Loe raamatut: «Seewölfe Paket 15», lehekülg 15

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Die Männer lachten.

Hasard sagte: „Das erzähle ich, wenn wir drinnen sind, sonst muß ich ja alles zweimal sagen.“

So betraten sie gemeinsam die „Bloody Mary“, die schon seit vielen Jahren ihr Treffpunkt war, wenn sie sich in Plymouth aufhielten – sehr zum Leidwesen Nathaniel Plymsons, der einige berechtigte Gründe dafür aufzählen konnte, warum er vor den Seewölfen zitterte, wenn er sie nur auf die Distanz von hundert Yards erblickte.

Die „Bloody Mary“ stand an der Ecke Milbay Road und St. Mary Street. Sie war das Erbe des Großvaters von Nathaniel Plymson, das sein mißratener Enkel wie seinen Augapfel hütete. Dabei scherte es den dikken Plymson einen Dreck, was die Bürger von Plymouth von ihm und seiner Kneipe hielten. Daß sie eine Lasterhöhle war, in der die Seeleute ihren letzten Copper versoffen, wußte er selbst. Und daß es hier nicht immer mit rechten Dingen zuging, war auch jedem klar.

Für Plymson war sie nichts anderes als eine ergiebige Goldgrube. Hinzu gesellte sich noch der Judaslohn für gepreßte Seeleute, den der Wirt sich nebenbei verdiente. Die Fahrensmänner, die ihm zum Opfer fielen, waren längst hinter der Kimm verschwunden, wenn sie aus ihrem Katzenjammer erwachten und sich an Bord eines fremden Schiffes wiederfanden. Die meisten von ihnen wußten nicht einmal, wie ihnen geschehen war, und segelten dann einem ungewissen Schicksal entgegen.

Hasard öffnete die Tür und trat als erster ein.

In der Schenke herrschte das übliche Halbdunkel, gegen das die wenigen Öllampen nicht anzukämpfen vermochten. Der rötlich-dämmrige Schimmer fiel auf die Platten der Tische und hölzernen Bänke und beleuchtete auch die Theke, hinter der Plymson einem fetten Frosch gleich mit unstetem Blick wartete.

Neu gekalkt war der Raum jetzt und auch sonst hatte sich einiges verändert, seit die letzte Schlägerei stattgefunden hatte. Aber der armlange Stör hing nach wie vor am alten Platz und hatte das Maul weit aufgerissen. Er war allerdings nicht mehr ganz so verstaubt wie sonst, wahrscheinlich hatte der Dicke ihn in einem Anfall von Reinlichkeitswut gesäubert. Als Dan O’Flynn als letzter die Tür hinter sich schloß, geriet das ausgestopfte Tier lebhaft in Bewegung. Es hatte den Anschein, als wolle es schleunigst davonschwimmen, um bevorstehendem Verdruß zu entfliehen.

Hasard begrüßte seine Männer mit einer Handbewegung. Ja, sie waren wirklich vollzählig versammelt: Blacky, Batuti, der Kutscher, Pete Ballie, Gary Andrews, Matt Davies, Al Conroy, Jeff Bowie, Sam Roskill, Bob Grey, Luke Morgan, Will Thorne, Stenmark, Bill, Paddy Rogers, Mac Pellew und die Zwillinge.

Arwenack, der Schimpanse, hockte auf einer Tischplatte und schoß immer wieder angriffslustige Blicke auf Plymson ab, der dies seinerseits mit Blicken quittierte, aus denen klar hervorging, daß er dem Affenvieh am liebsten gleich den Hals umgedreht hätte.

Sofort umringten alle den Seewolf und wollten von ihm wissen, was sich ereignet hätte. Philip und Hasard junior, die Zwillinge, schnitten besorgte Mienen, als sie sahen, in welch lädiertem Zustand sich ihr Vater und die sieben anderen befanden.

Beschwichtigend hob der Seewolf beide Hände. „Langsam, langsam, wir sind ja noch voll manövrierfähig.“

„Auch seetüchtig?“ wollte Mac Pellew wissen.

