Loe raamatut: «Lahme Flügel», lehekülg 5

Font:

Aber dann kam der Hausboy, er hieß passenderweise auch noch Georg, und packte meine Gepäckstücke auf einen Wagen – und brachte mich zu meiner Kammer.

Ich war gespannt, was da an Herzlosigkeit auf mich warten würde.

Und richtig, es war fast noch schlimmer, als ich es befürchtet hatte: kahl nannte man das. Und „kahl“ bedeutet laut Duden: keine normalerweise vorhandene oder erwartete Ausstattung, Möblierung o. Ä. aufweisend.

Na, prima! Volltreffer.

Die Möbel waren abgewohnt, das Bett viel zu klein, die Matratze hätte wohl schon vor Jahren ersetzt werden müssen, am Spiegel fanden sich noch Zahnpastaspritzer meines Vorgängers, und die Flügeltür des Hemdchenschranks klemmte und quietschte. Zumindest in der Beziehung passte ich zu dieser öden Stube, auch hier war die Flügeltätigkeit stark eingeschränkt.

Aber das Allertollste war: Haare auf dem Bettlaken! Und zwar schwarze, krauselige Haare. Und die waren definitiv nicht von mir – und, was erschwerend hinzukam, auch definitiv kein Engelshaar. Zumindest keines vom fast heiligen Engelshaupt…

Unappetitlich, ausgesprochen unappetitlich, die ganze Angelegenheit. Vonwegen 5-Sterne-Anlage oder so. Das war ja ein ganz mieser Schuppen hier. Na warte, das würde ich den entsprechenden Stellen schon stecken, die FlügelGesundheitsKasse konnte das jedenfalls nicht gutheißen, was hier so abging.

Das lag auf der Hand – da gab’s auch nichts zu diskutieren.

Die umgehende Beschwerde bei diesem Hausboy Georg, der offensichtlich gar nichts zu melden hatte, und dieser unseligen Schwester Lotti brachte auch nicht den gewünschten Erfolg. Stattdessen handelte ich mir Unbeliebtheitspunkte noch und nöcher ein.

Georgy-Boy strafte mich mit Nichtachtung, und diese Lotti raunzte mich unwirsch durchs Telefon an: „Sie sind hier nicht im Siebten Himmel gelandet, sondern im Sanatorium, falls Sie das irgendwie außer Acht gelassen haben sollten. Wenn Sie bei allem so überempfindlich reagieren wie bei ein paar harmlosen Härchen auf dem Bettlaken, werden Sie hier nicht glücklich werden. Wir sind kein Resort – und Sie sind nicht auf Urlaub, schreiben Sie sich das hinter Ihre hoffentlich sauberen Engelsohren!“

Ich weiß auch nicht, aber so langsam hegte ich die leise Vermutung, dass der Überwachungsverein hier schon länger keinerlei Wert mehr auf Fortbildung in Sachen „Gewaltfreie Kommunikation mit Patienten und anderen Schutzbefohlenen“ gelegt hatte. Das gab doch gleich mal Abzug in der B-Note, aber massiv…

Wie ich darauf wohl gekommen bin?

Dann studierte ich die Mappe, die die humorlose Drachenschwester Lotti mir schon angedroht hatte… Da stand aber auch nichts Erbauliches drin. Außer einem Zeitplan, der vollkommen konträr zu meinem über Jahrhunderte gewachsenen Biorhythmus stand.

Aufstehen um 5.30 Uhr mit anschließendem Flügeltauklopfen nach Kneipp (der Arme musste schon wieder ran…) im Garten vor dem Frühstücksraum. Eine geschlagene Stunde! Das passte mir schon mal überhaupt nicht in den Kram, denn normalerweise träume ich um diese Zeit nochmal ein bisschen vor mich hin und lasse die Dinge des Tages langsam auf mich zukommen.

Immerhin ist es keine Seltenheit, dass meine Schützlinge, die fast allesamt im kulturellen oder politischen Metier tätig sind, gerade nachts meiner Fürsprache bedürfen.

Gut, manchmal brauchen sie auch nur einen Flügel an dem sie sich mal ihre gestrafften Augenlider abwischen können – aber meistens bin ich notfalltechnisch eingebunden. Mit Flügelblaulicht – ab und zu sogar mit Flügelmartinshörnchen.

Da kann ich so früh nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Ich bin schließlich auch nur ein Engel, wenn auch im gehobenen Dienst, trotzdem steht mir eine gewisse Nachtruhe zu. Auch James Bond muss irgendwann mal schlafen, das weiß doch auf der Erde jedes Kind!

