Loe raamatut: «Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?»
Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?
von
Charlotte Schmitt-Leonardy
eine Marke der Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH
Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? › Herausgeber
Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht
Herausgegeben von
Prof. Dr. Mark Deiters, Münster
Prof. Dr. Thomas Rotsch, Gießen
Prof. Dr. Mark Zöller, Trier
Impressum
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Vorwort
Diese Arbeit wurde im WS 2009/2010 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes als Dissertationsschrift angenommen. Sie ist bis Drucklegung gründlich überarbeitet und – soweit möglich – auf den aktuellen Diskussionsstand gebracht worden.
An erster Stelle danke ich Prof. Dr. Carsten Momsen für alle gewährte Unterstützung und die langjährige Förderung als Mitarbeiterin seines Lehrstuhls. Ich wurde hier ermutigt, eine eigene wissenschaftliche Herausforderung zu finden, der ich mich mit umfassendem geistigem Freiraum stellen durfte. Prof. Dr. Heinz Koriath danke ich sehr für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und sein Engagement für meine berufliche Entwicklung an der Universität des Saarlandes.
Dank gilt auch Prof. Dr. Dr. h. c. Heike Jung, der diese Arbeit ohne jegliche formale Verpflichtung las und wertvolle Hinweise gab. Des Weiteren danke ich Prof. Dr. Carl-Friedrich Stuckenberg für alles, was ich in der Zeit der Mitarbeit an seinem Lehrstuhl lernen durfte. Schließlich gebührt Prof. Dr. Klaus Lüderssen herzlicher Dank für den inspirierenden gedanklichen Austausch und seinen wegweisenden Rat.
So viele wundervolle Menschen – Kollegen und Freunde – haben mich durch diese Zeit begleitet und diese Arbeit damit erst ermöglicht. Namentlich können nicht alle sichtbar gemacht werden, also explizit nur jene, denen dieses Buch danken würde, wenn es könnte: Christian Hartz, Laura Kapust, Martin Kerz und Elke Völker – ohne sie würden aus verschiedensten Gründen viele Buchstaben nicht am richtigen Platz stehen. Weiterhin Caroline Jung und Christian Schmauch – ihrer Hilfsbereitschaft hat dieses Buch das meiste zu verdanken und die Verfasserin mehr, als in ein Vorwort passt.
Ein unermesslich großer Dank gebührt meiner Familie, die ich zum Teil erst „unterwegs“ traf – dieser kleinen, bunten Sippe, von der ich immer glauben will, dass ich sie zusammenhalte und die in Wahrheit mich zusammenhielt in einer Zeit, die so viel mehr beinhaltete als diese Arbeit.
An herausragender Stelle danke ich aber meinem Ehemann Wolfram, für dessen Bedeutung und Wichtigkeit Worte erfunden werden müssten! Ohne ihn wäre (das) alles nichts.
München, im März 2013
Charlotte Schmitt-Leonardy
But, as all personal rights die with the person; and, as the necessary forms of investing a series of individuals, one after another, with the same identical rights, would be inconvenient, if not impracticable; it has been found necessary, when it is for the advantage of the public to have any particular rights kept on foot and continued, to constitute artificial persons, who maintain a perpetual succession, and enjoy a kind of legal immortality. These artificial persons are called bodies politic, bodies corporate (corpora corporata), or corporations: of which there is a great variety subsisting, for the advancement of religion, of learning, and of commerce; in order to preserve entire and for ever those rights and immunities, which, if they were granted only to those individuals of which the body corporate is composed, would upon their death be utterly lost and extinct.[1]
William Blackstone
Anmerkungen
[1]
Blackstone Commentary on the Laws of England, S. 455 (Band I, Kapitel XVIII).
