Loe raamatut: «Clash», lehekülg 4

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Kapitel 4
Born To Run

Emily

Ich schwitzte. Schon eine ganze Weile. Schon im Taxi. Die ganze Fahrt über schon. Jetzt, da der Tour-Bus in Sicht kam, konnte man sich denken, was ich tat. Nämlich weiter schwitzen.

„Genau hier bitte“, sagte ich dem Taxifahrer, als wir noch ein Stück entfernt waren. Ich bezahlte und stieg aus, wobei ich mir die unauffällige Reisetasche über die Schulter warf. Der Fahrer stieg ebenfalls aus und holte mein restliches Gepäck aus dem Kofferraum. Ich dankte ihm. In meinem Mund war es trockener, als in der Sahara. Je öfter mein Blick auf den riesengroßen schwarzen Bus fiel, desto nervöser wurde ich. Das hier war das Verrückteste, das ich jemals getan hatte. Ich vermutete, dass das nichts hieß, wenn man bedachte, dass meine Version von verrückt bedeutete, einen Vanille-Latte zu bestellen, anstatt einen regulären.

Tat ich das hier wirklich?

Meine Gedanken flogen zu Nanna. Sie war ein guter Mensch, jemand, der mir sein ganzes Leben gewidmet hatte. Der mich aufgezogen und das Beste aus dem Ganzen gemacht hatte, wenn man ihre finanzielle Situation bedachte. Die letzten Jahre hatte ich mit ansehen müssen, wie sie immer kranker wurde. Ich hatte ihr lediglich meine Gesellschaft geben können. Ich holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. Nanna brauchte einen Ort wie St. Judes. Und wenn es in meiner Macht stand, ihr das zu ermöglichen, dann würde ich alles Erdenkliche tun, damit es ihr in ihren letzten Lebensjahren so gut wie möglich ging. Auch, wenn das auf Kosten meines Wohlergehens ging. Aber einfach so, ohne ein Wort der Erklärung, zu verschwinden, fand ich schlimm. Ich empfand es als feige. Die Pfleger in St. Judes waren sehr lieb und versicherten mir, dass sie sich wahrscheinlich sowieso nicht mehr daran erinnern würde, aber ich hatte dennoch deswegen einen Stein im Magen.

Das war es jetzt.

Meine Zunge fühlte sich pelzig am Gaumen an, als ich versuchte, das bange Gefühl in mir herunterzuschlucken. Meine Füße setzten sich in Bewegung und ich war auf dem Weg. Je näher ich kam, desto schlimmer wurde es.

Wovor hatte ich eigentlich Angst? Vor einer ganzen Menge, ehrlich gesagt. Tief in mir hatte sich eine Furcht eingenistet und es fiel mir schwer, ihren Ursprung herauszufinden. Wenn es nicht damit zusammenhing, dass ich meine Nanna verließ, was war dann der Grund dafür? Mein Verstand raste und ich lief langsamer. Mit jedem Schritt präsentierte sich eine neue Erklärung. Der unvermeidbare Schmerz einer Veränderung. Wieder zu arbeiten und für jemand anderen nützlich zu sein, als für meine Großmutter. Ein Leben ausschließlich für mich selbst zu führen.

Ehrlich gesagt dachte ich, es wäre ein wenig von allem und wenn ich hundertprozentig ehrlich war, schämte ich mich, dass ich genau das alles wollte.

Schließlich lief ich mit einem gezwungenen Lächeln auf den Bus zu. Niemand brauchte etwas von meinem Dilemma zu wissen. Jedes Mal, wenn sich mein nervöser Magen meldete, lächelte ich breiter. Ich würde mir meine Ängste nicht anmerken lassen.

Wäre es wohl sehr unangebracht, wenn ich hyperventilierte?

Ja. Zu spät.

Ein Mann in einem schwarzen Anzug stand plötzlich vor mir. Er hielt mich mit ausgestreckter Hand zurück.

„Ma’am, ich muss Sie bitten einen Schritt zurückzutreten“, sagte er streng.

Ich riss die Augen auf und tat, was er mir sagte.

Verdammt.

Er schob die Sonnenbrille etwas herunter. „Was ist Ihr Anliegen?“

Mein Mund öffnete sich, aber nichts kam heraus. Okay, das stimmte nicht ganz. Ich quietschte wie eine Rennmaus und war sprachlos. Ich war nicht besonders gut bei Konfrontationen. So wie in der Neunten, als Becky Amour mich bei den Spinden in die Ecke drängte und mich fragte, ob ich so dumm wäre, wie ich aussah und ich ihr auf die teuren Turnschuhe kotzte. Ich konnte bis heute nicht fassen, dass sie mir die Rechnung für die Reinigung geschickt hatte. Mein Bauch tat weh. Ich konnte bis heute ebenfalls nicht fassen, dass ich sie bezahlt hatte.

