Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz

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Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz
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Christiane Benedikte Naubert

Elisabeth, Erbin von Toggenburg.

Oder

Geschichte der Frauen

von Sargans

in der Schweiz.

In einer Transkription von

Sylvia Kolbe

im Engelsdorfer Verlag Leipzig

2015

Bibliografische Information durch

Die Deutsche Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Graf Friedrich VII. von Toggenburg auf dem Todbett, 1436. Auf der Schattenburg bei Feldkirch erteilen Geistliche in Anwesenheit der Verwandten dem Grafen die Sterbesakramente. Amtliche Berner Chronik, Diebold Schilling, 1484

Grafik Innenseite: Illustration/Kupferstich aus der Ausgabe Frankfurt und Leipzig, 1798

1789. Leipzig, in der Weygandschen Buchhandlung.

Copyright der vorliegenden Ausgabe (2015) Engelsdorfer Verlag Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertungen bleiben vorbehalten.

Alle Rechte beim Autor.

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Widmung

Erster Abschnitt

Abundi, Bischoff von Chur, an Abt Konraden

Elisabeth an Ludwig

Zweyter Abschnitt.

Adelheit von der Wart, an Noria Venosta

Noria an die Aebtißinn zu Basel

Dritter Abschnitt

Vierter Abschnitt

Ursula an Noria Venosta

Armgart an Ursula

Ursula an Armgart

Armgart an Ursula

Kunegunde an Ursula

Armgart an Ursula

Fortsetzung

Fünfter Abschnitt

Elisabeth an Ludwig

Sechster Abschnitt

Siebenter Abschnitt

Marie, Gräfinn von Werdenberg, an Abt Konraden

Abt Konrad zum Beschluß

Personen im Buch, ihre Zeit, die Orte

Nachwort

Endnoten

Vorwort

Christiane Benedikte Naubert (1752-1819) ist eine Schriftstellerin der Goethe-Schiller-Zeit.

Geboren 1752 in Leipzig als Tochter des Medizinprofessors Hebenstreit, hineingewachsen in eine gebildete Leipziger Familie, in der Töchter, wenn sie daran interessiert waren, auch eine fundierte Ausbildung erhielten, befasste sich Christiane Benedikte mit Geschichte und mit Sagen. Ihr geschichtliches Wissen war sehr umfassend, was auf ein tiefgründiges Quellenstudium schließen lässt.

Über 50 Werke von ihr sind erschienen, sowohl Romane, als auch Märchen und Sagen sowie Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen.

Die Anonymität, in welcher sie veröffentlichte, bot ihr (und ihrer Familie – eine schreibende Frau, die die Finanzen ihrer Gelehrten-Familie erfolgreich aufbesserte, blieb wohl besser anonym) Schutz vor persönlichen Angriffen und die Garantie, dass das Geschlecht bei der Bewertung ihrer Werke keine Rolle spielt. Natürlich musste sie dann auch mit solchen Rezensionen leben wie (zu „Elisabeth Erbin von Toggenburg“):

„Das Costume1 des Mittelalters ist in diesen Erzählungen gut beobachtet; der Vf. hat die ältere Geschichte der Schweiz sehr gut zu benutzen gewußt; er erzählt leicht und natürlich; – und dennoch machen Einförmigkeit der Scenen die Intrigue, aus die der Vf. mehr, als aus Charaktere, das Interesse gründet, und vornemlich die übergroße Weitläuftigkeit, diesen Roman sehr langweilig.“

So schreibt die Allgemeine Literatur-Zeitung Nr. 243 am 12. August 1789, interessanterweise unter der Überschrift „Schöne Wissenschaften“ – ob der (männliche) Rezensent recht hat, können Sie ja nachfolgend überprüfen.

Übrigens wird im selben Blatt, am selben Tag, auch Nauberts Band 1 der Volksmährchen besprochen, mit den Worten: „So hätte also geschwind einer sich der Stelle bemächtigt, die durch Musäus2 Tod aus dem deutschen Parnass erledigt worden. In der That ist dieser neue Volkserzähler kein unglücklicher Nachfolger des Verstorbenen, theils in Ansehung der Erfindungskraft aus armseligen Volkssagen eine Menge unterhaltender Begebenheiten zu spinnen, theils in Ansehung der Kunst, altdeutsche Sitten und Vorurtheile zu benutzen, theils endlich in Ansehung des reichen und blühenden Vortrags.“ Möglicherweise las der Rezensent lieber Märchen, die auch nicht ganz so lang waren wie der danach rezensierte Roman?