Und jetzt wollte sie mich hier mit aller Gewalt zur Ordnung zwingen. Das hatte ich also diesem hochgelobten Pfarrer Kneipp zu verdanken. Meine Güte, war es nicht genug, die Idee vom frühen Aufstehen im Land der Dirndl und der Lederhosen zu etablieren? Musste es nun auch noch die Himmlische Union sein? Naja, am Ende hatten sie doch nur bei ihm geklaut.

Hier kam mir einiges mehr als komisch vor.

Doch, das frühe Flügeltauklopfen war nicht alles, was auf meiner Agenda stand. Nach dem Outdoor-Training sollte das tägliche Wiegen stattfinden. Mit Flügelfettanteilkontrolle!

Und auch zur Blutabnahme sollte ich kommen – alles auf nüchternen Magen…

Danach ging es – endlich! – um 7.00 Uhr weiter mit dem Frühstück. Flügeltaugliche Kost, leicht und nicht belastend.

Auch das klang nicht gut.

Also, ich persönlich bevorzuge seit jeher die französische Variante: Croissant, schon knusprig und warm, darauf dick‘ Butter und dazu Unmengen von Milchkaffee. Kommt wahrscheinlich noch von der Zeit, als ich in Paris für eine der Startänzerinnen vom Moulin Rouge tätig war. Das waren noch Zeiten! Oh, la la…

Nun war wohl Schluss mit dem süßen Leben. Mir schwante schon so einiges…

Es folgte die Eingangsuntersuchung beim Kur-und Sportarzt, gleich mit allem drum und dran: EKG, EEG, Blutdruckmessung, Ganzkörper-in-Augenschein-Nahme und einem Flugtauglichkeitsbelastungstest in einem speziellen Simulator.

Meine Güte, man kann’s aber auch übertreiben…

Zum Glück war das erst einmal alles für diesen ersten Tag als Patient im St. Angelius-Sanatorium.

Jetzt standen nur noch die Mahlzeiten auf dem Programm, aber die versprachen sicher auch keine Höhepunkte zu werden. Und gleich schon sollte das erste Abendmahl stattfinden.

„Bitte pünktlich bei der zuständigen Küchendame am Empfang anmelden, sie wird Ihnen Ihren Platz im Speisesaal zuweisen.“

So stand es geschrieben.

Vor lauter Aufregung musste ich dann aber erst einmal für länger auf ein gewisses Örtchen verschwinden. Das war wohl eindeutig zuviel für meinen empfindlichen Magen-Darm-Trakt gewesen.

Dummerweise kam ich dadurch zu spät zum allerersten Abendmahl, was mir weitere Negativpunkte einbrachte.

Im Holen dieser Punkte war ich wohl ein echtes Ass!

Natürlich guckte mich jeder, aber auch jeder an, als ich, der Neuling, gleich verspätet im Speisesaal der frühen fünfziger Jahre des Nachkriegsdeutschlands eintraf. Ich kannte mich mit diesen Stilen aus, und die Einrichtung hier war eindeutig der Nierentisch-Tütenlampen-Epoche zuzuordnen. Ich hoffte, dass das Essen nicht auch der kargen Nachkriegszeitküche entsprechen würde, obwohl der Trend ja eindeutig zu vegetarisch, flexitarisch, pescetarisch, frutarisch oder vegan ging – zumindest bei den Erdmenschen der heutigen Zeit.

Naja, jedenfalls war hier wohl eiserner Sparkurs angesagt – oder warteten die Finanzverwalter der FlügelGesundheitsKasse nur darauf, dass der ganze Plunder von 50er-Jahre-Möbeln wieder modern werden würde, bevor er endgültig den Geist aufgab?

Aber darauf würde man wohl vergeblich warten müssen.

Denn „Made in Germany“ aus den Fünfzigern gab seinen Geist nahezu nie auf… Wie jeder im Himmel und auf der Erde wusste.

Nach dem nächsten Anschiss durch die Küchendame wurde ich wortlos an einen Zweier-Tisch geführt, wo schon ein Leidensgenosse unlustig vor sich hin kaute.

„Das ist Engel Fried-Hans Simmel, ihr Tischgenosse.“

„Fried-Karl Moser, mein Name“, stellte ich mich vor und reichte ihm die Hand.

„Angenehm“, schmatzte er mir entgegen.

„Ebenfalls sehr angenehm“, erwiderte ich mit leerem Mund, was zumindest für eine deutliche Aussprache sorgte.

„Ich darf mich setzen?“, fragte ich höflich nach, wollte ich mich doch von meiner besten Seite zeigen und mich nicht einfach so zu meinem neuen Leidensgenossen an den Tisch setzen.

„Selbstverständlich, bitte!“ Auch der Engel Fried-Hans schien hier jegliche Form wahren zu wollen. Er schmatzte noch ein Weilchen vor sich hin, bevor er neugierig wurde: „Und, Engel Fried-Karl Moser, wie war der erste Tag in der Anstalt so?“ Anstalt, das traf es, dachte ich gleich.