Die Augenbrauen des Mannes zogen sich zusammen. „Wie dem auch sei, Sie werden jetzt gehen.“ Er legte sanft die Hand auf meine Schulter und geleitete mich halb zurück über den Parkplatz.

„Yo. Craig.“

Laute Schritte folgten und dann blockierte ein großer Mann meinen Weg. Ich blinzelte hoch ins Sonnenlicht und schob mir die Brille zurecht.

Noah grinste auf mich herab. „Wo willst du denn hin, Kurze?“

Ich atmete heftig aus und meine Finger zitterten. Ich fiel fast vornüber vor Erleichterung. Noah war hier und rettete mich vor diesem Rohling namens Craig, der übrigens ein ungläubiges: „Du kennst sie?“, ausstieß.

Im Geiste streckte ich ihm die Zunge heraus.

„Craig, das ist Emily.“ Er nahm mir mein Gepäck ab und legte einen Arm um meine Schultern, als er mich zurück zum Bus führte. „Sie arbeitet für uns.“

Craig blickte finster und blinzelte mich an. „Warum hast du nichts gesagt?“

Mein Herz klopfte laut und ich wurde rot. „Sie haben mir Angst gemacht“, gab ich wispernd zu.

Noah sah ihn böse an.

„Na super, jetzt fühl ich mich wie ein Arsch“, murmelte Craig beleidigt. Dann reichte er mir die Hand. „Ich möchte mich entschuldigen.“

Ich zögerte etwas, bevor ich seine Hand schüttelte.

Er griff kurz und fest zu. „Nett, dich kennenzulernen.“

Okay, also war Craig vielleicht doch kein Rohling, nur vorsichtig. Das wusste ich zu schätzen.

„Gleichfalls“, sagte ich und meine Stimme versagte etwas. Dem Ganzen fügte ich viel Schweigen hinzu.

Craig ließ meine Hand los und seine Augenbrauen hoben sich. „Nun, das war ja mal eine aufregende Unterhaltung, Emily. Sollten wir irgendwann einmal wiederholen“, sagte er mit schiefen Lippen.

„Lass sie gehen“, sagte Noah und lachte leise. Am Bus angekommen stellte er meinen Koffer zu den anderen auf einen Gepäckwagen.

„Ist das alles, was du dabei hast?“ Er runzelte die Stirn.

Ich antwortete sofort, ohne darüber nachzudenken. „Das ist alles, was ich besitze.“

Noah sah mich ernst an und ich wurde noch roter. Ich senkte das Kinn und hielt meine Reisetasche fest an mich gedrückt.

Die Mitleidsparty findet ihr in Gang zwei, liebe Leute.

„Schau mal einer an, wer da aufgetaucht ist“, rief Hell und ich lächelte ihn breit an. Er kam näher und erwiderte mein Lächeln. „Wie geht’s, wie steht’s, Emmy?“

Emmy? Das war das zweite Mal, dass er mich so nannte. Wenn ich so darüber nachdachte, gefiel es mir. Wärme breitete sich in mir aus. „Gut. Und dir?“

„Mega. Du weißt doch wie das ist, ich zeig’s immer allen.“

Ja, das waren Worte, trotzdem hatte ich keine Ahnung, was er eben gesagt hatte und das brachte mich zum Lachen. „Ich weiß nicht, was du damit sagen willst.“

Hell sah mich an, als wäre ich das Niedlichste, was er jemals gesehen hatte, dann legte er seinen Arm auf meinem Kopf ab, als wäre ich ein Stützpfeiler. „Das liegt daran, dass du so winzig bist.“

Ich kicherte und hinter mir erklang ein wirklich lautes Rülpsen. Ich riss die Augen auf und sah zu Connor, der mich angrinste. „Oh sieh an. Die Hilfskraft.“

Wow. Na dann. Er hatte in der Zwischenzeit seine Meinung über mich nicht geändert.

Lee stieg aus dem Bus und funkelte ihn an. „Verzieh dich, Alter. Fang gar nicht erst an.“ Dann nickte er mir zu. „Hey, Kleine, wie geht’s?“

Ich mochte Lee. „Danke gut, und dir?“

Seine Lippen zuckten. „Ganz gut.“

Connor hatte sich an den Bus gelehnt. „Und was ist mit mir? Ist dir egal, wie es mir geht?“

Oh. „Wie …“

Mit einer scharfen Handbewegung schnitt er mir das Wort ab. Er schob sich vom Bus weg und sah mich grimmig an. „Auf dein Mitleid kann ich verzichten, Emily.“ Er verengte den Blick und stieg in den Bus ein.

Ich fragte mich, was ich getan hatte, dass ich so eine Reaktion auslöste.

Doch Noah lachte leise. „Mach dir keine Gedanken über ihn. Er hat einen eigenartigen Humor. Du wirst dich dran gewöhnen.“

Das war also ein Witz gewesen? Ha. Sehr lustig. Nicht.

„Bereit?“, fragte er nach einem kurzen Moment.

War ich das? Nein. Ganz und gar nicht. War es zu spät ihnen für ihre Zeit zu danken und abzuhauen? Absolut. Ich dachte mir einfach, jetzt oder nie. Glücklicherweise überschattete die Angst etwas zu verpassen meine Furcht vor dem Leben.

„Ich bin bereit.“ Oh Gott, ich war mir nicht sicher, ob das stimmte und mir wurde ein wenig übel.

Noah zeigte auf die Stufen. „Nach dir.“

Ich sah mir die unterste Stufe kurz an, bevor ich nach dem Handlauf griff und mich hochzog. Eine Welle der Aufregung überflutete mich. Ein kleiner Schritt für die meisten. Ein gigantischer Sprung für Emily. Noah wartete geduldig, während ich langsam die Stufen hochging. Als ich oben ankam, freute ich mich und applaudierte mir innerlich. Ich betrachtete das Innere des Busses und mir fiel die Reisetasche aus der Hand. Oh mein Gott.

„Cool“, sagte ich gedehnt.

Ich spürte eine große Präsenz hinter mir meine Reisetasche aufheben. „Wir finden es auch sehr nett.“

Mit offenem Mund nahm ich meine Umgebung auf. Zur Rechten befand sich eine Miniküche, komplett mit Spüle und Herd. Links war eine Sitzecke aus schwarzem Leder, in Hufeisenform, die groß genug war, dass sie bestimmt zwölf Menschen aufnehmen konnte. Vor dem Sofa stand ein kleiner Tisch. An der Wand hing ein großer Fernseher und dahinter befand sich eine Nische, in der man essen oder arbeiten konnte. Dahinter folgte ein bescheidenes Dreisitzersofa.

Noah legte sanft eine Hand an meinen Rücken und führte mich weiter durch diesen spektakulären Reisebus. Neben der Küche befand sich eine geschlossene Tür.

„Was befindet sich da drin?“, fragte ich.

„Badezimmer Nummer eins.“

Ich nickte und lief weiter. „Und hinter dieser?“

„Badezimmer Nummer zwei.“

Wir kamen in einen Bereich, der selbsterklärend war. Ich musste grinsen.

„Stockbetten?“

Es gab drei Reihen auf jeder Seite und jede Reihe hatte zwei Stockbetten. Bei einigen war der Vorhang schon zugezogen und zeigte damit an, dass das Bett bereits besetzt war.

Noah sah beleidigt aus. „Das sind keine Stockbetten. Das sind Kojen.“

„Das sind Stockbetten“, rief Hell und schob den Kopf aus einer der oberen Betten. Ein Lachen kitzelte in meinem Hals.

„Wie auch immer“, sagte Noah nörgelnd und überreichte mir meine Tasche. „Such dir eine Koje aus. Mit Bedacht, denn sie wird die ganze Tour über deine sein.“

Okay. Das klang eigentlich einfach. Als Noah ging, sah ich mir das Bett zu meiner Rechten an. Ich stellte meine Tasche hinein und hopste drauf, als Connor aus dem Nichts auftauchte. „Das ist meine Koje.“

Na logisch war sie das.

„Entschuldige.“ Ich schob mich wieder hinunter und nahm meine Tasche mit. Dann sah ich in die Koje direkt dahinter und Connor gab einen Laut von sich und schüttelte den Kopf. „Auch deine?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und schaffte es, dass seine Arme noch muskulöser aussahen als sie es ohnehin schon waren. Als er mich angrinste, hob sich das Tattoo auf seiner Wange und ich verschluckte mich fast.