„Auch das. Setzt euch jetzt erst mal wieder hin. Laßt uns ein Bier trinken, wir haben alle tüchtig Durst, wie ich annehme.“

Diese Bemerkung wurde mit Beifall aufgenommen, und so nahmen die Männer Platz, und auch die beiden Jungen ließen sich bei Arwenack an dem einen Tisch nieder. Plymson mußte Bier einschenken und die Humpen herantragen.

Bei Hasard blieb er stehen und versuchte, ein Lächeln auf seine Züge zu zaubern, was ihm jedoch mißlang. Es wurde nur eine schiefe, freudlose Grimasse daraus.

„Mister Killigrew“, sagte er, „Sir, ich hätte da eine Bitte.“ Sein Blick huschte über die Gesichter der über zwei Dutzend Gäste, und auch dies war nicht dazu angetan, seine momentane Stimmung zu heben. Im Gegenteil, ihm war hundeelend zumute.

Der Seewolf lehnte sich zurück, bis sein Rücken die Wand berührte. Aufmerksam betrachtete er den dikken Mann.

„Nun mal nicht so förmlich, Plymmie“, sagte er. „Das ist doch sonst nicht deine Art. Wo drückt dich der Schuh?“

„Das wissen Sie ganz genau“, murmelte Plymson.

Hasard schüttelte den Kopf. „Nein, keine Ahnung. Wenn du auf deine Einrichtung anspielst – die bleibt natürlich heil. Wir haben dir in der letzten Zeit höchstens mal einen Stuhl umgeworfen, mehr aber auch nicht.“

„Aber das …“

„Das ist die volle Wahrheit“, fiel Ben dem Dicken ins Wort. „Du tust ja gerade so, als wären wir die schlimmsten Radaubrüder. Hör mal zu, Plymmie, wir könnten das leicht als Beleidigung auffassen, dabei hatten wir heute abend eigentlich vor, uns hübsch friedlich zu verhalten. Wir haben nämlich was zu besprechen, verstehst du?“

„Ja“, beeilte sich Plymson zu sagen. „Und selbstverständlich wollte ich euch nicht, äh – zu nahe treten. Will nichts gesagt haben.“

„Und deine Bitte?“ fragte der Seewolf.

Nathaniel Plymson verschlang seine Finger ineinander, er sah urkomisch aus. „Ich flehe euch an, schlagt mir nicht die Sachen kaputt. Es hat mich ein Heidengeld gekostet, die letzten Schäden wieder instand zu setzen, und keiner ersetzt mir hier was, wenn der Laden in die Brüche geht.“

„Jetzt fängt der Kerl schon wieder an“, sagte Blacky erbost und hieb mit der Faust auf den Tisch, daß die Humpen ins Wackeln gerieten.

Plymson zuckte unwillkürlich zusammen.

„Er will uns herausfordern!“ rief Matt Davies. Dabei hob er bedeutungsvoll seine scharfgeschliffene Eisenprothese. Jeff Bowie, der auch solch eine Hakenhand hatte, folgte mit bösem Grinsen diesem Beispiel.

„Plymson, mit dir stimmt heute abend was nicht“, sagte drohend Ed Carberry. „Ich seh’s dir an. Weiß der Henker, was du im Schilde führst, aber irgendwas ist hier faul, alter Freund. Richtig? Was? Wie?“

Plymson verschwand wieselflink hinter seiner Theke, es war erstaunlich, wie schnell er sich trotz seiner Körpermassen bewegen konnte. Nach allem Dafürhalten war es besser, wenn er nichts mehr sagte, es kam ja doch nichts dabei heraus.

Die Zwillinge hielten sich die Hand vor den Mund und prusteten, und auch die Männer konnten sich ihr Lachen kaum verkneifen. Mit Plymson hatten sie schon immer viel Spaß gehabt, so oder so. Es war gewissermaßen eine Tradition geworden, bei ihm einzukehren und für Krawall zu sorgen.

