Mörderische Träume

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Mörderische Träume
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Bernhard StoEver

Mörderische Träume

Script Stories

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum neobooks

Inhaltsverzeichnis

1. Haie und kleine Fische

2. Bulldog

3. Der Überfall

4. Schmetterlinge küsst man nicht

5. Auch Killer müssen sterben

6. Ein Angebot, das man nicht ablehnen konnte

7. Gedankenspiele

8. Das Sklavenschiff

9. Die Jagd

10. Kinder des Krieges

11. Der Test

12. Das geheime Archipel

13. Sturmböen

14. Der Einbruch

15. O´Maleys Bein

16. ali boma je

17. Der Auftrag

18. Der Scharfschütze

19. Die Folter

20. Reeperbahn Intermezzo

21. Chelsea

22. Tiffany

23. Das Bildnis der Medusa

Haie und kleine Fische

Es geschah zu jener Zeit, als ich noch jung und voller Ungestüm war. Also in einem Alter, in dem man seine Kräfte gerne überschätzte. Ich war schon zwei Jahre mit meiner Yacht Ariadne auf allen Weltmeeren unterwegs, und bisher hatten sich keine größeren Vorfälle ereignet. Aber das chinesische Meer ist, nicht nur in Bezug auf das Wetter, unberechenbar.

Es war ein nebliger Tag, kein Lüftchen regte sich und ich überlegte bereits, den Motor anzuwerfen um der Flaute zu entkommen, als wie aus dem Nichts ein Schnellboot auftauchte und eine handvoll Piraten mein Schiff enterten. Nachdem sie mich erst gefesselt, dann unter Deck geworfen und alles akribisch durchsucht hatten, machten sie sich über meinen so sorgsam behüteten Whiskey her. Kaum war die letzte Flasche geleert, stand Ihnen schon der Sinn nach Gröberen. Einer der Banditen packte mich, stellte mich auf die Beine und löste mir die Fesseln. Dann brachte er mich an Deck. Grölend erwartete man mich bereits.

Ihr Anführer sah mich abschätzend an, grinste schäbig und griff nach einem Eimer mit Köderfischen, von denen ich immer mehrere an Bord hatte. Mit einem sadistischen Lachen entleerte er ihn im Meer. Es dauerte nicht lange, bis der erste Hai auftauchte. Es war ein junger Bullenhai, wie ich unschwer an Größe und Form erkennen konnte. Und dann kam noch einer und noch einer, bis ein ganzer Schwarm die Yacht umrundete und sich gierig über die Fischreste hermachte.

Ein rauer Bursche mit tiefen Narben im Gesicht griff zu seinem Entermesser und erklärte mir mit heiserer Stimme: „Ich werd´ Dich jetzt ein wenig anritzen, und dann geht’s ab ins Meer.“ Das Messer wippte er dabei spielerisch zwischen seinen Fingern. Feixend bejubelten ihn seine Männer. Ich erstarrte für einen kurzen Moment, war das jetzt das Ende? Dann setzte mein Selbsterhaltungstrieb wieder ein. Ich stieß meinen Bewacher beiseite, stürzte zur Reling und sprang mit einem gewaltigen Satz mitten zwischen die Haie. Ich hatte gewaltiges Glück, wenn man in einem solchen Moment von Glück reden mochte, denn die um sich schnappenden Zähne hätten mich ernsthaft verletzen können. Das wäre mein sicherer Tod gewesen. Tief tauchte ich ins Wasser ein und versuchte, soviel Abstand wie möglich zwischen mir und den gefräßigen Raubfischen zu legen.

Als ich wieder auftauchte, hörte ich an Deck aufgeregtes Schreien. Einer der Piraten griff zu seiner Kalaschnikow und zielte auf mich. Aber die Wellen machten es ihm nicht leicht, und als ich das Rattern der Schüsse hörte, sah ich, wie knapp hinter mir mehrere Haie getroffen wurden und wild um sich schlugen. Sofort fielen sie übereinander her. Es war ein Anblick, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Ich sog meine Lungen voll mit Sauerstoff und tauchte erneut ab. Auf der Yacht musste der Eindruck entstehen, ich sei ein Opfer der blutigen Fressorgie geworden. Ich blieb unter Wasser, bis meine Lungen zu bersten schienen, erst dann tauchte ich vorsichtig wieder auf, schnappte gierig nach Luft und sah mich um.