„Na dann“, wisperte ich und ging zum Ende der Reihe, legte meine Tasche auf das letzte Bett. Ich hätte nicht überrascht sein sollen, als Connor meine Tasche packte. „Das ist meine.“

Bitte? Wie viele Betten braucht ein einziger Mann? Ich sagte mir, dass ich nicht wütend werden durfte. Er war ein Rockstar. Er hatte mehr Kram als ich und brauchte wahrscheinlich mehr Platz.

„Richtig“, murmelte ich und meine Lippen fühlten sich verkrampft an. Ich hörte ihn leise lachen aber als ich hochsah, war sein Gesichtsausdruck neutral. Ich versuchte mich an der rechten Seite, nahm Connor meine Tasche ab und legte sie in das mittlere Bett, genau unter Hell.

Ich erzitterte innerlich, als er den Mund öffnete. „Das ist meine.“

Herrgott noch mal.

Ich drehte mich um. „Willst du mich verschaukeln?“, fragte ich und atmete erbost aus.

„Ja“, sagte er ehrlich und als er sich die Zungenspitze zwischen die Zähne schob, vibrierte mein Innerstes. Ich ließ ein genervtes Seufzen hören, das sich sofort in ein verlegenes Lachen umformte.

„Du stehst wohl drauf, dass man dich herumkommandiert, was? Bist du eine Sub oder so was?“

Sub. Submissive, also Unterwürfige. Vielleicht war ich das, aber nicht absichtlich. Ich wusste nur nicht, wie ich für mich selbst einstehen konnte, wenn ich dazu gezwungen war. Über das Unterwürfige war ich mir nicht sicher, aber ich würde jederzeit sofort zugeben, dass ich Pazifistin war.

„Nein. Ich stehe nicht drauf, wenn man mich herumkommandiert.“ Mehr konnte ich nicht sagen, denn Connor war mir so nah und meine Lungen hatten ihre Funktion vergessen. Sein neugieriger Blick, die verengten Augen und das verschlagene kleine Grinsen passten zu der Stille um uns herum. Es war gelinde gesagt unangenehm.

„Okay, dann auf Wiedersehen“, krächzte ich und schickte mich an, in dem Stockbett zu verschwinden, wurde aber am T-Shirt festgehalten und kämpfte gegen ein Aufstöhnen. Wenn er mir erzählen wollte, dass ich dieses Bett nicht haben konnte, dann bei Gott, würde ich schreien, heulen oder kotzen. Oder alles zusammen.

Connor schüttelte langsam den Kopf und nickte auf das Bett obendrüber. „Nimm das nicht. Er hat Verdauungsprobleme.“ Ich sah ihn verwirrt an. „Er hat Blähungen.“ Mein Gesichtsausdruck musste Verblüffung zeigen. „Er furzt.“

„Oh.“

Connor nahm meine Reisetasche und legte sie auf das Bett, das ich mir als Erstes ausgesucht hatte. „Hier solltest du davor sicher sein, weit weg von Hells notorischen Flatulenzen.“

„Das hab ich gehört, Arschloch“, rief Hell. „Du weißt genau, dass ich Bauchprobleme hab“, fügte er in gekränktem Tonfall hinzu.

„Pfefferminztee“, sagte ich sehr zu meiner eigenen Verlegenheit.

Hell schob den Kopf aus seiner Koje und sah mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Wie hast du mich genannt?“

„Nein, ich äh …“ Ein überraschtes Lachen entglitt mir. „Pfefferminztee ist gut bei Magenproblemen. Ich habe welchen dabei, falls du möchtest.“

Er verzog die Lippen. „Bin nicht gerade ein Teetrinker.“

Na schön. „Ich stelle die Schachtel in die Küche, falls du deine Meinung änderst.“

Hell zog den Kopf wieder zurück. „Danke, Emmy“, sagte er.

Mein Lächeln war schmal, aber aufrichtig. „Sehr gern.“

Und schon konnte ich jemandem helfen. Das war schön. Es fühlte sich gut an. Und Connor stand immer noch dort und sah mich neugierig an. Das ließ mich innehalten. Mein Blick irrte unstet umher. „Brauchst du etwas von mir?“, fragte ich mit nervöser Stimme.

Seine Brauen senkten sich und er machte einen gedankenvollen Laut in seinem Hals. „Weiß ich noch nicht.“

Das war eine Erleichterung. Ich kletterte in mein Bett.