Besonders amüsant fanden Paddy Rogers, Jack Finnegan und Roger Brighton dieses Geplänkel, denn sie waren ja neu in der Crew. Mac Pellew rieb sich die Hände und grinste. Gewöhnlich trug er eine griesgrämige Miene zur Schau, aber seit Hasard ihn aus dem Kerker losgekauft hatte, konnte er sich über geringe Kleinigkeiten freuen wie ein Kind.

Der Profos sah immer noch derart aufgebracht zu Plymson hinüber, daß dieser sich wünschte, lieber zu zerschmelzen oder sich in einem der zahlreichen Löcher zu verkriechen, die seinen Untermietern, den Mäusen, als Türen dienten.

„Teufel auch“, brummte Carberry. „Ich werde den Verdacht nicht los, daß der Hund irgendwas gegen uns vorhat. Ob er vielleicht sogar die Bastarde geschickt hat, die uns die Birnen weichklopfen wollten? He, Shane, was hältst du davon?“

„Nicht viel“, erwiderte der ehemalige Schmied von Arwenack. „Er weiß doch, wie so was für ihn enden würde.“

„Der wird nie gescheit“, sagte Ferris Tucker und pflichtete somit den Worten Carberrys bei. „Er ist nur gerissen, aber nicht klug. Und für Geld würde er seinen eigenen Großvater umbringen, falls der noch lebte.“

„Übrigens“, sagte Smoky. „Was ist euch denn nun eigentlich zugestoßen? Spannt uns nicht so auf die Folter.“

Hasard nahm noch einen Schluck von seinem Bier, dann berichtete er. Die Männer steckten die Köpfe zusammen und debattierten über den Vorfall, es wurden die abenteuerlichsten Theorien über die Sache aufgestellt.

Plymson beobachtete die Seewölfe, rang wieder die Hände und fragte sich, warum er solch ein Esel war und die Kneipe für die Zeit, in der sie sich in Plymouth aufhielten, nicht geschlossen hatte. Früher oder später gab es nämlich doch wieder Ärger, das ahnte er nicht nur, das wußte er ganz genau.

Immer wenn diese Männer in der „Bloody Mary“ auftauchten, war der Teufel los. Sie hatten ihm schon oft genug versichert, sie würden sich so zahm wie Mönche benehmen, aber nie war davon etwas wahr gewesen. Vor seinem geistigen Auge liefen wieder deutlich die Szenen ab – da flogen Bänke, Stühle und Tische durch die Gewölbe, Männer segelten über den Boden, und der Profos wischte mit ihm selbst, mit Nathaniel Plymson, den Boden auf.

Einmal hatten diese Kerle ihn sogar mit portugiesischem Rotwein eingeschläfert, da hatte er so tief und fest geschlafen, daß nicht mal der grobe Johann, sein Gehilfe, ihn wieder hatte aufwecken können. Zu jeder Schandtat waren diese Seewölfe fähig. Was würden sie dieses Mal aushecken?

Plymson wurde immer nervöser, seine Finger fanden keine Ruhe. Für einen Augenblick gelangte er zu der Erkenntnis, daß es wohl doch besser gewesen wäre, wenn er ein redliches Dasein geführt hätte – dann hätten sie nie einen Pik auf ihn bekommen.

Aber die Dinge ließen sich nicht mehr ändern, und man mußte das Leben nehmen, wie es war. Seufzend blickte er zur Tür, die sich gerade in diesem Moment wieder öffnete, und sofort beschäftigten sich seine Gedanken damit, wie er die neuen Gäste wohl am besten begaunern konnte. Er war eben unverbesserlich.

Die Gäste entpuppten sich als eine Gruppe von zehn Männern, die schon am Vorabend bei ihm gewesen waren. Es waren harte Kerle von einem der Küstensegler, der im Hafen lag. Sie waren offensichtlich noch jetzt von dem Rotwein angetan, den er ihnen verkauft hatte. Das las er ihren Mienen ab.