„Nennen Sie mich ruhig Karlchen, so heiße ich im ganzen Himmelreich, niemand sagt da Fried-Karl zu mir.“

„Simmelhannes, ich bin einfach der Simmelhannes – ganz einfach, wenn auch etwas lange!“

Aha, Simmelhannes kannte ich noch keinen. Irgendwie fand ich ihn aber ziemlich drollig.

„Ich bin ursprünglich aus Oberhessen, da nimmt man beim Spitznamen erst mal den Nachnamen und baut dann den Vornamen irgendwie dran. Also, wenn einer zum Beispiel Herrmann Merz heißt, dann ist das der Merzeherrmann. Oder Sie, Karlchen, der richtige Namen war doch Karl Moser, gell?“

Ich nickte und er schmatzte zwischendurch munter weiter.

„Also wären Sie dann der „Moserkall“. Alles klärchen?“

Naja, so kompliziert war’s ja auch nicht. Ich nickte nochmals.

„Alles klärchen! Ich bin ursprünglich aus Frankfurt am schönen Main, also Frangfodd…“, stimmte ich mich ein. Dass mir Karlchen aber tausendmal lieber war als Moserkall verschwieg ich vorerst…

Hoffentlich hatte ich keinen neuen Spitznamen ergattert.

Dann kam die Suppe. Die war auch nur „klärchen“ und ohne Einlage. Heiß war sie zuletzt wohl auch vor mehreren Stunden gewesen – nun war sie maximal lauwarm. Maximal!

Das ging ja heiter weiter. Simmelhannes nahm aus Sympathie auch noch einen Nachschlag Suppe, stieß ein „Guude!“ aus – und läutete nach der Schmatz- nun die Schlürfrunde ein.

Aber davon wollte ich mich nicht stören lassen, ich hatte einfach Hunger, da sieht man über vieles hinweg.

„Unn, weshalb hier, Moserkall? Ah, Karlchen, oder knauer gesacht, uff Owwerhessisch „Kallche“ meine ich…“, wollte mein neuer bester Freund von mir wissen. Jetzt hatte ich wohl gleich zwei neue Namen mit hessischem Migrationshintergrund…

„Flügellähmung, dreifacher Vorfall. Der letzte Versuch, Frührente gibt‘s ja nicht mehr so einfach, und ich muss noch einiges erledigen, bin eigentlich im gehobenen Dienst, kann aber momentan nicht mehr abheben. Und bei dir, Simmelhannes?“ Schnell wollte ich von mir ablenken, den Verdacht des dicken, fetten Burn-Outs wollte ich vorerst vornehm unterschlagen. Ich finde nämlich, dass dieses Burn-Out schon längstens mehr als unnötig und überbewertet ist, aber völlig!

„Flugangst dritten Grades. Schwerer Fall, wahrscheinlich geht bei mir die Frührente sogar durch…“

„Aha.“

Ich überlegte tatsächlich kurz, ob Frührente nicht doch eine verlockende Option für mich darstellen könnte, vielleicht könnte ich hier auch noch eine Art Flugangst entwickeln...

Die Promis würden es sicher überleben, wenn sie es überhaupt registrierten, dass ich nicht mehr zur Stelle war wie gewohnt. Naja, da sollte sich jetzt mal mein Vertretungsengel mit herumschlagen, der war ja sowieso so zackig, dass sie ihn gleich Noch-Schneller genannt hatten. Ich jedenfalls muss mich um meine angeschlagene Gesundheit kümmern, die mir diese VIPs so beiläufig beschert haben mit ihrer Arroganz und Harthörigkeit. Nun war ich mal dran – und vielleicht sogar die Aussicht auf vorzeitigen Ruhestand und Aufstieg in den Sieben-Sterne-Bereich bei vollen Rentenbezügen.

Manches regelt der Boss eben auf seine Weise. Und manches regelt sich von ganz alleine. Einfach so.

Dann kam der Hauptgang. Hähnchenflügel, fettarm, ohne Haut und offensichtlich auch ohne Salz. Bäh! Die Portion war kleiner als auf einem erd-üblichen Seniorenteller. Sie konnten einem hier aber auch alles vermiesen, was im Entferntesten nur irgendwie mit Flügeln zu tun hatte…

Aber der oberhessische Simmelhannes hatte wohl ein Geheimfach in seinem Hemdchen: Salz- und Pfefferstreuer, Schweizer Würze und ein kleines Fläschchen Tabasco.

Žanrid ja sildid
Vanusepiirang:
0+
Objętość:
51 lk 2 illustratsiooni
ISBN:
9783742721617
Kustija:
Õiguste omanik:
Bookwire
Allalaadimise formaat:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip