Pudding Pauli rührt um

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Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Pudding Pauli rührt um
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa


Christine Nöstlinger (1936-2018 in Wien) schrieb für Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Sie war sozial und gesellschaftspolitisch engagiert und erlangte vorrangig als Kinderbuchautorin international Anerkennung. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Andersen Award und dem Astrid-Lindgren-Preis. Generationen von Leser*innen hat sie mit ihrem Witz und unkonventionellen Denken erfreut, nachdenklich und mutiger gemacht – eine Kunst, die sie konkurrenzlos beherrschte.

Pudding Pauli rührt um

von Christine Nöstlinger

1.Digitale Auflage 2020

www.ggverlag.at

ISBN E-Book: 978-3-7074-1744-9

ISBN Print: 978-3-7074-2382-2

In der aktuell gültigen Rechtschreibung

Coverillustration: Barbara Fisinger

Innenillustrationen: Barbara Fisinger

© 2020 G&G Verlagsgesellschaft mbH, Wien

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Sein erster Fall

Christine Nöstlinger

Pudding Pauli

rührt um

Mit Rezepten von Elfriede Jirsa

und Illustrationen von Barbara Fisinger



Inhalt,

in welchem der geneigte Leser einen kleinen Überblick bekommt.


1. Kapitel,

in welchem eine gütige Lehrerin an das Gute im Menschen glaubt und leider nur Liptauer-Käse auf den Schulbroten ist.

2. Kapitel,

in welchem sich ein Verdacht breitmacht und Pizza-Schnecken gebacken werden.

3. Kapitel,

in welchem zwei Steaks zu durchgebraten sind und einer mit Segelohren leider schneller läuft als der Pauli.

4. Kapitel,

in welchem die große Schwester der Rosi ein Bild malt und dafür mit einer Schüssel Tiramisu entlohnt wird.

5. Kapitel,

in welchem sich die Rosi und der Pauli von einem zaundürren Volksschulknirps austricksen lassen, weswegen der Pauli Paprikasuppe kocht.

6. Kapitel,

in welchem die Rosi zur Belohnung Topfenknödeln bekommt und eine Chantal alles nur noch mehr verwirrt.

7. Kapitel,

in welchem die Sommergrippe unter den Lehrern grassiert, die Rosi Bohnensalat macht und von einer Love-Story hingerissen ist.

8. Kapitel,

in welchem der Pauli Muffins bäckt und trotz einer schlaflosen Nacht plötzlich wieder frohen Mutes ist.

9. Kapitel,

in welchem der Pauli dermaßen frustriert ist, dass er sich unbedingt mit Erdäpfelpüree trösten muss.

10. Kapitel,

in welchem bloß Toasts gemacht werden und sich die Rosi über den Pauli ärgern muss und zudem ihre Füße verwechselt.

11. Kapitel,

in welchem die Rosi einen Altpapier-Container erklimmen muss und ihr und dem Pauli ein Licht aufgeht und überhaupt nichts gekocht wird.

12. Kapitel,

in welchem Schularbeiten zurückgegeben werden und Vanille-Eis schmilzt und der Pauli notgedrungen edel selbstlos sein muss.

Rezepte

Glossar

1. Kapitel,

in welchem eine gütige Lehrerin an das Gute im Menschen glaubt und leider nur Liptauer-Käse auf den Schulbroten ist.


Pauli Pistulka, elf Jahre und drei Monate alt, von seinen Freunden Pudding-Pauli oder einfach bloß Pudding genannt, hockte schläfrig hinter seinem Pult in der 2a und versuchte erfolglos, nicht laut zu gähnen.

„Haben der werte Herr Pistulka wohl wieder einmal bis nach Mitternacht ferngesehen?“, fragte die Dr. Krautsack, die für Rügen merkwürdigerweise stets die dritte Person Mehrzahl wählt.

„Haben nicht“, antwortete der Pauli und wischte sich ein paar Gähn-Tränen aus den Augen. „Leiden bloß unter Sauerstoffentzug mangels Frischluftzufuhr!“

Der Pauli liegt nämlich mit der Dr. Krautsack im Fenster-Dauerzwist. Er reißt in der Pause alle Fenster auf, sie marschiert in die Klasse ein und ordnet sofortiges Schließen aller Fenster an.