Die Yacht hatte sich schon ziemlich weit entfernt und der Wellengang bot genügend Schutz, um unbemerkt zu bleiben. Aber wo waren die Haie. Ich vermied es, nach ihnen Ausschau zu halten, drehte mich in Rückenlage und versuchte, jede überflüssige Bewegung zu vermeiden.

Unendlich langsam schlich die Zeit dahin. Die Stunden reihten sich aneinander und die tödliche Realität war einem surrealen Traum gewichen, der wie ein schützender Mantel meine Angst umhüllte. Inzwischen war es dunkel geworden, das Meer glitzerte friedlich unter einem leuchtenden Firmament. Vorsichtig befreite ich mich aus meiner körperlichen Starre und begann zu schwimmen. Wie ein göttliches Band wiesen mir die Sterne den Weg und immer, wenn eine der großen Wellen mich nach oben trug, versuchte ich mich neu zu orientieren. Manchmal meinte ich, in der Ferne den dunklen Schatten einer Insel auszumachen.

Strömung und Entfernung zur Insel waren eine Sache, die mir nicht friedlich gesonnenen Meeresbewohner eine ganz Andere. Und dazu gehörten außer den Haien vor allem die in Schwärmen auftretenden Barrakudas, die in diesen Gewässern häufig anzutreffen waren. Sie rissen fürchterliche Wunden und selbst, wenn ich als Delikatesse auf ihren Speiseplänen nicht vorgesehen war, würde ich den Blutverlust nicht überleben.

Um es kurz zu machen. Ich schaffte es. Die Strömung trug mich schneller als erwartet zu dem rettenden Eiland. Von hier brachte mich ein Fischer aufs Festland, wo mich mein Konsul mit provisorischen Papieren ausstatte und ich die Heimreise antrat. Von den Piraten und meinem Boot habe ich nie wieder etwas gehört.

Vielleicht sollte ich aber noch erwähnen, dass eine Wahrsagerin in Brügge, es waren bereits Jahre vergangen, mir auf einem Jahrmarkt aus der Hand las und prophezeite, dass ich in große Gefahr geraten würde, sollte ich mich jemals alleine mit einem Schiff aufs Meer begeben.

+

Bulldog

In einer weiten Kurve jagte Bulldog aufs Meer hinaus. Eine riesige, muskulöse Kampfmaschine, die wie einzementiert am Ruder der hochseetüchtigen Yacht stand. Auf der Rückbank lagen zwei Jutesäcke mit Fischfutter und ein lebloses Bündel Mensch. Um in das Gebiet der Tigerhaie zu gelangen, die großen Weißen waren in dieser Region selten geworden, musste Bulldog die vorgelagerten Inseln passieren und weiter hinausfahren.

Hart schlug das Boot nach jeder Welle auf das Wasser, ein Trainingsprogramm für geschundene Rücken. Bulldog war es egal, er konzentrierte sich auf seinen Auftrag. Es war nicht so einfach, Leichen auf den Malediven verschwinden zu lassen. Man hatte zwar das Meer vor der Haustür, aber Körperteile, die an die Strände gespült würden, das wäre der touristische Super Gau. Prüfend suchte er den Horizont ab. Nicht mehr weit entfernt verdichteten sich die dunklen Wolken zu einem einzigen, riesigen Schwarz. Ein schwerer Sturm kündigte sich an. Bulldog stoppte das schwankende Boot und warf die Säcke mit dem Lockfutter, stinkende Thunfisch Reste, in die aufgewühlte See. Mit einem Paddel trieb er sie auseinander. Schon umrundeten zwei Haie misstrauisch die Leckereien. Das Schnellboot, das sich mit schäumender Bugwelle näherte, bemerkte er erst, als es schon fast zu spät war.

Racid verfolgte die Yacht, ohne sie aus den Augen zu verlieren. Nachdem er über die Entführung eines Crewmitglieds informiert worden war, hatte er nicht einen Moment gezögert und seine restliche Mannschaft zusammengerufen. Fünf hartgesottene Burschen, Piraten wie er selbst. In ihrem offenen Schnellboot waren sie wochenlang der peitschenden See und dem Dröhnen der Motoren ausgesetzt. Jetzt waren sie mehr als eine Zweckgemeinschaft; jeder konnte sich auf den anderen verlassen. Das war sein Verdienst, deshalb blieb ihm jetzt auch keine Wahl. Bulldog hatte Ihnen nicht nur ihre Diamanten geraubt, die sie bei einem Überfall auf ein Kreuzfahrtschiff erbeuteten, er hatte auch Achmed, der ihn verfolgen sollte, gefangengenommen und getötet.

