Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Vorwort

Inhaltliche und strukturelle Veränderungen in der Pastoral haben Auswirkungen auf das Selbstverständnis und die Aufgabenfelder von Pfarrern, Diakonen, Pastoral- und GemeindereferentInnen. Was in Studium und Ausbildung gelernt wurde, trägt nicht mehr lebenslang. Wenn die „Schafe“ den Pfarrei-Pferch verlassen, löst dies Irritationen bei den Hirten aus. Sinnsuchende können heute unter vielen Anbietern wählen. Die Angebote der Kirchen werden je nach biographischer Relevanz individuell und punktuell genutzt. Die meisten Menschen identifizieren sich nur noch okkasionell mit der Kirche. Weil sich Traditionen und Gemeindeideale auflösen, bewegen sich Seelsorger1 in neuen pastoralen Landschaften und müssen ihre „Landkarten“ neu entwerfen.

Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal hat es zu tun mit Verunsicherungen, mit Rollenverflüssigung und neuen Konfliktfeldern. Mitarbeitende in der Kirche haben aber – gerade in Umbruchszeiten – ein Recht darauf, dass sie Arbeitsstrukturen vorfinden, in denen sie psychisch und physisch gesund bleiben. Unternehmergeist und Eigenverantwortung sind vom Einzelnen nicht nur einzufordern, sondern müssen in der Unternehmenskultur einer Diözese vorgelebt und eingeübt werden. Das Anliegen dieser Arbeit ist es, den Auftrag und das Handeln der Kirche als Dienstgeberin theologisch zu reflektieren und Wege für die Praxis aufzuzeigen. Personalentwicklung ist ein wesentliches Instrument zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Kirche.

Dieses Buch hat einen Sitz im Leben. Es ist aus meiner zehnjährigen Tätigkeit als Diözesanreferentin für Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten im neu gegründeten Personalreferat der Diözese Würzburg erwachsen. Unter dem Titel: „Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal. Ein Schlüsselinstrument zur Gestaltung von kirchlichen Transformationsprozessen“ wurde die vorliegende Veröffentlichung im Sommersemester 2011 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation angenommen. Bei Herrn Prof. Dr. Konrad Baumgartner und Prof. Dr. Erich Garhammer bedanke ich mich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge“, die im Echter Verlag erscheint.

Ich danke Herrn Professor Dr. Erich Garhammer für die fachliche Begleitung. Er hat mich ermutigt, meine beruflichen Erfahrungen wissenschaftlich zu reflektieren und neue Ansätze der Personalentwicklung in einen kreativen Dialog mit biblischen Überlieferungen und dem Selbstverständnis der katholischen Kirche zu bringen.

Ich danke Herrn Professor em. Dr. Theodor Seidl für sein Zweitgutachten und die exegetische Betreuung während der Erstellung dieser Arbeit. Seine Hinweise waren gerade in den biblischen Kapiteln sehr hilfreich.

Mein Dank gilt desweiteren meinem Kollegen Edmund Gumpert, der mit scharfem Blick, aber immer mit hoher Wertschätzung, die Korrekturlesung übernommen hat. Danken möchte ich auch Claus Schreiner, der mich mit theologischem Sachverstand und technischem Können bei der Fertigstellung der Arbeit praktisch unterstützt und in Freundschaft motiviert hat. Besonders dankbar bin ich meiner Familie, die mich in diesen Jahren getragen und manchmal ertragen hat. Herrn Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand danke ich für die oft erwiesene Wertschätzung gegenüber allen pastoralen Diensten und die zugesagte Unterstützung der Diözese Würzburg für dieses Buch.

Würzburg, den 15.03.2012

Christine Schrappe

1 Die nachfolgend verwendete männliche Form bezieht selbstverständlich die weibliche Form mit ein. Auf die Verwendung beider Geschlechtsformen wird lediglich mit Blick auf die bessere Lesbarkeit des Textes verzichtet.