An dieser Stelle eine kleine Abschweifung – ein Beleg für die ausführlichen Recherchen von Naubert, die jeden ihrer historischen Romane prägen: 1791 veröffentlicht Christiane Benedikte Naubert den Roman „Conrad und Siegfried von Feuchtwangen“ (Neuauflage im Engelsdorfer Verlag 2008), hier tauchen ebenfalls Toggenburger Grafen und ihre Gemahlinnen auf – die Geschichte um den Brudermord von 1226, also einige Jahrzehnte bevor das Geschehen von „Elisabeth Erbin von Toggenburg“ einsetzt.

Und nun ein Kurzüberblick, was Sie, lieber Leser, nachfolgend vorfinden werden (im Original hat der Roman von 1789 704 Seiten, diese Seiten haben allerdings nur die Größe der heutigen Norm A6):

Christiane Benedikte Naubert stellt im Roman „Elisabeth Erbin von Toggenburg“ in Briefform bzw. als Aufzeichnungen das Leben von adligen und nichtadligen Frauen der Schweiz vor. Da die Form des Briefromans zu ihren Lebzeiten sehr verbreitet war (man denke an Goethes Werther), nutzt auch Naubert in einigen ihrer Romane diese Form als Stilmittel.

Der Roman wird von Naubert ursprünglich in einem einzigen Band veröffentlich, spätere Nachdrucke machen daraus 2 Teile. Das Werk gliedert sich in insgesamt 7 Abschnitte, es wird der Zeitraum ab zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts bis erste Hälfte des 15. Jahrhunderts umspannt, eingebettet in eine Rahmenhandlung. Die Rahmenhandlung umfasst die letzten Lebensjahre der Gräfin Elisabeth von Toggenburg (gestorben 1446) nach dem Tod ihres Gatten, des letzten Toggenburger Grafen Friedrich VII. (gestorben 1436).

Abschnitt 1 hat einen einleitenden Briefwechsel zum Inhalt. Die Personen, die nach dem Tod des letzten Toggenburgers eine Rolle spielen, werden eingeführt, Elisabeth, ihr Bruder, sowie der Abt von Churwalden und ein weiterer Geistlicher.

Abschnitt 2 (2. Hälfte des 13. Jahrhunderts) beschreibt in Aufzeichnungs-Form das Leben der Noria Venosta, um 1284 verheiratet mit Graf Walter von Vaz. Ebenfalls eine Rolle spielen die Adelsfamilien von Rapperswil und von Homburg. Als wichtige Schweizer Bürgerin wird Mechthild, die spätere Frau des Werner Staufacher aus Steinen, hier aktiv tätig.

Ein kurzes Brief-Wechsel-Intermezzo beendet diesen Abschnitt, bei welchem die nächste Hauptfigur, Adelheit von der Wart, eingeführt wird, sowie die Briefschreiberin von Abschnitt 3, die Äbtissin von Basel.

Abschnitt 3 (Ende 13. Jahrhundert bis Anfang 14. Jahrhundert) lässt die Äbtissin von Basel das Leben der Adelheit von Wart als Bericht schreiben, in einem Brief an Noria.

Abschnitt 4 (erste Hälfte des 14. Jahrhunderts) stellt das Leben von Ursula und Kunegunde aus der Linie der Vazer, Enkelinnen des oben erwähnten Walter von Vaz, in den Mittelpunkt – hier spielt eine weitere Schweizer Bürgerin, Armgart aus Alzelen, eine wichtige Rolle, Tochter Heinrichs von Melchthal, spätere Ehefrau des Baumgarten, außerdem wird Wilhelm Tell bereits erwähnt. Abschnitt 4 ist als Briefwechsel zwischen diesen Frauen, Ursula, Kunegunde und Armgart, sowie der hochbetagten Noria Venosta geschrieben.

 

Teil 2 der Nachdrucke des Romans (wie erwähnt, die Ausgabe 1789 hat keine zwei Teile) beginnt mit der Fortsetzung des 4. Abschnitts, eine ungenannte Nonne – deren Identität später aufgeklärt wird - beschreibt, wie das Leben von Ursula, Kunegunde und Armgart weiterging und wie aus den erstgenannten die Gräfinnen von Toggenburg bzw. von Werdenberg-Sargans werden.