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität
A.Einführung
B.„Unternehmen“
I.Begriffliche Distinktion
II.Einordnung aus ökonomischer Perspektive
1.Die produktionsorientierte Sichtweise
2.Die institutionenökonomische Sichtweise
a)Eine Ausnahme vom Marktprinzip: Warum?
b)Das Unternehmen als „Nexus of contracts“
III.Fazit
C.„Unternehmenskriminalität“ – Konstruktion eines Begriffs
I.Empirische Grundlagen
1.Forschungsberichte zur Unternehmenskriminalität
2.Forschungsberichte zur Wirtschaftskriminalität
a)Staatliche Studien zur Wirtschaftskriminalität
aa)Statistische Eckpunkte: Fallzahlen, Tatverdächtige, Schaden
bb)Aufklärungsquote, Sanktionierungspraxis und Präventionsaspekte
cc)Die Kernpunkte der Erkenntnisse
b)Nicht-staatliche Studien
aa)Kriminalitätsbarometer Berlin-Brandenburg
bb)KPMG – Wirtschaftskriminalität in Deutschland
cc)PricewaterhouseCoopers – Wirtschaftskriminalität
c)Forschungsprojekt: Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe
3.Kritische Würdigung der durch die Studien gewonnenen Ergebnisse
II.Begriffsbildung Wirtschaftskriminalität
1.Aktuelle Definitionskonzepte
2.„White collar criminality“ – Die Erkenntnisse von Sutherland
a)Eine Straftat …
b)… die von ehrbaren Personen mit hohem Ansehen und sozialem Status …
c)… im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit begangen wird.
d)Fortführung und Abkehr von Sutherlands Konzept
3.Schlussfolgerungen
III.Wirtschaftskriminologische Theoriebildung – der Bezugsrahmen
1.Theorie der differentiellen Assoziation
2.Rational Choice
3.Die Anomietheorie von Merton
4.Techniken der Neutralisierung
5.Kriminogener Einfluss der „Wirtschaft“?
6.Fazit
IV.Unternehmenskriminalität – ein „täter“orientierter Versuch der Begriffsbildung
1.Wirtschaftsstraftäter im Unternehmen
a)Unternehmen als Lern- und Neutralisierungskontext – sozialpsychologische Gesichtspunkte
b)Unternehmen als Kontext der Tatgelegenheiten: die „organisierte Unverantwortlichkeit“ und „kriminelle Verbandsattitüde“
c)Schlussfolgerungen
2.Unternehmen als Wirtschaftsstraftäter?
a)Systemtheoretische Perspektive
aa)Allgemeines
bb)Unternehmen als „Autopoiesisautopoietische Systeme“
(1)„Entscheidung“ – „Alternativen“ – „Zeitdimension“
(2)„Entscheidungsprämissen“ und „Entscheidungsprogramme“
(3)Mitgliedschaft
(4)Die Einbettung innerhalb des Wirtschaftssystems
cc)Von hierarchischen zu heterarchischen Strukturen
dd)Problem: Informationswege
ee)Fazit
b)Das Unternehmen als krimineller Akteur?
aa)Anthropomorphe Interpretationen – die neue persona oeconomica?
bb)Dilemmata
cc)Zwischenergebnis
c)Das Unternehmen als krimineller Akteur?
V.Fazit
1.Abgrenzungen und Definitionsvorschlag
2.Begriffssubstanz
3.Schlussfolgerungen
Teil 2 Strafrechtliche Regulierung – de lege lata und de lege ferenda
A.Strafbedürftigkeit
I.Verantwortungsattribution in komplexen Prozessen
II.Steuerung des Unternehmens durch Bestrafung der Individuen?
1.Die Strafbarkeit im Bereich der Sonderdelikte: § 14 StGB und § 9 OWiG
2.Die Strafbarkeit im Bereich der Allgemeindelikte
a)Untere Hierarchieebenen
b)Leitungsebene
aa)Mittelbare Täter?
bb)Garanten?
cc)Die Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG
c)Der Compliance-Officer
3.Stellungnahme
a)Dogmatische Inkonsistenzen
b)Wahrnehmungsdefizit des Individualstrafrechts
III.Einbeziehung des Unternehmens in die kriminalstrafrechtliche Kommunikation?