Kaum hatten sie im Schutz der kleinen Insel, die der Westseite der Hauptinsel vorgelagert war, Stellung bezogen, wider besseres Wissen missachteten sie die dunklen Wolken, die sich bedrohlich am Horizont formierten, als Bulldog an Ihnen vorbeiraste, ohne sie zu bemerken. Racid wusste, was das zu bedeuten hatte. Für Achmed kam jede Hilfe zu spät, Bulldog wollte ihn den Haien zum Fraß servieren. Vorsichtig dirigierte er das Schnellboot aus seinem Versteck. Kaum hatten sie das gefährliche Riff hinter sich gelassen, gab er den Befehl, der Yacht mit Höchstgeschwindigkeit zu folgen.

Im letzten Augenblick bemerkte Bulldog das auf ihn zurasende Boot. Sie wollten ihn rammen und versenken. Er stürzte ans Ruder und jagte die Motoren hoch. Die Yacht war dem Schnellboot an Geschwindigkeit und Masse unterlegen. Aber sie war wendig und leicht zu manövrieren. Der Sturm hatte an Heftigkeit zugenommen. Schon peitschten Wind und Regen über das Meer. Es gab kein Entkommen, weder vor dem Sturm, noch vor dem auf ihn zu jagenden Schiff. Gerade noch rechtzeitig riss er die 200 PS starken Motoren hoch. Das Schnellboot verfehlte ihn nur knapp. Diesen Umstand machte er sich zu Nutze. Er wendete scharf und raste schräg von hinten auf das Schnellboot zu. Kurz vor dem Zusammenprall bereitete er sich auf den Absprung vor. Mit ausgebreiteten Armen stürzte er sich auf die überraschten Piraten. Im selben Moment bohrte sich auch schon die Yacht in die Flanke des Schnellboots und riss ein breites Loch in den Rumpf. Ineinander verkeilt gab es keine Rettung, sie würden gemeinsam vom Meer verschlungen werden.

 

Racid stand am Ruder und musste hilflos mit ansehen, wie seine Männer von dem rasenden Bulldog wie Schaufensterpuppen ins Meer geschleudert wurden. Sie hatten, obwohl in der Überzahl, nicht den Hauch einer Chance. Der Letzte schrie entsetzt auf, als sich die brodelnde See rot färbte und Dreiecksflossen im Blutrausch hin und her schossen. Racids Maschinenpistole ratterte los. Auf Bulldogs Brust bildeten sich drei rote Flecken, die sich rasch ausbreiteten und zu einem Fleck vereinten. Seine Beine gaben nach und ein milchiger Schleier senkte sich über seine Augen. Mit letzter Kraft stolperte er zur Reling und ließ sich ins Meer fallen. Lieber von Haien zerrissen, als seinen toten Körper seinem Feind überlassen. Er spürte den Hauch des Todes, bevor sein Körper in Stücke gerissen wurde.

Zurück blieb ein Trümmerfeld. Zwei sinkende Boote, im Meer schwimmende Leichen und einige Dutzend in Blutrausch verfallene Haie. Und ein einsamer Anführer, der darauf wartete, mit seinem Schiff unterzugehen. Für einen Moment schien der Wind seine zerstörerischen Kräfte vergessen zu haben. Die See glättete sich und eine tödliche Stille legte sich über das Meer.

+

Der Überfall

Es war heiß im Raum, heiß, schwül und stickig. Ein an der Decke befestigter Ventilator bemühte sich vergeblich, der abgestandenen Luft den Anschein von Frische zu verleihen. Das monotone Sh, sh, sh wirkte einschläfernd, hinderte Justin aber daran, Schlaf zu finden. Immer wieder geisterte der grüne Toyota in seinen Halbträumen herum, bis er schließlich beunruhigt aufsprang. Er musste sich Gewissheit verschaffen. An der Tür drehte er sich noch einmal um, zögerte kurz, lief dann zurück zum Nachttisch, auf dem die Heckler & Koch griffbereit lag, und befestigte sie am Gürtel. Es war bereits nach zehn und die Nacht war schwärzer, als er es je zuvor erlebt hatte. Kein einziger Stern versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen. Die Lichtkegel der Scheinwerfer, die das Grundstück beleuchteten, verloren sich nach wenigen Metern im Nichts.