Außerdem finden wir hier das Geschehen um Wilhelm Tells Apfelschuss, seine Flucht und die Ermordung Geßlers.

Der kurze Abschnitt 5 beinhaltet Briefe zur Rahmenhandlung - Elisabeth von Toggenburg kommentiert die erstaunliche Geschichte ihrer Vorfahrinnen.

Abschnitt 6 handelt in der ersten Hälfte 15. Jahrhundert, also hundert Jahre später. Es ist der Bericht des Abts von Churwalden über – so ist der Abschnitt überschrieben – die Ungenannten, Berta und Marie. Natürlich stammen sie auch aus der Adelslinie, die oben begonnen wurde, doch bis sich dieses aufklärt, braucht es seine Zeit. Schließlich hatten die LeserInnen von Christiane Benedikte Naubert durch das Fehlen von abendlichen Fernsehprogrammen viel mehr Zeit, sich der verwickelten Lektüre über das Schicksal ihrer Heldinnen zu widmen.

Auch im Abschnitt 6 sind die freien Schweizer Bürgerinnen und Bürger wichtige Handlungsträger.

Abschnitt 7 beschließt – wiederum mit einem Briefwechsel – das glückliche Ende. Interessanterweise ist nicht jede/ r der Beteiligten wirklich glücklich, aber das ist bei Naubert nun einmal so – nah am Leben heißt auch nah am Tod.

Im Nachwort dieser Neuauflage wird Bezug genommen auf die von Naubert geschickt in die Handlung verwobenen Überlieferungen der Schweizer Geschichte und auf Inspirationen, die ihr großer Roman auf andere Schriftsteller, darunter auf Friedrich Schiller, hatte.

Leipzig, im März 2015 Sylvia Kolbe

Von der Herausgeberin an den Roman angefügt: eine Übersicht zu historischen Personen und ihren Orten.

Außerdem in Fußnoten Ort- und Wort-Erklärungen – letzteres soll dem Verständnis historischer Wortbedeutungen etc. dienen (genutzt wurde u. a. das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm als Online-Ausgabe sowie Wikipedia – Die freie Enzyklopädie).

Die Fußnoten von C. B. Naubert sind in Unterscheidung dazu - wie im Original - mit *) versehen.

Meinen Eltern, Evelyn und Dieter Hess, mit Liebe und Dank!


Erster Abschnitt.

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Briefe.

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Konrad, Abt von Churwalden, an Elisabeth, verwittwete Gräfin von Toggenburg.

Der Entschluss, die Thränen über den Hinschied eures Gemahls im Kloster zu verweinen, ist edel und des erlauchten Geschlechts, zu welchem ihr euch zählt, würdig. O Muster weiblicher Treue! nach Jahren fließen diese Zähren3 noch so heiß als am ersten Tage! O Frau ohne gleichen! welche Tugend ist, deren Grund man nicht in einem Herzen, wie das Eurige, suchen könnte! welche Ueberwindung ist so groß, deren ihr nicht fähig wäret! – Sich in der Blüthe des Lebens den Freuden der Welt und den Blicken von tausend Anbetern entreissen, um bey der Asche eines bejahrten Gemahls die einsamen Nächte zu verwachen, den Reizen der Hoheit entfliehen, um im Staube an den Altären für seine Seele zu beten, welche Verleugnung! welche That, die dadurch den Gipfel der Größe erreicht, daß nicht Liebe den Grund derselben ausmachte; wie hätte Liebe für den sechzigjährigen Friedrich in dem Herzen der blühenden Elisabeth wohnen können, welche höchstens kindliche Ehrfurcht gegen ihren Wohlthäter fühlen konnte! – O Elisabeth! ist auch euer Wittwenstand der einige Grund eurer Flucht ins Kloster?

Elisabeth an Konrad.