„Der Wein, den wir gestern abend mit aufs Schiff genommen haben“, sagte ihr Anführer, ein Mann mit dichtem blondem Bart und buschigen Augenbrauen, der wohl der Bootsmann war, zur Begrüßung, „der war wirklich beste Klasse. Ausgezeichnet, Plymson. Gib uns noch was von dem Zeug.“

Plymsons Gesicht verwandelte sich in eine Grimasse des Wohlwollens.

„Aber gern doch“, sagte er ölig. „Sofort, Gentlemen.“ Schon trat er ans Faß und ließ den Krug vollaufen. Er hatte die Kerle mit gutem Wein geködert, jetzt aber würde er ihnen das gepanschte Zeug zu trinken geben und ihnen obendrein noch ein Fäßchen zu einem horrenden Preis verkaufen. Jetzt war er wieder in seinem Element, und er vergaß für kurze Zeit die Seewölfe, die immer noch über den Vorfall am Kai diskutierten.

Doch das war nur die Ruhe vor dem Sturm.

3.

„Das ist wirklich ein dicker Hund“, sagte der Kutscher. „Hört denn das nie auf? Nicht mal in Plymouth ist man seines Lebens sicher. Wir hätten die ‚Pride of Galway‘ doch nicht ganz ohne Bewachung lassen sollen.“

Der Seewolf sah seinen Koch und Feldscher an. „Jetzt, nachdem wir den Schatz der Spanier von Bord geschafft und versteckt haben, kann doch nicht mehr viel passieren. Sollen die Schnapphähne und Hurensöhne den Kahn ruhig klauen, mir ist es egal. Wir können auch an Land übernachten.“ Er grinste spitzbübisch. „Vielleicht sogar hier, in der ‚Bloody Mary‘.“

„Mit anderen Worten – wir geben die ‚Pride‘ auf?“ fragte Gary Andrews überrascht.

„Wer immer sie entwendet, wird damit sein blaues Wunder erleben“, erwiderte Hasard. „Ihr wißt doch, was uns bei der Überfahrt von Irland hierher passiert ist. Das Schiff ist so bekannt wie ein bunter Hund, und der erste englische Segler, der seinen Kurs kreuzt, schießt es garantiert zusammen.“

„Aber was ist, wenn der Gegner sich an Bord schleicht und auf uns wartet?“ erkundigte sich Matt Davies. „Angenommen, wir kehren auf die ‚Pride‘ zurück und werden dort überfallen – wäre das nicht eine Schande für uns?“

„Eine Schande wäre es, wenn wir den Unrat nicht rechtzeitig genug wittern würden“, widersprach der Seewolf. „Stimmt’s, Donegal?“

„Ganz recht, Sir“, sagte der alte O’Flynn. „Aber wir riechen schon, was los ist, keine Angst. Ich hab das richtige Gespür für alles.“

„Freunde“, sagte Carberry mit finsterer Miene. „Ich werde den Verdacht nicht los, verdammt noch mal. Nein, das will mir nicht aus dem Kopf.“

„Was denn nicht, Ed?“ fragte Dan O’Flynn scheinheilig. „Sollte es sich wirklich mal um einen Geistesblitz handeln?“

„Vorsicht, Mister O’Flynn“, sagte der Profos. „Du spielst mit dem Feuer. Ich hab das nicht so gern, daß du mich schief anredest.“

„Das würde ich nie tun“, erklärte Dan gelassen.

