Reiseskizzen aus Deutschland

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Reiseskizzen aus Deutschland
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Carola Jürchott

Reiseskizzen aus Deutschland

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Ein Park mit vielen Gärten

Sonnenbrand und nasse Füße

Reif für die Insel(n)

Märchenhaft-Tierisches in der Pfalz

Ein Wochenende – schön wie Himbeeren mit Schlagsahne

Drei Hasen und Hunderte von Quellen

Lichter der Großstadt

Wie viele Vergangenheiten hat eine Stadt?

Weihnachtsland mit Widersprüchen

Impressum neobooks

Ein Park mit vielen Gärten

Der Berliner Stadtbezirk Marzahn ist für viele auf den ersten Blick ein Synonym für die Plattenbauweise in der DDR der 1970er-Jahre und die ästhetisch eher misslungene Umsetzung gut gedachter Bauhaus-Konzepte. Inzwischen hat sich aber vieles verändert, und es gibt sogar eine Sehenswürdigkeit, die niemand mit Marzahn assoziieren würde, der noch nicht selbst dort gewesen ist. Entstanden ist sie seit dem Jahr 2000, wobei die Zeitform des Perfekts an dieser Stelle gänzlich unangebracht ist, da sich der besagte Ort ständig weiterentwickelt und man jedes Mal wieder etwas Neues entdecken kann. Führt einen der Begriff „Erholungspark Marzahn“ (der übrigens schon 1987 zur 750-Jahr-Feier Berlins angelegt wurde) zunächst vielleicht sogar in die Irre, wird durch die Bezeichnung „Gärten der Welt“ schon deutlicher, worum es eigentlich geht: Beginnend mit dem Chinesischen Garten, der im Oktober 2000 eingeweiht wurde, hat man die riesigen Freiflächen des Parks genutzt, um immer wieder neue Themengärten anzulegen: den chinesischen „Garten des wiedergewonnenen Mondes“ mit einer großen Konfuzius-Statue vor dem Eingang, den japanischen „Garten des zusammenfließenden Wassers“, den balinesischen „Garten der drei Harmonien“, der jedoch eher ein Tropenhaus ist, in dem man ganzjährig Orchideen bestaunen kann, den orientalischen „Garten der vier Ströme“, den koreanischen Seouler Garten, einen Hecken-Irrgarten nach englischem Vorbild, einen Staudengarten, den italienischen Renaissance-Garten und zu guter Letzt in diesem Jahr den Christlichen Garten, der einem alten Klostergarten nachempfunden ist. Außerdem gibt es noch ein Pflasterlabyrinth, das in Anlehnung an das Bodenlabyrinth der gotischen Kathedrale von Chartres konzipiert wurde.

Zwischen all den verschiedenen Gärten finden sich immer wieder Rasenflächen, kleinere Waldstücke und Blumenbeete, deren Zusammenstellung zwar eher zufällig wirkt, dennoch aber einer genauen Konzeption folgt – wie die gesamte landschaftsplanerische Gestaltung. Diese Verschnaufpausen kann man sehr gut dazu nutzen, um sich von einem Thema auf das andere umzustellen, denn die einzelnen Gärten sind glücklicherweise sehr verschieden. Hat man im Orientalischen Garten das Gefühl, jeden Moment müsse ein Sultan um die Ecke biegen und einen in der Nähe der Wasserspiele zum Tee einladen, kann man im Japanischen Garten wiederum die Ruhe genießen und sich ganz auf Fächerahorn und fein säuberlich zu Mustern geharkte Kiesflächen konzentrieren. Den erwähnten Tee kann man in den Gärten der Welt übrigens tatsächlich trinken, wenn auch nicht mit dem Sultan. Der Chinesische Garten, mit 2,7 Hektar der größte in Europa, verfügt über ein großes Teehaus, in dem man sich auf Vorbestellung in die Rituale einer chinesischen Teezeremonie einweihen lassen oder ganz spontan einfach einen der in der Karte angebotenen Tees trinken kann, die mit Zutaten wie etwa Chrysanthemenblüten ebenfalls schon recht ausgefallen sind. Auch thematische Feste werden in den Gärten der Welt abgehalten, wie etwa das Mondfest im Chinesischen Garten und um ihn herum, bei dem man Schauvorstellungen der Kampfkunst und den Tanz mit dem großen Drachen bewundern, chinesischen Kulturdarbietungen auf einer Freilichtbühne lauschen und chinesische Spezialitäten probieren kann. Sicher ist auch das eine Möglichkeit, den Stadtbezirk nach außen hin als so multikulturell zu präsentieren, wie er de facto seit vielen Jahren ist.

