anna bislang keine ernsthaften Anstrengungen unternommen sich zu binden. Obwohl sie die eine oder andere Gelegenheit hätte nutzen können, was ihrer Mutter nicht verborgen blieb. Aus der Sorge heraus, dass Anna den Anschluss verpassen könnte, kam es des Öfteren zu einem Zwiegespräch zwischen Mutter und Tochter. Der Grund war, dass Annas Umfeld sich merklich verändert hat. So waren doch ihre Freundinnen alle schon verheiratet oder in festen Händen. Anna nahm dass alles mit der Bemerkung zur Kenntnis, für mich gibt es auch noch ein Habiten.

So vergingen die nächsten Monate und der Gesundheitszustand von Mutter Messinger verschlechterte sich dramatisch. Damit ist Anna eine zusätzliche Verantwortung auferlegt worden, weil sie auch nachts ihre Mutter betreuen musste. Tagsüber hatte sie den Haushalt mit ihrer jüngsten Schwester zu bewältigen. Das alles hat Anna sehr belastet, was ihrem Vater nicht verborgen blieb. Dieser stellte umgehend eine Betreuerin ein, was zu einer spürbaren Entlastung Annas führte. Auch waren die letzten Feldarbeiten, die Trauben- und Maisernte zu beenden, sodass alle ein bisschen kürzer treten konnten. Auf dem Dreschplatz, wo im Sommer Getreide fuhrenweise gedroschen wurde, türmten sich jetzt bergeweise Maiskolben zum Abblatten. Daran beteiligen sich Groß und Klein aus der Familie und diverse Helfer aus der Nachbarschaft. Dabei machte der Weinkrug des Öfteren die Runde, was für Stimmung sorgte. Die abgeblatteten Maiskolben wurden in speziellen Bretterboxen gelagert, wo sie im Winter als Nahrungsmittel für Mensch und Vieh Verwendung finden.


Frauen sind mit der Maisernte und Bergung dieser beschäftigt


Schon auf dem Feld wird der Mais abgeblattet


Mit Pferdewagen wird der Mais zum Dreschplatz gebracht


Scharen von Gänsen bilden die Fleischreserven

Wenn alle Erntearbeiten kurz vor dem Wintereinbruch beendet sind und die ersten Nachtfröste auftreten, ist Schlachtfestzeit, das heißt, die Fleischversorgung für den langen und harten bessarabischen Winter ist zu sichern. Das sind nicht nur die bekannten Geflügelsorten, sondern auch Schaf, Schwein und Rind. Der Winter ist der Kühl- und Gefrierschrank für die Bauern, weil sie keine andere Kühlmöglichkeit haben. Die Elektrifizierung steckte 1930 in Bessarabien noch in den Kinderschuhen und somit war keine technische Kühlung möglich. Aber es gab ja noch andere Möglichkeiten der Haltbarmachung: Räuchern oder Pökeln. Das waren Arbeiten, die Annas Mutter sonst erledigt hat, in diesem Jahr hat es Anna übernehmen müssen, weil die bettlägerige Mutter es nicht mehr schafft. Viele Tage und Arbeitsgänge waren noch nötig, um die Fleischreserven sicher unterzubringen. Unaufhaltsam näherte sich der Monat Dezember und somit auch der erste Advent, der die Vorweihnachtszeit einläutet. Für die frommen Bessarabier ist es eine Zeit der Besinnung und gleichermaßen eine Vorbereitungszeit für Weihnachten, worauf sich die jüngsten noch im Haus befindlichen Geschwister besonders freuten. Für die Erwachsenen sind die Wintermonate abendlich willkommene Zusammenkünfte der Vereine. Besonders beliebt sind die Bibelstunde und die dazu gehörigen Kirchenlieder. Bei anderen Treffen lassen die Frauen die Spinnräder surren, wo Schafwollen zu Fäden gesponnen werden, aus denen mit Stricknadeln oder Häkelhaken Pullover und Socken entstehen. So nutzt jeder Dorfbewohner auf seine Weise die Zeit, wenn meterhoher Schnee die Dörfer und Städte Bessarabiens eingehüllt hat. Meterhohe Schneeverwehungen waren an der Tagesordnung. Haus und Stallgebäude sind oft über Nacht bis zum Dach durch Schneestürme verweht worden, so dass die Männer am Morgen erst zur Schneeschaufel greifen mussten, um in die Stallungen zu gelangen. Das strenge Winterwetter endete oft erst Ende März, bis die Frühlingssonne alle Schneemassen hat tauen lassen. Darauf hatten die Frühlingsblüher, schon lange gewartet.


Abendliche Treffen mit Gesang, Spinn-, Strick- und Nadelarbeit


Haus- und Reparaturarbeit für Frauen und Männer