„Du weißt ja, wo du mich findest.“

Ich hörte wie er davonging und war dankbar für die kurze Atempause. Ein paar Minuten später startete der Motor des Busses mit leisem Gerumpel. Eine Weile war alles ruhig, bis Craig durch unsichtbare Lautsprecher sprach:

„Guten Morgen meine sehr verehrten Damen und Herren, wir befinden uns gleich auf der ersten Etappe unserer Reise. Lassen Sie uns starten, indem ich Sie frage …“ Ich hatte nicht erwartet, was ich dann hörte. „Are you ready to rock?“, rief Craig. Die Jungs jubelten aber Craig war nicht zufrieden. „Also kommt schon, das war echt lahm. Ich fragte, seid ihr Motherfuckers ready to rock?“ Die Jungs grölten und schrien und bei ihrem Vokabular fielen mir fast die Augen heraus. Craig lachte ins Mikro: „Das war schon besser. Oh, und um zehn Uhr ist Nachtruhe.“ Das allgemeine Gegrummel brachte Craig nur noch mehr zum Lachen. „Schon gut, schon gut. Das hier ist ein gottverdammter Partybus und wir hören nie auf. Es gibt hier nur eine Regel.“ Er hielt kurz inne. „Und die lautet puff, puff pass.“

Ich hatte keine Ahnung, was das heißen sollte, aber es schien witzig zu sein, denn die Jungs lachten.

„Ein paar Sachen noch“, sprach Craig weiter. „Dean ist hinten und macht ein Nickerchen, holt sich seinen Schönheitsschlaf ab, für seine nächste Schicht. Ich hoffe keiner wird seekrank, denn wir werden jetzt nonstop achtundvierzig Stunden lang auf Achse sein.“ Man hörte die Bremsen zischen und der Bus setzte sich in Bewegung. „Und los geht’s.“

Ich sah aus dem Fenster, als wir gerade vom Parkplatz rollten. „Nächster Halt, Texas.“

Es war seltsam, was ich fühlte. Schwer und doch schwerelos. Gefesselt und doch frei. Mein Herz sagte mir, dass das hier eine riesengroße Chance war. Mein Verstand sagte mir, dass ich ein kleines Mädchen war, das sich an etwas Großem versuchte. Und dass ich selbst schuld sein würde, wenn etwas schiefging. Mit mir selbst auf Kriegsfuß stehend, holte ich tief Luft. „Los geht’s“, wisperte ich beim Ausatmen. Hier war ich nun, die nächsten achtundvierzig Stunden in einem Bus mit fünf Rockstars. Ich runzelte die Stirn. Ich meine, echt jetzt.

Wie schlimm konnte das schon werden?

Kapitel 5
Getting To Know You

Emily

In meiner Koje hörte ich, wie sich die Jungs unterhielten.

„Mir ist langweilig“, beschwerte sich Connor.

Lee lachte leise. „Wir sind erst zwölf Stunden unterwegs.“

„Ich hab dir gesagt, dass das passieren wird“, sagte Noah angefressen.

„Ach kommt schon, lasst ihn. Er kann nichts dafür. Er hat ADHS“, sagte Hell, aber eindeutig amüsiert.

„Wenn ich nicht aus diesem verfickten Bus rauskomme, raste ich aus.“

Connors Gereiztheit in der Stimme war ein wenig erschreckend, aber ich musste mit diesem Eindruck allein sein, denn als ich aus meiner Koje den Gang entlang linste, sah ich, wie Noah zur Tür des Fahrers ging. Er öffnete sie und sprach einen Moment mit Craig. Noah kam zurück und der Lautsprecher ging an. Craigs Stimme klang bissig.

„Was versteht ihr kleinen Bitches nicht an dem Wort Nonstop? In einer Stunde kommen wir zu einer Raststätte. Wir machen dort eine kurze Pause. Und wenn ich sage kurz, dann meine ich verfickt noch mal kurz. Craig over and out.“

Connors Kinn sah verkrampft aus, als sich Noah wieder hinsetzte. „Danke, Mann“, sagte Connor und starrte dabei auf den Tisch.

„Du weißt, dass ich immer für dich da bin“, sagte Noah.

Ich konnte mir nicht helfen, aber ich fand diesen Austausch süß.

Eine Stunde später parkte der Bus auf einem Rastplatz. Jemand klopfte an meine Koje und ich zog den Vorhang auf.

Noah stand da und lächelte zaghaft. „Geht’s dir gut da drinnen?“

Ich nickte.

„Ehrlich?“

„Ja“, nickte ich noch mal. „Warum?“

Er setzte sich auf die Bettkante. „Du hast dich nur noch nicht blicken lassen.“

Oh, das. „Ich wollte euch nicht im Weg sein.“

„Bitte? Du bist nicht im Weg“, sagte er und lächelte aufmunternd. „Versteckst du dich etwa hier drin? Ist es das, was du hier tust?“

Na klar. „Nein.“ Das Wort kam zu schnell und zu laut heraus.