Wegen des Straßenlärms und der Genickstarre erzeugenden Zugluft und der Gefahr eines Fenstersturzes eines unachtsamen Schülers. Die Dr. Krautsack setzte zu ihrem üblichen Vortrag über eingebildeten Sauerstoffmangel an, da schrillte die Pausenglocke. Und eine lobenswerte Angewohnheit hat die Dr. Krautsack jedenfalls: Sie beendet den Unterricht beim ersten Pausenglockenton.

Der Pauli wollte aufstehen, um die Fenster zu öffnen, doch die Rosi, sein Pult-Co, hielt ihn zurück und raunzte: „Pudding, jetzt lass die blöden Fenster, mein Magen knurrt wie ein Kampfhund!“

Der Pauli seufzte, holte seinen Rucksack aus dem Pultfach und aus dem eine telefonbuchgroße Plastikdose, und aus der zwei adrette Leinensets, zwei Servietten und zwei Alufolien-Pakete.

Die Rosi schälte eine Schnitte Bauernbrot, bestrichen mit Liptauer-Käse, verziert mit Paradeiserscheiben, Mini-Maiskolben und Gurkenfächern aus der Alufolie und betrachtete sie etwas enttäuscht.

„Immer Wurst macht Gicht und Gicht ist eine schreckliche Geißel der Menschheit.“ Der Pauli schob der Rosi ein Leinenset und eine Serviette hin. „Über diesen Super-Spezial-Liptauer kannst echt nicht motzen, den habe ich heute in der Früh selber händisch gerührt, mit Butter und allem Drum und Dran und dazu noch ein winziges Häuchlein Tabasco!“

Die Rosi biss von ihrem Liptauerbrot ab und murmelte lustlos kauend: „Macht sicher einen schönen Teint!“

Der Pauli und die Rosi haben seit einem Jahr ein Abkommen: Der Pauli versorgt die Rosi von Montag bis Freitag mit Pausenbroten oder anderen Jausen-Schmankerln und mit einem warmen Mittagessen, dafür schreibt ihm die Rosi alle Mathe-Hausübungen. In perfekt nachgemachten Pauli-Ziffern und Pauli-Buchstaben. Ein Abkommen nach dem Motto: Jeder tut, was er am besten kann. Und an Rosis getürkten Hausübungen ist genauso wenig auszusetzen wie an Paulis Futter.

Früher hat der Pauli nur hin und wieder gekocht, wenn es ihm Spaß gemacht hat, und meistens ist es Vanille-Pudding gewesen, den er sich – klumpenfrei! – gekocht hat. Darum hat er ja seinen Spitznamen weg. Aber zu seinem zehnten Geburtstag hat er einen einzigen Wunsch an seine Mutter gehabt, und zwar: Ich wünsche mir, so wie meine Freundin Rosi ein Schlüsselkind zu werden, ich bin alt genug dafür, ich kann sehr gut selber auf mich aufpassen, ich will nicht mehr in den Hort gehen!

Paulis Mutter ist zuerst total dagegen gewesen. Sie würde im Büro keine ruhige Minute haben, hat sie gesagt, wenn ihr Pauli so ganz „unbetreut“ die Nachmittage zubringt. Dafür ist er zu jung! Erst wenn er vierzehn Jahre alt ist, wird sie das erlauben!

Aber der Pauli hat sie erpresst. Also, nicht wirklich erpresst, weil er es ernst gemeint und den Hort echt gehasst hat.

„Wenn du mir nicht erlaubst, nach der Schule heimzugehen“, hat er gesagt, „dann übersiedle ich zum Papa und seiner Neuen und besuche dich nur am Wochenende!“

 

Da hat seine Mutter endlich nachgegeben. Damit ihr Pauli ein ordentliches Mittagessen bekommt, hat sie die Tiefkühltruhe mit Fertig-Menüs vollgepackt. Weil selber kochen ist ihre Sache nicht.

Sie ist eine grausame Köchin, der alles schiefgeht, was sie rührt oder brät oder siedet. Darum versucht sie auch gar nicht mehr zu kochen. Sie ist ein Erfolgsmensch, sagt sie. Etwas zu machen, was ihr keine Lorbeeren einträgt, frustriert sie.

Aber Paulis zartem Gaumen war das Gefrier-Zeug genauso zuwider wie der mittägliche Hort-Mampf, und so hat er beschlossen, selber zu kochen. Dass man ihn Hobby-Koch nennt, mag er aber wirklich nicht. Das ist kein Hobby, das ist reiner Selbsterhaltungstrieb, sagt er. „Und was gibt es heute zu Mittag?“ Die Rosi stopfte den letzten Bissen Liptauerbrot in den Mund und wischte sich die klebrigen Finger an der Serviette ab.