Das Anliegen

Die Förderung des pastoralen Personals ist Investition in die Zukunft der Kirche, in ihre Glaubwürdigkeit und in die Sicherung ihrer Auftragserfüllung. Das hauptberufliche pastorale Personal im Pfarreidienst ist in besonderem Maße von aktuellen Umstrukturierungsmaßnahmen in allen deutschen Diözesen betroffen. Die Verflüssigung kirchlicher Sozialformen führt zur Auflösung traditioneller Berufsbilder. Dabei handelt es nicht um marginale Aufgabenverschiebungen, sondern um die Frage nach der Rolle und Identität aller pastoraler Dienste. Es geht um die Reflexion des Auftrags der Kirche heute.

Die Motivation und Arbeitshaltung hauptberuflicher Theologen wird beeinflusst durch die realen Arbeitsbedingungen in der Kirche. Dabei empfinden die hauptamtlich in der Kirche Tätigen die „Asymmetrie der Perspektiven“2, die Spannung zwischen kirchlichem Selbstverständnis, der allgemeingesellschaftlichen Wahrnehmung von Kirche und der eigenen Binnenansicht als besondere Herausforderung. Der Umgangsstil innerhalb der Kirche wird von Seelsorgern manchmal als belastender empfunden als die eigentlichen Arbeitsanforderungen in der Pastoral. Unzufriedenheit mit innerdiözesanen Leitungs- und Kommunikationsstrukturen hat gerade in Umbruchszeiten Auswirkungen auf die Ausstrahlung und Überzeugungskraft des einzelnen Theologen.

Organisationen sind immer auch „geronnene“ Werte. Das Menschenbild der Organisation Kirche lässt sich am Umgang mit dem eigenen Personal ablesen. Personalarbeit unterliegt großem Handlungsdruck durch täglich neue Konflikte und Problemstellungen. Die Schwangerschaft einer Gemeindereferentin, die plötzliche Erkrankung eines Pfarrers oder ein öffentlich ausgetragener Konflikt in einer Pfarrei zwingt Personalverantwortliche, unter hohem Zeitdruck existentielle Entscheidungen zu treffen. Stellenveränderungswünsche von Laien oder Personalanfragen von Pfarrern können nicht immer wunschgemäß bedient werden, unangenehme Entscheidungen müssen Gemeinden täglich vermittelt werden. Wenig Zeit bleibt dabei, das Selbstverständnis als Personalverantwortlicher oder das eigene Konzept von Personalentwicklung zu überdenken. Der tägliche Handlungsdruck birgt die Gefahr der steten Reaktion statt proaktiver Gestaltung von Personalarbeit. Der theologischen Begründung kommt in diesen Prozessen die undankbare Rolle der „Nachreflexion“ zu. Die pastoraltheologische Beleuchtung einzelner kirchlicher Handlungsfelder muss sich deswegen auch auf den internen Umgang mit den eigenen Mitarbeitern beziehen. Wo dies unterbleibt, besteht gerade im Alltag einer Personalabteilung die Gefahr des „Totalitarismus“ der Praxis. Ein unter hohem Zeitdruck sich entwickelnder Pragmatismus im „Personalgeschäft“ gefährdet den Anspruch, Personalentwicklung als verantwortetes Handeln im Rahmen des kirchlichen Auftrages zu wahrzunehmen und zu gestalten.

Praktische Theologie hat eine kritisch-prophetische Aufgabe. Sie muss Horizontverengungen benennen, Spuren auslegen auch für die konkrete Gestaltung eines Handelns von Kirche als Organisation und Dienstgeberin. Die Perspektive der Betroffenen (hier Personal) wird dabei zum hermeneutischen Konstitutivum. Praktische Theologie steht optional auf der Seite der Menschen und deren Nöte (hier: Not des Personals mit und in der Kirche). Sie reflektiert „die Praxis der Menschen unter dem Zuspruch und Anspruch des in der biblischen Tradition wurzelnden Glaubens an den Gott Christi“.3 Bischöfliche Ordinariate mit ihren Personalabteilungen, Baureferaten und Finanzkammern müssen auch auf operativer Ebene „theologiesensibel“ bleiben. Das bedeutet, die eigenen Konzepte transparent zu kommunizieren und sich dem theologischen Diskurs zu stellen.

Berührungsängste im Diskurs zwischen Kirchenpraktikern und akademischer Theologie können und müssen abgebaut werden. Die gegenseitige Beschreibung mit Defizitmodellen ist kontraproduktiv. Weder hat die Praxis den Part der ständigen Korrekturbedürftigkeit noch hat die Theorie das Monopol der normativen Orientierung. Kirchliche Verantwortungsträger müssen der Gefahr widerstehen, die Theologie in ihrem Sinne zur Legitimation des Bestehenden „domestizieren“ zu wollen. Praktische Theologie ihrerseits verliert an Relevanz, wenn sie z.B. in Lehramt oder Organisationsvertretern nur einen widerständigen und theologieresistenten Gegenpol sieht.4 Übersetzungsarbeit ist zu leisten und es gilt Brücken zu bauen. Diese Arbeit versteht sich als eine „Brücke“. Mein Anliegen ist es, die Rolle der Personalentwicklung in gegenwärtigen diözesanen Transformationsprozessen theologisch zu reflektieren, um daraus Handlungsleitlinien für Personalarbeit in diözesanen Strukturen abzuleiten.

2 Kehl Medhard, Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie, Würzburg 1994, 189.

3 Haslinger Herbert / Bundschuh-Schramm Christiane / Fuchs Ottmar / Karrer Leo / Klein Stephanie / Knobloch Stefan / Stoltenberg Gundelinde, Praktische Theologie – eine Begriffsbestimmung in Thesen, in: Haslinger Herbert u.a. (Hg.), Handbuch Praktische Theologie Band 1, Grundlegungen, Mainz 1999, 386-397, hier 393.

4 Vgl. ebd., 394.

1. Einleitung und Hinführung

Der Glaube an Gott und die Glaubwürdigkeit von Kirche wird von vielen Menschen mit Erfahrungen mit konkreten Vertretern der Kirche in Verbindung gebracht. Der massive Vertrauensbruch im Jahr 2010 durch aufgedeckte Missbrauchsfälle in der Kirche gibt trauriges Zeugnis davon. Die Verfehlungen einzelner kirchlicher Repräsentanten in Gegenwart und Vergangenheit, theologische oder zwischenmenschliche Verwerfungen innerhalb der Kirche finden breite Öffentlichkeit. Personal steht für Kirche.5 Auch wird Kirche nach wie vor maßgeblich mit Pfarrei und den dort agierenden Personen identifiziert. Immerhin nutzen und schätzen – laut MDG-Trendmonitor, Religiöse Kommunikation 2010 – nach eigenen Angaben noch 40 % der Katholiken „das persönliche Gespräch mit Pfarrer oder anderen Seelsorgern oder Aktiven in der Kirchengemeinde.“6 Wenngleich Medien wie Pfarrbrief und Bücher von Katholiken als Informationsquelle gern genutzt werden, wird zugleich erkennbar, „dass ein persönliches Gespräch mit dem Pfarrer oder anderen Aktiven in der Kirchengemeinde vielen Katholiken weit mehr bedeutet als die meisten Medienkontakte.“7 Umgekehrt werden „vor allem Unter-30-Jährige, Katholiken, die nicht in die Kirche gehen und auch sonst keine persönlichen Kontakte zu Priestern oder anderen Aktiven haben, nur ‚schwach‘ oder ‚gar nicht‘ von kirchlichen oder religiösen Medienangeboten erreicht.“8 Personal steht für das Bild von Kirche, für Qualität und Glaubwürdigkeit.9 Vertreter pastoraler Dienste verkörpern in Person und in Auftreten katholische Kirche und die Relevanz christlicher Positionen. An ihrem Handeln wird abgelesen, um was es Kirche geht. Selbst in der evangelischen Kirche, so belegen es die Wiedereintrittsstudien der EKD, bestimmen die Erfahrungen mit Pfarrerinnen und Pfarrern die Einstellung zur Kirche weitaus mehr, als es der evangelischen Grundüberzeugung vom allgemeinen Priestertum entspricht.10

 

Eine erstaunlich hohe Zahl (57 %) der im MDG-Trendmonitor 2010 Befragten, die sich selbst als „der Kirche kritisch verbunden“ bezeichnen, berichten von „guten persönlichen Kontakten“ zu Pfarrer oder pastoralen Mitarbeitern.11 Die Bindung an die eigene Pfarrgemeinde und an die Personen vor Ort hat sogar trotz vielerorts vollzogener Zusammenlegung zu größeren Seelsorgeeinheiten nicht abgenommen.12 „Per Saldo ergeben sich keine Hinweise darauf, dass Katholiken in Pfarrverbänden weniger persönlich Kontaktchancen zu hauptamtlichen Kirchenmitarbeitern haben oder diese seltener nutzen.“13

Potenzialorientierte Personalentwicklung geht davon aus, dass Mitarbeiter wertvolle Katalysatoren in Veränderungsprozessen sein können, wenn die Organisation, in der sie arbeiten, lernbereit ist und diese Grundhaltung sich in den Ablaufprozessen und Aufbaustrukturen niederschlägt. Zu leisten ist hier die theologische Reflexion. Dabei geht es nicht um temporäre Anleihen aus dem Management, sondern um das Wesen von Kirche selbst. Praktische Theologie setzt im Sinne der Pastoralkonstitution bei den Erfahrungen der Menschen an, bei den Hoffnungen, Trauer- und Leiderfahrungen des eigenen kirchlichen Personals und deren Personalverantwortlicher. „Praktische Theologie muss ... alle potentiellen unmittelbaren Erfahrungen der Menschen berücksichtigen, was sie wahrnehmen und übersehen, begehren und erleiden, tun und ahnen, wissen und bedenken, erhoffen und bezweifeln, bewirken und planen, verpassen und erreichen – und dies alles in kommunikativen Vernetzungen und Kontexten.“14 Die Berufszufriedenheit und die Schaffenskraft des pastoralen Personals, das Gefühl der Überforderung und die Enttäuschungen, die Visionen und das kreative Potenzial des pastoralen Personals sind theologische Orte, die Auskunft geben über die Situation von Kirche in Deutschland.

Die beiden großen Kirchen sind mit etwa 1,3 Millionen Beschäftigten die größten nichtstaatlichen Dienstleister in Deutschland. Pastoraltheologie darf sich deswegen nicht nur am Subjekt oder einzelnen Personengruppen orientieren. Sie muss Antwort geben auf die Anfragen und Anforderungen der kirchlichen Organisationsentwicklung, um Prozesse der Kirchenbildung in einer Organisationsgesellschaft praktisch-theologisch, sozialwissenschaftlich und ekklesiologisch zu reflektieren.15

Die Anforderungen an Personalentwicklung im Bereich des pastoralen Personals wachsen. Die Zahl der Diakone und hauptberuflichen Laien steigt jährlich und verändert die Personalstruktur. Die Anzahl der Ständigen Diakone (in Hauptberuf und mit Zivilberuf) hat sich in deutschen Diözesen seit 1990, dem Beginn der statistischen Erhebung, verdoppelt auf insgesamt 2972 Personen in 2009. Auch die Zahl der Pastoralassistenten/-referenten hat sich seit 1990 bis 2009 verdoppelt auf 3081 Personen, während sich die Zahl der Gemeindeassistenten/-referenten seit 1990 von 3612 auf 4500 Personen im Jahr 2009 erhöht hat.16 Die Zahl der Welt- und Ordenspriester im aktiven Dienst hat seit 1990 von 15166 auf 10182 Personen reduziert.17

Weil davon auszugehen ist, dass der Rückgang der Priesterzahl ein höchst stabiler Trend ist, kann man mit minimaler statistischer Irrtumswahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es um 2020 noch halb so viele aktive Priester geben wird, wie im Jahre 2000, um 2035 nur ca. ein Drittel. Die statistischen Entwicklungen lassen die Absicht vermuten, so viele hauptberufliche Laien zusätzlich einzustellen, wie es an Priestern und Diakonen fehlt. Dies hat massive Auswirkungen auf die Architektur der kirchlichen Personalstruktur, auf Selbstverständnis und Funktionen. Fundamentale Rollen- und Aufgabenveränderungen ergeben sich darüber hinaus aus gesellschaftlichen Veränderungen.

Eine besondere Herausforderung für die Personalentwicklung bedeutet zudem die Tatsache, dass bei jungen Theologen, die einen kirchlichen Beruf anstreben, nicht mehr selbstverständlich von einer kirchlichen Sozialisation, einer Verwurzelung im Volk-Gottes-Bewusstsein durch Erfahrung blühender Heimatgemeinden ausgegangen werden kann. Hier bekommt Personalentwicklung in der Phase der Berufseinführung und Berufsbegleitung neue Bedeutung.

1.1 Ziel der Arbeit

Das Thema Personalentwicklung wird bewusst als Thema in der Pastoraltheologie angesiedelt. Weil Personalarbeit theologische Relevanz hat, bedarf sie der wissenschaftlichen Reflexion. Sie ist ein Themenfeld Praktischer Theologie und muss als eine der Weisen der Vermittlung zwischen Theorie und Praxis verstanden werden.

Eine Theorie von Organisations- und Personalentwicklung hat in allen Fragen eine theologisch ethische Reflexion zuzulassen. Die Glaubwürdigkeit der Organisation Kirche setzt voraus, dass sich Struktur und Botschaft, Organisation und Evangelium gegenseitig durchdringen. Personalentwicklung ist mehr als ein formales Element allgemeiner Organisationsentwicklung. Strukturreformen sind nie theologieneutral, sondern berühren immer auch das Selbstverständnis der jeweiligen Institution. Die Erhöhung der Veränderungskomplexität in Organisationen bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Mitglieder, insbesondere auf die für eine Organisation und in ihrem Auftrag Tätigen. Der Theologie kommt es zu, durch systematische, historische und pastoraltheologische Argumente die Nachdenklicheit im kirchlichen Handeln in diesem Feld zu fördern und ihr Niveau zu verleihen. Ziel dieser Arbeit ist es, die Konsequenzen pastoraler Planungen in Diözesen und die Auswirkungen der Umstrukturierung kirchlicher Handlungsfelder auf Rolle und Arbeitsbedingungen des Seelsorgepersonals zu reflektieren. Ausgehend vom Grundaxiom einer lernenden Organisation werden die Basisinstrumente der Personalentwicklung im Personalführungsalltag einer Diözese theologisch reflektiert und Implementierungsansätze für den Bereich des pastoralen Personals aufgezeigt.

Umbrüche in Organisationen müssen nicht per se zu großer Verunsicherung, Rollenverlust und Überlebensangst der Mitarbeiter führen. Ursache für „hausgemachte“ Verunsicherungen in der Kirche sind Festhaltestrategien. „Sie entstehen, wenn die Organisation und die Menschen in ihr beharrlich an alten Mustern festhalten und mit aller Kraft bemüht sind, die gewohnte Stabilität wieder herzustellen und dabei von Tag zu Tag mehr inne werden, dass genau das nicht mehr gelingt!“18

Die dieser Arbeit zugrunde liegende Forschungshypothese geht davon aus, dass das kirchliche Personal eine wesentliche Rolle in der Gestaltung von Transformationsprozessen spielt. Es geht um die Transformation der Sozialgestalt von Kirche und damit die Neuchoreographie von Aufgaben und Rollen kirchlicher Dienste. In den deutschen Diözesen ist eine strategisch ausgerichtete Personalentwicklung im Bereich des Seelsorgepersonals als wesentliches Steuerungsinstrument von Organisationsentwicklung zu entfalten und zu professionalisieren. Je größer und komplexer eine Organisation ist, desto notwendiger wird strategische Personalentwicklung. Strategie meint in diesem Kontext eine Gesamtausrichtung an den Organisationszielen, an dem, was der Kirche durch Jesus Christus vorgegeben ist. Strategisch ausgerichtete Personalentwicklung dient der Sicherstellung der Qualität des Dienstes und der Umsetzung des Auftrages. Strategische Personalentwicklung hat zur Aufgabe, zukünftig bedeutsame Fähigkeiten innerhalb einer Organisation als Potenzial zu entwickeln und langfristig zu planen.

Aus praktisch-theologischer Perspektive stehen folgende Fragen im Mittelpunkt: Welche Handlungskriterien kann Pastoraltheologie für die Personalentwicklung des Seelsorgepersonals als zentralem Handlungsfeld von Kirche entwerfen? Wie ist Personalentwicklung als proaktive Veränderungsgestaltung für die Sozial- und Organisationsgestalt von Kirche ekklesiologisch zu verorten? Wie kann Personalentwicklung dafür Sorge tragen, dass ein Unternehmen auch in der Qualität der Dienstleistung aller Mitarbeiter Schritt hält mit gesellschaftlichen Veränderungen, jedoch in Treue zum eigenen Auftrag?

Ziel dieser Arbeit ist es, Gestaltungsmöglichkeiten für strategische Personalentwicklung theologisch zu reflektieren und praktische Handlungsoptionen aufzuzeigen. Die Arbeit richtet sich an kirchliche Führungskräfte und Personalverantwortliche, die vor der Herausforderung stehen, Personal – insbesondere im Bereich territorialer Seelsorge – für kompetentes Handeln in Umbruchzeiten zu qualifizieren. Es gilt, Personalführung als Handlungsfeld von Kirche theologisch zu verorten und die Instrumente moderner Personalführung in der Kirche zu implementieren.

1.2 Aufbau der Arbeit

Diese Arbeit rezipiert Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung zum Thema Personal- und Organisationsentwicklung für die Personalarbeit der Kirche, speziell im Bereich des Seelsorgepersonals. In einem ersten Schritt geht es in Kapitel 1 um kairologische Beobachtungen der gegenwärtigen Praxis diözesaner Personalentwicklung. Desiderata werden erhoben, Handlungsbedarf besonders im Bereich des pastoralen Personals wird beschrieben.

Gesellschaftliche Veränderungen, soziokulturelle Trends und deren Auswirkungen im Handlungsfeld Gemeindepastoral werden in Kapitel 2 unter dem Fokus ihres Kränkungspotenzials für Seelsorger betrachtet. Schwindende Akzeptanz und Plausibilität kirchlicher Grundvollzüge und der Verlust pastoraler Steuerungsmöglichkeiten erzeugen Ratlosigkeit auf Seiten der „Steuerfrauen“ und „Steuermänner“ im kirchlichen Dienst. Auswirkungen auf Arbeitsinhalte und Arbeitsformen, auf das Selbst- und Rollenverständnis von Klerikern und hauptberuflichen Laien werden dargelegt.

Das Kapitel 3 entfaltet Geschichte und Anliegen strategischer Personalentwicklung, beschreibt ihre Methoden und Instrumente und zeigt Zielperspektiven auf. Dabei geht es um reale Chancen, aber auch um eine Selbstbegrenzung des Anspruches von Personalentwicklung.

Das Proprium kirchlicher Personalentwicklung wird in Kapitel 4 reflektiert. Im Mittelpunkt stehen ekklesiologische Grundlegungen. Ein „Traditionsunternehmen“ wie die katholische Kirche muss die Balance zwischen Bewahren und Erneuern ausloten und unterscheiden zwischen nicht hinterfragbaren Lehren und Glaubensüberlieferungen einerseits und veränderbaren, weil geschichtlich gewachsenen Strukturen andererseits. Texte des Zweiten Vatikanums in ihrer Funktion als Selbstoffenbarung einer Organisation werden auf ihre Aussagen hinsichtlich kirchlichen Lern- und Veränderungspotenzials befragt. Theologische Handlungstheorien als Überschreitung und Erweiterung klassischer Ansätze von Personal- und Organisationsentwicklung werden entworfen, um theologisch verantwortete Handlungsleitlinien für verhaltensänderndes, innovatives und nachhaltiges Lernen zu erarbeiten.

Aufbauend auf diese Handlungsmaxime entwickelt Kapitel 5 Lern- und Arbeitsformen, welche Kirche als lernendes Unternehmen auszeichnen. Kernfrage ist dabei, wie eine Diözese Lernprozesse gestalten und dadurch Mitarbeiter zu dauerhaften Lernprozesse motivieren kann. Einzelne Handlungsfelder und Instrumente von Personalentwicklung im Bereich des katholischen Seelsorgepersonals werden vorgestellt, um theologische Postulate in die Praxis zu transferieren und strukturell abzusichern. Aus den Ansätzen des Change Managements und der Organisationsentwicklung werden Übersetzungen in den Bereich diözesaner Personalentwicklung vorgenommen. Handlungsleitlinie ist die auftragsadäquate und zugleich mitarbeiterfreundliche Gestaltung von Transformationsprozessen.

 

Kapitel 6 widmet sich konkreten Handlungsfeldern von Personalentwicklung im lernenden Unternehmen Kirche. Im Vordergrund steht hier die Verantwortung und die Fürsorgepflicht der Personalführenden für die Mitarbeiter. Organisationsspezifische Umsetzungsstrategien für „entwicklungsfördernde“ Arbeits- und Führungsstrukturen im Bereich Seelsorgepersonal werden aufgezeigt. Leitbegriffe des Forderns und Förderns werden auf ihre konkrete Umsetzung und Implementierung in diözesane Strukturen hin entfaltet.

Kirchenspezifische Problemhorizonte der Personalentwicklung im Bereich des Seelsorgepersonals werden in Kapitel 7 aufgezeigt. Es geht um Probleme der Akzeptanz und Umsetzbarkeit von Personalentwicklung insbesondere bei Theologen im kirchlichen Dienst. Kirchentypische Widerstände gegen Personalentwicklung müssen auch theologisch aufgearbeitet werden, um wirksam argumentieren und authentisch handeln zu können. Inhaltliche Dilemmata von Personalarbeit im Bereich des Seelsorgepersonals werden beschrieben, um im Anschluss organisationsspezifische realistische Deutungs- und Lösungswege aufzuzeigen.

Mit Absicht erst in Kapitel 8 und 9 findet eine biblische Vergewisserung statt. Die organisationstheoretischen Entfaltungen der vorangestellten Kapitel werden in den Horizont der biblischen Tradition gestellt. Die „Urkunden“ unseres Glaubens bergen als geronnene Lebenserfahrung kritisch-anregendes Potenzial für die Themen moderner Personalentwicklung. Exemplarisch werden drei Texte aus dem Alten Testament ausgewählt, welche in besonderem Maße Deutungsangebote und Handlungsoptionen für individuelle, aber auch gemeinschaftliche Transformationsprozesse aufweisen. Die vorgestellten neutestamentlichen Texte beziehen sich auf das Panorama unterschiedlicher Gemeindeformen des ersten Jahrhunderts und die daraus resultierende Vielfalt divergierender Leitungsstile der jungen Kirche. Alle ausgewählten biblischen Texte werden auf ihre Handlungsoptionen für Personalentwicklung in der Gegenwart befragt. Gegenwärtige Themen kirchlicher Personalentwicklung werden durch die kreative Konfrontation mit biblischen Deutungshorizonten kritisch angefragt und vertieft. Die Texte werden hermeneutisch daraufhin befragt, was sie den Menschen unter Verhältnissen zu sagen haben, in denen Antworten der Vergangenheit nicht mehr die Fragen der Gegenwart und Zukunft beantworten können.

Kapitel 10 bietet Zukunftsperspektiven für das Selbstverständnis von Seelsorgern. Drei neue Leitbilder für die eigene Rolle als Seelsorger legen Spuren aus für eine Pastoral, die sich selbst als Beitrag zur Gestaltung von Veränderung versteht. Drei pastorale Grundtugenden und drei Schlüsselkompetenzen werden erarbeitet, die helfen, eine Pastoral der Zukunft proaktiv zu gestalten.

Ein Schlusswort in Kapitel 11 fasst den Auftrag der Kirche als Arbeitgeber zusammen. Die Kirche als Arbeitsplatz ist ein Raum gemeinschaftlichen Lernens, Versagens und Gestaltens. Die Pastoraltheologie ist als Anwältin der Menschen „Raumpflegerin“, indem sie diese Lern- und Entfaltungsräume auch im Kontext hauptberuflicher Tätigkeit in der Kirche einklagt und eröffnet.