„Ich denke doch.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich mit einem Blick an, der mich aufforderte, zu widersprechen. Das tat ich nicht. Ich hoffte, er verstand mich.

„Die Jungs“, fing ich an und schob mir die Brille hoch. „Ich möchte, dass sie mich mögen.“

Das verwirrte ihn offensichtlich. „Und du denkst, das könntest du am besten hinbekommen, indem du ihnen aus dem Weg gehst?“

Ja. Ich nickte ernst.

Er sah mich einen Moment an. „Vorschlag. Lass uns einen Deal machen. Du kommst auf der Teilstrecke für eine Stunde aus deinem Versteck und ich verrate niemandem, dass das St. Judes beim Label angerufen hat, damit sie für den Betreuungsplatz deiner Nanna bürgen, da du dir ihre Pflege kaum leisten kannst.“

Ich fühlte, wie mir jegliche Farbe aus dem Gesicht wich und der Puls höher schlug. Oh Gott. Noah musste bemerkt haben, dass mir das Atmen nicht leicht fiel und legte eine Hand auf meine Schulter.

„Das geht in Ordnung. Micah hat die Papiere unterzeichnet. Alles ist gut.“ Sein Blick wurde sanft. „Ich wünschte, du hättest mir davon erzählt.“

Ich versuchte meine trockenen Lippen zu benetzen und mied seinen Blick. „Bitte, sag niemandem etwas davon.“

„Das ist nichts, wofür man sich schämen muss, Emmy. Was du da versuchst, ist bewundernswert.“

Er verstand es nicht. Niemand tat das. Das hier war mein eigener Kampf und den musste ich selbst kämpfen. Genau wie Nanna es getan hatte, als meine Mutter starb. Ich wiederholte meine Bitte und Noah seufzte leise.

„Ich würde es nie jemandem sagen. Ich bitte dich nur, uns eine Chance zu geben. Lerne uns kennen. Komm heraus und unterhalte dich mit uns. Wir werden jetzt drei Monate lang jeden Tag zusammen sein. Wir möchten dich auch gern näher kennenlernen. Ich weiß, dass die Jungs ein wenig ungehobelt daherkommen. Aber ich versichere dir, dass du nie ehrlichere Menschen kennenlernen wirst.“

Oh nein. Ich war extrem unschlüssig.

„Na komm schon“, sagte Noah. „Was sagst du?“

Noah war ein lieber Kerl und ich war dankbar für sein Taktgefühl. Ehrlich gesagt, fürchtete ich mich vor den anderen. Sie waren so weit abseits der Norm, dass mir jetzt schon klar war, dass ich nichts mit ihnen gemein hatte. Es war weder deren noch meine Schuld. Es war einfach so. Aber ich konnte es versuchen. Und das würde ich auch.

„Okay. Ich werde sie kennenlernen“, sagte ich lächelnd.

Noah knuffte mich sanft an der Schulter. „Prima. Gutes Mädchen.“ Er hielt mir die Hand entgegen und ich betrachtete sie einen Augenblick, bevor ich sie ergriff. Noah half mir aus meinem Versteck und legte die Hände auf meine Schultern, um mich nach vorn zu schieben. „Nutze die Chance, Emmy. Nutze sie und halte sie mit beiden Händen fest, hörst du mich? Es könnte dein Leben verändern.“

Es könnte mein Leben verändern.

Eine Prophezeiung. Eine, die keiner von uns beiden als solche realisierte, bis unsere Welten so hart beben würden, dass unsere Köpfe wackelten.

Draußen vor dem Bus reckte und streckte ich mich. Ich wusste nicht, wo wir uns befanden, aber ich musste zugeben, dass es schön war, aus meiner kleinen Koje herauszukommen. Noah ging zu dem Laden der Raststätte und ich folgte ihm hinein. Ich nahm mir Zeit, die Regale abzulaufen und entschied mich für eine Packung Twizzlers, da ich nur fünfzehn Dollar im Geldbeutel hatte. Das Geld musste mir wenigstens bis zum nächsten Gehaltsscheck reichen. Ich konnte es ein wenig strecken, aber zwei Wochen? Das war ein bisschen lang. An der Kasse stand Connor und sprach mit dem Kassierer.