1.Gegenargument: Selbstregulierung
a)Governance-Paradox?
b)Verhandlungen „im Schatten der Hierarchie“
2.Gegenargument: Fehlende Sanktionslücke
a)Alternative Steuerungsmodelle im Recht
b)„Quasi-strafrechtliche Haftung“ des Unternehmens
aa)Die Geldbuße gegen Unternehmen gemäß § 30 OWiG
bb)Einziehung
cc)Verfall
c)Stellungnahme
aa)Haftung, die keine Ahndung ist
bb)Ahndung ohne Vorwurf
IV.Fazit: Strafbedürftigkeit aus „Pluralität guter Gründe“?
B.Unternehmensstrafbarkeit – eine Dekonstruktion
I.Historische Konzepte
1.Die römische Argumentationslinie
2.Das kanonische Recht
3.Weiterentwicklung der kanonistischen Aspekte durch Bartolus und Savigny, Friedrich CarlSavigny
4.Die germanische Argumentationslinie
5.Weiterentwicklung des Rechts bis heute
6.Schlussfolgerungen
II.Aktuelle Konzepte
1.Identifikationstheoretische Auffassungen
a)Darstellung
b)Kritik
2.Auf das Kollektiv ausgerichtete Ansätze – Zusatzbedingungen mit Bezug zur Unternehmensstruktur
a)Darstellung
b)Kritik
3.Konzepte originärer Unternehmensdelinquenz
a)Darstellung
b)Kritik
III.Stellungnahme: das Unternehmen als Strafrechtsperson sui generis?
1.Das Unternehmen als institutionelle Tatsache
a)Das Unternehmen als „Normadressat“
b)Personifizierungssubstrat
c)Fazit
2.Analoge Handlungsfähigkeit
a)Vorüberlegungen
b)Übertragung auf den unternehmensstrafrechtlichen Kontext
3.Analoge Schuldfähigkeit
a)Vorüberlegungen
b)Übertragung auf den unternehmensstrafrechtlichen Kontext
aa)Andershandelnkönnen des Unternehmens?
bb)Normativ gesetzte Zuständigkeit des Unternehmens?
4.Legitimität einer Strafe gegenüber Unternehmen
a)Gegenargument: „no soul to be damned, no body to be kicked“
b)Gegenargument: Verstoß gegen das Schuldprinzip
c)Gegenargument: Mitbetroffenheit Unschuldiger
d)Gegenargument: Sinn der Strafe
IV.Fazit
Teil 3 Alternativen und Ausblick
A.Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?
I.„Unternehmensinterventionsrecht“
1.„Matrix-top-down“ statt „bottom-up“
2.Die Unternehmenstat
a)Tatbestandsverwirklichung
aa)Die objektive Zurechnungsebene
bb)Die „subjektive“ Zurechnungsebene
b)Folgenverantwortungsdialog
3.Die strafrechtliche Sanktionierung der Unternehmensmitglieder
a)Zurechnungsmaßstäbe
b)Besonderheit: Leitungsebene
aa)Neuausrichtung des strafbaren Unterlassens
bb)Obliegenheiten und Strafverschärfung
II.Rechtsfolgen
1.Wiedergutmachung
2.Unternehmenskorrektur
B.Zusammenfassung der Ergebnisse
Literatur
Stichwortverzeichnis
Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität
Inhaltsverzeichnis
A. Einführung
B. „Unternehmen“
C. „Unternehmenskriminalität“ – Konstruktion eines Begriffs
Teil 1 Interdisziplinäre Grundlagen der Unternehmenskriminalität › A. Einführung
A. Einführung
1
Blackstone scheint in obigem Zitat ein anderes Unternehmen vor Augen gehabt zu haben als dasjenige, das Anlass für eine nicht abreißende Kontroverse über die Unternehmensstrafbarkeit ist. Das Unternehmen, dem lediglich eine Hilfsfunktion bei der Bewältigung komplexer gesellschaftlicher Aufgaben zukam um die gesellschaftliche Prosperität zu erhöhen, kann heute global player sein. Als corporate citizen spielen Unternehmen eine gesellschaftlich sogar so herausragende Rolle, dass ihre Macht mit der von Staaten oder Religionen verglichen wird.[1]