Er verließ das Gästehaus. Begleitet vom monotonen Grollen der Wellen, unternahm er einen Kontrollgang am Wasser entlang. Die LEDs seiner kleinen Handleuchte reichten gerade aus, um nach frischen Fußspuren zu suchen. Er fand keine. Er durchquerte den Innenhof und inspizierte die drei Meter hohe Schutzmauer. Sie war mit Stacheldraht bestückt und wurde durch Kameras gesichert. Hier gab es kein unbemerktes Durchkommen.

Während Justin den Kontrollgang fortführte, saßen Profiet, Terreblanche und van Heusen bei einer Flasche Pinot Noir auf der Terrasse des Haupthauses. Vor ihnen auf dem Tisch ein in Bananenblättern gebackener Snapper, frisch gefangen im letzten Licht der untergegangenen Sonne. Eine Delikatesse. Van Heusen griff nach einer Limone und spritzte sich den Saft in den Mund. Er verzog keine Miene.

„Die Überweisungen laufen über Mombasa?“

Profiet nickte. „Es ändert sich nichts.“

Und nach einer kurzen Pause, die er dazu nutzte, sich ein weiteres Glas einzuschenken:

„Wir müssen davon ausgehen, dass Abu Said einer Verklappung von hundert Tonnen nicht zustimmen wird. Der Tsunami 2004 hat die Bevölkerung wachsam gemacht. Die Fässer wurden viel zu nahe der Küste entsorgt. Kein Wunder, dass sie beim ersten Sturm an den Strand spülten.“

Terreblanche schüttelte missbilligend den Kopf: „Und wenn man bedenkt, was das Gift unter der Bevölkerung angerichtet hat, das hätte seinen Kopf kosten können.“

Das Argument wollte van Heusen nicht gelten lassen. „Er verteilt doch genügend Almosen, dann wird er diesmal eben ein bisschen tiefer in die Tasche greifen müssen. Hundert Tonnen bringen ihm fast eine Million Euro. Kann mir nicht vorstellen, dass er da Nein sagt. Außerdem habe ich ihn unter Druck gesetzt und ihn darauf hingewiesen, dass sein Bruder in Cambridge studiert und sich damit mehr oder weniger in unseren Händen befindet“

Profiet schluckte, was er da eben gehört hatte, mochte er kaum glauben. Entsetzt sah er van Heusen an.

„Bist du verrückt geworden, Abu Said zu drohen? Wenn er das persönlich nimmt, sind wir geliefert.“

Terreblanche wandte ein: „Und außerdem stimmt das mit dem Geld so nicht, die Mafia bekommt noch ihren Anteil, sie hat doch die `Entsorgung´ für den Großteil der Gifttransporte aus der OPEC übernommen. Wenn wir Abu Said ködern wollen, müssen wir ihm einen weitaus größeren Anteil als bisher überlassen. Das schmälert zwar unseren Gewinn, aber ist, zumindest für diesen Auftrag, wohl unumgänglich.“ Van Heusen nickte nachdenklich, dem hatte er nicht viel entgegenzusetzen.

Währenddessen inspizierte Justin den Parkplatz. Alles ruhig, zu ruhig, wie er fand. Er kontrollierte den Fuhrpark und die Garage, nichts. Von hier schlängelte sich ein schmaler Weg durch dicht gewachsene Akazien bis zum Wachhaus. Kein Mensch war zu sehen, Totenstille. Da, das Tor zur Straße war einen Spalt geöffnet. Vorsichtig, ohne ein Geräusch zu verursachen, schlüpfte er hindurch. Das aus dem Spalt fallende Licht reichte keinen Meter weit, dann wieder tiefste Dunkelheit und Stille. Nur das leise Grollen des Meeres drang an sein Ohr.. Er fühlte, nein, er wusste, dass etwas nicht stimmte. Er löste die Heckler & Koch vom Gürtel und hielt sie schussbereit in der Hand. Seine Sinne waren aufs Äußerste gespannt. Leise schlich er zurück. Kaum wieder durchs Tor, fiel ihm der Müllcontainer ins Auge, den er vorher nicht beachtet hatte. Die Lade stand offen, ein Unding in den Tropen, wenn man Ratten und Geruchsbelästigung fernhalten wollte. Er ahnte, was ihn erwartete. Ein Blick hinein und seine Ahnung wurde zur Gewissheit. Es war der Wachmann. Die eine Seite seines Schädels war voller Blut. Justin hörte das Rasseln der Lungen, als sie den letzten Rest Leben aus dem armen Kerl herauspressten. Mit einem Satz sprang er hinter den Container und ging in Deckung. Sein Verstand raste. Was nun? Dann riss er die stubsnasige Maschinenpistole hoch und gab einen einzelnen Schuss ab. Profiet musste gewarnt werden, der Anschlag galt ihm und nicht dem Wachmann. Sonst hätte man sich nicht die Mühe gemacht, ihn im Müll zu verstecken.