„Ja, ich nehme diesen ganzen Kram hier.“ Er legte ein paar Schokoriegel, Getränke und Kaugummi auf den Ladentisch. „Und was für Erwachsenenmagazine habt ihr hier? Ich meine Pornos.“

Ich weitete die Augen und drehte mich um, um zu gehen. Aber eine Hand zog mich an der Schulter zurück. Connor zog mich an sich, nahm mir die Twizzler-Packung ab und legte sie zu seinen Sachen dazu. Der Kassierer kam mit einem Stapel Magazine zurück, die in Plastikfolie eingezogen waren. Mein Herzschlag ging von null auf hundert und ich wurde so schnell rot, dass ich befürchtete, vor Blutmangel ohnmächtig zu werden.

Connor ging die Magazine durch. „Welches würden Sie denn empfehlen, mein Lieber?“

Der reifere Herr zeigte auf ein Magazin mit dem Namen Lux und als ich den Mund öffnete, um etwas zu sagen, legte Connor den Finger auf meine Lippen. „Pst, Baby. Die Erwachsenen unterhalten sich gerade.“

Connor sah sich die Magazinempfehlung durch und wägte ab. „Ich weiß nicht recht. Ich meine, klar, sie ist heiß und so, aber ich suche nach etwas mit dem gewissen Etwas, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Der Kassierer verschwand kurz, um dann mit einem weiteren Magazin wieder aufzutauchen. Er legte es auf den Tisch. Es hieß Moi.

„Das ist es“, sagte Connor und tippte auf das Cover unter der Plastikfolie. „Sie ist es.“ Er nahm dem Verkäufer das Magazin ab. „Sie sieht wie ein nettes Mädchen aus. Hilfsbereit. So, als würde sie immer ihr Bett machen, obwohl die Sachen, die sie darin anstellt, ihre Mutter sicherlich enttäuschen würden. Genau.“ Er nickte und legte es zu den Sachen auf dem Ladentisch. „Das nehme ich.“

Der Mann addierte alles auf und nannte den Preis. Connor griff in den Kühlschrank neben uns und legte noch etwas dazu, während er mich frech angrinste.

„Und eine Schokomilch fürs Baby.“

Ich vermute, ich hätte beleidigt sein sollen. Das ging aber nach hinten los, denn ich liebte Schokomilch.

Der Kassierer packte alles in eine Papiertüte und überreichte sie Connor, der sie mir in den Arm drückte. Ich hielt sie in den Armen, aber als wir aus der Tür gingen, hielt er mich zurück.

„Das ist ein Basketballkorb. Wir brauchen einen Ball.“

Er eilte wieder in den Laden und ließ mich mit einer Tüte voller Unsinn und einem Titti-Magazin hier stehen. Ich stellte die Tüte ab. Als er wieder herauskam, hielt er einen alten, verkrusteten Basketball in den Händen.

Er lächelte, tippte den Ball ein paarmal auf und nickte. „Wollen wir eine Runde?“

War das sein Ernst? „Ich weiß nicht, wie man spielt.“

„Hm. Okay.“ Er sah sich um. „Hey Lee“, rief er. Lee drehte sich um und Connor zeigte auf mich. „Emmy will eine Runde Basketball spielen. Sie sagt, sie ist echt gut darin. Machst du mit?“

Okay. Es sah so aus, als ob mich alle jetzt Emmy nannten. Außerdem, was? Ich hatte nichts dergleichen gesagt. Ich blinzelte ihn an. Er grinste nur und zwinkerte mir zu.

Herrgott, was ein Arsch.

Lee kam herüber gejoggt und Hell folgte ihm.

„Ich … kann überhaupt nicht spielen“, stotterte ich.

Connor lachte leise tief im Hals und legte den Arm um mich, zog mich an seine Seite und meinen Kopf an seine Brust. „Du bist so ein Scherzkeks, Emmy.“ Er schüttelte mich langsam an den Schultern. „Hört nicht auf das, was sie sagt. Emmy hat es voll drauf.“

Lee lächelte. „Du weißt wirklich nicht, wie man spielt, oder Kleines?“

Ich schüttelte den Kopf und Connor riss den Mund auf. „Lügnerin. Ich hab’s gesehen, sie ist gut, ich schwöre.“

Hell grinste und wusste ganz genau, dass Connor Blödsinn redete. „Na dann, wollen wir? Wir müssen gleich wieder in den Bus steigen.“

Offenbar spielten wir etwas, das Half Court hieß. Als es Lee gelang, Connor den Ball abzunehmen, warf er ihn mir zu. Ich hielt ihn fest und rannte.

„Warte, du machst Schrittfehler“, rief Lee lachend.

