Urlaubsflirt oder Liebe

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Urlaubsflirt oder Liebe
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Vorwort

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Impressum neobooks

Urlaubsflirt oder Liebe

Liebesroman

Vorwort

Hinweis:

Das vorliegende Buch ist eine Überarbeitung des Werks »Unverhülltes Leben«.

Alle Rechte an dem Werk liegen beim Autor.

Michael Eschbronn ist jung und intelligent, gut aussehend und sympathisch. Doch wieder einmal ist eine Beziehung gescheitert. Er bezweifelt, dass es die richtige Frau für ihn überhaupt gibt. Und hat er überhaupt je wirklich geliebt?

Dann begegnet er einer Frau, die in ihm nur einen Freund sieht. Er verliebt sich in sie und bald ist es für ihn mehr als bloßes Verliebtsein – es ist wirkliche Liebe, das erste Mal.

Obwohl sie es nicht will, verliebt sie sich auch in ihn. Doch sie trägt ein Geheimnis in sich, das dieser Liebe keine Zukunft lässt und so entzieht sie sich all den Gefühlen.

Aber Michael Eschbronn gibt nicht einfach auf, er kämpft. Doch ist dieser Kampf überhaupt zu gewinnen? Ist das Geheimnis, einmal gelüftet, letztlich nicht unüberwindbar?

ca. 160 Normseiten

Impressum

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors. Das nachfolgende Werk ist frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt, auch stimmen Orte und ihre Beschreibungen nicht mit der Wirklichkeit überein. Markennamen sowie Warenzeichen, die im vorliegenden Werk Verwendung finden, sind Eigentum ihres rechtmäßigen Eigentümers.

Alles ist nur Fiktion, und doch – emotional und abstrakt betrachtet – wäre alles genau so möglich.

Axel Adamitzki

Scheiblerstraße 81

47800 Krefeld

adamitzki@t-online.de

www.axel-adamitzki.de

Bildnachweis: www.depositphotos.com

1

Michael Eschbronn drehte den Schlüssel nur ein kleines Stück und sofort sprang die Tür auf. Es war nicht abgeschlossen. Ein Lächeln huschte ihm über das Gesicht. Nora ist da, dachte er. Vielleicht hat sie ja schon alles dabei. Morgen könnten wir dann starten.

Ein Blick in die Papiertüte, die er in Händen trug, gab ihm die Gewissheit, dass er auch selbst endlich alles für die Tour zusammen hatte. Die neuen Wanderschuhe passten wie angegossen.

Er betrat seine Wohnung und lauschte einen Moment in die Stille. Straßenlärm drang durch das aufgeklappte Küchenfenster in den Flur. Verhalten und stetig. Sonst war nichts zu hören.

Wo ist sie? Ihr Geruch liegt in der Luft, unverkennbar, dachte er. Weiblich. Distanziert. Und dabei sehr selbstbewusst. So, wie er es liebte ... so, wie es immer war ... so, wie es immer sein würde.

»Nora?«

Keine Antwort.

Michael schloss hinter sich die Wohnungstür, ging einen Schritt den Flur entlang und hörte, wie im Schlafzimmer eine Schublade geöffnet wurde.

Er ging weiter, und als er die Schlafzimmertür erreichte, erstarrte seine Freude.

Nora packte!

Einen großen und einen kleinen Koffer - ausgebreitet auf dem Bett. Das war kein Packen für eine Bergwanderung. Sie packte ihre Sachen. Alle!

»Was machst du da?«

Achtlos stellte er die Tüte mit den Wanderschuhen ab und sah, wie Strumpfhosen und Büstenhalter in dem kleinen Koffer verschwanden.

»Gut, dass du kommst, dann kann ich mir das Schreiben des Abschiedsbriefes ersparen.«

»Was für ein Abschiedsbrief? ... Und was machst du da überhaupt?«

Er wiederholte die Frage, obwohl er sehr genau wusste, was sie da tat. Aber es schien so abwegig. Absurd.

Bis gestern waren wir doch noch glücklich, oder? Ein Gedanke, der seine Wirklichkeit verloren zu haben schien.

Ihre Worte, hart und flüchtig, bekräftigten diese Befürchtung.