„Wir könnten uns auf dem Heimweg Fisch und Salat besorgen. Magst?“, fragte der Pauli kauend.

Bevor die Rosi dazu kam, ihr Einverständnis kundzutun, kreischte die Lea, die ihren Platz am Pult vor dem Pauli und der Rosi hat, urlaut: „Mein Herz ist weg! Mein Herz ist weg! Jemand hat mir mein goldenes Herz gestohlen.“

Die Rosi verdrehte die Augen und murmelte: „Muss sie denn jeden Tag Theater machen?“

Um die Lea herum versammelten sich ein paar Kinder. Die Lea zeigte mit zitternder Dickpfote auf ihr Pult und schluchzte: „Hier … hier ist es gerade noch gelegen … und jetzt ist es weg … einfach weg! So eine Gemeinheit! “

„Da wird ja die Milch in der Kuh sauer“, murmelte der Pauli kopfschüttelnd. „Wovon kreischt denn die alte Nervensäge diesmal?“

Er war erst beim Acht-Uhr-Läuten in die Klasse rein gesprintet und hatte nicht mitbekommen, dass die Lea stolz ein goldenes Herz herumgezeigt hatte. Ein daumennagelgroßes Herz, in das Lea graviert war. Eine Tante hatte es ihr zum elften Geburtstag geschenkt. Und die goldene Kette, von der das Herz baumeln kann, wird ihr ein Onkel zum Geburtstag schenken, hatte sie erzählt, aber der Onkel kommt erst am Wochenende zu Besuch.

Die Rosi klärte den Pauli auf. Der Pauli legte die Leinensets in die Plastikdose, zerknüllte die Alufolienstücke und die Servietten zu Knödeln und sagte: „So eine hysterische Schnepfe, bei uns stiehlt doch keiner!“


Die Rosi nickte zustimmend, und die Lea heulte weiter und schwor Stein und Bein, dass ihr schönes, goldenes, teures Herz noch vor einer Minute auf ihrem Pult, neben der Füllfeder gelegen ist. Und ihre Pultnachbarin, die Maria, sagte, ja, dafür ist sie Zeugin, das kann sie beschwören!

Die Kinder, die sich um das Pult der Lea herum versammelt hatten, gaben gute Ratschläge. „Schau doch in der Schultasche nach!“ Und: „Vielleicht liegt es im Pultfach drin!“

Ein paar hockten sich hin und suchten den Fußboden ab. Aber die Lea schüttelte stur den Kopf und schluchzte, dass sie ja nicht blöde ist und weder in der Schultasche noch im Pultfach nachschauen muss, weil sie doch genau weiß, dass das teure, schöne, goldene Herz mitten auf ihrem Pult neben der Füllfeder gelegen ist! Und dann ist sie – ganz kurz – zum Papierkorb gegangen und hat ihren roten Buntstift gespitzt, und dann ist sie – auch nur ganz kurz – zur Evi gegangen und hat der die zwei Euro zurück gegeben, die sie ihr schuldig gewesen ist, und wie sie zu ihrem Pult zurückgekommen ist, ist das Herz nicht mehr da gewesen!

Der Pauli schoss die Alu- und die Serviettenknödel in Richtung Papierkorb. Die Aluknödel landeten im Papierkorb, die Serviettenknödel im Abseits. Zufrieden mit der Treffer-Rate lehnte er sich zurück, verschränkte die Arme über der Brust und betrachtete milde kopfschüttelnd die aufgeregte Kinderversammlung rund um das Pult der schluchzenden Lea.

Als die Glocke die Zehn-Uhr-Pause ausgeläutet hatte und der Mag. Specht, wegen seiner farbenfreudigen Klamotten von der 2a „Buntspecht“ genannt, mit zwei großen, hölzernen Tafeldreiecken unter dem Arm in die Klasse kam, löste sich die Kinderversammlung langsam auf. Und die Lea holte tief Luft und schluchzte dem Buntspecht ihren Herz-Kummer samt allen Details vor.

Zuerst einmal sagte der Buntspecht, dass man wertvollen Schmuck eben nicht in die Schule mitnehmen soll und dass man das den Schülern schon hundertmal gepredigt hat, und dann sagte er: „Und jetzt durchsuche deinen ganzen Kram in aller Ruhe genau! Man glaubt oft, etwas hundertprozentig zu wissen, und muss hinterher feststellen, dass man irrte!“

Die Lea schüttelte stur den Kopf und wollte erklären, dass sie genau weiß, wo ihr Herz gewesen ist, aber der Buntspecht ließ sie nicht zu Wort kommen, sondern forderte barsch: „Nun mach schon!