Carberry wollte aufbrausen und holte bereits tief Luft. Shane griff jedoch ein. Er blickte zu Dan und sagte: „Dan, halt mal für einen Augenblick die Futterluke. Ich glaube, Ed hat wirklich was Wichtiges vorzutragen.“

„Vorzutragen ist der richtige Ausdruck“, brummte der Narbenmann. Er deutete zu Plymson, der gerade intensiv damit beschäftigt war, seinen zehn Thekengästen den gepanschten Wein anzudrehen. „Plymson steckt hinter dem ganzen Kram. Er hat Wind davon gekriegt, daß auf der ‚Pride‘ ein Schatz ist, oder aber er will die Baupläne der ‚Isabella‘ haben. Vielleicht denkt er auch, wir hätten mit der ‚Hornet‘ im Auftrag der Königin was Bedeutungsvolles vor, das er unbedingt herauskriegen muß. Oder er arbeitet für Bromley und Burton oder für den alten Killigrew, diesen Lausebart – egal, wie, er steckt mit in der Sache drin und hat uns wahrscheinlich diese sechs Halunken auf den Hals gehetzt.“ Er hielt inne. Es war eine lange Rede gewesen, und er mußte seine trockene Kehle unbedingt benetzen. Er trank seinen Humpen Bier in einem Zug aus.

„Da ist was dran“, sagte nun auch Ferris Tucker. „Los, auf was warten wir? Fragen wir Plymmie doch direkt. Der muß es ausspucken, was er weiß, sonst gibt es Zunder.“

„Augenblick“, sagte der Seewolf. „Noch ist nicht bewiesen, daß er etwas damit zu tun hat.“

„Eben, er soll es uns ja verraten“, sagte der rothaarige Riese mit umwerfender Logik. „Aber ich wette, er hat seine schmutzigen Pfoten in der Schweinerei mit drin.“

Smoky erhob sich. „Gehen wir zu ihm. Keine Sorge, Sir, wir fragen ihn ganz freundlich und ruhig. Nicht wahr, Ed?“

„Das steht fest. Wir sind ganz harmlose Kirchgänger.“ Der Profos stand, nachdem er diese Worte gesprochen hatte, ebenfalls auf.

Ferris, Batuti, Finnegan, Rogers und die beiden O’Flynns schlossen sich an, und so marschierten nun acht Männer auf die Theke zu, während Hasard und der Rest der Crew an den Tischen sitzenblieben und gespannt verfolgten, was weiter geschah.

Auszuschließen war wirklich nicht, daß Plymson der Anstifter des heimtükkischen Überfalls war, dem die Seewölfe nur durch ihre Geistesgegenwart hatten begegnen können. Er war bekanntlich zu jeder Gemeinheit fähig, und vielleicht hatte er sich gedacht, daß dies einmal eine günstige Gelegenheit sei, um mit seinen Erzfeinden aufzuräumen oder ihnen zumindest einen ordentlichen Denkzettel zu verpassen.

Carberry stützte den Ellenbogen auf der Theke auf. Plymson schien auf seinem Platz zusammenschrumpfen zu wollen. Sein Gesicht nahm von einem Moment zum anderen die Farbe alten Talges an, und der Schweiß lief ihm in Strömen über die Stirn und die Wangen.

„Kennst du einen Kerl namens Reeves?“ fragte Carberry mit honigsüßer Stimme.

Plymson schüttelte den Kopf, so heftig, daß seine Perücke ins Rutschen geriet. Er war zu aufgeregt, um etwas sagen zu können. Er kannte wirklich keinen Reeves, und er hatte diesmal tatsächlich nichts mit dem Vorfall zu tun, doch es sollte ihm nicht gelingen, dies glaubhaft darzustellen. Wie hieß es doch? Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht …

„He, Nathaniel“, sagte der blondbärtige Bootsmann. „Was ficht dich denn an? Du bist ja ganz blaß. Und schwitzen tust du auch.“

„Der weiß schon, warum er ein schlechtes Gewissen hat“, sagte der Profos mit etwas lauterer Stimme. „Hallo, Plymmie, wenn Reeves nicht zu deinen Freunden gehört, wie wäre es dann mit Hoback? Na? Ray Hoback. Sagt dir der Name was?“

Wieder verneinte Plymson, und dieses Mal mußte er seine Perücke festhalten, sonst wäre sie ihm glatt vom Kopf gerutscht.