»Wonach sieht es denn aus?«

Michael schüttelte den Kopf, wollte nicht begreifen, was er sah, was hier vor sich ging.

»Was ist denn passiert? Habe ich irgendetwas falsch gemacht?«

Für einen Augenblick unterbrach Nora das hastige Vollstopfen ihrer Koffer und blickte ihn aus ratlosen und mitleidigen Augen an.

»Nein, ... oder vielleicht doch. Aber das ist jetzt nicht mehr von Belang.«

Er zuckte die Achseln. Er verstand ihre Worte nicht.

»Was ist nicht mehr von Belang? ... Erklär es mir! ... Wenn ich nichts falsch gemacht habe, warum packst du dann? Und was hast du vor?«

Sie lächelte und sprach, ohne Verständnis für ihre Worte zu erwarten.

»Dein Problem ist, du machst nichts falsch, weil du nichts machst.«

Er zuckte die Achseln. Er verstand noch immer nicht.

»Das stimmt doch nicht. Ich bereite gerade unsere Wanderung vor.«

Ungläubig sah Nora ihn an.

»Genau! Du bereitest diese unsinnige Wanderung vor. Und nur damit beschäftigst du dich. Die ganzen Tage.«

»Aber was ist denn so schlimm daran?«

Sie nickte.

»Du hast recht. Eigentlich gar nichts. Nur ... du bist seit Ewigkeiten mit deinem Studium fertig, hast seit einem halben Jahr deinen Doktortitel. Und was tust du?«

Nora schüttelte den Kopf, und sie fuhr fort: »Du kümmerst dich nicht im Mindesten um deine berufliche Zukunft. Und wohnst noch immer in dieser ... dieser Studentenbude.«

»Nach der Alpenüberquerung wollte ich alles in Angriff nehmen.«

Wieder unterbrach Nora das Packen.

»Michael, du bist ein Träumer. Ich kenne dich jetzt seit zehn Monaten. Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass du großen Wert auf ein normales Leben legst. Hier ...« Nora reichte ihm einige Briefe. »Die haben mir deine Eltern mitgegeben. Das sind drei weitere Angebote von Universitäten, die dich gern als Dozenten hätten. Ich glaube, dann sind es insgesamt sechs, oder?«

»Ja, und?«

Er nahm die Briefe und warf einen kurzen Blick auf die Absender. Nora packte weiter.

»Du könntest in fünf Jahren Professor sein. Und was machst du?«

»Vielleicht will ich das gar nicht.«

Nora unterbrach das Packen ein weiteres Mal und nickte ... resigniert zustimmend.

»Ja gut, wenn das nichts für dich ist, warum nimmst du dann nicht das Angebot an, das dir dein Vater offeriert hat? ... Nicht jedem bietet sich die Chance, direkt nach dem Studium Juniorchef eines solchen Unternehmens zu werden. Wie viele Mitarbeiter hat das Unternehmen deines Vaters jetzt? ... Dreitausend?«

»Etwa fünftausend«, korrigierte er mit leiser Stimme. »Aber das interessiert mich auch nicht. Ich möchte meinen Weg gehen.«

»Ach, Michael, du bist jetzt siebenundzwanzig. Was ist denn dein Weg? Und wann wirst du das wissen? Vielleicht wenn du vierzig bist?«

Nora schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Du hast dein Studium mit Auszeichnung bestanden, hast deinen Doktor mit ›summa cum laude‹ gemacht. Dir stehen alle Türen offen und was machst du? ... Eine Wanderung über die Alpen.

Ich befürchte, wenn du von deiner Bergüberquerung zurück bist, dann fällt dir wieder etwas anderes ein. Vielleicht eine Wanderung durch die Sahara. Oder das Durchqueren von Feuerland.«

 

Michael versuchte zu lächeln, versuchte, diesem Gespräch die Endgültigkeit zu nehmen.