Geduckt lief er zum Haupthaus, jede Deckung nutzend. Er hatte den Eingang fast erreicht, als er das Plopp, Plopp einer Waffe mit Schalldämpfer hörte und zwei Kugeln dicht neben ihm in die Hauswand schlugen. Splitter ratschten seine Stirn auf. Mit einem verzweifelten Sprung suchte er hinter der Tür Deckung. Warmes Blut lief ihm über die Augen und nahm ihm die Sicht. Mit einer Handbewegung wischte er es beiseite. Ruhe bewahren, jetzt nur nicht nervös werden. Das waren Profis, mindestens zwei. Der Wachmann wog über hundert Kilo. Für Einen alleine kaum zu stemmen. Justin war sich sicher, es waren die Beiden aus dem Toyota, die er am Tag zuvor dabei beobachtet hatte, wie sie mehrmals am Anwesen wie zufällig vorbeifuhren.

Das Donnern des Schusses war noch nicht ganz verhallt, als Profiet auch schon am Waffenschrank stand, einen großkalibrigen Colt herausriss und Terreblanche zuwarf. Er selbst griff nach einer 9 mm Luger und brachte sich hinter dem Tresen aus massiven Tropenholz in Deckung, undurchdringbar für Kugeln. Der Überfall kam nicht überraschend. Sie hatten irgendwie sogar damit gerechnet. Mit Abu Said war nicht zu spaßen. Aber so schnell und so direkt? Er gab Terreblanche mit der Hand ein Zeichen und nickte. Sie waren immer noch ein eingespieltes Team.

Van Heusen saß wie erstarrt in seinem Sessel. Er hatte nie den Dreck der Straße schlucken müssen, er war kein Kämpfer. Zwar war auch er auf alles vorbereitet, weltfremd war er schließlich nicht. Aber hier, inmitten einer friedlichen Inselidylle? Endlich besann er sich und sprang auf, um sich ebenfalls in Sicherheit zu bringen. Plötzlich verspürte er einen Schlag gegen die Brust und blickte verwundert auf sein weißes Hemd, auf dem sich ein kleiner roter Fleck immer weiter ausbreitete. Noch während er überlegte, was das Rot zu bedeuten hatte, schwanden ihm die Sinne und die Beine knickten unter ihm weg. Er stürzte zu Boden, zuckte einige Male unkontrolliert und starb. Terreblanche fuhr herum und zielte auf den Schatten, der halb in der Tür stand und einen Revolver im Anschlag hielt. Er jagte sein ganzes Magazin hinein. Der Schatten verschwand mit einem Aufschrei, dann ein entsetzliches Röcheln, dann verstummte auch das.

Justin stellte die Heckler & Koch wieder auf Dauerfeuer, robbte die Hauswand entlang und riskierte einen Blick zu dem zweiten Schützen, der sich irgendwo auf der gegenüberliegenden Seite zwischen den Büschen versteckt hielt. Plötzlich knallte es laut, und der Himmel erstrahlte in einem leuchtenden Rot. Das Notsignal des Wachpersonals. Der Angriff erfolgte auch vom Wasser.

Der Schütze hinter den Büschen nutzte die Situation, sprang auf und lief im Zickzack zurück zum Haupttor, das noch immer einen Spalt geöffnet war. Er huschte hindurch und verschwand in der Dunkelheit. Justin atmete erleichtert auf. Vorsichtig begab er sich auf die Terrasse. Profiet bedeckte gerade van Heusens Gesicht mit einem Tuch, während Terreblanche Revolver und Munition überprüfte. Ein Grinsen lag in seinen Mundwinkeln. Der Haferschleim, den er statt seiner geliebten Steaks wegen seines verkorksten Magens essen musste, hatte ihm die Lust am Leben genommen. Den Tod vor Augen, begann er es wieder zu genießen.