„Er treibt’s auf die Spitze“, sagte Ferris Tucker. „Ich begreife einfach nicht, warum er so störrisch ist.“

„Er ist wie ein Maultier“, bemerkte Dan. „Die bocken auch immer dann, wenn’s am wenigsten angebracht ist.“

„Ganz schlechte Sache, Plymmie“, brummte Batuti und rollte dabei mit seinen großen Augen, daß das Weiße zu sehen war. Seine Hand schoß vor, Plymson zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Batuti packte aber den Stör und hielt ihn fest, dann grinste er. „Alles verschalken, hier. Manntaue spannen. Gleich geht großes Taifun los.“

„B-bitte nicht“, stammelte Plymson. „Macht nichts kaputt. Laßt die Sachen heil.“

„Er wiederholt sich“, meinte Smoky. „Das hängt mit dem zunehmenden Alter zusammen. Ich will sagen, man wird vergeßlich, versteht ihr?“

„Ja“, sagte der alte O’Flynn ernst. „So geht’s mir manchmal auch, aber ich weiß trotzdem noch, wo meine Grenzen sind und so. Wenn’s um mein Leben geht, würde ich ganz schnell mit der Wahrheit rausrükken.“

„Spuck’s aus, Plymmie“, sagte Carberry.

„O Gott“, jammerte der Dicke. „O Gottogottogott.“

Jack Finnegan blickte zu Dan und fragte: „Ist er ein frommer Mensch?“

„Nie gewesen“, erwiderte Dan. „Und er wird’s auch auf seine alten Tage nicht mehr, verlaß dich drauf. Er gaukelt uns bloß was vor.“

Plymson versuchte zurückzuweichen, doch Carberry packte blitzschnell zu und hielt ihn an seinem nicht mehr ganz weißen Hemd fest.

„Hiergeblieben!“ Jetzt brüllte der Profos bereits, daß der Stör und die Lampen wackelten. „Was ist das für eine Sauerei, du Saftarsch? Hast du uns die Dreckskerle hinterhergescheucht, was, wie? Rede, du Speckmolch, oder ich ziehe dir die Haut in Streifen von deinem verwanzten …“

Er konnte seinen Lieblingsspruch jedoch nicht zu Ende bringen, denn jetzt trat der blondbärtige Bootsmann auf ihn zu und versuchte, ihn von Plymson zu trennen. Auch die neun anderen Thekengäste nahmen feindselige Haltungen ein.

„Nun mal langsam“, sagte der Blondbart mit ebenso lauter und unheilverkündender Stimme wie der Profos. „Was hat unser Freund Nathaniel euch getan? Was wollt ihr von ihm? Laßt ihn gefälligst in Ruhe. Er ist ein rechtschaffener Mann.“

„Einer, der obendrein noch guten Wein ausschenkt, was?“ sagte Dan belustigt.

Der Blondbart warf ihm einen raschen Seitenblick zu. „Ja. Wieso?“

„Weil er euch bescheißen will“, erklärte Ferris Tucker seelenruhig. „Der Wein ist gepanscht. Morgen früh habt ihr alle eine dicke Rübe – wenn ihr Glück habt. Wenn ihr Pech habt, kotzt ihr euch die Seele aus dem Leib. Kapiert?“

„Nein“, erwiderte Smoky anstelle des Blonden. „Es ist ihm noch keine Hecklaterne aufgegangen, aber das kommt vielleicht noch.“

Dan deutete auf den Weinkrug. „Da ist mehr Asche und Ochsenblut drin als Wein. Ein ganz übles Zeug. Man muß aufpassen, aus welchem Faß Plymmie einem das Zeug einschenkt.“

Vier von den zehn Küstenseglern stießen jetzt leise Pfiffe aus, ihre Mienen änderten sich, sie schienen zu begreifen. Aber der blondbärtige Bootsmann wollte nichts begreifen, er hielt Plymson immer noch für seinen Freund und Carberry für einen üblen Radaubruder.

„Laß den Wirt los“, sagte er.

„Einen Dreck werde ich tun“, sagte der Profos grob. „Kümmre dich um deinen eigenen Mist, die Sache geht dich nichts an.“

„Ed“, sagte der Seewolf warnend, dann stand er auf, und mit ihm erhoben sich die anderen Arwenacks, doch es war bereits zu spät.

„Erbarmen“, stöhnte Nathaniel Plymson zwar noch, doch auch das nutzte nichts mehr, der Taifun brach nun wirklich los, wie Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, eben prophezeit hatte.

Der Blondbart schubste Carberry vom Plymson weg, und für einen Moment war der Narbenmann so verdutzt, daß er den Dicken tatsächlich losließ. Plymson tauchte weg und hielt seine Perücke mit beiden Händen fest, das war vorläufig das klügste, was er tun konnte.

„Ha“, sagte Carberry jetzt.

„Geht’s los?“ fragte Ferris Tucker.

„Ja, es geht los“, entgegnete Smoky.

Der Bootsmann von dem Küstensegler glaubte, mit Carberry leichtes Spiel zu haben und wollte ihm eine Lektion erteilen. Schon hob er seine Faust, grinste und rückte erneut dicht auf den Profos zu, dann aber wurde sein Vormarsch abrupt gebremst.

Etwas hob ihn hoch und schleuderte ihn über die Theke. Er knallte gegen die Fässer, räumte mit seinem Körper ein Regal voller Flaschen und Humpen, Becher und Pints leer, landete ächzend neben Nathaniel Plymson und stellte erst jetzt fest, daß es sich bei der unheimlichen Kraft um Carberrys starke Arme gehandelt hatte.

Die neun anderen Fahrensmänner brüllten vor Wut auf. Auch die vier, die schon geneigt gewesen waren, der Sache mit der Weinpanscherei Glauben zu schenken, leisteten ihrem Wortführer jetzt volle Unterstützung. Die ganze Meute stürmte auf den Profos los, dieser antwortete mit ein paar gesalzenen Ohrfeigen und Boxhieben auf die Attacke, dann griffen auch die anderen Arwenacks und der Seewolf mit ein – und im Nu war das wildeste Handgemenge entbrannt.

„Ich hab’s ja gewußt“, stöhnte Plymson und wollte den blondbärtigen Bootsmann aufhalten, der inzwischen aus seiner kurzen Ohnmacht aufgewacht war und Anstalten traf, sich wieder aufzurappeln.

Mit einem Fluch drehte der Mann sich zu ihm um.

„Loslassen!“ fuhr er den Dicken an. „Was fällt dir ein, mich zu behindern?“

„Haut meine schöne Kneipe nicht kaputt“, jammerte Plymson.

Der Blonde beugte sich zu ihm hinunter. „Sag mal, ist der Wein nun gepanscht oder nicht?“

„Er ist so rein wie eine Jungfrau“, beteuerte Plymson.

„Das prüfen wir noch“, sagte der Blonde und stieß ihn weg.

Sodann jumpte er über den Tresen und mischte sich unter die Kämpfenden. Aber wieder kriegte ihn der Profos zu fassen, und plötzlich stellte er zu seinem hellen Erstaunen fest, daß er auf dem Bauch lag und quer durch die „Bloody Mary“ schlitterte. Erst die widerspenstigen Beine eines Tisches beendeten seine Fahrt, er verfing sich darin und hatte seine liebe Mühe, sich wieder zu befreien.

Die anderen droschen wie die Besessenen aufeinander ein. Die einen, weil sie nicht begreifen konnten, wie man so dreist für einen Plymson Partei ergreifen konnte, die anderen, weil sie es diesen „Bastarden“ und „Himmelhunden“ einmal kräftig zeigen wollten, und überhaupt, weil sie die erlittene Schmach nicht auf sich sitzenlassen wollten.

Sie brüllten und fluchten, Stühle und Tische flogen, es polterte und krachte, und jedesmal, wenn etwas zu Bruch ging, verzog Nathaniel Plymson in seiner Deckung das Gesicht und kniff die Augen zu, als leide er unsagbare Schmerzen.

Plötzlich flog die Kneipentür auf, und weitere acht Mann stürmten herein – der Nachschub der Küstensegler, wie sich gleich herausstellen sollte.

Einer von ihnen, ein Kerl mit einer speckigen Mütze, sah den Blondbärtigen am Boden liegen und schrie: „Burt, was geht hier vor?“

„Sie machen uns die Hölle heiß!“ rief Burt in völlig richtiger Einschätzung der Lage, dann sprang er endlich wieder auf. „Sie wollen uns vermöbeln!“

Nun griffen auch die acht anderen mit in die Schlacht ein. Das Gleichgewicht zwischen beiden Parteien war fast hergestellt. Wild brandete der Kampf hin und her und wollte kein Ende nehmen. Arwenack, der Schimpanse, hatte seinen Sitzplatz auf dem Tisch verlassen und sprang zwischen den Beinen der wütenden Männer herum. Er wollte den einen schon packen und tüchtig in seine Wade beißen, aber im letzten Moment stellte er dann doch fest, daß er sich den falschen Mann ausgesucht hatte – es war Mac Pellew.

„Hau ab, du Affe!“ brüllte Mac Pellew, und prompt zog sich Arwenack kekkernd in die eine Raumecke zurück.

Sir John flatterte schimpfend über den Köpfen der Männer, geriet in die Nähe einer schwankenden Öllampe und versengte sich um ein Haar den linken Flügel. Er kreischte, wich aus und gesellte sich zu Arwenack, mit dem er im Gefecht ja immer dick Freund zu sein pflegte.

Der Stör fiel auf die Theke, die Theke wackelte, und dann krachte auch eine der Lampen zu Boden. Beinah hätte die „Bloody Mary“ Feuer gefangen, doch der Kutscher hatte die Geistesgegenwart, die bereits um sich greifenden Flammen auszutreten.

Es war jetzt noch etwas dunkler in dem Gewölbe, und die Gestalten der Männer hatten etwas Gespenstisches an sich. Plymson glaubte, der Tag des Jüngsten Gerichts sei angebrochen, und flehte den lieben Gott, den Teufel und sämtliche Schutzheiligen, die er kannte, abwechselnd um ihren Beistand an. Doch es tat sich nichts, das den Fortgang des Unheils aufhielt.

Hasard, Carberry und Ferris Tukker waren im Eifer der Auseinandersetzung immer mehr in die Nähe der Tür geraten. Jetzt entledigte sich der Seewolf durch einen gezielten Faustschlag eines der beiden Gegner, die ihm am Hals hingen und ihn zu Boden reißen wollten. Der Kerl flog im hohen Bogen zur Tür hinaus, landete auf den Katzenköpfen und überschlug sich. Hasard wollte auch den anderen Kerl abwerfen, aber jetzt war Burt heran und trat ihm mit voller Wucht ins Kreuz, so daß Hasard samt seinem Gegner ebenfalls ins Freie stolperte.

Hier fielen sie hin und überrollten sich, hieben wieder aufeinander ein und lösten sich dann voneinander. Hasard nutzte die Chance und sprang auf, aber auch seine Gegner waren jetzt flink wieder auf den Beinen.

Carberry taumelte zur Tür heraus, fluchte und fuhr zu Burt herum, der ihm in den Allerwertesten getreten hatte. Burt folgte ihm. Ferris Tucker erschien ebenfalls auf der Bildfläche, und immer mehr Männer verließen jetzt die Kneipe, um den Kampf draußen fortzusetzen.

Plymson, der einen Blick über die Theke riskierte, atmete auf und murmelte: „Weiter so, nur weiter so, ihr Hundesöhne. Tobt euch an der frischen Luft aus und ersauft von mir aus im Hafenwasser. Ihr habt’s verdient, alle Mann!“

Žanrid ja sildid
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