Das letzte Wort eures Schreibens beantworte den Zweifel. Ja, Friedrich war mein Wohlthäter, dies ist die Ursach, warum meine Thränen um ihn nach Jahren noch so heiß fließen, als am ersten Tage; aber ob die Trauer um ihn es allein war, was mich ins Kloster trieb. – O Konrad, ihr hattet nicht nöthig die Wahrheit aus meinem Herzen herauszuschmeicheln, brauchtet es nicht, mich Muster weiblicher Treue und Frau ohne Gleichen zu nennen, um mir das Geständniß zu entlocken: Nein, Friedrichs Tod war nicht das einige, was mich das Kloster wählen ließ, und es vielleicht zu meinem immerwährenden Aufenthalte machen könnte. O viel, gar viel liegt schwer auf diesem Herzen! Dinge, wovon euch nur der geringere Theil bekannt ist; und doch auch dieser kann es euch begreiflich machen, warum ich die Welt fliehe und Erleichterung in der Einsamkeit suche. O Konrad, Konrad! wollte Gott es wär wahr, daß keine Ueberwindung so groß sey, welche man mir nicht zutrauen könnte! Ich fühle es, große Ueberwindungen stehen mir bevor, zu welchen ich noch wenig Neigung in meinem Herzen fühle, zu denen ich mich durch Gebet und Klosterstille bereiten muß.

Konrad an Elisabeth.

Ich weiß nicht, auf welche Ueberwindung ihr anspielet, die euch zu schwer fallen könnte. Zeitliche Güter sind nichts in euren Augen; wie dann, wenn nun auch in Zukunft Großmuth oder Gerechtigkeitsliebe euch hierin ein kleines Opfer abfordern sollte? könnte dies euch Schmerz oder langes Ueberlegen kosten? Elisabeth brauchte nicht Erbin von Toggenburg zu werden, um groß und reich zu seyn; das Glück bedachte sie, ohne die Vorliebe ihres Gemahls, reichlich genug, um ihr ein Beyspiel der Verleugnung, das sie der Nachwelt zu geben hat, leicht zu machen. Die, welche Schlösser4*) und Städte verschenken kann, ohne auf der einen Seite etwas anders als Undank, und auf der andern Haß und Empörung zu erlangen, könnte wohl mit der Zeit dahin kommen, der verlaßnen zurückgesetzten Unschuld alles aufzuopfern, wozu ihr die Vorurtheile eines verblendeten Gemahls kein Recht geben konnten; und welchen Lohn würde sie durch solche That erringen! welchen Dank, welche Ruhe der Seele für die Gegenwart, welche staunende Bewunderung von der späten Folgezeit, welch glänzende Stelle unter den berühmten Frauen von Sargans!

Elisabeth an Konrad.

Konrad, Konrad! wie habe ich es mit euch! In eurem vorletzten Schreiben fast die Sprache der Vergötterung, und im letzten nicht viel weniger als das Geheimniß: nur Vorurtheile eines verblendeten Gemahls konnten mich zu dem machen, was ich jetzt bin?

Ich errathe eure Absichten; ihr denkt mir irgend einen vortheilhaften Entschluß zum Besten der Werdenbergerinnen zu entlocken, aber so weit bin ich in der Kunst der Verleugnung noch nicht gekommen. Es ist leicht, guter Abt, sein halbes Vermögen aus Großmuth verschenken, sollte man auch Undank dafür zum Lohn haben; aber schwer, sehr schwer diese Hälfte demjenigen hin zu geben, der Ansprüche darauf zu haben glaubt, und sollte man auch von der ganzen Welt bewundert und gelobt werden, daß – man seine Schuldigkeit gethan habe.

Mein Bruder Ludwig, welcher in diesen Tagen bey mir gewesen ist, grüßt euch, und empfiehlt sich eurer Vorbitte.

Konrad an Elisabeth.

Ich wußte es, ehe ich den Schluß eures Briefs las, daß Graf Ludwig bey euch gewesen war; ohne fremdes Einhauchen konnte Elisabeth so nicht schreiben. – So gehet denn hin, ihr unschuldigen Opfer der Verleumdung, ihr habt selbst von der großmüthigen Elisabeth nichts zu hoffen. Sie nennt euch die Werdenbergerinnen, ohne zu bedenken, daß euch ein anderer Name zukommt, den das Glück ihnen raubte, um ihn ihr zu geben. Gehe hin, gute Maria, und du bedaurenswürdige Berta, die Zahl der unglücklichen Frauen von Sargans zu vermehren, und von der Gnade der Vasallen eurer Voreltern zu leben; die Erbin von Toggenburg hat nichts für euch, nicht einmal bloßes Mitleid, von Gerechtigkeitsliebe will ich gar nichts sagen! Sie weiß nicht einmal, fragt nicht einmal, unter welchem Himmel ihr lebt.