Im selben Augenblick näherten sich Abu Said und zwei finster blickende Gestalten in einem hochseetüchtigen Schlauchboot vom Wasser her. Obwohl dunkelste Nacht, hatten sie die Suchscheinwerfer ausgeschaltet. Sie orientierten sich an den wenigen Lichtquellen, die an Land zu erkennen waren. Keiner sprach ein Wort. Kurz vor der Einfahrt zu Profiets Anwesen griffen sie zu den Paddeln. Jetzt musste alles sehr leise gehen. Ihre schwarzen Neoprenanzüge verschmolzen mit der Nacht, nur das leise Plätschern der Paddel konnte sie jetzt noch verraten.

Die auf dem Gelände installierten Suchscheinwerfer sprangen an. Zwanzigtausend Watt, gespeist von hauseigenen Generatoren, überfluteten das Anwesen. Nahezu gleichzeitig schoss der Wachposten eine Signalrakete in die Luft. Für einen Moment wurde das Schwarz des Firmaments in ein leuchtendes Rot getaucht. Die Hölle hatte sich den Himmel zurückerobert.

Kurz bevor das Schlauchboot mit Abu Said und seinen Begleitern vom Lichtkegel erfasst wurde, sprang er ins Wasser und tauchte unbemerkt zum Steg. Seine Mauser hielt er unter seinem Neoprenanzug verborgen, sie mochte Wasser nicht besonders. Jetzt kam es auf seine Begleiter an. Sie mussten ein Ablenkungsmanöver inszenieren, damit er seiner Aufgabe ungestört nachkommen konnte.

Kaum hatten die Männer im Schlauchboot den Strand erreicht, als sie auch schon heraussprangen und mit gezückten Waffen in Richtung der Gebäude rannten. Ihre Kalaschnikows streuten Salven ins Nichts, ein Ziel war nicht auszumachen. Justin hatte sich hinter einem Wassertank in Deckung gebracht und wartete darauf, ein optimales Schussfeld zu bekommen. Profiet und Terreblanche versteckten sich im Haus. Von den Bediensteten befand sich niemand mehr auf dem Anwesen. Sie hatten sich sofort nach Ausbruch der Schießerei aus dem Staub gemacht.

Abu Said erreichte unbemerkt die Yacht, die am Steg lag und Profiet und seinen Gästen zur Flucht verhelfen könnte. Das musste er verhindern. Er tauchte unter das Boot, hielt die Mauser direkt an den Rumpf und schoss mehrere Löcher hinein. Das Geräusch wurde vom Wasser verschluckt, ohne dass die Durchschlagskraft der 7.65er an Wirkungskraft einbüßte. Dann befestigte er eine handliche Tellermine nahe dem Benzintank und stellte den Zünder auf eine Minute. Schnell schwamm er aus der Gefahrenzone, holte tief Luft und tauchte ab. In einer gewaltigen Explosion flogen Teile des Bootes und des Stegs durch die Luft und fielen wie ein Regen aus Holz und Metall zurück ins Wasser.

Inzwischen hatte Justin einen der Männer aufs Korn genommen und mit einem Schuss ausgeschaltet. Er hatte auf die Schulter gezielt, er wollte ihn lebend, traf aber direkt ins Herz. Der zweite lief in das Feuer der beiden schweren Colts, die aus dem Haus auf ihn abgefeuert wurden. Von mehreren Kugeln durchsiebt, blieb auch er sterbend im Sand liegen.

Abu Said konnte vom Wasser aus erkennen, wie seine Begleiter in den Tod liefen. Der Angriff war fehlgeschlagen. Jetzt blieb ihm nur noch eine Chance, um hier lebend wieder raus zukommen. Dazu benötigte er das Schlauchboot. Vorsichtig näherte er sich dem Strand. Der schwarze Neoprenanzug und sein dunkles Gesicht verschmolzen mit dem Wasser. Noch war er nicht entdeckt worden, obwohl Suchscheinwerfer unablässig über das Meer strichen. Hinter dem Boot angekommen, zog er es vorsichtig ins tiefere Wasser und wuchtete sich hinein. Bevor er jedoch den Motor starten konnte, sah er den langgezogenen Schatten eines Mannes auf ihn zustürmen. Es war Justin, der auf der Lauer gelegen hatte, um den letzten Angreifer lebend zu fassen. Der Lauf seiner Waffe zeigte auf Abu Saids Brust. Der riss in einer verzweifelten Bewegung die Mauser hoch, wurde aber durch einen Warnschuss gestoppt, der direkt neben ihm das Gummi des Schlauchbootes zum Platzen brachte. Dann wurde der Schatten größer und ein wuchtiger Schlag traf ihn gegen den Kopf. Dann wurde es dunkel um ihn. Es war eine Dunkelheit, aus der es kein Erwachen ab.