Wir wollen nicht die ganze Stunde verzetteln, wir wollen arbeiten! Nächsten Montag ist Schularbeit und die ist für einige von euch die letzte Chance, einer Nachprüfung zu entgehen!“

Die Lea zog widerwillig ihre Schultasche aus dem Pultfach, hob sie hoch, kippte sie und beutelte sie über dem Pult aus. Bleistifte und Bücher fielen raus, Radiergummis und Lineale, Hefte und eine Geldbörse, ein kleiner Plüsch-Elefant und ein paar Cent-Münzen, ein Notizblock und eine vergammelte Semmelhälfte. Aber kein goldenes Herz!

„Und jetzt sieh im Pultfach auch noch nach!“, verlangte der Buntspecht.

Die Lea bückte sich, streckte die Arme ins Fach rein, tastete herum und schüttelte den Kopf.

Der Buntspecht schaute bekümmert. „Ja dann –“, seufzte er, „ja dann – dann gehst du am besten jetzt in die Direktion hinunter und meldest den unerfreulichen Vorfall!“

„Jetzt gleich?“ Die Lea setzte sich auf ihren Sessel und räumte ihren ganzen Kram in die Schultasche zurück. Auch die vergammelte Semmelhälfte. Dann schob sie die Schultasche ins Pultfach, schnäuzte sich allerhand Tränenrotz weg und ging schniefend, Taschentuch vor der rot geheulten Nase, aus der Klasse.

„Führt sich auf, als ob gerade ihre gesamte Familie ermordet worden wäre“, ätzte die Rosi leise hinter ihr her. „War eh ein hässliches Herz.“ Der Pauli holte sein Geometrie-Heft aus dem Rucksack, schlug es auf und malte mit dem Kugelschreiber jede Menge Fragezeichen auf das Löschblatt. Kleine und große, magere und dickbäuchige. Und während der Buntspecht an der Tafel vorführte, wie man mit Hilfe zweier Dreiecke eine Linie parallel verschieben kann, grapschte sich die Rosi das Löschblatt vom Pauli und schrieb in Schönschrift unter die Fragezeichen: Pudding, jetzt zeig, was du kannst!

Das ist nämlich so: Pauli Pistulkas Hobby sind ungelöste Kriminalfälle. Er hat daheim eine dicke Mappe mit Zeitungsartikeln drüber, die er immer wieder liest und hin und her überlegt, wer der Täter sein könnte. Und dass er später mal Kriminalkommissar werden wird, steht für ihn felsenfest.

Der Pauli holte sich sein Löschblatt von der Rosi zurück und schrieb, weil er nicht gerade zu den besonders Vornehmen gehört, mit seiner krakeligen Handschrift über die Fragezeichen: Worauf du einen lassen kannst!

Eine Viertelstunde konnte der Buntspecht der 2a mit nervtötend kreischender Kreide seine Parallel-Verschiebungen vorführen, dann kam die Lea in die Klasse zurück. Und hinter ihr das kleine Gemüse. Das kleine Gemüse heißt eigentlich Dr. Kohl und ist die Stellvertreterin der Frau Hofrat Meier, der Direktorin der Schule.

Sie ist, samt Super-Plateausohlen und irre hochtoupiertem Haarschopf kein bisschen größer als die großen Kinder der 2a und sie ist ein äußerst gütiger Mensch.

Die Lea ging auf ihren Platz. Sie schluchzte nicht mehr, aber getröstet wirkte sie nicht.

Das kleine Gemüse nickte dem Kollegen Buntspecht zu, stöckelte hierauf vor der ersten Pultreihe auf und ab und hielt eine Ansprache. Dass es sehr, sehr unschön, wenn nicht gar gemein ist, eine Schulkameradin zu beklauen, sagte sie. Aber sicher tut dem Dieb oder der Diebin der Diebstahl jetzt schon leid, und es würde von großem Mut zeugen, wenn er oder sie dieses Schmuckstück jetzt der Lea zurückgeben würde. Niemand sollte sich dafür schämen, ein reuiger Sünder zu sein!

Die butterweiche, einfühlsame Ansprache vom kleinen Gemüse hatte leider keinen Erfolg außer dem, dass sich der Nenad zu Wort meldete und dem kleinen Gemüse und dem Buntspecht „eine Schultaschen-Kontrolle und Leibesvisitation“ vorschlug und die meisten 2a-Kinder ganz begeistert „Genau, das machen wir!“ riefen. Doch das kleine Gemüse lehnte entschieden ab. Das, meinte sie, übersteigt die Kompetenzen von Lehrpersonen bei weitem, und zudem sind Gymnasiallehrer wahrlich keine Warenhaus-Detektive, und das ist gut so!

Der Buntspecht gab ihr recht und dem hoffentlich reuigen, aber sichtlich mutlosen Dieb den guten Ratschlag, das Herz in ein Kuvert zu tun und per Post an die Schule oder an die Adresse der Lea zu schicken. Und er garantiere, dass das Kuvert nicht auf Fingerabdrücke untersucht werden wird!

Und das kleine Gemüse fügte dran: „Wir wollen doch bis auf Weiteres an das Gute im Menschen glauben!“

„Amen und Psalmenende“, murmelte der Pauli ins Ratschen der Schulglocke rein, die für heute das vorzeitige Ende des Unterrichts kundtat, weil die letzten zwei Schulstunden wegen Erkrankung der Zeichenlehrerin ausfielen.

Das kleine Gemüse und der Buntspecht eilten aus der Klasse, und als sie zur Tür draußen waren, rief der Nenad: „Dann machen wir es eben in Eigenregie, dazu brauchen wir die Lehrer doch nicht!“

Der Pauli verstaute sein Geo-Heft und sein Schreibzeug im Rucksack, stand auf und sagte zum Nenad: „Ohne mich, weil das eine Schnapsidee ist.“

„Wieso ist das eine Schnapsidee?“ Der Nenad, fast einen Kopf größer als der Pauli und doppelt so breit, baute sich vor dem Pauli auf. Und schaute ihn argwöhnisch an. Ganz so, als habe er gerade den Herz-Dieb gefasst.

„Taschenkontrolle wäre ja noch hinzukriegen“, erklärte ihm der Pauli, „aber die Leibesvisitation kannst nie im Leben hinkriegen. Sollen wir uns alle vielleicht splitternackt ausziehen? Weil so ein kleines Herz passt nämlich in die kleinste Unterhose!“

In der 2a hob heftiges Diskutieren an. Die einen waren gegen das Ablegen aller Klamotten, die anderen fanden nichts dabei, sich komplett auszuziehen.

„Mädchen untereinander, Buben untereinander, klarerweise getrennt“, schlug die Evi vor. „Das können wir in der Turnsaal-Garderobe machen.“

„Bringt aber auch nichts!“, sagte der Pauli. „Denn sogar ein komplett Nackerter kann so ein kleines Ding mühelos verstecken. Oder habt ihr noch nie gelesen, dass Drogendealer jede Menge Rauschgift in ihrem Körper verstecken? Viel, viel größere Mengen als so ein kleines Herz!“

„Du meinst, der Dieb könnte der Lea ihr goldenes Herz runtergeschluckt haben?“, fragte die Verena. „Damit man es bei der Leibesvisitation bei ihm nicht findet? Und dann … dann … dann … dann …“

Die Verena verstummte. Wie der Dieb dann das gestohlene Herz wieder zurückerhalten würde, wollte ihr einfach nicht über die vornehmen Lippen kommen.

„Genau!“, rief der Moritz. „Der Hund von meiner Großmutter hat einmal eine halbe Perlenkette aufgefressen, weil er zu blöd ist, um zu kapieren, was man fressen kann und was nicht, und dann hat meine Großmutter mit einem Steckerl eine Woche lang seine Haufen durchsuchen müssen. Und bis auf zwei Perlen alle völlig unbeschädigt wieder gefunden!“

„Oder man nimmt gleich den Ausgang als Depot!“, sagte der Pauli.

„Das ist einfacher. Darum haben die Polizisten bei Leibesvisitationen ja immer Gummihandschuhe an!“

„Jetzt versteh ich aber echt nur mehr Bahnhof“, raunzte die Maria, die im Überzuckern wahrlich kein großes Licht ist. „Von welchem Depot redest du denn?“

„Hast du denn noch nie ein Fieber-Zapferl bekommen?“, fragte der Sepp grinsend.

Da kapierte die Maria endlich, wovon die Rede war, wurde knallrot im Gesicht und rief: „Ihr seid vielleicht ungustige Schweindln! Schämt euch!“

„Man ist kein Schweindl und muss sich auch nicht schämen, wenn man weiß, wie es im Leben zugeht“, sagte der Pauli zur Maria, schnappte sich seinen Rucksack, schulterte ihn, nickte dem Nenad und den anderen zu und marschierte zur Klassentür raus. Die Rosi jappelte hinter ihm her.

2. Kapitel,

in welchem sich ein Verdacht breitmacht und Pizza-Schnecken gebacken werden.


Auf dem Heimweg von der Schule hätten sich der Pauli und die Rosi beinahe zerstritten. Weil die Rosi die Idee, dass jemand das Herz verschluckt haben könnte, für ziemlich bekloppt hielt und die zweite Versteck-Idee für noch bekloppter.

 

„Das kannst du doch echt nicht glauben!“, hielt sie dem Pauli vor. Aber der Pauli beharrte drauf, dass es sehr wohl möglich sein könnte, und nur darauf kommt es an! Was einer glaubt oder nicht glaubt, ist unwichtig. „Wir haben ja auch geglaubt, dass in unserer Klasse keiner stiehlt“, sagte er, „und jetzt müssen wir einsehen, dass das ein Irrtum gewesen ist!“

„Und wie willst du den Dieb finden, du ewiger Besserwisser?“, fragte die Rosi.

„Zuerst stellt sich immer die Frage nach dem Motiv!“, antwortete der Pauli. „Also warum der Dieb gestohlen hat!“

Die Rosi tippte sich an die Stirn. „Warum stiehlt man denn? Um etwas zu bekommen, was einem anderen gehört! Das ist doch von vornherein klar.“

„Das brauchst mir nicht erklären!“, rief der Pauli. „Aber streng mal dein kleines Hirn ein bisschen an! Wer könnte das blöde Herz denn überhaupt brauchen? Buben tragen keine Herzen um den Hals, und die Mädchen in der Klasse könnten sich auch kein Herz, wo Lea draufsteht, um den Hals hängen und damit herumspazieren. Und das Herz verkaufen geht auch nicht, denn niemand kauft einem Kind Gold ab, das ist verboten!“

„Aha!“, ätzte die Rosi. „Also hat keiner in der Klasse ein halbwegs vernünftiges Motiv, und es muss daher ein diebischer Geist gewesen sein, welcher der Lea das Herz gefladert hat, um in der Geisterstunde damit zu protzen!“

„Sehr witzig!“, keifte der Pauli. „Wenn ich Zeit habe, werd ich drüber lachen. Und ein Motiv gibt es übrigens doch: Jemand wollte die Lea einfach ärgern, weil sie mit dem Herz angegeben hat und weil er sie nicht mag!“

„In diesem Fall“, sagte die Rosi, „kommt aber jeder in der Klasse in Betracht, inklusive dir und mir!“

Und dann waren sie auch schon vor Paulis Haustor angekommen und merkten, dass sie vergessen hatten, im Supermarkt Fisch und Salat zu kaufen. Der Pauli wollte kehrtmachen und zum Supermarkt zurücklaufen, die Rosi fand das unnötig. Fisch ist sowieso nicht gerade ihre Lieblingsspeise.

„Hast noch Pizzateig auf Vorrat?“, fragte sie. Als der Pauli nickte, meinte sie: „Und irgendwas drauf finden wir sicher auch! Und wenn wir uns heute das Geld für den Fisch ersparen, können wir uns morgen dicke Steaks leisten, schön blutig innen!“ Die Rosi ist nämlich ein Fleischtiger.

„Okay!“ Der Pauli holte seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche, sperrte das Haustor auf und sagte: „Dann mach ich uns Pizzaschnecken à la Pauli.“

Da der Buntspecht wegen der Aufregung um Leas goldenes Herz vergessen hatte, der 2a eine Mathe-Hausübung aufzugeben, war die Rosi arbeitslos. Sie setzte sich auf den Küchentisch, baumelte mit den Beinen, schaute dem Pauli beim Kramen im Eisschrank zu und überlegte laut: „Wir sind dreiundzwanzig in der Klasse, der Max und die Vera und der Luki haben die Sommergrippe, und die Ines ist schon nach der ersten Stunde gegangen, weil sie zum Begräbnis ihrer Oma müssen hat. Bleiben also neunzehn mögliche Täter.

Und von denen ziehe ich die Lea und dich und mich ab, dann bleiben sechzehn Verdächtige!“

Der Pauli legte eine Rolle Pizzateig, eine Packung Mozzarella und einen Zipfel Salami auf den Tisch. „Den Anton kannst auch abziehen, unsere Nachtigall war seit neun Uhr im Musiksaal zur Probe für das Abschlusskonzert.“

„Na super“, sagte die Rosi, „sind es nur mehr fünfzehn kleine Indianer.“

„Und das sind vierzehn zu viel!“ Der Pauli holte eine Dose Filetti di pomodore aus dem Vorratsschrank und einen Topf Basilikum vom Küchenfenster. Den Basilikumtopf stellte er der Rosi auf den Schoß und verlangte: „Blätter auf kleine Stücke zupfen!“

„Jawohl, Herr Chef!“, sagte die Rosi und machte sich dran, die Stängel kahl zu rupfen.

Der Pauli plagte sich mit der Paradeiserdose und dem Dosenöffner ab und werkelte schnaufend herum. Mit Dosenöffnern steht er auf Kriegsfuß.

„Gib her!“ Die Rosi nahm ihm die Dose und den Öffner weg. „So macht man das, du Patschachter!“ Grinsend reichte sie ihm die geöffnete Dose. Der Pauli holte ein Sieb, stellte es in die Abwasch und schüttete den Paradeisergatsch rein.

„Das ist mir nämlich zu flüssig!“, erklärte er der Rosi.

Dann schnitt er den Salamizipfel und den Mozzarella auf kleine Würferln und hielt die Rosi energisch davon ab, sich an den Salamiwürferln zu vergreifen.

„Den Nenad und den Sepp können wir auch von der Liste der Verdächtigen streichen“, sagte die Rosi. „Weil die zwei haben sich überhaupt nicht von ihrem Pult weggerührt. Die haben in der Früh und während der ganzen Pause Schach gespielt. Auch noch wie die Lea schon losgeheult hat!“

„Glaubst du das nur oder weißt du es?“ Der Pauli rollte den Pizzateig auf dem Tisch aus, holte das Sieb mit den abgetropften Paradeisern und verteilte sie schön gleichmäßig auf dem Teig.

Die Rosi überlegte kurz, dann sagte sie: „Pudding, das weiß ich, das könnte ich vor jedem Gericht auf die Bibel schwören!“

„Okay, dann sind es eben nur dreizehn kleine Indianer. Dreizehn ist zwar meine Glückszahl, aber in dem Fall hilft uns das auch nicht weiter!“ Der Pauli streute die Mozzarella- und die Salamiwürferln zwischen die Paradeiser-Stücke, bröselte das zerzupfte Basilikum drüber, tröpfelte ein bisschen Olivenöl drauf und rollte den belegten Fladen zu einer Rolle auf.

„Und jetzt wasch dir die Pfoten und schmier mir ein Backblech mit Öl ein. Und vorher schalt das Backrohr an. Auf zweihundertzwanzig Grad Umluft!“, kommandierte er.

„Jetzt mach aber mal halblang!“ Die Rosi schüttelte den Kopf. „Ich bin fürs Kochen nicht zuständig, kommandier mich gefälligst nicht rum wie der Chefkoch den Lehrbuben! Und vor Öl auf den nackten Fingern graust mir total! Gibt es da wo Gummihandschuhe?“

„Schnepfe!“, zischte der Pauli, schaltete das Backrohr an, holte das Backblech aus der Lade unter dem Backrohr, schüttete Öl drauf und verteile es mit den Händen.

„Und die Hände gewaschen hast dir vorher selber auch nicht!“

Die Rosi rutschte vom Tisch, lehnte sich an den Eisschrank und verschränkte die Arme über der Brust. „Pudding, du bist einfach stockstinksauer, weil du nicht weißt, wie du den Herz-Dieb entlarven kannst!“

Der Pauli schnitt die Teigrolle auf daumendicke Schnitten, legte sie – wie Zimtschnecken – auf das ölige Blech, tröpfelte noch ein bisschen Öl auf jede Schnecke, schob das Blech ins Backrohr und wusch sich dann bei der Abwasch die öligen Hände. „Ich bin stockstinksauer, weil ich mir vorstellen kann, was morgen bei uns in der Klasse los sein wird!“

„Was soll denn jetzt noch passieren?“ Die Rosi schaute den Pauli erstaunt an.

„Glaubst du vielleicht, unsere werten Kollegen und Kolleginnen gehen jetzt einfach zur Tagesordnung über? Ich wette mit dir um vier Wochen Taschengeld, dass ab morgen bei uns in der Klasse das wilde Verdächtigen losgeht.“

Die Rosi hatte keine Lust, die Wette anzunehmen.