»Da bringst du mich auf eine Idee ...«

»Siehst du! ... Und das kommt noch dazu, du nimmst nichts ernst. Mich nicht, diese Stellenangebote nicht und auch deine Eltern nicht.«

»Was haben meine Eltern denn damit zu tun? Es ist mein Leben, oder?«

»Natürlich ist es das. Aber du kannst ihnen nicht verbieten, dass sie sich sorgen machen. Ich war gestern bei ihnen und habe mich von ihnen verabschiedet. Natürlich waren sie traurig darüber, aber viel schlimmer ist es für sie, dass du all deine Fähigkeiten einfach so wegwirfst. Und in dieser Bruchbude hier versauerst.«

Nachdenklich blickte er Nora an. Und sogleich hatte er den Ernst der Situation begriffen. Es war tatsächlich vorbei. Doch ...

»Können wir nicht noch einmal über alles reden?«

»Es tut mir leid.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich mag dich sehr, aber das ist nicht das Leben, wovon ich immer geträumt habe.«

Michael überlegte, blickte an den Koffern vorbei auf das Bett. Ein Doppelbett. Zwei Kissen, zwei Bettdecken, weiß, mit großen roten Blumen. Nora hatte das ausgesucht.

»War es nicht immer schön ... hier? Hatten wir hier nicht immer viel Spaß miteinander? Sogar vorgestern noch?«

Die letzte gemeinsame Nacht voller Liebe, voller Hingabe und Zärtlichkeit.

Nora sah ihn an und wieder schüttelte sie den Kopf.

»Aber das reicht mir nicht. Das ... das Bett allein genügt mir nicht. Sex und deine Träume sind mir zu wenig. Seit ein paar Wochen versuchte ich, es dir wieder und wieder zu erklären. Aber du hast mir überhaupt nicht zugehört. Und ich weiß nicht, warum?

Und jetzt ist Schluss. Es geht nicht mehr.«

Entrückt blickte sie das T-Shirt an, das sie gerade in Händen hielt.

»Ich möchte mir mit einem Mann etwas aufbauen. Ich möchte auch etwas mehr Komfort haben, als es diese Wohnung hier hergibt und ... ich möchte Kinder haben ... und nicht erst in zehn Jahren.

Ich will all das heute, denn ich lebe heute ... und nicht erst, wenn mein Mann weiß, was er will.«

Nora hob den Kopf und blickte ihm traurig und endgültig in die dunkelblauen Augen, die sie noch vor Wochen so verzaubert hatten. Doch der Zauber war vorbei.

»Vielleicht bist du zu intelligent für diese Welt. Vielleicht bin ich aber auch nicht die richtige Frau für dich ... Auf jeden Fall werde ich jetzt gehen. Es tut mir leid.«

Demonstrativ legte sie den Wohnungsschlüssel auf das Bett.

Es war vorbei.

Warum hatte er von alldem nichts mitbekommen? Hatte er in den letzten Wochen tatsächlich nicht richtig zugehört?

Bin ich wirklich dieser Träumer? Bin ich wirklich so lebensfremd?, dachte er. Bedrückt sah er Nora an, bedrückt, enttäuscht und wehmütig.

»Und ... was wirst du jetzt machen?«

Nora überlegte nicht lang, es schien, als gäbe es für sie keine Veranlassung, die Wahrheit zurückzuhalten. Sie fühlte sich ihm gegenüber nicht mehr verpflichtet ... Es war tatsächlich vorbei.

»Dietram Bergen hat mich über das Wochenende auf seine Segeljacht eingeladen.«

Michael kannte Dietram nur flüchtig, von zwei oder drei Partys. Er fand ihn langweilig, spießig, aber irgendwie auch zielstrebig ... mein Haus! ... meine Jacht! ... und jetzt auch: meine Frau?

Und er lächelte. Ironisch, spöttisch. Innerlich verletzt.

»Ach, ist es das? Brauchst du eine Jacht, um glücklich zu sein?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Michael, das verstehst du nicht. Und ich befürchte, das wirst du niemals verstehen. Ich brauche jemanden, mit dem ich übers Wochenende etwas Ansprechendes unternehmen kann, der dann aber am Montag wieder seine beruflichen Aufgaben wahrnimmt, weil er Verantwortung für eine Familie tragen will und tragen kann.«

Sie brach ab und dachte kurz nach.