 

+

Schmetterlinge küsst man nicht

Ich war bereits wieder seit mehreren Jahren in der Welt unterwegs, als es mich auf die Inselgruppe der Seychellen verschlug. Ich wollte eine alte Bekannte aufsuchen, die hier seit vielen Jahren lebte. Bevor ich mich auf den Weg zu ihr machte, mietete ich mich in ein abgeschiedenes Hotel ein und genoss die alles überwältigende Natur, die in ihrer Pracht und Üppigkeit meine Sinne und meinen Geist berauschte.

Befreit von den meisten meiner Seelenqualen lief ich am nächsten Morgen barfüßig den Strand entlang. Wellen stürmten heran, suchten sich an Felsbrocken festzukrallen und wurden wieder ins Meer gesogen. Nervöse Krabben liefen orientierungslos dem schwindenden Wasser nach, während kreischende Tölpel um einen Kadaver zankten, der einsam und halb angefressen vor sich hin gammelte. Es roch nach Salz, Fisch und Meer. Ich lief schneller und immer schneller. Bis frische Endorphine mein Gehirn durchströmten und ich mich keuchend an einen der gewaltigen Findlinge lehnte, die hier so zahlreich, wie von einem Titan vergessen, herumlagen. Es hatte sich merklich verdunkelt. Ein Tropensturm war im Anmarsch. Rasend schnell näherten sich tiefhängende Wolken, erste Tropfen klatschten mir bereits ins Gesicht. Nicht weit schossen Blitze bedrohlich nahe ins Meer. Innerhalb von Sekunden war der Himmel voller Wasser. Palmen bogen sich im Wind. Der prasselnde Regen drückte die Blätter erbarmungslos nach unten. Er verwischte die Konturen und versteckte alles hinter einem nebligen Grau. Ich meinte zu fühlen, wie sich die ganze Insel dem Unwetter beugte.

Der Wind nahm noch an Stärke zu, riss wütend Wolken und Regen mit sich und tobte weiter aufs offene Meer hinaus. Innerhalb von Minuten verdampfte die vom Unwetter befreite Sonne das zurückgelassene Wasser. Nur kleine Pfützen, die sich in den Vertiefungen der Findlinge gebildet hatten, erinnerten noch an das gerade stattgefundene Inferno.

Innerlich wie äußerlich gereinigt machte ich mich auf den Weg zurück ins Hotel. Ich bückte mich, griff nach einem flachen Stein und warf ihn über das Meer. Der Stein schlug auf, sprang hoch, schlug wieder auf. Ich zählte bis sieben, bevor er nach einem letzten, verzweifelten Platscher versank. Aus einem mir unerfindlichen Grund war ich stolz auf mich.

In der Ferne sah ich ein Mädchen in einem weißen Kleid, das unbekümmert herumtollte und durch die am Strand auflaufenden Wellen tapste. Sie kniete nieder, spritzte das Wasser mit beiden Händen hoch über den Kopf und versuchte lachend, den fallenden Tropfen auszuweichen. Die Kleine war eins mit der Natur, gehörte dem Meer und dem Himmel. Sie ahnte nichts von den Widrigkeiten, in denen man sein Leben einzementierte. Sie lebte den Augenblick. Sie war frei.

Einige Tage später, ich hatte das kleine, verwunschene Häuschen meiner Freundin gefunden, sie lebte in einem von Palmen gesäumten Paradies nahe am Wasser, vernahm ich eine glockenhelle Stimme, die sich schnell näherte. „Mama, Mama.“ Es war die Kleine vom Strand. Sie hatte wieder das weiße Kleid an. Aber die junge Lady, die jetzt vor mir stand, war schon längst kein kleines Mädchen mehr. Ich schätzte sie auf Mitte zwanzig. Sie hatte den Körper einer erwachsenen Frau. Graziöse Beine, eine schlanke Taille und die dunklen Augen ihrer Mutter. Die Haare waren lang und schwarz und ein klein wenig gewellt. Das Gesicht war ebenmäßig und hatte eine goldene Bräune.