Elisabeth an Konrad.

Ihr übertreibt es in allem, guter Abt, und könnet dadurch bey mancher sonst guten Seele viel verderben; bey mir nicht; zum Beweis dient, daß ich vor jetzt, nur vor jetzt um Stillschweigen über eine Sache bitte, die, aus euch unbekannten Gründen, meinem Herzen wehe thut. – Der Ort, wo Maria lebt, ist mir nicht bekannt; Berta – doch was gehen mich die Werdenbergerinnen an, habe ich ihnen einen Namen geraubt, der ihnen, wie ihr meynet, zukam, so entrissen sie mir vielleicht einen andern, der mir theurer als mein Leben, der das liebste Ziel aller meiner Hoffnungen war, den ich, Gott weiß wie gern, mit dem Namen einer Erbin von Toggenburg einlösen wollte.

Ihr scheint mit der Geschichte des Hauses, in welches ich durch Heirath gekommen bin, sehr bekannt zu seyn, wenigstens habe ich euch in Gesprächen und Briefen, der Herren und Frauen von Vatz und Sargans nie ohne irgend ein bedeutungsvolles Beywort erwehnen hören. Die berühmten Frauen, die unglücklichen Frauen von Sargans, sprachet ihr noch kürzlich in euren vorigen Briefen; wer waren diese Damen? Und welches ihr Schicksal? könnet ihr mir hierüber einige Auskunft geben, so laßt dieses den Inhalt eurer künftigen Briefe seyn, widrigenfalls sehe ich mich genöthigt der Fortsetzung unsers Briefwechsels einen kleinen Aufschub zu geben, da ich über den bisherigen Gegenstand desselben nichts mehr zu hören wünsche.

Konrad an Elisabeth.

Die Annalen der Frauen von Sargans sind in den Händen der Aebtissin von Zürich, in deren Kloster ihr gegenwärtig lebt; ein kleiner Nachtrag zu denselben befindet sich blos in meiner Gewalt, und ihr könnt ihn haben, sobald es euch beliebt einen Briefwechsel wieder anzufangen, der hiermit abgebrochen ist.

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Elisabeth an Grafen Ludwigen von Mätsch.

Ich habe unsern guten Konrad erzürnt, der Briefwechsel, den ich mit dem treuen Lehrer meiner Kindheit Jahre lang unterhielt, ist unterbrochen, und im Grunde weiß ich nicht, ob ich um den Verlust dieser lehrreichen Kürzung mancher leeren Stunde trauren soll. Konrad begann auf die letzt, wegen einer Sache zu stark in mich zu dringen, welche ich dir zu gehorchen nicht schnell entscheiden darf. Ach sie würde entschieden seyn, wenn deine Warnungen und die Schwäche meines eignen Herzens mich nicht zögern machten!

Und doch noch mehr die letzte als die ersteren. Zähle mir, wie du willst, die Vortheile her, Frau und Gebieterin so grosser Herrschaften zu seyn, kann mir das Regiment über ein unruhiges, undankbares Volk, das mich ohne Ursach haßt, die verlorne Ruhe meines Herzens wiedergeben? Ich hatte genug ohne die Freigebigkeit meines theuren partheiischen Gemahls, und Maria sollte längst wieder in die Rechte eingesetzt seyn, auf welche sie, wie man sagt, unbestreitbare Ansprüche hat, aber daß Berta mit ihr gleichen Vortheil geniessen soll, sie, die Räuberin meines Montforts? Die Zerstörerin der liebsten Wünsche meines Herzens? Nein unmöglich: Ihre buhlerischen Blicke scheuchten mich aus den Armen meines Henrichs in die Verbindung mit dem Grafen von Toggenburg; nun so geniesse sie dann die Früchte ihrer That, Dankbarkeit lehrte mich Friedrichen lieben, und Henrichen vergessen, aber ihm und ihr noch für die verübte Treulosigkeit zu lohnen, ihnen gutherzig alles hinzugeben, wozu mich der letzte Wille des Eigenthümers berechtigte, dies war ein Grad von Heldentugend, zu dem ich nur einst in wenigen schwärmerischen Stunden fähig seyn konnte. Du erschienst mir in dem heroischen Taumel, in welchem ich war, und öfnetest mir die Augen hinlänglich, um gegenwärtig keine rasche That von mir besorgen zu dürfen.