Ich hielt den Ball weiter fest und sah ihn an. „Ich mache was?“

„Du musst den Ball prellen während du rennst. Wenn du das nicht tust, zählt das als Schrittfehler und das andere Team erhält den Ball.“

Ach so. „Okay.“ Ich blickte zu ihm hoch. „Kann ich noch mal anfangen?“

„Nein“, rief Connor.

„Du machst das super, versuch es noch mal“, sagte Hell.

„Danke, Hell.“ Aber sowie ich den Ball einmal auftippte, nahm Connor ihn mir ab. Ich blieb stehen und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Hey, das ist unfair.“ Ich drehte mich zu Lee um. „Er hat ihn mir einfach abgenommen.“

Lee grinste. „Das darf er.“

„Das ist erlaubt“, bestätigte Hell lächelnd.

Echt?

Connor grinste frech und zeigte mir den Mittelfinger. Ich war sauer. Eigentlich mehr verlegen, aber dennoch sauer. Mein Wettkampfgeist war geweckt und ich verfolgte Connor. Jedes Mal, wenn ich versuchte nach dem Ball zu greifen, wich er mir aus. Wieder und wieder hielt er den Ball für mich außer Reichweite und als ich einen frustrierten Laut von mir gab, lachte er.

„Yo, gib es auf.“

Niemals. Ich sah Rot und rammte meinen Körper in Connors Seite, was ihn überraschte, und es gelang mir, den Ball zu schnappen. Ich machte einen aufgeregten Laut und rannte mit dem Ball tippend zu Lee. Ich hörte, dass jemand hinter mir war und warf mich panisch auf den Boden über den alten Ball und schützte ihn mit meinem Leben. Lee und Connor lachten auf, als Hell mich an der Taille hochhob und schüttelte.

„Lass los“, sagte er lachend.

Ich musste losprusten und rief: „Nein!“ Er schüttelte mich ein weiteres Mal, ich hielt den Ball aber in meinem Kung-Fu Griff und kicherte.

„Ach komm schon Hell, lass sie werfen“, rief Lee, eindeutig hochgradig amüsiert.

Hell seufzte und trug mich wie ein Surfboard zu dem Netz, während ich immer noch den Ball umklammerte. Dort stellte er mich auf die Füße und machte eine einladende Geste.

„Na dann los.“

Wirklich?

Ich wartete kurz, ob mich wieder einer anspringen wollte, aber keiner rührte sich. Ich hob den Ball an und sah mich um. Drei große muskulöse Männer grinsten mich an. Ich warf. Daneben. Ich seufzte.

„Lasst es mich noch mal versuchen.“

Lee warf den Ball zu mir zurück, ich konzentrierte mich, ließ mir Zeit und warf erneut. Zu kurz. Ich stieß die Luft aus.

„Das ist viel zu hoch, ich bin einfach zu klein.“ Plötzlich befand ich mich in der Luft. Ich quietschte, als Hell mich an den Oberschenkeln hochhob. Lee bracht mir den Ball. Connor betrachtete alles stumm und abschätzend. Ich griff nach Hells Armen und klammerte mich an seine starken Muskeln. „Oh Gott, lass mich runter.“

Hell lachte nur. „Entspann dich. Ich lass dich nicht fallen. Du bist winzig, kleines Vögelchen.“

„Nimm den Ball, Emmy“, sagte Lee sanft.

Nachdem ich wieder zu Atem gekommen war, nahm ich den Ball entgegen. Dann hob ich ihn hoch und warf.

Daneben.

Lee fing den Ball und gab ihn mir erneut. Ich versuchte es noch einmal. Er rollte auf dem Rand herum und fiel daneben herunter. Ich gab einen enttäuschten Laut von mir. Dann grinste ich die Jungs an. Das war knapp gewesen. „Diesmal hat es fast geklappt.“

Lee gab mir den Ball erneut und klatschte in die Hände. „Auf geht’s. Noch einmal, Emmy.“

Ich holte tief Luft.

„Wann immer du bereit bist“, sagte Hell.

Ich hatte die Jungs gehört. Sie glaubten an mich. Ohne zu zögern, hob ich den Ball und warf ihn. Er segelte durch das Netz. Überrascht ließ ich einen Schrei fahren und reckte die Arme in die Luft. Ich jubelte und klatschte über meine großartige Leistung. Hell stellte mich wieder ab und streckte mir die Hand zu einem High Five entgegen. Lee ebenfalls und als ich mich zu Connor umdrehte, war er bereits wieder in den Bus gestiegen.

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