Ein Erlebnis der besonderen Art bietet der Christliche Garten, um dessen Bezeichnung es einige Diskussionen gab, weil nach dem Bau des Orientalischen Gartens, der ursprünglich Islamischer Garten heißen sollte, beschlossen wurde, keinen Garten nach einer Religion zu benennen. Dennoch hat man sich entschlossen, diesen Garten den anderen vier durch jeweilige Religionen geprägten sozusagen zur Seite zu stellen. So symbolisiert der Chinesische Garten den Taoismus, der Japanische den Buddhismus, der Orientalische, wie bereits erwähnt, den Islam und der Balinesische Garten unter anderem den Hinduismus. Der Christliche Garten jedoch ist im Gegensatz zu allen anderen genannten neben der Gartengestaltung auch noch ein Leseerlebnis. Allerdings braucht man dafür relativ viel Zeit. Der gesamte Wandelgang, der den ganzen Garten umgibt, besteht nämlich aus aneinander gereihten Buchstaben, die hintereinander gelesen Zitate ergeben – vom Alten Testament bis zur Neuzeit. Von „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ bis zu einer Strophe des Scorpions-Songs „Wind of Change“ ist hier alles vertreten, was für allgemein humanistische und christliche Werte steht. Da finden sich Luther und Bonhoeffer ebenso wie Johannes Paul II., Reiner Kunze und Goethe, Origenes, ein christlicher Theologe aus Alexandria, wie der französische Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal.

Ob man nun im Italienischen Garten zwischen säuberlich geschnittenen Rabatten wandelt, im Irrgarten sein Glück versucht, um zum Schluss mit einem Blick von dem dort befindlichen Aussichtsturm belohnt zu werden, oder sich in jedem der Gärten aufs Neue auf eine andere Kultur und damit auch Gartenkunst einlässt – ein Besuch dieses Parks lohnt sich in jedem Fall, und vielleicht wird er eines Tages dazu beitragen, das Image von Marzahn vom Plattenbaubezirk in den Bezirk mit dem tollen Park umzudeuten.

September 2011

Sonnenbrand und nasse Füße

Was fällt einer seelufthungrigen Landratte wie mir als Erstes ein, wenn sie an die Nordsee denkt? Ebbe und Flut. Und wobei ist der Wechsel der Gezeiten so unmittelbar zu erleben, wie man es sich auf dem Festland nur erträumen kann? Genau, bei einer Wattwanderung. Hier bietet sich die Möglichkeit, den Lebensraum zwischen dem Festland und den vorgelagerten Inseln zu erkunden, der in dieser Form auf der Welt einzigartig ist.

Um es gleich vorwegzuschicken: Auch wenn die beiden in der Überschrift genannten Ergebnisse derselben zunächst die Vermutung aufkommen lassen könnten, man möge von einem solchen Unterfangen lieber die Finger lassen, ist es meines Erachtens eine Erfahrung, die man sich keinesfalls entgehen lassen sollte. Das ist zumindest die einhellige Meinung unserer Familie, die wir es als Ostfriesland-Touristen auf uns genommen haben, an einem sonnigen Oktobermorgen in aller Frühe am Hafen von Neßmersiel zu Fuß zur Insel Baltrum aufzubrechen. Einige Ostfriesen, denen wir vorher und anschließend von unserem Vorhaben berichteten, erzählten uns, dass sie, obwohl sie schon seit Jahrzehnten in dieser Gegend leben, noch nie eine Wattwanderung mitgemacht haben und es wahrscheinlich auch in Zukunft nicht tun würden. Das Wasser sei viel zu unberechenbar, und man höre immer wieder von Leuten, die sich im Watt verirrt haben und das Land nicht mehr vor dem Eintreffen der Flut erreichen konnten. Der Vergleich „Nordsee – Mordsee“ kam uns zu Ohren, und auch während der Wanderung wurde darauf hingewiesen, dass sich derjenige, der versucht, das Watt auf eigene Faust zu durchqueren, ungeahnten Gefahren aussetzt. So gibt es beispielsweise zwischen den Inseln Baltrum und Norderney, die nur 700 Meter voneinander entfernt sind, eine 18 Meter tiefe Balje, wie die Priele in dieser Gegend genannt werden, also einen strömungsreichen Wasserlauf, der natürlich auch bei Ebbe keineswegs zu Fuß passierbar ist. Deshalb sind die Sorgen der hier Lebenden sicher nicht unbegründet, und ohne einen gut ausgebildeten Wattführer ist eine Wanderung tatsächlich lebensgefährlich.