Auch Konrad that das seine mit seinen Predigten von Gerechtigkeitsliebe. – So, Konrad? diese That, bey welcher all‘ meine alten Wunden von neuem zu bluten anfangen mußten, die Beglückung meiner heimtückischen Verräther war also nichts weiter, als die altägliche Erfüllung einer Schuldigkeit? Ist dies die Weise mir eine der schwersten Ueberwindungen anzupreisen?

Ich muß mich bey meinen aufgeregten Leidenschaften hüten viel mit mir selbst allein zu seyn. Ich suche Beschäftigung und finde Langeweile. Du bist entfernt, und die schriftliche Unterhaltung mit Konrad, an welche ich mich gewöhnt hatte, fällt weg; doch ist er, dem ich überall so viel zu danken habe, Ursach, daß es mir bey dieser verdüßlichen Muse nicht an Aussicht auf künftigen Zeitvertreib gebricht.

 

Um ihn von dem Gegenstande, von welchem ich jezt nichts mehr hören will, abzuleiten, brachte ich ihn auf die alten Geschichten der Freyherrn von Vatz und Sargans, und bat ihn, sie zum Inhalt seiner künftigen Briefe zu machen, (du weißt, wie gern der Mann sonst von solchen Dingen schreibt und spricht;) aber er ist zu beleidigt, zu sehr für eine andere Sache eingenommen um sich durch diese List von derselben losreissen zu lassen. Er verweißt mich an die Aebtissin von Zürich, und die Langeweile macht, daß ich würklich mit ihr von diesen Dingen gesprochen habe, die mir, als ich sie gegen ihn erwehnte, nur zum Vorwand dienen sollten, mich seines gewaltsamen Eindringens zu entschlagen!

Die Aebtissin hat mich bisher nur mit entfernten Hofnungen auf die Befriedigung meiner Neugier getröstet, aber ich hoffe, sie durch anhaltendes Bitten, zur Mittheilung der merkwürdigen Schriften, wie sie sie nennt, zu bewegen, und du, Belesenster aller Ritter unserer Zeit, sollst so viel von diesen Urkunden erhalten, als ich würdig finden werde vor deine Augen gebracht zu werden.

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Abundi, Bischoff von Chur, an Abt Konraden.

Laßt Elisabeth doch ohne Einrede handeln wie sie will, ich kenne ihre Grundsätze, und weiß, wir werden am Ende mit ihr zufrieden seyn. Ich weiß, daß sie schon Schritte zur Entscheidung der großen Sache gethan hat, welche sich nicht zweydeutig nennen lassen. Briefe von ihr, mit Darstellung des ganzen bedenklichen Handels, sind bey dem redlichen Amman5 von Zürich angelangt, die ihn zum Schiedsrichter ernennen, und man hat ihm blinde Befolgung seines Ausspruchs versprochen. Ihr kennt den alten Itel Reding, ihn, den Entscheider der wichtigsten Streitigkeiten des ganzen Landes; kann er anders als zum Vortheil der Unschuld sprechen! Nicht von ihm habe ich die Mittheilung dieser geheimen Sache, ihr kennt seine feinen Bedenklichkeiten, er geht soweit, jedes Gespräch über die Angelegenheiten der Gräfinn und ihrer Unterthanen zu vermeiden, und sich einer kalten untheilnehmenden Unwissenheit anzumassen, aber ich sehe tiefe Ueberlegung auf seiner Stirn, er wiegt das Schicksal der unglücklichen Schwestern, und ich weiß, wohin der Ausschlag fallen wird. Er, der nie unrecht urtheilte, er, der es verdient, daß nie jemand von seinen Aussprüchen weiter appellirte, wird hier nicht falsch entscheiden. Sagt dieses unserer Maria und, der unglücklichen Berta, und unterstützt ihre sinkenden Hofnungen.