2
Die Geburt des modernen Unternehmens im industriellen Zeitalter[2] ließ kaum vermuten, was aus dieser Schöpfung des Wirtschaftslebens erwachsen würde: Unternehmen waren anfangs in ihren Interaktionsmöglichkeiten sehr beschränkt, da sie, mit einem konkreten Unternehmenszweck ausgestattet, nur für eine mit dem Zweck in Zusammenhang stehende, begrenzte Zeit existierten, die Höhe der Kapitalisierung festgeschrieben und die persönliche Haftung der Anteilseigner vorgesehen war. Mit Vordringen der Idee einer „beschränkten Haftung“ der Anteilseigner[3] entwickelte sich eine auf Dauer angelegte, organisierte Wirtschaftseinheit, die durch Anerkennung als juristische Person an Interaktionsmöglichkeit gewann und eine immer größer werdende Akkumulation an Kapital und Information darstellte.[4] Die Träger dieser Einheiten waren ursprünglich die Unternehmer, also jene im 18. und 19. Jahrhundert noch als „Fabricanten“ oder „Entrepreneur“ bezeichneten Menschen, die neben der Bereitstellung des notwendigen Kapitals auch die Verwaltung der Mittel für geschäftliche Zwecke, den Entwurf des Betriebsplans und die Beaufsichtigung der Erwerbsgeschäfte zur Aufgabe hatten. Aus diesen „heroischen Erneuerern“,[5] die nach dem Ideal des ehrbaren Kaufmanns oder umsichtigen Buchhalters das Gemeinwohl förderten und als treibende Kraft einer Gesellschaft galten, wurden Ende des 20. Jahrhunderts Mehrheiten von Anteilseignern. Damit ging eine Veränderung der Kernkompetenzen des Unternehmers vom lenkenden Eigentümer zum angestellten Manager einher, die einen veränderten Unternehmertyp hervorbrachte.[6] Die Annahme des Unternehmens als eigenes Rechtssubjekt bis hin zur Anerkennung als Person, die ideologisch aufgeladen werden kann, waren schließlich die Folge des Wunsches einer leichteren Interaktion auf dem Markt.[7] Und die so entwickelte, effektive und flexible Institution scheint der Gesellschaft nun auch Schaden zufügen zu können.[8]
3
Die vorliegende Arbeit setzt an diesem Paradoxon an und stellt trotz einer Fülle von systematischen Überlegungen im thematischen Umfeld „Unternehmen und Strafrecht“ die Frage nach Unternehmenskriminalität neu, um zu wenig beachtete Zusammenhänge zu berücksichtigen. Insbesondere die Prämisse, dass Unternehmen Täter – und damit Kriminelle – sein können, scheint noch nicht ausreichend beleuchtet. Allein die Tatsache, dass Unternehmen als komplexe Organisationen ein größeres Machtpotential in sich vereinigen, bedeutet noch nicht, dass sie dieses Machtpotential bewusst zur Deliktsbegehung einsetzen. Gleichwohl ist zu beobachten, dass Unternehmen zunehmend Adressat gesellschaftlicher Erwartungen werden[9] und die Gesellschaft ihnen zunehmend Verantwortung für Rechtsgutsverletzungen und komplexe Risikoverwirklichungen zuschreibt, die jedenfalls im Zusammenhang[10] mit der Unternehmenstätigkeit stehen.
4
Die folgenden Überlegungen münden also nicht in einem Bekenntnis für oder gegen den vielfach zitierten Satz societas delinquere non potest, sondern gehen seinen Kernprämissen auf den Grund: die implizite Vorstellung, dass Unternehmen „sich vergehen“ können, dass tatsächlich sie es sind, die sich vergehen und dass sie es in einem strafrechtlich relevanten Sinne auch können.