Schließt man sich aber einer geführten Wanderung an, ist man einerseits auf der sicheren Seite, weil nur staatlich geprüfte Wattführer ihre Dienste anbieten dürfen, andererseits erfährt man dabei auch vieles über die Naturerscheinungen, die einem unterwegs begegnen. Angefangen von den Salzwiesen, die sich am Rande des Watts entwickelt haben und einen ganz eigenen Lebensraum mit darauf spezialisierten Pflanzen und nur hier heimischen Vögeln wie dem Rotschenkel aus der Familie der Schnepfenvögel bilden, bis hin zu den zumeist unsichtbaren Bewohnern des Wattenmeeres, das mehr als zu Recht Nationalpark und Weltnaturerbe ist. 2009 hat die UNESCO das Gebiet dazu erklärt, denn es erfüllt drei der vier möglichen Kriterien, um in diese Liste aufgenommen zu werden: die Kriterien für außergewöhnliche Beispiele im Bereich der Geologie, der Ökologie und der Biodiversität. Eines dieser Kriterien reicht aus, um zum Welterbe ernannt zu werden, und nun steht das Wattenmeer auf einer Stufe mit dem Grand Canyon und dem Great Barrier Reef.

 

In der Geologie ist das Besondere am Wattenmeer der ständige Wandel, dem diese natürliche Formation unterworfen ist – die unaufhaltsame Veränderung der Sandplatten, Dünen und Prielsysteme, die auch zu einer laufenden Verschiebung der Konturen der einzelnen Inseln führt.

Mit dem Kriterium der Ökologie ist die biologische Leistung des Wattenmeeres gemeint, die die des Regenwaldes um ein Vielfaches übersteigt. Der Nahrungsreichtum, der durch jede Flut wieder neu entsteht, führt dazu, dass hier zum Beispiel viele Zugvögel wie die Pfuhlschnepfe, der Alpenstrandläufer und andere auf ihrem Weg ins Sommer- oder Winterquartier rasten, die ohne diese Pause zum Erneuern der Fettreserven ihr Ziel gar nicht erreichen würden oder nicht in der Lage wären zu brüten und Junge aufzuziehen.

Die Biodiversität wird jeder sofort bestätigen können, der einmal an einer Wattwanderung teilgenommen hat. Auf vierhundert Kilometern Küstenlänge sind zehntausend Tier- und Pflanzenarten heimisch, unter ihnen viele endemische.

Am auffälligsten von diesen Tieren sind die Wattwürmer, wobei man ohne fachkundige Erklärungen zunächst Gefahr läuft, das Falsche dafür zu halten. Überall am Boden findet man kleine Häufchen mit gekringelter Struktur, die tatsächlich so aussehen, als hätten sich dort Würmer umeinander gewunden. Versucht man jedoch einen der vermeintlichen Würmer aufzuheben, stellt man fest, dass das alles nichts als feuchter Sand ist. Später erfuhren wir, dass diese Häufchen nur die Exkremente der Wattwürmer sind, die sich selbst in einer U-förmigen Höhle im Boden eingraben.

In puncto Eingraben sind die Würmer bei Weitem nicht die Einzigen, die den Wattboden auf diese Weise nutzen. Auch Herzmuscheln ziehen es vor, unterhalb der Oberfläche zu leben, wobei sie sich mit einem Fuß in der Erde festhalten, damit sie nicht vom Wasser weggespült werden, und durch einen trichterförmigen Siphon ihre Nahrung nach unten saugen. Inzwischen gibt es im Wattenmeer sogar pazifische Austern, die jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach nicht an Schiffsrümpfen oder mit der Strömung hierher getrieben wurden, sondern vermutlich Ableger holländischer Zuchtfarmen sind, von denen aus Eier ins Meer gespült wurden.

Olete lõpetanud tasuta lõigu lugemise. Kas soovite edasi lugeda?