Euer Einfall, die ganze Geschichte der beyden zurückgesetzten Toggenburgischen Erbinnen vor Elisabeths Augen zu bringen, und dadurch ihr Urtheil von ihnen zu berichtigen, ist gut, aber was soll ich zu dem Gedanken sagen, sie mit den heimlichen Annalen von Sargans bekannt zu machen? Unvorsichtiger voreiliger Freund! Wißt ihr auch, was für eine Rolle euer Kloster in diesen Denkmahlen der Vorzeit spielt? und ist es rathsam den Laien zu viel von den Vergehungen des Klerus zu enthüllen? Laßt uns froh seyn, daß wir den Weg der Tugend wandeln, ohne die Laster unserer Vorfahren zur Folie unsers Schimmers brauchen zu wollen.

Doch von einer solchen bösen Absicht ist mein Konrad frey, er fehlte nur aus Mangel an Ueberlegung! – Ich werde mein möglichstes thun, euren Fehler zu verbessern, meine Briefe dieserhalb sind schon an die Aebtissin abgegangen, und ich hoffe Elisabeth wird nichts erhalten.

Diese Papiere waren einst auf kurze Zeit in meinen Händen, und ich versichere euch, wenn ihr, wie ich vermuthen muß, hierinn unwissend seyd, sie enthalten Dinge, welche zu Ehren des Klosters Churwald, und leider auch einiger meiner Vorfahren ewig verborgen bleiben sollten.

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Elisabeth an Ludwig.

Montforts Schicksal schwebt mir unaufhörlich im Sinn. Ich liebte ihn einst so innig, und Gott, was würde ich nicht hingegeben haben, ihn glücklich zu machen. Wie hat sich jetzt alles geändert, die, welche diesem Montfort einst alles, selbst das Wohlwollen eines warnenden Bruders, der ihn besser kannte, aufzuopfern bereit war, zögert jetzt, ihm durch einige Meilen Land, durch Aufgebung einiger leeren Titel, dem Elend zu entreissen, und dieses blos darum – weil er nicht mehr für sie leben will. O Elisabeth, Elisabeth! du hast eine niedrige Seele! deine herrische Leidenschaft für Heinrichen war nichts als Selbstsucht!

Schilt mich nicht wankelmüthig, Bruder, ob diesen Aeußerungen, welche dir, nach der Fassung, in der du mich zuletzt sahest, unerwartet kommen müssen. Du kennst nicht den fürchterlichen Kampf zwischen Leidenschaft und Pflicht, weißt nicht, wodurch derselbe bey mir von neuem erregt ward. Montfort, von seinem Oheim gefangen, weil er die unbemittelte Berta wählte? Vorschläge des alten Grafen von Montfort, sich um mich zu bewerben, und dadurch seine Freyheit zu erkaufen? – O Bruder, Bruder! welche Demüthigung für die stolze Elisabeth, Heinrich verwerfe, was man verlangt, oder willige ein! –Mein Entschluß ist gefaßt, und doch, um dich und deine Rathschläge nicht zu entehren, mit Vorsicht gefaßt. Ich will nicht das Ansehen haben, aus einer Anwandlung von übereilter Großmuth zu handeln, oder die empfindlichste Rache, die Rache durch Wohlthaten an meinen Feinden zu üben, nein, ich will nichts thun, als meine Pflicht. Ich habe die Sache einem unpartheiischen Richter übergeben, ich will wissen, was ich den Werdenbergerinnen schuldig bin, und dies will ich thun, ohne einen Dank von jemand zu verlangen. Wie müßte mir seyn, Ludwig, wie müßte mir seyn, wenn Montfort mir dankte, daß ich ihm die Verbindung mit der geliebten Berta erleichtert hätte!

Elisabeth an Ludwig.

Laß uns von andern Dingen reden, Bruder. Dieser Montfort und diese Berta dürfen schlechterdings keinen Zutritt mehr in meinen heimlichsten Gedanken haben; nicht einmal ihren Namen will ich wiederum schreiben. Ich darf ja nur, um diese Gespenster zu verscheuchen, sie in ewige verachtende Vergessenheit zu begraben, an jenen Tag denken, da der erzürnte Bruder dem entflohenen, mit Montfort entflohenen Mädchen endlich vergab, sie von neuem Schwester, und den Entführer Bruder zu nennen versprach, und drauf sich herabließ, dem Treulosen sein Glück selbst anzukünden. Wie Heinrich drauf die stolze Elisabeth im Triumph vor den Altar führte, und wie er im Augenblick, da sich sein Mund aufthat, ihr ewige Treue zu schwören, das unwiederrufliche Wort erstickte, weil – weil er unter den Begleiterinnen seiner Braut eine erblickte, die ihm schöner dünkte, als sie.