5
Bei dieser Herangehensweise gilt es besonders, zwischen Sein- und Sollensaussagen zu unterscheiden,[11] da gerade hier der Hang zum „anthropomorphen Denken“[12], das die juristische Person und ihre Organe hervorbrachte, zu naturalistischen Fehlschlüssen und einem „Aufdrängen“ der individualstrafrechtlichen Strukturen auf ein viel komplexeres Phänomen führt, das damit letztendlich eben jene Strukturen schwächt. Andererseits scheint die Gefahr des normativistischen Fehlschlusses, also einer Argumentationsweise, die von normativen Prämissen vorschnell zu Gestaltungsempfehlungen gelangt, ohne dass den empirischen Bedingungen hinreichend Beachtung geschenkt wurde, in letzter Zeit unterschätzt worden zu sein.[13] Aus positivistischer Sicht ist es ohne weiteres möglich, eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Unternehmens zu statuieren.[14] Positivistische Freiheit allein ist jedoch ein schwaches Argument, denn obgleich das Recht seine Richtigkeit niemals beweisen kann, scheint Legalverhalten stabiler, wenn es aus Einsicht in die Rechtsordnung erfolgt, mithin eine Internalisierung der Rechtsnormen wahrscheinlich ist. Hieraus folgt, dass die Wirklichkeit berücksichtigt werden muss. Kriminalpolitische Entscheidungen müssen nicht nur ihre Gerechtigkeit gewährleisten, sie müssen auch „rechtfertigen, dass sie ihrem Gegenstand angemessen sind, dass sie ihn zur Kenntnis genommen und verstanden haben“.[15]Hassemer ist zuzustimmen, dass nicht nur eine normative, sondern auch eine empirische Aufgabe zu erfüllen ist und beide ernst genommen werden müssen.[16] Desweiteren schließt die Trennung zwischen Sein und Sollen keineswegs aus, empirische Befunde – nach Maßgabe rechtlicher Zwecke – zu berücksichtigen.[17] Normen des positiven Rechts sind zwar „beliebig bestimmt, aber nicht beliebig bestimmbar“,[18] denn nur so werden „die nötige Bodenhaftung“ und vor allem „pragmatische Grenzen“ für normative dogmatische Konzeptionen gewährleistet, die in der Gesellschaft verständlich sein müssen, um operabel und akzeptabel zu sein.[19]
6
Es wird vorliegend also nicht dem rechtspolitischen „Megatrend“ gefolgt, der sich hinsichtlich der Unternehmensstrafe von der Frage des „ob“ zunehmend auf die Frage des „wie“ verlagerte.[20] Es wird mit dem „ob“ angefangen. Ein Ziel der Untersuchung ist es daher herauszufinden, welche Rationalität dem Unternehmen tatsächlich unterstellt werden kann und welche Konsequenzen sich daraus für eine strafrechtliche Bewertung der Unternehmenskriminalität ergeben. Dabei wird zunächst das Phänomen der Unternehmenskriminalität konkretisiert und die strafrechtsrelevanten Aspekte identifiziert. In einem nächsten Schritt werden die gewonnenen Erkenntnisse in Beziehung gesetzt zu den Regelungsstrategien, die das Strafrecht de lege lata aufweist, aber auch zu den Konzepten, die neue strafrechtliche Wege in Richtung eines Unternehmensstrafrechts vorschlagen. Schließlich soll in einem letzten Schritt eine eigene Konzeption entworfen werden, die insbesondere der Wechselwirkung zwischen den Ebenen des Individuums und der Entität Rechnung trägt und sie auf Sanktionsebene berücksichtigt. Für ein so komplexes Untersuchungsziel, das sowohl kriminologische Begriffsklärung als auch dogmatische Grundfragen und schließlich praktische Konsequenzen mit einbeziehen soll, müssen insbesondere soziologische und ökonomische Erkenntnisse berücksichtigt werden, um weder die kriminologische Analyse noch die strafrechtliche Bewertung „an der Komplexität des Unternehmens vorbei“ zu entwerfen. Der aktuelle kriminalpolitische Druck bleibt dabei zweitrangig, denn trotz aller Modernitätsansprüche[21] und dem Bemühen um pragmatische Ergebnisorientierung:[22]Hefendehl ist durchaus darin zuzustimmen, dass das, „was das Strafrecht in den Augen der Allgemeinheit oder der Rechtspolitik leisten soll und was es tatsächlich leisten kann“, unter Umständen stark divergieren kann.[23]