»Dietram liebt mich und ich denke, ich liebe ihn auch.« Und wieder sah sie Michael mitleidvoll an. »Ich brauche keinen großen Jungen. Ich brauche einen ganz normalen Mann. Und Dietram ist dieser Mann.«

Vielleicht war er wirklich ein großer Junge, ... aber ein solch normales Leben kam für ihn tatsächlich nicht infrage. Niemals.

»Dann wünsche ich dir alles Gute.«

Nora ignorierte den Zynismus in seiner Stimme. Ruhig schloss sie ihre Koffer und wollte offensichtlich nur weg, ohne weiteren Streit, der zu nichts mehr geführt hätte.

»Das wünsche ich dir auch. Und vor allen Dingen wünsche ich dir eine Frau, die all deinen Unsinn mitmacht. Oder, ... für die du all deinen Unsinn, den du im Kopf hast, bereit bist aufzugeben.

... Ich war es leider nicht.«

»Ich glaube, ... diese Frau gibt es nicht.«

»Ich fürchte, da hast du recht. Aber ich würde sie dir gönnen.«

Sie nahm ihre Koffer, küsste ihn ein letztes Mal auf die Wange und ging zur Wohnungstür.

»Nora?«, rief er ihr zärtlich hinterher. Sie drehte sich noch einmal um und sah ihn fragend an.

Doch er blieb stumm.

Alles war gesagt, so schien es. Er blickte in ihre dunklen Augen, die ihn ein letztes Mal traurig anlächelten. Im nächsten Moment war sie auch schon im Treppenhaus verschwunden.

Gedankenverloren blieb Michael zurück. Wieder einmal war er allein. Stille umgab ihn. Selbst der Straßenlärm hatte eine Pause eingelegt ... so schien es.

Er ging ins Schlafzimmer zurück, sah sich um und betrachtete nachdenklich die Abdrücke, die die Koffer auf der Bettdecke hinterlassen hatten, blickte auf den Wohnungsschlüssel.

War der Abschied wirklich so plötzlich gekommen? Waren all die Frauen, die es vor Nora gegeben hatte, nicht auch irgendwann einfach verschwunden?

Ja, das waren sie. Spätestens, wenn ihnen klar geworden war, dass es an seiner Seite nicht den erhofften gesellschaftlichen Aufstieg geben würde ... von dem sie geträumt hatten.

Michael Eschbronn der Ausnahmestudent und Sohn eines reichen Unternehmers. Und doch, all das bedeutete ihm recht wenig.

Dann war Nora also keine Ausnahme?

Doch, das war sie ... Ihre Ehrlichkeit, die war neu. Sie wollte einen Mann für ein normales Leben ... und dieser Mann war Michael Eschbronn nun wirklich nicht.

Aber bin ich tatsächlich so schwierig? Bin ich unfähig, eine normale Beziehung zu leben?

Doch was ist normal?

Für mich?

Er wusste es nicht. Noch nicht.

2

Tage später.

Lange hielt er sie in den Armen und blickte sie zärtlich an. Seine graublauen Augen hatten in den fast dreißig Jahren ihrer Ehe nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. Kamilla Eschbronn liebte ihren Mann. Noch immer. Vielleicht anders als am Anfang. Aber nach fast dreißig Ehejahren hatten sie sich natürlich verändert, weiterentwickelt. Jeder für sich ... und doch gemeinsam. Ein Geschenk, das es im Leben nicht oft gibt, das wusste sie. Das wussten beide.

Sie küsste ihn, voller Liebe, Dankbarkeit und Respekt.

Einen langen Moment später schob er sie ein Stück weg. Und er betrachtete sie.

»Was ist los? Du bist so ... so sentimental.«

Ja, das war sie, sentimental. Nach dreißig Jahren blieb dem Anderen das nicht verborgen.

»Es ist einfach schön mit dir. Noch immer.«

»Was ist schön mit mir, meine Kleine?«

Sie war lediglich nur einen halben Kopf kleiner als er und doch war sie von Anfang an seine ›Kleine‹ gewesen. Und das gefiel ihr. Und nicht nur das ... Sie ging ganz nah an ihn heran, hob den Kopf und flüsterte ihm ins Ohr:

»Ich freue mich schon darauf, dich heute Abend zu verführen.«

Verschmitzt sah er sie an und es schien, als sei er für einen Augenblick wieder der Fünfundzwanzigjährige, den sie damals kennen und lieben gelernt hatte. Und genauso antwortete er.

»Darauf freue ich mich auch, du böses, böses Mädchen.«

Wieder küsste er sie und drängte sich ganz dicht an sie.

Sie konnte seine Erregung spüren. Deutlich. Ohne Zurückhaltung. Auch das gefiel ihr.

Schließlich löste sie sich von ihm, strich ihm über den Arm und kräuselte die Stirn.

»Ich liebe dich. Und ich wünsche mir, dass unser Sohn, das nach dreißig Ehejahren auch einmal zu seiner Frau sagen kann.«

Ihre Worte hatten den Zauber der letzten Minuten ein wenig getrübt. Aber so war das eben, sie waren nicht nur ein Liebespaar, sie waren auch Eltern.

»Ich fürchte, dein Wunsch wird unerfüllt bleiben.«

Und schlagartig waren sie restlos in der Realität angekommen. Zumindest bis zum Abend.

»Ich hoffe, du hast unrecht.«

Hendrik lächelte sie an.

»Das hoffe ich auch. Aber ...« Er überlegte. »Ich weiß nicht, ob er es jemals lernen wird.«

»Er muss nichts lernen. Er sollte nur endlich anfangen, auf sein Herz zu hören. Dann wird er unter den vielen hübschen Frauen auch die richtige sehen.«

»Was war falsch an Nora?«

»Nichts! Für uns. Aber offensichtlich hat sie ihn nicht wirklich berührt.«

»Aber er leidet.«

»Sei mir nicht böse, doch das ist sicherlich nur verletzte Eitelkeit.«

»Meinst du?«

»Ja, ganz sicher. So seid ihr Männer. Ihr wollt erobern und wisst dann oft nichts mit eurer Eroberung anzufangen.«

»Ich schon.« Wieder zog Hendrik Eschbronn seine Frau fest an sich.

Und sie lächelte.

»Ja, du schon. Und deshalb hab ich dich auch geheiratet. Du hast mich ausgewählt und wusstest von Anfang an warum.«

»Ja, das wusste ich. Vom ersten Moment an.«

Wieder küsste er sie.

»Warum hat unser Sohn nur so wenig von dir?«, sagte sie, nachdem Hendrik sie wieder losgelassen hatte.

»Ich weiß es nicht. Vielleicht sollte ich auf der Kreuzfahrt einmal mit ihm darüber sprechen.«

»Nein! Bitte, lass ihn. Ich freue mich, ihn endlich nach ... nach einem halben Jahr wiederzusehen. Ich freue mich, dass er nicht diese dumme Wanderung macht, sondern mit uns feiern wird. Unseren dreißigsten Hochzeitstag. Und deshalb bitte ich dich, lass ihn einfach. Und vielleicht findet er auf dem Schiff ja auch ein wenig Ablenkung.«

»Das wird er ganz bestimmt. So wie man mir von der Reederei gesagt hat, sind diesmal sehr viele junge Leute mit an Bord.

Darum mache ich mir also keine Sorgen.«

Kamilla Eschbronn wusste sofort, dass ihren Mann etwas bedrückte.

»Aber ...?«

»Aber?«, wiederholte er die Frage seiner Frau, sah sie nachdenklich an und dachte an die letzten Worte seines Sohnes, die er gestern am Telefon geäußert hatte. »Was hat er jetzt wieder vor? ›Ich komme nur dann mit, wenn ich so sein kann, wie ich bin‹, hat er zu dir gesagt. Was meint er damit?«

»Du kennst ihn doch. Lass ihn einfach. Was wird er schon groß anstellen? Nichts.«

»Wenn du meinst. Dann werde ich ihn in Ruhe lassen.«

»Das freut mich, denn ich glaube ...«

Doch, noch bevor Kamilla Eschbronn ihren Gedanken vollenden konnte, klopfte es. Und Georg, ihr Fahrer, Gärtner und Hausangestellter trat ein.

»Maria lässt fragen, ob das Gepäck komplett ist und zum Flughafen gebracht werden kann?«

Maria war Georgs Frau und die heimliche Seele des Landguts Eschbronn.

»Ja. Es ist alles fertiggepackt. Die Tickets liegen bei den Koffern.«

Für den nächsten Tag hatten sie einen Flug Frankfurt - New York - Miami gebucht. Übermorgen würden sie auf der ›Sealove‹ einchecken. Und dann würde Kamilla Eschbronn auch endlich ihren Sohn wieder in den Arm nehmen können.

3

»Gut, dass du kommst. Ich werde nicht mitfahren.«

Entschlossen schleuderte Anna ihrer Freundin Hedda ihre Absicht, ihre Entscheidung, ihren Frust entgegen.

Hilflos, ein wenig betroffen, sah Hedda ihre Freundin an. Sie hatten sich auf diese Kreuzfahrt gefreut, sie hatten sich das alles so wunderschön ausgemalt. ›Sealove‹. Der Name des Schiffes schien Programm: Cocktails, Spaß und Flirts. Männer in allen Preisklassen. Vorbei? Das Schiff schien zu sinken. Vor ihren geistigen Augen.

War wirklich alles vorbei?

Hedda war offenbar noch nicht bereit, ins »Rettungsboot« zu springen.

»Was ist passiert?«

 

»Meine Mutter ...«

Mehr musste Anna nicht sagen. Hedda verdrehte die Augen, verzog den Mund.

»Was hat sie diesmal angestellt?«

Was sollte Anna sagen? Und ... wie sollte sie es sagen?

Es war nicht einfach.

Falsch!

Hedda war ihre Freundin. Und da ist die Wahrheit einfach, wenn man zu ihr steht.

Und sie erzählte. Von dem Durcheinander um Linda, ihrer Tochter.

»Du weißt, sie wollte auf Linda aufpassen. Das hatte sie mir versprochen. Doch seit einer Woche zieht sie sich mehr und mehr zurück. Entzieht sich ihrem Versprechen. Und Linda spürt das. Sie hängt nur noch an meinem Rockzipfel und sieht mich ängstlich an.

Dieser Blick. Ich kann sie nicht allein lassen.«

Die Vorhaltungen, die ihre Mutter ihr wegen Manuel, ihres verstorbenen Mannes gemacht hatte, behielt Anna für sich.

Vor acht Monaten war er gestorben. Mit sechsundzwanzig Jahre. Ein Gehirntumor hatte ihn aus dem Leben gerissen. Sie hatten kaum Zeit für einen wirklichen Abschied gehabt, hatten kaum Zeit zu begreifen, was da vor sich ging. Es passierte einfach. Rücksichtslos. Und rasch.

Manuel stand kurz vor dem Abschluss seines Medizinstudiums. Eine Stelle als Assistenzarzt in einem Krankenhaus hier in Freiburg hatte er schon. Sicher hätte Anna noch immer mitarbeiten müssen. Halbtags. Aber alles wäre leichter geworden. Auch wenn ihre Mutter das ganz anders sah. »Du hättest dir einen Mann suchen sollen, der dich ernähren kann. Sofort! Bis so ein Mediziner richtig Geld verdient, da vergehen Jahre. Und du hättest auch noch auf das Kind verzichten sollen ... Aber nein, ihr konntet ja nicht warten. Und jetzt stehst du da. Allein. Mit einem Kind, das dich nie wieder frei sein lassen wird.«

Vorhaltungen! Immerfort gern wiederholt. Anna stellte dann nur eine Frage:

»Auf Linda verzichten?«

Darauf antwortete ihre Mutter stets mit verschlossenen Lippen und drehte sie sich weg. Und verschwand. Augenblicklich.

»Gut. Dann fahre ich auch nicht. Immerhin hast du, ... habt ihr, diese Reise gewonnen.«

Mit diesen Worten berührte Hedda eine tiefe Wunde. Anna und Manuel hatten noch gemeinsam an diesem Preisausschreiben teilgenommen. ›Essen wie Gott in Frankreich‹, war das Lösungswort gewesen. Eine große Lebensmittelkette hatte wunderschöne Preise ausgelobt. Geschenkkörbe. Fahrräder. Ein Mofa. Und eine Kreuzfahrt durch die Karibik. Gemeinsam hatten sie die letzten Tage in Manuels Leben davon geträumt, in der Karibik zu baden, dort unbeschwerte Tage zu verbringen. Leben wie Gott in Frankreich, wie Gott in der Karibik. Ein Traum, der ablenken sollte.

Eine Woche nach Manuels Beisetzung lag die Benachrichtigung über den Hauptgewinn dann tatsächlich im Briefkasten. Eine vierzehntägige Kreuzfahrt durch die Karibik. Luxusklasse. Für zwei Personen. Anna hatte zwei Wochen ununterbrochen geweint - über die Grausamkeit des Schicksals. Als schließlich die letzte Träne getrocknet war, wusste sie, dass sie diese Reise machen würde, ... machen musste. Für Manuel. Für sich.

Für den Antritt der Reise hatte man ihr ein Jahr Zeit gegeben. Umständehalber. Und selbstverständlich konnte sie die Reise auch mit ihrer Freundin machen.

Anfänglich war Hedda eher zurückhaltend gewesen, sie war ein Ersatz, doch wofür? Manuel konnte niemand ersetzen. Aber mehr und mehr wurde es auch zu ihrer Reise, zu der Reise zweier Freundinnen. Übermorgen sollte es nun endlich so weit sein.

Plötzlich sprach zu viel dagegen.

»Doch, du wirst diese Reise machen«, sagte Anna.

Hedda schüttelte resigniert den Kopf, und sie sah sich um.

»Wo ist Linda denn jetzt?«

»Mit meinem Vater unterwegs.«

Wie auf ein Stichwort öffnete sich die Wohnungstür. Linda kam tapsig hereingelaufen und juchzte. Annas Vater folgte ihr, trieb seine Enkeltochter freudig vor sich her. Als er die traurigen Gesichter der beiden Freundinnen sah, blieb er abrupt stehen.

»Was ist hier los?«

»Anna hat mir eben gesagt, dass sie nicht fahren wird. Ich werde dann wohl auch hier bleiben.«

»Doch, du wirst fahren!«, wiederholte Anna ihren Einwand und sah ihre Freundin ärgerlich an. »All das hat nichts mit dir zu tun.«

Annas Vater schien augenblicklich zu begreifen.

»Anna, deine Mutter ist manchmal ziemlich ... Wie soll ich es sagen? Ach, du weißt es ja selbst. Aber eigentlich meint sie es nicht so.«

»Doch, das tut sie. Immer. Und deshalb werde ich Linda nicht allein mit ihr lassen.«

Annas Vater nickte, er schien seine Tochter zu verstehen, auch wenn er wohl nicht solch harte Worte gewählt hätte.

»Und wenn ich dir verspreche, dass ich mich um Linda kümmern werde?

Ich habe mir extra zwei Wochen Urlaub genommen. Linda liebt mich und ich liebe sie. Wir werden zwei herrliche Wochen miteinander verbringen.«

Als wollte Linda seine Worte bestärken, zog sie an seinem Hosenbein und lachte ihn mit der Unbeschwertheit eines kleinen Kindes an.

Augenblicklich bröckelte Annas Widerstand, versandete in den glücklichen Augen ihrer Tochter. Bernsteinfarben. Manuels Augen, die sie immer an ihn erinnern würden.

Sie wusste sogleich, sie würde diese Reise nun doch machen. Als Abschied.

Und als Neubeginn.

»Also gut. Aber wir werden jeden Tag miteinander telefonieren ... zumindest eine, zwei oder drei SMS schreiben.«

»Wie du möchtest.«

Wie du möchtest, wiederholte Anna stumm. Im Kopf. Mehr musste er nicht sagen, mehr war nicht nötig. Ihr Vater war die ausgleichende Kraft in der Familie. Schon immer gewesen. Dafür liebte sie ihn. Eilends ging sie die zwei Schritte auf ihn zu und umarmte ihn.

»Danke, Papa.«

Hedda stand ein wenig abseits. Eine Träne lief ihr leise über die Wange. Eine Träne der Freude.