O wenn ich dieser Dinge gedenke, Bruder! – Die Gräfinnen von Werdenberg, meine Freundinnen, waren gekommen, mir den Kranz zu schmücken, und sie rissen ihn von meinem Haupte, ihn in den Staub zu treten! – O Heinrichs Unpäßlichkeit, die seine Hand schnell aus der meinigen zog, war erdichtet, seine nächtliche Flucht und die Bestürzung der Werdenbergerinnen hätte mich sollen die Wahrheit ahnden lassen; aber ich ahndete nichts, bis ich erfuhr, Berta und Heinrich wären so genau verbunden, als ich mit ihm zu werden dachte!

Noch einmal; Stillschweigen, ewiges Stillschweigen über diese Dinge! Mein Flehen hielt ehemals Ludwigs Rache gegen den Verbrecher auf, sollen nun meine Klagen sie von neuem aufregen?

Elisabeth an Ludwig.

Ob es gut ist, daß ich dir so ofte schreibe? Andre Beschäftigung wär wohl besser, auch denke ich ernstlich auf dergleichen. Ein Besuch bey der Aebtißinn, um meine Bitten wegen der verlangten Schriften zu erneuern, hat meine Neugier nach denselben aufs höchste gebracht. Ich fühle, daß die Sehnsucht nach Wissenschaft von den Leiden dererjenigen, die einst unglücklich waren, wie ich, das Gefühl meiner eignen Schmerzen mindert.

Die Aebtißinn schien zweifelhaft, ob sie mir das schon halb zugesagte endlich gewähren sollte. Liebe Gräfinn, sagte sie lächelnd, würde es euch nicht lieber seyn, diejenigen, von welchen diese verworfenen, übel geschriebenen Blätter handeln, persönlich zu kennen, und ihre Geschichte aus dem Munde einer Freundin, zu hören? – Sehet hier, fuhr sie fort, indem sie einen dünnen Vorhang von der östlichen Seite ihres Kabinets zog, sehet hier die Bildnisse der vornehmsten jener berühmten Frauen, von deren Annalen euch ein unnützer Mund so viel vorgeschwatzt hat: Schriften, die ich würklich besitze, welche aber unter einen solchen Wust fremder, nicht dahin gehöriger Papiere begraben sind, daß die Muse einer Einsiedlerinn und die Geduld einer Heiligen erforderlich wär, sie zu übersehen.

Ich stand und schaute, stand und hörte, aber die sprechenden Gemählde der edelsten Frauen ihrer Zeit, und die hinreissenden Erzählungen der einnehmenden Aebtißinn von Zürich von den Schicksalen dieser Heiligen, waren fürwahr nicht das Mittel mir das Verlangen zu benehmen mehr, noch, mehr hievon zu wissen.

Auch deine Schwester, Ludwig, hat zuweilen die Gabe der – Ueberredung; ich siegte, und sahe, noch ehe der Abend einbrach, eine massige eiserne Truhe in mein Zimmer bringen, welche alles enthielt, was mir zum Mittel dienen sollte, mich von mir selbst loszureissen, und mich in eine andere Welt zu zaubern, als die, in welcher ich lebe. O es ist angenehm, sich so zuweilen von dem Schauplatze seiner Leiden hinweg zu stehlen.

Von derselben.

Bis am Morgen wühlte ich in den bestaubten Pergamenten, um das Interessanteste herauszusuchen, und das übrige für künftige Zeiten zu sparen, und wie gut, daß ich es that. Die Nonnen waren kaum aus der Frühmetten, als mir mein Schatz wieder entrissen ward! Die Aebtißinn kam selbst, sich zu entschuldigen, sie sprach von Klostergeheimnissen, und dem Willen des Bischofs von Chur, dem doch die große Frau, wie man die Domina von Zürich hier nennt, so viel ich weiß, nicht unterwerfen ist; aber ich war zornig und konnte mich kaum überwinden, ihr mit leidlicher Höflichkeit zu antworten, auch reut mich es nicht, daß ich die Wortbrüchiche hintergangen, und ein gutes Theil der mir entwandten Schriften auf die Seite gebracht habe; gerade, wie ich hoffe, die interessantesten, eben diejenigen, nach denen mich das Anschauen jener Bilder am begierigsten machte.