Bis die Pizzaschnecken schön semmelbraun waren und aus dem Backrohr dufteten, schwiegen der Pauli und die Rosi vor sich hin. Erst als der Pauli das Backblech aus dem Backrohr geholt und die Pizzaschnecken gerecht auf zwei Teller verteilt hatte, sagte die Rosi: „Ich nehme an, die meisten werden wahrscheinlich die Maria verdächtigen, weil sie neben der Lea am Pult sitzt und es ihr am ehesten gelungen sein könnte, das Herz unauffällig verschwinden zu lassen!“ Der Pauli stopfte sich eine halbe Pizzaschnecke in den Mund und sagte mampfend: „Glaube ich nicht. Sie werden vermuten, dass es der Jonas gewesen ist. Weil der Jonas voriges Jahr im Supermarkt beim Kaugummi-Fladern vom Filialleiter erwischt worden ist. Weißt eh, einmal Dieb, immer Dieb!“

„Wird sich ja morgen rausstellen, ob einer von uns richtig getippt hat“, sagte die Rosi und grapschte dem Pauli, während er sich ein Glas Mineralwasser einschenkte, die letzte Pizzaschnecke vom Teller. Bis zum nächsten Tag mussten die Rosi und der Pauli gar nicht warten. Sie hatten sich nach dem Pizzaschnecken-Mahl gerade zu einem Verdauungs-Fernseh-Stündchen aufs Sofa gesetzt, da klingelte Rosis Handy. Die Anna war dran und trompete ganz aufgeregt: „Rosi, weißt du, was die Verena und ich gerade ganz zufällig rausgefunden haben?“

„Nein! Aber gleich werde ich es ja wohl von dir erfahren!“, sagte die Rosi eisig.

„Dem Jonas seine große Schwester heißt Lea!“, schnatterte die Anna ins Telefon, und der Pauli rückte dicht an die Rosi ran, um mithören zu können. „Und der Jonas war in der Pause bei der Maria und hat sich von ihr, weil er vorige Woche gefehlt hat, das Physikheft zum Nachschreiben ausgeborgt!“

„Na und?“, fragte die Rosi. Noch eisiger.

„Ja, klingelt es da bei dir im Kopf nicht?“, rief die Anna.

„Mein Hirn hat leider keine eingebaute Klingel.“ Jetzt war die Stimme der Rosi schon eiszapfeneisig.

„Steh nicht auf der Leitung, Rosi. Das ist doch eindeutig voll verdächtig“, sagte die Anna. „Garantiert will der Jonas seiner großen Schwester das Herz zum Geburtstag oder zu Weihnachten oder zu sonst was schenken. Weil Geld hat der nämlich nie, dem kauft seine Mutter die Klamotten sogar im Secondhandshop. Und dass er schon einmal gestohlen hat, ist ja bekannt!“

Die Rosi drückte die Aus-Taste, legte das Handy auf den Couchtisch und rülpste. Weil sechs Pizzaschnecken und eine haltlose Verdächtigung einen zarten Mädchenmagen in gewaltige Unruhe versetzen können.

Dann sagte sie zum Pauli: „Pudding, der wahre Dieb muss einfach gefunden werden! Der Jonas ist keiner, der es verdient hat, bloß weil er einmal einen Kaugummi hat mitgehen lassen, ewig als Dieb zu gelten. Und wehren kann der sich auch total schlecht. Also streng dich gefälligst an!“

Der Pauli seufzte tief. „Ich werde es versuchen, aber da kann eigentlich nur noch Kommissar Zufall helfen.“

Wie so oft keuchte der Pauli am nächsten Morgen erst ein paar Minuten nach dem Acht-Uhr-Läuten in die Klasse. Morgenmensch ist er eben keiner und außerdem muss er das Aufstehen und Frühstücken und Schulbrotemachen ganz allein schaffen. Seine Mutter dampft schon um sieben Uhr ins Büro ab. Aber er hätte sich diesmal gar nicht zu beeilen brauchen, denn die Englisch-Lady verspätete sich um eine Minute länger als er und entschuldigte sich schnaufend mit einer U-Bahn-Störung.

„Wenn unsereiner mit dem U-Bahn-Schmäh ankommen täte, würde es gleich heißen, dass das eine dumme Ausrede ist“, zischte die Rosi dem Pauli zu.