Neugierig betrachtete ich dieses sanfte Gesicht mit den großen Augen, die mich ohne Argwohn anstrahlten. Es waren leere Augen. Augen, die nur Fragen stellen, aber niemals Antworten geben konnten. Fragen waren unschuldig, Antworten waren es nicht. Mary war unschuldig. Ihr Bewusstsein hatte die Kindheit nie verlassen. Sie würde bis zu ihrem Tod ein kleines Mädchen bleiben.

Stolz präsentierte sie die am Strand gesammelten Muscheln. Sie lächelte mich an, wie sie alles im Leben anlächelte. Dann hüpfte sie zwischen die Blumen, kauerte nieder und lauschte neugierig den Vögeln, deren Sprache sie zu sprechen schien. Sie verschmolz mit dem kleinen Garten, wurde ein Teil von ihm. Wie ein Schmetterling, der von Blume zu Blume flatterte und ihnen eine Seele einhauchte. Eine tiefe Liebe umspielte das Gesicht meiner Freundin, als sie ihre Tochter in so inniger Umarmung mit der Natur sah.

Ich schwankte und verlor fast die Kontrolle über meinen Körper. Verwundert sah sie mich an. „Alles in Ordnung?“ Ich nickte nur. Aber ich fühlte mich seltsam schwach, als wenn mich eine unsichtbare Kraft zu Boden ziehen wollte. Es waren ihre Augen, Marys unschuldige Augen. In ihnen hatte ich etwas entdeckt, das ich vor langer Zeit verloren glaubte. Damals erschien es mir wertlos.

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Auch Killer müssen sterben

Fluchend drückte Henri das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Mit quietschenden Reifen jagte er den nachtschwarzen Citroen in die enge Kurve. Der hochwirbelnde Staub legte sich wie ein schmutziges Laken über den glänzenden Asphalt.

Er hatte von den Bossen den Auftrag erhalten, sich um den Alten zu `kümmern´. Selbst jetzt noch hatten sie Angst vor ihm. Diese Angst sollte er ihnen nehmen, für immer. Und doch, irgendwie mochte er den Alten, war während seiner Regentschaft ein harter Hund, aber die Jungs waren ihm treu ergeben. Henri quetschte den schweren Wagen in die einzige freie Parklücke und zwängte sich heraus. Ungeduldig folgte er dem penibel angelegten Kiesweg, der sich, vorbei an blühenden Akazien, durch das satte Grün eines gepflegten Rasens schlängelte. Vor der Glastür, die breit genug war, auch Rollstühlen keine unüberwindbaren Hindernisse zu bereiten, blieb er kurz stehen, holte tief Luft und stieß sie dann entschlossen auf. Er hasste Krankenhäuser, sie ließen ihn seine Verwundbarkeit spüren. Zielstrebig durchquerte er die sterile, trotz zahlreicher Pflanzen ergebnislos verfremdete Eingangshalle und eilte auf den Empfang zu. „Piere Melvin, wo finde ich ihn“, blaffte er die hübsche Tunesierin an, die sich gelangweilt durch ein Journal blätterte und ihn jetzt mit großen Augen anstarrte. „Zwei Anfragen in fünf Minuten, hätte nicht für möglich gehalten, dass den mal jemand besuchen kommt“ murmelte sie erstaunt. „Vierte Etage, Raum 18, und Sie sind heute schon der Dritte, der sich nach Melvin erkundigt.“ Henri runzelte verärgert die Stirn. Sein Blick streifte ihre Brüste, die so gar nicht zu dem schlanken Körper passen wollten. „Man hatte uns versichert, dass er hier seine Ruhe vor Besuchern hätte.“ Seine Augen wanderten den Hals hinauf und blieben an den blutrot geschminkten Lippen hängen.

„Wenden Sie sich doch an die Stationsschwester“, fauchte sie ihn bitter an. Verärgert wandte er sich ab und lief zum Treppenhaus, seine Geduld war zu begrenzt, um auf einen Fahrstuhl zu warten. Mit jeder Stufe wurden ihm die Beine schwerer. Aber es lag nicht an den Muskeln, die ihren Dienst aufzugeben drohten, es war die ganze Atmosphäre, die auf ihn lastete. Er blickte den Flur entlang und zählte die Türen: „16, 17, 18, da, die letzte Tür musste es sein.“ Er beschleunigte seine Schritte.

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